5.12.22

An einem schönen Morgen

 
Frankreich, Deutschland 2022 (Un beau matin) Regie: Mia Hansen-Løve, mit Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud, 114 Min., FSK: ab 12
 
Der Alltag der Pariserin Sandra (Léa Seydoux), Mitte 30, ist bestimmt vom Leben mit ihrer Tochter, die sie allein großzieht. Zwischen Kindergeburtstagen und Fechtturnieren der aufgeweckten Kleinen verdient Sandra als Übersetzerin und pflegt liebevoll ihren kranken Vater Georg (Pascal Greggory). Der leidet am Benson-Syndrom, einer neurodegenerativen Krankheit, ähnlich Alzheimer, und kann nicht mehr sehen. Zusammen mit der Mutter Françoise (Nicole Garcia), die seit Jahrzehnten vom Vater getrennt lebt, und einer nur sporadisch auftauchenden Schwester suchen sie ein menschenwürdiges und bezahlbares Pflegeheim. Zwischendurch erscheint Sandras alter Freund Clément (Melvil Poupaud) und beginnt eine leidenschaftliche Affäre, obwohl er verheiratet ist.
 
Es braucht wohl eine Regisseurin wie Mia Hansen-Løve, um aus so viel durchaus forderndem Alltag einen schönen Film zu machen! Hansen-Løve begann ihre Karriere mit sehr persönlichen Werken über den Tod ihres Mannes, des Produzenten Hubert Balsan, in „Der Vater meiner Kinder" und über ihren hedonistischen Bruder in „Eden". Dann begeisterte sie mit „Bergman Island" und Vicky Kriebs vor der historischen Bergman-Kulisse auf Fårö. Nun drehte die Tochter von zwei Philosophen wieder semibiografisch über den Abschied vom Vater, einem Büchermenschen, dem das Benson-Syndrom vor allem die Fähigkeit zu Lesen nahm. Während Vater Georg in verschiedenen Heimen recht zufrieden wirkt und immer nur auf seine Freundin wartet, obliegt es Sandra, sich auch von der riesigen Büchersammlung deutscher Philosophie und Literatur zu trennen. In einem Notizbuch zeigt sich der fortschreitende Verlust von Zeit und Zusammenhang auf poetisch schreckliche Weise.
 
„An einem schönen Morgen" – der Titel taucht im Original auf Deutsch als Literaturzitat auf – wird trotz eines prominenten Ensembles gänzlich von Léa Seydoux („Blau ist eine warme Farbe", „James Bond 007: Spectre") getragen. Es zeichnet diesen französischen Super-Star aus, dass sie auch „ganz gewöhnlich" spielen kann. Ihre Sandra schlägt sich tapfer durch ein Leben voller kleiner Dramen, ohne dass der Film sich zum Melodram aufschwingt. Er wiegt sogar die Tragik des Abschieds durch kleine Glücksmomente auf.