11.3.18

The Florida Project

USA 2017 Regie: Sean Baker mit Brooklynn Kimberly Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe, 111 Min. FSK ab 12

Micky Maus auf Hartz IV? Klingt komisch, ist als Sozialdrama vor den Toren von Disneyworld in Florida ein erstaunlich buntes und sehr bewegendes Meisterwerk:

Das „Magic Castle" ist echt grell lila und ein heruntergekommenes Motel außerhalb von Disneyworld in Orlando, Florida. Die wohl einst hoffnungsvolle Anlage mit Pool wurde zur Sozialsiedlung mittel- und vaterloser Familien mit ein paar verirrten Disney-Gästen. „Die Tafel" kommt regelmäßig mit Lebensmittelspenden vorbei. Draußen fliegen Hubschrauber von der Wiese die Menschen zu Disney, die sich ein Familien-Ticket für 1700 Dollar leisten können. Vom Picknick-Platz zeigt man denen den Stinkefinger.

Im diesem eher manischen als magischen „Magic Castle Motel" wohnt Halley (Bria Vinaite) mit ihrer sechsjährigen Tochter Moonee (Brooklynn Prince). Mit ihrer Freundin macht Moonee die Gegend unsicher, zwei unglaublich unverschämte, naseweise und ordinäre Herzchen. Sie rotzen vom Balkon, schnorren sich ein Eis zusammen, schnauzen andere an und fackeln auch mal ein Haus ab. „Die kleinen Strolche" der 2000er.

Ebenso unbedarft schafft Mutter Halley mit Betteln und Straßen-Verkauf von Parfüm-Fälschungen das Geld für die Miete ran. Trotzdem verlangt das Gesetz, dass sie zwischendurch für einen Tag auszieht. Halley ist atemberaubend dreist und unverschämt in ihren Diebstählen und Betrügereien. Die fröhliche junge Frau kann auch fluchen und beleidigen, selbst Leute, die es gut mit ihr meinen. Das ist eigentlich nur noch Bobby (Willem Dafoe), der herzensgute Hausmeister der Motel-Anlage.

Aber Haleys sehr legere Erziehungsmethoden erlauben Moonee unbekümmert von der prekären Situation diesen Abenteuerspielplatz des sozialen Niedergangs zu erleben. Ihr frecher Spaß, die tolle Natürlichkeit der kleinen Schauspieler sind ein sehr gewinnendes Element von „The Florida Project". Bei der Begeisterung über die schöne Geschichte, bei den echten Menschen übersieht man leicht, wie unglaublich gut der Film gemacht ist, was für ein exzellenter Regisseur und Autor Sean Baker ist. Nach seinem grandiosen „Starlet" mit der Hemingway-Urenkelin Dree als Porno-Darstellerin und „Tangerine L.A." über eine transsexuelle Prostituierte (komplett mit einem iPhone gedreht) konfrontiert Baker nun in einem so ebenso krassen wie geniale Setting Traumwelt und Armut im reichen Amerika. Diese surreale Umgebung neben der „Sieben Zwerge-Straße", schreiend bunt eingefangen von Kameramann Alexis Zabe, bildet die Folie für eine clever erzählte Geschichte, die sich den klebrigen Klischees des Sozialdramas frisch und frech entzieht.

In dieser realistischen Märchenwelt beeindrucken die Laiendarstellern Brooklynn Prince als Moonee und Bria Vinaite als Halley. Ganz erstaunlich, wie ihre Figur in jeder Hinsicht unverschämt und hyperaggressiv durch die Szenen hüpft und man trotzdem auf ihrer Seite bleibt. Willem Dafoe („Spider-Man", „Antichrist") ist mit großer Lässigkeit in einer ganz ungewöhnlichen Rolle als Manager und Hausmeister zwischen Herz und Strenge zu erleben.

Dass irgendwann doch das Jugendamt auftaucht, nachdem Halleys wirkliche Tätigkeit verraten wird, macht die ungewöhnliche Dramaturgie nur noch treffender - bis zum bitter-süßen Märchen-Schlussbild für Moonee.