4.5.13

Stoker

USA, Großbritannien, 2013 (Stoker) Regie: Park Chan-Wook, mit Mia Wasikowska, Matthew Goode, Dermot Mulroney, Nicole Kidman, 99 Min., FSK: ab 16

Am Tag ihrer Volljährigkeit verliert India Stoker (Mia Wasikowskav) ihren Vater Richard (Dermot Mulroney) bei einem Verkehrsunfall. Die Trauerfeier lässt die 18-Jährige seltsam unberührt. Nur der plötzlich aufgetauchte junge Onkel Charlie (Matthew Goode), von dessen Existenz niemand wusste und der als einziger nicht schwarz trägt, interessiert und irritiert sie. In einer traumhaften Bewegung kreisen die beiden in der Trauergemeinschaft umeinander.

Das Mädchen India mit ihrem betrübten und immer ernsten Blick mag nicht angefasst werden und sieht Dinge, die andere nicht sehen. Genau wie dieser Film von Park Chan-Wook („Old Man"). In der Zeichenklasse bringt sie irre Muster aufs Papier, die sich nur auf der Innenseite der Vase befinden! Eine Spinne krabbelt ihr den Verlauf des Films über Stück für Stück das Bein hoch.

Die fassbarste Irritation bei „Stoker" stellt Charlie dar, mit diabolischem Glanz in den Augen. Er flirtet mit Mutter Evelyn (Nicole Kidman) und Tochter, hat leichtes Spiel beim Verführen der Witwe und beim Zuschauen lassen des reifen Teenagers. Dann ist das vierhändig virtuoses Pianospiel von Onkel und Nichte fast bis zum Orgasmus erotisch.

Dieser immer lächelnde, immer sehr korrekt angezogene Mann wirkt wie Indias Seelenpartner, er kennt sie tatsächlich bis in ihre dunkelsten Ecken. Sie wird sein Geheimnis jedoch erst sehr spät erfahren. Da hat die Gewalt bereits von der Familie Stoker Besitz ergriffen. Das Blut am Bleistift, das von einem übergriffigen Mitschüler stammt, wird schon genüsslich durch den Spitzer gedreht. Die Rache an einem Vergewaltiger gibt es in zwei Varianten, wobei die spätere ein ganzes Stück schockender ausfällt. Aber Indias Weinen danach unter der Dusche wandelt sich zur Erregung.

Gewalt und Verstörung sollten nicht verwundern bei Park Chan-Wook, dem Regisseur von so überragenden Filmen wie dem Cannes-Sieger „Oldboy" (2003), „Durst" (2009), „I'm a Cyborg, But That's OK" (2006) oder „Sympathy For Mr. Vengeance" (2002). Sein erster US-Film „Stoker", der keinen direkten Bezug auf den „Dracula"-Autor Bram Stoker nimmt, ist ein schöner, ein unheimlicher, kein eindeutiger und so ein auf reizvolle Weise verstörender Film. So seltsam wie einem die Koreaner in vielen ihrer Filmen vorkommen, wirken nun die bekannten Gesichter westlicher Schauspieler (Mia Wasikowska, Matthew Goode oder Nicole Kidman) in anscheinend zeitloser Umgebung. Vor allem die Szenen am Abendtisch zeigen einen Teenager in erstickenden Setting, im dunklen, verstaubten Horror der 60er Jahre. Hier und im Verschwinden der alten Küchenhilfe bekommt „Stoker" einen Touch von „Rosemaries Baby". Bis auf ein einzelnes Handy wirkt der Psycho-Thriller zeitlos, obwohl man an Indias Geburtsdatum errechnen kann, dass er Heute spielt.

Mia Wasikowska, die von der lieblichen „Alice im Wunderland" bis zur rauen Gangsterbraut in „Lawless" stark beeindruckte, macht auch „Stoker" zu ihrem Film. Nicole Kidman zeigt wieder einmal, dass sie keine gute Schauspielerin ist: Die Witze ihrer verkrampften Witwe sollen vielleicht unbeholfen wirken. Doch je öfter man sie und ihr Manierismen sieht, desto deutlicher wird die Beschränktheit ihrer schauspielerischen Mittel. Da die Geschichte in der Stimmung zeitweise recht nah an „The Others" kommt, kann man ihre Anwesenheit hier trotzdem tolerieren.

„Erwachsen und frei werden heißt, wir sind nicht verantwortlich für das, was wir sind!" Irritierend und reizvoll böse wie diese Entwicklungs-Geschichte einer jungen Frau sind auch die ästhetischen Mittel von Park Chan-Wook: Oft löst er seine Bilder geometrisch auf, so dass die Form noch mehr als der Inhalt fasziniert. Wie die Schuhschachteln, die bisher an jedem Geburtstag Indias die gleichen Schuhe brachten und nun einen geheimnisvollen Schlüssel, versteckt der Koreaner hinter bekannten Elemente und Symbole rätselhafte Stimmungen. Ihm gelingen zahlreiche geniale Szenen und ein Ende, das die Bilder des Anfangs auf schaurig schöne Weise umdeutet.