12.5.21
The Underground Railroad / Amazon Prime (ab 14. Mai)
Das großartige Epos „The Underground Railroad" basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Colson Whitehead, 2016 mit dem National Book Award und 2017 mit dem Pulitzer Prize for Fiction ausgezeichnet. Die Flucht einer jungen Sklavin aus Georgia mit Hilfe des legendären Netzwerks „The Underground Railroad" wird mit fantastischen Elementen zu einem ebenso faszinierenden wie erschreckenden Kaleidoskop afroamerikanischer Geschichte(n) bis heute.
Cora (Thuso Mbedu) schuftet als Besitz weißer Farmer auf Baumwoll-Feldern in Georgia. Schon ihre Mutter war Sklavin, konnte aber fliehen. Trotz Vergewaltigungen und Erniedrigung weist Cora das Angebot des neuen Sklaven Caesar (Aaron Pierre) zur gemeinsamen Flucht ab. Bis der weiße Sklavenhalter stirbt und sein Bruder, ein übler Sadist, dessen Farm übernimmt. Nun wird alles noch schlimmer. In einer der grausamsten Szenen lässt er einen gefangenen Flüchtling über Tage bis auf die Knochen auspeitschen, während die weiße Gesellschaft davor im Garten diniert. Zum Schluss wird der Gefolterte bei lebendigem Leibe verbrannt. Nun schließt sich Cora einer Fluchtgruppe an und erreicht nach dramatischen Szenen einen „Stationmaster" (Bahnhofswärter) genannten weißen Fluchthelfer. Während das Hilfs-Netzwerk „The Underground Railroad" nur nach der damals aufkommenden Eisenbahn benannt wurde, gibt es im Roman von Colson Whitehead und der Mini-Serie von Barry Jenkins tatsächlich ein Schienennetz unter der Erde. Was nicht nur Cora erstaunt.
„The Underground Railroad" zeigt in der ersten Episode in Georgia schon beim Zusehen schwer erträgliche Grausamkeiten der Sklavenhalter, wie man sie aus „12 Years a Slave" kennt. Noch stärker sind die folgenden Episoden einer historisch in Nuancen veränderten Welt. Tagträume, Erinnerungen und Visionen zeigen sich stilistisch in magischen Szenen schwebender Gestalten und rückwärts laufenden Bildern. Der tatsächliche Zug unter dem Haus des weißen Helfers ist nur der auffälligste kreative Einfall des Autors Whitehead.
Coras folgende Fluchtstation, eine Stadt in South Carolina, feiert die Freiheit der Schwarzen. Aber in einem Museum der Sklaverei spielen die Weißen mit Begeisterung alte Grausamkeiten nach. Und feiern sich gleichzeitig als Wohltäter. Die Sklaven sind frei, dürfen sich jedoch nur kontrolliert fortpflanzen, während die Männer in einem Experiment mit Krankheiten infiziert werden. Wenn Cora „frei" durch die Straßen geht, erzählen die Blicke der wirklich Freien, sehr viel mehr von heute als von einer nicht genau datierten Vergangenheit. In North Carolina hingegen, der nächsten Station und Episode, sollen Schwarze aus rassistischen Gründen überhaupt nicht mehr existieren. Jeder und jede dieser religiös verbitterten Menschen, der Schwarze aufnimmt, wird auf einer schaurigen Allee voller Leichen gehängt.
Generell wird „The Underground Railroad" durch stilistische und inhaltliche Brüche noch interessanter: Coras Flucht, immer verfolgt vom Kopfgeldjäger Ridgeway (Joel Edgerton), korrespondiert mit mehreren Nebenhandlungen. Episode 4 „The Great Spirit" widmet sich in einer Rückblende allein der wirren Psyche des jungen Ridgeways. Die siebte Folge über „Fanny Briggs" ist nur 20 Minuten lang. Die exzellente Gestaltung durch Regisseur und Ko-Autor Barry Jenkins ist nach seinen aufsehenerregenden Erstlingen „Moonlight" (2016) und „Beale Street" (2018) keine Überraschung. Immer wurde die Unterdrückung der Afroamerikaner mit ungewöhnlicher Individualität und Sensibilität angeklagt.
„The Underground Railroad" (USA 2021), Regie: Barry Jenkins, mit Thuso Mbedu, Chase W. Dillon, Joel Edgerton, Aaron Pierre, 10 Episoden von 20–70 Min., FSK: ab 16