10.5.16

Junges Licht

BRD 2016 Regie: Adolf Winkelmann mit Oscar Brose, Charly Hübner, Lina Beckmann, Peter Lohmeyer 122 Min. FSK: ab 12

Der 12-jährige Julian (Oscar Brose) flieht wieder mal die Schule, weil die Selbstverstümmelung an der falschen Hand halt nicht als Entschuldigung für vergessene Hausaufgaben herhält. Es sind die 60er-Jahre im Ruhrgebiet, für den Bergmannssohn sind brutale Prügelstrafen an der Tagesordnung. Das Geld reicht am Monatsende nur mit Flaschenpfand für die Packung Mirácoli. Bis Mutter zur Kur muss und die Männerwirtschaft neue Freiheiten zulässt.

Julian ist ein Gucker, das erkennt auch der fürsorgliche Nachbar Herr Gorny (Peter Lohmeyer), der ihm eine Kamera schenkt. So entwickelt sich über Tage mit herrlich lakonischem Tonfall eine Jugendgeschichte samt erwachender Sexualität, die sich an der Nachbarstochter austobt. Das Autobiographische schreibt hier nicht nur Regisseur Adolf Winkelmann („Jede Menge Kohle", „Contergan", „Engelchen flieg") erneut ins Kinogedächtnis, auch die mediale Erinnerung beginnt schon, wenn Herr Gorny sagt: „Fotografier mir Gesichter, so was schaut man sich später gerne an!"

Und so sieht man die Bergleute in den engen Schächten, die Frau am Büdchen und die besoffene Prostituierte mit dem naiven Blick des kleinen Jungen. Der auch noch nicht versteht, weshalb Papa und dessen Freund so um die Nachbarin rummachen. Oder die Familie später wider ihren Willen ausziehen muss. Da hilft dann auch eine Beichte nicht mehr, obwohl der Priester sehr geerdet all die kleinen Sünden als normale Adoleszenz erklärt.

Das ist Ruhrgebiets-Heimat in Gestus und Gestaltung, auch wenn hier das Schwarzweiß nicht immer nachvollziehbar von Farbe unterbrochen wird. Die gierig gekippte Milch nach der Schicht läuft im reizvollen Kontrast über die schwarzen Gesichter. Viel Aufmerksamkeit gilt der stählernen Mechanik, die alles am Laufen hält, dazu die denkmalgeschützte Architektur. Die unvorstellbar harte und gefährliche Arbeit unter Tage ist selbstverständlich Thema. Die Männer sprechen sich nur unter Tage aus, ihnen ist ein Brikett gefrorener Rahmspinat ebenso fremd wie die Psyche ihrer Frauen: „Hat irgendwas mit Gefühlen zu tun".

„Junges Licht" ist ein großes pathetisches Werk. Na ja, mit dem Pathos halt, den so ein einfacher Bergmann aus dem Ruhrgebiet verträgt. Aber bei aller mit Kohlestaub belegten Beweihräucherung der harten und ungesunden Industrievergangenheit hat „Junges Licht" auch reichlich erzählerische Qualitäten. Und viele, viele gute Schauspieler. Peter Lohmeyer gottgleich an den Hebeln des Aufzugs, das ist schon an der Grenze zum Satire, doch sein Charakter bekommt als gefährlicher Päderast bedeutende Züge. Wie überhaupt die kleine große Geschichte sorgfältig und emotional fein gezeichnet wurde. Nur schade, dass die Tonspur so vollgekleistert ist, vom Steigerlied bis zum Leitmotiv, das sich auf ewig einbrennen wird.