11.7.16

Toni Erdmann

BRD, Österreich, Rumänien 2016 Regie: Maren Ade mit Peter Simonischek, Sandra Hüller, Michael Wittenborn, Hadewych Minis 162 Min.

Lange musste man warten: Bis Regisseurin Maren Ade den Nachfolger ihres Silberner Bär-Gewinners „Alle anderen" präsentierte. Bis nach acht Jahren wieder ein (rein-) deutscher Film im Wettbewerb von Cannes zu sehen war. Beides fügte sich vortrefflich zum Publikums- und Kritiker-Liebling von Cannes 2016, der jedoch keinen einzigen großen Preis abbekam. Nun ist das Warten auf „Tony Erdmann" vorbei, die charmant stille Komödie über das Gegeneinander von Unternehmensberatung und wirklichem Leben startet Donnerstag in Deutschland.

Der ältere Musiklehrer Winfried (Peter Simonischek) macht dauernd Scherze, scheint aber nicht fröhlich zu sein im Leben. Zwischen der Kündigung seines letzten Privatschülers und einem Besuch bei seiner Mutter trifft er seine erwachsene Tochter Ines (Sandra Hüller) eher zufällig bei der geschiedenen Ex und einem vorgezogenen Geburtstag, von dem er nichts wusste. Ines ist auch immer sehr geschäftig und am Telefon, selbst wenn die Unternehmensberaterin mal nicht bei ihrem aktuellen Kunden in Bukarest arbeitet.

Nachdem dem alten Linken Winfried auch noch sein Hund abhanden kommt, taucht er spontan in der rumänischen Hauptstadt auf. Im Foyer des Auftraggebers ignoriert Ines ihn geflissentlich, die größte Einkaufshalle Europa ersetzt „aus Termingründen" im Touristenprogramm den Ceaușescu-Palast. Nebenbei eine Kurzfassung der Entwicklung des Landes. Die Gesprächsversuche des Vaters werden mit knallharter Dialektik im Business-Sprech niedergemacht, sodass er sich entsetzt wundert: „Bist eigentlich ein Mensch?"

Doch Winfried irritiert weiterhin mit überraschenden und sehr skurrilen Auftritten. Falsche, sehr schiefe Zähne machen aus ihm Tony Erdmann, der inkognito dauernd im Geschäftsleben von Ines auftaucht. Er fällt beim Empfang mit dem Vorstand ungehobelt auf, gibt aber dem ignoranten und sexistischen Anzugträger direkt die richtigen Antworten, während die angepasste Tochter duckt und sich alles gefallen lässt. Langsam bekommt sie Spaß an Tony Erdmann. Oder will ihn auflaufen lassen. Jedenfalls erlaubt sie dem verkleideten Vater Auftritte auf verkoksten Partys und konfrontiert den Clown mit den harten Situationen ihres Arbeitslebens. Schließlich zeigt sich, dass Ines die Tochter dieses Mannes ist, als sie beim gezwungenen Brunch zuhause die Gäste nackt empfängt, wegen „Teambuilding" und so.

„Wie geht's?" „Sehr gut, eigentlich..." Um dieses „eigentlich", das mindestens „ziemlich mies" oder „beschissen" bedeutet, dreht sich Maren Ades neuer Film sehr spielerisch und überhaupt nicht rührselig. Ines ist eine panische Sklavin ihrer eigenen Karriere, eine dieser Figuren, die den bundesrepublikanischen Neo-Liberalismus auch in „Kannibalen" oder Petzolds „Yella" spiegelten. Sandra Hüller kann diese unterkühlten, unnahbaren Frauen sehr gut vor die Kamera bringen. Diesmal gibt sie einen sehr angespannten Eisberg, eine Unternehmensberaterin, die mit immer nach unten ausgerichteten Mundwinkeln überhaupt keinen Spaß im Leben oder Job kennt. Druck gibt es von allen Seiten und vor allem von sich selbst.

Der Vater legt mit einer raffinierten Schein-Naivität, die entfernt nach an Karl Valentin und Polt erinnert, Hierarchien bloß und durchbricht mit seiner scheinbar respektlosen Art die unmenschlichen Mechanismen des neuen Götzen Unternehmensberatung. So funktioniert auch der ganze Film: Deutliche Kritik an Jobvernichtung und Auslagerung von Unternehmen läuft bei der originellen Wiedervereinigung von Vater und Tochter mit. So wie Ines sich letztlich radikal aus ihrem Kostüm löst, zeigt er in seinen Verkleidungen sein wahres Wesen.

Das ist klug, gut inszeniert und gespielt, nett anzusehen. Bei allem aber auch einer dieser Filme, die in neunzig Minuten wahrscheinlich besser funktioniert hätten. Letztendlich gab es in Cannes doch den FIPRESCI-Kritikerpreis für „Toni Erdmann".