An den großartigen, gleichnamigen Kino-Film von Bong Joon Ho (Oscar-Sieger „Parasite", „Okja", „Mother") aus 2013 hängt sich nun die Netflix-Serie „Snowpiercer": Seit sieben Jahren rast ein 1000 und 1 Wagon langer Zug über eine tiefgefrorene Erde. Draußen herrschen extreme Minustemperaturen, drinnen eine elitäre Clique über den Rest in 2. und 3. Klasse. Im „Anhang" (tail) des Zuges darbt ohne natürliches Licht das nicht eingeladene Proletariat. Die einzigen überlebenden Menschen bilden eine brutale getrennte Gesellschaft aus Reichen und Hungernden.
Während man auf die große Revolution (des Kinofilms) wartet, gibt die erste Episode „Mord im Orientexpress". Die Hauptfigur Andre Layton (Daveed Diggs) wird dafür aus den Slums des rasenden Zuges in die erste Klasse gezwungen, weil er früher Kommissar war. Im Auftrag des Erfinders und Zug-„Führers" Wilford lässt die Hospitality-Chefin Melanie Cavill (Jennifer Connelly) einen grausamen Mord untersuchen. „Snowpiercer" nimmt erst in Folge 2 richtig Fahrt auf und macht die Brutalität der Klassen-Gesellschaft spürbar.
Das ist nur dosiert Science Fiction, auch wenn die Dimensionen und die Funktionen der einzelnen Abteile als Aquarium, Nachtclub oder Gewächshaus immer wieder beeindrucken. Die für Bong Joon Ho typische Gesellschafts-Parabel „Snowpiercer" fesselt vor allem durch ambivalente Figuren: Der kluge Revolutionär Layton erinnert sich am Ende der ersten fünf Episoden (die es für die Presse gab) an Kannibalismus im Zug. Jennifer Connelly gibt mit der nur scheinbar devoten Gäste-Betreuerin Melanie großartig das eigentliche Zentrum der Geschichte. Sie hat alle Fäden in der Hand und versucht, das Perpetuum Mobile des um die Erde rasenden Zuges trotz wachsender Lawinen und anderer Einschläge aufrecht zu erhalten. Derweil wandert die Idee von Demokratie und Mitbestimmung vom Ende des Zuges in die Spitze.
Die Umsetzung der durch den ewigen Winter rasende Parabel in die Serie wirkt gelungen. Spannende Veränderungen beim Personal und in der Geschichte machen „Snowpiercer" wieder und anhaltend interessant. Auch wenn die Serie bei zwei, drei eindrucksvollen und immer wieder brutalen Momenten ansonsten kleiner wirkt. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Presse-Sichtung nicht auf großen 4k-Monitoren möglich ist.