Wer hat Lust auf einen Streit über Corona-Masken, „Black Lives Matter", amerikanischen Waffenwahn, Verschwörungstheorien und den Niedergang der Demokratie? US-Regisseur Ari Aster, von dem nach „Beau Is Afraid" mit Joaquin Phoenix und den hochgelobten Horrorfilmen „Midsommar" sowie „Hereditary – Das Vermächtnis" viel erwartet wird, packt in seinen Corona-Western „Eddington" und das gleichnamige Dörfchen etwas zu viel Mikrokosmos für eine rundum gelungene Gesellschaftssatire. Alles beginnt mit dem Streit zwischen dem simplen Sheriff Joe Cross (vielschichtig: Joaquin Phoenix) und dem erfolgreichen Bürgermeister Ted Garcia (eher am Rande: Pedro Pascal), weil Letzterer mal etwas mit Joes labiler Frau Louise (Emma Stone) hatte. So entscheidet sich der Gesetzeshüter, ohne viel nachzudenken, dazu, selbst als Bürgermeister zu kandidieren und fortan mit einem albern vollplakatierten Dienstwagen herumzufahren. Um die beiden dämlichen Männer versammeln sich im Frühjahr 2020 haufenweise hysterische Besserwisser. Unter den 2 345 Einwohnern gibt es Corona-Leugner und Black-Lives-Matter-Protestierende infolge des Todes von George Floyd in Minneapolis. Der junge schwarze Hilfssheriff denkt derweil nur an sein Beziehungsproblem. Es gibt Streit um die Ansiedlung eines Rechenzentrums mit dem märchenhaften Namen „Solidgoldmagikarp" (was mit viel Gold und fliegendem Teppich). Der QAnon-Guru Vernon Jefferson Peak (Austin Butler) spannt Joe die ebenfalls spinnerte Frau aus, und irgendwann fallen erste Schüsse – ein Männlein sieht rot.
Diese fast surreale Anhäufung von Krisenthemen und eskalierenden Situationen in „Eddington" betreibt selbst den beliebten „Whataboutism" der Querdenker: Wenn man meint, das zentrale Thema fixiert zu haben, ist längst ein anderes dran. Bis hin zum Splatter-Finale mit schwerem Geschütz in Western-Straßen und einem heftig zynischen „Happy End" für Joe und die Dorfgemeinschaft. Diese Anhäufung von Verwirrungen, künstlichen und sonstigen Aufregungen ist ebenso irre wie der totale Stimmungswechsel in „Midsommar". Quasi ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Abwege – aber will man im Kino noch mehr davon sehen? „Eddington" sorgte schon bei seiner Premiere in Cannes für heftige Diskussionen und wird das auch weiterhin tun.
Eddington
(USA 2025), Regie: Ari Aster, mit Joaquin Phoenix, Pedro Pascal, Emma Stone, 148 Minuten, FSK: ab 16
17.11.25
8.11.25
Die my love
„My Love" erzählt die Geschichte von Grace (Jennifer Lawrence) und Jackson (Robert Pattinson), die gerade in ein geerbtes altes Landhaus gezogen sind. Mit dem Ziel, ein Buch zu schreiben, richtet sich Grace in ihrer abgeschiedenen Umgebung als junge Mutter ein. Dabei verliert sie jedoch zunehmend die Kontrolle über sich selbst. Zunächst liegt sie lasziv im Gras und masturbiert mit einer Hand in der Hose und der anderen am bedrohlichen Messer. Dann folgt ein idyllischer Spaziergang durch die Natur zur Melodie aus Disneys „Bambi"-Film, bei dem sie ein Pferd entdeckt, das noch Blut vom Autounfall des letzten Tages auf dem Fell hat. Die Tapete wird mit den Fingernägeln abgekratzt, das Bad heftig demoliert.
Der gutmeinende Jackson bringt einen nervtötenden Hund mit nach Hause, der alle in den Wahnsinn treibt – wenn sie nicht längst schon dort waren. Die impulsive Beziehung geht explosiv in eine zerstörerische Richtung. Zerstörerisch für die Inneneinrichtung – aber vor allem für Grace selbst. Auch der kleine, unerträgliche Hund muss dran glauben. Das Erschießen des Quälgeistes mag für einige genauso schockierend sein wie Niki de Saint Phalles Schießen auf das Bild des Vaters. Das Verhalten von Grace könnte feministisch „ungezähmt" genannt werden, glücklich ist mit der Situation niemand.
Das verstörende neue Drama von Lynne Ramsay beginnt mit der sexuellen „Einweihung" des alten Hauses, unterbrochen von Bildern eines lichterloh brennenden Waldes, in den die nackte Grace geht. Die renommierte Filmemacherin zeichnet in „Die My Love" schonungslos das Porträt einer Frau, die von Liebe und Wahnsinn verschlungen wird. Dem schweren psychischen Problem wird im Film kein Name gegeben, einige Kritiken nennen es postnatale Depression. Das ist in jedem Fall schwer erträglich, aber den kurz angetäuschten Tradwife-Trugschluss will man am Ende auch nicht sehen. Das extreme Drama erinnert ein wenig an Darren Aronofskys Tour de Force „mother!" (ebenfalls mit Lawrence, damals neben Javier Bardem), aber vor allem an filmische Beziehungskriege wie „Blue Valentine" von Derek Cianfrance mit Ryan Gosling.
Jennifer Lawrence („Silver Linings", „American Hustle") spielt intensiv. Mit dem Ex-Vampir Pattinson hat sich der Film zwar einen weiteren Star auf dem Poster eingehandelt (neben Nick Nolte und Sissy Spacek), aber keinen Gegenpart. Doch der schwache Partner mag auch so in der Vorlage von Ariana Harwicz angelegt sein.
Der von Jennifer Lawrence auch produzierte „Die my love" ist Lynne Ramsays neuester Film nach aufsehenerregenden Werken wie „Ratcatcher" (1999), „Morvern Callar" (2002) oder „We Need to Talk About Kevin" mit Tilda Swinton (2011) als Mutter eines Amokläufers. Zuletzt drehte Ramsay „Swimmer" und „A Beautiful Day" mit Joaquin Phoenix. Trotz der Stars auf dem Plakat macht sie keine Filme für das große Publikum von „Die Tribute von Panem" oder „Twilight". Die Handlung in „Die my love" verläuft nicht chronologisch, die Farben wirken oft zu bunt, das Format ist das klassische 4:3 und das hat nichts mit der Auswertung beim Streaming-Anbieter „Mubi" zu tun.
Die my love
(Kanada 2025), Regie: Lynne Ramsay, mit Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Sissy Spacek, 118 Minuten, FSK: ab 16
Der gutmeinende Jackson bringt einen nervtötenden Hund mit nach Hause, der alle in den Wahnsinn treibt – wenn sie nicht längst schon dort waren. Die impulsive Beziehung geht explosiv in eine zerstörerische Richtung. Zerstörerisch für die Inneneinrichtung – aber vor allem für Grace selbst. Auch der kleine, unerträgliche Hund muss dran glauben. Das Erschießen des Quälgeistes mag für einige genauso schockierend sein wie Niki de Saint Phalles Schießen auf das Bild des Vaters. Das Verhalten von Grace könnte feministisch „ungezähmt" genannt werden, glücklich ist mit der Situation niemand.
Das verstörende neue Drama von Lynne Ramsay beginnt mit der sexuellen „Einweihung" des alten Hauses, unterbrochen von Bildern eines lichterloh brennenden Waldes, in den die nackte Grace geht. Die renommierte Filmemacherin zeichnet in „Die My Love" schonungslos das Porträt einer Frau, die von Liebe und Wahnsinn verschlungen wird. Dem schweren psychischen Problem wird im Film kein Name gegeben, einige Kritiken nennen es postnatale Depression. Das ist in jedem Fall schwer erträglich, aber den kurz angetäuschten Tradwife-Trugschluss will man am Ende auch nicht sehen. Das extreme Drama erinnert ein wenig an Darren Aronofskys Tour de Force „mother!" (ebenfalls mit Lawrence, damals neben Javier Bardem), aber vor allem an filmische Beziehungskriege wie „Blue Valentine" von Derek Cianfrance mit Ryan Gosling.
Jennifer Lawrence („Silver Linings", „American Hustle") spielt intensiv. Mit dem Ex-Vampir Pattinson hat sich der Film zwar einen weiteren Star auf dem Poster eingehandelt (neben Nick Nolte und Sissy Spacek), aber keinen Gegenpart. Doch der schwache Partner mag auch so in der Vorlage von Ariana Harwicz angelegt sein.
Der von Jennifer Lawrence auch produzierte „Die my love" ist Lynne Ramsays neuester Film nach aufsehenerregenden Werken wie „Ratcatcher" (1999), „Morvern Callar" (2002) oder „We Need to Talk About Kevin" mit Tilda Swinton (2011) als Mutter eines Amokläufers. Zuletzt drehte Ramsay „Swimmer" und „A Beautiful Day" mit Joaquin Phoenix. Trotz der Stars auf dem Plakat macht sie keine Filme für das große Publikum von „Die Tribute von Panem" oder „Twilight". Die Handlung in „Die my love" verläuft nicht chronologisch, die Farben wirken oft zu bunt, das Format ist das klassische 4:3 und das hat nichts mit der Auswertung beim Streaming-Anbieter „Mubi" zu tun.
Die my love
(Kanada 2025), Regie: Lynne Ramsay, mit Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Sissy Spacek, 118 Minuten, FSK: ab 16
3.11.25
Dann passiert das Leben
Die Rollos vor den Fenstern schließen pedantisch pünktlich Licht und Leben aus der großen Wohnung von Hans und Rita aus - wie eine Guillotine für ihre langjährige Ehe. Er (Ulrich Tukur) ist Schuldirektor kurz vor der Pensionierung, sie (Anke Engelke) reagiert allergisch auf jede Veränderung. Klar, dass das Probleme bringt. Hans könnte sich ein Hobby zulegen, doch das Kinderzimmer des längst ausgezogenen Sohnes Tom darf nicht angerührt werden. Der Fliesenkauf für das Badezimmer könnte eine Paartherapie sein, aber nach einer sexuellen Anspielung des Verkäufers vernichtet Rita ihn mit spitzer Zunge. Erschreckend und gleichzeitig komisch ist es, wenn Hans und Rita sich dabei synchron die Lesebrillen aufsetzen.
Die drohende Pensionierung bringt Ritas Ängste zum Vorschein, die sich in gnadenlosen Urteilen und einer fast aggressiven Ablehnung jeder Veränderung äußern. Doch schon vorher muss ihre Ehe in eine synchrone Routine übergegangen sein. Sie schlafen nicht mehr miteinander, teilen kaum noch Berührungen und selbst die gemeinsame Wohnung wirkt wie ein geteiltes Territorium. Als der Fernseher ausfällt, legt sich bleierne Stille über den Raum. Hans freut sich, wenn das Rollo streikt und er etwas zu tun hat. Rita begeistert sich für Graugänsebiologie in Podcasts und bei ihren einsamen Schwimmrunden.
Dann „passiert" ein Unfall auf einer Autofahrt – Rita sieht den Radfahrer nicht, weil sie Hans endlich sagen will, dass er sie nicht mehr sieht. Doch statt gegenseitiger Annäherung der gemeinsam Schuldigen folgt ein Weiterleben im Gegeneinander. Die Szene, in der ein Entenpaar im Teich vor dem Haus vom Fuchs auseinandergerissen wird, ist dann beim Zuschauen zu viel, zu konstruiert, zu gewollt.
„Dann passiert das Leben" leidet keineswegs darunter, dass es ein Kammerspiel über zwei Menschen ist, die sich in ihrer Routine eingerichtet haben. Viele Momente sind treffend beobachtet. Anke Engelke und Ulrich Tukur tragen den Film mit nuanciertem Spiel. Multitalent Engelke, trotz bemerkenswerter Werke wie „Perfekt Verpasst", „Mutter" oder „Deutsches Haus" oft unterschätzt, zeigt hier ihre ganze Bandbreite zwischen kontrollierter Härte und verletzlicher Starrheit. Tukur („Und wer nimmt den Hund?", „Aus dem Nichts", „John Rabe"), nicht zuletzt ein Chamäleon als Tatort-Kommissar Murot, gibt Hans eine stille Verzweiflung, die sich in kleinen Gesten und Blicken offenbart. Regisseurin Neele Leana Vollmar, bekannt für ihre Kinderfilme „Rico, Oskar und die Tieferschatten", „Rico, Oskar und der Diebstahlstein", „Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!" und die Literaturverfilmung „Maria, ihm schmeckt's nicht!", wagt sich mit eigenem Drehbuch an ein persönliches Liebesdrama – und zeigt dabei Gespür für Zwischentöne.
„Dann passiert das Leben" will ein leiser Film über das große Schweigen sein – über das, was bleibt, wenn die Liebe sich in Gewohnheit verwandelt. Doch bei aller Feinfühligkeit fehlt ihm die Balance zwischen Humor und Tiefe, die solche tieftraurigen Stoffe erträglich macht. Da ist nicht der bissige Witz aus „Und wer nimmt den Hund?" (2019, Regie: Rainer Kaufmann), ebenfalls mit Anke Engelke und Ulrich Tukur. Ganz zu schweigen von der dramatischen Wucht großer Meisterwerke wie „The Ice Storm" (1997, Regie: Ang Lee) oder, ganz aktuell, der brillant bitteren Schlagfertigkeit des Scheidungskriegs „Roses" (2025, Regie: Jay Roach). „Dann passiert das Leben" hängt irgendwie dazwischen: temperierte Leidenschaften – aber gerade das will man ja nicht, weder in der Beziehung noch im Kino.
Die poetische Leichtigkeit, die Vollmar in ihren Kinderfilmen oft gelingt, bleibt hier aus. Keine großen Ideen, keine Kinomomente, die über das Alltägliche hinausweisen. Tatsächlich hat sie diesmal ein eigenes Drehbuch verfilmt und greift eine Idee auf, die sie während ihres Studiums an der Filmakademie hatte. Im Kurzfilm „Meine Eltern" stand ein älteres Paar im Mittelpunkt, das durch den Besuch seiner Tochter wieder zueinanderfindet.
Dann passiert das Leben
(Deutschland 2025), Regie: Neele Leana Vollmar, mit Anke Engelke, Ulrich Tukur, Lukas Rüppel, 123 Minuten, FSK: ab 6
4.10.25
Zweigstelle
Deutsche Bürokratie ist die Hölle – aber was wäre, wenn auch der Himmel piefig deutsch und bürokratisch arbeiten würde? Julius Grimm unterhält in seinem Langfilmdebüt, der Komödie „Zweigstelle", mit vielen netten und schrägen Ideen.
Resis Trennungsgesprächs-Übung mit ihrer Freundin war ziemlich überflüssig, denn Beziehungspartner Michi Wagner kommt ihr mit der Offenlegung eines tödlichen Tumors zuvor. Drei Jahre später ist Resi (Sarah Mahita) genau da, wo sie auf keinen Fall sein wollte. Auf dem Dorf als Teil des bäuerlichen Familienbetriebs Wagner. Aber endlich frei, denn Michi (Julian Gutmann) ist inzwischen gestorben. Es bleibt nur noch ein letzter Wunsch: seine Asche oben auf einem Berg zu verstreuen – gegen den Willen seiner Eltern. Und so geht es komödiantisch weiter: Die Urne kippt um und die Überreste werden mit dem Handstaubsauger aufgesaugt. Nach dem Diebstahl eines Plastikbeutels voller Überreste ihres ehemaligen Verlobten starten vier Freunde ins übliche Roadmovie, um den letzten Wunsch zu erfüllen. Am Steuer dieser illegalen Aktion sitzt die Polizistin Sophie (Nhung Hong). Bis zur nächsten Kreuzung, an der ein Laster und ein alberner Unfall dem Film eine neue Richtung geben ...
Den vier Freunden dämmert langsam, dass die verstaubte bayerische Bürokratie, in der sie in Feinripp-Unterwäsche stehen, die „Zweigstelle Süddeutschland", die Vorstufe von Himmel oder Hölle ist. Am sehr menschlichen Empfang gibt es überarbeitete Engel, Bürokratinnen im Woll-Kostümchen und sehr viele Regeln. Die Einrichtung ist irgendwie in den Sechzigern steckengeblieben – nicht nur ästhetisch mit Pastellgelb und -grün zwischen der Holzvertäfelung, sondern auch vom Servicecharakter her. Obwohl hier die Erfahrung einer Ewigkeit vorliegen sollte, funktioniert nicht viel: Der Automat für Bearbeitungsnummern ist bei 999.999 ans Ende seiner Zahlen gekommen und wird unendlich langsam von Hand zurückgedreht. Mel (Beritan Bali), die gerade wiederbelebt wird, verschwindet immer wieder aus dem Amt. Das Nichts als Zielort für alle Ungläubigen befindet sich hinter einer der vielen Türen der Bürogänge, ist aber gerade defekt. Dafür wird hier sehr auf den korrekten Gebrauch des Genitivs geachtet und „von dem Genitiv" sofort korrigiert.
Auch wenn wir uns eigentlich schon in der Hölle der deutschen Bürokratie befinden, geht es um die Weiterleitung der Seele, nachdem der Glaube geprüft wurde. „Das Nichts" droht allen, die an nichts geglaubt haben. Dabei reicht es, an den Film „In einem Land vor unserer Zeit" zu glauben. Philipps Behauptung, Buddhist zu sein, wird in der Unterabteilung mit dem defekten Drucker bald als Lüge enttarnt. Während Resi auf ihre Bearbeitungsnummer 0 wartet, bewirbt sie sich derweil als Praktikantin beim netten Hausmeister Rainer Bock, immer mit einem Auge auf den Schlüsselbund, der vielleicht zu einem guten Ausgang führt. Mit seinem goldenen Kugelschreiber bewirkt er kleine Wunder.
„Zweigstelle" erzählt eine nette Geschichte und begeistert mit einem Feuerwerk schräger Ideen. Das Drehbuch von Regisseur Julius Grimm und Koautor Fabian Krebs besticht durch einen skurrilen Humor, wie man ihn eher in skandinavischen oder niederländischen Filmen sieht, in deutschen jedoch selten. Als Maßstab wäre Wes Anderson für dieses Langfilmdebüt nach einigen Kurzfilmen allerdings zu hoch gegriffen, auch wenn die Ausstattungslinie gelungen ist. Irgendwie geht es um Resis Entscheidung zwischen einem aufopferungsvollen Leben und Selbsterfüllung. Resi wollte und will nur ihr eigenes Leben leben. Allzu tiefe Erkenntnisse liefert das nicht. Dafür ist alles gut inszeniert und gespielt und zudem unterhaltsam flott geschnitten. Generell muss man tolerieren, dass der Dialekt sehr bayerisch ist und die Handlung allein im katholischen Denksystem funktioniert.
Rick Kavanian („Der Schuh des Manitu") als Bestattungsunternehmer zeigt, wo der mal alberne, mal skurrile Humor einzuordnen ist. Diese „Zweigstelle" macht viel Spaß, weil den Machern in schneller Folge immer wieder etwas Witziges und Originelles eingefallen ist. Im Schauspielteam sind Kabarettisten wie Maximilian Schafroth oder Luise Kinseher. Rainer Bock, den man aus „Karla" als einfühlsamen Richter kennt, spielt hier einen freundlichen und hilfsbereiten Hausmeister der Himmels-Bürokratie. Dazu gibt es Live-Musik der komödiantischen Italo-Band „Roy Biancho & Die Abbrunzati Boys".
Zweigstelle
(Deutschland 2025), Regie: Julius Grimm, mit Sarah Mahita, Nhung Hong, David Ali Rashed, 98 Minuten, FSK: ab 6
Resis Trennungsgesprächs-Übung mit ihrer Freundin war ziemlich überflüssig, denn Beziehungspartner Michi Wagner kommt ihr mit der Offenlegung eines tödlichen Tumors zuvor. Drei Jahre später ist Resi (Sarah Mahita) genau da, wo sie auf keinen Fall sein wollte. Auf dem Dorf als Teil des bäuerlichen Familienbetriebs Wagner. Aber endlich frei, denn Michi (Julian Gutmann) ist inzwischen gestorben. Es bleibt nur noch ein letzter Wunsch: seine Asche oben auf einem Berg zu verstreuen – gegen den Willen seiner Eltern. Und so geht es komödiantisch weiter: Die Urne kippt um und die Überreste werden mit dem Handstaubsauger aufgesaugt. Nach dem Diebstahl eines Plastikbeutels voller Überreste ihres ehemaligen Verlobten starten vier Freunde ins übliche Roadmovie, um den letzten Wunsch zu erfüllen. Am Steuer dieser illegalen Aktion sitzt die Polizistin Sophie (Nhung Hong). Bis zur nächsten Kreuzung, an der ein Laster und ein alberner Unfall dem Film eine neue Richtung geben ...
Den vier Freunden dämmert langsam, dass die verstaubte bayerische Bürokratie, in der sie in Feinripp-Unterwäsche stehen, die „Zweigstelle Süddeutschland", die Vorstufe von Himmel oder Hölle ist. Am sehr menschlichen Empfang gibt es überarbeitete Engel, Bürokratinnen im Woll-Kostümchen und sehr viele Regeln. Die Einrichtung ist irgendwie in den Sechzigern steckengeblieben – nicht nur ästhetisch mit Pastellgelb und -grün zwischen der Holzvertäfelung, sondern auch vom Servicecharakter her. Obwohl hier die Erfahrung einer Ewigkeit vorliegen sollte, funktioniert nicht viel: Der Automat für Bearbeitungsnummern ist bei 999.999 ans Ende seiner Zahlen gekommen und wird unendlich langsam von Hand zurückgedreht. Mel (Beritan Bali), die gerade wiederbelebt wird, verschwindet immer wieder aus dem Amt. Das Nichts als Zielort für alle Ungläubigen befindet sich hinter einer der vielen Türen der Bürogänge, ist aber gerade defekt. Dafür wird hier sehr auf den korrekten Gebrauch des Genitivs geachtet und „von dem Genitiv" sofort korrigiert.
Auch wenn wir uns eigentlich schon in der Hölle der deutschen Bürokratie befinden, geht es um die Weiterleitung der Seele, nachdem der Glaube geprüft wurde. „Das Nichts" droht allen, die an nichts geglaubt haben. Dabei reicht es, an den Film „In einem Land vor unserer Zeit" zu glauben. Philipps Behauptung, Buddhist zu sein, wird in der Unterabteilung mit dem defekten Drucker bald als Lüge enttarnt. Während Resi auf ihre Bearbeitungsnummer 0 wartet, bewirbt sie sich derweil als Praktikantin beim netten Hausmeister Rainer Bock, immer mit einem Auge auf den Schlüsselbund, der vielleicht zu einem guten Ausgang führt. Mit seinem goldenen Kugelschreiber bewirkt er kleine Wunder.
„Zweigstelle" erzählt eine nette Geschichte und begeistert mit einem Feuerwerk schräger Ideen. Das Drehbuch von Regisseur Julius Grimm und Koautor Fabian Krebs besticht durch einen skurrilen Humor, wie man ihn eher in skandinavischen oder niederländischen Filmen sieht, in deutschen jedoch selten. Als Maßstab wäre Wes Anderson für dieses Langfilmdebüt nach einigen Kurzfilmen allerdings zu hoch gegriffen, auch wenn die Ausstattungslinie gelungen ist. Irgendwie geht es um Resis Entscheidung zwischen einem aufopferungsvollen Leben und Selbsterfüllung. Resi wollte und will nur ihr eigenes Leben leben. Allzu tiefe Erkenntnisse liefert das nicht. Dafür ist alles gut inszeniert und gespielt und zudem unterhaltsam flott geschnitten. Generell muss man tolerieren, dass der Dialekt sehr bayerisch ist und die Handlung allein im katholischen Denksystem funktioniert.
Rick Kavanian („Der Schuh des Manitu") als Bestattungsunternehmer zeigt, wo der mal alberne, mal skurrile Humor einzuordnen ist. Diese „Zweigstelle" macht viel Spaß, weil den Machern in schneller Folge immer wieder etwas Witziges und Originelles eingefallen ist. Im Schauspielteam sind Kabarettisten wie Maximilian Schafroth oder Luise Kinseher. Rainer Bock, den man aus „Karla" als einfühlsamen Richter kennt, spielt hier einen freundlichen und hilfsbereiten Hausmeister der Himmels-Bürokratie. Dazu gibt es Live-Musik der komödiantischen Italo-Band „Roy Biancho & Die Abbrunzati Boys".
Zweigstelle
(Deutschland 2025), Regie: Julius Grimm, mit Sarah Mahita, Nhung Hong, David Ali Rashed, 98 Minuten, FSK: ab 6
30.9.25
Karla
Bei einem Sommerausflug der Familie nutzt die zwölfjährige Karla das Versteckspiel, um wegzulaufen. Damit will sie das Verstecken des Missbrauchs durch den Vater beenden. Inspiriert von einem wahren Fall erzählt das feinfühlige und bewegende Drama „Karla" vom kaum vorstellbaren Kampf eines Mädchens um Gerechtigkeit und ein gutes Leben.
Mitten in einer Nacht des Jahres 1962 steht das stille, aber entschlossene Mädchen Karla Ebel (Elise Krieps) in einem Polizeirevier und verlangt, den Richter zu sprechen. Sie zeigt ihren eigenen Vater wegen Vergewaltigung an. Ihr Wissen über die Rechtssituation und sogar den Wortlaut der Paragrafen hat sie in der Bibliothek erworben. Karla fragt zudem, ob Artikel 2 des Grundgesetzes – „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" – auch für Kinder gilt. Glücklicherweise landet der Fall bei dem verständnisvollen Richter Lamy (Rainer Bock), der zwar gutwillig, aber überarbeitet ist. Seine Sekretärin Erika Steinberg (Imogen Kogge) muss ihm erst zureden, damit er sich um diesen bis dahin einmaligen Fall kümmert. Sie macht dem verschlossenen Einzelgänger klar, dass es für Karla um ihre Würde geht. Und sie zitiert die Dichterin Mascha Kaléko: „Man braucht nur eine Insel allein im weiten Meer. Man braucht nur einen Menschen, den aber sehr."
So machen sich die beiden Geschundenen auf den schwierigen gemeinsamen Weg, eine Anklageschrift zu erstellen. Eine Situation, die noch heute unvorstellbar fordernd ist, ganz zu schweigen von den Sechzigern im schwarz-konservativen Deutschland Adenauers. Die Anzeige wurde damals ohne Anwesenheit einer Frau oder psychologischer Betreuung aufgenommen. Nach dem ersten Gespräch mit Lamy kommt Karla in einem von Nonnen geleiteten Heim unter und freundet sich mit einem Mädchen an, das früher als Prostituierte gearbeitet hat. Die Erinnerungen kommen im Büro des Richters und im Film nur ganz zögerlich zurück. Karla übergibt sich, wenn sie an die Vergewaltigungen denkt. Daraufhin gibt Lamy ihr eine Stimmgabel, die sie in den Momenten einsetzen soll, in denen sie nicht sprechen kann. Gleichzeitig stellt das aufbegehrende, vergewaltigte Kind mit seinem Verlangen nach Gehör und Ehrlichkeit das Rechtssystem auf die Probe.
Filmisch bleibt dieses Langfilmdebüt der Deutsch-Griechin Christina Tournatzés ebenfalls meist zurückhaltend und verzichtet beispielsweise fast ganz auf Musik. Dafür wirken die seltenen, expressiveren Stilmittel umso stärker und bauen von Anfang an Spannung auf. Einmal legt der Vater Karla nahe, sich im See umzubringen, was die vielen Bilder unter Wasser nachträglich erklärt. Ansonsten besticht die dezente Kameraarbeit des ausgezeichneten Florian Emmerich mit gedeckten, dunklen Farben. Im Interview erzählte die Regisseurin, dass sie ihren Film „ganz aus Karlas Perspektive – und immer auf Augenhöhe mit ihr" gestaltet hat.
Dass „Karla" sein schwieriges Thema auf derart sensible Weise meistert, liegt auch am fesselnden Spiel der Debütantin Elise Krieps, sichtbar die Tochter von Wiebke Krieps („Der seidene Faden" 2017, „Bergman Island" 2021, „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste" 2023). Sie verkörpert Karla mit einer stillen Kraft, die besonders intensiv wirkt, wenn sie nichts sagt, nichts sagen kann. Rainer Bock beeindruckt als verständnisvoller Richter. Seine eindrucksvolle Figur zeigt, wie sich ein Mann ohne spezifische psychologische Ausbildung von Empathie leiten lassen kann. Imogen Kogge unterstützt als resolute Sekretärin mit tragischer KZ-Geschichte den Kampf um Gerechtigkeit.
Der letzte Teil ist dann als Epilog der spannenden emotionalen Abläufe ein Gerichtsfilm, in dem das Offensichtliche von allen Zeugen, von Täter, Mutter und Brüdern geleugnet und verschwiegen wird. „Karla" erinnert wegen des großen Schrittes für die Gerechtigkeit an „Der Staat gegen Fritz Bauer" (2015) über den ersten Auschwitz-Prozess unter Staatsanwalt Fritz Bauer. Auch bei „Karla" erinnert erst der Abspann an das unfassbare Ausmaß der Verbrechen. Bei Vergewaltigungen von Minderjährigen wird geschätzt, dass noch heute jedes fünfte Kind Opfer wird.
„Karla"
(Deutschland 2025), Regie: Christina Tournatzés, mit Elise Krieps, Rainer Bock, Imogen Kogge, 104 Minuten, FSK: ab 12
Mitten in einer Nacht des Jahres 1962 steht das stille, aber entschlossene Mädchen Karla Ebel (Elise Krieps) in einem Polizeirevier und verlangt, den Richter zu sprechen. Sie zeigt ihren eigenen Vater wegen Vergewaltigung an. Ihr Wissen über die Rechtssituation und sogar den Wortlaut der Paragrafen hat sie in der Bibliothek erworben. Karla fragt zudem, ob Artikel 2 des Grundgesetzes – „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" – auch für Kinder gilt. Glücklicherweise landet der Fall bei dem verständnisvollen Richter Lamy (Rainer Bock), der zwar gutwillig, aber überarbeitet ist. Seine Sekretärin Erika Steinberg (Imogen Kogge) muss ihm erst zureden, damit er sich um diesen bis dahin einmaligen Fall kümmert. Sie macht dem verschlossenen Einzelgänger klar, dass es für Karla um ihre Würde geht. Und sie zitiert die Dichterin Mascha Kaléko: „Man braucht nur eine Insel allein im weiten Meer. Man braucht nur einen Menschen, den aber sehr."
So machen sich die beiden Geschundenen auf den schwierigen gemeinsamen Weg, eine Anklageschrift zu erstellen. Eine Situation, die noch heute unvorstellbar fordernd ist, ganz zu schweigen von den Sechzigern im schwarz-konservativen Deutschland Adenauers. Die Anzeige wurde damals ohne Anwesenheit einer Frau oder psychologischer Betreuung aufgenommen. Nach dem ersten Gespräch mit Lamy kommt Karla in einem von Nonnen geleiteten Heim unter und freundet sich mit einem Mädchen an, das früher als Prostituierte gearbeitet hat. Die Erinnerungen kommen im Büro des Richters und im Film nur ganz zögerlich zurück. Karla übergibt sich, wenn sie an die Vergewaltigungen denkt. Daraufhin gibt Lamy ihr eine Stimmgabel, die sie in den Momenten einsetzen soll, in denen sie nicht sprechen kann. Gleichzeitig stellt das aufbegehrende, vergewaltigte Kind mit seinem Verlangen nach Gehör und Ehrlichkeit das Rechtssystem auf die Probe.
Filmisch bleibt dieses Langfilmdebüt der Deutsch-Griechin Christina Tournatzés ebenfalls meist zurückhaltend und verzichtet beispielsweise fast ganz auf Musik. Dafür wirken die seltenen, expressiveren Stilmittel umso stärker und bauen von Anfang an Spannung auf. Einmal legt der Vater Karla nahe, sich im See umzubringen, was die vielen Bilder unter Wasser nachträglich erklärt. Ansonsten besticht die dezente Kameraarbeit des ausgezeichneten Florian Emmerich mit gedeckten, dunklen Farben. Im Interview erzählte die Regisseurin, dass sie ihren Film „ganz aus Karlas Perspektive – und immer auf Augenhöhe mit ihr" gestaltet hat.
Dass „Karla" sein schwieriges Thema auf derart sensible Weise meistert, liegt auch am fesselnden Spiel der Debütantin Elise Krieps, sichtbar die Tochter von Wiebke Krieps („Der seidene Faden" 2017, „Bergman Island" 2021, „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste" 2023). Sie verkörpert Karla mit einer stillen Kraft, die besonders intensiv wirkt, wenn sie nichts sagt, nichts sagen kann. Rainer Bock beeindruckt als verständnisvoller Richter. Seine eindrucksvolle Figur zeigt, wie sich ein Mann ohne spezifische psychologische Ausbildung von Empathie leiten lassen kann. Imogen Kogge unterstützt als resolute Sekretärin mit tragischer KZ-Geschichte den Kampf um Gerechtigkeit.
Der letzte Teil ist dann als Epilog der spannenden emotionalen Abläufe ein Gerichtsfilm, in dem das Offensichtliche von allen Zeugen, von Täter, Mutter und Brüdern geleugnet und verschwiegen wird. „Karla" erinnert wegen des großen Schrittes für die Gerechtigkeit an „Der Staat gegen Fritz Bauer" (2015) über den ersten Auschwitz-Prozess unter Staatsanwalt Fritz Bauer. Auch bei „Karla" erinnert erst der Abspann an das unfassbare Ausmaß der Verbrechen. Bei Vergewaltigungen von Minderjährigen wird geschätzt, dass noch heute jedes fünfte Kind Opfer wird.
„Karla"
(Deutschland 2025), Regie: Christina Tournatzés, mit Elise Krieps, Rainer Bock, Imogen Kogge, 104 Minuten, FSK: ab 12
29.9.25
Nur für einen Tag
„Wenn du singst, vergesse ich meine Sorgen", trällert der Automechaniker Raphaël (Bastien Bouillon) seiner Jugendliebe Cécile auf der Eisbahn zu. Aus den Boxen erklingt das Chanson Femme Like U von K.Maro. Vielleicht hören aber auch nur die beiden diese Musik für ihr romantisches Duett auf der Eislauffläche. Denn „Nur für einen Tag" ist eines dieser wunderbaren Filmmusicals, in denen Menschen unvermittelt zu singen beginnen. Meist, wenn sie nicht mehr wissen, was sie sagen sollen.
Cécile (Juliette Armanet) weiß wirklich nicht weiter: Nach ihrem großen Erfolg in einer nationalen Fernsehkochshow fehlt der Gourmetköchin für ihr bald zu eröffnendes Restaurant in Paris noch das durchschlagende Rezept, das „Signature Dish". Aus ihrem erdrückenden Dauerstress kann sie ihr Freund Sofiane (Tewfik Jallab) nur mit einer lebensfrohen Tanzeinlage zu „Alors on danse" von Stromae befreien. Dabei ist Cécile die geborene Köchin: Aufgewachsen in der provinziellen Fernfahrer-Gaststätte ihrer Eltern, heißt sogar ihr alter Hund Bocuse nach dem berühmten Sternekoch. Doch nun muss sie „nur für einen Tag" in das Nest ihrer Kindheit zurückkehren, weil ihr Vater Gérard (François Rollin) auch nach dem dritten Herzinfarkt die Küche nicht verlassen will. Zudem ist die junge Frau schwanger und hat ihrem Partner Sofiane nichts von der bevorstehenden Abtreibung erzählt. Da passt es perfekt, dass kurz nach ihrer Rückkehr und dem ersten Streit mit dem Vater Céciles Jugendliebe Raphaël (Bastien Bouillon) auftaucht und es noch deutlich spürbar zwischen beiden knistert. Aus dem geplanten Kurzbesuch wird eine wilde Reise in die Vergangenheit ihrer Teenagerzeit.
„Nur für einen Tag" ist selbstverständlich nicht der erste Film, der große Lebensentscheidungen mit einem Rückblick auf scheinbar freiere Zeiten verbindet. Das wunderschön leichte Filmmusical ist jedoch etwas Besonderes, weil es einem Geheimnis von Céciles Familie folgt. Vater Gérard, der seiner Tochter kritisch jeden frechen Spruch aus der Fernsehshow gegen die einfache Küche vorhält, versöhnt sich schließlich mit dem einfachsten Rezept fürs Glück seit früher Kindheit: Er taucht einen Zuckerwürfel in Kaffee, bevor er knackend im Mund verschwindet. So könnte man auch das Rezept für diesen wunderbaren Film beschreiben: schwierige Lebenssituationen mit bitter-süßen Chansons vermischen und einen spontanen Schuss Glück verspüren. Bewundernswert ist die scheinbare Leichtigkeit, mit welcher der Film gleich mehrere schwere Entscheidungen jongliert.
Mit Klassikern und modernen Hits setzt „Nur für einen Tag" die lange und schöne Tradition französischer Filmmusicals fort. Allerdings ist er alltäglicher als die Werke von Altmeister Jacques Demy („Die Regenschirme von Cherbourg", 1964) oder die rührenden Playbacks von Alain Resnais in „Das Leben ist ein Chanson" (1997). Und eben nicht im Stil von „La La Land" (2016) mit perfekter Choreografie, sondern scheinbar mitten aus dem Leben wird hier gesungen. (Zuletzt gab es auch noch den Drogen- und Trans-Thriller „Emilia Pérez" von Jacques Audiard.)
Wie es sich für das Musical gehört, brechen Musik und Bewegung – beginnend mit dem Tanz zu Stromae – immer wieder unvermittelt in den Film ein. Dabei hüpft und tanzt das Herz mit. Neben dem wunderbaren Schauspiel auf hohem Niveau von allen Hauptfiguren machen auch die selbst gesungenen Musikeinlagen den Film unbedingt sehenswert. Herrlich, wenn Juliette Armanet als Cécile mit tiefer Stimme den Sprechgesang von Alain Delon bei „Parole, Parole, Parole" gibt und ihre Filmmutter, die legendäre Dominique Blanc, den Part von Dalida singt. Im kongenialen Zusammenspiel von Handlung und Songs macht das letzte Lied, der Titelsong „Partir un jour", beim gänzlich offenen Ende deutlich, dass Cécile nun mit sich im Reinen ist – was auch immer passieren wird.
„Nur für einen Tag" war dieses Jahr Eröffnungsfilm des Filmfestivals von Cannes und der erste Debütfilm überhaupt, dem diese Ehre zuteilwurde. Allerdings ist Regisseurin und Drehbuchautorin Amélie Bonnin keineswegs Debütantin. Sie inszenierte diese Geschichte bereits in einem Kurzfilm, der 2023 bei den Césars als „Bester Kurzfilm" ausgezeichnet wurde. Zudem war sie als Illustratorin und Musikvideo-Regisseurin tätig. Die mit Natürlichkeit gewinnende Hauptdarstellerin, die französische Musikerin Juliette Armanet, ist erfolgreich im französischen Pop unterwegs. Sie hatte einen spektakulären Auftritt bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris, als sie auf einem Boot die Seine hinabfuhr, vor einem brennenden Klavier stand und John Lennons „Imagine" sang.
„Nur für einen Tag"
(Frankreich 2025), Regie: Amélie Bonnin, mit Juliette Armanet, Bastien Bouillon, François Rollin, 96 Minuten, FSK: ab 12
Cécile (Juliette Armanet) weiß wirklich nicht weiter: Nach ihrem großen Erfolg in einer nationalen Fernsehkochshow fehlt der Gourmetköchin für ihr bald zu eröffnendes Restaurant in Paris noch das durchschlagende Rezept, das „Signature Dish". Aus ihrem erdrückenden Dauerstress kann sie ihr Freund Sofiane (Tewfik Jallab) nur mit einer lebensfrohen Tanzeinlage zu „Alors on danse" von Stromae befreien. Dabei ist Cécile die geborene Köchin: Aufgewachsen in der provinziellen Fernfahrer-Gaststätte ihrer Eltern, heißt sogar ihr alter Hund Bocuse nach dem berühmten Sternekoch. Doch nun muss sie „nur für einen Tag" in das Nest ihrer Kindheit zurückkehren, weil ihr Vater Gérard (François Rollin) auch nach dem dritten Herzinfarkt die Küche nicht verlassen will. Zudem ist die junge Frau schwanger und hat ihrem Partner Sofiane nichts von der bevorstehenden Abtreibung erzählt. Da passt es perfekt, dass kurz nach ihrer Rückkehr und dem ersten Streit mit dem Vater Céciles Jugendliebe Raphaël (Bastien Bouillon) auftaucht und es noch deutlich spürbar zwischen beiden knistert. Aus dem geplanten Kurzbesuch wird eine wilde Reise in die Vergangenheit ihrer Teenagerzeit.
„Nur für einen Tag" ist selbstverständlich nicht der erste Film, der große Lebensentscheidungen mit einem Rückblick auf scheinbar freiere Zeiten verbindet. Das wunderschön leichte Filmmusical ist jedoch etwas Besonderes, weil es einem Geheimnis von Céciles Familie folgt. Vater Gérard, der seiner Tochter kritisch jeden frechen Spruch aus der Fernsehshow gegen die einfache Küche vorhält, versöhnt sich schließlich mit dem einfachsten Rezept fürs Glück seit früher Kindheit: Er taucht einen Zuckerwürfel in Kaffee, bevor er knackend im Mund verschwindet. So könnte man auch das Rezept für diesen wunderbaren Film beschreiben: schwierige Lebenssituationen mit bitter-süßen Chansons vermischen und einen spontanen Schuss Glück verspüren. Bewundernswert ist die scheinbare Leichtigkeit, mit welcher der Film gleich mehrere schwere Entscheidungen jongliert.
Mit Klassikern und modernen Hits setzt „Nur für einen Tag" die lange und schöne Tradition französischer Filmmusicals fort. Allerdings ist er alltäglicher als die Werke von Altmeister Jacques Demy („Die Regenschirme von Cherbourg", 1964) oder die rührenden Playbacks von Alain Resnais in „Das Leben ist ein Chanson" (1997). Und eben nicht im Stil von „La La Land" (2016) mit perfekter Choreografie, sondern scheinbar mitten aus dem Leben wird hier gesungen. (Zuletzt gab es auch noch den Drogen- und Trans-Thriller „Emilia Pérez" von Jacques Audiard.)
Wie es sich für das Musical gehört, brechen Musik und Bewegung – beginnend mit dem Tanz zu Stromae – immer wieder unvermittelt in den Film ein. Dabei hüpft und tanzt das Herz mit. Neben dem wunderbaren Schauspiel auf hohem Niveau von allen Hauptfiguren machen auch die selbst gesungenen Musikeinlagen den Film unbedingt sehenswert. Herrlich, wenn Juliette Armanet als Cécile mit tiefer Stimme den Sprechgesang von Alain Delon bei „Parole, Parole, Parole" gibt und ihre Filmmutter, die legendäre Dominique Blanc, den Part von Dalida singt. Im kongenialen Zusammenspiel von Handlung und Songs macht das letzte Lied, der Titelsong „Partir un jour", beim gänzlich offenen Ende deutlich, dass Cécile nun mit sich im Reinen ist – was auch immer passieren wird.
„Nur für einen Tag" war dieses Jahr Eröffnungsfilm des Filmfestivals von Cannes und der erste Debütfilm überhaupt, dem diese Ehre zuteilwurde. Allerdings ist Regisseurin und Drehbuchautorin Amélie Bonnin keineswegs Debütantin. Sie inszenierte diese Geschichte bereits in einem Kurzfilm, der 2023 bei den Césars als „Bester Kurzfilm" ausgezeichnet wurde. Zudem war sie als Illustratorin und Musikvideo-Regisseurin tätig. Die mit Natürlichkeit gewinnende Hauptdarstellerin, die französische Musikerin Juliette Armanet, ist erfolgreich im französischen Pop unterwegs. Sie hatte einen spektakulären Auftritt bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris, als sie auf einem Boot die Seine hinabfuhr, vor einem brennenden Klavier stand und John Lennons „Imagine" sang.
„Nur für einen Tag"
(Frankreich 2025), Regie: Amélie Bonnin, mit Juliette Armanet, Bastien Bouillon, François Rollin, 96 Minuten, FSK: ab 12
20.9.25
Maria Reiche
Die Deutschperuanerin Maria Reiche restaurierte in den 1930er Jahren die sagenhaften Nazca-Linien in der peruanischen Wüste und rettete sie so vor dem Verfall. Ihre faszinierende Biografie verbindet die Einzigartigkeit dieses Kulturphänomens mit dem Porträt einer unabhängigen Frau.
Zu den fantastischen Nazca-Linien, den sogenannten Scharrbildern, gehören unweigerlich eindrucksvoll weite Landschaften. Wie bei „Lawrence von Arabien" schimmert auch bei „Maria Reiche" eine Figur am flirrenden Horizont. Doch diesmal nähert sich kein stolzer Scheich, sondern eine Frau, die in der Wüste Staub fegt. Eine grandiose erste Szene!
Von dort geht es zurück in ein dunkles Klassenzimmer, in dem die Dresdnerin Maria Reiche (Devrim Lingnau) von ihren Schülern genervt ist. Im Gegensatz zu ihrer mondänen, US-amerikanischen Freundin Amy (Olivia Ross), die in Lima in der 30er Jahre ein Caféhaus betreibt, sind der stets schlicht gekleideten Aushilfslehrerin gesellschaftliche Abende ein Graus. Sie spricht gut Spanisch, Englisch und Französisch und nimmt das Angebot des Archäologen Paul D'Harcourt (Guillaume Gallienne), die Aufzeichnungen eines deutschen Kollegen zu übersetzen, spontan an. Vor Ort in der Wüste bei Nazca sieht Maria Reiche eine ewig lange Linie am Boden: Kieselsteine wurden zur Seite geschoben und gaben die weiße Gipsschicht frei. Die Frau, die Mathematik, Physik und Geografie studiert hat, ist direkt fasziniert. Nichts hält sie von nun an davon ab, allein in der Wüste zu forschen. Sie campt in der Nähe von Einheimischen und läuft Tag für Tag den langen Linien nach. Fotos von kleinen Hügeln und einer wackeligen Leiter vermitteln nur einen ungefähren Eindruck von den riesigen, in den Staub gezeichneten Figuren von Kolibris, Affen oder Spinnen. Es wird schnell klar, dass diese Phänomene durch einen Menschen eigentlich nicht fassbar sind. Unermüdlich versucht Maria Reiche, das Jahrtausende alte Menschheitsrätsel zu entschlüsseln. Die Besessene sagt Paul, dass die Figuren restauriert werden müssen, stößt aber auf Desinteresse. Also kauft sie drei Besen und fegt eigenhändig eine erste Spirale und dann weitere Figuren frei. Als ein lokaler Großfarmer die Linien zerstört, um Baumwolle anzubauen, kämpft sie, bis das peruanische Parlament für den Erhalt seines kulturellen Erbes stimmt.
Die zwischen 200 v. Chr. und 600 n. Chr. von der indigenen Nazca-Kultur erschaffenen Geoglyphen wurden 1994 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. In der Region im Südosten von Peru existieren mehr als 1500 dieser Bilder. Ihre Wiederentdeckung ist auch die Geschichte einer beinahe verlorenen, durch den Kolonialismus zerstörten einheimischen Kultur. Die Biografie ihrer Wiederentdeckerin, der deutsch-peruanischen Altamerikanistin Reiche, ist eher unspektakulär. Es gibt keine Fieberträume mit Peyote und animierten Nazca-Wesen. Doch der Film ist darstellerisch und fotografisch sehr gut in Szene gesetzt. In der Hauptrolle brilliert European Shooting Star Devrim Lingnau, bekannt aus der Netflix-Serie „Die Kaiserin". Sie spielt eine getriebene Einzelgängerin, die in der Wüste ihre Bestimmung findet. Aber auch in den Wahnsinn abzudriften droht. Da passt es, dass „Lady Nazca", so der englische Titel, mehr als 40 Jahre in einer Hütte am Rande der Wüste bei „ihren" Linien verbrachte und sich letztlich auch neben ihnen begraben ließ.
Tatsächlich waren einige Dinge anders als die Film-Biografie „Maria Reiche" zusammenfasst. So ließ sich die Forscherin – bereits im Auftrag eines amerikanischen Historikers – an die Kufen eines Hubschraubers binden, um erste Luftaufnahmen der Figuren zu machen. Weitergehende Beziehungen zu Frauen werden nur angedeutet. Doch auch wenn nicht alle Details stimmen, spricht etwas anderes für eine besondere Authentizität: Regisseur und Autor Damien Dorsaz hat Maria Reiche zwei Jahre vor ihrem Tod im Jahr 1998 noch persönlich getroffen und bereits 2006 den Dokumentarfilm „Maria Reiche, la Dame de Nasca" gedreht.
(Deutschland 2025), Regie: Damien Dorsaz, mit Devrim Lingnau, Olivia Ross, Guillaume Gallienne, 99 Min., FSK: ab 6
Zu den fantastischen Nazca-Linien, den sogenannten Scharrbildern, gehören unweigerlich eindrucksvoll weite Landschaften. Wie bei „Lawrence von Arabien" schimmert auch bei „Maria Reiche" eine Figur am flirrenden Horizont. Doch diesmal nähert sich kein stolzer Scheich, sondern eine Frau, die in der Wüste Staub fegt. Eine grandiose erste Szene!
Von dort geht es zurück in ein dunkles Klassenzimmer, in dem die Dresdnerin Maria Reiche (Devrim Lingnau) von ihren Schülern genervt ist. Im Gegensatz zu ihrer mondänen, US-amerikanischen Freundin Amy (Olivia Ross), die in Lima in der 30er Jahre ein Caféhaus betreibt, sind der stets schlicht gekleideten Aushilfslehrerin gesellschaftliche Abende ein Graus. Sie spricht gut Spanisch, Englisch und Französisch und nimmt das Angebot des Archäologen Paul D'Harcourt (Guillaume Gallienne), die Aufzeichnungen eines deutschen Kollegen zu übersetzen, spontan an. Vor Ort in der Wüste bei Nazca sieht Maria Reiche eine ewig lange Linie am Boden: Kieselsteine wurden zur Seite geschoben und gaben die weiße Gipsschicht frei. Die Frau, die Mathematik, Physik und Geografie studiert hat, ist direkt fasziniert. Nichts hält sie von nun an davon ab, allein in der Wüste zu forschen. Sie campt in der Nähe von Einheimischen und läuft Tag für Tag den langen Linien nach. Fotos von kleinen Hügeln und einer wackeligen Leiter vermitteln nur einen ungefähren Eindruck von den riesigen, in den Staub gezeichneten Figuren von Kolibris, Affen oder Spinnen. Es wird schnell klar, dass diese Phänomene durch einen Menschen eigentlich nicht fassbar sind. Unermüdlich versucht Maria Reiche, das Jahrtausende alte Menschheitsrätsel zu entschlüsseln. Die Besessene sagt Paul, dass die Figuren restauriert werden müssen, stößt aber auf Desinteresse. Also kauft sie drei Besen und fegt eigenhändig eine erste Spirale und dann weitere Figuren frei. Als ein lokaler Großfarmer die Linien zerstört, um Baumwolle anzubauen, kämpft sie, bis das peruanische Parlament für den Erhalt seines kulturellen Erbes stimmt.
Die zwischen 200 v. Chr. und 600 n. Chr. von der indigenen Nazca-Kultur erschaffenen Geoglyphen wurden 1994 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. In der Region im Südosten von Peru existieren mehr als 1500 dieser Bilder. Ihre Wiederentdeckung ist auch die Geschichte einer beinahe verlorenen, durch den Kolonialismus zerstörten einheimischen Kultur. Die Biografie ihrer Wiederentdeckerin, der deutsch-peruanischen Altamerikanistin Reiche, ist eher unspektakulär. Es gibt keine Fieberträume mit Peyote und animierten Nazca-Wesen. Doch der Film ist darstellerisch und fotografisch sehr gut in Szene gesetzt. In der Hauptrolle brilliert European Shooting Star Devrim Lingnau, bekannt aus der Netflix-Serie „Die Kaiserin". Sie spielt eine getriebene Einzelgängerin, die in der Wüste ihre Bestimmung findet. Aber auch in den Wahnsinn abzudriften droht. Da passt es, dass „Lady Nazca", so der englische Titel, mehr als 40 Jahre in einer Hütte am Rande der Wüste bei „ihren" Linien verbrachte und sich letztlich auch neben ihnen begraben ließ.
Tatsächlich waren einige Dinge anders als die Film-Biografie „Maria Reiche" zusammenfasst. So ließ sich die Forscherin – bereits im Auftrag eines amerikanischen Historikers – an die Kufen eines Hubschraubers binden, um erste Luftaufnahmen der Figuren zu machen. Weitergehende Beziehungen zu Frauen werden nur angedeutet. Doch auch wenn nicht alle Details stimmen, spricht etwas anderes für eine besondere Authentizität: Regisseur und Autor Damien Dorsaz hat Maria Reiche zwei Jahre vor ihrem Tod im Jahr 1998 noch persönlich getroffen und bereits 2006 den Dokumentarfilm „Maria Reiche, la Dame de Nasca" gedreht.
(Deutschland 2025), Regie: Damien Dorsaz, mit Devrim Lingnau, Olivia Ross, Guillaume Gallienne, 99 Min., FSK: ab 6
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