31.1.17

Die irre Heldentour des Billy Lynn

USA, Großbritannien, VR China, 2016 (Billy Lynn's Halftime Walk) Regie: Ang Lee mit Joe Alwyn, Kristen Stewart, Chris Tucker, Garrett Hedlund, Vin Diesel, Steve Martin 112 Min.

Nach einem kleinen Scharmützel im Irakkrieg, bei dem zufällig eine vergessene TV-Kamera mitlief, hat der 19-jährige Soldat Billy Lynn (Joe Alwyn) mit seiner Einheit Heldenstatus. Sie dürfen für zwei Wochen auf Jubel-Tour nach Hause in die USA und zucken dort bei jedem Freuden-Feuerwerk zusammen. Doch das Volk ist begeistert. An Thanksgiving ist der Trupp um Billy Teil der Halbzeit-Show eines mäßigen Football-Spiels. Als Deko für „Destiny's Child" stehen die gedrillten Killer im Hintergrund von Beyoncé dumm rum. Besonders Billy ist in Gedanken woanders, hat er sich doch vor ein paar Stunden in einen Cheerleader verliebt und wird von seiner Schwester gedrängt, nicht wieder in den Krieg zu ziehen.

Was da 2007 in Texas stattfindet, ist ein uniformierter Schulausflug. Die Stars sind noch Kinder, die nun reichlich Erfahrungen mit nationalistischen Strippern machen. Kurz nachdem sie ihren Anführer beerdigt haben. Billy Lynn ist noch Jungfrau aber ein kluger, aufmerksamer Junge. Er sieht beim Rückflug mit der Leiche des Freundes die im Irak erfolgreichen amerikanischen Geschäftsleute an Bord. Dann doppeln sich Szenen und wir sehen auf einer Pressekonferenz die ehrlichen Antworten, die nicht gegeben werden: Ob sie mit ihrem Einsatz etwas bewirken würden? „Ja, wir produzieren haufenweise verrückte Selbstmordattentäter dort unten."

Billy will nicht wieder zum Morden an die Front, traut sich aber nicht, die nötigen Schritte zu unternehmen. Dass ihn seine Schwester Kathryn (Kristen Stewart) so bedrängt, hat einen tragischen Hintergrund: Ihr Körper ist voller Narben, nachdem ein Mercedes sie über den Haufen gefahren hat. Die Rache am Auto (!) des Unfallfahrers brachte Billy den Kriegseinsatz als Strafe, eine besonders grausame Form der Todesstrafe.

Nun sammelt sein entfremdeter Blick auf Zivilisten und sichtlich bescheuerte Sportfans Perversitäten wie eine Hummer-Stretchlimousine, christlich patriotische Cheerleader und, in einer Loge beim Football-Spiel, die Phrasen der Politiker (Steve Martin!), die zuhause Geschäfte mit dem Krieg machen.

Nach Mel Gibson („Hacksaw Ridge") versucht sich nun Ang Lee an einem Antikriegsfilm. Aber wie bei exzellenten Filmemachern zu erwarten, ist „Die irre Heldentour des Billy Lynn" viel mehr als eine filmische These. Mit den Augen des jungen Billy Lynn, Mörder und Opfer im Irak-Krieg, sehen wir was diese Invasion mit den Menschen der USA macht.

Die humanistische Kunst von Ang Lee („Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger", „Tiger & Dragon" und „Der Eissturm", „Das Hochzeitsbankett") liegt hier darin, dass er niemanden diffamiert. Man versteht mit Billy Lynn mehr über die seltsamen Verhaltensweisen ganz gewöhnlicher Amerikaner. Das muss einem nicht gefallen, aber mit diesem großen Respekt vor den Menschen sowie ihren Beweggründen entsteht ein guter, diskussionswürdiger Film.

Mit einigen spannenden und auch witzigen Momenten folgt er der raffinierten Patriotismus-Kritik „Heil dem siegreichen Helden" von Regisseurs Preston Sturges aus dem Jahr 1944. Und hat einen wachen Blick für „die anderen": Tatsächlich weckt bei brutalen Hausdurchsuchungen der Ausdruck des kleinen Sohns eines auf Verdacht Verhafteten Mitleid und Befürchtungen hinsichtlich dessen zukünftiger Widerstands-Karriere. Beim Nahkampf erschreckt das Gesicht des sterbenden Gegners in Großaufnahme. In einer sehr überraschenden Besetzung gibt ausgerechnet Actionfigur Vin Diesel („XXX") einen philosophischen Kommandanten mit ernsthaften buddhistischen Weisheiten. So mischen sich die Klagen über miese soziale Bedingungen, die junge Leute in den Krieg zwingen, und über die nicht bessere Behandlung nach der Rückkehr mit einem wehmütigen Blick auf die US-Gesellschaft. Wie Lees „Brokeback Mountain" kein leichter, kein schöner, aber ein sehr bemerkenswerter Film.