31.8.25

Das deutsche Volk

Am Abend des 19. Februar 2020 tötete ein Neonazi in Hanau neun junge Menschen aus rassistischen Gründen. Über vier Jahre begleitete Regisseur Marcin Wierzchowski danach einige Angehörige der Opfer und beginnt seine teilweise erschütternde Dokumentation emotional und intelligent. Er lässt spüren, was Rassismus bedeutet, klagt institutionelle Diskriminierung und politische Ignoranz an. Es ist schauerlich, wenn Überlebende, die sich im Nachhinein die Überwachungsvideos anschauen, die Morde an ihren Freunden beschreiben. In diesen Schilderungen klingt schnell das Verhalten der Polizei und der Rettungskräfte seltsam. Ein Notausgang war versperrt, der Notruf war nicht besetzt, die Spezialkräfte waren scheinbar von Rechtsextremen durchsetzt und Sanitäter brachten sich hinter einer Trage mit einem Opfer in Sicherheit. Nach der Tat dauerte es den Verwandten viel zu lange, bis sie Klarheit über den Zustand ihrer Kinder oder Geschwister erhielten. Und dann die Diskussion über den Standort des Mahnmals zum Massaker: Die Angehörigen wollen es auf dem Marktplatz neben dem Denkmal der berühmten Hanauer Gebrüder Grimm sehen. Die Politiker meinen jedoch, dafür keine Zustimmung in der Bevölkerung gehört zu haben.

„Das deutsche Volk", benannt in Anlehnung an die Inschrift im Grimm-Denkmal, lässt anfangs die Opfer aufleben und macht aus Statistiken wieder Menschen. Zudem liefert die Dokumentation ein eindrucksvolles Beispiel zivilgesellschaftlichen Handelns, wenn einige der Angehörigen unter dem Hashtag „SayTheirNames" aktiv werden und eigene kriminologische Untersuchungen anstellen. Die Schwarzweiß-Ästhetik vermittelt Ernsthaftigkeit. „Das deutsche Volk" ist aber vor allem deshalb gut, weil dem Regisseur mit enormer Offenheit begegnet wird. Einerseits ist es positiv, dass der Fokus bei den Opfern bleibt. Andererseits scheinen in dieser Konstruktion alle anderen Schuld zu haben, nur der Täter nicht. Generell wären trotz der überwältigenden Ansammlung unglaublicher staatlicher Vorgehensweisen die Meinungen der Gegenseite interessant gewesen. Im Verlauf des über zweistündigen Films verwässert er seinen politischen Ansatz durch die sehr detaillierte Beobachtung der Trauer- und Verarbeitungsprozesse.

(Deutschland 2025) Regie: Marcin Wierzchowski, 138 Min., FSK: ab 6.