Eine Eismaschine mitten im Dschungel! Das ist das ikonische Bild des Films „Mosquito Coast", an das auch die Serie 35 Jahre später erinnert: Noch steht die Apparatur, die aus Feuer Eis macht, in der Scheune des seltsamen Erfinders Allie Fox (Justin Theroux). Genial, aber trotzdem hält er sich mit kleinen Jobs über Wasser. In neun Jahren hat seine Familie sechs Mal Wohnort und Identität gewechselt. Der charmante und clevere Allie Fox scheint klüger zu sein, als die Polizei erlaubt. Extremistisch ist er nur in seiner Konsumkritik und der Anwendung alternativer Energien. Seine Kinder (Logan Polish, Gabriel Bateman) würden hinzufügen, dass er ihnen Smartphones, Computerspiele und Fernsehen verbietet. Als wieder mal der Geheimdienst näher kommt und die Sirenen schon auf dem Weg zur Familien-Farm heulen, begleitet ihn auch seine Frau (Melissa George). Vor dem Ziel Honduras steht allerdings eine lebensgefährliche Überquerung der Wüste nach Mexiko. In umgekehrter Richtung der Flüchtlings-Gruppen, aber trotzdem auf dem Radar der kriminellen Menschenschmuggler.
Ältere mögen sich an den nicht ganz gelungenen Spielfilm „Mosquito Coast" (1986) mit Harrison Ford und River Phoenix in den Hauptrollen erinnern. Der Film von Peter Weir hat es damals schwierig, weil er die erste ambivalente Rolle für Harrison Ford nach seinem „Indiana Jones"-Erfolgen war. Diesmal gibt Justin Theroux den genialen Erfinder, der für seine Ideale immer wieder die ganze Familie gefährdet und keine Alternative zulässt. Justin, das fällt schon bei Vorspann auf, ist übrigens Neffe des Romanautoren Paul Theroux, dessen Bestseller „Mosquito Coast" dieses Jahr 40-jähriges Jubiläum feiert. Die beiden Theroux' zeigten sich von der Besetzung begeistert und betonten, dass hier keine Form von Nepotismus für das Casting verantwortlich war.
Spannung erzeugt die siebenteilige Serie altbacken durch das Prinzip „Auf der Flucht". Bei dauernder Flucht-Bewegung gilt es in jeder Folge an neuer Station ein Problem zu lösen. Mal will eine charismatische Drogen-Baronin Rache, dann zeigt sich ein Mitverschwörer auf sadistische Weise misstrauisch. Dabei hat Allie Fox als erfahrener Untertaucher einiges drauf, MacGyver-Einlagen eingeschlossen. Seine „Abkürzungen" sind hingegen fast zum Lachen, doch die Familie lacht schon lange nicht mehr. Mit unerschütterlichem, lebensgefährlichem Optimismus ist Allie eigentlich ein mieser Charakter. Rücksichtslos, ohne Respekt vor Lebenden oder Toten.
„Du bist Amerika!" sagt ihm einmal hasserfüllt einer der Menschen, die unter die Räder des Idealisten kommen. Immer wieder zeigt sich die egozentrische Haltung des ach so alternativen US-Amerikaners. Die Philosophie dahinter ist hingegen treffend: Fernseher in den Schaufenstern bezeichnet er als „future trash", zukünftigen Müll. Obdachlose sind „defekte Konsumenten", die das größte Verbrechen begingen: Sie hörten auf, zu kaufen. In ersten Kritiken wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass hier Konsumkritik ausgerechnet auf dem Film-Kanal des gigantischen Konsum-Erzeugers Apple geäußert wird. Allerdings wäre es bei Amazon Prime auch nicht besser gewesen.
Selbst wenn das große Ziel, wie auch die Moskito-Küste nicht erreicht werden, überzeugt die Serie Folge für Folge mit guter Spannung. Dazu immer wieder starke Bilder, wie das Explodieren ausgestopfter Tiere in Zeitlupe. Oder die Monarchfalter, die ja auf Migrationen bis zu 3600 Kilometer ihr eigenes Road-Movie erleben und für die Seelen der vielen Toten stehen, die den Weg der Familie Fox pflastern.
„Moskito-Küste" (The Mosquito Coast, USA 2021), Regie: Rupert Wyatt, Natalia Beristáin, Clare Kilner, Tinge Krishnan, Jeremy Podeswa, mit Justin Theroux, Melissa George, Kimberly Elise, sieben Folgen à ca. 55 Min., FSK: ab 12