10.2.25

Hundreds of Beavers

 

Flauschig schräger Humor

Ein besoffenes Musicalstück zu Beginn zeigt Jean Kayak im Mittleren Westen der USA inmitten einer animierten Werbung für Apfelschnaps. Bis unserer Hauptfigur seine Cidre-Brennerei und der ganze Apfelhain wegen Biber-Knabbereien abbrennt. In den verschneiten Trümmern seines vergangenen Glücks beginnt ein Kampf mit den Elementen. Kayak erleidet fast alles, was das Slapstick-Archiv der Filmgeschichte hergibt: umstürzende Bäume, lebensgefährliche Eiszapfen oder Fallen, die den Erbauer selbst überlisten. 

Der „fur trapping fotoplan“ „Hundreds of Beavers“ bietet etwas Einzigartiges: Regisseur Mike Cheslik lässt seine Figuren vor animierten Hintergründen agieren und mit Hunderten von Statisten in mannshohen Plüschkostümen von Hasen, Bibern, Waschbären und Stinktieren interagieren - auf ihren Hinterbeinen. Das schlichte Spektakel im Stil alter Stummfilme mit Schwarzweiß, Lochblenden und Schrifttafeln soll nur 150.000 Dollar gekostet haben. Doch es ist kein stummer, sondern ein wortloser, aber manchmal recht lauter Film. Dabei ist die lässige Haltung der Schauspieler im Hasenplüsch ebenso komisch wie die riesigen Zähne der Biber oder die schwarzen Kreuze auf den Knopfaugen der toten Tiere.

Weil Kayak Nahrung braucht, macht er Jagd auf (Riesen-) Hasen und scheitert dabei ebenso beharrlich wie der Trapper Elmer Fudd an Bugs Bunny in der Zeichentrickserie „Looney Tunes“. Doch Kayaks eigentlicher Endgegner ist der Biber, was zu vielen weiteren peinlichen Niederlagen führt. Weil ständiges Scheitern über eine Stunde lang nicht mehr lustig wäre, kommt noch eine Liebesgeschichte mit der Tochter eines Pelzhändlers hinzu. Deren eifersüchtiger Vater ausgerechnet die titelgebenden hundert Biber als Brautgabe fordert.

Mike Chesliks Nobudget-Spaß ist eine schwarz-weiße Stummfilm-Slapstick-Komödie im Stil von Buster Keaton und Charlie Chaplin, im Geiste der Regisseure David Lynch („Eraserhead“) und Guy Maddin („Careful“), mit dem Humor von Monty Pythons Trickfilmgenie Terry Gilliam oder Studio Ghiblis verrückt-wilden Marderhunden (Tanuki) in „Pom Poko“. „Hundreds of Beavers“ steckt voller verrückter, bescheuerter und auch genialer Ideen, aber zeitweise geriet die Handlung doch dünn, wenn lange Strecken vor dem surrealen Aktion-Finale mit der großen Biberverschwörung wie ein Computerspiel namens Biberfang ablaufen. Das ist mehr Kunst als Kino, mehr Quatsch als Comedy, lässt einen aber auf jeden Fall schmunzelnd zurück.

In der Hauptrolle brilliert Ryland Brickson Cole Tews, der gemeinsam mit Regisseur Mike Cheslik auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet.

„Hundreds of Beavers“ (USA 2022), Regie: Mike Cheslik, mit Ryland Brickson Cole Tews, Olivia Graves, Doug Mancheski 108 Min., FSK: ab 12.

4.2.25

Könige des Sommers

Die Reifeprüfung

Der schlaksige Totone (Clément Faveau) ist 18, wirkt aber mit seinem unschuldigen Gesicht und den strubbligen blonden Haaren wesentlich jünger. Er ist ein typischer Junge mit Faszination für alles laut Übermotorisierte; wie die anderen Menschen aus dem Dorf eher wortkarg. Auf dem Dorffest feiert und säuft er wie sein Vater, tanzt dann nackt auf dem Tisch. Übermütig legt er sich wegen eines Mädchens mit größeren und deutlich kräftigeren Jungs aus der Nachbarschaft an. Am nächsten Morgen will er seine siebenjährige Schwester Claire (Luna Garret) nicht zur Schule bringen. Doch ganz plötzlich muss er es, weil sein alleinerziehender Vater - wieder mal besoffen - mit dem Auto gegen einen Baum fuhr.

Schnell wird der Besitz des kleinen Hofs verkauft, Vollwaise Totone hat keine Zeit mehr, wie die anderen Jugendlichen zu reifen. Nun muss die Schwester ihn wecken, da er abends getrunken hat. Mit dem Moped rasen sie zur Schule, bevor er einen Job in der großen Käserei beginnt. Den verliert er aber wieder, weil die Söhne des Chefs ausgerechnet die Dumpfschädel sind, mit denen er sich beim Dorffest geprügelt hat. Doch durch sie kommt ihm die Idee, dass man mit gutem regionalem Käse in einem Wettbewerb 30.000 Euro Preisgeld verdienen kann.

Mit seinen zwei Freunden holt er aus einer verlassenen Scheune einen alten Kupferkessel, um die beliebte Spezialität Compté zu produzieren. Der eine tauscht für das Projekt seinen selbst aufgebauten Stockcar-Wagen gegen den alten Traktor von Totones Vater ein. Der Junge verführt Marie-Lise (Maïwene Barthelemy), das sympathische Mädchen vom großen Hof, um bei ihr Milch zu klauen. Ausgerechnet die Schwester seiner Dauerfeinde!

Die Freunde lernen mit vielen Rückschlägen eine Menge über das Käsemachen und das Leben. Mühsam finden sie die richtige Temperatur für die Milch, vergessen aber, das Lab hineinzugeben. Dann verbrennen sie sich die Arme beim Versuch, den Käse aus dem Kessel zu holen. Und noch einmal muss in der Nacht Milch stibitzt werden. Letztlich studieren sie mit den Touristen bei einer Käserin die Geheimnisse des Handwerks. Doch um als ausgezeichnete und kontrollierte regionale Spezialität das französische Schutzsiegel AOP-Siegel (Appellation d'Origine Protegée) zu bekommen, müssten Futter und Milch zertifiziert sein. Wenn zum Abschluss die ununterbrochene Plansequenz des Anfangs mit einem langen Gang übers Festgelände wiederholt wird, hat Totone seine Reifeprüfung erfolgreich abgeschlossen.

Die schöne und einfühlsame Komödie „Könige des Sommers" ist mit ihren jungen Helden mehr als ein üblicher Coming of Age-Film. Es geht ums zwar ums „Erwachsenwerden", wie der Genrename übersetzt wird – Totone lernt schließlich, Verantwortung zu übernehmen. Der Debütfilm von Louise Courvoisier, geboren 1994, ist auch ein stimmiges Porträt der Jura-Region, in der sie aufwuchs, bevor sie an der Cinéfabrique in Lyon Film studierte. In jeder Faser frisch und lebendig, erinnert „Könige des Sommers" gleichzeitig an die Lausbuben-Geschichten von François Truffauts Figur Antoine Doinel („Sie küssten und sie schlugen ihn", 1959) und an die japanischen Sozialdramen um entwurzelte Kinder von Hirokazu Koreeda („Shoplifters – Familienbande", 2018). Auch Totone und seine Schwester holen sich Lebensmittel aus den Containern von Supermärkten.

Gemeinsam ist diesen Filmen, dass sie die jungen Menschen ernst nehmen. So betrachtet die Regisseurin Louise Courvoisier ihre Helden mit großer Zärtlichkeit und Zuneigung, auch wenn Totone einige Schwächen hat. Eine Besonderheit liegt in der authentischen Verwurzelung des Films: Für Charaktere und die Geschichte, hat sich Courvoisier „von den Menschen inspirieren lassen, die mich umgeben und die ich seit meiner Kindheit beobachte. Totone und seine Freunde sind ein bisschen wie die Jugendlichen in meinem Heimatdorf. Viele von ihnen haben ihre Ausbildung früh abgebrochen, um mit ihren Eltern in deren landwirtschaftlichen Betrieben zu arbeiten. Viele kennen schwierige familiäre Situationen. Ich wollte diese Jugendlichen, die im Kino nur selten auf der Leinwand zu sehen sind und mit weniger Chancen ins Leben starten als viele andere, in einem positiven und differenzierten Porträt zeigen." Sie wollte ihre „Figuren in ihrer Rauheit zeigen, die aber nicht ausschließt, dass sie sehr sensibel sind und gewisse Schwächen haben. Aber ohne sie auf eine pathetische Art und Weise darzustellen, die nicht zu ihnen passt."

Die einfühlsame Filmmusik stammt vom Bruder und der Mutter der Regisseurin, Charlie und Linda Courvoisier. Sie haben nach schlichter und ausdruckstarker Musik gesucht, die für einen Western typisch ist. Aus der Region kommen auch viele LaiendarstellerInnen. So lebt die Darstellerin der Käserin im Dorf der Regisseurin und ist im wirklichen Leben Gefängniswärterin. Die authentische Umgebung des Jura wurde mit großartigen Bildern im Cinemascope-Format des Westerns inszeniert. Kameramann Elio Balézeaux gelang eine tolle Fotografie des Landlebens mit schönen Farbakzenten auf Hof und Scholle. Wir sehen fasziniert ein Kalb in einem stillgelegten Auto und Stillleben mit Traktor.

Das Filmdebüt von Regisseurin Louise Courvoisier verzichtet auf das große Drama und schenkt uns dafür eine beglückende, leichte Erzählung mit genauem Blick auf kleine Gesten. Sie begeisterte beim Filmfestival in Cannes, gewann den „Prix de la Jeunesse" in der Reihe „Un Certain Regard". Bei den französischen „Lumiere Awards" gab es den Preis des besten Nachwuchs-Schauspielers für Clément Faveau, den Darsteller des Totone, und den Preis für das beste Debüt. Auch die Herzen des französischen Kinopublikums eroberte der moderne Heimatfilm. Dieser ist nicht spektakulär, zeigt dafür echtes Leben und nahe Gefühle.

(Der französische Originaltitel „Vingt Dieux" ist ein Ausdruck des Erstaunens von Totone und bedeutet wortwörtlich übersetzt „Zwanzig Götter".)

(Aachen: Apollo) 4 von 5 Sternen
„Könige des Sommers" (Frankreich 2024), Regie: Louise Courvoisier, mit Clément Faveau, Luna Garret, Mathis Bernard 90 Min., FSK: ab 12.