15.5.13

Cannes 2013 Eröffnung

Cannes. Eine große Show war es immer und wird es wieder sein: Wenn mit Baz Luhrmans „Der große Gatsby" am Mittwochabend die 66. Filmfestspielen von Cannes (15.-26. Mai) eröffnet werden, ist ein großes Spektakel garantiert: Der Regisseur von „Moulin Rouge" und „Romeo und Julia" legte sein Remake des Dramas mit Robert Redford aus dem Jahre 1974 als optische und musikalische Orgie an. Neben der Frage, wie sich heute Leonard DiCaprio in der Moulin Rouge-Umgebung hält, irritiert das Timing dieser Eröffnung das Fachpublikum.

Kratzt sich Cannes am eigenen Lack, wenn die glamouröse Gala um „Der große Gatsby" etwa parallel zu der nicht so ganz spektakulären „Ladys First"-Vorführung des Films im Aachener Cineplex stattfindet? Und außerdem in vielen Ländern schon regulär im Kino startet? Zwar verkaufte sich Cannes schon öfter als maximal exklusive Startplattform, aber diesmal geht doch etwas Glanz die Cotè d'Azur runter.

Was wenige Stunden später mit dem echten Start des Wettbewerbs um die Goldenen Palmen vergessen sein wird: Weil mit Steven Spielberg der erfolgreichste und von vielen auch als der beste angesehene Regisseur seiner Epoche als Präsident der Jury (unter anderem mit Christoph Waltz) zu Gast ist, wollte man ihm wohl nur das Beste vom Besten vorsetzen. Die zwanzig Filme des Wettbewerbs beeindrucken im Vorfeld mit einer selten dagewesenen Qualitätsdichte: Die Brüder Coen, James Gray, François Ozon, Steven Soderbergh, Roman Polanski, Jim Jarmusch und Paolo Sorentino führen den Reigen der Regie-Stars an. Dazu werden die Leinwand-Stars fast nebenbei mitgeliefert - auch wenn das einige Glamourmagazine anders herum sehen mögen: Für die laufen zwischen den Highlights des Schaulaufens auf den berühmten Treppen zum Festivalpalast „ein paar Filme".

Man kann also bester Hoffnung sein, dass die Wettbewerbs-Auswahl das Beste ist, was gerade frisch vom Schneidetisch gefallen ist. Ausnahmen und Abwesende gibt es dabei immer wieder, eine ist in diesem Jahr besonders pikant: Lars von Trier kündigt ausgerechnet für den 16. Mai, den ersten richtigen Festivaltag von Cannes, Neues zu seinem sexuell provokanten Film „Nymphomaniac" an. Selbstverständlich außerhalb von Cannes, das ihn nach seinem ungeschickten Hitler-Vergleich 2011 von seinen heiligen Gefilden gebannt hat

Etablierte Herren-Riege
Die Abwesenheit von Frauen abseits des Blitzlichtgewitters auf dem Roten Teppich ist eine alte Leier, die man der Alt-Herrenriege von Cannes jedes Jahr vorwerfen muss. 2013, also ganz knapp nach den Suffragetten, der Frauenbewegung und Emanzipation, ist Valeria Bruni Tedeschi die einzige Regisseurin im Wettbewerb. Diese seltene Erscheinung - Cannes kann auch ganz ohne oder oben ohne - hat weniger damit zu tun, dass Bruni Tedeschi als Halb-Schwester von Carla Bruni die Schwägerin eines französischen Ex-Präsidenten ist, sondern vor allem damit, dass jeder ihrer bisherigen Filme ein übersehenes Meisterwerk war. Außerdem positionierte sich die Tochter eines Turiner Industriellen sowie ebenso exzellente Schauspielerin und Regisseurin in den sehr persönlichen „Actrices - Oder der Traum aus der Nacht davor" (2007) sowie in „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr" (2003) als wahrhafte und kämpferische Linke.

Der andere große Steven bei Cannes 2013, Nachname: Soderbergh, zeigt mit „Behind the Candelabra" seinen angeblich letzten Film. Darin geht Michael Douglas mit Matt Damon ins Bett, und zwischendurch laufen sie viel in Bademänteln rum. Denn Soderbergh, der meint, das Filmemachen biete ihm nichts Neues mehr, erzählt von einer großen Liebe des legendären Pianisten und Entertainers Liberace aus der Sicht des jüngeren Liebhabers.

Angesichts derartig viel Qualitäts-Glimmern muss man sich entscheiden, ob man sich genüsslich die Finger nach diesem Programm ableckt oder einen Finger in die Wunde namens „mangelnder Nachwuchs" legen will: Man kann nicht gleichzeitig eine einzigartige Ansammlung bekannter wie ausgezeichneter Filmemacher zusammenkehren und auf Entdeckungsreise unter den noch namenlosen, um den nächsten große Steven zu finden. Dafür gibt es im übrigen auch die Nebensektionen, in denen etwa das Spielfilmdebut „Tore tanzt" von Katrin Gebbe in der „Sektion Un Certain Regard" für Neugierde sorgt: Der Film handelt, inspiriert von realen Ereignissen, von dem Jesus Freak Tore, der in Hamburg bei religiösen Punks ein neues Leben beginnen möchte.

NRW groß mit dabei
NRW erweist sich erneut als starker Koproduktions-Partner. Zwei von drei deutschen Koproduktionen im Wettbewerb entstanden teilweise in NRW. „Only Lovers Left Alive" von Jim Jarmusch hat die Kölner Pandora Film - wie drei weitere Cannes-Beiträge - produziert und zu weiten Teilen in Nordrhein-Westfalen realisiert. Auch die NRW-geförderte internationale Koproduktion „Heli" des mexikanischen Regisseurs Amat Escalante startet im Wettbewerb. Dazu wird die in NRW gedrehte Pandora-Koproduktion „Der Kongress" von Ari Folman („Waltz with Bashir") die Reihe „Quinzaine des réalisateurs" eröffnen. Eine filmpolitisch starke Antwort auf Kritiker dieser Wirtschafts-Förderung, die sich gerne über Unterstützung von Kassen-Hits wie „7 Zwerge" aufregen.

Auch so zeigt sich das Festivalmotiv der 68. Ausgabe als schöne und hervorragende Wahl. Der klassische Kuss (aus dem Jahre 1963) zwischen Paul Newman und Joanne Woodward, die als Traum- und Ehe-Paar bis zum Tode Newmans 2008 fünfzig Jahre zusammen waren, symbolisiert in der Form des liegenden Paares und in seiner Mischung aus Showgeschäft und echten Gefühlen das Yin und Yang von Cannes: Glamour und Inhalt, Geschäft und Kultur, Oberflächlichkeit und tief gehender Inhalt balancieren sich immer wieder aus zu einem faszinierenden Tanz auf dem Vulkan der Bilder und Töne.