Frankreich 2018 (Doubles Vies) Regie: Olivier Assayas, mit Guillaume Canet, Juliette Binoche, Vincent Macaigne, Christa Théret 107 Min. FSK ab 6
Der Stand der Kultur; Internet-Piraterie; Gratis-Mentalität; der Verlust der Fähigkeit, zu lesen; Postfaktisches und der Unterschied zwischen Literatur und Leben. Genug Themen hat der neue Film von Olivier Assayas („Die Wolken von Sils Maria"), genug Geist und Stars auch.
Assayas beginnt „Zwischen den Zeilen", als wolle er das unzutreffende Klischee vom dialog-lastigen französischen Film wiederbeleben: Ein Gespräch zwischen Verleger und Autor. Abends jongliert dann ein intellektueller Kreis um den Verleger locker mit gleich einigen Themen rund um die Schriftkultur. Morgens bekommt der Autor von seiner politisch aktiven Freundin nicht besonders viel Unterstützung - im Gespräch selbstverständlich.
Wer all diesen Gesprächen interessiert folgt, oder sie geduldig aussitzt, wird mit dem belohnt, was zwischen vielen dieser Zeilen steckte: Denn Assayas kommt danach mit einer Überraschung nach der anderen aus den Betten. Tatsächlich aus den Betten, denn wer mit wem gerade fremdgeht, ist fast schon unübersichtlich. Dabei schreibt Léonard (Vincent Macaigne) immer nur Romane, in denen er vergangene Liebschaften mehr schlecht als recht verschleiert verarbeitet. Und so hätte Verleger Alain (Guillaume Canet) in dem Manuskript, das er ablehnt, eigentlich lesen können, was seine Frau Selena (Juliette Binoche), eine bekannte Schauspielerin, mit Léonard im Kino (zu „Das blaue Band") angestellt hat. Aber Alain steckt selbst mitten in seiner aktuellen Affäre mit der jungen Digitalisierungs-Spezialistin Laure (Christa Théret).
So kann auch zwischen den Laken das Für und Wider von Digitalisierung des Verlagsgeschäftes diskutiert werden. Mit provokanten Thesen wie „Tweets sind die Haikus von heute". Oder der Frage, ob heute mehr denn je geschrieben wird oder das alles im Internet nur Wort-Durchfall ist. Und angesichts von Léonards sehr einfältiger Schreibmasche immer wieder die Diskussion, ob man das Leben anderer in seinen Kunstwerken mit einbeziehen darf. Das ist sehr bürgerlich, kultur-bürgerlich.
Man könnte auch sagen: Leben ist das, was draußen stattfindet, während die Bürger drüber diskutieren. Trotzdem ist es reizvoll, diesen Figuren zuzuhören, denn Assayas kann nicht nur wichtige Themen mit guten Schauspielern inszenieren. Er macht das auch mit einigem Witz, wie schon die Besetzung der Binoche als „Interventionsspezialistin" einer billigen Polizei-Serie zeigt. Und wie zur Versöhnung enden diese ganzen Gedankenspiele mit etwas sehr Konkretem und Rührendem.