28.10.17

Good Time

USA 2017 Regie: Ben Safdie, Joshua Safdie mit Robert Pattinson, Ben Safdie, Jennifer Jason Leigh 101 Min. FSK: ab 12

Bei einem dämlich ausgeführten Banküberfall ließ Constantine (Robert Pattinson) seinen geistig behinderten Bruder zurück. Nun will er ihn aus dem Gefängnis rausbekommen, bekommt aber die Kaution nicht zusammen. Doch die Flucht aus dem Krankenhaus klappt, was nur der Beginn einer nächtlichen Odyssee ist. Twighlight-Star Pattinson ist mittlerweile beim kleinen, dreckigen Film angekommen. Aber noch nicht bei den guten kleinen, dreckigen Filmen: Die Brüder Safdie schicken ihn auf einen chaotischen Trip, bei dem die Neon-Farben ebenso rau sind, wie die sozialen Verhältnisse. Garniert wird der Independent-Film von einem Synthie-Soundtrack wie aus den 80ern liegengeblieben.

The Secret Man

USA 2017 (Mark Felt: The Man who brought down the White House) Regie: Peter Landesman mit Liam Neeson, Diane Lane, Marton Csokas 103 Min. FSK: ab 0

Der Mann, der Nixon stürzte

Ein Amtsenthebungsverfahren erscheint gerade die einzige Hoffnung, wie man die Welt von der Geißel Trump befreit. Der ungemein spannende und hochpolitisch aktuelle Film „The Secret Man", über den Mann, der laut Original-Titel „das Weiße Haus stürzte", zeigt wie das geht, beziehungsweise wie der unmoralische und kriminelle Präsident Nixon überführt wurde. Die Hauptfigur Mark Felt legt zwar definitiv zu Anfang einen Colt an, der wird jedoch im ganzen Geschehen nicht ein einziges Mal mehr angepackt. Denn Spannung geht auch ohne Schießerei.

1972 bestimmen Proteste gegen den Vietnamkrieg und Wahlkampf die USA. Dann lässt Noch-Präsident Nixon kriminelle Typen in die Zentrale der Demokratischen Partei einbrechen. Die Aktion im Watergate-Hotel verhindert allerdings nicht Nixons Wiederwahl. Nur das FBI ahnt, was wirklich passiert ist. Doch nach dem Tod des legendären Schnüfflers Edgar Hoover setzt das Weiße Haus seinen Mann an die Spitze des Geheimdienstes und steuert das FBI - völlig im Widerspruch zur Verfassung. Ein Affront für einen Mann, der seit 30 Jahren mit Überzeugung unter Hoover gedient hat: Mark Felt (Liam Neeson), ist Vize-Chef des FBI und wurde bei der Nachfolge grob übergangen. Doch noch unerträglicher ist, dass Informationen des FBI beim Präsidenten-Team landen und dass er nicht mehr in Sachen Watergate ermitteln soll. Mark Felt entscheidet sich zu einer Tat, die ihn an ein schreckliches Kindheits-Erlebnis erinnert: Sein Vater zwang Mark, das eigene, kranke Pferd zu erschießen!

Watergate, saubere Trennung der Institutionen im Staat, Amtsmissbrauch ... klingt nach Politik-Seminar, ist aber in der Inszenierung von „The Secret Man" mit einem sensationellen Liam Nesson der spannendste Film im aktuellen Kino. Schon Alan J. Pakulas Kinoklassiker „Die Unbestechlichen" von 1976 behandelte die Watergate-Affäre, die eigentlich Nixon-Affäre heißen müsste. Damals spielten Dustin Hoffman und Robert Redford die Journalisten der Washington Post, Carl Bernstein und Bob Woodward, die ihren mysteriösen Informanten „Deep Throat" in einer Tiefgarage trafen. Nun erzählt „The Secret Man" die Perspektive dieses berühmten Whistleblowers.

Und tatsächlich beruht der Film auf der Autobiographie „Felt: The Man Who Brought Down the White House". So beeindrucken zwar Standfestigkeit, mit der Mark Felt Grundprinzipien moderner Demokratien verteidigt, und die persönlichen Opfer, die er dafür bringt, aber der Vize-Chef des FBI wird kaum immer ein so ehrenwerter Kerl gewesen sein, als der er sich hier selbst darstellt.

Liam Neeson zeigt sich ohne Action aber trotzdem sensationell eindrucksvoll. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der ungemein körperlich auftretende Schauspieler Liam Neeson diesen extrem standhaften Mann spielt. Eine lang unbewegte, fast versteinerte Miene, die Stimme tief wie bei Clint Eastwood. Das Drehbuch von Regisseur Peter Landesman gibt dieser eindrucksvollen Persönlichkeit durch eine Tochter, die seit mehr als einem Jahr in der linken Subkultur verschwunden ist, zusätzliche Schattierungen. Unglaublich gute Kamera und Musik komplettieren diesen sehr wichtigen und spannenden Film.

Thor: Tag der Entscheidung

USA 2017 (Thor: Ragnarok) Regie: Taika Waititi mit Chris Hemsworth, Tom Hiddleston, Cate Blanchett, Idris Elba, Jeff Goldblum 131 Min. FSK: ab 12

Fantasy, Science Fiction, Trash, Kinderkram und ganz große Witznummer - der neue „Thor" müsste sich eigentlich entscheiden, was für ein Film er sein will. So unterhält das kurzweilige Durcheinander mit Chris Hemsworth und Cate Blanchett, bleibt aber nur noch ein Superhelden-Filmchen einer schon jetzt unübersichtlichen Sammlung.

„Thor: Ragnarok" heißt es im Original und dieses Ragnarok aus den nordischen Mythen ist wie die inflationäre Apokalypse der Christen - so richtig endgültig das Ende. Göttersohn Thor (Chris Hemsworth) spielt noch voller Muskeln und Ironie den Superhelden und trauert etwas um den irgendwie und doch nicht ganz verstorbenen Vater Odin. Doch das wirkliche Problem liegt wie so oft in der eigenen Familie: Die ältere Schwester Hela kehrt aus der Vergessenheit zurück und hat als mächtige Göttin des Todes alle Waffen für eine ganz große Racheaktion. Nun erzählt der Film mit einer grandios düsteren Cate Blanchett mit pieksigem Hirschgeweih und scharfem Lederklamotten eine durchaus tiefgründige Familiengeschichte um die zu unrecht verstoßene Tochter. Und schickt den entmachteten Thor auf eine alberne und mehr als holperige Abenteuer-Reise samt Werbeeinblendungen für andere Marvel-Konzernabteilungen.

„Thor" liefert Kindergarten-Dialoge, bevor lächerliche Kloppereien auf gleichem Niveau losgehen. Statt Thors mythischem Hammer Mjölnir sorgt Led Zeppelins fast noch 60er Wikinger-Rock „Immigrant Song" für Schwung. Allerdings hat alles, was aus den nordischen Mythen geklaut wurde, Hand und Fuß, fasziniert und lässt nachdenken. So wie Neil Gaimans Roman „American Gods" und deren grandiose Verfilmung ja auch nur eine ganz große Ragnarok-Geschichte ist. Wenn jedoch der Verräter der Götterheimat Asgard seine „Maschinengewehre aus Texas" mit „Des" und „-troy" benennt, ist das echt der Comic, der „Thor" einst war.

Ein Comic, aufgewertet mit erstaunlichen Schauspiel-Einlagen. Damit ist jetzt nicht die Lach-Nummer von Matt Damon gemeint, der in einer Theater im Film-Einlage einen heldenhaften Loki gewollt schlecht spielt. Während sich dieser hinterlistige Halbbruder Thors wieder einmal als Odin ausgibt und die ganze Maskerade im Shakespeare-Stil inszeniert. Die wenigen, kurzen Szenen, die Anthony Hopkins als Odin noch hinlegt, haben alle Gänsehaut-Potential. Und dann Cate Blanchett (demnächst völlig wandlungsfähig in „Manifesto"), die das Böse so gut wie noch nie aussehen lässt! Unter all den Effekten und Tricksereien ist es wieder mal echte Schauspiel-Superkraft, die einen hammermäßig umhaut.

Jeff Goldblum hat als alberner Grandmaster einen großen Auftritt auf einem Gladiatorkampf-Planeten, von dem man durch des „Teufels Anus" fliehen muss! Benedict Cumberbatch tritt als Dr. Strange dramaturgisch völlig unnötig auf. Wie auch die trampelhafte Einlage von Hulk und Bruce Banner nur Werbung für das Superhelden-Arsenal von Marvel darstellt.

Aber letztlich passt dies zu einem Film, in dem nichts zueinander passt: Science Fiction fliegt durchs All, politische Dystopie blitzt auf, wenn eine Weltraum-Müllhalde auf Blade Runner-Kopie macht. Haufenweise Auftritte, Welten, Stile und Gast-Einlagen purzeln durcheinander, auch die Musik findet keine Linie. Aber wenigstens vergeht bei diesem holperigen Walküren-Ritt - ja, auch die gibt es - die Zeit mit Lichtgeschwindigkeit.

27.10.17

Lady Macbeth

Großbritannien 2016 Regie: William Oldroyd mit Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Paul Hilton 89 Min. FSK: ab 12

Für den Preis eines Stückchens Land wurde sie verkauft. Wir sind in England, zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Nun ist Katherine (Florence Pugh) Ehefrau von Alexander Lester (Paul Hilton), der sie abends im Schlafzimmer nicht anfasst, sondern sie nur nackt anschaut. Auch der Film sperrt Katherine ein - in einen Rahmen der Räumlichkeiten. Selten sorgt ein Sonnenstrahl oder ein Ausflug für Aufhellung. Doch als sowohl Alexander als auch der dominante Schwiegervater Boris Lester (Christopher Fairbank) ohne Ankündigung vom Anwesen abreisen, beginnt die geknechtete Hausherrin ein leidenschaftliches Verhältnis mit einem ungehobelten Arbeiter. Diese, auch sexuelle Befreiung führt zu einer Selbst-Ermächtigung gegen den schlagenden Schwiegervater. Auch der gemeinsame Mord des Paares am nach langer Zeit zurückkehrenden Ehemann zeigt eine schockierende Gewalt und Entschlossenheit. Das schwarze Hausmädchen Anna verstummt vor Schock und Schuld, doch die wahre „Lady Macbeth" ist noch nicht am Ziel.

Anders als in Nikolai Leskows Vorlage, dem Roman „Lady Macbeth von Mzensk" aus dem Jahr 1865, und der gleichnamigen Oper von Dmitri Schostakowitsch und Alexander Preis wird sich das Ende des Dramas gestalten. Mit der Verlagerung ins England des 19. Jahrhunderts kommen in der äußerst packenden Verfilmung zum Schlachtfeld Geschlecht auch das von Klasse und Ethnie hinzu. Ein in dichter Inszenierung und exzellenter Kamera (Ari Wegner) sehr eindrucksvolles Kinodebüt von William Oldroyd. Bei einer fesselnden und schockierenden Geschichte vor allem auch die Entdeckung der Hauptdarstellerin: Die bislang unbekannte Florence Pugh spielt Katherine in allen Gefühlslagen und Macht-Positionen geradezu atemberaubend intensiv. So blickt die Kamera nach Katherines dritten Mord eine gefühlte Nacht nur auf ihr Gesicht, das die Tat im Wandel verarbeitet. Ein unvergesslicher Kinomoment!

24.10.17

Die Unsichtbaren - Wir wollen leben

BRD 2017 Regie: Claus Räfle mit Max Mauff, Alice Dwyer, Ruby O. Fee, Aaron Altaras, Victoria Schulz, Florian Lukas, Andreas Schmidt 110 Min. FSK: ab 12

Das bewegende Doku-Drama re-inszeniert vier Geschichten von jungen Berliner Juden, die vor den tödlichen Transporten der Nazis untertauchten: Cioma Schönhaus gibt kurz vor dem Abtransport vor, dass er in einem kriegswichtigen Betrieb unabkömmlich sei. Mit weiteren Tricks wechselt er als angeblicher Soldat auf Heimaturlaub die Wohnungen. Dabei fälscht er nicht nur seinen eigenen, sondern auch viele andere Pässe. Aus Hanni Lévy wird mit blonden Haaren Hannelore Winkler. Eugen Friede verteilt nachts im Widerstand Flugblätter. Tagsüber versteckt er sich in der Uniform der Hitlerjugend und im Schoße einer deutschen Familie. Und schließlich ist da noch Ruth Gumpel, die als Kriegswitwe getarnt, NS-Offizieren Schwarzmarkt-Delikatessen serviert.

Regisseur Claus Räfle und seine Ko-Autorin Alejandra López haben die vier Überlebenden schon 2009 für einen anderen Film interviewt. Nun erzählen sie vor der Kamera, während Schauspieler die Erinnerungen nachspielen. So ist „Die Unsichtbaren - Wir wollen leben" in den Spielszenen ein spannend gestalteter Historienfilm, der seine Glaubwürdigkeit von den Gesichtern und den Stimmen der Überlebenden erhält. Das ist auch mit ein paar historischen Aufnahmen so gelungen, dass es in die Zeit hineinzieht. Dabei passt die Wahl der Schauspieler gut, vor allem der gewitzte Fälscher Cioma Schönhaus scheint als alter Mann und von Max Mauff als Untergetauchter dargestellt eine Person zu werden. Vor allem vermittelt das im Kino seltene Format des Doku-Dramas unter Ausblendung des wirklichen Horror des Holocaust, der nur eine Ahnung bleibt, die allgegenwärtigen Ängste, die dauernden Lügen und Verstellungen der „Unsichtbaren".

Maudie

Kanada, Irland 2016 Regie: Aisling Walsh mit Ethan Hawke, Sally Hawkins, Kari Matchett 116 Min. FSK: ab 12

„Maudie" ist Künstlerporträt, ist Biopic und lässt doch alle Klischees der Gattung weit hinter sich: Die Geschichte der kanadischen „Folk-Art-Künstlerin" Maud Lewis (1903-1970) beginnt trist im Haus ihrer Tante, wo die junge Frau „abgestellt" wurde. Als Kind an rheumatischer Arthritis erkrankt, wirkt sie zerbrechlich, humpelt und ihre Hände sind verkrüppelt. Man traut ihr nichts zu und so nutzt Maud (Sally Hawkins) die erste Gelegenheit, von ihrer grausamen Familie wegzukommen. Die Gelegenheit bietet sich in Form des polternden, groben Klotzes Everett Lewis (Ethan Hawke), der für seine schäbige Hüte eine Haushälterin sucht. Nun ist Maud überhaupt nicht als Haushaltshilfe geeignet, aber Everett gleichermaßen nicht fürs Zusammenleben. Trotzdem zieht sie bei ihm ein, schleppt den schweren Kochtopf mit krummen Händen und geht mit ihren krüppeligen Füßen den weiten Weg aus der Einöde zum kleinen Laden des Kaffs.

Es wäre untertrieben, Everett als sehr einfach gestrickten Mann zu beschreiben, der viel Mühe hat, mit ausgerechnet dieser Frau zurecht zu kommen. Aber in besonders schwierigen Momenten beginnt Maud zu malen: Auf der Wand, den Möbeln und auf kleinen Zetteln. Sie bringt auch seinen kleinen Fischhandel in Ordnung. Dabei bekommt sie allerdings bald mehr Aufmerksamkeit und Geld für die selbst gemalten Karten, die als Quittung herhalten. Sie beginnen, die Bilder zuhause auszustellen und zu verkaufen. Die bunten Zeichnungen aus Tier- und Pflanzenwelt werden ein großer Erfolg, sogar Präsident Nixon will eine, bekommt sie aber nur, wenn er zahlt. Da sind sich die beiden Käuze einig!

Heute ist Maud Lewis als Folk Art Künstlerin anerkannt, ihre Gemälde hängen in zahlreichen Kunstsammlungen. Doch in „Maudie" bleibt diese Erfolgsgeschichte beiläufig. Dies ist ein wunderbarer Liebesfilm der besonderen Art. Vor allem Everett ist verschroben in einer Weise, die richtig komisch wäre, wenn man nicht mit ihm leben müsste. Wie er allerdings betont, dass sie rausfliegt, wenn sie ihren Haushaltsjob nicht mehr macht, und dann selbst zum Besen greift, damit sie mehr Zeit zum Malen ihrer einträglichen Bilder hat, ist schon fast liebevoll. Er bleibt ein sehr grober Idiot und sie liebt ihn weiterhin. So kommt es auch in einer Mischung aus Pragmatismus und spröder Zuneigung sogar zur Hochzeit.

„Maudie" zeigt dieses Glück sehr schön, spielt zwischendurch die passend raue Landschaft und das Wetter an Kanadas Ostküste aus. Dazu gibt es sehr schön passende Folk-Musik. Aber der Film gewinnt einen vor allem über die Darstellung Mauds durch Sally Hawkins, die fast wieder ihren unerschütterlichen Poppy-Charakter aus „Happy-Go-Lucky" (2007) aufnimmt. Ein reiner Sonnenschein - so wie bei ihren Bildern ist die einfache Fröhlichkeit keineswegs naiv, sie kommt aus tiefem Herzen. Was einen kleinen Glücks-Film mit viel leisem Humor ergibt. Ethan Hawke ist in der assistierenden Hauptrolle so groß, dass er einige Filmpreise erhalten sollte. Da wird am Ende jeder tief gerührt in den Kinosesseln versunken sein, trotzdem der Hinweis, es gibt im Abspann noch ein paar wunderbare Originalbilder.

23.10.17

Django

Frankreich 2017 Regie: Etienne Comar mit Reda Kateb, Cécile de France, Beata Palya 117 Min. FSK: ab 12

Die Finger fliegen so rasant und ungewöhnlich über die Saiten wie bei Sean Penn in Woody Allens Biografie „Sweet and Lowdown". Doch dieser Django Reinhardt ist ein anderer, die Zeit ist brutal in ihrem Rassenhass: „Django" erzählt eine Episode im Leben des Belgiers Jean „Django" Reinhardt (1910-1953). Es ist die erfolglose Flucht vor den deutschen Besetzern in Paris in die Schweiz im Jahr 1943. Das Regie-Debüt des französischen Produzenten Etienne Comar („Von Männern und Göttern", „Mein Ein, mein Alles") zeigt den Wandel des unpolitischen Bohemiens und Genies des Gypsy-Swing zum Komponisten einer ergreifenden „Zigeunermesse" für die verfolgten und ermordeten Roma. Deren Partitur ging zwar verloren, der erhaltene Teil bildet aber den Schlussakkord des Films.

Bis zu diesem tieftraurigen Moment erlebt Django (großartig gespielt von Reda Kateb), der ersten Warnungen von Transporten nicht glaubt und von Angeboten der deutschen Führung lebt, wie immer mehr Menschen verhaftet werden und verschwinden. In einer schockierenden Szene werden die Wagen einer befreundeten Sippe im Flammenwerfern abgefackelt. Die absurden Forderungen der Kultur-Nazis, Django dürfte nicht improvisieren, keine „Negermusik" spielen und nicht mit dem Fuß wippen, sind noch der amüsante Teil eines schon verlorenen Kampfes um die Freiheit der Musik und damit der Kultur. Die andere Belgierin des Films, Cécile de France, verkörpert in der tragischen Figur der gefolterten und gebrochenen musikalischen „Königin von Montparnasse" dieses Ende der Freiheit. „Django", der Eröffnungsfilm der letzten Berlinale, gemahnt auf ergreifende Weise, zu was Rechte an Macht fähig sind.

Sommerhäuser

BRD 2017 Regie: Sonja Maria Kröner mit Thomas Loibl, Laura Tonke, Ursula Werner, Günther Maria Halmer, Mavie Hörbiger 97 Min. FSK: ab 12

Im besonders heißen Sommer des Jahres 1976 wurde in Entebbe eine Flugzeugentführung beendet, bei den olympischen Sommerspielen in Montréal kämpften noch BRD gegen DDR und Ulrike Meinhof starb unter umstrittenen Umständen in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Diese Ereignisse dringen kaum bis in den sommerlichen Garten einer großen Familie. Den alten Baum fällte symbolträchtig der Blitz, das Haus der gerade verstorbenen Oma ist fast abgebrannt. Jetzt kommen die Münchener zu den Verwandten auf dem Land. Der Sommer im Garten besteht aus Wespen töten und Baumhäuser bauen. Der aus Kinderperspektive unheimliche Nachbar im Wald hinterm Zaun hat einen Puppenfriedhof, in den Zeitungen wird ein Kind vermisst. Die Erwachsenen hegen Hoffnungen auf das Erbe, das Häuschen und das Grundstück. Die Spannungen zwischen den eifersüchtigen Schwestern setzen sich bei ihren Kindern fort. Gitti protzt mit teuren Klamotten von ihren wechselnden reichenden Männern, der Vater ihrer Tochter kommt allerdings nie zu deren Geburtstagen. Ihr Schwester Eva stichelt und betont der Wert ihrer kompletten Familie.

Das wird mit guten Darstellern schön charakterisiert. Drumherum sorgt eine Ausstattungsorgie mit furchtbaren Schlaghosen, gelben Telefonzellen, Kaugummi-Automaten, Mofas und Nachrichten, die man auf Papier schrieb, für die glaubhafte Zeitstimmung. In der sehr ruhigen Entwicklung klingt ein wenig Kirschgarten mit dem Verlust der alten Familien-Gemeinschaft an. Sehr gewitzt und „natürlich" steigt die Spannung. Der Kampf mit den Wespen artet in einer Szene a la Hitchcocks „Die Vögel" aus. Während einer stürmischen Gewitternacht mündet das Sommer-Drama in einer ungewöhnlich stillen und damit sehr berührenden Katastrophe. All dies und mehr gelang Sonja Maria Kröner in ihrem Langfilm-Debüt äußerst stimmig.

Fack ju Göhte 3

BRD 2017 Regie: Bora Dagtekin mit Elyas M'Barek, Jella Haase, Sandra Hüller, Katja Riemann, Max von der Groeben 118. Min

Für dumm verkauft

Ein dummes Blödelfilmchen, das zum Kinoerfolg wurde, kassiert im dritten Teil noch mal ab und gibt sich nicht im Geringsten Mühe, endlich auch mal einen guten Film abzuliefern. Das Beste an „Fack ju Göhte 3" ist, dass er nicht nur das, sondern auch der Letzte (seiner Serie) sein soll. Wer's glaubt, hat allerdings zu viel von solchem Mist gesehen.

Dramaturgisch geht es super originell wieder mal um die Schulschließung, dazu gibt es wie üblich einen Wettbewerb und Schul-Einbrecher Zeki Müller (Elyas M'Barek) muss erneut das Vertrauen seiner Problem-Schüler gewinnen. Chantal (Jella Haase), Danger (Max von der Groeben) und Zeynep (Gizem Emre) sind weiter, sehr, sehr dämlich. Andere Filme stellen sich gerne auf die Seite der Chancelosen und zeigen glaubhaft, was in ihnen steckt. Hier bleiben sie doof und bekommen trotzdem ihr Abi.

Die mittlerweile legendäre „Arschloch-Klasse" kann nichts und muss in der einfallslosen 08/15-Dramaturgie unweigerlich Erfolg haben. Dazu tragen die Mädels „FOT" und „ZE" auf ihren T-Shirts. Das soll jetzt provokativ sein, ist allerdings auch fast zwanzig Jahre nach „American Pie" nur verklemmt. Lächerlich machen und gleichzeitig Respekt sowie eine Chance für die Witzfiguren einfordern, das ist tatsächlich respektlos vom Film. Aber hier muss auch der Minderbemitteltste im Kino noch jemand blöderen auf der Leinwand sehen, über den er lachen kann.

Die Scherze bleiben mäßig und nicht überkomplex. Müllers Erstaunen darüber, dass es von Faust einen zweiten Teil gibt, mag umwerfend witzig erscheinen, war es aber schon vor 100 Jahren nicht. Selbst Cybersex bleibt hier Kinderkram, unappetitlicher zudem, weil die immer noch lebende Legende für skurille Rollen, Irm Hermann, dazu Kekse serviert. Dass „Influencer" kein Beruf ist, wurde schnell noch für die Intellektuellen ins Buch geschrieben. Dabei fällt alles grob aus: Die Riesenwarze der Pflegerin im Berufswahl-Video, das Riesenzäpfchen, dass erst rektal und dann oral in den Müller muss. Als versöhnlichen Ausgleich gibt es dann den M'Barek nackt unter der Dusche.

So quält man sich gelangweilt durch einen gerade noch so mittelmäßigen Film und sucht in dieser sich schrill gebenden Spießer-Ödnis irgendwas Substanzielles, etwas, was hängenbleibt. Und tatsächlich: Nach über einer Stunde sorgt das Bekenntnis von Müller als ehemaliges Mobbing-Opfer in einem rührend einfachen Anti-Mobbing-Seminiar beim Zielpublikum vielleicht für etwas Gesinnungswandel.

Erstaunlich nur die Präsenz respektabler Schauspieler wie Corinna Harfouch oder Uschi Glas, die ernsthaft Worthülsen absondern. Viele wollen auf diesen Erfolgszugs aufspringen und lassen sich auch für doof verkaufen. Außerdem ist die Marktmacht vom Produzenten Constantin Film groß, da hält man lieber den Mund. Einzig Sandra Hüller nutzt ihre Rolle als Party-Maus im Kollegium gekonnt zum Image-Wechsel.

So schließt die „Trilologie" mit vielen, vielen Misstönen. Zum Ende wird rührselig und langatmig noch die ganze überraschende Erfolgs-Serie abgefeiert. Für Filmliebhaber eine nicht endende Qual.

18.10.17

Wenn Gott schläft

BRD, USA 2017 (When god sleeps) Regie: Till Schauder mit Shahin Najafi, Leili Bazargan, Shariyar Ahadi, Majid Kazemi, Günter Wallraff 88 Min.

Shahin Najafi ist ein iranischer Musiker, der 2012 in einem satirischen Song einen schiitischen Führer kritisierte. Das führte zu einer Todes-Fatwa gegen ihn, ein Kopfgeld von 100.000 Dollar wurde ausgesetzt. Ein weiterer religiöser Wahnsinn, der weltweit für Aussehen sorgte. Seit 2005 lebt Shahin im Exil und in Köln. Günter Wallraff empfahl ihm, regelmäßig sein Äußeres zu ändern. Der Flüchtling schläft mit einem großen Schlachter-Messer neben dem Bett, hat immer ein Spray und ein Messer dabei, wenn er rausgeht. Als es endlich Polizeischutz für ihn gibt, ist das ein großes Fest. Denn der lebenslustige Sänger will seine Musik weiter veröffentlichen und auch auftreten. Dabei erweist es sich als Problem, Musiker zu finden, die mutig genug sind, mit einem „Gebannten" zu spielen. Auch Shahins leidenschaftliche Fernbeziehung leidet unter Angst und Einschränkungen.

Der persönliche Dokumentarfilm erzählt viel über die restriktiven Verhältnisse für Künstler im Iran und genau so Interessantes über das Leben eines iranischen Flüchtlings in Deutschland, über Vorurteile gegenüber einem bärtigen Mann. Parallel zum Alltag und der Arbeit des vielseitigen Musikers werden Ereignisse wie das Attentat auf Charlie Hebdo eingespielt. Die Situation für Ausländer in Deutschland verändert sich. Was Shahin anscheinend nur noch trotziger macht. So kommt nicht nur die begeisterte Gemeinschaft der iranischen Exilanten in den Genuss seiner kraftvollen Musik, auch der Film fügt seinen vielen Facetten so einige kunstvolle und auch poetische Momente hinzu.

16.10.17

The Square

Schweden, BRD, Frankreich, Dänemark 2017 Regie: Ruben Östlund mit Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, Terry Notary 151 Min. FSK: ab 12

Der Cannes-Sieger 2017, Ruben Östlunds „The Square", stellt den etablierten Kulturbetrieb mit viel feinem Humor auf den Kopf und stellt gleichzeitig im Minutentakt Fragen an die eigene Moral und Weltvorstellung.

Der charismatische dänische Kurator eines großen schwedischen Museums wird moralisch auf die Probe gestellt: Eben noch Teil der üblichen Masse in einer Fußgängerzone, Augen, Kopf und Geist ins Smartphone versenkt, schreckt ein Hilfeschrei auf. Nach einiger Konfusion wehrt Christian (Claes Bang) mit einem anderen Passanten einen aggressiven Schläger ab und rettet wohl eine hilfesuchende Frau. Was sich ein paar Schritte weiter als Farce erweist, denn Christian sind Portmonee und Smartphone durch diese Aktion geklaut worden. Ja, Christian, dieser smarte, sehr gut aussehende und selbstbewusste Kultur-Mensch, wird noch einige Male eine Achterbahn der Wertvorstellungen und Selbsteinschätzung erleben müssen. Und wir mit ihm - denn der immer wieder überraschende „The Square" macht es nicht einfach, die Guten und die Schlechten in passende Schubladen zu stecken.

Immer wieder trifft der idealistische Christian auf Bettler. Die allerdings nicht nett Danke sagen, sondern richtig unverschämt Extras einfordern. Und immer wieder wird um Hilfe gerufen in diesem Film. Christians neuestes Kunstprojekt, das titelgebende „The Square", soll mit einem leuchtenden Quadrat im Großstadt-Pflaster exakt einen Schutzraum für Hilfesuchende bieten. Ein utopischer sozialer Raum, den der Kurator selbst nicht immer beachtet. Meist hat er kein Geld für Bettler. Und schließlich, nach einer Verkettung von ungewöhnlichen Ereignissen, wimmert im Treppenhaus der unverschämte Einwanderer-Junge, den Christian selbst die Treppe herunter gestürzt hat, hörbar eine Nacht lang. Ohne dass der engagierte Mensch einschreitet.

Das Eindringliche dieser Schlüsselszene wird nur noch übertroffen durch ein großes, surreales Galadiner des Museums, das dem Film in einer erschütternden Komprimierung gesellschaftlicher Dystopie wohl die Goldene Palme einbrachte: Die feinen Herrschaften und Kultur-Sponsoren sollen als Vorspeise noch etwas Provozierendes genießen. Ein sehr muskulärer Mann verhält sich zwischen den edel gedeckten Tischen wie ein Affe, er würde die Ängstlichen aufspüren, die anderen sollen den Kopf senken und sich in der Herde verstecken. Die Begegnung zwischen Kultur und Natur läuft völlig aus dem Ruder, niemand stoppt den Schauspieler in seiner Menschenaffen-Rolle, auch nicht als er eine Frau vergewaltigen will.

Rund um diesen beklemmenden Moment demaskiert der Schwede Ruben Östlund mit Witz und genauer Beobachtung. Wie in seinem Vorgänger „Höhere Gewalt" (2014), in dem ein Familienvater angesichts einer heranrauschenden Lawine überraschende Präferenzen zeigte. Allerdings scheint die Welt der Kulturschaffenden und -Vermittler in „The Square" der ideale Nährboden für diese Methode der Demaskierung zu sein. Trefflich wird das Geschwätz von Social Media-Heinis und Kunst-Interpreten aufs Korn genommen, etwas Tourette im Publikum ist dabei sehr hilfreich. Wobei ganz großartig die Kunst selbst dies im Hintergrund erneut kommentiert. „Umwerfend" komisch das höchst peinliche Gespräch von Christian mit der Frau aus seinem letzten One Night-Stand während der große Stapel Stühle der Installation im Hintergrund akustisch immer wieder laut zusammenbricht. Auch hier erweist sich Claes Bang nach Auftritten in „Borgen" und auch deutschen TV-Folgen als ideale Besetzung. Äußerlich glänzend wie ein junger Pierce Brosnan, kracht die innerliche Selbstkonstruktion eines kulturell gebildeten, sozial engagierten guten Menschen alle paar Minuten zusammen. Ein Film, der wunderbar viele Fragen stellt und offen lässt.

Borg/McEnroe

Schweden, Dänemark, Finnland 2017 Regie: Janus Metz mit Sverrir Gudnason, Shia LaBeouf, Stellan Skarsgård, Tuva Novotny 103 Min. FSK: ab 0

Das Wimbledon-Finale von 1980, bei dem sich Björn Borg und John McEnroe ein sehr umkämpftes Fünfsatz-Duell lieferten, zählt man zu den Höhepunkten der Sport-Geschichte. Der angeblich eiskalte Schwede hatte die Gelegenheit, zum fünften Male Wimbledon zu gewinnen. Sein Gegner, der cholerische „Bad Boy" McEnroe, scheint als Aufsteiger ein ganz anderer Typ zu sein. „Borg/McEnroe" geht als reizvolle Doppelbiographie zurück in die Jugend der Tennis-Legenden.

Der 24-jährige Borg ist ausgebrannt, die Unsicherheiten, die ihm sein Trainer Lennart Bergelin (Stellan Skarsgård) austrieb und ihm damit die Eisberg-Mentalität verpasste, melden sich immer wieder. Die ersten Spiele übersteht der Favorit keineswegs souverän. Verzweifelt hält sich der verschlossene Athlet an seinen Spleens fest: Es muss immer wieder exakt der gleiche Volvo sein, der ihn abholt. Jeden Abend wird im Hotelzimmer des Trainers aus zig identischen Schlägern aufwendig der am besten bespannte ausgetestet.

John McEnroe (Shia LaBeouf) dagegen macht Party, beleidigt weiterhin Schiedsrichter und Publikum. Borg verfolgt fasziniert seine Spiele im Fernsehen. Denn als Kind war der Schwede auch so ein Choleriker. Der snobistische Tennisverband wollte ihn schon rauszuschmeißen, den talentierten Jungen aus einer Arbeiterfamilie. Bis Bereglin ihm unmenschliche Selbstdisziplin eintrichterte. Eigentlich ist Borg das gestresste Ekel, zweifelt an sich, meckert rum, entlässt den langjährigen Trainer. Aber auch der Amerikaner McEnroe kommt mit einem Rucksack voller Deformationen auf den Platz. Das hochintelligente Wunderkind aus sehr guten Verhältnissen konnte es seinen Eltern nie gut genug machen.

Bad Boy Shia LaBeouf spielt seinen Geistesverwandten vom Tennisplatz gefährlich nahe an der Grenze zur Lachnummer. Aber letztlich helfen die bekannten Markenklamotten aus der Ausstattungsabteilung der Glaubwürdigkeit kräftig aus. Sverrir Gudnason jedoch gewinnt mit seinem Borg letztendlich nicht nur das legendäre Match, er dominiert auch den Film: Das verschlossene Gesicht, in dem eine scheue Angst und ein enormes Maß an Selbstqual nicht zu verstecken sind, trägt die innere Geschichte dieses Sport-Dramas. Die Anfangs-Szene, in der Borg versucht, von seinem Heimat-Club in Monaco unerkannt zu Fuß nach Hause zu kommen, verströmt eine Panik, die überhaupt nicht zum Eisberg Borg passt.

Dem dänischen Regisseur Janus Metz gelingen vor allem solche kleinen Momente. Besonders stark ist auch die Rolle von Stellan Skarsgård als väterlicher Mentor und Trainer Lennart Bergelin. Am vermeintlichen Höhe- und Wendepunkt zweier Lebensgeschichten sucht er eine eigene Ästhetik für ein mit fünf Stunden Länge nicht besonders „fotogenes" Finale und macht dabei nur wenige Punkte. Die übliche Sport-Dramaturgie fällt seltsam uninspiriert aus. Was nicht das Schlechteste ist: Dass die beiden extremen Charaktere sich ineinander finden und aus dem bemerkenswerten Duell eine Freundschaft entsteht, ist weitaus besser anzusehen als die gewöhnliche Zerstörung des anderen.

11.10.17

Captain Underpants - Der supertolle erste Film

USA 2017 Regie: David Soren 89 Min. FSK: ab 0

Es gibt ja den Tipp fürs Selbstbewusstsein, sich die unfreundliche Autoritätsperson vor einem in Unterwäsche vorzustellen. Die kleinen Scherzkekse George und Harold machen aus ihrem grimmigen Schuldirektor mittels Hypnose direkt den albernen Superhelden „Käpt'n Superslip". Logisch: Während die meisten Superhelden nur aussehen, als ob sie in Unterhosen herumfliegen, macht es ihre Erfindung tatsächlich. So frech wie die beiden Helden dieser sehr netten Animation sind auch einige ihrer Streiche, mit denen sie für Leben und Spaß im tristen Schulalltag sorgen. Als seine Sidekicks können George und Harold Captain Underpants nach Belieben kontrollieren und manipulieren. Bis zum klassischen Schulkonzert mit Pupskissen. Aber auch die Wiedereröffnung der Kunst- und Musik-Klassen macht allen Freude. Dann entpuppt sich der neue Physik-Lehrer als sehr wahnsinniger Wissenschaftler (mit deutschem Akzent im Original), der das Lachen auslöschen will. Mit seiner „Turbo-Toilette 2000", angetrieben von hoch toxischen Essensresten, sorgt er für einen aberwitzigen Action-Spaß.

Durchgedrehte Ideen, sehr wilder Klamauk - der aber zum Glück für erwachsene Begleiter keineswegs nur infantil ist - und subversive Einsprengsel machen „Captain Underpants" zum Überflieger im Kinderkino. Nicht überraschend, weil Autor Nicholas Stoller schon die deftigen Erwachsenen-Komödien „Bad Neighbors" und „Zoolander 2" sowie den Puppen-Spaß „Die Muppets" geschrieben hat. Wie Comic-Kinder auf Zucker-Kick dreht auch der Film nach Dav Pilkeys gleichnamiger Kinderbuch-Reihe zeitweise durch, er entwickelt aber auch Mitleid für den einsamen Schulleiter und erwähnt die mageren Gehälter des Lehrpersonals. Tatsächlich ein Spaß für die ganze Klasse.

10.10.17

American Assassin

USA 2017 Regie: Michael Cuesta mit Dylan O'Brien, Michael Keaton, Sanaa Lathan 112 Min. FSK: ab 18

Weil irgendwelche arabische Attentäter die Verlobte von Mitch Rapp (Dylan O'Brien) auf Ibiza umbrachten, wird er zum Ein-Mann-Rachekommando. Bis ihn das CIA einfängt und vom Kriegs-Veteranen Stan Hurley (Michael Keaton) zum noch effektiveren Mörder ausbilden lässt. Dann wird geklautes Plutonium aus dem Hut gezaubert und wieder mal als große Gefahr an die Wand geklatscht - während doch eigentlich die Kernkraftwerke vor unserer Haustür in die Luft fliegen oder auseinanderfallen.

Aber hirnlos sind auch die unübersichtlichen internationalen Verwicklungen, die nie anstreben, irgendein Bild der politischen Welt zu vermitteln. Hauptsache, man kann in den nächsten Minuten wieder jemanden verprügeln, erschießen oder sonst wie ermorden. Folter gehört selbstverständlich auch zum Programm.

Angefangen mit der hemmungslosen Attentats-Darstellung ist „American Assassin" ein primitiver Rache-Film mit mittel-großem Trara und einem deplatzierten Michael Keaton. Ein besonders gnadenloser Killer ohne moralisches Vermögen, gefährlicher als hochexplosive Blindgänger, mordet sich losgelöst von jeglichem Verstand durch Weltpolitik auf Twitter-Niveau. „Ein paar böse Menschen planen böse Dinge, und wir müssen sie stoppen!" Das dumme und nicht besonders ansprechend umgesetzte Machwerk basiert auf Vince Flynns gleichnamigem Roman. Da ist wirklich nur die finale Atombomben-Explosion eindrucksvoll: Mit großem Trickaufwand wird dem unverantwortlichen Bomben-Gerede demokratischer Präsidenten ein erschreckendes Bild entgegen gestellt.

Vorwärts immer!

BRD 2017 Regie: Franziska Meletzky mit Jörg Schüttauf, Josefine Preuß, Jacob Matschenz, Devid Striesow 98 Min. FSK: ab 12

Wie war das eigentlich mit dem so wunderbar friedlich verlaufenden Ende der DDR im Oktober 1989? Trotz Panzer, die in Richtung der Leipziger Montagsdemonstrationen rollten, wohl das vor allem komisch, wie die Klamotte „Vorwärts immer!" erzählt:

Alles ging gut, weil im Leben von Anne (Josefine Preuß) einiges schief lief. Die Schauspielschülerin lebt mit ihrem Vater, dem angesehenen DDR-Schauspieler Otto Wolf (Jörg Schüttauf) allein in Ost-Berlin, nachdem ihre Mutter in den Westen „rübergemacht" hatte. Doch Mama schickte schon Geld für einen West-Pass und jetzt ist Anne auch noch schwanger. Ausgerechnet von Matti (Marc Benjamin), dem Sohn von Ottos ärgstem Feind und Schauspielerkollegen Harry Stein (Devid Striesow). Wie Papa Otto verständnislos den wertvollen West-Pass zerreißt und Anne darauf für einen neuen nach Leipzig abhaut, ist vor allem wegen der Stasi-Leute komisch, die alles mit Kamera beobachten. Denn Otto probt gerade ein riskantes neues Stück, in dem er Erich Honecker spielt. So täuschend echt, dass die Überwacher tatsächlich glauben, was sie sehen.

Die DDR ist im Aufruhr, es gibt Demonstrationen und Ratlosigkeit im Staatsrat. Dank eines Doppelspitzels in Ottos Theatertruppe bestätigt sich das Gerücht, dass die Führung in Leipzig auf ihr Volk schießen lassen will. Die chinesische Lösung - siehe Tiananmen-Platz. Damit nicht auch auf Anne geschossen wird, muss Otto seine Honecker-Rolle nun im Politbüro aufführen: Nur dort steht ein Telefon, mit dem er den Schießbefehl rückgängig machen könnte. Der echte Honecker ist auf einem Jagdausflug in sicherer Entfernung. Dabei gilt vor allem: Nur nicht Margot begegnen!

Klar, das Vorbild dieser laschen Polit-Klamotte ist Ernst Lubitschs unerreichtes Meisterwerk „Sein oder Nichtsein" aus dem Jahre 1942, in dem polnische Schauspieler die Rollen ihres Lebens spielen, um der SS zu entgehen. „Einen Lacher soll man nie verachten", hieß es damals rechtschaffen und genial. Nun eignet sich der nuschelnde Erich Honecker ebenso für Satire.

Er ist ein enormer Trottel, der unter der Fuchtel von Margot steht. Überhaupt besteht das ganze realitätsferne Politbüro aus Witzfiguren, was es einfach und nie spannend macht, die Macht an der Nase herum zu führen. Nein, die „Stromberg"-Regisseurin Franziska Meletzky ließ keinen Lacher liegen, egal ob platt oder auch mal treffend. Die Chance, einen durchgehend guten Film zu machen, ließ sie allerdings links - oder rechts - liegen. Echte Menschen blitzen hinter dem Boulevard-Personal nie auf. Dass Anne und ihre Freunde von der Stasi gejagt auf Widerstand machen, ist nur schleppende Parallelhandlung. Zu sehr verlässt sich „Vorwärts immer!" auf sehr gute Schauspieler, die Schauspieler spielen, die Politdarsteller doubeln. Neben Jörg Schüttauf, der vor allem im Aufeinandertreffen von Otto und Erich brilliert, hat Hedi Kriegeskotte als Margot Honecker die mit Abstand beste Rolle. Wie sie am Fernseher dem ausgewiesenen Biermann hinterher weint und gleichzeitig mit harter Hand die Witzfiguren der Führung kommandiert, mehr davon würde eine richtig gute Polit-Komödie machen.

9.10.17

Happy End (2017)

Frankreich, Österreich, BRD 2017 Regie: Michael Haneke mit Isabelle Huppert (Anne Laurent), Jean-Louis Trintignant, Mathieu Kassovitz, Fantine Harduin, Franz Rogowski 108 Min. FSK: ab 12

„Happy End", der neue Film vom zweifachen Cannes-Sieger Michael Haneke, beginnt irritierend vertraut: Wieder sehen wir eine heimliche Beobachtung durch eine vorerst unbekannte Person. Das Haneke verwandte schon 2004 als Spannungselement im kühlen Thriller Caché. Eine Figur von damals hieß wie jetzt George Laurent, beide haben einen fiesen Moment mit Rasiermesser. Auch zum Frühwerk Hanekes gibt es überdeutliche Referenzen - „Benny's Video" (1992) ist jetzt eine Handy-Aufnahme. Und als Konstante spielt eine dysfunktionale Familie die Hauptrolle.

Der abgefilmte Tod eines Hamsters infolge eines Medikamenten-Experiments ist nur die Vorstufe zur familiären Grausamkeit, dass die eigene, meckernde Mutter mit den gleichen Pillen final ruhiggestellt wird. Die Eiseskälte des Kommentars dazu ist typisch Haneke. Wie ein Vater danach seine teil-verwaiste Tochter niemals herzlich aufnimmt, fügt die übliche grausame Distanz in solchen Familienaufstellungen hinzu. Dabei wirkt die zwölfjährige Eve (Fantine Harduin) in der neuen Umgebung noch recht normal.

Es ist das Stadtdomizil der reichen Familie Laurent mit ihren nordafrikanischen Bediensteten in der Flüchtlings-Hochburg Calais. Die Tabletten-Überdosis einer ehemals Angeheirateten und ein schwerer Unfall auf einer Baustelle erschüttern den Clan. Der gereizte Sohn Pierre (Franz Rogowski) wird der meckernden Mutter Anne (Isabelle Huppert) runtergemacht. Der vergessliche und gebrechliche Patriarch Georges Laurent (Jean-Louis Trintignant) gebietet Stille, will sich aber am liebsten per Selbstmord davonmachen.

Bei den Laurents sind fast alle äußerlich oder innerlich verletzt, viel dreht sich ums Krankenhaus, Annes Bruder Thomas (Mathieu Kassovitz) ist angesehener Arzt. Er bekommt von der frisch angenommenen Tochter Eve, die schnell seine Affäre entdeckt, eine knallharte Analyse vorgesetzt: „Ich weiß, dass du niemanden liebst. Das ist nicht weiter schlimm, ich will nur dass du mich (diesmal) mitnimmst, wenn du deine Frau verlässt." Diese verschlossen und streng gegen sich selbst auftretende Eve entpuppt sich als kleines Monster und die Anwesenheit ihres kleinen Baby-Bruders ergibt im Bild der bekannten Handy-Kamera gefährliche Ahnungen.

Lange hält der Film die Konstellation mit nicht direkt einzuordnenden Ebenen und Perspektiven spannend. Und auch wenn „Happy End" selbstverständlich sein Titel-Versprechen zum Trug-Schluss macht, verläuft die Handlung nicht stringent auf das irre Schlussbild zu. Formal und inhaltlich hält hier keiner Plakate vor die Kamera. Es sind kleine Irritationen, die sich im gefühlten Unwohlsein der feinen, weißen Gesellschaft einhaken: Der Familien-Hund beißt die Tochter der Haushälterin und niemand unternimmt etwas gegen den unkontrollierbaren Schäferhund.

Der unkontrollierbare Pierre bringt zur weißen Hochzeit der Mutter ein paar Flüchtlinge vom Dschungel genannten Lager am Kanal-Tunnel mit. Der mit Hasenscharte gezeichnete und verzweifelt Verletzte ist in dieser Familie noch am Menschlichsten. Franz Rogowski („Tiger Girl", „Victoria") verkörpert ihn eindrucksvoll, unter anderem mit einer atemberaubenden Karaoke-Version von Sias „Chandelier". Ein stark gealterter Jean-Louis Trintignant wiederholt seine Rolle aus Hanekes „L'amour". In einer Doublette hat auch George in diesem Film seine gelähmte Frau erstickt. Das höchst interessante Werk Hanekes wurde allerdings extrem schlecht synchronisiert. Diese Unverschämtheit schafft es sogar, das Charisma von Isabelle Huppert auszulöschen, die nach „Die Klavierspielerin" wieder in eiskalter Verachtung glänzt. Große intensive Momente des Schauspiels lenken allerdings nur raffiniert im Sinne des Films vom kaum sichtbaren Eigentlichen ab: „Rundherum die Welt und wir mittendrin, blind" - so beschrieb Haneke seinen Film.

What happened to Monday?

Großbritannien, Frankreich, Belgien, USA 2017 (Seven Sisters) Regie: Tommy Wirkola mit Noomi Rapace, Glenn Close, Willem Dafoe 124 Min. FSK: ab 16

In der europäischen Diktatur des Jahres 2073 gilt die Ein-Kind-Politik, um Überbevölkerung und Hunger zu verhindern. Erzeugten doch ausgerechnet Genveränderungen an Pflanzen eine Welle von Mehrlingsgeburten. „Überflüssige" Geschwister werden in Hoffnung auf bessere Zeiten für einen Tiefschlaf eingefroren. Terrence Settman (Willem Dafoe) schaffte es allerdings, die Geburt seiner sieben Enkeltöchter, bei der die Mutter starb, geheim zuhalten. Er erzog die Mädchen in Survival-Techniken und seit dem Schulalter wechseln sich die nach den Wochentagen Monday, Tuesday, Wednesday, Thursday, Friday, Saturday und Sunday Genannten (alle: Noomi Rapace) mit dem Ausgang an „ihrem" Tag ab. Alle zusammen bilden die öffentliche Person Karen Settman. Die abwechselnde Teilhabe am Leben funktioniert dank ausführlicher Abenderzählung der täglichen Erlebnisse im Familienversteck. Bis eines Montags Monday nicht nach Hause kommt. Tuesday versucht am nächsten Tag auf der Arbeit Spuren zu entdecken, wird aber von der Ein-Kind-Polizei verhaftet. Im Versteck der Settman-Schwestern bricht Panik aus.

Noomi Rapace bewirbt sich mit dieser Siebenfach-Rolle für die Rekordbücher. Sie steht sich oft selbst gegenüber und letztlich sogar selber im Weg: Ihre Karen Settman setzt sich aus sieben Frauen zusammen, die alle gleich aussehen, aber verschiedene Charaktere und Qualitäten haben. Es gibt die Intelligente, die Hedonistische, die Romantische, die Ängstliche oder die Kämpferische. Damit hört die Charakterzeichnung auch schon auf, die schematische Actionhandlung, bei der eine nach der anderen durch die „CAB"-Miliz umgebracht werden, fordert ihren zeitlichen Tribut. So rührt es denn auch kaum, wenn wieder um eine der Schwestern getrauert wird. Das Design und ein paar nette Hightech-Spielereien sehen gut aus. Dem norwegischen Regisseur Tommy Wirkola („Dead Snow", „Hänsel und Gretel: Hexenjäger"), der mit einigen blutigen Grobheiten weiterhin zum Horrorfilm tendiert, fällt im Science Fiction-Genre viel zu wenig Interessantes ein. Die reizvolle Grundidee geriet zum Klon anderer Action-Vehikel.

4.10.17

Blade Runner 2049

Blade Runner 2049

USA, Großbritannien, Kanada 2017 Regie: Denis Villeneuve mit Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Jared Leto 163 Min.

„Blade Runner 2049" ist nicht nur einer der meist erwarteten Filme des Jahres weil das Original aus dem Jahr 1982 mit Harrison Ford als Blade Runner Rick Deckard der prägende Science Fiction-Film einer ganzen Epoche war. Aus einer Geschichte des genialen und legendären Zukunfts-Autoren Philip K. Dick („Total Recall", „Next", „Paycheck", „Minority Report") machte Regisseur Ridley Scott eine Ikone des Genres. Nun inszeniert der geniale Denis Villeneuve („Sicario", „Enemy", „Die Frau, die singt", „Ein 32. August auf Erden") eine Fortsetzung, die 30 Jahre später spielt. Und mit dem Kanadier kommt eine ganz andere Fan-Gruppe ins Kino, Hardcore Science Fiction-Aficionados, die teilweise von Villeneuves letztem Meisterwerk „Arrival" geschockt, weil überfordert waren. Und dann trifft auch noch Schönling Ryan Gosling als Nachfolger auf Legende Harrison Ford...

Denn 30 Jahre später entdeckt ein neuer Blade Runner, der LAPD Polizeibeamte K (Ryan Gosling), dass sich die Replikanten nun vermehren, was die alte Ordnung zu zerstören droht. Die Trennung zwischen den Replikanten und den Geborenen, die vielleicht eine Seele haben. Vor allem die Musik klingt vertraut bis Hans Zimmer die Vangelis-Atmosphäre übernimmt. Doch „Blade Runner 2049" ist alles andere als eine einfache Fortsetzung: Organisch mit der ursprünglichen Geschichte verwoben und kongenial übertragen auf eine höhere beziehungsweise tiefere Ebene. Dabei in Inszenierung und Kamera der Roger Deakins das Beste, was Film zur Zeit zeigen kann. Im Kern der nur oberflächlich ähnlich verlaufenden Handlung steckt immer noch eine Detektivgeschichte und die ist wieder sehr gut, wie sie den Suchenden K letztlich zu sich selber führt. Zurück in die eigene Kindheit, die vielleicht doch kein Gedächtnis-Implantat ist

Der ursprüngliche „Blade Runner" zeigte ja nicht nur sagenhafte Visionen, dank der raffinierten Geschichte von Philip K. Dick wurde auch Jahrzehnte lang diskutiert, ob Rick Deckard nicht selbst einer der Replikanten ist, die er jagen soll. Der nachträglich veröffentlichte „Final Cut" von Scott verstärkte diese Interpretation, die bei der Erzählung von Dick schon im Titel steckt: „Do Androids Dream of Electric Sheep?" Träumen Androide, also Replikanten, von elektrischen Schafen? Denn zum faszinierenden Arsenal dieser unwirtlichen Zukunft gehören künstliche Haustiere ebenso wie fabrizierte Erinnerungen und Träume für die Mensch-Maschinen.

Die Fabrikation von Erinnerungen durch eine geheimnisvolle Frau gehört zu den unglaublichen Szenen, des neuen „Blade Runner" die sich tief ins kulturelle Gedächtnis eingraben werden. Das neue L.A. erscheint weniger glänzend, noch dreckiger, noch größer. Ryan Gosling spielt so gut wie noch nie, wir erleben quasi seine Menschwerdung. Und Menschsein ist das große Stichwort: In vielen Variationen lässt der unfassbar vielschichtige Film erfühlen, wie es ist, dazu zu gehören oder Außenseiter zu sein. So wie Villeneuve erneut die Konventionen des Genres sprengt, verliert man bei vielen atemberaubenden Wendungen die Übersicht, wer Mensch und wer Maschine ist. Dabei gibt es viele gemeine Feinheiten, etwa dass die israelisch-arabische Schauspielerin Hiam Abbass die Anführerin der rebellierenden Replikanten spielt. Ob man in 35 Jahren noch über „Blade Runner 2049" spricht, ist schwer zu sagen, doch dass man noch lange, auch über die Oscars hinaus, über den neuen unfassbaren Denis Villeneuve reden wird, ist sicher.

3.10.17

Die Nile Hilton Affäre

Schweden, BRD, Dänemark, Frankreich 2017 (The Nile Hilton Incident) Regie: Tarik Saleh mit Fares Fares, Mari Malek, Yaser Aly Maher, Hania Amar 111 Min. FSK: ab 12

Noredin (Fares Fares) ist ein gewöhnlicher Polizist im Kairo des Jahres 2011. Der Chef des Reviers ist sein Onkel - Sicherheit als Familienunternehmen. Husni Mubarak regiert noch in Ägypten, Fußball ist ein wichtigeres Thema als die Unruhen und Massen-Verhaftungen auf den Straßen, die Folter in den Gefängnissen. Als in einer Luxussuite des Nile Hilton Hotels eine berühmte Sängerin tot aufgefunden wird, soll Noredin erstmals ermitteln und seine Untersuchung führen direkt in einen politischen Skandal.

Der von schwedischen Krimis und Komödien bekannte Fares Fares spielt intensiv eine sehr ambivalente Figur: Noredin kassiert gnadenlos Schutzgelder im Viertel und pflegt seinen Vater. Ein Rest an Anstand hat allerdings keine Chance in dem mächtigen und allgegenwärtigen Korruptions-Apparat. Noredin steht als Protagonist in der Handlung zentral, wir teilen seine Perspektive, doch letztlich ist er nur eine kleine, machtlose Figur. Wie dem Zimmermädchen aus dem Sudan, das zufällig Zeugin wurde, bleibt ihm nur, sein Leben zu retten.

„Alles ist gut, er hat sehr viel bezahlt." Solche Weisheiten aus dem Munde des Onkels, einem scheinbar naiven Opportunisten, erweisen sich als prophetisch - tatsächlich wird alles wie bisher weiter gehen. „Die Nile Hilton Affäre" ist ein Krimi, der in eigentlich skandinavischer Tradition sehr viel sozialen und politischen Hintergrund transportieren will.

Die klassische Detektiv-Geschichte - Nordedin ermittelt trotz anderslautender Befehle weiter - ist angereichert mit einer ganzen Reihe von politischen Stichworten in Dialog und Bild. Der kaputte Fernseher des Polizisten sorgt dafür, dass die Politiker-Kaste als schräges Zerrbild dargestellt wird. Ohne nähere Kenntnis der historischen Verhältnisse entsteht allerdings nur eine Ahnung. Der Film führt zu einem ganz anderen Blickwinkel auf die Demonstrationen vom Tahir-Platz, die durch stattliche Gewalt zu einem Massaker wurden. Im Vergleich zu den skandinavischen Sozial-Krimis wirkt er weniger dicht inszeniert und hat weniger geballte Schauspielkunst bis in die Nebenrollen - zumindest wirkt es in der Syncho-Version so. So ist der Mix aus Krimi und Politthriller interessant und engagiert, aber nicht durchweg gelungen.

Blind & Hässlich

BRD 2017 Regie: Tom Lass mit Naomi Achternbusch, Tom Lass, Clara Schramm 105 Min. FSK: ab 12

Während in dieser Kinowoche alles vor „Blade Runner 2049" in Deckung geht, traut sich der sensationelle deutsche Film „Blind & Hässlich" einiges: Hollywood verkauft meist „Bigger than life", die wunderbar leichte, echte und ehrliche Tragikomödie ist dagegen „Lifer than life". Hier steckt mehr Leben drin, als in den viel teureren Produktionen, deren Werbeetat allein so ein kleines Wunder wie „Blind & Hässlich" unterbuttern will.

Regisseur Tom Lass spielt selbst den extrem scheuen und seltsamen Ferdi, der meist im Wald haust. Ab und zu kommt er aus dem und auch aus sich raus, um eine Frau, die ihm gefällt, als erstes zu fragen, ob sie seine Freundin sein will. Wenn er nicht dafür festgenommen und zur Therapie in eine Psychiatrie eingewiesen wird, dann für die Mundraube auf Bauernhöfen, wo er aus Schweinetrögen isst und dafür von Bauern blutig zusammengeschlagen wird. Zwischen seinen Therapie-Sitzungen, in denen Ferdi mit einer eigenen Logik überzeugt, trifft er auf Jona (Naomi Achternbusch), die gerade einen „kaputten" Blindenhund zurück bringt. Da die Schulabbrecherin gerade mal blind ist, um in Berlin in einem Blindenheim ein Zimmer zu bekommen, kann der unsichere Ferdi sie an sich ran lassen. Eine wunderschöne Liebesgeschichte beginnt. Mit der süßesten Sexszene seit langem ist das Filmvergnügen allerdings noch lange nicht zu Ende.

Wie frech und raffiniert berechnend die junge Jona bei ihrer Mutter abhaut, Schmuck und das Protzer-Auto klaut, dann den Hausmeister des Blindenheims (Peter Marty) um den Finger wickelt, ist witzig, eindrucksvoll und geht eigentlich gar nicht. Doch um „eigentlich" scheren sich weder Jona noch der Film. So wie im Film verhalten sich echte Polizisten niemals, was schade ist. Und auch Therapeuten werden selbstverständlich nicht authentisch repräsentiert, was nicht verhindert, dass eine Menge Wahrheit und echtes Leben aus diesen echt guten und witzigen Szenen hervorsprudelt. Wenn das die Coen-Brüder machen würden, wäre die Welt in begeistertem Aufruhr.

Bei teilweise frappanter Klarheit der Bilder wird wild geschnitten und enorm kraftvoll erzählt. Hier muss nicht für den letzten begriffsstutzigen Popcorn-Esser alles erklärt werden, es gibt kein unnötiges Gerede. Psychologisieren darf nur des Hausmeisters Fingerpuppe Freud.

Naomi Achternbusch, Tochter des Filmemacher-Unikats Herbert Achternbusch („Das Gespenst"), zeugt in der Hauptrolle von der Wertschätzung, die Regisseur Tom Lass mittlerweile genießt. Mitgemacht hat auch der bekannte Regisseur und Autor Dietrich Brüggemann („Kreuzweg", „Renn, wenn du kannst") in einer kurzen Szene als Tom Lass, und Toms Bruder Jakob Lass (Regisseur von „Tiger Girl" und „Love Steaks") war hinter den Kulissen dabei. Man darf die beiden Anfang der 80er-Jahre Geborenen, die auch als „Lass Bros" firmieren, durchaus als die bemerkenswerteste junge Bewegung im deutschen Film herausleuchten. Mit hauptsächlich improvisierten Szenen erschaffen sie ein einzigartige Frische und Lebendigkeit, die sowohl Film-Märchen als auch echtes Melodram sehenswert beleben. Mittlerweile hebt die Senderbeteiligung von ZDF/Das kleine Fernsehspiel den neuen Lass aus dem bisherigen Bereich des No- und Low-Budget hervor. Das passt zu der Beteiligung des fetten, etablierten Produzenten Constantin Film am genialen „Tiger Girl" seines Bruders Jakob Lass. Doch keine Sorge, auch das zeichnet die tollen Figuren der Lass Bros aus - sie lassen sich von großen Autoritäten nicht unterkriegen und folgen trotzig ihrem herrlich eigenwilligen Weg.