Das Leben der 12-jährigen Bailey scheint wie geschaffen für hartes englisches Sozialdrama: Getrennt von der Mutter, die vier Kinder von vier verschiedenen Männern hat. Ein viel zu junger, verantwortungslos verrückt lebender Vater. Und das alles in prekären Wohnverhältnissen. Doch die renommierte Autorenfilmerin Andrea Arnold macht daraus in „Bird" ein poetisches, wunderbares und überraschend junges Werk. Der deutsche Ausnahmeschauspieler Franz Rogowski („Transit", „Große Freiheit") spielt eine berührende Nebenrolle.
Die burschikose Bailey lebt mit ihrem heftig tätowierten Vater Bug (Barry Keoghan) in einem besetzten Haus in Kent. Zwischen Rebellion und Träumereien trifft sie in den Wiesen vor der heruntergekommenen Siedlung auf einen ungewöhnlich freundlichen Mann mit Rock. Bailey ist fasziniert von Bird (Franz Rogowski) und begleitet ihn auf der Suche nach seinem Vater. Währenddessen werden Baileys Geschwister und ihre Mutter von deren neuem, gewalttätigen Liebhaber bedroht.
Die 1961 geborene Andrea Arnold wurde nach einer Karriere als Schauspielerin 2006 in Cannes mit „Red Road" als Regisseurin international bekannt und gewann dort dreimal den Jury-Preis („Red Road", „Fish Tank" 2009, „American Honey" 2016), eine Besonderheit. Auch „Bird" feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb von Cannes. Arnolds Filme zeichnen sich oft durch einen realistischen, sozialkritischen Stil und starke weibliche Charaktere aus.
„Bird" zeigt heruntergekommene Wohnsiedlungen und Momente seltsamer Schönheit darin. Bailey, grandios gespielt von der Newcomerin Nykiya Adams, erlebt herzzerreißende Lebenssituationen für Kinder, Gewalt und Armut, verliert aber nie Optimismus und Mut. Immer begleiten sie Tiere im Bild. Erst eine Möwe, dann, wenn sie sich die Augen schwarz schminkt, ein Rabe, der auf märchenhafte Weise hilfreich wird. Fantastisch, wunderbar und einzigartig schließlich das traumhafte Finale. Eine stimmige und bezaubernd schöne Tiermetaphorik begleitet Baileys Erwachsenwerden. Andrea Arnold, die selbst aus Kent stammt, beweist mit dem teilweise autobiografischen „Bird" ein großes Herz für Menschen und Filmkunst.
„Bird" (Großbritannien/Frankreich/Deutschland/USA 2024), Regie: Andrea Arnold, mit Nykiya Adams, Barry Keoghan, Franz Rogowski 119 Min., FSK: ab 16.
11.3.25
September & July
Das atmosphärische Drama „September & July" entführt die Zuschauer in die außergewöhnliche Beziehung der Schwestern September und July. September (Pascale Kann) ist die Ältere, die July (Rakhee Thakrar) vor dem Mobbing der Mitschüler schützen will. Die beiden verständigen sich mit einer eigenen Pfeifsprache, manchmal verscheucht September Missliebige durch ihr Knurren. Mit blauen Regenmänteln sind sie unübersehbar, Septembers Abneigung gegen rotes Fleisch und rote Weingummis setzt sie gegen die Mutter Sheela (Rakhee Thakrar) durch. Das Familienleben ist ein ungewöhnliches mit den kreativen Fotoinstallationen der Künstlerin Sheela, welche immer nur die Schwestern zeigen. Ihr Motto: "Nur langweilige Menschen langweilen sich! Aber das Verhältnis erweist sich auch als besonders innig, wenn sich die drei ein Zelt im Wohnzimmer bauen und Schwüre der Verbundenheit austauschen.
Bestimmend - und der Originaltitel - ist das immer wieder mal sadistische Spiel „September Says": Die große Schwester September sagt etwas und July muss es tun. Das ist mal ein bizarrer Tanz, mal ein Messerschnitt am Hals. Der witzige und skurrile Ton dieses ungewöhnlichen Psychodramas ändert sich im letzten Teil: Die Handlung gewinnt an Intensität, als July ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht und sich heftig von ihrer dominanten Schwester löst. Nicht jede Szene bis dahin war zwingend, doch die finale Überraschung für Nicht-Leser der Vorlage gibt dem intensiven Drama zusätzliches Gewicht.
Das Regiedebüt der französisch-griechischen Schauspielerin Ariane Labed („Attenberg", „The Lobster", „Assassin's Creed") basiert auf dem Roman „Die Schwestern" von Daisy Johnson. Typisch für Labed seit ihren ersten Filmen sind körperlich sehr expressive Einlagen, die sie nun an ihre jungen Figuren weitergibt. Der Stil erinnert mit unkonventionellen Erzähltechniken und surrealen Elementen an die griechische New Wave. Diese wurde auch von Labeds heutigem Ehemann Giorgos Lanthimos („The Lobster", „Poor Things") geprägt. In der Gleichzeitigkeit von Figuren wie Themen in fremden und eigenen Filmen ähnelt Labed der angesagten Starregisseurin Greta Gerwig („Barbie").
„September Says" (USA 2024), Regie: Ariane Labed, mit Pascale Kann, Mia Tharia, Rakhee Thakrar 100 Min., FSK: ab 16.
Bestimmend - und der Originaltitel - ist das immer wieder mal sadistische Spiel „September Says": Die große Schwester September sagt etwas und July muss es tun. Das ist mal ein bizarrer Tanz, mal ein Messerschnitt am Hals. Der witzige und skurrile Ton dieses ungewöhnlichen Psychodramas ändert sich im letzten Teil: Die Handlung gewinnt an Intensität, als July ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht und sich heftig von ihrer dominanten Schwester löst. Nicht jede Szene bis dahin war zwingend, doch die finale Überraschung für Nicht-Leser der Vorlage gibt dem intensiven Drama zusätzliches Gewicht.
Das Regiedebüt der französisch-griechischen Schauspielerin Ariane Labed („Attenberg", „The Lobster", „Assassin's Creed") basiert auf dem Roman „Die Schwestern" von Daisy Johnson. Typisch für Labed seit ihren ersten Filmen sind körperlich sehr expressive Einlagen, die sie nun an ihre jungen Figuren weitergibt. Der Stil erinnert mit unkonventionellen Erzähltechniken und surrealen Elementen an die griechische New Wave. Diese wurde auch von Labeds heutigem Ehemann Giorgos Lanthimos („The Lobster", „Poor Things") geprägt. In der Gleichzeitigkeit von Figuren wie Themen in fremden und eigenen Filmen ähnelt Labed der angesagten Starregisseurin Greta Gerwig („Barbie").
„September Says" (USA 2024), Regie: Ariane Labed, mit Pascale Kann, Mia Tharia, Rakhee Thakrar 100 Min., FSK: ab 16.
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