25.7.25

Oxana - Mein Leben für Freiheit

Die fiktionale Biografie der Femen-Mitgründerin Oxana Schatschko (1987-2018) blickt vom Todestag der Künstlerin und Aktivistin am 23. Juli 2018 zurück auf ein sehr bewegtes Leben. Mit viel Wut im angewiderten Blick antwortet die Ukrainerin auf eine lange Liste von Ungerechtigkeiten gegen Frauen. Sie ist eine Künstlerin, die gut mit dem Malen von Ikonen verdient. Doch der Mann der Kirche zahlt weniger als vereinbart. Ihr alkoholkranker Vater fackelt das Häuschen der Familie ab. Kein Einzelfall, wie der Austausch mit anderen Studentinnen zeigt. In Kiew richtet sich ihr Protest mit traditionellem Blumenkranz auf dem Kopf gegen die Prostitution in der Ukraine. Ein historischer Moment ist erreicht, als Oxana als Erste der entstehenden Femen-Bewegung ihre Brüste zeigt, um die Aufmerksamkeit der Journalisten zu bekommen.

Danach wird der Kampf gegen patriarchale Strukturen immer wieder auf den Spruch „Unsere Brüste, unsere Waffen" verkürzt. Allerdings nehmen die Frauen auch Prügel und Folter im Kampf gegen Wahlmanipulationen in Russland und Belarus in Kauf. Mit gebrochenen Armen erhält Oxana Asyl in Frankreich. Dies könnte symbolisch für die Blockade ihrer Kreativität und den Verlust an Eingriffsmöglichkeiten sein. Mit der internationalen Ausbreitung von Femen ergibt sich ein Streit um die Führung. Die sensible Kreative – „Femen in Paris ist eine Mode" – bleibt im fremden Land auf sich allein gestellt.

Trotz der ansprechenden Darstellung von Albina Korzh als Oxana, der man den kecken, rebellischen Blick, die Verletzlichkeit ebenso wie die Melancholie am Ende glaubt, kann die Biografie nicht überzeugen. Der Film ist fortwährend und umständlich bemüht, die Persönlichkeit der politischen Ikone zu definieren. Ein verfilmtes Manifest, das verpasst, eine starke eigenständige und dynamische Geschichte zu erzählen. Das interessante und eine Weile lang erfolgreiche Konzept des Widerstands mit nackten Brüsten wird pflichtgemäß durchdiskutiert. Oxanas Kunst, bei der sie Ikonen in feministische Statements verwandelt, indem sie Maria mit einer Burka oder Jesus in sexuellen Kontexten malt, ist nur am Rande zu sehen.

„Oxana - Mein Leben für Freiheit"
(Frankreich, Ukraine, Ungarn 2024) Regie: Charlène Favier, mit lbina Korzh, Maryna Koshkina, Lada Korovai, 104 Min., FSK: ab 16.

18.7.25

Vermiglio


Im verschneiten Trentiner Bergdorf Vermiglio scheint die Zeit stillzustehen. Der strenge Dorflehrer Cesare Graziadei (Tommaso Ragno) begeistert seine Zöglinge, die bei Wind und Wetter zur Dorfschule ziehen, mit anspruchsvoller Literatur sowie Grammophonaufnahmen von Chopin und Vivaldi. Den großen Krieg bemerkt man nur durch die Abwesenheit der jungen Männer. Der Rhythmus der Jahreszeiten wird 1944 gestört von der Ankunft zweier Deserteure: Der Sizilianer Pietro Riso (Giuseppe De Domenico) trägt Cesares Neffe Attilio (Santiago Fondevila Sancet) ins Dorf. Bald verliebt sich die älteste Tochter Lucia (Martina Scrinzi) in den stillen Fremden. Da er die heimlich ausgetauschten Liebesbriefe nicht lesen kann, gesellt sich Pietro in die Erwachsenenklasse von Cesare. Mit ihren Schwestern Ada und Flavia teilt Lucia das Bett und ihre Geheimnisse. Doch auch der strenge Vater verheimlicht etwas in seinem Studierzimmer, in das er sich immer wieder einschließt.

„Vermiglio" ist eine betörend schöne Liebesgeschichte mit einem dramatischen Ende, das die Triebfeder dieses fesselnden Familien- und Dorfporträts ist. Neben dem Drama um Lucia wird die Vernachlässigung der anderen Tochter, die ebenfalls gerne zur weiterführenden Schule gehen möchte, und des ältesten Sohnes, der als Versager abgestempelt leben muss, unter einem Mantel des Schweigens gehalten. Regisseurin Maura Delpero, die mit „Vermiglio" ihre persönliche Geschichte mit ethnografischer Genauigkeit und filmischer Zärtlichkeit umsetzte, stammt aus diesem Bergdorf. Sie wurde durch einen Traum mit ihrem kürzlich verstorbenen Vater zu dem Film inspiriert und nennt ihn „eine Seelenlandschaft, ein Familienlexikon, das in mir lebt, an der Schwelle zum Unbewussten".

Die überaus berührende Geschichte mit atemberaubenden Bildern und einer intensiven, authentischen Atmosphäre zieht den Zuschauer in eine abgelegene Welt hinein, in eine vergangene Zeit, die selbst zeitlos scheint. Maura Delperos zweiter Spielfilm erhielt beim Filmfestival Venedig einen Silbernen Löwen und wurde mit sieben Auszeichnungen zum großen Sieger der italienischen Filmpreise 2025. Delpero ist die erste Frau, die den Preis für die beste Regie gewann, und die dritte Preisträgerin überhaupt in der Kategorie „Bester Film". Auch ihr Originaldrehbuch bekam die höchste Auszeichnung. Ebenfalls prämiert wurde das Sounddesign (Dana Farzanehpour, Hervé Guyader, Emmanuel de Boisseau), dem das Kunststück gelingt, Stille hörbar zu machen.

„Vermiglio"
(Italien, Frankreich, Belgien 2024) Regie: Maura Delpero, mit Tommaso Ragno, Martina Scrinzi, Giuseppe De Domenico, 119 Min., FSK: ab 12.

9.7.25

Chaos und Stille

Die Frau, die auf dem Flachdach eines Hochhauses erwacht, ist Klara Hermann (Sabine Timoteo). Aus diffusen Gründen hat sie beschlossen, der Gesellschaft den Rücken zu kehren. Versonnen sitzt die ehemalige Vermieterin nun über den Dingen, scheint sich schweigend in einen Guru zu verwandeln und wird von den Bewohnern ihrer Wohnungen mit Essen versorgt. Dann macht das Foto auf der Titelseite der Zeitung Klara zum Objekt der Beobachtung und bald stehen selbsternannte Jünger unten auf der Straße. Wutbürger („Sie muss weg!") stellen sich den Esoterikern entgegen, welche die Finger als Zeichen des Schweigens vor dem Mund kreuzen. Klaras persönliche Verweigerung entwickelt sich zu einem gesellschaftlichen Phänomen, bis der erste Nachfolger vom Dach stürzt und man die selige Aussteigerin in die Psychiatrie einweist.

Dieses außergewöhnliche Ereignis wird vom jungen Komponisten Jean (Anton von Lucke) beobachtet und berichtet. Seine Frau Helena (Maria Spanring) ist Pianistin und gerade Mutter geworden. Jean arbeitet an neuer Musik und befragt dafür gehörlose Schüler zum Thema Stille – eine poetische Verschränkung der Handlungsstränge. Zwischen utopischer Verträumtheit und Gesellschaftskritik wandelt sich Klaras leere Wohnung zur freien Musikschule. Die Geburt einer Utopie, die schnell von der Ökonomie eingeholt wird.

Anatol Schusters reizvoll verspielter Film mit märchenhaftem Ende erforscht Stille konkret und als Metapher für Aufmerksamkeit und Menschlichkeit. Das ruhige Werk des Vierzigers ist durchflochten von Gedanken zur Situation der Musik und der Kultur in der heutigen Gesellschaft. Sabine Timoteo („Der freie Wille") verkörpert diese „aus der Welt gefallene" Figur mit ihrer typischen Präsenz, die gerade durch Zurückhaltung besticht. Ihr verschmitztes Lächeln, als sie spontan mit ihrem Chef schläft und danach kündigt, deutet bereits die folgende radikale Transformation an. So zeigt sich der humorvolle und poetische „Chaos und Stille" selbst als das Neue, das die Figuren im Film fordern.

„Chaos und Stille"
(Deutschland 2024) Regie: Anatol Schuster mit Sabine Timoteo, Anton von Lucke, Maria Spanring, 83 Min. FSK: ab 12

Black Tea

„Black Tea" folgt der jungen Ivorerin Aya (Nina Mélo), die sich am Hochzeitstag gegen ihren untreuen Verlobten entscheidet und in der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou im afrikanischen Viertel „Chocolate City" ein neues Leben beginnt. Zwischen all den Händlern, für die der Friseursalon ein sozialer Treffpunkt ist, lernt Aya mit ihrem Chef Caï (Han Chang) die Geheimnisse der Teezeremonie kennen. Das persönliche Kennenlernen ist, wie einst in „Chocolat" mit Juliette Binoche, geprägt von sinnlichen Momenten: der Berührung einer handschmeichelnden Teekanne, dem Duft der Blätter, dem rituellen Genuss des Getränks. Wenn sich der Blick auf einer weiten Teeplantage in den Hügeln öffnet, deutet der scheue Caï sogar ein Liebesgeständnis an. Entgegen den Erwartungen werden die zarten Knospen der Annäherung nicht von kulturellen Differenzen gekappt – erst in den letzten zwanzig Minuten taucht ein rassistischer Schwiegervater auf. Es ist Caï mit einer ganzen Menge alter Beziehungsbaustellen und einer unbekannten Tochter auf den Kapverden, der zukunftszugewandten Frauen im Wege steht.

Der schöne Sprung mit Aya von den Straßen Abidschans, der Stadt an der Elfenbeinküste, nach Guangzhou zu Nina Simones Zeilen „It's a new day, it's a new dawn" („Ein neuer Tag, ein neuer Morgen" in einer Coverversion von „Feeling Good" durch Fatoumata Diawara in der westafrikanischen Sprache Bambara) lässt die Hoffnung dieser und anderer Frauen spüren. Migration und Integration sind hier keine Probleme, sondern neue Chancen und eine Öffnung zur Welt. Die romantische Begegnung ereignet sich vor dem Hintergrund eines großen kulturellen Austauschs entlang der „Neuen Seidenstraße", den wir in unserer europäischen Fixierung auf imaginäre Einwanderungsprobleme überhaupt nicht wahrnehmen. Der mauretanische Regisseur Abderrahmane Sissako, der mit seinem großartigen, aber aufgrund islamistischer Gewalt schwer erträglichen Film „Timbuktu" (2014) auf internationalen Festivals gefeiert wurde, erzählt nun eine zarte, stille und kunstvoll inszenierte Liebesgeschichte.

„Black Tea"
(Frankreich, Mauretanien, Luxemburg, Taiwan, Elfenbeinküste 2024) Regie: Abderrahmane Sissako, mit Nina Mélo, Chang Han, Wu Ke-Xi, 111 Min., FSK: ab 6.

Copa 71

Agent of Happiness

Die beglückende Dokumentation rund um die Politik des Bruttonationalglücks (BNG) in Bhutan überzeugt durch ihre Mischung aus filmischer Fernreise, Humor und Nachdenklichkeit. Zwei „Agenten des Glücks" bereisen mit Fragebögen bewaffnet die abgelegensten Winkel der bhutanischen Himalaya-Täler, um das subjektive Wohlbefinden der Bevölkerung zu erfassen. Diese Praxis bildet die Grundlage des Konzepts des Bruttonationalglücks, das es nur in Bhutan gibt.

148 Fragen in neun Kategorien ergründen die Anzahl der Kühe oder Esel, das Vertrauen in die Nachbarn, aber auch Schlaf, Konzentration und Wut. Zwar wird der daraus resultierende Glücksindex von 1 bis 10 bei jeder Person eingeblendet, doch schnell wird klar, dass es um mehr geht. „Agent of Happiness" konzentriert sich auf die befragten Menschen. Da ist Dechen Selden, Transvestit einer Varieté-Show, der sich auf der Glücksskala sehr depressiv fühlt und erstaunlich offenherzige Gespräche mit seiner Mutter führt. Oder die junge Frau, die ihre kleinere Schwester aufzieht und unter ihrer alkoholkranken Mutter leidet. In seiner Einfachheit rührend der Witwer, der in seiner Einsamkeit über hundert hohe, weiße Gebetsfahnen aufstellte und im Schlussbild glücklich mit seinem neu geborenen Enkel zu sehen ist. Komisch wirkt der alte Architekt (Glückslevel: 10), der mit drei Frauen zusammenlebt. Diese sagen zunächst nichts, machen sich aber später untereinander aufschlussreich über ihn lustig.

Titelheld ist jedoch der romantische Vierziger Amber, der sich zwischen den Befragungen als „Agent des Glücks" sehr pragmatisch mit Partnersuche beschäftigt. Er gehört zu den nicht registrierten Einwanderern aus dem von politischen Unruhen und Naturkatastrophen erschütterten Nepal, bittet seit Jahrzehnten um Staatsangehörigkeit. Er gibt ein TikTok-Tänzchen für die Frau, die er datet, aber die ohne ihn nach Australien fliegt. Die Gespräche der beiden „Agenten", der kleine Amber und sein langer Kollege, kippen oft ins Komische, wenn sie in ihrem orangefarbenen Kleinwagen durch die eindrucksvolle Landschaft reisen. Doch „Agent of Happiness" beschert vor allem wunderschöne Porträts in Bild und Erzählung – von interessanten Menschen und dem Land Bhutan an sich. So beginnt man unweigerlich, über die Bedeutung von Glück nachzudenken, ohne dass der thematisch wie handwerklich gelungene Film selbst Antworten liefert.

„Agent of Happiness"
(Bhutan, Ungarn 2024) Regie: Arun Bhattarai, Dorottya Zurbó, mit Amber Gurung, Yangka, Dechen Selden, 97 Min., FSK: ab 6.