15.8.17

Ein Sack voll Murmeln

Frankreich, Kanada, Tschechien 2017 (Un Sac de billes) Regie: Christian Duguay mit Dorian Le Clech (Joseph), Batyste Fleurial Palmieri (Maurice), Patrick Bruel (Roman), Elsa Zylberstein (Anna), Christian Clavier 114 Min. FSK: ab 12

Im Paris des Jahres 1941 wird unter der Pétain-Regierung Nazi-Ideologie in den Schulen verbreitet, Läden von Juden sind gekennzeichnet. Doch der zehnjährige Joseph (Dorian Le Clech) und seinen älterer Bruder Maurice (Batyste Fleurial Palmieri) spielen noch unbeschwert, ihr Vater Roman Joffo (Superstar Patrick Bruel) bietet in seinem jüdischen Friseurläden sogar SS-Offizieren die Stirn. Aber die Deportationen in die Konzentrationslager haben bereits begonnen und nachdem Juden einen gelben Stern tragen müssen, bricht der Antisemitismus in Paris offen aus.

Recht unvermittelt werden die kleinsten Joseph und Maurice ohne Eltern oder ältere Brüder auf eine Reise in den Süden, den unbesetzten Teil Frankreichs geschickt. Die Bedrohung war bislang im Film weder zu sehen noch zu spüren. Ein dummer Mitschüler will sogar auch so einen Stern haben und tauscht ihn gegen den titelgebenden Sack voll Murmeln. Erst bei der Durchsuchung eines Zuges zeigt sich die Brutalität der deutschen Soldaten. Da ihnen der liebevolle Vater mit Ohrfeigen eingebläut hat, niemals zu sagen, dass sie Juden sind, bleiben sie auf der Reise alleine. Erst erscheint sie den Jungs mit Baskenmütze und kurzen Hosen als Abenteuer auf dem Land. Doch schon bald bekommt der weinerliche Joseph genug Gelegenheit zum tränenreichen Bangen.

Die Flucht über die Grenze innerhalb Frankreichs scheint schnell glücklich am Meer zu enden, als die Familie wieder zusammen findet. Auf dem Schwarzmarkt von Marseille wird Joseph erwachsen, die Juden spielen mit den italienischen Soldaten Karten, bis Mussolini in Italien verhaftet wird und die Deutschen auch im Süden deportieren. Nun landen die beiden Brüder nach erneut tränenreicher Trennung in einem Erziehungsheim.

Joseph Joffos autobiografischer Debütroman „Un sac de billes" („Ein Sack voll Murmeln") aus dem Jahr 1973 wurde bereits von Jacques Doillon unter dem Titel „Un sac de billes" verfilmt. Der frankokanadische Regie-Routinier Christian Duguay („Sebastian und die Feuerretter", „Anna Karenina", „Coco Chanel", „Jeanne d'Arc") hat einige Erfahrung im Kinder-, Horror- und Historien-Genre. So sieht die von Joseph im Off erzählte dramatische Geschichte vor allem gut aus. Und wird selbstverständlich immer dramatischer, so bangt und fiebert man unweigerlich mit den Kindern mit. Vor allem da sich weder Buch, noch Inszenierung oder Darsteller grobe Schnitzer erlauben, funktioniert „Ein Sack voll Murmeln" als gemäßigtes Geschichts-Stück sogar noch in der deutschen Synchronisierung. Bewegt, aber nur in dem Maße, dass es auch für Kinder und Jugendliche erlebbar bleibt.

Allerdings hält „Ein Sack voll Murmeln" keinen Vergleich etwas mit Louis Malles autobiografischen Klassiker „Auf Wiedersehen, Kinder" oder Roberto Benignis erschütterndem KZ-Drama „Das Leben ist schön". Von Anfang an nervt die erinnerungsduselige Musik von Armand Amar. Bruel als Vater kann dagegen mit kleinen Nuancen beeindrucken: Nur die Bemerkung, dass er einst als Kind alleine aus Russland vor den Pogromen floh, verursacht mehr Gänsehaut als viele andere gewollte Szenen.