Die Rollos vor den Fenstern schließen pedantisch pünktlich Licht und Leben aus der großen Wohnung von Hans und Rita aus - wie eine Guillotine für ihre langjährige Ehe. Er (Ulrich Tukur) ist Schuldirektor kurz vor der Pensionierung, sie (Anke Engelke) reagiert allergisch auf jede Veränderung. Klar, dass das Probleme bringt. Hans könnte sich ein Hobby zulegen, doch das Kinderzimmer des längst ausgezogenen Sohnes Tom darf nicht angerührt werden. Der Fliesenkauf für das Badezimmer könnte eine Paartherapie sein, aber nach einer sexuellen Anspielung des Verkäufers vernichtet Rita ihn mit spitzer Zunge. Erschreckend und gleichzeitig komisch ist es, wenn Hans und Rita sich dabei synchron die Lesebrillen aufsetzen.
Die drohende Pensionierung bringt Ritas Ängste zum Vorschein, die sich in gnadenlosen Urteilen und einer fast aggressiven Ablehnung jeder Veränderung äußern. Doch schon vorher muss ihre Ehe in eine synchrone Routine übergegangen sein. Sie schlafen nicht mehr miteinander, teilen kaum noch Berührungen und selbst die gemeinsame Wohnung wirkt wie ein geteiltes Territorium. Als der Fernseher ausfällt, legt sich bleierne Stille über den Raum. Hans freut sich, wenn das Rollo streikt und er etwas zu tun hat. Rita begeistert sich für Graugänsebiologie in Podcasts und bei ihren einsamen Schwimmrunden.
Dann „passiert" ein Unfall auf einer Autofahrt – Rita sieht den Radfahrer nicht, weil sie Hans endlich sagen will, dass er sie nicht mehr sieht. Doch statt gegenseitiger Annäherung der gemeinsam Schuldigen folgt ein Weiterleben im Gegeneinander. Die Szene, in der ein Entenpaar im Teich vor dem Haus vom Fuchs auseinandergerissen wird, ist dann beim Zuschauen zu viel, zu konstruiert, zu gewollt.
„Dann passiert das Leben" leidet keineswegs darunter, dass es ein Kammerspiel über zwei Menschen ist, die sich in ihrer Routine eingerichtet haben. Viele Momente sind treffend beobachtet. Anke Engelke und Ulrich Tukur tragen den Film mit nuanciertem Spiel. Multitalent Engelke, trotz bemerkenswerter Werke wie „Perfekt Verpasst", „Mutter" oder „Deutsches Haus" oft unterschätzt, zeigt hier ihre ganze Bandbreite zwischen kontrollierter Härte und verletzlicher Starrheit. Tukur („Und wer nimmt den Hund?", „Aus dem Nichts", „John Rabe"), nicht zuletzt ein Chamäleon als Tatort-Kommissar Murot, gibt Hans eine stille Verzweiflung, die sich in kleinen Gesten und Blicken offenbart. Regisseurin Neele Leana Vollmar, bekannt für ihre Kinderfilme „Rico, Oskar und die Tieferschatten", „Rico, Oskar und der Diebstahlstein", „Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!" und die Literaturverfilmung „Maria, ihm schmeckt's nicht!", wagt sich mit eigenem Drehbuch an ein persönliches Liebesdrama – und zeigt dabei Gespür für Zwischentöne.
„Dann passiert das Leben" will ein leiser Film über das große Schweigen sein – über das, was bleibt, wenn die Liebe sich in Gewohnheit verwandelt. Doch bei aller Feinfühligkeit fehlt ihm die Balance zwischen Humor und Tiefe, die solche tieftraurigen Stoffe erträglich macht. Da ist nicht der bissige Witz aus „Und wer nimmt den Hund?" (2019, Regie: Rainer Kaufmann), ebenfalls mit Anke Engelke und Ulrich Tukur. Ganz zu schweigen von der dramatischen Wucht großer Meisterwerke wie „The Ice Storm" (1997, Regie: Ang Lee) oder, ganz aktuell, der brillant bitteren Schlagfertigkeit des Scheidungskriegs „Roses" (2025, Regie: Jay Roach). „Dann passiert das Leben" hängt irgendwie dazwischen: temperierte Leidenschaften – aber gerade das will man ja nicht, weder in der Beziehung noch im Kino.
Die poetische Leichtigkeit, die Vollmar in ihren Kinderfilmen oft gelingt, bleibt hier aus. Keine großen Ideen, keine Kinomomente, die über das Alltägliche hinausweisen. Tatsächlich hat sie diesmal ein eigenes Drehbuch verfilmt und greift eine Idee auf, die sie während ihres Studiums an der Filmakademie hatte. Im Kurzfilm „Meine Eltern" stand ein älteres Paar im Mittelpunkt, das durch den Besuch seiner Tochter wieder zueinanderfindet.
Dann passiert das Leben
(Deutschland 2025), Regie: Neele Leana Vollmar, mit Anke Engelke, Ulrich Tukur, Lukas Rüppel, 123 Minuten, FSK: ab 6