17.11.25

Eddington

Wer hat Lust auf einen Streit über Corona-Masken, „Black Lives Matter", amerikanischen Waffenwahn, Verschwörungstheorien und den Niedergang der Demokratie? US-Regisseur Ari Aster, von dem nach „Beau Is Afraid" mit Joaquin Phoenix und den hochgelobten Horrorfilmen „Midsommar" sowie „Hereditary – Das Vermächtnis" viel erwartet wird, packt in seinen Corona-Western „Eddington" und das gleichnamige Dörfchen etwas zu viel Mikrokosmos für eine rundum gelungene Gesellschaftssatire. Alles beginnt mit dem Streit zwischen dem simplen Sheriff Joe Cross (vielschichtig: Joaquin Phoenix) und dem erfolgreichen Bürgermeister Ted Garcia (eher am Rande: Pedro Pascal), weil Letzterer mal etwas mit Joes labiler Frau Louise (Emma Stone) hatte. So entscheidet sich der Gesetzeshüter, ohne viel nachzudenken, dazu, selbst als Bürgermeister zu kandidieren und fortan mit einem albern vollplakatierten Dienstwagen herumzufahren. Um die beiden dämlichen Männer versammeln sich im Frühjahr 2020 haufenweise hysterische Besserwisser. Unter den 2 345 Einwohnern gibt es Corona-Leugner und Black-Lives-Matter-Protestierende infolge des Todes von George Floyd in Minneapolis. Der junge schwarze Hilfssheriff denkt derweil nur an sein Beziehungsproblem. Es gibt Streit um die Ansiedlung eines Rechenzentrums mit dem märchenhaften Namen „Solidgoldmagikarp" (was mit viel Gold und fliegendem Teppich). Der QAnon-Guru Vernon Jefferson Peak (Austin Butler) spannt Joe die ebenfalls spinnerte Frau aus, und irgendwann fallen erste Schüsse – ein Männlein sieht rot.

Diese fast surreale Anhäufung von Krisenthemen und eskalierenden Situationen in „Eddington" betreibt selbst den beliebten „Whataboutism" der Querdenker: Wenn man meint, das zentrale Thema fixiert zu haben, ist längst ein anderes dran. Bis hin zum Splatter-Finale mit schwerem Geschütz in Western-Straßen und einem heftig zynischen „Happy End" für Joe und die Dorfgemeinschaft. Diese Anhäufung von Verwirrungen, künstlichen und sonstigen Aufregungen ist ebenso irre wie der totale Stimmungswechsel in „Midsommar". Quasi ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Abwege – aber will man im Kino noch mehr davon sehen? „Eddington" sorgte schon bei seiner Premiere in Cannes für heftige Diskussionen und wird das auch weiterhin tun.

Eddington
(USA 2025), Regie: Ari Aster, mit Joaquin Phoenix, Pedro Pascal, Emma Stone, 148 Minuten, FSK: ab 16

8.11.25

Die my love

„My Love" erzählt die Geschichte von Grace (Jennifer Lawrence) und Jackson (Robert Pattinson), die gerade in ein geerbtes altes Landhaus gezogen sind. Mit dem Ziel, ein Buch zu schreiben, richtet sich Grace in ihrer abgeschiedenen Umgebung als junge Mutter ein. Dabei verliert sie jedoch zunehmend die Kontrolle über sich selbst. Zunächst liegt sie lasziv im Gras und masturbiert mit einer Hand in der Hose und der anderen am bedrohlichen Messer. Dann folgt ein idyllischer Spaziergang durch die Natur zur Melodie aus Disneys „Bambi"-Film, bei dem sie ein Pferd entdeckt, das noch Blut vom Autounfall des letzten Tages auf dem Fell hat. Die Tapete wird mit den Fingernägeln abgekratzt, das Bad heftig demoliert.

Der gutmeinende Jackson bringt einen nervtötenden Hund mit nach Hause, der alle in den Wahnsinn treibt – wenn sie nicht längst schon dort waren. Die impulsive Beziehung geht explosiv in eine zerstörerische Richtung. Zerstörerisch für die Inneneinrichtung – aber vor allem für Grace selbst. Auch der kleine, unerträgliche Hund muss dran glauben. Das Erschießen des Quälgeistes mag für einige genauso schockierend sein wie Niki de Saint Phalles Schießen auf das Bild des Vaters. Das Verhalten von Grace könnte feministisch „ungezähmt" genannt werden, glücklich ist mit der Situation niemand.

Das verstörende neue Drama von Lynne Ramsay beginnt mit der sexuellen „Einweihung" des alten Hauses, unterbrochen von Bildern eines lichterloh brennenden Waldes, in den die nackte Grace geht. Die renommierte Filmemacherin zeichnet in „Die My Love" schonungslos das Porträt einer Frau, die von Liebe und Wahnsinn verschlungen wird. Dem schweren psychischen Problem wird im Film kein Name gegeben, einige Kritiken nennen es postnatale Depression. Das ist in jedem Fall schwer erträglich, aber den kurz angetäuschten Tradwife-Trugschluss will man am Ende auch nicht sehen. Das extreme Drama erinnert ein wenig an Darren Aronofskys Tour de Force „mother!" (ebenfalls mit Lawrence, damals neben Javier Bardem), aber vor allem an filmische Beziehungskriege wie „Blue Valentine" von Derek Cianfrance mit Ryan Gosling.

Jennifer Lawrence („Silver Linings", „American Hustle") spielt intensiv. Mit dem Ex-Vampir Pattinson hat sich der Film zwar einen weiteren Star auf dem Poster eingehandelt (neben Nick Nolte und Sissy Spacek), aber keinen Gegenpart. Doch der schwache Partner mag auch so in der Vorlage von Ariana Harwicz angelegt sein.

Der von Jennifer Lawrence auch produzierte „Die my love" ist Lynne Ramsays neuester Film nach aufsehenerregenden Werken wie „Ratcatcher" (1999), „Morvern Callar" (2002) oder „We Need to Talk About Kevin" mit Tilda Swinton (2011) als Mutter eines Amokläufers. Zuletzt drehte Ramsay „Swimmer" und „A Beautiful Day" mit Joaquin Phoenix. Trotz der Stars auf dem Plakat macht sie keine Filme für das große Publikum von „Die Tribute von Panem" oder „Twilight". Die Handlung in „Die my love" verläuft nicht chronologisch, die Farben wirken oft zu bunt, das Format ist das klassische 4:3 und das hat nichts mit der Auswertung beim Streaming-Anbieter „Mubi" zu tun.

Die my love
(Kanada 2025), Regie: Lynne Ramsay, mit Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Sissy Spacek, 118 Minuten, FSK: ab 16

3.11.25

Dann passiert das Leben


Die Rollos vor den Fenstern schließen pedantisch pünktlich Licht und Leben aus der großen Wohnung von Hans und Rita aus - wie eine Guillotine für ihre langjährige Ehe. Er (Ulrich Tukur) ist Schuldirektor kurz vor der Pensionierung, sie (Anke Engelke) reagiert allergisch auf jede Veränderung. Klar, dass das Probleme bringt. Hans könnte sich ein Hobby zulegen, doch das Kinderzimmer des längst ausgezogenen Sohnes Tom darf nicht angerührt werden. Der Fliesenkauf für das Badezimmer könnte eine Paartherapie sein, aber nach einer sexuellen Anspielung des Verkäufers vernichtet Rita ihn mit spitzer Zunge. Erschreckend und gleichzeitig komisch ist es, wenn Hans und Rita sich dabei synchron die Lesebrillen aufsetzen.

Die drohende Pensionierung bringt Ritas Ängste zum Vorschein, die sich in gnadenlosen Urteilen und einer fast aggressiven Ablehnung jeder Veränderung äußern. Doch schon vorher muss ihre Ehe in eine synchrone Routine übergegangen sein. Sie schlafen nicht mehr miteinander, teilen kaum noch Berührungen und selbst die gemeinsame Wohnung wirkt wie ein geteiltes Territorium. Als der Fernseher ausfällt, legt sich bleierne Stille über den Raum. Hans freut sich, wenn das Rollo streikt und er etwas zu tun hat. Rita begeistert sich für Graugänsebiologie in Podcasts und bei ihren einsamen Schwimmrunden.

Dann „passiert" ein Unfall auf einer Autofahrt – Rita sieht den Radfahrer nicht, weil sie Hans endlich sagen will, dass er sie nicht mehr sieht. Doch statt gegenseitiger Annäherung der gemeinsam Schuldigen folgt ein Weiterleben im Gegeneinander. Die Szene, in der ein Entenpaar im Teich vor dem Haus vom Fuchs auseinandergerissen wird, ist dann beim Zuschauen zu viel, zu konstruiert, zu gewollt.

„Dann passiert das Leben" leidet keineswegs darunter, dass es ein Kammerspiel über zwei Menschen ist, die sich in ihrer Routine eingerichtet haben. Viele Momente sind treffend beobachtet. Anke Engelke und Ulrich Tukur tragen den Film mit nuanciertem Spiel. Multitalent Engelke, trotz bemerkenswerter Werke wie „Perfekt Verpasst", „Mutter" oder „Deutsches Haus" oft unterschätzt, zeigt hier ihre ganze Bandbreite zwischen kontrollierter Härte und verletzlicher Starrheit. Tukur („Und wer nimmt den Hund?", „Aus dem Nichts", „John Rabe"), nicht zuletzt ein Chamäleon als Tatort-Kommissar Murot, gibt Hans eine stille Verzweiflung, die sich in kleinen Gesten und Blicken offenbart. Regisseurin Neele Leana Vollmar, bekannt für ihre Kinderfilme „Rico, Oskar und die Tieferschatten", „Rico, Oskar und der Diebstahlstein", „Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!" und die Literaturverfilmung „Maria, ihm schmeckt's nicht!", wagt sich mit eigenem Drehbuch an ein persönliches Liebesdrama – und zeigt dabei Gespür für Zwischentöne.

„Dann passiert das Leben" will ein leiser Film über das große Schweigen sein – über das, was bleibt, wenn die Liebe sich in Gewohnheit verwandelt. Doch bei aller Feinfühligkeit fehlt ihm die Balance zwischen Humor und Tiefe, die solche tieftraurigen Stoffe erträglich macht. Da ist nicht der bissige Witz aus „Und wer nimmt den Hund?" (2019, Regie: Rainer Kaufmann), ebenfalls mit Anke Engelke und Ulrich Tukur. Ganz zu schweigen von der dramatischen Wucht großer Meisterwerke wie „The Ice Storm" (1997, Regie: Ang Lee) oder, ganz aktuell, der brillant bitteren Schlagfertigkeit des Scheidungskriegs „Roses" (2025, Regie: Jay Roach). „Dann passiert das Leben" hängt irgendwie dazwischen: temperierte Leidenschaften – aber gerade das will man ja nicht, weder in der Beziehung noch im Kino.

Die poetische Leichtigkeit, die Vollmar in ihren Kinderfilmen oft gelingt, bleibt hier aus. Keine großen Ideen, keine Kinomomente, die über das Alltägliche hinausweisen. Tatsächlich hat sie diesmal ein eigenes Drehbuch verfilmt und greift eine Idee auf, die sie während ihres Studiums an der Filmakademie hatte. Im Kurzfilm „Meine Eltern" stand ein älteres Paar im Mittelpunkt, das durch den Besuch seiner Tochter wieder zueinanderfindet.

Dann passiert das Leben
(Deutschland 2025), Regie: Neele Leana Vollmar, mit Anke Engelke, Ulrich Tukur, Lukas Rüppel, 123 Minuten, FSK: ab 6