25.5.25

Die Vorkosterinnen

 

Kurz nachdem die junge Rosa Sauer (Elisa Schlott) im November 1943 aus dem zerbombten Berlin bei ihren Schwiegereltern in Ostpreußen angekommen ist, wird sie zusammen mit anderen hungernden Frauen ahnungslos von der SS verschleppt. In einem hochgesicherten Komplex können sie sich an einem gut gedeckten Tisch satt essen. Doch die Freude schlägt schnell in Entsetzen um, als sie erfahren, dass sie Vorkosterinnen für Hitler in seinem Versteck „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ sind. Zunächst wird Rosa von ihren Leidensgenossinnen als feine Berlinerin verspottet. Doch als auch ihr Mann an der Ostfront vermisst wird, entstehen Freundschaften und Geheimnisse werden geteilt. Rosa selbst hat eine Affäre mit dem gefürchteten SS-Obersturmführer Albert Ziegler (Max Riemelt).

 

Das Historiendrama „Die Vorkosterinnen“ wurde vom italienischen Regisseur Silvio Soldini („Brot und Tulpen“) mit deutschsprachiger Besetzung gedreht. Es basiert auf dem italienischen Roman „Le Assaggiatrici“ von Rosella Postorino (bisher nicht auf Deutsch erschienen). Die Autorin ließ sich von der Biografie der Margot Woelk (1917 - 2014) inspirieren, die erst im Alter von 95 Jahren enthüllte, dass sie zur Gruppe der Vorkosterinnen gehörte, die ab 1942 Hitlers Essen vorkosteten.

 

Die vielen Themen - von Terrorherrschaft über Abtreibung und Verführung durch grausame Machtmenschen bis zur Judenverfolgung - bleiben in der interessanten Geschichte trotz guten Spiels vor allem von Elisa Schlott („Das Boot“) oberflächlich. Zudem raubt ein unglücklicher Schnitt mit Schwarzblenden der Dramaturgie Intensität. Ein generelles Unbehagen an Stoffen, die sich Terrorherrschaften über scheinbar unschuldige Nebenfiguren nähern, beschwört auch diese subjektive Erzählung herauf. Eine ähnliche Perspektive wie die von Hitlers Sekretärin in „Der Untergang“ bleibt weit hinter einem heutigen Verständnis wie in „The Zone of Interest“ (über das Privatleben des Auschwitz-Kommandanten Höß) zurück.

 

„Die Vorkosterinnen“

(Italien, Belgien, Schweiz 2025) Regie: Silvio Soldini, mit Elisa Schlott, Max Riemelt, Alma Hasun, 123 Min., FSK: ab 12.

10.5.25

Caught by the Tides

Der international gefeierte chinesische Regisseur Jia Zhang-Ke kehrt vier Jahre nach seinem letzten Spielfilm mit einem Remix von zum Teil 20 Jahre altem Filmmaterial ins Kino zurück. Die lose Handlung um seine Lieblingsschauspielerin und Ehefrau Zhao Tao zeigt vor allem dokumentarisch den rasanten Wandel Chinas.

Bereits Jia Zhang-Kes Debütfilm „Pickpocket" wurde mehrfach ausgezeichnet, 2006 gewann „Still Life" den Goldenen Löwen in Venedig und 2013 wurde „A Touch of Sin" in Cannes für das beste Drehbuch prämiert. „Caught by the Tides" zeigt nun Zhao Tao als Qiao mit „Resten" aus den letzten beiden Filmen als Sängerin in ihrem Heimatdorf, bei der Begegnung mit Bin (Zhubin Li) und auf der Suche nach ihm rund um die Arbeiten am Drei-Schluchten-Damm, dem größten Stausee der Welt. Im dritten, neu gedrehten und deutlich von Corona beeinflussten Teil kehrt Bin zurück.

Diese fragmentarische Handlung bleibt schon deshalb nebensächlich, weil Qiao nie ein Wort spricht. Auffälliger sind die Musiknummern aus chinesischem Rock, traditionellen Liedern und Popsongs verschiedener Epochen, darunter eine Coverversion von „Dschingis Khan". Der Drei-Schluchten-Damm oder Feiern rund um die Vergabe der Olympischen Spiele an Beijing stellen historische Eckpunkte dieser zwei Jahrzehnte dar. Die Entwicklung wird in poetischen Momenten verdichtet, wie die lange Zeitlupenfahrt von der Rikscha zum modernen Auto.

„Caught by the Tides" ist eines jener filmischen Langzeitprojekte, die trotz fiktionalen Kerns immer stark dokumentarisch sind. Vergleichbar mit Richard Linklaters „Before..."-Trilogie oder seinem „Boyhood", der seinen Protagonisten 12 Jahre lang begleitet. Faszinierend, weil man der Zeit bei der Arbeit in den Gesichtern zusieht. Stückwerk ist Jia Zhang-kes Remix aus altem Spielfilmmaterial und dokumentarischen Szenen für Fans seiner Filme reizvoll und in der realen Alterung der Darsteller sogar anrührend, interessant als Dokument eines rasanten Wandels in China, aber nur bruchstückhaft als Geschichte einer resilienten Frau im Strom der Zeit.

„Caught by the Tides" (China 2024) Regie: Jia Zhang-Ke, mit Zhao Tao, Zhubin Li, Pan Jianlin, 111 Min., FSK: ab 12.

7.5.25

Kein Tier. So wild.

„Ein Königreich für meinen Jaguar"

Fünf Jahre nach seiner furiosen Adaption von „Berlin Alexanderplatz" begeistert der Berliner Regisseur Burhan Qurbani erneut. Jetzt mit seiner Version von William Shakespeares Königsdrama „Richard III" um kriminelle Clans in der Hauptstadt und die eiskalte, gnadenlose Rashida York als Hauptfigur. Die Inszenierung ist ein filmisches Erdbeben, das grandiose Spiel von Kenda Hmeidan als Rashida eine atemberaubende Entdeckung.

„Und so schaff' ich die Hölle, die eure Welt mir ohnehin schon ist"

Mit dem Ruf „Freiheit" beginnt vor Gericht die Handlung um die Anwältin Rashida York (Kenda Hmeidan). Die jüngste Tochter der Familie verteidigt ihren Bruder Imad York (Mehdi Nebbou) gegen den Lancaster-Clan. Dann beobachtet sie lächelnd von einem Balkon aus, wie ihre in schwarze Gewänder gehüllte Frauenbande die beiden Anführer der Lancasters ersticht. Das ist der Sieg nach jahrelangem Kampf, aber diese Frau will mehr, gegen alle Regeln. „Betrogen durch Geburt um jeden Vorteil, verformt, unfertig", bespuckt sie sich im Spiegel, während sie ihre Brüste befühlt. Nicht die Missgestalt von Richards Körper ist hier die Behinderung als Grundlage von Wut und Hass, es ist der weibliche Körper an sich. Eine Frau zu sein, sei in dieser Gesellschaft wie eine Behinderung. Im Aufbegehren dagegen beginnt Rashida ihre Mordserie: Erst stirbt der naive junge Bruder Ghazi (Camill Jammal), dann der Clanchef Imad. Im Kampf mit dessen Frau Elisabet Müller-York (Verena Altenberger) müssen die beiden Neffen dran glauben. Rashida, die als Kind mit ansehen musste, wie ihr Dorf von Kampffliegern bombardiert wurde, lässt der Kindermord kalt. Sie wird zur oft zitierten „Sonne Yorks", nur eine der vielen reizvollen Reibungen mit Shakespeares Vorlage.

Es sind immer noch die Familien York und Lancaster, wie schon im 16. Jahrhundert beim Königsdrama „Richard III", das auf dem historischen „Rosenkrieg" (1455 bis 1485) in England basiert. Allerdings wird der Schauplatz durch Off-Kommentare aus dem Fernsehen nach Berlin verlegt: Auf der Baustelle einer Moschee verhandelt der Clan Rashidas ungewollte Heirat mit Ali Lancaster. Später wird der Hintergrund immer abstrakter, zu einer Seelenlandschaft: vom Feldlager in einem riesigen Zelt auf Sandboden bis zu nebligen Traumlandschaften wie beim Hexensabbat in Roman Polanskis Film „Macbeth" (1971). Doch das sagenhafte Schauspiel zieht einen immer wieder in seinen Bann. Der sensationelle Film kommt ohne ausufernde Schießereien, Verfolgungsjagden und dergleichen aus, allein die Kraft der Worte und des Ausdrucks machen „Kein Tier. So wild" allein hochspannend. Das Drehbuch nach Shakespeares Vorlage haben Enis Maci und Qubani eng am Originaltext und dennoch zeitgemäß deftig geschrieben. Neben Kenda Hmeidan, die in der Hauptrolle fast schon tyrannisch dominiert, begeistert Weltstar Hiam Abbass („Die syrische Braut") als Rashidas treuergebene Ziehmutter und mit Rasierklinge die mörderischste Gefährtin.

Dazu starke Bilder, wie ein See aus Blut um Rashida, die einem den Atem rauben. „Kein Tier. So wild." ist eine Mischung aus den realistischen Gesellschaftsdramen eines Rainer Werner Fassbinder und den Historienepen eines Pier Paolo Pasolini. Das Können von Regisseur und Co-Autor Burhan Qurbani ist tatsächlich so groß, dass man ihn neben solche Namen stellen kann. Der Ausruf „Wir sind hier keine Bittsteller mehr" bringt die durchgehend klare Aussage zum Stand der Integration in Deutschland auf den Punkt. Wobei Burhan Qurbani dies über den gesamten Film hinweg differenziert darstellt. Sonst könnte man sich ohne „Kein Tier. So wild." gesehen zu haben, fälschlicherweise darüber aufregen, dass nur arabische Clanmitglieder zu sehen sind. Mit dem herrlichen Witz, dass auch die „Kartoffeln" namens Müller zum Clan gehören: Elisabet Müller-York.

Die gebrochene Figur des Richard hat schon immer fasziniert, auch das Kino: 1955 spielte ihn die britische Theater- und Filmlegende Laurence Olivier in seiner eigenen Inszenierung. Unvergessen ist auch Ian McKellens Interpretation von 1995 unter der Regie von Richard Loncraine. Dieser verlegte das Drama in ein England der 1930er Jahre voller Neonazis. 1996 drehte Al Pacino den Dokumentar- und Erklärfilm „Looking for Richard" über Shakespeares Hit. Und natürlich ist er auch auf deutschen Bühnen ein Dauerbrenner, man denke nur an Thomas Ostermeiers Version an der Berliner Schaubühne mit Lars Eidinger in der Titelrolle.

Nun also Burhan Qurbani, der bereits 2013 mit dem packenden und aufrüttelnden Spielfilm Wir sind jung. Wir sind stark." begeisterte. In einer grandiosen Inszenierung rekonstruierte er die dramatischen Tage von Rostock-Lichtenhagen, als 1992 ein rechter Mob ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter belagerte. Ein historischer Sündenfall der neuen, wiedervereinigten Bundesrepublik. In „Berlin Alexanderplatz" zeigte Qurbani 2020 den „Untergang eines Mannes, der gut sein wollte", also die Geschichte von Döblins Franz Biberkopf, der jetzt Francis B. heißt und Bootsflüchtling aus Afrika ist. Der Regisseur machte aus Döblins innovativem Roman der 20er Jahre (1929) ein zeitgemäßes, kraftvolles Drama mit eigener Bildsprache. „Berlin Alexanderplatz" war beim Deutschen Filmpreis 2020 für 11 Lolas nominiert und gewann fünf davon. Burhan lebt und arbeitet in Berlin, dem Drehort von „Kein Tier. So wild."

„Kein Tier. So wild." (Deutschland/Frankreich/Polen 2024), Regie: Kenda Hmeidan, Verena Altenberger, Hiam Abbass 142 Min., FSK: ab 16.

14.4.25

Ice Aged



„Ice Aged" von Alexandra Sells zeigt sechs Frauen und Männer über 60, deren Leben von der Leidenschaft für den Eiskunstlauf geprägt ist. Der berührende Dokumentarfilm lässt erleben, dass es nie zu spät ist, seine Träume zu verwirklichen. Mit liebevollen Details und humorvollen Anekdoten werden die Helden von „Ice Aged" vorgestellt: Da ist die erfolgreiche Ingenieurin Elena, deren Spitzname „Kernkraftwerk" ironisch ihre energische Wandlung zur Eisprinzessin untermalt. Sie marschiert anfangs im kindlichen Kostüm von Minnie Maus in die Eishalle, später hören wir, dass sie manchmal Jahre an einem Paillettenkleid näht. Oder die Niederländerin Toos, die mit Holzschuhen durchs Wohnzimmer tanzt und die Geschichte ihres Teppichs erzählt, den sie aus unglücklicher Liebe geknüpft hat. Oder das britische Tanztrio aus einer Polizistin, einer krebskranken Ex-Olympionikin und ihrem ehemaligen Teenie-Fan. Und der US-Boy Roland Sukale, der immer noch aussieht wie der junge Eiskunstläufer, der von seinen Eltern nie beachtet wurde. Nur die Sprünge sind nicht mehr so hoch wie damals. Dann Lissi, die Preisrichterin von fünf Olympischen Spielen, die sich aus Altersgründen auf den Freizeitsport konzentrieren muss. Die Schwierigkeiten, sich in die engen Kostüme zu zwängen, oder die Trockenübungen in den Bergen unter den neugierigen Blicken der Hühner verleihen dem Film eine charmante menschliche Note.

Die Protagonisten schenken der Doku vieles, sogar das klassische Drama vor dem Finale. „Manchmal sind Träume größer, als das Leben erlaubt", heißt es dann nüchtern. „Ice Aged" entzieht sich den Konventionen von Sportdokumentationen, keine Kür wird in voller Länge gezeigt. Seine Stärke liegt vielmehr in der Konzentration auf die Persönlichkeiten, ihre täglichen Herausforderungen und ihre Leidenschaft. Das Besondere ist der von Regisseurin Alexandra Sells gesprochene Kommentar, der mit viel Humor und im Ton einer Alexander-Kluge-Chronik das Leben dieser Menschen reflektiert und ihr Streben nach Glück in eine universelle, märchenhafte Parabel verwandelt.

„Ice Aged" (Deutschland 2024), Regie: Alexandra Sell, mit Elena Rickmann, Toos van Urk, Roland Suckale 114 Min., FSK: ab 0.

11.3.25

Bird

Das Leben der 12-jährigen Bailey scheint wie geschaffen für hartes englisches Sozialdrama: Getrennt von der Mutter, die vier Kinder von vier verschiedenen Männern hat. Ein viel zu junger, verantwortungslos verrückt lebender Vater. Und das alles in prekären Wohnverhältnissen. Doch die renommierte Autorenfilmerin Andrea Arnold macht daraus in „Bird" ein poetisches, wunderbares und überraschend junges Werk. Der deutsche Ausnahmeschauspieler Franz Rogowski („Transit", „Große Freiheit") spielt eine berührende Nebenrolle.

Die burschikose Bailey lebt mit ihrem heftig tätowierten Vater Bug (Barry Keoghan) in einem besetzten Haus in Kent. Zwischen Rebellion und Träumereien trifft sie in den Wiesen vor der heruntergekommenen Siedlung auf einen ungewöhnlich freundlichen Mann mit Rock. Bailey ist fasziniert von Bird (Franz Rogowski) und begleitet ihn auf der Suche nach seinem Vater. Währenddessen werden Baileys Geschwister und ihre Mutter von deren neuem, gewalttätigen Liebhaber bedroht.

Die 1961 geborene Andrea Arnold wurde nach einer Karriere als Schauspielerin 2006 in Cannes mit „Red Road" als Regisseurin international bekannt und gewann dort dreimal den Jury-Preis („Red Road", „Fish Tank" 2009, „American Honey" 2016), eine Besonderheit. Auch „Bird" feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb von Cannes. Arnolds Filme zeichnen sich oft durch einen realistischen, sozialkritischen Stil und starke weibliche Charaktere aus.

„Bird" zeigt heruntergekommene Wohnsiedlungen und Momente seltsamer Schönheit darin. Bailey, grandios gespielt von der Newcomerin Nykiya Adams, erlebt herzzerreißende Lebenssituationen für Kinder, Gewalt und Armut, verliert aber nie Optimismus und Mut. Immer begleiten sie Tiere im Bild. Erst eine Möwe, dann, wenn sie sich die Augen schwarz schminkt, ein Rabe, der auf märchenhafte Weise hilfreich wird. Fantastisch, wunderbar und einzigartig schließlich das traumhafte Finale. Eine stimmige und bezaubernd schöne Tiermetaphorik begleitet Baileys Erwachsenwerden. Andrea Arnold, die selbst aus Kent stammt, beweist mit dem teilweise autobiografischen „Bird" ein großes Herz für Menschen und Filmkunst.

„Bird" (Großbritannien/Frankreich/Deutschland/USA 2024), Regie: Andrea Arnold, mit Nykiya Adams, Barry Keoghan, Franz Rogowski 119 Min., FSK: ab 16.

September & July

Das atmosphärische Drama „September & July" entführt die Zuschauer in die außergewöhnliche Beziehung der Schwestern September und July. September (Pascale Kann) ist die Ältere, die July (Rakhee Thakrar) vor dem Mobbing der Mitschüler schützen will. Die beiden verständigen sich mit einer eigenen Pfeifsprache, manchmal verscheucht September Missliebige durch ihr Knurren. Mit blauen Regenmänteln sind sie unübersehbar, Septembers Abneigung gegen rotes Fleisch und rote Weingummis setzt sie gegen die Mutter Sheela (Rakhee Thakrar) durch. Das Familienleben ist ein ungewöhnliches mit den kreativen Fotoinstallationen der Künstlerin Sheela, welche immer nur die Schwestern zeigen. Ihr Motto: "Nur langweilige Menschen langweilen sich! Aber das Verhältnis erweist sich auch als besonders innig, wenn sich die drei ein Zelt im Wohnzimmer bauen und Schwüre der Verbundenheit austauschen.

Bestimmend - und der Originaltitel - ist das immer wieder mal sadistische Spiel „September Says": Die große Schwester September sagt etwas und July muss es tun. Das ist mal ein bizarrer Tanz, mal ein Messerschnitt am Hals. Der witzige und skurrile Ton dieses ungewöhnlichen Psychodramas ändert sich im letzten Teil: Die Handlung gewinnt an Intensität, als July ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht und sich heftig von ihrer dominanten Schwester löst. Nicht jede Szene bis dahin war zwingend, doch die finale Überraschung für Nicht-Leser der Vorlage gibt dem intensiven Drama zusätzliches Gewicht.

Das Regiedebüt der französisch-griechischen Schauspielerin Ariane Labed („Attenberg", „The Lobster", „Assassin's Creed") basiert auf dem Roman „Die Schwestern" von Daisy Johnson. Typisch für Labed seit ihren ersten Filmen sind körperlich sehr expressive Einlagen, die sie nun an ihre jungen Figuren weitergibt. Der Stil erinnert mit unkonventionellen Erzähltechniken und surrealen Elementen an die griechische New Wave. Diese wurde auch von Labeds heutigem Ehemann Giorgos Lanthimos („The Lobster", „Poor Things") geprägt. In der Gleichzeitigkeit von Figuren wie Themen in fremden und eigenen Filmen ähnelt Labed der angesagten Starregisseurin Greta Gerwig („Barbie").

„September Says" (USA 2024), Regie: Ariane Labed, mit Pascale Kann, Mia Tharia, Rakhee Thakrar 100 Min., FSK: ab 16.

10.2.25

Hundreds of Beavers

 

Flauschig schräger Humor

Ein besoffenes Musicalstück zu Beginn zeigt Jean Kayak im Mittleren Westen der USA inmitten einer animierten Werbung für Apfelschnaps. Bis unserer Hauptfigur seine Cidre-Brennerei und der ganze Apfelhain wegen Biber-Knabbereien abbrennt. In den verschneiten Trümmern seines vergangenen Glücks beginnt ein Kampf mit den Elementen. Kayak erleidet fast alles, was das Slapstick-Archiv der Filmgeschichte hergibt: umstürzende Bäume, lebensgefährliche Eiszapfen oder Fallen, die den Erbauer selbst überlisten. 

Der „fur trapping fotoplan“ „Hundreds of Beavers“ bietet etwas Einzigartiges: Regisseur Mike Cheslik lässt seine Figuren vor animierten Hintergründen agieren und mit Hunderten von Statisten in mannshohen Plüschkostümen von Hasen, Bibern, Waschbären und Stinktieren interagieren - auf ihren Hinterbeinen. Das schlichte Spektakel im Stil alter Stummfilme mit Schwarzweiß, Lochblenden und Schrifttafeln soll nur 150.000 Dollar gekostet haben. Doch es ist kein stummer, sondern ein wortloser, aber manchmal recht lauter Film. Dabei ist die lässige Haltung der Schauspieler im Hasenplüsch ebenso komisch wie die riesigen Zähne der Biber oder die schwarzen Kreuze auf den Knopfaugen der toten Tiere.

Weil Kayak Nahrung braucht, macht er Jagd auf (Riesen-) Hasen und scheitert dabei ebenso beharrlich wie der Trapper Elmer Fudd an Bugs Bunny in der Zeichentrickserie „Looney Tunes“. Doch Kayaks eigentlicher Endgegner ist der Biber, was zu vielen weiteren peinlichen Niederlagen führt. Weil ständiges Scheitern über eine Stunde lang nicht mehr lustig wäre, kommt noch eine Liebesgeschichte mit der Tochter eines Pelzhändlers hinzu. Deren eifersüchtiger Vater ausgerechnet die titelgebenden hundert Biber als Brautgabe fordert.

Mike Chesliks Nobudget-Spaß ist eine schwarz-weiße Stummfilm-Slapstick-Komödie im Stil von Buster Keaton und Charlie Chaplin, im Geiste der Regisseure David Lynch („Eraserhead“) und Guy Maddin („Careful“), mit dem Humor von Monty Pythons Trickfilmgenie Terry Gilliam oder Studio Ghiblis verrückt-wilden Marderhunden (Tanuki) in „Pom Poko“. „Hundreds of Beavers“ steckt voller verrückter, bescheuerter und auch genialer Ideen, aber zeitweise geriet die Handlung doch dünn, wenn lange Strecken vor dem surrealen Aktion-Finale mit der großen Biberverschwörung wie ein Computerspiel namens Biberfang ablaufen. Das ist mehr Kunst als Kino, mehr Quatsch als Comedy, lässt einen aber auf jeden Fall schmunzelnd zurück.

In der Hauptrolle brilliert Ryland Brickson Cole Tews, der gemeinsam mit Regisseur Mike Cheslik auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet.

„Hundreds of Beavers“ (USA 2022), Regie: Mike Cheslik, mit Ryland Brickson Cole Tews, Olivia Graves, Doug Mancheski 108 Min., FSK: ab 12.