19.4.16

Die Kommune

Dänemark 2015 (Kollektivet) Regie: Thomas Vinterberg mit Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Helene Reingaard Neumann, Martha Sofie Wallstrøm Hansen, Lars Ranthe 111 Min.

Thomas Vinterberg ist einer der bemerkenswerten Regisseure unserer Zeit: Als Mitinitiator des Dogma-Manifestes reizte er die Möglichkeiten des Erzählens aus. Das Familiendrama „Das Fest" gewann 1997 Preise in Cannes und wurde zur europäischen Entdeckung des Jahres gewählt. 2012 sorgte „Die Jagd" mit Mads Mikkelsen in der Rolle eines fälschlich Beschuldigten erneut in Cannes für Aufregung. Nun demaskiert Vinterberg in „Die Kommune" das freie WG-Leben der späten Sechziger als erschütternd verantwortungslos. Für Hauptdarstellerin Trine Dyrholm gab es bei der Berlinale 2016 den Preis als Beste Darstellerin.

Es ist die klassische Kernfamilie, die sich in den 70er die geerbte Villa in einem Kopenhagener Nobelviertel anschaut: Erik (Ulrich Thomsen) und Anna (Trine Dyrholm) erkunden mit dem Sohn die vielen Etagen und Zimmer. Doch obwohl sie prominente Nachrichten-Sprecherin ist und er als Architektur-Professor lehrt reicht das Geld nicht. Mieter - lautet seine pragmatische Lösung. Eine WG will sie, begeistert von der Aufbruchsstimmung der Zeit. Und auch etwas gelangweilt vom Eheleben: „Du redest nur, bringst mich zum lachen, aber ich habe schon alles gehört", lautet ihre kalte Ansage, die sich rächen wird!

Nach einem witzigen Casting von allesamt komischen Mitbewohnern, deren problematische Seite direkt deutlich wird, überschreibt Erik sogar sein Erbe der Gemeinschaft. Und sucht sich bald als Gegengewicht die junge Studentin Emma als Geliebte (Helene Reingaard Neumann). Aus dem ulkigen WG-Chaos mit dem weinerlichen schwedischen Flüchtling, der nie Geld hat, mit der herrischen Linken und dem kleinen Jungen, der jederzeit sterben könnte, kristallisiert sich langsam das Drama der betrogenen Anna heraus. Denn selbst als Emma komplett einzieht, statt wie verabredet nur eine Weile zu bleiben, bleibt Anna den großen Idealen der Gemeinschaft treu und erträgt den lauten Sex des Ex im Nebenzimmer.

Thomas Vinterberg, der international gefeierte Regisseur, der selbst in einer Wohngemeinschaft aufwuchs, rechnet in diesem bitteren Drama, von Trine Dyrholms Spiel mit kaum aushaltbaren Leid ausgestattet, mit dem bunten WG-Ideal und dem Image einer uneigennützigen Hippie-Generation ab. Das Drehbuch, das er zusammen mit seinem ebenfalls exzellenten Ko-Autor Tobias Lindholm („A war") schrieb, zeichnet den Niedergang der Utopie in vielen Details feinsinnig und lebendig nach. Und auch psychologisch ist „Die Kommune" stimmig und äußerst packend. Wie sich der etwas ältere Erik unter all den Gutmenschen schnell einsam fühlt, wie Anna bis zum Zusammenbruch an der Idee der Gemeinschaft festhält und wie vor allem der kleine Sohn viel zu viel mitbekommt. In dem wunderbar reichen Film ist auch noch Platz für seine schöne Geschichte und seinen Ausweg.

In vielen Schichten und passenden Bildern umfasst „Die Kommune" das ganze Leben. Vom freizügigen und vertrauten Sex bis zum Tod - eines Kindes und einer Idee. Das ist höchste Drehbuch- und Inszenierungskunst. Lässt aber vor alle Trine Dyrholm strahlen, die das Leiden ihrer Figur mit schmerzlicher Offenheit spielt. Ein filmischer Diamant, der in vielen Facetten schillert und der dem Zeitalter der Liebe mit Elton Johns „Goodbye Yellow Brick Road" kongenial einen Abgesang bereitet.

17.4.16

Gods of Egypt

USA, Australien 2016 Regie: Alex Proyas mit Nikolaj Coster-Waldau, Gerard Butler, Geoffrey Rush, Brenton Thwaites 128 Min. FSK: ab 12

„Gods of Egypt", die Götter Ägyptens, machten vor allem auf sich aufmerksam, weil irgendwas an ihrer Hautfarbe nicht stimmen sollte: Es gab Proteste, weil der Darsteller des Gottes Horus ethnisch nicht im richtigen Ton wie ein alter Ägypter gebräunt war. Die Beschwerdeführer sind wahrscheinlich die gleichen Leute, die Othello immer von einem Schwarzen gespielt sehen wollen, um ausgerechnet dadurch auszudrücken, dass die Hautfarbe KEINE Rolle spielt.

Dass ein Däne als Witzfigur auf Ägyptens Thron sitzen soll und andere Unzulänglichkeiten spielt aber nur eine Nebenrolle in einem mit viel Geld produzierten, sehr nebensächlichen Film: Am Tag seiner Inthronisierung wird der verkaterte ägyptische Gott Horus (Nikolaj Coster-Waldau) von seinem Onkel Set (Gerard Butler) gestürzt. Der verbannte und seiner Laser-Augen beraubte Thronfolger verbündet sich mit einem sehr menschlichen Meisterdieb Bek (Brenton Thwaites), um die Diktatur Sets zu beenden. Der gerissene Mensch will als Belohnung seine Geliebte Zaya (Courtney Eaton) aus dem Totenreich zurück erhalten.

Dieser reizlose Mix aus Mythos und Fantasy erstaunt vor allem mit banalem Geschwätz („Leben ist eine Reise"). Lichtschwerter, aufgepimpte Dune-Würmer und Kram aus mehreren alt-ägyptischen Epochen konkurrieren mit billigen Effekten um viele Punkte im Trash-Wettbewerb. Das ist alles jetzt schon so albern wie alte Sandalen-Filme nach einigen Jahrzehnten. Völlig übertriebene Sphinx-Animationen, eine Art Robocop aus der Wüste und mechanische Automaten als Wächter-Ersatz in einem Tresor mit ziemlich moderner Sicherheitsanlage, das passt alles nicht zusammen und qualifiziert sich früh für die Verleihung zum schlechtesten Film des Jahres.

Götter sind in diesem Film erst mal viel größer als Menschen und verhalten sich wie Boxer im Morgenmantel bis sie sich dank digitaler Tricksereien in metallische Tier-Wesen transformieren. Dann geht die Prügelei mit Flügeln oder Klauen einfach weiter. Göttlich! So ist Größe albern, weil nicht gespielt sondern herbeigetrickst. Am schlimmsten anzusehen bei Geoffrey Rush als Sonnengott Ra, der auf einer Art Space Station täglich eine dunkle Bedrohung der Sonne bekämpft. Und Murmeltiere wahrscheinlich auch.

Gerard Butler kann sich in solchen Filmen immer noch nicht von seiner spartanischen „300"-Rolle als Haudrauf im Ledertanga lösen. Da steht - selbst ohne vorherige Krankheit wie bei Silvester Stallone - die Mimik einem weitergehenden Ausdruck immer im Wege. Wirklich eindrucksvolle Götter wie in Neil Gaimans „Gods of America" sind nicht zu erleben. Wenn man an den Horus in Enki Bilals Comicreihe „Alexander Nikopol" sowie der Verfilmung „Immortal" zurückdenkt, muss man angesichts dieses überzogenen Wedelns mit digitalen Kostümen und Kulissen echt weinen. Auch der Vergleich zu des Regisseurs toller Fantasy „Dark City" aus 1997 fällt vernichtend aus.

12.4.16

A War

Dänemark 2015 (Krigen) Regie: Tobias Lindholm mit Pilou Asbæk, Tuva Novotny, Søren Malling 120 Min. FSK: ab 12

Eine tödliche Minen-Explosion. Der an die Nerven gehende Alltag der Patrouillen, die der Bevölkerung Sicherheit geben sollen und die Taliban kurzzeitig fern halten. Einem verwundeten Mädchen helfen und einen vermeintlichen Taliban aus der Ferne erschießen. Der Alltag dänischer ISAF-Soldaten in Afghanistan ist nüchtern und nervenaufreibend. Ebenso eindringlich schildert „A war" den Alltag der Frau der Kommandanten mit drei Kindern alleine zuhause. Papa kommt schneller als erwartet zurück, denn er hat, als seine Truppe angegriffen wieder jemand lebensgefährlich verletzt wurde, ein Bombardement angefordert, das den Tod von 11 afghanischen Zivilisten zur Folge hatte. Nun muss er sich in Dänemark vor einem Gericht verantworten.

Regisseur Tobias Lindholm („R", „Hijacking", „Borgen"), ein Spezialist für solch moralisch schwierige Themen, hält in seiner Inszenierung sehr geschickt die Waage zwischen der Solidarität unter „Kameraden" und dem Kriegsrecht zum Schutz von Zivilisten in Konfliktsituationen. Dabei erfolgt die Kriegs-Darstellung nicht als Action sondern erschreckend eindringlich im Stil von Kathleen Bigelow. Wenn nebenbei auch Familienleben in Afghanistan und Dänemark verglichen wird, macht „A war" klar, dass es auch in diesem Krieg keine Lösung und nur Opfer gibt. Das sehr realistische und ganz, ganz bittere Szenario gelingt mit exzellenten Schauspielern, etwa mit Hauptdarsteller Pilou Asbæk, der auch in „Game of Thrones" zu sehen ist.

Hardcore (2015)

Russland, USA 2015 Regie: Ilya Naishuller mit Sharlto Copley, Haley Bennett, Danila Kozlovsky 92 Min. FSK: ab 18

Das ist die Härte: Ein kompletter Actionfilm aus der First Shooter-Perspektive eines Video-Spiels. Eine nur vermeintlich originelle Idee, die sich sehr, sehr schnell totläuft, weil das Ganze auch nur die Dramaturgie eines Videospiels hat. Henry wacht in einem Labor auf, bekommt einen Arm und ein Bein angeschraubt, aber bevor der vermeintliche Cyber-Mensch auch eine Stimme bekommt, startet mit einem Überfall eine extrem atemlose Rennerei, die wir nur aus der Perspektive Henrys verfolgen müssen. Der filmische Egoshooter hat vor allem in seiner gesichtslosen Hauptfigur zu wenig Persönlichkeit, als dass „Hardcore" mehr als eine schwer ertragbare, schaukelnde und wackelige Kuriosität des Kinobetriebes sein kann.

The Jungle Book

USA 2016 Regie: Jon Favreau mit Neel Sethi 106 Min. FSK: ab 6

Als die (Film-) Welt noch flach war, kam Rudyard Kiplings „Dschungelbuch" als Zeichentrickfilm von Disney ins Kino und begeisterte seitdem Generationen. Nun gestaltete Jon Favreau, der Regisseur des „Ironman", die Erwachsenwerdung von Mogli, was Warnung genug sein sollte: In diesem Dschungel (-buch) geht es eher rund als ans Herz.

Das Menschenkind Mogli wächst im indischen Dschungel unter Wölfen auf und lebt nach den Regeln des Rudels. Obwohl Mogli seine ungewöhnlichen Tricks nicht anwenden soll, wandelt er sich langsam vom Tier zum Menschen. Erst recht als der Tiger Shir Khan auch diesen Menschen zu seinem persönlichen Feind macht und aus dem Dschungel vertreiben will. Nun kann selbst sein väterlicher Beschützer, der Panther Baghira, dem Menschenkind nicht mehr helfen. Doch in dem gemütlichen Bär Balu findet es einen neuen Freund, um zuerst den Orang-Utan King Louie und schließlich auch Shir Khan zu besiegen.

Disney macht nicht nur aus dem neu eingekauften „Star Wars" eine Fließband-Produktion, auch die eigenen Zeichentrick-Klassiker kommen um ein Recycling nicht herum: „Dornröschen" wurde bereits mit „Maleficent" unsanft aus dem Schlaf geweckt und „Cinderella" in einer Real-Verfilmung mächtig entstaubt. „The Jungle Book" ist nun eigentlich bei all den gepixelten Illusionen kein Real-Film, sieht aber in jedem Tierhärchen verblüffend echt aus. Und ist ansonsten überwältigend bis erschreckend. Also oft nichts für kleine Kinder. Und auch nichts für die Kinder, die den Trickfilm „Das Dschungelbuch" von 1967 gesehen haben.

„The Jungle Book" ist immerhin ein Film von Jon Favreau, ein bekannter Schauspieler und sehr geschätzter Regisseur von „Ironman" aber auch vom kleinen, sehr sympathischen „Kiss the Cook". Favreau kann also die Kino-Klaviatur in jeder Tonlage und Lautstärke bespielen. Diesmal haut er heftig in die Tasten eines dauernd lauten Überwältigungskinos, das alle Fans des Zeichentrickfilms abschrecken muss. Es reduziert zudem die Mogli-Kapitel aus Kiplings siebenteiligem Werk auf eine Rache-Geschichte, auf das Duell Mensch gegen Tiger.

Die völlig irritierenden Mundbewegungen der sprechenden Tiere werden im Original von ausgezeichneten Sprechern wie Bill Murray (Balu), Ben Kingsley (Baghira), Christopher Walken (King Louie) oder Idris Elba (Shir Khan) aufgewogen. Wer möchte sich nicht von der Stimme Ssscarlett Johansssssonsss („Her", „Under the Skin") in der Haut von Kaa hypnotisieren lassen. So wirken die tierischen Charaktere zwar echt, doch immer im Zusammenspiel mit dem armen jungen, immer rennenden und hüpfenden Action-Darsteller Neel Sethi fällt das Konstrukt auseinander. Die Probleme des angeblichen Kolonialismus in Kiplings Roman spielt Balu runter mit der Bemerkung das Gesetz des Dschungels „sei kein Lied, sondern Propaganda". Sein Lied „Versuchs mal mit Gemütlichkeit" überlebt neben dem Evergreen „I wanna be like you" von King Louie (durch Christopher Walken erbärmlich gesungen) tatsächlich als Einziges den Sprung vom Klassiker zur eher wenig gemütlichen Action-Neuverfilmung.

Fritz Lang

BRD 2015 Regie: Gordian Maugg mit Heino Ferch, Thomas Thieme, Samuel Finzi, Johanna Gastdorf 104 Min. FSK: ab 12

War Fritz Lang (1890-1976), der bedeutendste deutsche Regisseur der Vorkriegszeit, der Schöpfer von „Die Nibelungen" und „Metropolis", ein Mörder? War er deshalb so an der Geschichte des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten interessiert? Regisseur Gordian Maugg verwebt auf packende Weise eine fiktive biographische Geschichte um Fritz Lang mit der Entstehung von dessen Meisterwerk „M – Eine Stadt sucht eine Mörder" aus dem Jahr 1931.

Ein verzweifelter Kokser, der mit seinen eigenen Trieben kämpft und nicht über eine verlorene Liebe hinweg kommt - so erleben wir den berühmten Stummfilm-Regisseur Fritz Lang (Heino Ferch) um 1930 herum: Weder Ruhm noch seine Ehefrau und Schreibpartnerin Thea von Harbou (Johanna Gastdorf) können ihn interessieren. Aber eine Zeitungsmeldung über eine Düsseldorfer Mordserie lässt ihn sofort aufbrechen und an den Tatorten recherchieren. Auf der Spur des legendären Massenmörders Peter Kürten trifft Lang einen Kommissar, der ihn noch immer verdächtigt, und eine junge Frau, die ihn an eine unter ungeklärten Umständen verstorbene Liebe erinnert.

Äußerst kunst- sowie reizvoll und elegant setzt Regisseur Gordian Maugg („Hans Warns - Mein 20. Jahrhundert", „Der olympische Sommer") wieder seine bewährten Collagen von historischem und inszeniertem Material ein, um schnell ein Gefühl der neuen Vorkriegs-Zeit zu schaffen: Die Schlagworte „entartet" und grölende SA-Horden tauchen nicht mehr nur am Rand auf, „Zeiten, die sich ändern" werden Lang angedroht. Dabei „inszeniert" Maugg gleich eine ganze Zugreise von Berlin nach Düsseldorf mit historischem Material und baut seinen Fritz Lang sogar in eine prägnante Szene aus seinem eigenen „M – Eine Stadt sucht eine Mörder" ein. Erinnerungen an grausame Kriegserfahrungen vermischen sich mit richtigem Kinotopp, wenn Lang seine Kriegs-Pistole einpackt. Ganz modern spürt Lang geradezu übersinnlich den Morden nach und wenn der Produzent auf Start der Dreharbeiten drängt, während der Prozess gegen Kürten noch läuft, muss man unweigerlich an die TV-Verfilmungen der NSU-Morde denken. Tatsächlich aber interessiert sich der sehr dichte und vielschichtige Film im Kern wie Truman Capotes „Kaltblütig" für die psychologische Struktur des Täters, der sich Lang beängstigend verwandt fühlt.

Wie sehr sich Fritz Lang in die Filmgeschichte eingeschrieben hat, zeigt selbst das aktuelle Cannes-Plakat: Es ist eine Szene aus einem fiktiven Fritz Lang-Film, inszeniert von Godard in „Le Mepris", in dem Lang sich selbst spielt, neben Brigitte Bardot! Dass es einen ungeklärten Mordfall in der Vergangenheit Langs geben soll, ist weniger bekannt. Gordian Maugg macht daraus gleich mehrere Geschichten, die sich nahtlos ergänzen: Eine der aufgeheizten Zeitstimmung, einen Krimi, eine biografisch, psychologische Analyse und eine Film-Geschichte. Das funktioniert erzählerisch und ästhetisch hervorragend, trotz einem anständigen, aber nicht herausragenden Heino Ferch in der Hauptrolle. Denn auch diesmal - wie Peter Lorre in „M" - ist wieder der getriebene Täter (Samuel Finzi als Peter Kürten) eindrucksvoller.

Wild

BRD 2014 Regie: Nicolette Krebitz mit Lilith Stangenberg, Georg Friedrich, Silke Bodenbender 97 Min. FSK: ab 16

Dies ist tatsächlich ein in jeder Hinsicht wilder Film: Die populäre Schauspielerin Nicolette Krebitz („Tatort") ist auch eine sehr kluge und mutige Regisseurin. Ihr dritter Spielfilm nach „Jeans" und „Das Herz ist ein dunkler Wald", ihrer „Medea" mit Nina Hoss, stellt alle Erwartungen auf den Kopf.

Ania (Lilith Stangenberg) ist eine stille, unscheinbare Büromaus in grauer Vorstadt-Kulisse. Bis sie auf dem Weg zur Arbeit im Park einen Wolf sieht. Nun will sie das Tier mit rohem Fleisch, Geheul vom Balkon und Kaninchen aus der Zoohandlung anlocken. Tatsächlich kann Ania den Wolf mit einer alten Jagd-Technik einfangen, betäuben und in ein Zimmer ihrer Wohnung sperren. Der dramatische und komische Versuch der Domestizierung misslingt, stattdessen verwildert die junge Frau. Ihr gesellschaftliches Grau passt nun zum neuen Partner, mit dem sie nach wilder sexueller Fantasie vertraut gemeinsam frühstückt. Plötzlich kuscht selbst der großkotzige Leitwolf der Agentur, aber Ania will mehr, vor allem Freiheit.

„Wild" ist eine feministische Parabel, ein wilder Spaß, der Klischees von Freiheit in einem wahnsinnigen „Zurück zur Natur" fast tollwütig werden lässt. Gleichzeitig erzählt der sehr freie Film in Bild und im Spiel der faszinierenden Lilith Stangenberg („Der Staat gegen Fritz Bauer") immer wieder zärtlich und poetisch. Es ist insgesamt schwer einzufangen, dieses wilde Tier von einem sehr bemerkens- und sehenswerten Film: Atemberaubende und ans Horror-Genre erinnernde sexuelle Fantasien lösen sich mit einem aberwitzig komischen Spruch auf. Selbst wenn beliebte Interpretations-Schemata wie Köder ausgestreut sind, folgt Autorin und Regisseurin Nicolette Krebitz ihrer ganz eigenen Fährte. Das ist hemmungslos, tierisch, teilweise anarchisch und lässt einen wenn schon nicht wild, zumindest angenehm ruhelos zurück, weil Bilder und Gedanken noch lange wie ein eingesperrtes Tier im Kopf hin und her rennen.

The Lady in the van

Großbritannien 2015 Regie: Nicholas Hytner mit Maggie Smith, Alex Jennings, Jim Broadbent 105 Min. FSK: ab 6

Ganz anders als der Trailer vorlügt, handelt es sich bei „The Lady in the van" keineswegs um eine nette Komödie über eine schrullige, obdachlose alte Dame. Maggie Smith („Downton Abbey") spielt zwar auf grandios mutige und kauzige Weise diese stinkende und zickige Plage eines schnieken Stadtteils in London. Doch die postmoderne Selbst-Bespiegelung von Autor und Hauptfigur Alan Bennett (doppelt: Alex Jennings) und die spöttische Analyse der intellektuellen Snobs des Viertels machen das schöne, stille Werk zu einer reizvollen und berührenden Kino-Besonderheit im Stile von Spike Jonze „Adaptation" aus der Feder von Charlie Kaufman.

Alan Bennett (Alex Jennings) ist ein melancholischer, einsamer und schwuler Theaterautor, der auf der Londoner Westend-Bühne recht erfolgreich einen Monolog über seine Mutter hält. Sein neues Häuschen steht im Stadtteil Camden Town inmitten von Künstlern und Kreativen, die sich links und tolerant geben. Doch eine außergewöhnliche Nachbarin wird Anfang der 70er diese Toleranz auf die Probe stellen: Die wohnungslose Miss Mary Shepherd (Maggie Smith) zieht mit ihrem Van von Haus zu Haus im Viertel, parkt mal vor der Nr. 48, dann fällt das stinkende Los auf die 57. Nur mit Musik kann man das zeternde und keifende Bordstein-Belagern verhindern, die kann Miss Shepherd überhaupt nicht ausstehen. Auch Bennett kann die „Dame", die selbst auf Geschenke und Essensgaben nur frech reagiert, nicht leiden. Doch als neue Parkregeln eingeführt werden, nistet Mary ihren Van in seiner Einfahrt ein. Und der einsame Mann fühlt sich besonders verantwortlich - auch wenn er seine Toilette nach einem Besuch der alten Dame immer stundenlang reinigen muss. Mary interessiert auch den Schriftsteller Bennett, weil sie unter all dem Müll im Van auch eine sehr tragische Geschichte mit sich herumschleppt.

Maggie Smith spielt mit dem faltigen Gesicht einer Schildkröte und mit viel Mut zu ordinärer Mimik. Hinter einer Fassade aus Hilflosigkeit versteckt sie die Gerissenheit der verzweifelten Schmarotzerin. Das war schon 1999 ihre Rolle, als Bennett die Geschichte auf die Bühne brachte. Diesen Brettern, die hier eine Innen-Welt bedeuten, sind auch die wunderbar spitzen Kommentare geschuldet, die wichtiger als Handlung sind. Zur schillernd geschilderten Vielfalt übler Gerüche gesellen sich Bemerkungen der pikiert scherzenden Nachbarn, dass die Flecken der Inkontinenz wohl „kein Fashion Statement seien".

Selbst wenn diese ungewöhnliche, witzige und rührende Nachbarschaft so geschehen sein soll, die künstlerische Bearbeitung des realen Autors Alan Bennett bietet viel mehr als äußerlich originelle 15 gemeinsame Jahre. Ganz selbst verständlich tritt der Autor Bennett im Film mit seiner nasal quengelnden Stimme immer doppelt auf. Nicht nur weil „Schreiben mit sich selbst reden ist". Der eine Bennett schreibt, der andere, der eher klägliche lebt. Mehr schlecht als recht, was ihm der Schreiber unverhüllt vorwirft. Dass sich die beiden im Laufe der Entwicklung um Miss Shepherd besser verstehen, weil der eine dem anderen endlich etwas verwertbares Leben liefert, gehört zu den anderen schönen Geschichten hinter dem Van der Pennerin.

Regisseur Nicholas Hytner hatte schon 2006 Alan Bennetts Bühnenstück „The History Boys" verfilmt. Sein filmischer Paukenschlag war allerdings bisher „The madness of King George" („King George - Ein Königreich für mehr Verstand", 1994). Nun vollendet er Bennetts Geschichte, indem der Film in der Straße und dem Haus gefilmt wurde, in denen Bennett und Miss Shepherd jahrelang lebten. Der echte Autor rollt sogar selbst - immer noch auf dem Fahrrad - am Set auf, wo Komponist George Fenton sich selbst dirigiert. Ein perfektes Kunststück.

5.4.16

Ip Man 3

Hongkong, VR China 2015 Regie: Wilson Yip mit Donnie Yen, Lynn Hung, Max Zhang, Mike Tyson 105 Min. FSK: ab 12

Wenige Wochen vor dem DVD-Start im Mai wird die Geschichte vom „Ip Man", dem legendären Lehrmeister Bruce Lees, kurz im Kino fortgesetzt. Im Hong Kong des Jahres 1959 lebt der Wing Chun-Großmeister Ip Man (Donnie Yen) mit fast niedlicher Bescheidenheit zurückgezogen und friedlich für seine Familie. Aber er muss sich wehren, als die Gangster des amerikanischen Bauspekulanten Frank (Mike Tyson) das Gelände seiner Schule an sich reißen wollen und auch seinen Sohn entführen.

Die sehr sorgsam inszenierte historische Geschichte um „The Grandmaster", wie er in Wong Kar-Wais brillantem Film genannt wurde, wiegt viele Kampfszenen mit einigem Privat-Melodram auf. Die Rolle für Ex-Boxer Mike Tyson ist dabei eher ein Marketing-Gag, den die anständige Unterhaltungskost für Freunde des Kampfsport-Kultes eigentlich nicht braucht.

Gestrandet (2016)

BRD 2016 Regie: Lisei Caspers 78 Min. FSK: ab 0

Fünf Flüchtlinge aus Eritrea stranden mitten in Ostfriesland, in dem 1500-Seelen-Dorf Strackholt. Die Einheimischen wollen ihnen ernsthaft und stolz die regionale Albernheit Boseln beibringen - ein besoffenes Kegeln auf der Landstraße. Diese Auftakt-Szene zeigt eine der gutgemeinten, oft peinlichen Bemühungen der freiwilligen Helfer. Die Verständigung ist schwer, die Beteiligung am gemeinsamen Volkslauf scheitert mal an der Pünktlichkeit. Von dem Grauen der Flucht wird nur wenig erzählt, wobei ausgerechnet der gehörlose Eritreer mit Gebärdensprache noch am meisten erzählt.

Es Landeskunde über Eritrea beim Kaffeeklatsch, denn die Ureinwohner sind dunkelhäutige Menschen „auch in der Anzahl" nicht gewohnt. Die Regisseurin erwischt einen engagierten Ex-Lehrer, als er „Negerkuss" sagt. Auch wenn „Gestrandet" sehr offenherzig von ersten Vorbehalten und Ängsten, überfallen zu werden, erzählt, geht es ihm nicht um das Bloßstellen oder das Wiederholen bekannter Fronten. Über ein Jahr lang wird in kurzen Momentaufnahmen die deprimierende Entwicklung für die Flüchtlinge während langer Monate des Wartens festgehalten. Diese langsamen bürokratischen Mühlen bekommen selbst den größten Enthusiasmus klein, aber nicht die Hoffnung der stoischen Ostfriesen: Im Epilog erfahren wir von neuen Flüchtlingen und unermüdlichen Helfern, die viel gelernt haben.

Und am Ende sind alle allein

Und am Ende sind alle allein - Bundesstart

BRD 2015 Regie: Kolja Malik mit Nadine Kiesewalter, Emilia Rosa de Fries, Robert Seiler 88 Min.

Aachen. Nach einigen Festival-Starts hat der ausgezeichnete No Budget-Film „Und am Ende sind alle allein" nun seinen Kinostart: "Fünf Menschen begegnen sich in einer Stadt und erleben einen Trip durch eine Nacht. Fünf Menschen in einer undurchsichtigen, haltlosen Realität." So beschreibt Kolja Malik, beim Dreh 2012 und 2013 noch Dramaturgie-Assistent im Aachener Mörgens-Theater, seinen abendfüllenden Film über diese Nacht. An der exzessiven Suche einer Handvoll Personen beteiligen sich als Hauptdarsteller unter anderem Nadine Kiesewalter, Emilia Rosa de Fries und Robert Seiler, drei ehemalige Schauspieler vom Theater Aachen.

Malik schildert „Am Ende..." als Roadmovie übers Wegrennen und über diese Liebe, an die ja sowieso keiner glaubt. Eva ist schön und zerbrechlich und Jonas will sie retten, Marie will raus aus dem Zirkus, ihr Freund Marc ist vielleicht ein Schisser und dann taucht Karl auf und hat Sprengsätze. Alle suchen in einer soghaften Nacht nach Antworten, nach Auflösung, nach dem totalen Rausch, dem absoluten Höhepunkt, nach einer Liebe, an die sie nicht glauben. Sie tanzen, sie trinken, sie rennen – aber fünf ist immer einer zu viel.

Kolja Malik, geboren 1990, schrieb sein erstes Drehbuch mit 11 Jahren und ist seiner großen Leidenschaft seitdem treu geblieben. Mit ersten Erfolgen: 2009 belegte er mit dem 3-Minüter „Beduinen des Westens" den ersten Platz beim Deutschen Jugendvideopreis sowie den 2. Preis beim Bundesfestival „Fantasie-, Experimentalfilm und Videoclip" des Bundesverbands Deutscher Film-Autoren. Mittlerweile studiert er an der Filmakademie Baden-Württemberg und realisierte dort mehrere Kurzfilme. Einige seiner Arbeiten kann man übrigens immer wieder beim Theater Aachen finden: Malik dreht weiterhin Trailer für aktuelle Inszenierungen.

Nadine Kiesewalter und Emilia Rosa de Fries leben mittlerweile in Berlin. Nadine Kiesewalter spielt am Berliner Ensemble, Emilia Rosa de Fries arbeitet gerade an einem Soloabend. Kolja Malik hat mit seiner Schwester, der bekannten Schauspielerin Julia Malik, schon wieder einen Kurzfilm abgedreht. Der Ton wird gerade vom Aachener Tontechniker Jonas Vogel überarbeitet. Neben ihm sind für die Aachen-Premiere am Donnerstag auch Dominique Muszynski (Kostümbild), Carmen Gante (Maskenbild), Ruby Tuesday (Set-Aufnahmeleitung) und Angela Queins (Regieassistenz, Kostümbild) angekündigt. Bei der Diskussion zum Film, im Rahmen der Reihe „Kino im Dialog" wird der Filmemacher zu seinem nächsten langen Film beantworten, der gerade im Stadium der Finanzierung steckt.

Die Baumhauskönige

Niederlande 2014 (Bouwdorp) Regie: Margien Rogaar mit Kees Nieuwerf, Julian Ras, Bart Reuten 91 Min. FSK: ab 6

Ziggy und Bas sind beste Freunde. Sie stehlen zusammen zwar keine Pferde, aber Balken für das Sommercamp im Baumhaus-Dorf. Doch als Ziggy in der Hauptrolle des Schulmusicals neben der Angebeteten von Bas spielt, bringt unbegründete Eifersucht sie auseinander. Bas schließt sich sogar den gemeinen Mobbern an. Nun bauen sie gegeneinander das höchste Baumhaus. Trotz der kläglichen Bemühungen der Eltern eskaliert der Streit und schließlich gehen zwei Jungs-Banden wie im „Krieg der Knöpfe" ernsthaft mit Waffen aufeinander los.

Wie Kriege entstehen, ist in dem netten niederländischen Jugend- und Fernsehfilm, der bereits über ein Jahr lang in der Mediathek zu sehen war, ebenso gut zu beobachten, wie die sommerliche Stimmung der Ferien-Freizeit. Vor allem von Kees Nieuwerf (Ziggy) und Julian Ras (Bas) gut gespielt, nehmen Montage-Sequenzen sowie die Musik des erzählenden DJs ungewöhnlich viel Raum ein. Das Wichtigste bleibt jedoch der schön präsentierte, unterschiedliche Lösungsansatz der Eltern: Die Mütter wollen die Jungs animieren, miteinander zu reden, während die Väter einfach alles überspielen und großmäulig tun, als wenn nichts wäre.

4.4.16

Ein Mann namens Ove

Schweden 2015 (En man som heter ove) Regie: Hannes Holm mit Rolf Lassgård, Filip Berg, Ida Engvoll, Bahar Pars 117 Min. FSK: ab 12

Oh, weh! Da kommt wieder so ein verknöcherter, griesgrämiger Alter daher, der an allem rummeckert und keine Freundlichkeit mehr ins Leben lässt. Doch zum Glück dieses wunderbaren, vor Hoffnung überfließenden Films gehört die Erkenntnis, dass selbst dieser Super-Muffel noch die Kurve zu einer herrlich rührenden Öffnung bekommt.

Die Stimmung in „Ein Mann namens Ove" schwankt zwischen herrlich und traurig, wenn man diesen Siedlungs-Controletti, diesen Blockwart in der Tristesse einer eingezäunten Einfamilienhaus-Siedlung erlebt. Der Witwer Ove (Rolf Lassgård) überwacht für die Eigentümer-Gemeinschaft als Ex-Vorstand das Fahrverbot, die Sauberkeit und das Abstellen von Fahrrädern. Ein Pedant auch in Hinblick auf den Sprach-Missbrauch der Mitmenschen, ein handwerklicher Perfektionist, der ebenso konsequent seinen Selbstmord angeht. Denn er vermisst seine kürzlich verstorbene Frau sehr und findet ansonsten keinerlei Freude mehr im Leben.

Nun reichen die immer irgendwie scheiternden Selbstmordversuche gerade für ein paar Rückblenden und Erinnerungen: Schon Oves verwitweter Vater vergrub den Schmerz in sich, sprach nicht viel und umarmte seinen Sohn zu selten. Stoisch nimmt Ove, der schon immer etwas autistisch mit guter Laune umging, Schicksalsschläge und Glücksmomente hin. Seine lebendige und lustige Frau Sonja ist ein letzterer, mit Ida Engvoll in dieser herzlichen und immer optimistischen Rolle auch für den Film.

In der Gegenwart zwischen den Selbstmordversuchen ist es Oves neue persische Nachbarin Parvaneh (Bahar Pars), die ihn zu nehmen weiß. Sie entdeckt und attackiert zielgerichtet sein gutes Herz. Für ein paar Fahrstunden spannt sie ihn zum Babysitten und wieder richtig in den Umgang mit anderen Menschen ein. Alte Gräben in der Siedlung werden überwunden, eine wunderbare Nachbarschaft blüht auf. Doch wie sagt es Ove so treffend: „Es ist schwer zuzugeben, dass man falsch lag, vor allem wenn man länger falsch lag." Aber selbst er lernt, dass auch er es nicht ohne Hilfe schafft.

„Ein Mann namens Ove" ist eine Literatur-Verfilmung oder besser Verkaufserfolgsbuch-Verfilmung nach Fredrik Backmans gleichnamigem Roman ohne eine Spur trockenem Bücherstaub. Dafür mit viel Spaß an miesepetrigen Aktionen, die nicht wirklich böse gemeint sind, und dem Glück einer sehr schönen Sicht auf das Leben. Neben dem verbitterten alten Mann, dessen Auftauen einige der freudigsten Momente des bisherigen Kinojahres bereitet, besiedeln diesen Film eine ganze Reihe weiterer toller Figuren und Typen. Rolf Lassgård wirkt wie der perfekte Ove. Die Geschichte eines Mannes, der an zu großem Herzen leidet, gibt vor allem Hoffnung, dass es nie zu spät ist, sich zum Besseren zu ändern.

Freeheld

Freeheld

USA 2015 Regie: Peter Sollett mit Julianne Moore, Ellen Page, Michael Shannon, Steve Carell 104 Min. FSK: ab 6

Was eine krebskranke Polizistin im Kampf um die Rente für ihre Lebenspartnerin erleben muss, wirkt eigentlich unheimlich historisch. Doch liegt der reale Fall aus Kalifornien hinter diesem bewegenden Drama gerade mal zehn Jahre zurück. Eine engagierte, mutmachende Geschichte, die mit Julianne Moore, Ellen Page, Michael Shannon und Steve Carell ideal besetzt ist.

Laurel Hester (Julianne Moore) arbeitet seit über 20 Jahren als harte Polizeikommissarin in Orange County, Kalifornien. Als sie die junge Mechanikerin Stacie Andree (Ellen Page) kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick, beiden ziehen zusammen in ein eigenes Haus und besiegeln trotz aller bürokratischer Hindernisse eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Dann diagnostiziert man bei Laurel Lungenkrebs im Endstadium. Sie möchte ihre Pensionsansprüche auf die Partnerin übertragen, damit Stacie das gemeinsame Zuhause weiter finanzieren kann. Doch ein selbstverliebter Männer-Kreis im republikanische Ocean County entscheidet, dass die gesetzlichen Regeln nicht für Lesben gelten sollen.

Der aussichtslose Kampf gewinnt an Fahrt, als zuerst ihr Partner im Job (Michael Shannon) seine homophoben Vorbehalte überwindet. Mit Steve Carell in der Rolle des exzentrischen schwulen und jüdischen Aktivisten Steve Goldstein ist die Drei-Einigkeit des Films aus Gefühl, Engagement und Humor komplett. Sein Auftritt mit in die Kippa eingestricktem Werbespruch macht aus der furchtbar treffenden Diskriminierung ein Politikum. Nebenbei wird entdeckt, dass die entscheidenden Politiker im Gegensatz zur Bevölkerung gleich mehrfach Pensionen erhalten. Über den politischen Kampf geraten Liebe, Trauer und - der von Hans Zimmers Musik verklebte - Abschied etwas in den Hintergrund. Was die Betroffenen zumindest bewusst mitmachen.

Die großartige Julianne Moore spielt eher unscheinbar, was sehr der Zeit und ihren Umständen geschuldet ist. Denn sie kann ja nicht schillern, muss nicht nur bei Undercover-Einsätzen mit ihrer Sexualität „under cover" bleiben. Sie darf es nicht einmal dem engsten Mitarbeiter verraten, weil sonst jeder Chance auf Karriere hin wäre - im Jahr 2006! Ellen Page, Michael Shannon und Steve Carell spielen so wunderbar, dass man sie gleich liebt und heiraten möchte - ganz egal welches Geschlecht oder welche Vorlieben sie haben.

3.4.16

How to Be Single

USA 2016 Regie: Christian Ditter mit Dakota Johnson, Rebel Wilson, Alison Brie, Leslie Mann 110 Min.

Ebenso spannend wie die nächtlichen Eskapaden einer Reihe von Single-Frauen in New York ist der zweite internationale Auftritt von Regisseur Christian Ditter mit recht bekanntem Personal, darunter Dakota Johnson („Fifty Shades of Grey") und Rebel Wilson („Pitch Perfect").

Süß, wie sich Alice (Dakota Johnson) und Josh (Nicholas Braun) an der Uni kennenlernen! Süß im Sinne von naiv dagegen, wie Alice nach vier Jahren mal eine Beziehungspause machen will, weil sie vor der endgültigen Verbindung kurz Single sein will. Denn sie erweist sich als völlig ungeeignet für Single-Leben in der Großstadt und als ihr das klar ist, hat Josh schon eine Neue. Zum Glück ist eine Kollegin der angehenden Anwältin Single-Profi: Robin (Rebel Wilson) schleppt jede Nacht einen anderen ab, geht vorher nicht nach Hause, mit ihm auf keinen Fall zu sich und meint, auch völlig verkatert und übernächtigt noch die Abkürzung zur Arbeit zu kennen.

Alice und Robin sind das bipolare Kraftzentrum dieses emotionalen Hin und Hers einer Handvoll von Großstadt-Frauen, in deren episodischem Gefühls-Medley auch Tod und Trauer aufblitzen dürfen. „Sie wissen nicht, was sie wollen, und tun das Gegenteil", bringt Robin es auf den Punkt. Rebel Wilson spielt den größten Teil des Films eine unterbelichtete, egoistische, ordinäre Schlampe, was als Gegengewicht zur braven Alice sehr viel derben Spaß macht, etwa in Bemerkungen über einen Intimbereich, der aussieht wie Gandalf. (In Kombination mit Wilsons wirklich dummem Schlampen-Part in „Der Spion und sein Bruder" kann man sich allerdings Sorgen um ihre Rollenwahl machen.) Komisch eher im stillen Stil eines Woody Allen-Film ist Leslie Mann als Frauen-Ärztin Meg, deren Karriere keine Zeit für Beziehungen lässt. Ein kurzes Abenteuer mit einem viel jüngeren, der auch noch viel zu viel Zeit hat, lässt sich einfach nicht mehr abschütteln. Herrlich weiblich, wie sie in einer kurzen Montage-Sequenz, allein im Raum mit einem gefährlich verführerischen Säugling, von ihrer Abneigung gegen Babys bekehrt wird.

„How to be single" ist kein Freudenfest für Feministinnen, wenn Alice nicht weiß, wo ihr Router ist, und die Untertitel im TV nicht wegdrücken weg kann. Sie ist sogar nicht in der Lage, ihren eigenen Reißverschluss zu öffnen, sieht sich selbst irgendwo zwischen „Bridget Jones" und „Sex & the City". An der Story hat tatsächlich Liz Tucillo mit Erfahrung von der TV-Serie „Sex & the City" mitgebastelt. Nach einigen deutschen Komödien-Erfolgen („Vorstadtkrokodile") und zwei Jahre nach dem kanadischen „Love, Rosie" auf der Basis eines Romans von Cecelia Ahern zeigt der 1977 in Gießen geborene Regisseur Christian Ditter in dieser US-Produktion, dass er Momente auch in ihrer Entwicklung gut inszenieren kann. „How to be single" ist allerdings auch vom Produktions-Etat kein „Sex & the City", denn von New York sehen wir vor allem viel Wohnung und Inneneinrichtung (Kamera: Christian Rein), die sich samt Feuerleiter vor dem Fenster billig überall auf der Welt drehen lässt. Das unterhält eine Weile und verrät sich am Ende nur ein wenig, wenn der Versuch, dem allen noch Romantik anzukleben, nicht alle Single-Qualitäten zukitscht.

Unter dem Sand (2015)

Dänemark, BRD 2015 (Under sandet) Regie: Martin Zandvliet mit Roland Møller, Mikkel Boe Følsgaard, Louis Hofmann, Joel Basman 101 Min. FSK: ab 12

Dänen können auch Kriegsfilme, das hat zuletzt die 10-teilige TV-Serie „1864" gezeigt, das wird der sehr aktuelle Afghanistan-Film „A War" (Krigen) zeigen, der nächste Woche anläuft. „Unter dem Sand" ist ein fast altmodischer Kriegsfilm, wie Wickis „Die Brücke" an der dänischen Nordseeküste.

(Wobei Wicki kein Wikinger, sondern der Regisseur Bernhard Wicki, „Die Brücke" keine dänische Kriminalreihe aus dem Jahr 2012, sondern ein Antikriegsfilm aus 1959 und „Unter dem Sand" sowohl ein Abschiedsfilm von François Ozon aus 2000 als auch diese dänisch-deutsche Ko-Produktion ist. Glückwunsch zu einer tollen deutschen Titel-Wahl!)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 bekommen ein paar deutsche Jungs, die in letzter Minute zum „Volkssturm" eingezogen wurden, im befreiten Dänemark eine tödliche schnelle Ausbildung zu Minenräubern. Denn die deutschen Besatzungstruppen hatten in Erwartung der alliierten Invasion an der falschen Stelle, nämlich am Nordseestrand, wo man jetzt gerne Urlaub macht, 2,2 Millionen Minen vergraben. Freundlicherweise die Sauerei gleich sauber kartiert. Da Deutsche gefälligst den Dreck von Deutschen aufräumen sollen, bekommen elf minderjährige Jungs die Aufgabe, einen Strandabschnitt von 45.000 Tretminen zu säubern, dann können sie nach Hause. Schon bei Kurz-Lehrgang jagt sich der erste in die Luft.

Dem sadistischen Hauptmann Ebbe Jensen (Mikkel Boe Følsgaard) folgt der fürsorgliche Unteroffizier Carl Rasmussen (Roland Møller), der sie immerhin mit „Jungs" anredet, ihnen anfangs aber weniger Fürsorge zukommen lässt als seinem Hund. Meter für Meter stochern sie voller Angst im Sand herum, drehen dann mit zitterigen Fingern die Zünder aus den Minen. Ohne Essen ist ein Schwächeanfall ebenso tödlich wie fast das Rattengift auf dem Getreide vom Bauernhof nebenan, wo es von der dänischen Bäuerin nur Hass gibt. Was die Volksstürmer selbst im noch nicht lange vergangenen Deutschen Reich gemacht oder wie sie dazu stehen, wird nie erwähnt. Hier am Strand sind sie noch Kinder, Opfer und glücklich beim Fußballspiel.

Film-Meter für Meter schreitet die fast altmodisch gradlinige Geschichte in ihrem klaren Verlauf voran. Unter einer sanften Frühlingssonne entspannen sich die geschundenen Gesichter sowie die Fronten zwischen Bewacher und dem jugendlichen Kanonenfutter. Manchmal wirkt das kleine Lager wie eine entspannte Strandfreizeit mit friedlichen Momenten, doch unter dem Sand droht jederzeit überall der Tod. Ein hoch spannender Stoff, denn überall „Unter dem Sand" lauern Horrorszenen zerfetzter Körper, die man heutzutage ganz real auf viele Länder und auch Kunden der deutschen Waffenindustrien übertragen kann. „Unter dem Sand" ist so eine universelle und sehr aktuelle Kriegs-Warnung, als dänischer Film allerdings sowohl in Darstellung als auch in der Psychologie nicht so radikal wie die meisten anderen filmischen Explosivstoffe des Landes.

29.3.16

Im Himmel trägt man hohe Schuhe

Großbritannien 2015 (Miss you already) Regie: Catherine Hardwicke mit Drew Barrymore, Toni Collette 113 Min. FSK: ab 6

Eine Krebs-Komödie? Was „Ich und Earl und das Mädchen" auf dem Jugendsektor hinbekam, versucht die gereifte und arrivierte Regisseurin Catherine Hardwicke mit der rührenden Tragik-Komödie „Im Himmel trägt man hohe Schuhe". Sie erzählt, wie die langjährige Freundschaft von Jess (Drew Barrymore) und Milly (Toni Collette) durch die Krebserkrankung von Milly auf die Probe gestellt wird. Die enge Freundschaft lebt in glaubhaft natürlichen Dialogen auf, die nach der Diagnose voller doppelter Bedeutungen sind. Plötzlich werden die Brüste noch viel wichtiger und auch noch die üppig wuchernden Haare. Zuerst erzählt Milly es weder Mann noch Kindern. Dann gibt es eine kleine Animation für die Kinder, die Begeisterung für Chemo-Therapie auslöst. So funktioniert auch der nicht klein zu kriegende Humor, wenn das komödiantisches Genie Drew Barrymore sich die Brech-Schale als Hut aufsetzt oder in einer treffende Episode männlicher Unfähigkeit vor Millys Zusammenbruch.

Das eigentliche Drama der Freundschaft zweier Frauen mit zwei schönen Beziehungen ist die scheinbare Unvereinbarkeit von Krebs mit der schwer erkämpften Schwangerschaft von Jess. Szenen voller Liebe und unbändiger Lebenslust fangen alle Probleme, etwa mit dem Sex nach der Brust-Entfernung, auf.

Regisseurin Catherine Hardwicke gelang nach ihrem Debüt „Dreizehn" (2003) sowohl das Teenie-Drama „Twilight - Biss zum Morgengrauen" (2008) als auch das Neo-Märchen „Red Riding Hood" (2011). Nun gelingen ihr immer wieder tolle Szenen und insgesamt eine Achterbahn der Gefühle, dich sich zu einem grinsenden Dauerheulen ergeben sollen. Ganz schön mutig, die Emotionen fast bis zum Melodrama hochzuschrauben. Was manchem viel zu viel sein wird und vor allem bei Frauen zur glückseligen Tempoberge-Erzeugung führen kann.

10 Cloverfield Lane

USA 2016 Regie: Dan Trachtenberg mit John Goodman, Mary Elizabeth Winstead, John Gallagher jr. 103 Min.

Der nächste „Cloverfield"-Film erinnert anfangs an „Psycho", nutzt aber den Duschvorhang zum Schutz vor der atomaren Apokalypse ... oder vor Aliens. Des Überfliegers J.J. Abrams („Star Wars: Das Erwachen der Macht", „Star Trek Into Darkness", „Super 8", „Cloverfield") neueste Produktion ist sofort hochspannend und überrascht sich immer wieder selbst.

Michelle (Mary Elizabeth Winstead) verlässt ihren Freund und die Stadt, das reicht vielen Filmen als Drama. Nach einem Autounfall wacht sie jedoch angekettet in einem Keller auf. Der sehr seltsame Hausherr Howard (John Goodman) vermittelt kompliziert und nicht sehr klar, dass draußen kein Leben mehr möglich wäre. Atomare oder chemische Katastrophe, vielleicht auch was mit Außerirdischen. Michelle könne froh sein, bei ihm untergekommen zu sein. Bei ihm und dem einfältigen Emmett (John Gallagher jr.), der beim Bau des hermetisch abgeschlossenen Bunkers ohne Fenster und Telefon half.

Michelle weigert sich, die Geschichte des Spinners mit eingebautem Aluhut zu glauben. Kleine Fluchtversuche scheitern kläglich und dann gewährt Howard einen Blick nach draußen auf seine grausig verätzten Schweine. Doch es bleiben Zweifel, weil die angeblich verstorbene Tochter von Howard auf den Fotos jemand ganz anderes war. Und da gibt es doch Geräusche von Autos über dem Bunker. Allerdings: Waren da im Radio nicht Meldungen von Stromausfall in der Stadt?

Im Alien-Film „Cloverfield" zeigte J.J. Abrams als Regisseur die außerirdischen Monster so gut wie nicht, dafür deren Invasion aus der Perspektive verwackelter Handkameras. Nun folgt mit „10 Cloverfield Lane" eine ganz unabhängige Geschichte, die Abrams produzierte und der Neuling Dan Trachtenberg sehr sicher inszenierte. Nach einem klassischen Auftakt treibt die Spannung energisch weiter, unterscheidet sich durch mutige Wendungen (Buch: Josh Campbell, Matthew Stuecken, Damien Chazelle) von den Fließband-Produktionen verwandter Genres. Psycho- und Gesellschaftsspiele wechseln einander ab. Trefflichen Magen-Kitzlern wie dem Nähen an lebendiger Stirn oder einer besonders beklemmenden klaustrophobischen Szene folgen sehr geschickt platzierte Hochspannungs-Momente.

Nach einer Stunde gibt es etwas Hintergrund zu den unfreiwilligen Bunker-Bewohnern in einem Dialog über Dinge, die sie in ihrem bisherigen Leben bereuen. Es ist dem guten Schauspiel zu verdanken, dass die Figuren bis dahin nicht flach wirkten. Mary Elizabeth Winstead darf hier ihre Entdeckung feiern, trotz einiger Rollen bisher, etwas als Tochter von Bruce Willis Charakter in „Stirb langsam 4.0". John Goodman gibt gleichzeitig den guten und bedrohlichen Mann, verkörpert quasi die genial ausgespielte Spannung des Films, die Zerrissenheit zwischen realer Bedrohung draußen und bedrohlichem Spinner drinnen. Die flotte Folge von Überraschungen endet mit einer unfassbaren Pointe in letzter Minute, ganz im Stil von M. Night Shyamalan bei „The Sixth Sense", „Signs – Zeichen" oder „The Village". Auch dieser mehrfache Trugschluss wird wieder für Diskussionen sorgen, die Hochspannung im gesamten Film vorher lässt sich jedoch nicht wegdiskutieren.

28.3.16

Familie zu vermieten

Frankreich, Belgien 2015 (Famille à louer) Regie: Jean-Pierre Améris mit Benoît Poelvoorde, Virginie Efira 97 Min. FSK: ab 0

Der 1964 im wallonischen Namur geborene Benoît Poelvoorde ist eine Phänomen, das mit Leichtigkeit zwischen Action („Mann beißt Hund"), Komödie („Nichts zu verzollen"), Satire („Der Tag wird kommen"), Sportfilm („Das Rennrad"), Liebhaber („3 Herzen") und Klamotte als Brutus bei Asterix wechselt. So kann er seinem depressiven Millionär Paul-André gleichzeitig die Schattierungen von tiefer Schwermut und herrlicher Lächerlichkeit mitgeben.

Jean-Pierre Améris, Regisseur der verschrobenen Liebeskomödie „Die Anonymen Romantiker", schickt den einsamen, schüchternen Mann, der äußerlich alles hat, was man sich wünscht, auf die Suche nach einer Familie. Im Fernsehen, sieht er die überforderte Mutter Violette (Virginie Efira), die gerade dank ihrer frechen Schnauze nach einem peinlich ungeschickten Mundraub freigelassen wurde. Es wird ein mehrseitiger Vertrag ausgearbeitet und der sogar vom Diener verwöhnte Millionär zieht zu Violette und deren Kindern in eine kleine, chaotische Hütte. Überall liegt was rum, Geschrei ist Hintergrundrauschen und die Kühlschranktür ist nicht das Einzige, was nicht funktioniert.

Trotz all seiner und all ihrer Macken verlieben sich Violette und Paul-André still und heimlich, ganz gegen die platonischen Vertragsbedingungen. Als der verklemmte Kerl aus seiner Haut fährt und endgültig Herr des Hauses wird, zerfließt sie gefügig und ganz Weibchen. Das wirkt reizvoll altmodisch und doch glaubhaft, wenn die Schalen der komödiantischen Typen aufbrechen und darunter Verletzungen, Ängste und Selbstvertrauen liegen, auf dem heftig rumgetrampelt wurde.

Jean-Pierre Améris gelingt nach „Die Anonymen Romantiker", ebenfalls mit Poelvoorde in der Hauptrolle, wieder so eine romantische Komödie, die man ohne Bedenken als charmant bezeichnen kann. Märchenhaft ist zwar, wie einfach reich und arm zusammen kommen, doch den exzellenten Darstellern nimmt man gerne alles ab. Virginie Efira, die gerade bereits mit „Birnenkuchen mit Lavendel" bezauberte, kann verzweifelt frech und ganz schön trotzig. Dass Améris auch so eine kleine Geschichte mit der gleichen Sorgfalt inszeniert wie zuvor das unheimlich berührende Drama „Die Sprache des Herzens" macht diese Leih-Familie für immer so sehenswert.

Criminal Activities

USA 2015 Regie: Jackie Earle Haley mit Michael Pitt, Dan Stevens, John Travolta, Christopher Abbott 94 Min. FSK: ab 16

John Travolta als Gangster mit gewitzten Sätzen und glaubhaften Drohungen - das soll Tarantino sein, bleibt aber blutleer wie eine trocken gequatschte Zunge. Wenn der bekannte Schauspieler Jackie Earle Haley die Regie übernimmt und sich als Rechte Hand des Mob-Bosses Eddie (John Travolta) mit bekannten Kollegen umgibt, fliegen leider mehr Worte als Kugeln. Die „Criminal Activities" vier alter Schulfreunde stellen Geiselnahme und Ermordung eines Gangsters dar, weil das Quartett die Dollars für einen sicheren Börsentipp beim Falschen geliehen hat. Als die Blase platzt, bleibt ihnen nur, einen schmutzigen Job amateurhaft zu versemmeln.

„Criminal Activities" könnte wie einst „Reservoir Dogs" Theaterstück sein, nur bleibt hier bis auf das routinierte Schauspiel allein die angehängte Auflösung bemerkenswert. Denn diese aufgesetzte Pointe (Buch: Robert Lowell) deutete sich so gut wie gar nicht an und lässt nach mäßiger Unterhaltung das Gefühl zurück, verschaukelt geworden zu sein.

The Finest Hours

USA 2016 Regie: Craig Gillespie mit Chris Pine, Casey Affleck, Ben Foster, Eric Bana, Holliday Grainger 117 Min. FSK: ab 12

„Schiffe versenken" erwies sich immer mehr als recht einfallsloses Genre, wenn man den isländischen Film „The Deep" von Baltasar Kormákur außer Acht lässt: „Titanic" war eine überlange Katastrophe und nur im Abgang unterhaltsam. Wolfgang Petersens „The Perfect Storm" aus 2001 war nur das Vorspiel für seinen Karriere-Untergang mit „Poseidon" 2006. Nun blendet das biedere Untergangs-Filmchen „The Finest Hours" zurück zum Februar 1952 als ein gewaltiger Sturm auf die Küste von New England trifft. Mit glatt heldischen Figuren, als hätte es nie einen rebellischen James Dean auf der Leinwand gegeben, geht es hinaus in die haushohen Wellen, in denen es einen Tanker eindrucksvoll in der Mitte auseinander gerissen hat. Sowohl auf der Nussschale, die als Rettungsboot herhält, als auf dem Riesenschiff werden zwei stille, unsichere Männer, die in schwerer See Führung übernehmen, nach oben gespült.

Chris Pine („Star Trek") gibt den sehr schüchternen und nicht gerade schlagfertigen Retter Bernie Webber. Er muss vor seiner Hochzeit noch ein altes Trauma überwinden und beweisen, dass man es über die gefährliche Sandbank schafft. Der Einzelgänger und Maschinist Ray Sybert (Casey Affleck) versucht derweil, ohne Hydraulik-Steuerung auf eine Sandbank aufzulaufen und eine Meuterei zu verhindern. Nachdem die erste Hälfte Schiff stilvoll und ruckzuck versenkt wurde, nimmt sich der sichere Kurs aufs unausweichliche Happy End eine ganze Filmlänge Zeit. Chris Pine gibt den einfältigen, aufrichtigen und gradlinigen Kerl im Jimmy Stewart-Stil. Da passt es, dass seine Verlobte (Holliday Grainger) erst stürmisch in der Rettungs-Zentrale aufläuft, um in Anpassung an den stillen Hafen der Ehe später brav das Essen aufzutischen. So bleibt vom Disney-Stürmchen etwas Romantik und das Wellenreiten veritabler Schiffe in haushohen Brechern, realisiert mit ein paar akrobatische Einlagen der Kamera.

Eddie the Eagle

Großbritannien, USA, BRD 2015 Regie: Dexter Fletcher mit Taron Egerton, Hugh Jackman, Christopher Walken 106 Min. FSK: ab 0

Eine Witzfigur als Protagonist des üblichen Sporthelden-Films - das kann nur unfreiwilliger Trash und endgültige Veralberung eines Tollpatsches ergeben. Dass aus dem Leben des eher kläglichen britischen Skispringers Michael Edwards tatsächlich ein leidlicher Wohlfühlfilm wurde, ist die langweiligste Lösung.

Ein kleiner Junge mit quietschender Beinschiene wartet in einem britischen Kaff an der Bushaltestelle. Michael Edwards ist auf dem Weg zu den olympischen Spielen in Rom ... bis ihn sein Vater wieder einmal heimholt. Der kleine Träumer bleibt auch mit geheilten Beinen höchstens im Versagen olympiareif. Als ihn das britische Ski-Team aussortiert, bleibt Michael (Taron Egerton) nur eine der exotischsten der Exotischen Randsportarten: Skispringen. Denn da gibt es keinen nationalen Konkurrenten und kein Qualifikations-Grenze. Er muss nur einen Sprung überleben, was - wegen der deutschen Filmproduzenten im Team - zum Aufbruch nach Garmisch-Partenkirchen führt. Der übliche versoffene Trainer (Hugh Jackman), der eine gescheiterte Karriere hinter sich hat, bringt ihm die Grundlagen bei und gegen jede Wahrscheinlichkeit schafft es Michael „Eddie" Edwards 1988 zu den Spielen von Calgary und wird in zwei Wettbewerben umjubelt Letzter.

Dass dieser Film exakt nach der Wintersportsaison startet, ist passend: Irgendwie sehr ungeschickt, wie es Eddie Edwards immer war und deshalb in seinen 15 Minuten Berühmtheit geliebt wurde. Der Film könnte Spaß machen, wenn man ihn weniger ernst nähme, als er es selbst tut. Schon die erste Melodie klingt hymnisch und wie es endet, wissen wir ja. Für Eddie und den Humor des Films gilt: Selbst ein blindes Huhn hebt auch mal ab. Doch der Witz erschöpft sich schnell, der Film wird lang und länger. Nicht wie ein guter Skisprung, sondern wie ganzer Winter-Sonntag mit Curling, Rodeln und anderen tollen Sportarten für Berg- und Höhlenbewohner.

23.3.16

Batman v Superman: Dawn of Justice

USA 2016 Regie: Zack Snyder mit Henry Cavill, Ben Affleck, Amy Adams, Jesse Eisenberg, Diane Lane 152 Min. FSK ab 12

Der gigantische Streit zwischen Marvel- und DC Comics erlebt eine nächste absurde Wende: Nachdem alle möglichen und unmöglichen Gegner durchgespielt sind, inklusive Godzillas oder Ähnlichem, müssen nun zwei positive Helden gegeneinander kämpfen. Erstmals sind damit die berühmten Figuren gemeinsam auf der Leinwand zu sehen - bei dieser Ankündigung kratzte man sich zweifelnd am Kopf, doch das Studio nahm diese Schnapsidee ernst, mit dem Ernst von 100 Millionen.

Der eindrucksvolle Prolog zeigt Supermans letztes Abenteuer aus der Sicht eines Zuschauers und Betroffenen. Ein 9/11-Szenario mit Bruce Wayne (Ben Affleck) mitten drin im Staub der zerberstenden Hochhäuser. Monate später landet der Überflieger Superman (Henry Cavill schaut dauernd, als ob seine Strumpfhose kneift) wie eine Drohne in einem afrikanischen Dorf. Und das ist erst eine der sehr vielen knappen aber starken Szenen, die sich zum Duell der aufgeblasenen Comic-Figuren verdichten. Dabei werfen die beiden Superhelden sich genau das Gleiche vor: Unrechtmäßiges Rumretten.

Dahinter steckt tatsächlich ein brandaktuelles Konzept politischer Kontrolle: Wenn der Super-Held, der große Retter alle Freiheiten bekommt, haben wir das klassische Konzept der Diktatur. So war es schon bei Cäsar, der seine militärischen Erfolge nutzte, um das Triumvirat abzuschaffen und sich zum allein herrschenden Kaiser zu machen. In dieser Comic-Version politischen Unterrichts verkörpert Superman den selbstgerechten Retter, der sich vor einem Gericht rechtfertigen muss. Batman gibt die Instanz, die auf Wahrung der lang erprobten Staatsregeln achtet.

„Batman v Superman: Dawn of Justice" ist Actionfilm und Comicverfilmung. Der bewährte Altmetal- und Altpapier-Verfilmer Zack Snyder („Man of Steel") bläst auch dieses Comic-Heftchen zu einem gewaltigen Action-Spektakel auf. Er kann eindrucksvoll starke Szenen inszenieren, zeigt dies allerdings in einem ziemlich unerheblichen Film im Übermaß. Das Ergebnis ist ein „fanboy's dream come true", der feuchte Traum aller nie erwachsen gewordenen, männlichen Kinofans. Und diesmal ist dieser spezielle Spaß besonders lang: Der Kampf zwischen dem Typ mit der Unterhose und dem anderen Spinner, der sich einbildet, fliegen zu können, reicht für Bierholen, Toilettengang und noch mal Bierholen.

Der Regisseur unterfüttert die Helden-Bedrohung von Oben mit berühmten Gemälden und will selbst Kino-Gemälde für die Ewigkeit schaffen. Das ist im Einzelnen stil- und eindrucksvoll, macht aber aus dem durchgeplanten Blockbuster eine Art recht ausgefallenen Kunstfilm. Nicht nur im Schnitt, auch in der mehr als deutlich eingeflochtenen Meta-Ebene.

Denn eigentlich läuft alles übersichtlich ab wie bei Asterix gegen Cäsar mit einem kleinen gemeinen Verschwörer, der die Alfa-Tierchen gegeneinander aufhetzt. Allerdings diesmal herrlich fies und gerissen. Nach einer normalen Kinolänge Vorspiel ist das klar und das einstündige Finale mit ausführlich langweiliger Prügelei kann beginnen. Für die Überlänge gibt es vorhersehbare Monsterzulage in Form eines kryptonischen Golems, atomar aufgepimpt mit Kernwaffen. Also pure Spielerei mit teuren Action-Figürchen und flotter Musik von Junkie XL.

Wie in Hollywood üblich, sind selbst bei den größten Albernheiten exzellente Schauspieler in Aktion: Vor allem Jesse Eisenberg („The Social Network") gibt den gerissenen Intriganten Lex Luthor mit Banksy-Tshirt herrlich hinterhältig und belegt wieder einmal, dass der größte Held nichts ist ohne seinen Superschurken. Die entscheidende Frage ist, ob man „BvS" – so nennen ihn die „Fanboys" - mit etwas aus seinem eigenen, realen Leben vergleicht oder mit „MoS", also Snyders Superman-Vorgänger „Man of Steel". Für die einen ist es der bessere Superman-Film, für die anderen eine überlange Nichtigkeit.

22.3.16

Heart of a Dog

Frankreich, USA 2015 Regie: Laurie Anderson mit Archie, Jason Berg, Heung-Heung Chin 75 Min.

Die Künstlerin Laurie Anderson („Hey Superman!") erzählt in ihrem zweiten Kinofilm mit ihrer einzigartigen Stimmlage und begleitet von ihrer unvergleichlichen Musik wundervolle, poetische, kleine und verrückte Geschichten. Sie kreisen alle um Abschiede, denn 2011 starben kurz hintereinander ihr Mann Lou Reed, ihre Mutter und ihr über alles geliebter Foxterrier Lolabelle. Wobei als Zugang und Hauptperson der Hund herhält. Der zeitgeschichtliche Hintergrund für die Multi-Künstlerin bildet das New York nach den Anschlägen von 9/11. So entstand ein faszinierender Essay, ein facettenreicher Kunstfilm, eine Tiergeschichte und immer wieder ein wenig larmoyanter, aber auf ganz eigene Weise rührender Abschied.

Wo große Hollywoodfilme bevorzugt mit nur einer Idee auskommen und Hundertmillionen Dollar verschwenden, ist hier das Verhältnis umgekehrt: Unzählige, unbezahlbare Ideen und Gedanken. Andersons blinder Hund, der Piano spielt, zum Beispiel. Oder Weisheiten ihres spirituellen Lehrers und die Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Selbstverständlich die Tonspur der multimedialen Künstlerin und eine Folge von reizvollen Bildern ganz unterschiedlicher Herkunft, vom Rennen eines blinden Hundes am Strand zu Ludwig Wittgenstein und dann zur Geschichte der Dokument-Speicherung beziehungsweise -Überwachung. Ein einzigartiges, wunderbares Kunststück voller Leben und Kreativität.

Mein Ein, mein Alles

Frankreich 2015 (Mon roi) Regie: Maïwenn mit Vincent Cassel, Emmanuelle Bercot, Louis Garrel 126 Min. FSK: ab 12

Die Regisseurin Maïwenn beeindruckte 2011 mit den harten und direkten Emotionen ihres Polizisten-Dramas „Polisse". Nur ist das Umfeld bürgerlich, doch die Gefühle schwappen wieder über: Die Anwältin Tony (Emmanuelle Bercot) muss in einer Reha-Klinik nach einem Ski-Unfall mit Kreuzbandriss tatsächlich und ganz wortörtlich lernen, wieder eigenständig zu sein. Denn die zehnjährige Beziehung mit dem charismatischen Restaurantbesitzer Georgio (Vincent Cassel) hat sie auf den Boden geworfen. Das Kennenlernen, die Verführung, die ersten Nächte, auch Hochzeit und Schwangerschaft sind ein wilder Rausch, in dem Georgio immer wieder begeistert, verzaubert, schmeichelt und verführt. Selbst dass er Tony seinen Lieblings-Apotheker vorstellt, ist noch ein schönes Spiel. Und der deutliche Hinweis auf eine Persönlichkeits-Struktur mit vielfachen Abhängigkeiten. Von den Drogen, von der Jugend und von extremen Gefühlen.
Noch vor der Geburt des gemeinsamen Kindes zieht Georgio aus, will wieder frei sein, fällt in sein exzessives Leben mit Super-Models zurück. Jetzt erweist er sich als dreister Manipulator, Egozentriker und Narziss. Man könnte auch ganz unromantisch sagen: Ein Wahnsinniger. Die dementsprechende moderne „amour fou", die wilde, aufregende und wechselhafte Beziehung wird aus der schweren und frustrierten Zeit der Rehabilitation gespiegelt.

So eindrucksvoll hier vor allem von Emmanuelle Bercot gespielt wird, die in Cannes 2015 als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, kann das jahrelange Hin und Her auch ermüdend für das Publikum ausfallen. Vor allem wenn man sich entschieden hat, nicht mehr auf die anfangs tatsächlich eindrucksvollen Show-Nummern von Vincent Cassel / Georgio reinzufallen. Dass Tony ihm bis zum Ende immer wieder verfällt, bleibt jedoch glaubwürdig.

Silent Heart

Dänemark 2014 (Stille Hjerte) Regie: Bille August mit Ghita Nørby, Morten Grunwald, Paprika Steen, Danica Curcic, Pilou Asbæk 95 Min. FSK: ab 12

Zum Wochenende bei den Eltern bringen die beiden Töchter Vorbehalte und Ressentiments mit. Doch „Silent Heart" - der super sinnlos aus dem Dänischen ins Englische übersetzte Titel meint „Stilles Herz" - erzählt nicht von dem üblichen (Film-) Familienwochenende. Es ist die Chronik eines angekündigten Todes. Esther (Ghita Nørby), die circa 70jährige Mutter von Heidi (Paprika Steen) und Sanne (Danica Curcic) leidet unter der Nervenkrankheit ALS und will sterben. An diesem Wochenende.

Die Familie hatte schon monatelang darüber diskutiert, die Wut der Töchter ist vorüber. Nur nicht bei der labilen jüngeren Tochter Sanne, deren Depressionen schon zu einem Selbstmordversuch führten. Sie will im letzten Moment einen Krankenwagen rufen - das erzählt sie ihrem Freund Dennis (Pilou Asbæk). Der wird als lockerer Kiffer nicht nur von der allseits biestigen Schwägerin Heidi als Außenseiter angesehen. Damit er diesmal nicht wegläuft, schweißt Sanne zur Sicherheit die Autoschlüssel in einen See.

So feiert man einen vorgezogenen Weihnachtsabend, spaziert noch einmal am Strand, dort wo Sanne gezeugt wurde, und schwelgt fotografisch in Erinnerungen. Erst ein Riesen-Joint von Dennis lockert die Spannungen. Doch dass Esthers Mann Poul (Morten Grunwald) als zu beteiligter Arzt die tödlichen Tabletten verschreibt und verabreicht, ist eine schwierige Hilfskonstruktion, weil Sterbehilfe in Dänemark nicht erlaubt ist. Und auch deshalb muss es jetzt passieren, denn niemand weiß, wie lange die bereits an einem Arm gelähmte Esther noch selbst die Pillen nehmen kann - wenigstens pro forma.

Das selbstbestimmte Lebensende ist ein schwieriges Thema, dass auch filmisch immer mehr diskutiert wird: Im deutschen Film „Hin und weg" fuhr auch ein ALS-Kranker noch selbst mit dem Rad und Freunden zum legalen Ende ins belgische Ostende. In der israelischen Komödie „Am Ende ein Fest" musste eine Maschine der Behäbigkeit der Gesetzgebung in diesem Punkt nachhelfen. Auch die sehr junge und lebenslustige Frau in „Und morgen Mittag bin ich tot", die zum Sterben in die Schweiz fährt, musste sich von anderen sehr oft anhören, ihr ginge es doch noch so gut. „Silent Heart" hält sich weitestgehend aus dieser Diskussion raus, macht in kurzen, zurückhaltenden Momenten klar, wie schwer es Esther hat und wie schwer ihr der Abschied fällt. In einem Gespräch mit dem ungemein liebevollen Ehemann Poul wird klar, dass sich Esther nur noch sorgt, wie es ihren Lieben nach Esthers Tod geht.

Der 67-jährige Bille August, der Oscar- und Palmen-Gewinner, der nach der ersten internationalen Erfolg mit „Pelle, der Eroberer" (1987) viel Gutes gedreht und viel Literatur verhunzt hat („Nachtzug nach Lissabon", „Fräulein Smillas Gespür für Schnee", „Das Geisterhaus"), macht in „Silent Heart" mit Handkamera und übersichtlichem Setting teilweise auf Dogma-Stil. Mit bekannten und exzellenten Darstellern spielt er den Egoismus der Töchter aus, die wegen der eigenen Schwäche die Mutter nicht selbstbestimmt sterben lassen wollen. Doch es gibt auch viel Verständnis, zum Beispiel im schönen Verhältnis zum Enkel, der nur scheinbar hinter seinem iPad nichts mitbekommt. Das ist ungeheuer bewegend und rührend, ohne dass Bille August routiniert den emotionalen Hammer rausholen muss. Allerdings wird man - gerade angesichts der hohen Erwartungen an einen dänischen Film - das Gefühl nicht los, dass bessere Autoren wie Susanne Bier oder Thomas Vinterberg die paar losen Fäden (Buch: Christian Torpe) noch zu einem ganz runden Film verknüpft hätten.

21.3.16

Rock the Kasbah

USA 2015 Regie: Barry Levinson mit Bill Murray, Kate Hudson, Zooey Deschanel, Danny McBride, Bruce Willis 106 Min.

„Rock the Kasbah" - das klingt selbstverständlich nach „The Clash" und Kultur-Clash, denn in den so genannten, befestigten Altstädten des Maghreb wird ja nicht unbedingt gerockt. Es klingst aber auch irgendwie nach Kasper - und den gibt Bill Murray auf vortreffliche Weise. Dass seine Clownereien mit ernstem politischem und feministischem Hintergrund dann in Afghanistan stattfinden, diese und andere Ungenauigkeiten verzeiht man dem frischen Comeback von Altmeister Barry Levinson („Rain Man", „Good Morning, Vietnam") gerne.

Der abgehalfterte Rock-Manager Richie Lanz (Bill Murray) ist ein Lebenskünstler, dem schon längst alle Tricks ausgegangen sind. Weshalb sein letztes Talent - und gleichzeitig Sekretärin - Ronnie (Zooey Deschanel) noch bei ihm bleibt, weiß sie wohl selbst nicht. Denn wie Richie sie zu einem Gig zur US-Truppenbetreuung nach Afghanistan verfrachtet, ist keine Empfehlung. Aber sehr, sehr lustig. Auf die Art, wie Kriegs-Satiren seit „Mash" unbedarfte Zivilisten in unrettbare Situationen schmeißen. Aber Richie bleibt Optimist, selbst als Ronnie mit Hilfe des Söldners Bombay Brian (Bruce Willis) sowie mit Richies Geld und Pass abhaut. Selbst als er für mehr als halbgare Waffenhändler (Scott Caan, Danny McBride) ein abgelegenes Dorf beliefern soll. Und vor allem, als er dort die wirklich wunderbare Frauenstimme von Salima (Leem Lubany) hört, die unbedingt in die populärste Casting-Show Afghanistans muss.

Nun soll frau nach Meinung der nur offiziell vertriebenen Taliban und auch ihres strenggläubigen paschtunischen Dorfes nicht singen oder gar tanzen. Dass Salima es doch tut und nach großem Einsatz ihres Managements (Richie) und der einflussreichen Prostituierten Merci (Kate Hudson) auf nationalem TV sogar die nächste Runde erreicht, ist lebensgefährlich. Dass der Film teilweise eine ähnliche Naivität wie der sich vor allem selbst täuschende, us-amerikanische Showman Richie an den Tag legt, kann man ihm gut und gerne verzeihen. Denn er bringt mit echtem Engagement die wahre Geschichte von Sara Najafi einem großen Publikum nahe: Sie war zwar nicht die erste Frau, die in einer Casting-Show im Fernsehen sang, doch ihre zaghaften Tanzbewegungen und ein verrutschtes Kopftuch sorgten für Aufruhr und Todesdrohungen. Wie es die Doku „No Land's Song" über den Iran erzählte. Das ist dann ein realer Hintergrund, bei dem einem das Lachen endgültig im Halse stecken bleibt. Auch die Randbemerkungen über illegale Waffendeals, die den Krieg des Stammesfürsten befeuern und eine US-Armee, die sich hauptsächlich um das Show-Programm kümmert, erinnern an den politischen Regisseur Levinson aus dem Vietnam-Film „Good Morning, Vietnam" und der Polit-Satire „Wag the Dog". Dass der erfahrene Regisseur, der seine große Zeit Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre mit „Toys", „Bugsy", „Avalon" und „Rain Man" hatte, seinen Film bis zum Märchenfinale erstaunlich holperig montieren ließ, ist angesichts des lustvollen Spiels von Bill Murray, Kate Hudson und Bruce Willis letztlich egal.

15.3.16

Raum

Irland, Kanada 2015 (Room) Regie: Lenny Abrahamson mit Brie Larson, Jacob Tremblay, Joan Allen, William H. Macy 118 Min. FSK: ab 12

Der Oscar 2016 für Brie Larson als „Beste Darstellerin" ist ein Grund, sich in einen dunklen Raum zu begeben, um „Raum" zu sehen. Die furchtbare Ausgangssituation ein anderer: Joy Newsome (Brie Larson) wurde entführt, seit sieben Jahren in einem Raum gefangen gehalten und regelmäßig vergewaltigt. Sie gebar einen Sohn, der gerade seinen fünften Geburtstag feiert. Mit den bescheidenen Mitteln, die ‚Raum' hat. So nennt Jack (Jacob Tremblay) seine Welt in Unkenntnis von etwas anderem. Denn Joy hat ihm nie von der Welt außerhalb ihres Gefängnisses erzählt. Als sie in Vorbereitung einer Flucht damit beginnt, will Jack von der Welt nichts wissen.

Nach einer klaustrophobischen erste Stunde intensiven und beklemmenden Kammerspiels folgt eine kurze dramatische Flucht und dann die schwierige Anpassung an eine für Jack unvorstellbare Welt. Er will auch in der Freiheit immer noch in seinem Bett im Raum schlafen und sich an die Regeln der Enge halten. Der Junge ist konfrontiert von permanenter Überforderung, nicht nur durch die Medien vor dem Haus, die alle wieder erneut zu Gefangenen machen. Auch ganz schnell ganz kümmern sich viele Menschen um ihn in diesem anderen Film.

So wie Jack mit seiner Fantasie eine eigene Welt im ‚Raum' schuf, übernimmt „Raum" bis zum letzten, hier noch mal arg mit Streichern unterfütterten Abschied von ‚Raum' in der zweiten Hälfte ganz die seine Perspektive. Was sich irgendwie sehr unfair gegenüber seiner Mutter anfühlt, die mit der Verarbeitung des Erlebten wesentlich schlechter zurecht kommt. Lenny Abrahamson, der Regisseur von „Frank", hält sich mit der Inszenierung sehr zurück und konzentriert sich bei der Umsetzung von Emma Donoghues gleichnamigem Roman auf die Schauspieler. Die im Zusammenhalt von Mutter und Kinder immer wieder rühren. Doch das Erleben der zweiten außergewöhnlichen Situation, die Freiheit nach der Beschränkung des Weltbildes, verläuft doch arg gefällig.

Son of Saul

Ungarn 2015 (Saul fia) Regie: László Nemes mit Géza Röhrig, Levente Molnár, Urs Rechn 107 Min. FSK: ab 16

Mittlerweile wird in den Feuilletons nur noch über den Stil diskutiert: Darf man das unfassbare Grauen des Holocaust mit einer äußerst strengen Form scheinbar von Innen aufnehmen? Aus der Perspektive eines Häftlings, der mitgewirkt hat. Dies und die bisherige Preisflut (Grand Prix in Cannes, Golden Globe) belegen nur die ungeheure Wirkung dieses erschütternden und großartigen Films. Der Versuch, den eigenen Sohn mitten in der Vernichtungsmaschinerie eines Konzentrationslagers nach religiösen Riten zu beerdigen, ist ein verzweifeltes Klammern an Reste von Humanität.

Mit angestrengtem, schnellem Atem markiert die Tonspur direkt am Anfang ihre Wirkungsmacht: Saul Ausländer (Géza Röhrig) ist Teil eines Sonderkommandos im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Männer wissen, dass sie ein paar Monate länger leben dürfen, wenn sie die furchtbarsten Arbeiten dieser Todes-Maschinerie erledigen. Sie ziehen die Häftlinge vor der Gaskammer aus und beruhigen sie. Noch während die Schreie der Sterbenden von nebenan erklingen, werden die Kleidungsstücke nach Verwertbarem durchsucht und sortiert. Dann die Leichen aus der Gaskammer transportieren und den Raum im Akkord reinigen. Im Oktober 1944 wollten die Nazis angesichts der sicheren Niederlage Deutschlands in ihrer besonderen Logik besonders viele Menschen umbringen.

Der Film „Son of Saul" (Der Sohn von Saul) nähert sich dem Unfassbaren mit einem ganz engen Blickwinkel. Wie bei den Filmen der Dardennes folgt die Handkamera von Mátyás Erdély dem Protagonisten Saul hautnah, zeigt sein verschlossenes Gesicht, den gesenkten Blick, das eifrige Handeln. Wie er selbst sehen auch wir kaum etwas drumherum, was das Unerträgliche aushaltbar macht. Bis wundersam ein Junge die Gaskammer überlebt. Zwar beendet ein SS-Arzt dann doch das Leben des röchelnden Körpers, aber Saul meint in dem Jungen seinen Sohn erkannt zu haben. Nun versucht der ungarische Jude in dem extrem restriktiven System mit polnischen Kapos, Oberkapos und überall deutschen Soldaten einen Rabbi zu finden, um dem Toten ein Kaddisch-Gebet zu sprechen. Was in den internen Widerstands-Strukturen des Lagers nur äußerst ungern geduldet wird, plant man doch eine Flucht. Denn die Männer der Sonderkommandos wissen, dass sie als Zeugen des Massenmordens auf jeden Fall sterben müssen.

Wie Saul ist auch die Kamera immer in Bewegung, nimmt aber das Grauen nie in den Fokus. Doch auch wenn sie wie Saul wegblickt, es lässt sich nicht ausblenden. Die Unruhe der Tonspur überträgt sich auf die fassungslosen Zuschauer. Und doch zeichnen die hektisch entschlossenen, eigentlich unmöglichen Wege Sauls erstaunlich genau die Funktionsweise im Lager nach. Ein Säckchen Sprengstoff holt er im Frauenlager - gegen Schmuck aus den Gaskammern ließen die Wachen Männer für vermeintliche Prostitution durch. Eine Fotokamera des Widerstands versucht, die horrenden Taten festzuhalten. Dies Detail basiert auf historische Ereignisse, die wichtig für die Dokumentation des Grauens waren. Einen vermeintlichen Rabbi rettet Saul sogar von den Todesgruben, an denen die Juden direkt erschossen wurden, weil die Verbrennungs-Öfen nicht mehr mit dem Morden mitkamen.

Doch dies sind nur Details einer ungeheuren Wirkung, die „Son of Saul" erzielt. Nicht trotz, sondern wegen seiner anscheinend zurückhaltenden Kameraführung und der extrem nüchternen Inszenierung ohne jeglichen melodramatischen Effekt. So ist das Mäkeln an Form und Stil wohl hauptsächlich eine Folge der notwendigen aber ungemein heftigen Konfrontation mit etwas Unvorstellbarem.

Die Bestimmung - Allegiant

USA 2016 (The Divergent Series: Allegiant) Regie: Robert Schwentke mit Shailene Woodley, Theo James, Jeff Daniels, Miles Teller 120 Min. FSK: ab 12

Es passiert eine Menge, die Handlung jagt mit Riesensprüngen voran, doch Veronica Roths „Bestimmung"-Romantrilogie kommt auch im dritten Film nicht zum Ende. Der Filmproduzent teilt das Buch wieder auf, um zweifach zu verdienen. Das Ergebnis „Die Bestimmung - Allegiant" ist ein unbefriedigendes filmisches Holterdiepolter, das man sich bis zum endgültigen Finale im Jahr 2017 gut sparen kann.

Die 16-jährige Tris (Shailene Woodley) hat die Grenzen der aufgeteilten Gesellschaftsordnung im post-apokalyptischen Chicago niedergerissen. Doch die Mauer zur Außenwelt wird von der neuen Führung direkt geschlossen und es beginnt eine Terrorherrschaft wie bei der Französischen Revolution mit Hinrichtungen vor jubelnden Pöbel. Tris will dem entfliehen und ihrer im letzten Teil offenbarten, mysteriösen Bestimmung folgen. Zusammen mit der bekannten Gruppe von Freunden überwindet sie in aufwändigen Action-Sequenzen die Mauer, durchwandert unter Blutregen die zerstörte Umwelt der „Randzone", um hinter einem Tarnschirm eine faszinierend futuristische Welt zu entdecken.

Aber auch hier ist alles kontrolliert, die Menschheit in „Reine" und „Unreine" eingeteilt. Tätowiert wird dieser Makel nicht mit Nummer auf dem Arm, sondern modern mit Barcode. Es dauert etwas, bis die auserwählte Tris begreift, wie zynisch das Experiment der Übermenschen mit den totalüberwachten Versuchskaninchen in Chicago umspringt. Dann darf die Action wieder alles retten in einem Finale, dass erstaunlich abgeschlossen wirkt.

Der deutsche Regisseur Robert Schwentke findet sich nach richtig guten ersten Werken („Eierdiebe", „Flight Plan") mit seinem zweiten Bestimmungs-Film erneut „Lost in Computereffekte". Das sieht teilweise sehr eindrucksvoll aus, die Science Fiction-Ideen hängen die Großklötze des Genres mit Mini-Drohnen und äußerst verführerischen virtuellen Realitäten um Längen ab. Die Sets aus oft heruntergekommenen Industrieanlagen um den Flughafen Chicagos als schillernde Zentrale einer gen-gläubigen Gesellschaft machen mit und ohne Computerhilfe viel her (Kamera: Florian Ballhaus).

Zudem beinhaltet „Die Bestimmung" weiterhin kleine, wertvolle politische Lehrstücke. Diesmal wird einer Rache-Justiz das Konzept von Reue und Vergebung gegenübergestellt. Auch Klassengesellschaften jeder Art sind eindeutig als Quell von Übel markiert. Alles sehr interessant und inhaltlich überdurchschnittlich für das Genre des Jugendfilms. Aber dramaturgisch geriet es mehr als holperig. Die eigentliche Handlung fließt nie organisch und als starke Verbindung zwischen den einzelnen Elementen und Schauwerten. Da musste wohl das Buch wohl zu sehr eingekürzt werden. Weiterhin ist zu wenig bis gar kein Charisma bei der Hauptdarstellerin Shailene Woodley zu vermelden, bei viel Talent drumherum (Theo James, Jeff Daniels, Miles Teller). Hier kann man nur auf die Fortsetzung der Fortsetzung hoffen - und auf einen Directors Cut, der besser funktioniert.

Lolo

Frankreich 2015 Regie: Julie Delpy mit Julie Delpy, Dany Boon, Vincent Lacoste, Karin Viard 100 Min. FSK: ab 6

In ihrer sechsten Spielfilm-Regie nimmt Julie Delpy den Kampf mit dem Ödipus-Komplex auf: Sie spielt selbst die frustrierte, überarbeitete Zicke Violette aus Paris, die im Wellness-Urlaub an der Küste den vermeintlichen Dorftrottel Jean-René Graves (Dany „Sch'tis" Boon) kennen und lieben lernt, als der ihr einen frisch gefangenen Thunfisch in den Schoss schmeißt. Beim Wiedersehen in Paris, liegt aber ein anderer Mann bei ihr im Bett: Ihr 19-järiger Sohn Lolo (Vincent Lacoste) hat sich unangekündigt einquartiert und startet direkt einen offenen Kampf mit dem Konkurrenten um die Aufmerksamkeit von Mama.

Der „kleine Lolo", der „Hase", zeigt sich als verwöhnter, arroganter, snobistischer Teenager und startet simple Psychospielchen mit dem Neu-Pariser, lässt heftigst den Ödipus raushängen, streut Juckpulver auf die Klamotten des Widersachers. Das triggert Juckreiz, aber auch die Panik bei der hypochondrischen Violette. Alles vorhersehbar und vor allem von Vincent Lacoste, dem Darsteller des Lolo, auf dem Niveau einer Laienaufführung gespielt.

Enttäuschend, was die Schauspielerin Julie Delpy (aus der „Before ..."-Trilogie, die 2013 mit „Before Midnight" endete) da hinlegt, aber noch viel enttäuschender, wie sich die Regisseurin, Autorin und Produzentin Delpy auf so eine Banalität einlässt. „Lolo" ist so viel schematischer als die eigenen geistreichen Beziehungskomödien „2 Tage New York" (2011) oder „2 Tage Paris" (2006). Da will man nur noch einmal den großartigen Ödipus „Cyrus" mit Jonah Hill, John C. Reilly und Marisa Tomei sehen.

Auferstanden

USA 2016 (Risen) Regie: Kevin Reynolds mit Joseph Fiennes, Tom Felton, Peter Firth, Cliff Curtis 108 Min. FSK: ab 12

CSI - Jerusalem a.D. 33. Was in „Hail Caesar" ein kurzer Scherz war, will dieser verstaubte Sandalen-Film ernsthaft ausführlich erzählen: Das Sterben und Wiederauferstehen eines religiösen Führers aus der Sicht eines gegnerischen Detektives. Joseph Fiennes gibt wenig charismatisch den römischen Karriere-Soldaten Clavius, der im Auftrag von Chef Pilatus die Leiche dieses gekreuzigten Aufrührers Joschua finden soll. Was der skrupellose Schlächter findet, sind scheinbar geistesgestörte Anhänger erfüllt von dieser dämlichen Arroganz gläubiger Besserwisser, gepaart mit nervtötender Fröhlichkeit. Wiederwillig folgt Clavius ihnen, bis er selbst Zeuge wird, wie Joschua tatsächlich mit dem Effekt eine Atombomben-Explosion in die Luft fliegt („Himmelfahrt").
Kevin Reynolds, der schon mit Kevin Costner im letzten Jahrtausend herrlich gestrige Filme wie „Waterworld" (1995) und „Robin Hood" (1991) gemacht hat, kriegt diesmal ohne Costner keine Sandale auf den historischen Boden. „Auferstanden" als Feiertags-Langeweiler für die Senioren-Sender.

Kung Fu Panda 3

USA, VR China 2016 Regie: Jennifer Yuh, Alessandro Carloni 96 Min. FSK ab 0

Viele knuffelige Pandas in allen Größen und Ausstattungen, ein neuer, dämonischer Gegner - „Kung Fu Panda" bleibt sich auch im dritten Film treu und macht alles richtig. Beziehungsweise wieder alles falsch, was den Pandabär Po betrifft. Er versagt auf neuem Level, nun als Kung Fu-Lehrer. Selbst als er unter lauter kleinen Schweinchen auf einen anderen Panda trifft, dauert es einen herrlichen Witz lang, bis die beiden verstehen, dass sie Vater und Sohn sind. Wie man schon aus dem Trailer weiß. Die neue, reichhaltige Abenteuergeschichte hat aber noch einiges mehr zu bieten. Ein auferstandener Gegner, der Kampfstier Kai, der zu seinem eigenen Ärger völlig unbekannt ist, verwandelt alle in kleine Jade-Zombies. Dabei sammelt er das Chi von Superhelden. Po findet Unterschlupft in einem geheimen Panda-Dorf. An der Seite seines Vaters, der genau so kindisch verspielt ist, lernt er endlich, Teigtaschen mit beiden Händen zu essen, lange zu schlafen und zu entspannen - also ein richtiger Panda zu sein. Entspannung wird hier als Grundlage für eine neue Stufe der Meisterschaft vermittelt. Bis zum fantastisch gezeichneten Finale im Geisterreich, das eventuell das 3D sinnvoll macht, unterhält der Mix aus Komik und Kampfeinlagen sehr gekonnt. Die Synchronisation ersetzt Sprachkünstler wie Jack Black, Bryan Cranston („Breaking Bad"), Dustin Hoffman und Angelina Jolie unter anderem durch Hape Kerkeling als Po.

8.3.16

Trumbo

USA 2015 Regie: Jay Roach mit Bryan Cranston, Diane Lane, Helen Mirren 125 Min. FSK: ab 6

Die Coens machten gerade in „Hail Caesar" noch Scherze über die Swimmingpool-Kommunisten, nun lernen wir mit „Trumbo" einen von „denen" kennen und lieben. Der us-amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor Dalton Trumbo (1905-1976) ist dabei nicht der Strohmann für eine Geschichts-Lektion, für ein Lehrstück in Sachen Aufrichtigkeit. Trumbo, gespielt von Bryan Cranston („Breaking Bad") ist einfach ein klasse Typ. Ein Held, der in seiner Badewanne Drehbücher schreibt, die ihrerseits Geschichte geschrieben haben. Der, immer sein Zigaretten-Mundstück in der Hand, zwei Oscars bekam. Leider erst einmal nicht auf seinen Namen, weil er offiziell ein Berufsverbot von der staatlichen Instanz namens Hollywood erhielt.

Der Hintergrund der „Hexenjagd in Hollywood" ist schnell skizziert: Gegen Hitler und die extreme Arbeitslosigkeit in den USA war es in den 30er-Jahren populär Kommunist und Verbündeter der Sowjetunion zu sein. Was sich mit Etablierung des Kalten Krieges schnell änderte. Aufgeblasene, kleingeistige Politiker - siehe heute AFD oder Konservative - die mit konstruierten Ängsten ihre schwache Position ausbauen wollten, schleppten vermeintliche Kommunisten reihenweise vor einen Parlamentsausschuss (HUAC), wo sie inquisitorisch niedergeschrien wurden und Freunde oder Kollegen denunzieren sollten. Besonders in Hollywood vermuteten die Rechtsradikalen eine linke Verschwörung. Wobei sie bei Brecht vielleicht nicht ganz daneben lagen, aber bei Humphrey Bogart wahrscheinlich Film und Realität verwechselten.

Ronald Reagan war einer der feigen Verräter aus den Filmkreisen, der liebe Trickfilm-Onkel Walt Disney auch. Dalton Trumbo (Bryan Cranston) gehörte hingegen zu den „Hollywood 10", zehn Autoren, die sich weigerten auszusagen und deshalb sogar ins Gefängnis gingen. Danach durchlitt er wie viele Kollegen und tausende Menschen in den USA ein jahrelanges, niemals offiziell angeordnetes Berufsverbot.

In dieser extremen Lage erleben wir Trumbo als sehr geistreichen, klugen und witzigen Autor sowie Familienmenschen. Dieser Schreiberling scheut selbst nicht das Duell mit dem erzkonservativen Dickschädel John Wayne. Unter dem auch ansonsten missbrauchten Label Patriotismus entwickelt sich die widerwärtige Kolumnistin und Kommunisten-Hasserin Hedda Hopper (Helen Mirren) in furchtbar rosa Kostümen zur persönlichen Jägerin Trumbos. Doch der schreibt nach einer entwürdigenden Inhaftierung erst Scripts für billige Filmchen in Serie. Dann holt er solidarisch seine Leidens-Genossen mit ins Boot und auch seine Familie für eine richtige Schreib-Fabrik. Er verkauft unter Pseudonym „Ein Herz und eine Krone" (Roman Holiday), der mit Audrey Hepburn und Gregory Peck zu einem großen Erfolg wurde. Ein echter Witz, dass Trumbo mit seiner Familie auf dem Sofa zusieht, wie dieses Drehbuch den Oscar bekommt. Irgendwann stehen die Großen Schlange vor der Tür seines mittlerweile bescheideneren Hauses: Für Kirk Douglas rettet er „Spartacus", denn der hat Rückgrat und einiges mehr. Christian Berkel hat einen herrlichen Auftritt als Otto Preminger, der „Exodus" mit Trumbo machen will und sich dafür über Weihnachten bei ihm einnistet.

Ein Komödien-Regisseur und eine TV-Star erzählen gleichzeitig Hollywood- und Familien-Geschichte? Tatsächlich begeistern Regisseur Jay Roach („Meine Braut, ihr Vater und ich") und Bryan Cranston mit einem unterhaltsamem, prominent ausgestatteten Porträt, das großartig die Balance zwischen geistreichem Humor und der teilweise mörderischen Tragik der Schwarzen Listen findet. Schon Lubitsch und Chaplin zeigten, das Komödien politisch sein können und Politik auch in komische Filme passt.

Birnenkuchen mit Lavendel

Frankreich 2015 (Le Goût des Merveilles) Regie: Eric Besnard mit Virginie Efira, Benjamin Lavernhe 97 Min. FSK: ab 0

Zwischen Birnenblüten und Lavendelfeldern, zwischen wunderbar und geschmäcklerisch wurde der Film „Geschmack der Wunder" in provenzalische Landschaft drapiert. Denn der Original-Titel beschreibt sehr gut die synästhetische Verwirrung von Pierre (Benjamin Lavernhe), der in den Farben und den Wolken Zahlen sieht. Aber auch den etwas asymmetrischen Po einer schönen Witwe, die mit ihrem verschuldeten Landwirtschaftsbetrieb überfordert ist. Deshalb fährt Louise Legrand (die Belgierin Virginie Efira) Pierre an, nimmt pflegt ihn zuhause und macht ihm ein Bett auf der Couch. Am nächsten Morgen ist das chaotische Landhaus aufgeräumt und alles gerade ausgerichtet. Pierre lebt ganz gut mit seinem Asperger-Syndrom, erweist sich als ein genialer Verkäufer von Louises Waren auf dem Wochenmarkt und hat den Wetterbericht immer im Auge. Das beschert uns in einer Frostnacht ein sehr schönes Bild mit Fackeln unter den Obstbäumen. Noch eines unter den Blütenprächten, den weiten Feldern und den harmonische Farbpaletten mit Vorliebe für Lavendel.

„Birnenkuchen mit Lavendel", wie man ihn widerstrebend auf Deutsch benennen soll, lässt sich angenehm viel Zeit, in seinen reizvollen Bildern die Welt-Erfahrung von Pierre wiederzugeben: Die Flugwolken der Stare, das Treiben der Ameisen, das sanfte Wiegen der Ähren. Doch Pierre gerät bei zu vielen Eindrücken in Panik und klebt bunte Punkte auf alles, was ihn beängstigt. Das kann schon mal ein ganzes kunstvoll dekoriertes Zimmer in der Psychiatrie werden, denn seit der sensationelle Hacker in das Innenministerium einbrach, um Briefe von Vidoq zu finden, läuft er nur auf Bewährung frei in den Feldern herum. Und auch Louise muss neben den Schulden mit einem pragmatischen Nachbar fertig werden, der ihre Hand und ihr Land möchte. Doch wirklich dramatisch wird es eigentlich nie in diesem vorhersehbaren Verlauf, dem man so reizend fotografiert gerne folgt.

7.3.16

Grüße aus Fukushima

BRD 2016 Regie: Doris Dörrie mit Rosalie Thomass, Kaori Momoi 108 Min. FSK: ab 12

Doris Dörrie erzählt mit „Grüße aus Fukushima" eine semi-dokumentarische Geschichte aus dem Epizentrum der Katastrophe von Fukushima. Dafür ging Dörrie mit ihrer wunderbaren Darstellerin Rosalie Thomass (in „Taxi" neben Peter Dinklage) tatsächlich bis in die radioaktiv verstrahlte Todeszone um den explodierten Atommeiler von Fukushima und drehte im vom Tsunami verwüsteten Küstenstreifen.

Marie (Rosalie Thomass) hat mächtig Mist gebaut, mal eben aus Panik vor der Hochzeit die Liebe ihres Lebens mit dessen bestem Freund betrogen. Jetzt macht sie in ihrer bodenlosen Verzweiflung ausgerechnet auf Clown. Für die Hilfsorganisation Clowns4Help reist sie nach Japan, um im Katastrophengebiet von Fukushima den Opfern der Dreifachkatastrophe von 2011 ein wenig Freude in die Notunterkünfte zu bringen. Und wundert sich, dass niemand lacht. Die Flucht aus Deutschland scheint eine kleine persönliche Katastrophe zu werden, bleibt aber ein wenig beachteter Witz angesichts des ganz anderen Unglücks um Marie herum. Doch statt den Flug zurück zu nehmen, folgt Marie der eigenwilligen Satomi (Kaori Momoi), der letzten Geisha Fukushimas, die es sich in den Kopf gesetzt hat, in ihr zerstörtes Haus in der Sperrzone zurückzukehren. Marie hilft Satomi bei den Aufräumarbeiten. Dabei kommen sich die junge und die alte Frau, die unterschiedlicher nicht sein könnten, langsam näher und werden beide mit den Geistern ihrer Vergangenheit konfrontiert.

Geister gibt es tatsächlich in diesem dritten Japan-Film (nach „Erleuchtung garantiert" und „Kirschblüten – Hanami") von Doris Dörrie, ein Hauch asiatischer Alltags-Spiritualität. Die Leichtigkeit, mit der sie jedoch von großen und kleinen Katastrophen erzählt, die Selbstverständlichkeit von Tod, Abschied und Trauer in einer verwüsteten Landschaft stellen das große Kunststück im wunderbaren „Grüße aus Fukushima" dar. Die schwarz-weiß gedrehte Tragikomödie erzählt poetisch, lakonisch und komisch. Und politisch: Denn was das Team von Dörrie unter persönlichem Einsatz in der „Todeszone" an Bildern eingefangen hat, ist eine nachhaltige Anklage gegen Atomkraft - auch wenn die sichtbaren Zerstörungen auf den Tsunami zurückzuführen sind. Die apokalyptische Menschenleere geht jedoch aufs Konto der Gier von Energie-Konzernen.

Dass „Grüße aus Fukushima" trotzdem ein glücklich und Hoffnung machender Film ist, liegt auch an Rosalie Thomass. Sie spielt - großartig begleitet von der Japanerin Kaori Momoi - mit scheinbarer Naivität die in den Augen der Geisha trampelige Helferin, Elefant genannt, die mit „Put-Zen" und Sorgfalt beim Tee-Trinken den eigenen Trennungsschmerz zu überwinden lernt. Eigentlich eine simple Weisheit dieser „Radiation Vacation" über Loslassen und Weiterleben, doch deshalb braucht sie nicht falsch zu sein. Erneut ein sehr berührender Japan-Film von Dörrie.

Der Spion und sein Bruder

Großbritannien 2016 (Grimsby) Regie: Louis Leterrier mit Sacha Baron Cohen, Mark Strong 82 Min.

Literweise Elefanten-Sperma, eine heftig ausgedehnte Analwitz-Tabuzone, ganz neue Dimensionen von Ekel-Humor - „Der Spion und sein Bruder" verursachen ein historisches Fanal in der Kino-Geschichte. Die größte Sauerei ist allerdings, dass dieser schlechte schmutzige Scherz vom Filmverleiher Sony parallel zum Cannes-Jurypreis-Sieger „Son of Saul" vom gleichen Verleih Sony herausgebracht wird. Einer der erschütterndsten Filme seit Jahren wird so vom Unterhaltungs-Konzern selbst der Aufmerksamkeit beraubt, die er dringend verdient. So kann man einen Film auch vernichten, was ausgerechnet bei einer Holocaust-Geschichte doppelt bitter ist!

Abgesehen von diesem filmpolitischen Skandal bieten „Der Spion und sein Bruder" weniger als die zu erwartende Geschichte des Titels. Der nämliche Bruder (Sacha Baron Cohen) findet nach Jahren den lange vermissten Agenten-Angehörigen, nur um direkt dessen Tarnung als MI6-Killer auffliegen zu lassen und ein Attentat auf die Präsidentin einer Hilfsorganisation (Penélope Cruz in ihrer zweiten Blödelrolle nach „Zoolander 2") doch fast zu ermöglichen. Dabei steckt sich Harry Potter mit dem HIV-Virus an und gibt ihn später an Donald Trump weiter. Ja, hier gibt es Humor für jede Geschmacks-Klasse im Ausverkauf!

Selbstverständlich wird Norman Grimsby seinem Agenten-Bruder Sebastian (Mark Strong) gegen irgendeine weltumgreifende Verschwörung beistehen, auch wenn sie dafür ihren Hintern für ein anales Superfeuerwerk hinhalten müssen. Hilfreich sind auch die immer besoffenen und rauflustigen Hooligans, aus deren Mitte Norman und seine Frau (die talentierte Rebel Wilson nach „How to be single" leider wieder nur als dumme Dicke) stammen. Die nicht nur im Personal ziemlich dämliche Komödie gibt sich erschreckend wenig Mühe, den Action-Krimi-Plot auch nur halbwegs anständig zu erzählen. Vom „Borat", der bei aller Idiotie auch üble Verhältnisse bloßstellte, ist in dieser Rolle von Sacha Baron Cohen nichts vorhanden. „Der Spion und sein Bruder" - der widerwärtigste Film des Jahrzehnts. Gar nicht wegen der Ekel-Szenen, sondern wegen der aktiven Vernichtung von „Son of Saul" durch Sony und eine schlampig gemachte Nichtigkeit.

6.3.16

Darth Maul Apprentice

Meisterstück des Film-Lehrlings

YouTube-Premiere Star Wars-Fan Film

Shawn Bu macht Hollywood in der Region

Von Günter H. Jekubzik

Aachen. Letzten Samstag lief ein Star Wars-Film an, auf den viele gewartet haben: „Darth Maul: Apprentice". Auf YouTube schlug der Fan-Film eines Studenten der FH Design Aachen ein wie der echte „Star Wars" im Kino. 250.000 Zuschauer in der ersten 24 Stunden! Shawn Bu steht als Regisseur neuer Schule zwischen Filmhochschule und YouTube.

https://www.youtube.com/watch?v=Djo_91jN3Pk

Leuchtschwerter, Jedi-Kräfte, der ewige Kampf zwischen der guten und der dunklen Macht... „Darth Maul: Apprentice" ist alles, was die Fans an „Star Wars" lieben. Und sieht aus wie auf der Skywalker Ranch von Georg Lucas entstanden. Doch die kurze Geschichte um das Erwachen des besonders mächtigen Sith-Lords Darth Maul und seine letzten Gewissensbisse entstand in Aachen und Umgebung, an spektakulären Sets der Eifel und der Heerler Heide. Mit Steady-Cam, Drohne und Spezial-Choreograph für Kampfszenen. Die sagenhaften Effekte stammen selbstverständlich aus Rechnern und von Meistern ihres Fachs.

Das Team, das Regisseur Shawn Bu im über zweijährigen Entstehungsprozess seines Bachelor-Films an der FH Design begleitete, ist schon lange professionell tätig: Die T7pro-Filmproduktion von Shawn Bu sowie Regisseur und Kameramann Vi-Dan Tran drehte die Videos für Lena-Meyer Landrut zu den Songs „Home", „Catapult" und zuletzt „Wild & Free" vom Soundtrack zu „Fack Ju Göhte 2". 30.000.000 Klicks gab es dafür auf YouTube! Die Seite von Pro7 zeigt deutlich: Sie wollen und können „Hollywood-Qualität in Deutschland" realisieren. Auch Hauptdarsteller Ben Schamma erwies sich als echter Profi: Jeden Morgen war der Alsdorfer schon um vier Uhr wach, um in einem drei Stunden währenden Prozess seine eigene Maske anzulegen.

FH Design – Filmhochschule?
Der Macher des Star Wars-Fanfilms „Darth Maul: Apprentice" kommt aus guter Schule: Sein Bruder Julien Bam war schon mit JuBa-Films „Klick-Millionär" auf YouTube. Und aus der FH Design in Aachen kommt schon wieder eine erstaunlich professionelle Studenten-Produktion – obwohl es dort keinen Film-Studiengang gibt. Qualität, die man auch bei der „Showtime" bewundern kann, der regelmäßigen Vorführung aller filmischen Arbeiten der FH Design. Prof. Matthias Knezy-Bohm hat dort seit 1997 die Professur für das Lehrgebiet Video/ Bildbearbeitung/ Animation am Fachbereich Gestaltung und springt selbst auch schon mal vor der Kamera ein.

Da stellt sich die Frage, was Shawn Budorovits - wie er komplett heißt, in Zukunft machen will: Kino oder Klicks? Die Antwort des zurückhaltenden, aber am Set äußerst selbstsicheren Filmemachers ist eindeutig: „Beides! Mein Ziel ist es Kinofilme zu drehen. Im besten Fall einen Star Wars-Kinofilm. Kurzfilme zu drehen, ist der beste Weg zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und sein Können zu zeigen. Deswegen ist es toll, die Möglichkeiten von YouTube zu nutzen, um viele Menschen zu erreichen und Aufmerksamkeit zu erzeugen." Und auch der weitere Weg ist noch klassisch, Bu möchte gerne einen Master an einer Filmschule machen. Als nächstes stellt er ein Science Fiction-Musikvideo mit fertig. „Und ich bin sehr gespannt was für Auswirkungen der Star Wars-Film mit sich bringt."

http://www.youtube.com/user/T7pro
https://www.youtube.com/watch?v=yItcRErM45I