17.3.13

Paradies: Glaube

Österreich, BRD, Frankreich 2012 Regie: Ulrich Seidl mit Maria Hofstätter, Nabil Saleh 114 Min. FSK ab 16

Nach Ulrich Seidls eindimensionalen Trilogie-Auftakt über karibische Callboys mit „Paradies: Liebe" in Cannes, zeigt „Paradies: Glaube", der in Venedig mit dem Großen Preis der Jury („Silberner Löwe") ausgezeichnet wurde, sehr raffiniert vielschichtig Glaubens-, Geschlechter- und Ehe-Krieg in einer peinlich aufgeräumten Österreicher Wohnung. Aber auch Flagellation vor dem Kreuz gegen die Fleischeslust und Masturbation mit dem Symbol des Herrn! Der Österreicher Ulrich Seidl glaubt weiterhin an die Provokation, dieses ist eines der gelungensten Werke dieses Herrn.

Wir kennen Anna Maria (Maria Hofstätter) aus „Paradies: Liebe" von einem kurzen Besuch ihrer Schwester, die in Urlaub zu den schwarzen Loverboys fuhr. Anna Maria ist dagegen gläubig. Mehr als das, sie liebt ihren Jesus - weil er doch so gut aussieht - bis zum Gutenachtkuss. In den Ferien bleibt sie daheim und zieht mit ihrer Wander-Madonna durch die Häuser der Vororte, um mit den Menschen zu beten. Was zu atemberaubend grandiose Szenen führt.

Regelmäßig wie ihr ganzes aufgeräumtes Leben ist, trifft sich die Gebetsgruppe Legio Herz Jesus bei Anna Maria. Als „Sturmtruppen und Speerspitze des Glaubens" schwören sie, dass Österreich wieder katholisch wird. Klingt fundamentalistisch faschistisch und nach leichtem Fressen für Religionskritiker. Doch dieses einfache Glaubens-Opfer nimmt Regisseur Seidl („Import/Export", 2007; „Jesus, Du weißt", 2003; „Tierische Liebe", 1996) nicht an. Er bringt der Anna Maria nach zwei Jahren wieder ihren Ehemann ins Haus: Den querschnittsgelähmten Moslem Nabil, der bald weinerlich um etwas Sex bettelt. Nun ist die extremistisch Gläubige nicht nur im Konflikt zwischen zwei Männern - Jesus und Nabil. Auch Barmherzigkeit und Keuschheit kämpfen unter ihren Brüsten.

Obwohl des Gatten Mischung aus Vorwürfen und Jämmerlichkeit schwer erträglich ist, bleibt Trennung undenkbar: „In allen Religionen ist es deine Pflicht, für mich zu sorgen", weiß Nabil. Leider steht seine Macho-Position auf schwachen Beinen, um es im provokant direkten Stile Seidls zu sagen. Mitleid für einen impotenten Behinderten, der doch noch die Vergewaltigung versucht? Bewunderung für die Standfestigkeit einer völlig durchgeknallten religiösen Eiferin? Nein, der oft halb-dokumentarisch arbeitende Seidl stellt nicht einfach nur bloß in seinen, passend zum Ordnungswahn Annas streng symmetrischen Bildern. Wenn die Katholikin mit dem Moslem nach vielen kindischen Gemeinheiten raufend am Boden liegt, kann man nicht mehr auseinanderhalten, ob es hier um Religionen, Geschlechter oder In- und Ausländer geht. So wie der Name Anna lässt sich der Film von allen Seiten lesen. Dabei sorgten die skurrilen extremistischen Handlungen der penetranten Missionarin immer wieder für große Heiterkeit. Beim Glauben kennt Seidl, der selbst eine harte religiöse Erziehung durchleben musste, sich aus. Ein doppelbödiges Vergnügen.