18.6.14

No Turning Back / Locke

Großbritannien, USA 2013 (Locke) Regie: Steven Knight mit Tom Hardy 85 Min. FSK: ab 0

In dieser kinematographischen Sauregurkenzeit zeigt der Ausnahme-Film „No Turning Back" wunderbar, was wirklich Wichtiges alles während eines Fußballspiels, sogar in weniger als achtzig Minuten, passieren kann: Ivan Locke (Tom Hardy), ein Perfektionist in den zehn Jahren seiner Tätigkeit als Bauingenieur, verlässt eine riesige Baustelle in Birmingham, macht sich zu einer nächtlichen Autobahnfahrt auf. Am Morgen soll das Fundament für ein 55 Etagen hohes Gebäude unter seiner Regie gegossen werden, die größte Betonier-Aktion Europas bislang. Doch Locke (so heißt auch der Originaltitel) fährt zu einer Frau, die sein Kind zwei Monate zu früh bekommen wird.

Allerdings ist es nicht seine (Ehe-) Frau. Das Kind wurde in einem einmaligen Seitensprung mit einer einsamen Sekretärin gezeugt. Nun gesteht Locke die Untreue seiner Frau, vertröstet den Sohn, mit dem er ein parallel laufendes Fußballspiel sehen wollte, bringt seinen Auftraggebern bei, dass er nicht da sein wird, obwohl alle nur ihm vertrauen. Vom Prinzip Autobahn zur Tatenlosigkeit verdammt, „locked" (eingesperrt) wie es der Name suggeriert, muss er alles mit seiner Stimme, alles per Telefon regeln. Der Film hat nur einen Schauspieler, der in Echtzeit durch die Nacht fährt.

Mit unfassbarer Ruhe, mit einer hypnotisch konzentrierten Stimme beruhigt Locke die Schwangere, die schwere Komplikationen durchmacht, erklärt sich der geschockten Ehefrau, die nur abwechselnd telefonieren und sich übergeben kann, macht einen Kurzlehrgang in Führerschaft und Selbstbewusstsein für seinen Assistenten Donald, den er auch noch von der Flasche weg bringt. Wir erleben eine erstaunlich ehrenwerte Person: Locke schob bei der Arbeit keine Entschuldigung, keine Krankheit vor. Und als ihn ein entfernter Aufsichtsrat entlässt, will er trotzdem den schwierigen und hochkomplexen Job beenden, „sein Gebäude" retten. Er hat einen Fehler gemacht, will nun aber das Richtige tun - auch wenn auf der anderen Seite Millionen auf dem Spiel stehen.

„No Turning Back" wäre auch ein gutes Hörspiel, wie Derek Jarmans „Blue", der nur eine blaue Leinwand zeigte und von der Erblindung des Regisseurs erzählte. Doch da gibt es auch die Blicke in den Rückspiegel, in dem Locke einen ganz anderen Gesprächspartner sucht. Seinen imaginären Vater nämlich, den er anflucht und dem er Vorwürfe macht, ihn damals als Kind vernachlässigt zu haben. Der faszinierende Film verzichtet trotz des Zeitdrucks auf quietschende Reifen oder Geschwindigkeits-Überschreitungen wie in „The Call". Die große Aktion ist eine Riesenladung Beton, die angeliefert und bearbeitet werden muss. Die große Attraktion, eine große Freude und auch ein Spaß ist, einem Menschen beim Denken und Entscheiden zuzusehen.

Locke, sagenhaft intensiv, mit sehr prägnantem, walisischem Akzent gespielt von Tom Hardy, ist ein genauer Mensch, der auf die richten Worte achtet, seinen Gesprächspartnern Verständnis signalisiert und freundlich Bestätigungen einfordert. Er könnte auch Psychiater sein. Doch der Mann, der so leidenschaftlich und sorgsam Häuser baut, hat plötzlich kein Zuhause mehr. Keine Frau und auch keinen Job.

Im lebendigen, raschen Wechsel der Perspektiven kommen die Anrufe häufiger und schneller. Während Locke beruhigend wie ein Psychiater am Hilfs-Telefon spricht, sehen wir im Bild die eigene Unsicherheit, sein Knabbern am Finger, die tränengefüllten Augen. So wie er sich der Aufmerksamkeit seiner Gesprächs-, Lebens- und Geschäfts-Partner versichert, so hält er auch die Zuschauer „locked", gefangen, im Griff seiner Stimme.