3.7.18

Die Frau, die vorausgeht

USA 2017 (Woman walks ahead) Regie: Susanna White mit Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds 101 Min.

Der indianische Name „Woman walks ahead" (Frau, die vorausgeht) hat für die bemerkenswerte historische Figur der schweizerisch-amerikanischen Malerin Caroline Weldon gleich mehrere Bedeutungen: Sie war, einmal geschieden, eine vorausschreitende, fortschrittliche Frau, die dank Geld und Beziehungen ihren eigenen Willen durchsetzen konnte. Auch wenn der so verschroben war, den legendären Indianer-Häuptling Sitting Bull, den Custer-Vernichter der Schlacht am Little Bighorn von 1876, im Porträt festhalten zu wollen. Seine Namensgebung „Woman walks ahead" für Caroline Weldon zeigt den schön freien Geist, den Humor und die Offenheit einer besonderen Beziehung. Denn bei einer der ersten Begegnungen, welche die New Yorkerin immer in ihren Stiefelchen angeht, fragt der eher entspannte als stolze Häuptling, ob sie immer so schnell voraus renne. Für sein Ansehen wäre es besser, sie würde ein paar Schritte hinter ihm bleiben. Womit die emanzipierte Frau gar nicht einverstanden ist. Sie einigen sich auf ein Nebeneinander.

Zuerst fliegt das Bild vom Ex in den Fluss und dann macht sich die junge Witwe Caroline Weldon (großartig: Jessica Chastain) aus New York im Frühjahr in den nicht mehr ganz Wilden Westen auf. Sie bemerkte, dass es noch gar kein Porträt vom berühmten Sioux-Häuptling Sitting Bull gäbe und fühlt sich berufen, diese Lücke zu schließen. Die naiven Vorstellungen der „liberalen New Yorkerin" vom freien Leben in der Prärie, die Panorama-Blicke aus dem Luxuswagon werden bald rau korrigiert. Nach der brutalen Anmache eines Soldaten (Sam Rockwell) im Zug voller Männer wird sie nach der Ankunft wegen ihres Porträt-Vorhabens von einem Indianerhasser bespukt. Die brutale Unterdrückung der Ureinwohner und deren nicht zimperliche Gegenwehr haben eine Landschaft voller Abneigung und Misstrauen hinterlassen. Es ist noch nicht lange her, seit der letzte Widerstand niedergemetzelt wurde und die paar Überlebenden in elende Reservate gezwungen wurden. Und so schleift Caroline Weldon ihren Koffer allein über lange, staubige Wege ins nächste Dorf. Nicht ahnend, dass der Oberaufseher des Reservates (Ciarán Hinds) sie direkt zurückschicken wird.

Doch ein indianischer Lagerpolizist macht als Enkel von Sitting Bull den Doppelspion und bringt die inhaftierte Malerin statt zum Bahnhof zu einem unscheinbaren Mann (Michael Greyeyes), der gerade Kartoffeln einpflanzt. Den interessieren keine Kämpfe mehr, Carolines Stolz über die ach so lange Anreise relativiert er mit der Frage, ob sie denn auch einen eigenen Schlafwagen gehabt habe. Aber für 1000 Dollar lässt er sich malen und eine besondere Freundschaft nimmt ihren Anfang. Die anfängliche Begeisterung für „die Freiheit", begleitet von einer kräftigen Unkenntnis, wandelt sich zu einem aufrechten Interesse an den unterdrückten Menschen. Auch ihre Position als Malerin relativiert sich, als sie die von Sitting Bull auf Fell „naiv" gezeichneten Skizzen eines brutalen und schrecklichen Lebens sieht.

In langen, intensiven Gesprächen verstehen sich die früh emanzipierte Frau und der nun vor allem geistige Führer der wenigen überlebenden Stämme in Dakota. Frühe ökologische Ansätze, das Menschenbild, in dem Geben mehr wert ist, als das Haben, Reflektionen über zwei unterschiedliche Gesellschaften, tauchen dabei auf. Und nebenbei trockene Bemerkungen über die weißen Hügel, die nicht aus Schnee, sondern aus Büffelschädel der Massaker der Weißen bestehen. Derweil halbiert die Regierung die Rationen für die Indianer und will ihnen selbst das knappe Reservats-Land in einer Volksabstimmungs-Farce abnehmen. Caroline Weldon wird an der Seite des reaktivierten Sitting Bull zur Kämpferin für die Rechte der Ureinwohner.

„Die Frau, die vorausgeht" ist wie schon „Hostile" ein uneigentlicher Endzeit-Western in einem mit Hass und Rachegelüsten vermintem Land. Doch während in der Realität von Bayern bis Washington die politischen Cowboys nicht in den Sonnen–, sondern in den wahren Untergang reiten wollen, gibt es in diesen Filmen ein Prinzip Hoffnung: Die Frauen vermögen tatsächlich verbitterte Krieger zu befrieden. Wobei in diesem sehr sehenswerten Film der Regisseurin Susanna White die (nicht immer beachteten) historischen Fakten im Wege stehen: Sitting Bull wurde ausgerechnet bei seinem friedlichen Kampf nach den Regeln des Staates umgebracht und Caroline Weldon als Bürgerrechtlerin bald vergessen. Die restlichen Indianer des Reservates - 300 Männer, Frauen und Kinder - ermordeten Soldaten 1890 beim politisch erwünschten Massaker am Wounded Knee.