13.9.22

Lieber Kurt


Deutschland 2022, Regie: Til Schweiger, mit Til Schweiger, Franziska Machens, Levi Wolter, 136 Min., FSK: ab 12

Es sieht direkt aus wie ein Werbespot für irgendein Lebensgefühl, als Kurt (Til Schweiger) und Lena (Franziska Machens) in ein altes, renovierungsbedürftiges Haus im Brandenburger Umfeld Berlins ziehen. Das „Einbumsen" aller Räume wird unterbrochen, als der sechsjährige Sohn Kurt (Levi Wolter) des Werbefuzzis Kurt aus seiner früheren Beziehung mit der Agentur-Chefin Jana (Jasmin Gerat) von dieser abgeliefert wird. Lena hat ein wunderbares Verhältnis mit dem Stiefsohn, auch wenn sie noch nicht so genau weiß, ob er ihren nackten Hintern sehen soll. Klar ist allerdings schon, dass er mit auf der Matratze der Großen schlafen darf, weil ein Gespenst unter seinem Bett ist. Das Patchwork-Familienglück funktioniert auch sonst spaßig locker, wenn der gewitzte Kleine die gefundenen Kondome nachzählt und fragt, weshalb es weniger geworden sind. Ganz plötzlich stirbt dann der kleine Kurt und lässt zwei Verliebte zurück, die ganz unterschiedlich mit dem gleichen Verlust umgehen.

Das Originaldrehbuch zu „Lieber Kurt" entstand in Zusammenarbeit von Til Schweiger und Vanessa Walder und basiert auf dem Bestseller-Roman „Kurt" von Sarah Kuttner. Der klare und trauererfahrene Nachbar Gauger (Heiner Lauterbach) kommt darin direkt zur Sache: „Wenn's vorbei ist, merkt man erst, was man verloren hat!" Til Schweiger traut seinem eigenen Gejammere jedoch nicht und baut eine Menge Rückblenden ein, in denen Kurtchen noch lebt. „Als ich Sarah das Buch zum Lesen gab, war ich sehr nervös, denn wir haben die Struktur des Buches etwas variiert und einige Rückblenden über den kleinen Kurt eingebaut. Die Tragödie passiert relativ zeitig, aber ich wollte zeigen, wie das Kind zu Lebzeiten war." Und kräftig auf die Gefühlsdrüse drücken, weil das dem Hauptdarsteller nicht richtig gut gelingt. Über zwei Stunden Jammern über den Verlust des Kindes, das ist wirklich zu viel für den Film, das Publikum und vor allen Dingen für die Partnerin. Und hier fängt der Film dann an, interessant zu werden. Denn Lena muss, gefangen zwischen ihrer eigenen Trauer und dem Wunsch Kurt zu trösten, ihre Rolle in dieser nicht mehr existenten Familie und in dem noch ganz nicht bezogenen Haus finden.

Sarah Kuttner erklärte: „Ich bin ein großer Fan von Schmerzen, einfach weil ich mich gut mit ihnen auskenne. Mir ist es wichtig, den Schmerz zu verstehen und zu wissen, warum er so weh tut. Im Grunde beschäftigen sich alle meine Bücher mit hartem Tobak, da der seelische Schmerz viele Facetten besitzt". Aber auch die bekannten frechen Dialoge der TV- und Podcast Persönlichkeit Kuttner sind immer wieder von Kurts viel jüngeren Partnerin zu hören. Man denkt anfangs immer, hier sollte die Kuttner selber spielen. Doch Franziska Machens, seit 2013 festes Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin und auf der Leinwand noch nicht so bekannt, überzeugt mit jeder Szene und vor allem jeder Großaufnahme mehr. Denn während der große Kurt sich völlig zurückzieht, klassisch im Job versagt und den Schmerz bis zu einer blutigen Kneipenschlägerei mit Seewolf-Gedächtnisbart ersäuft, kann Lena ihre eigene Trauer nicht rauslassen. Denn die sei ja so viel weniger wert.

Kuttner sagte dazu: „Eine Situation, in der die Kraftressourcen ungleich verteilt sind oder niemand weiß, was er sagen oder tun darf. Daran können Menschen zerbrechen oder vielleicht auch gestärkt herausgehen. Wie funktioniert Trauer? Wann darf wieder gelacht werden? Wie lange muss Traurigkeit präsent sein? Diese Fragen wollte ich ergründen – und daraus ist der Roman entstanden." Das taucht in den besten Momenten des Films wieder auf, die meisten von ihnen finden ohne Schweiger statt. Immer ist aber Franziska Machens dabei. Ihre Lena mal mit Kurts Film-Vater Peter Simonischek („Toni Erdmann") mal mit dem geerdeten Nachbarn. Beide Gegenpole zum jämmerlichen Kurt.

Dazu aber auch viele peinliche und kindische Montage Sequenzen, die Glück darstellen sollen, aber in jeder anständigen Werbeagentur für einen Rauswurf sorgen würden. Die unangenehmen Gespräche auf beim Job mit erwartbaren Phrasen auf beiden Seiten langweilen ebenso. So wünscht man sich nicht mehr unbedingt Kuttner selbst in der Hauptrolle, aber vielleicht doch auf dem Regiestuhl.