29.3.16

Im Himmel trägt man hohe Schuhe

Großbritannien 2015 (Miss you already) Regie: Catherine Hardwicke mit Drew Barrymore, Toni Collette 113 Min. FSK: ab 6

Eine Krebs-Komödie? Was „Ich und Earl und das Mädchen" auf dem Jugendsektor hinbekam, versucht die gereifte und arrivierte Regisseurin Catherine Hardwicke mit der rührenden Tragik-Komödie „Im Himmel trägt man hohe Schuhe". Sie erzählt, wie die langjährige Freundschaft von Jess (Drew Barrymore) und Milly (Toni Collette) durch die Krebserkrankung von Milly auf die Probe gestellt wird. Die enge Freundschaft lebt in glaubhaft natürlichen Dialogen auf, die nach der Diagnose voller doppelter Bedeutungen sind. Plötzlich werden die Brüste noch viel wichtiger und auch noch die üppig wuchernden Haare. Zuerst erzählt Milly es weder Mann noch Kindern. Dann gibt es eine kleine Animation für die Kinder, die Begeisterung für Chemo-Therapie auslöst. So funktioniert auch der nicht klein zu kriegende Humor, wenn das komödiantisches Genie Drew Barrymore sich die Brech-Schale als Hut aufsetzt oder in einer treffende Episode männlicher Unfähigkeit vor Millys Zusammenbruch.

Das eigentliche Drama der Freundschaft zweier Frauen mit zwei schönen Beziehungen ist die scheinbare Unvereinbarkeit von Krebs mit der schwer erkämpften Schwangerschaft von Jess. Szenen voller Liebe und unbändiger Lebenslust fangen alle Probleme, etwa mit dem Sex nach der Brust-Entfernung, auf.

Regisseurin Catherine Hardwicke gelang nach ihrem Debüt „Dreizehn" (2003) sowohl das Teenie-Drama „Twilight - Biss zum Morgengrauen" (2008) als auch das Neo-Märchen „Red Riding Hood" (2011). Nun gelingen ihr immer wieder tolle Szenen und insgesamt eine Achterbahn der Gefühle, dich sich zu einem grinsenden Dauerheulen ergeben sollen. Ganz schön mutig, die Emotionen fast bis zum Melodrama hochzuschrauben. Was manchem viel zu viel sein wird und vor allem bei Frauen zur glückseligen Tempoberge-Erzeugung führen kann.

10 Cloverfield Lane

USA 2016 Regie: Dan Trachtenberg mit John Goodman, Mary Elizabeth Winstead, John Gallagher jr. 103 Min.

Der nächste „Cloverfield"-Film erinnert anfangs an „Psycho", nutzt aber den Duschvorhang zum Schutz vor der atomaren Apokalypse ... oder vor Aliens. Des Überfliegers J.J. Abrams („Star Wars: Das Erwachen der Macht", „Star Trek Into Darkness", „Super 8", „Cloverfield") neueste Produktion ist sofort hochspannend und überrascht sich immer wieder selbst.

Michelle (Mary Elizabeth Winstead) verlässt ihren Freund und die Stadt, das reicht vielen Filmen als Drama. Nach einem Autounfall wacht sie jedoch angekettet in einem Keller auf. Der sehr seltsame Hausherr Howard (John Goodman) vermittelt kompliziert und nicht sehr klar, dass draußen kein Leben mehr möglich wäre. Atomare oder chemische Katastrophe, vielleicht auch was mit Außerirdischen. Michelle könne froh sein, bei ihm untergekommen zu sein. Bei ihm und dem einfältigen Emmett (John Gallagher jr.), der beim Bau des hermetisch abgeschlossenen Bunkers ohne Fenster und Telefon half.

Michelle weigert sich, die Geschichte des Spinners mit eingebautem Aluhut zu glauben. Kleine Fluchtversuche scheitern kläglich und dann gewährt Howard einen Blick nach draußen auf seine grausig verätzten Schweine. Doch es bleiben Zweifel, weil die angeblich verstorbene Tochter von Howard auf den Fotos jemand ganz anderes war. Und da gibt es doch Geräusche von Autos über dem Bunker. Allerdings: Waren da im Radio nicht Meldungen von Stromausfall in der Stadt?

Im Alien-Film „Cloverfield" zeigte J.J. Abrams als Regisseur die außerirdischen Monster so gut wie nicht, dafür deren Invasion aus der Perspektive verwackelter Handkameras. Nun folgt mit „10 Cloverfield Lane" eine ganz unabhängige Geschichte, die Abrams produzierte und der Neuling Dan Trachtenberg sehr sicher inszenierte. Nach einem klassischen Auftakt treibt die Spannung energisch weiter, unterscheidet sich durch mutige Wendungen (Buch: Josh Campbell, Matthew Stuecken, Damien Chazelle) von den Fließband-Produktionen verwandter Genres. Psycho- und Gesellschaftsspiele wechseln einander ab. Trefflichen Magen-Kitzlern wie dem Nähen an lebendiger Stirn oder einer besonders beklemmenden klaustrophobischen Szene folgen sehr geschickt platzierte Hochspannungs-Momente.

Nach einer Stunde gibt es etwas Hintergrund zu den unfreiwilligen Bunker-Bewohnern in einem Dialog über Dinge, die sie in ihrem bisherigen Leben bereuen. Es ist dem guten Schauspiel zu verdanken, dass die Figuren bis dahin nicht flach wirkten. Mary Elizabeth Winstead darf hier ihre Entdeckung feiern, trotz einiger Rollen bisher, etwas als Tochter von Bruce Willis Charakter in „Stirb langsam 4.0". John Goodman gibt gleichzeitig den guten und bedrohlichen Mann, verkörpert quasi die genial ausgespielte Spannung des Films, die Zerrissenheit zwischen realer Bedrohung draußen und bedrohlichem Spinner drinnen. Die flotte Folge von Überraschungen endet mit einer unfassbaren Pointe in letzter Minute, ganz im Stil von M. Night Shyamalan bei „The Sixth Sense", „Signs – Zeichen" oder „The Village". Auch dieser mehrfache Trugschluss wird wieder für Diskussionen sorgen, die Hochspannung im gesamten Film vorher lässt sich jedoch nicht wegdiskutieren.

28.3.16

Familie zu vermieten

Frankreich, Belgien 2015 (Famille à louer) Regie: Jean-Pierre Améris mit Benoît Poelvoorde, Virginie Efira 97 Min. FSK: ab 0

Der 1964 im wallonischen Namur geborene Benoît Poelvoorde ist eine Phänomen, das mit Leichtigkeit zwischen Action („Mann beißt Hund"), Komödie („Nichts zu verzollen"), Satire („Der Tag wird kommen"), Sportfilm („Das Rennrad"), Liebhaber („3 Herzen") und Klamotte als Brutus bei Asterix wechselt. So kann er seinem depressiven Millionär Paul-André gleichzeitig die Schattierungen von tiefer Schwermut und herrlicher Lächerlichkeit mitgeben.

Jean-Pierre Améris, Regisseur der verschrobenen Liebeskomödie „Die Anonymen Romantiker", schickt den einsamen, schüchternen Mann, der äußerlich alles hat, was man sich wünscht, auf die Suche nach einer Familie. Im Fernsehen, sieht er die überforderte Mutter Violette (Virginie Efira), die gerade dank ihrer frechen Schnauze nach einem peinlich ungeschickten Mundraub freigelassen wurde. Es wird ein mehrseitiger Vertrag ausgearbeitet und der sogar vom Diener verwöhnte Millionär zieht zu Violette und deren Kindern in eine kleine, chaotische Hütte. Überall liegt was rum, Geschrei ist Hintergrundrauschen und die Kühlschranktür ist nicht das Einzige, was nicht funktioniert.

Trotz all seiner und all ihrer Macken verlieben sich Violette und Paul-André still und heimlich, ganz gegen die platonischen Vertragsbedingungen. Als der verklemmte Kerl aus seiner Haut fährt und endgültig Herr des Hauses wird, zerfließt sie gefügig und ganz Weibchen. Das wirkt reizvoll altmodisch und doch glaubhaft, wenn die Schalen der komödiantischen Typen aufbrechen und darunter Verletzungen, Ängste und Selbstvertrauen liegen, auf dem heftig rumgetrampelt wurde.

Jean-Pierre Améris gelingt nach „Die Anonymen Romantiker", ebenfalls mit Poelvoorde in der Hauptrolle, wieder so eine romantische Komödie, die man ohne Bedenken als charmant bezeichnen kann. Märchenhaft ist zwar, wie einfach reich und arm zusammen kommen, doch den exzellenten Darstellern nimmt man gerne alles ab. Virginie Efira, die gerade bereits mit „Birnenkuchen mit Lavendel" bezauberte, kann verzweifelt frech und ganz schön trotzig. Dass Améris auch so eine kleine Geschichte mit der gleichen Sorgfalt inszeniert wie zuvor das unheimlich berührende Drama „Die Sprache des Herzens" macht diese Leih-Familie für immer so sehenswert.

Criminal Activities

USA 2015 Regie: Jackie Earle Haley mit Michael Pitt, Dan Stevens, John Travolta, Christopher Abbott 94 Min. FSK: ab 16

John Travolta als Gangster mit gewitzten Sätzen und glaubhaften Drohungen - das soll Tarantino sein, bleibt aber blutleer wie eine trocken gequatschte Zunge. Wenn der bekannte Schauspieler Jackie Earle Haley die Regie übernimmt und sich als Rechte Hand des Mob-Bosses Eddie (John Travolta) mit bekannten Kollegen umgibt, fliegen leider mehr Worte als Kugeln. Die „Criminal Activities" vier alter Schulfreunde stellen Geiselnahme und Ermordung eines Gangsters dar, weil das Quartett die Dollars für einen sicheren Börsentipp beim Falschen geliehen hat. Als die Blase platzt, bleibt ihnen nur, einen schmutzigen Job amateurhaft zu versemmeln.

„Criminal Activities" könnte wie einst „Reservoir Dogs" Theaterstück sein, nur bleibt hier bis auf das routinierte Schauspiel allein die angehängte Auflösung bemerkenswert. Denn diese aufgesetzte Pointe (Buch: Robert Lowell) deutete sich so gut wie gar nicht an und lässt nach mäßiger Unterhaltung das Gefühl zurück, verschaukelt geworden zu sein.

The Finest Hours

USA 2016 Regie: Craig Gillespie mit Chris Pine, Casey Affleck, Ben Foster, Eric Bana, Holliday Grainger 117 Min. FSK: ab 12

„Schiffe versenken" erwies sich immer mehr als recht einfallsloses Genre, wenn man den isländischen Film „The Deep" von Baltasar Kormákur außer Acht lässt: „Titanic" war eine überlange Katastrophe und nur im Abgang unterhaltsam. Wolfgang Petersens „The Perfect Storm" aus 2001 war nur das Vorspiel für seinen Karriere-Untergang mit „Poseidon" 2006. Nun blendet das biedere Untergangs-Filmchen „The Finest Hours" zurück zum Februar 1952 als ein gewaltiger Sturm auf die Küste von New England trifft. Mit glatt heldischen Figuren, als hätte es nie einen rebellischen James Dean auf der Leinwand gegeben, geht es hinaus in die haushohen Wellen, in denen es einen Tanker eindrucksvoll in der Mitte auseinander gerissen hat. Sowohl auf der Nussschale, die als Rettungsboot herhält, als auf dem Riesenschiff werden zwei stille, unsichere Männer, die in schwerer See Führung übernehmen, nach oben gespült.

Chris Pine („Star Trek") gibt den sehr schüchternen und nicht gerade schlagfertigen Retter Bernie Webber. Er muss vor seiner Hochzeit noch ein altes Trauma überwinden und beweisen, dass man es über die gefährliche Sandbank schafft. Der Einzelgänger und Maschinist Ray Sybert (Casey Affleck) versucht derweil, ohne Hydraulik-Steuerung auf eine Sandbank aufzulaufen und eine Meuterei zu verhindern. Nachdem die erste Hälfte Schiff stilvoll und ruckzuck versenkt wurde, nimmt sich der sichere Kurs aufs unausweichliche Happy End eine ganze Filmlänge Zeit. Chris Pine gibt den einfältigen, aufrichtigen und gradlinigen Kerl im Jimmy Stewart-Stil. Da passt es, dass seine Verlobte (Holliday Grainger) erst stürmisch in der Rettungs-Zentrale aufläuft, um in Anpassung an den stillen Hafen der Ehe später brav das Essen aufzutischen. So bleibt vom Disney-Stürmchen etwas Romantik und das Wellenreiten veritabler Schiffe in haushohen Brechern, realisiert mit ein paar akrobatische Einlagen der Kamera.

Eddie the Eagle

Großbritannien, USA, BRD 2015 Regie: Dexter Fletcher mit Taron Egerton, Hugh Jackman, Christopher Walken 106 Min. FSK: ab 0

Eine Witzfigur als Protagonist des üblichen Sporthelden-Films - das kann nur unfreiwilliger Trash und endgültige Veralberung eines Tollpatsches ergeben. Dass aus dem Leben des eher kläglichen britischen Skispringers Michael Edwards tatsächlich ein leidlicher Wohlfühlfilm wurde, ist die langweiligste Lösung.

Ein kleiner Junge mit quietschender Beinschiene wartet in einem britischen Kaff an der Bushaltestelle. Michael Edwards ist auf dem Weg zu den olympischen Spielen in Rom ... bis ihn sein Vater wieder einmal heimholt. Der kleine Träumer bleibt auch mit geheilten Beinen höchstens im Versagen olympiareif. Als ihn das britische Ski-Team aussortiert, bleibt Michael (Taron Egerton) nur eine der exotischsten der Exotischen Randsportarten: Skispringen. Denn da gibt es keinen nationalen Konkurrenten und kein Qualifikations-Grenze. Er muss nur einen Sprung überleben, was - wegen der deutschen Filmproduzenten im Team - zum Aufbruch nach Garmisch-Partenkirchen führt. Der übliche versoffene Trainer (Hugh Jackman), der eine gescheiterte Karriere hinter sich hat, bringt ihm die Grundlagen bei und gegen jede Wahrscheinlichkeit schafft es Michael „Eddie" Edwards 1988 zu den Spielen von Calgary und wird in zwei Wettbewerben umjubelt Letzter.

Dass dieser Film exakt nach der Wintersportsaison startet, ist passend: Irgendwie sehr ungeschickt, wie es Eddie Edwards immer war und deshalb in seinen 15 Minuten Berühmtheit geliebt wurde. Der Film könnte Spaß machen, wenn man ihn weniger ernst nähme, als er es selbst tut. Schon die erste Melodie klingt hymnisch und wie es endet, wissen wir ja. Für Eddie und den Humor des Films gilt: Selbst ein blindes Huhn hebt auch mal ab. Doch der Witz erschöpft sich schnell, der Film wird lang und länger. Nicht wie ein guter Skisprung, sondern wie ganzer Winter-Sonntag mit Curling, Rodeln und anderen tollen Sportarten für Berg- und Höhlenbewohner.

23.3.16

Batman v Superman: Dawn of Justice

USA 2016 Regie: Zack Snyder mit Henry Cavill, Ben Affleck, Amy Adams, Jesse Eisenberg, Diane Lane 152 Min. FSK ab 12

Der gigantische Streit zwischen Marvel- und DC Comics erlebt eine nächste absurde Wende: Nachdem alle möglichen und unmöglichen Gegner durchgespielt sind, inklusive Godzillas oder Ähnlichem, müssen nun zwei positive Helden gegeneinander kämpfen. Erstmals sind damit die berühmten Figuren gemeinsam auf der Leinwand zu sehen - bei dieser Ankündigung kratzte man sich zweifelnd am Kopf, doch das Studio nahm diese Schnapsidee ernst, mit dem Ernst von 100 Millionen.

Der eindrucksvolle Prolog zeigt Supermans letztes Abenteuer aus der Sicht eines Zuschauers und Betroffenen. Ein 9/11-Szenario mit Bruce Wayne (Ben Affleck) mitten drin im Staub der zerberstenden Hochhäuser. Monate später landet der Überflieger Superman (Henry Cavill schaut dauernd, als ob seine Strumpfhose kneift) wie eine Drohne in einem afrikanischen Dorf. Und das ist erst eine der sehr vielen knappen aber starken Szenen, die sich zum Duell der aufgeblasenen Comic-Figuren verdichten. Dabei werfen die beiden Superhelden sich genau das Gleiche vor: Unrechtmäßiges Rumretten.

Dahinter steckt tatsächlich ein brandaktuelles Konzept politischer Kontrolle: Wenn der Super-Held, der große Retter alle Freiheiten bekommt, haben wir das klassische Konzept der Diktatur. So war es schon bei Cäsar, der seine militärischen Erfolge nutzte, um das Triumvirat abzuschaffen und sich zum allein herrschenden Kaiser zu machen. In dieser Comic-Version politischen Unterrichts verkörpert Superman den selbstgerechten Retter, der sich vor einem Gericht rechtfertigen muss. Batman gibt die Instanz, die auf Wahrung der lang erprobten Staatsregeln achtet.

„Batman v Superman: Dawn of Justice" ist Actionfilm und Comicverfilmung. Der bewährte Altmetal- und Altpapier-Verfilmer Zack Snyder („Man of Steel") bläst auch dieses Comic-Heftchen zu einem gewaltigen Action-Spektakel auf. Er kann eindrucksvoll starke Szenen inszenieren, zeigt dies allerdings in einem ziemlich unerheblichen Film im Übermaß. Das Ergebnis ist ein „fanboy's dream come true", der feuchte Traum aller nie erwachsen gewordenen, männlichen Kinofans. Und diesmal ist dieser spezielle Spaß besonders lang: Der Kampf zwischen dem Typ mit der Unterhose und dem anderen Spinner, der sich einbildet, fliegen zu können, reicht für Bierholen, Toilettengang und noch mal Bierholen.

Der Regisseur unterfüttert die Helden-Bedrohung von Oben mit berühmten Gemälden und will selbst Kino-Gemälde für die Ewigkeit schaffen. Das ist im Einzelnen stil- und eindrucksvoll, macht aber aus dem durchgeplanten Blockbuster eine Art recht ausgefallenen Kunstfilm. Nicht nur im Schnitt, auch in der mehr als deutlich eingeflochtenen Meta-Ebene.

Denn eigentlich läuft alles übersichtlich ab wie bei Asterix gegen Cäsar mit einem kleinen gemeinen Verschwörer, der die Alfa-Tierchen gegeneinander aufhetzt. Allerdings diesmal herrlich fies und gerissen. Nach einer normalen Kinolänge Vorspiel ist das klar und das einstündige Finale mit ausführlich langweiliger Prügelei kann beginnen. Für die Überlänge gibt es vorhersehbare Monsterzulage in Form eines kryptonischen Golems, atomar aufgepimpt mit Kernwaffen. Also pure Spielerei mit teuren Action-Figürchen und flotter Musik von Junkie XL.

Wie in Hollywood üblich, sind selbst bei den größten Albernheiten exzellente Schauspieler in Aktion: Vor allem Jesse Eisenberg („The Social Network") gibt den gerissenen Intriganten Lex Luthor mit Banksy-Tshirt herrlich hinterhältig und belegt wieder einmal, dass der größte Held nichts ist ohne seinen Superschurken. Die entscheidende Frage ist, ob man „BvS" – so nennen ihn die „Fanboys" - mit etwas aus seinem eigenen, realen Leben vergleicht oder mit „MoS", also Snyders Superman-Vorgänger „Man of Steel". Für die einen ist es der bessere Superman-Film, für die anderen eine überlange Nichtigkeit.

22.3.16

Heart of a Dog

Frankreich, USA 2015 Regie: Laurie Anderson mit Archie, Jason Berg, Heung-Heung Chin 75 Min.

Die Künstlerin Laurie Anderson („Hey Superman!") erzählt in ihrem zweiten Kinofilm mit ihrer einzigartigen Stimmlage und begleitet von ihrer unvergleichlichen Musik wundervolle, poetische, kleine und verrückte Geschichten. Sie kreisen alle um Abschiede, denn 2011 starben kurz hintereinander ihr Mann Lou Reed, ihre Mutter und ihr über alles geliebter Foxterrier Lolabelle. Wobei als Zugang und Hauptperson der Hund herhält. Der zeitgeschichtliche Hintergrund für die Multi-Künstlerin bildet das New York nach den Anschlägen von 9/11. So entstand ein faszinierender Essay, ein facettenreicher Kunstfilm, eine Tiergeschichte und immer wieder ein wenig larmoyanter, aber auf ganz eigene Weise rührender Abschied.

Wo große Hollywoodfilme bevorzugt mit nur einer Idee auskommen und Hundertmillionen Dollar verschwenden, ist hier das Verhältnis umgekehrt: Unzählige, unbezahlbare Ideen und Gedanken. Andersons blinder Hund, der Piano spielt, zum Beispiel. Oder Weisheiten ihres spirituellen Lehrers und die Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Selbstverständlich die Tonspur der multimedialen Künstlerin und eine Folge von reizvollen Bildern ganz unterschiedlicher Herkunft, vom Rennen eines blinden Hundes am Strand zu Ludwig Wittgenstein und dann zur Geschichte der Dokument-Speicherung beziehungsweise -Überwachung. Ein einzigartiges, wunderbares Kunststück voller Leben und Kreativität.

Mein Ein, mein Alles

Frankreich 2015 (Mon roi) Regie: Maïwenn mit Vincent Cassel, Emmanuelle Bercot, Louis Garrel 126 Min. FSK: ab 12

Die Regisseurin Maïwenn beeindruckte 2011 mit den harten und direkten Emotionen ihres Polizisten-Dramas „Polisse". Nur ist das Umfeld bürgerlich, doch die Gefühle schwappen wieder über: Die Anwältin Tony (Emmanuelle Bercot) muss in einer Reha-Klinik nach einem Ski-Unfall mit Kreuzbandriss tatsächlich und ganz wortörtlich lernen, wieder eigenständig zu sein. Denn die zehnjährige Beziehung mit dem charismatischen Restaurantbesitzer Georgio (Vincent Cassel) hat sie auf den Boden geworfen. Das Kennenlernen, die Verführung, die ersten Nächte, auch Hochzeit und Schwangerschaft sind ein wilder Rausch, in dem Georgio immer wieder begeistert, verzaubert, schmeichelt und verführt. Selbst dass er Tony seinen Lieblings-Apotheker vorstellt, ist noch ein schönes Spiel. Und der deutliche Hinweis auf eine Persönlichkeits-Struktur mit vielfachen Abhängigkeiten. Von den Drogen, von der Jugend und von extremen Gefühlen.
Noch vor der Geburt des gemeinsamen Kindes zieht Georgio aus, will wieder frei sein, fällt in sein exzessives Leben mit Super-Models zurück. Jetzt erweist er sich als dreister Manipulator, Egozentriker und Narziss. Man könnte auch ganz unromantisch sagen: Ein Wahnsinniger. Die dementsprechende moderne „amour fou", die wilde, aufregende und wechselhafte Beziehung wird aus der schweren und frustrierten Zeit der Rehabilitation gespiegelt.

So eindrucksvoll hier vor allem von Emmanuelle Bercot gespielt wird, die in Cannes 2015 als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, kann das jahrelange Hin und Her auch ermüdend für das Publikum ausfallen. Vor allem wenn man sich entschieden hat, nicht mehr auf die anfangs tatsächlich eindrucksvollen Show-Nummern von Vincent Cassel / Georgio reinzufallen. Dass Tony ihm bis zum Ende immer wieder verfällt, bleibt jedoch glaubwürdig.

Silent Heart

Dänemark 2014 (Stille Hjerte) Regie: Bille August mit Ghita Nørby, Morten Grunwald, Paprika Steen, Danica Curcic, Pilou Asbæk 95 Min. FSK: ab 12

Zum Wochenende bei den Eltern bringen die beiden Töchter Vorbehalte und Ressentiments mit. Doch „Silent Heart" - der super sinnlos aus dem Dänischen ins Englische übersetzte Titel meint „Stilles Herz" - erzählt nicht von dem üblichen (Film-) Familienwochenende. Es ist die Chronik eines angekündigten Todes. Esther (Ghita Nørby), die circa 70jährige Mutter von Heidi (Paprika Steen) und Sanne (Danica Curcic) leidet unter der Nervenkrankheit ALS und will sterben. An diesem Wochenende.

Die Familie hatte schon monatelang darüber diskutiert, die Wut der Töchter ist vorüber. Nur nicht bei der labilen jüngeren Tochter Sanne, deren Depressionen schon zu einem Selbstmordversuch führten. Sie will im letzten Moment einen Krankenwagen rufen - das erzählt sie ihrem Freund Dennis (Pilou Asbæk). Der wird als lockerer Kiffer nicht nur von der allseits biestigen Schwägerin Heidi als Außenseiter angesehen. Damit er diesmal nicht wegläuft, schweißt Sanne zur Sicherheit die Autoschlüssel in einen See.

So feiert man einen vorgezogenen Weihnachtsabend, spaziert noch einmal am Strand, dort wo Sanne gezeugt wurde, und schwelgt fotografisch in Erinnerungen. Erst ein Riesen-Joint von Dennis lockert die Spannungen. Doch dass Esthers Mann Poul (Morten Grunwald) als zu beteiligter Arzt die tödlichen Tabletten verschreibt und verabreicht, ist eine schwierige Hilfskonstruktion, weil Sterbehilfe in Dänemark nicht erlaubt ist. Und auch deshalb muss es jetzt passieren, denn niemand weiß, wie lange die bereits an einem Arm gelähmte Esther noch selbst die Pillen nehmen kann - wenigstens pro forma.

Das selbstbestimmte Lebensende ist ein schwieriges Thema, dass auch filmisch immer mehr diskutiert wird: Im deutschen Film „Hin und weg" fuhr auch ein ALS-Kranker noch selbst mit dem Rad und Freunden zum legalen Ende ins belgische Ostende. In der israelischen Komödie „Am Ende ein Fest" musste eine Maschine der Behäbigkeit der Gesetzgebung in diesem Punkt nachhelfen. Auch die sehr junge und lebenslustige Frau in „Und morgen Mittag bin ich tot", die zum Sterben in die Schweiz fährt, musste sich von anderen sehr oft anhören, ihr ginge es doch noch so gut. „Silent Heart" hält sich weitestgehend aus dieser Diskussion raus, macht in kurzen, zurückhaltenden Momenten klar, wie schwer es Esther hat und wie schwer ihr der Abschied fällt. In einem Gespräch mit dem ungemein liebevollen Ehemann Poul wird klar, dass sich Esther nur noch sorgt, wie es ihren Lieben nach Esthers Tod geht.

Der 67-jährige Bille August, der Oscar- und Palmen-Gewinner, der nach der ersten internationalen Erfolg mit „Pelle, der Eroberer" (1987) viel Gutes gedreht und viel Literatur verhunzt hat („Nachtzug nach Lissabon", „Fräulein Smillas Gespür für Schnee", „Das Geisterhaus"), macht in „Silent Heart" mit Handkamera und übersichtlichem Setting teilweise auf Dogma-Stil. Mit bekannten und exzellenten Darstellern spielt er den Egoismus der Töchter aus, die wegen der eigenen Schwäche die Mutter nicht selbstbestimmt sterben lassen wollen. Doch es gibt auch viel Verständnis, zum Beispiel im schönen Verhältnis zum Enkel, der nur scheinbar hinter seinem iPad nichts mitbekommt. Das ist ungeheuer bewegend und rührend, ohne dass Bille August routiniert den emotionalen Hammer rausholen muss. Allerdings wird man - gerade angesichts der hohen Erwartungen an einen dänischen Film - das Gefühl nicht los, dass bessere Autoren wie Susanne Bier oder Thomas Vinterberg die paar losen Fäden (Buch: Christian Torpe) noch zu einem ganz runden Film verknüpft hätten.

21.3.16

Rock the Kasbah

USA 2015 Regie: Barry Levinson mit Bill Murray, Kate Hudson, Zooey Deschanel, Danny McBride, Bruce Willis 106 Min.

„Rock the Kasbah" - das klingt selbstverständlich nach „The Clash" und Kultur-Clash, denn in den so genannten, befestigten Altstädten des Maghreb wird ja nicht unbedingt gerockt. Es klingst aber auch irgendwie nach Kasper - und den gibt Bill Murray auf vortreffliche Weise. Dass seine Clownereien mit ernstem politischem und feministischem Hintergrund dann in Afghanistan stattfinden, diese und andere Ungenauigkeiten verzeiht man dem frischen Comeback von Altmeister Barry Levinson („Rain Man", „Good Morning, Vietnam") gerne.

Der abgehalfterte Rock-Manager Richie Lanz (Bill Murray) ist ein Lebenskünstler, dem schon längst alle Tricks ausgegangen sind. Weshalb sein letztes Talent - und gleichzeitig Sekretärin - Ronnie (Zooey Deschanel) noch bei ihm bleibt, weiß sie wohl selbst nicht. Denn wie Richie sie zu einem Gig zur US-Truppenbetreuung nach Afghanistan verfrachtet, ist keine Empfehlung. Aber sehr, sehr lustig. Auf die Art, wie Kriegs-Satiren seit „Mash" unbedarfte Zivilisten in unrettbare Situationen schmeißen. Aber Richie bleibt Optimist, selbst als Ronnie mit Hilfe des Söldners Bombay Brian (Bruce Willis) sowie mit Richies Geld und Pass abhaut. Selbst als er für mehr als halbgare Waffenhändler (Scott Caan, Danny McBride) ein abgelegenes Dorf beliefern soll. Und vor allem, als er dort die wirklich wunderbare Frauenstimme von Salima (Leem Lubany) hört, die unbedingt in die populärste Casting-Show Afghanistans muss.

Nun soll frau nach Meinung der nur offiziell vertriebenen Taliban und auch ihres strenggläubigen paschtunischen Dorfes nicht singen oder gar tanzen. Dass Salima es doch tut und nach großem Einsatz ihres Managements (Richie) und der einflussreichen Prostituierten Merci (Kate Hudson) auf nationalem TV sogar die nächste Runde erreicht, ist lebensgefährlich. Dass der Film teilweise eine ähnliche Naivität wie der sich vor allem selbst täuschende, us-amerikanische Showman Richie an den Tag legt, kann man ihm gut und gerne verzeihen. Denn er bringt mit echtem Engagement die wahre Geschichte von Sara Najafi einem großen Publikum nahe: Sie war zwar nicht die erste Frau, die in einer Casting-Show im Fernsehen sang, doch ihre zaghaften Tanzbewegungen und ein verrutschtes Kopftuch sorgten für Aufruhr und Todesdrohungen. Wie es die Doku „No Land's Song" über den Iran erzählte. Das ist dann ein realer Hintergrund, bei dem einem das Lachen endgültig im Halse stecken bleibt. Auch die Randbemerkungen über illegale Waffendeals, die den Krieg des Stammesfürsten befeuern und eine US-Armee, die sich hauptsächlich um das Show-Programm kümmert, erinnern an den politischen Regisseur Levinson aus dem Vietnam-Film „Good Morning, Vietnam" und der Polit-Satire „Wag the Dog". Dass der erfahrene Regisseur, der seine große Zeit Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre mit „Toys", „Bugsy", „Avalon" und „Rain Man" hatte, seinen Film bis zum Märchenfinale erstaunlich holperig montieren ließ, ist angesichts des lustvollen Spiels von Bill Murray, Kate Hudson und Bruce Willis letztlich egal.

15.3.16

Raum

Irland, Kanada 2015 (Room) Regie: Lenny Abrahamson mit Brie Larson, Jacob Tremblay, Joan Allen, William H. Macy 118 Min. FSK: ab 12

Der Oscar 2016 für Brie Larson als „Beste Darstellerin" ist ein Grund, sich in einen dunklen Raum zu begeben, um „Raum" zu sehen. Die furchtbare Ausgangssituation ein anderer: Joy Newsome (Brie Larson) wurde entführt, seit sieben Jahren in einem Raum gefangen gehalten und regelmäßig vergewaltigt. Sie gebar einen Sohn, der gerade seinen fünften Geburtstag feiert. Mit den bescheidenen Mitteln, die ‚Raum' hat. So nennt Jack (Jacob Tremblay) seine Welt in Unkenntnis von etwas anderem. Denn Joy hat ihm nie von der Welt außerhalb ihres Gefängnisses erzählt. Als sie in Vorbereitung einer Flucht damit beginnt, will Jack von der Welt nichts wissen.

Nach einer klaustrophobischen erste Stunde intensiven und beklemmenden Kammerspiels folgt eine kurze dramatische Flucht und dann die schwierige Anpassung an eine für Jack unvorstellbare Welt. Er will auch in der Freiheit immer noch in seinem Bett im Raum schlafen und sich an die Regeln der Enge halten. Der Junge ist konfrontiert von permanenter Überforderung, nicht nur durch die Medien vor dem Haus, die alle wieder erneut zu Gefangenen machen. Auch ganz schnell ganz kümmern sich viele Menschen um ihn in diesem anderen Film.

So wie Jack mit seiner Fantasie eine eigene Welt im ‚Raum' schuf, übernimmt „Raum" bis zum letzten, hier noch mal arg mit Streichern unterfütterten Abschied von ‚Raum' in der zweiten Hälfte ganz die seine Perspektive. Was sich irgendwie sehr unfair gegenüber seiner Mutter anfühlt, die mit der Verarbeitung des Erlebten wesentlich schlechter zurecht kommt. Lenny Abrahamson, der Regisseur von „Frank", hält sich mit der Inszenierung sehr zurück und konzentriert sich bei der Umsetzung von Emma Donoghues gleichnamigem Roman auf die Schauspieler. Die im Zusammenhalt von Mutter und Kinder immer wieder rühren. Doch das Erleben der zweiten außergewöhnlichen Situation, die Freiheit nach der Beschränkung des Weltbildes, verläuft doch arg gefällig.

Son of Saul

Ungarn 2015 (Saul fia) Regie: László Nemes mit Géza Röhrig, Levente Molnár, Urs Rechn 107 Min. FSK: ab 16

Mittlerweile wird in den Feuilletons nur noch über den Stil diskutiert: Darf man das unfassbare Grauen des Holocaust mit einer äußerst strengen Form scheinbar von Innen aufnehmen? Aus der Perspektive eines Häftlings, der mitgewirkt hat. Dies und die bisherige Preisflut (Grand Prix in Cannes, Golden Globe) belegen nur die ungeheure Wirkung dieses erschütternden und großartigen Films. Der Versuch, den eigenen Sohn mitten in der Vernichtungsmaschinerie eines Konzentrationslagers nach religiösen Riten zu beerdigen, ist ein verzweifeltes Klammern an Reste von Humanität.

Mit angestrengtem, schnellem Atem markiert die Tonspur direkt am Anfang ihre Wirkungsmacht: Saul Ausländer (Géza Röhrig) ist Teil eines Sonderkommandos im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Männer wissen, dass sie ein paar Monate länger leben dürfen, wenn sie die furchtbarsten Arbeiten dieser Todes-Maschinerie erledigen. Sie ziehen die Häftlinge vor der Gaskammer aus und beruhigen sie. Noch während die Schreie der Sterbenden von nebenan erklingen, werden die Kleidungsstücke nach Verwertbarem durchsucht und sortiert. Dann die Leichen aus der Gaskammer transportieren und den Raum im Akkord reinigen. Im Oktober 1944 wollten die Nazis angesichts der sicheren Niederlage Deutschlands in ihrer besonderen Logik besonders viele Menschen umbringen.

Der Film „Son of Saul" (Der Sohn von Saul) nähert sich dem Unfassbaren mit einem ganz engen Blickwinkel. Wie bei den Filmen der Dardennes folgt die Handkamera von Mátyás Erdély dem Protagonisten Saul hautnah, zeigt sein verschlossenes Gesicht, den gesenkten Blick, das eifrige Handeln. Wie er selbst sehen auch wir kaum etwas drumherum, was das Unerträgliche aushaltbar macht. Bis wundersam ein Junge die Gaskammer überlebt. Zwar beendet ein SS-Arzt dann doch das Leben des röchelnden Körpers, aber Saul meint in dem Jungen seinen Sohn erkannt zu haben. Nun versucht der ungarische Jude in dem extrem restriktiven System mit polnischen Kapos, Oberkapos und überall deutschen Soldaten einen Rabbi zu finden, um dem Toten ein Kaddisch-Gebet zu sprechen. Was in den internen Widerstands-Strukturen des Lagers nur äußerst ungern geduldet wird, plant man doch eine Flucht. Denn die Männer der Sonderkommandos wissen, dass sie als Zeugen des Massenmordens auf jeden Fall sterben müssen.

Wie Saul ist auch die Kamera immer in Bewegung, nimmt aber das Grauen nie in den Fokus. Doch auch wenn sie wie Saul wegblickt, es lässt sich nicht ausblenden. Die Unruhe der Tonspur überträgt sich auf die fassungslosen Zuschauer. Und doch zeichnen die hektisch entschlossenen, eigentlich unmöglichen Wege Sauls erstaunlich genau die Funktionsweise im Lager nach. Ein Säckchen Sprengstoff holt er im Frauenlager - gegen Schmuck aus den Gaskammern ließen die Wachen Männer für vermeintliche Prostitution durch. Eine Fotokamera des Widerstands versucht, die horrenden Taten festzuhalten. Dies Detail basiert auf historische Ereignisse, die wichtig für die Dokumentation des Grauens waren. Einen vermeintlichen Rabbi rettet Saul sogar von den Todesgruben, an denen die Juden direkt erschossen wurden, weil die Verbrennungs-Öfen nicht mehr mit dem Morden mitkamen.

Doch dies sind nur Details einer ungeheuren Wirkung, die „Son of Saul" erzielt. Nicht trotz, sondern wegen seiner anscheinend zurückhaltenden Kameraführung und der extrem nüchternen Inszenierung ohne jeglichen melodramatischen Effekt. So ist das Mäkeln an Form und Stil wohl hauptsächlich eine Folge der notwendigen aber ungemein heftigen Konfrontation mit etwas Unvorstellbarem.

Die Bestimmung - Allegiant

USA 2016 (The Divergent Series: Allegiant) Regie: Robert Schwentke mit Shailene Woodley, Theo James, Jeff Daniels, Miles Teller 120 Min. FSK: ab 12

Es passiert eine Menge, die Handlung jagt mit Riesensprüngen voran, doch Veronica Roths „Bestimmung"-Romantrilogie kommt auch im dritten Film nicht zum Ende. Der Filmproduzent teilt das Buch wieder auf, um zweifach zu verdienen. Das Ergebnis „Die Bestimmung - Allegiant" ist ein unbefriedigendes filmisches Holterdiepolter, das man sich bis zum endgültigen Finale im Jahr 2017 gut sparen kann.

Die 16-jährige Tris (Shailene Woodley) hat die Grenzen der aufgeteilten Gesellschaftsordnung im post-apokalyptischen Chicago niedergerissen. Doch die Mauer zur Außenwelt wird von der neuen Führung direkt geschlossen und es beginnt eine Terrorherrschaft wie bei der Französischen Revolution mit Hinrichtungen vor jubelnden Pöbel. Tris will dem entfliehen und ihrer im letzten Teil offenbarten, mysteriösen Bestimmung folgen. Zusammen mit der bekannten Gruppe von Freunden überwindet sie in aufwändigen Action-Sequenzen die Mauer, durchwandert unter Blutregen die zerstörte Umwelt der „Randzone", um hinter einem Tarnschirm eine faszinierend futuristische Welt zu entdecken.

Aber auch hier ist alles kontrolliert, die Menschheit in „Reine" und „Unreine" eingeteilt. Tätowiert wird dieser Makel nicht mit Nummer auf dem Arm, sondern modern mit Barcode. Es dauert etwas, bis die auserwählte Tris begreift, wie zynisch das Experiment der Übermenschen mit den totalüberwachten Versuchskaninchen in Chicago umspringt. Dann darf die Action wieder alles retten in einem Finale, dass erstaunlich abgeschlossen wirkt.

Der deutsche Regisseur Robert Schwentke findet sich nach richtig guten ersten Werken („Eierdiebe", „Flight Plan") mit seinem zweiten Bestimmungs-Film erneut „Lost in Computereffekte". Das sieht teilweise sehr eindrucksvoll aus, die Science Fiction-Ideen hängen die Großklötze des Genres mit Mini-Drohnen und äußerst verführerischen virtuellen Realitäten um Längen ab. Die Sets aus oft heruntergekommenen Industrieanlagen um den Flughafen Chicagos als schillernde Zentrale einer gen-gläubigen Gesellschaft machen mit und ohne Computerhilfe viel her (Kamera: Florian Ballhaus).

Zudem beinhaltet „Die Bestimmung" weiterhin kleine, wertvolle politische Lehrstücke. Diesmal wird einer Rache-Justiz das Konzept von Reue und Vergebung gegenübergestellt. Auch Klassengesellschaften jeder Art sind eindeutig als Quell von Übel markiert. Alles sehr interessant und inhaltlich überdurchschnittlich für das Genre des Jugendfilms. Aber dramaturgisch geriet es mehr als holperig. Die eigentliche Handlung fließt nie organisch und als starke Verbindung zwischen den einzelnen Elementen und Schauwerten. Da musste wohl das Buch wohl zu sehr eingekürzt werden. Weiterhin ist zu wenig bis gar kein Charisma bei der Hauptdarstellerin Shailene Woodley zu vermelden, bei viel Talent drumherum (Theo James, Jeff Daniels, Miles Teller). Hier kann man nur auf die Fortsetzung der Fortsetzung hoffen - und auf einen Directors Cut, der besser funktioniert.

Lolo

Frankreich 2015 Regie: Julie Delpy mit Julie Delpy, Dany Boon, Vincent Lacoste, Karin Viard 100 Min. FSK: ab 6

In ihrer sechsten Spielfilm-Regie nimmt Julie Delpy den Kampf mit dem Ödipus-Komplex auf: Sie spielt selbst die frustrierte, überarbeitete Zicke Violette aus Paris, die im Wellness-Urlaub an der Küste den vermeintlichen Dorftrottel Jean-René Graves (Dany „Sch'tis" Boon) kennen und lieben lernt, als der ihr einen frisch gefangenen Thunfisch in den Schoss schmeißt. Beim Wiedersehen in Paris, liegt aber ein anderer Mann bei ihr im Bett: Ihr 19-järiger Sohn Lolo (Vincent Lacoste) hat sich unangekündigt einquartiert und startet direkt einen offenen Kampf mit dem Konkurrenten um die Aufmerksamkeit von Mama.

Der „kleine Lolo", der „Hase", zeigt sich als verwöhnter, arroganter, snobistischer Teenager und startet simple Psychospielchen mit dem Neu-Pariser, lässt heftigst den Ödipus raushängen, streut Juckpulver auf die Klamotten des Widersachers. Das triggert Juckreiz, aber auch die Panik bei der hypochondrischen Violette. Alles vorhersehbar und vor allem von Vincent Lacoste, dem Darsteller des Lolo, auf dem Niveau einer Laienaufführung gespielt.

Enttäuschend, was die Schauspielerin Julie Delpy (aus der „Before ..."-Trilogie, die 2013 mit „Before Midnight" endete) da hinlegt, aber noch viel enttäuschender, wie sich die Regisseurin, Autorin und Produzentin Delpy auf so eine Banalität einlässt. „Lolo" ist so viel schematischer als die eigenen geistreichen Beziehungskomödien „2 Tage New York" (2011) oder „2 Tage Paris" (2006). Da will man nur noch einmal den großartigen Ödipus „Cyrus" mit Jonah Hill, John C. Reilly und Marisa Tomei sehen.

Auferstanden

USA 2016 (Risen) Regie: Kevin Reynolds mit Joseph Fiennes, Tom Felton, Peter Firth, Cliff Curtis 108 Min. FSK: ab 12

CSI - Jerusalem a.D. 33. Was in „Hail Caesar" ein kurzer Scherz war, will dieser verstaubte Sandalen-Film ernsthaft ausführlich erzählen: Das Sterben und Wiederauferstehen eines religiösen Führers aus der Sicht eines gegnerischen Detektives. Joseph Fiennes gibt wenig charismatisch den römischen Karriere-Soldaten Clavius, der im Auftrag von Chef Pilatus die Leiche dieses gekreuzigten Aufrührers Joschua finden soll. Was der skrupellose Schlächter findet, sind scheinbar geistesgestörte Anhänger erfüllt von dieser dämlichen Arroganz gläubiger Besserwisser, gepaart mit nervtötender Fröhlichkeit. Wiederwillig folgt Clavius ihnen, bis er selbst Zeuge wird, wie Joschua tatsächlich mit dem Effekt eine Atombomben-Explosion in die Luft fliegt („Himmelfahrt").
Kevin Reynolds, der schon mit Kevin Costner im letzten Jahrtausend herrlich gestrige Filme wie „Waterworld" (1995) und „Robin Hood" (1991) gemacht hat, kriegt diesmal ohne Costner keine Sandale auf den historischen Boden. „Auferstanden" als Feiertags-Langeweiler für die Senioren-Sender.

Kung Fu Panda 3

USA, VR China 2016 Regie: Jennifer Yuh, Alessandro Carloni 96 Min. FSK ab 0

Viele knuffelige Pandas in allen Größen und Ausstattungen, ein neuer, dämonischer Gegner - „Kung Fu Panda" bleibt sich auch im dritten Film treu und macht alles richtig. Beziehungsweise wieder alles falsch, was den Pandabär Po betrifft. Er versagt auf neuem Level, nun als Kung Fu-Lehrer. Selbst als er unter lauter kleinen Schweinchen auf einen anderen Panda trifft, dauert es einen herrlichen Witz lang, bis die beiden verstehen, dass sie Vater und Sohn sind. Wie man schon aus dem Trailer weiß. Die neue, reichhaltige Abenteuergeschichte hat aber noch einiges mehr zu bieten. Ein auferstandener Gegner, der Kampfstier Kai, der zu seinem eigenen Ärger völlig unbekannt ist, verwandelt alle in kleine Jade-Zombies. Dabei sammelt er das Chi von Superhelden. Po findet Unterschlupft in einem geheimen Panda-Dorf. An der Seite seines Vaters, der genau so kindisch verspielt ist, lernt er endlich, Teigtaschen mit beiden Händen zu essen, lange zu schlafen und zu entspannen - also ein richtiger Panda zu sein. Entspannung wird hier als Grundlage für eine neue Stufe der Meisterschaft vermittelt. Bis zum fantastisch gezeichneten Finale im Geisterreich, das eventuell das 3D sinnvoll macht, unterhält der Mix aus Komik und Kampfeinlagen sehr gekonnt. Die Synchronisation ersetzt Sprachkünstler wie Jack Black, Bryan Cranston („Breaking Bad"), Dustin Hoffman und Angelina Jolie unter anderem durch Hape Kerkeling als Po.

8.3.16

Trumbo

USA 2015 Regie: Jay Roach mit Bryan Cranston, Diane Lane, Helen Mirren 125 Min. FSK: ab 6

Die Coens machten gerade in „Hail Caesar" noch Scherze über die Swimmingpool-Kommunisten, nun lernen wir mit „Trumbo" einen von „denen" kennen und lieben. Der us-amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor Dalton Trumbo (1905-1976) ist dabei nicht der Strohmann für eine Geschichts-Lektion, für ein Lehrstück in Sachen Aufrichtigkeit. Trumbo, gespielt von Bryan Cranston („Breaking Bad") ist einfach ein klasse Typ. Ein Held, der in seiner Badewanne Drehbücher schreibt, die ihrerseits Geschichte geschrieben haben. Der, immer sein Zigaretten-Mundstück in der Hand, zwei Oscars bekam. Leider erst einmal nicht auf seinen Namen, weil er offiziell ein Berufsverbot von der staatlichen Instanz namens Hollywood erhielt.

Der Hintergrund der „Hexenjagd in Hollywood" ist schnell skizziert: Gegen Hitler und die extreme Arbeitslosigkeit in den USA war es in den 30er-Jahren populär Kommunist und Verbündeter der Sowjetunion zu sein. Was sich mit Etablierung des Kalten Krieges schnell änderte. Aufgeblasene, kleingeistige Politiker - siehe heute AFD oder Konservative - die mit konstruierten Ängsten ihre schwache Position ausbauen wollten, schleppten vermeintliche Kommunisten reihenweise vor einen Parlamentsausschuss (HUAC), wo sie inquisitorisch niedergeschrien wurden und Freunde oder Kollegen denunzieren sollten. Besonders in Hollywood vermuteten die Rechtsradikalen eine linke Verschwörung. Wobei sie bei Brecht vielleicht nicht ganz daneben lagen, aber bei Humphrey Bogart wahrscheinlich Film und Realität verwechselten.

Ronald Reagan war einer der feigen Verräter aus den Filmkreisen, der liebe Trickfilm-Onkel Walt Disney auch. Dalton Trumbo (Bryan Cranston) gehörte hingegen zu den „Hollywood 10", zehn Autoren, die sich weigerten auszusagen und deshalb sogar ins Gefängnis gingen. Danach durchlitt er wie viele Kollegen und tausende Menschen in den USA ein jahrelanges, niemals offiziell angeordnetes Berufsverbot.

In dieser extremen Lage erleben wir Trumbo als sehr geistreichen, klugen und witzigen Autor sowie Familienmenschen. Dieser Schreiberling scheut selbst nicht das Duell mit dem erzkonservativen Dickschädel John Wayne. Unter dem auch ansonsten missbrauchten Label Patriotismus entwickelt sich die widerwärtige Kolumnistin und Kommunisten-Hasserin Hedda Hopper (Helen Mirren) in furchtbar rosa Kostümen zur persönlichen Jägerin Trumbos. Doch der schreibt nach einer entwürdigenden Inhaftierung erst Scripts für billige Filmchen in Serie. Dann holt er solidarisch seine Leidens-Genossen mit ins Boot und auch seine Familie für eine richtige Schreib-Fabrik. Er verkauft unter Pseudonym „Ein Herz und eine Krone" (Roman Holiday), der mit Audrey Hepburn und Gregory Peck zu einem großen Erfolg wurde. Ein echter Witz, dass Trumbo mit seiner Familie auf dem Sofa zusieht, wie dieses Drehbuch den Oscar bekommt. Irgendwann stehen die Großen Schlange vor der Tür seines mittlerweile bescheideneren Hauses: Für Kirk Douglas rettet er „Spartacus", denn der hat Rückgrat und einiges mehr. Christian Berkel hat einen herrlichen Auftritt als Otto Preminger, der „Exodus" mit Trumbo machen will und sich dafür über Weihnachten bei ihm einnistet.

Ein Komödien-Regisseur und eine TV-Star erzählen gleichzeitig Hollywood- und Familien-Geschichte? Tatsächlich begeistern Regisseur Jay Roach („Meine Braut, ihr Vater und ich") und Bryan Cranston mit einem unterhaltsamem, prominent ausgestatteten Porträt, das großartig die Balance zwischen geistreichem Humor und der teilweise mörderischen Tragik der Schwarzen Listen findet. Schon Lubitsch und Chaplin zeigten, das Komödien politisch sein können und Politik auch in komische Filme passt.

Birnenkuchen mit Lavendel

Frankreich 2015 (Le Goût des Merveilles) Regie: Eric Besnard mit Virginie Efira, Benjamin Lavernhe 97 Min. FSK: ab 0

Zwischen Birnenblüten und Lavendelfeldern, zwischen wunderbar und geschmäcklerisch wurde der Film „Geschmack der Wunder" in provenzalische Landschaft drapiert. Denn der Original-Titel beschreibt sehr gut die synästhetische Verwirrung von Pierre (Benjamin Lavernhe), der in den Farben und den Wolken Zahlen sieht. Aber auch den etwas asymmetrischen Po einer schönen Witwe, die mit ihrem verschuldeten Landwirtschaftsbetrieb überfordert ist. Deshalb fährt Louise Legrand (die Belgierin Virginie Efira) Pierre an, nimmt pflegt ihn zuhause und macht ihm ein Bett auf der Couch. Am nächsten Morgen ist das chaotische Landhaus aufgeräumt und alles gerade ausgerichtet. Pierre lebt ganz gut mit seinem Asperger-Syndrom, erweist sich als ein genialer Verkäufer von Louises Waren auf dem Wochenmarkt und hat den Wetterbericht immer im Auge. Das beschert uns in einer Frostnacht ein sehr schönes Bild mit Fackeln unter den Obstbäumen. Noch eines unter den Blütenprächten, den weiten Feldern und den harmonische Farbpaletten mit Vorliebe für Lavendel.

„Birnenkuchen mit Lavendel", wie man ihn widerstrebend auf Deutsch benennen soll, lässt sich angenehm viel Zeit, in seinen reizvollen Bildern die Welt-Erfahrung von Pierre wiederzugeben: Die Flugwolken der Stare, das Treiben der Ameisen, das sanfte Wiegen der Ähren. Doch Pierre gerät bei zu vielen Eindrücken in Panik und klebt bunte Punkte auf alles, was ihn beängstigt. Das kann schon mal ein ganzes kunstvoll dekoriertes Zimmer in der Psychiatrie werden, denn seit der sensationelle Hacker in das Innenministerium einbrach, um Briefe von Vidoq zu finden, läuft er nur auf Bewährung frei in den Feldern herum. Und auch Louise muss neben den Schulden mit einem pragmatischen Nachbar fertig werden, der ihre Hand und ihr Land möchte. Doch wirklich dramatisch wird es eigentlich nie in diesem vorhersehbaren Verlauf, dem man so reizend fotografiert gerne folgt.

7.3.16

Grüße aus Fukushima

BRD 2016 Regie: Doris Dörrie mit Rosalie Thomass, Kaori Momoi 108 Min. FSK: ab 12

Doris Dörrie erzählt mit „Grüße aus Fukushima" eine semi-dokumentarische Geschichte aus dem Epizentrum der Katastrophe von Fukushima. Dafür ging Dörrie mit ihrer wunderbaren Darstellerin Rosalie Thomass (in „Taxi" neben Peter Dinklage) tatsächlich bis in die radioaktiv verstrahlte Todeszone um den explodierten Atommeiler von Fukushima und drehte im vom Tsunami verwüsteten Küstenstreifen.

Marie (Rosalie Thomass) hat mächtig Mist gebaut, mal eben aus Panik vor der Hochzeit die Liebe ihres Lebens mit dessen bestem Freund betrogen. Jetzt macht sie in ihrer bodenlosen Verzweiflung ausgerechnet auf Clown. Für die Hilfsorganisation Clowns4Help reist sie nach Japan, um im Katastrophengebiet von Fukushima den Opfern der Dreifachkatastrophe von 2011 ein wenig Freude in die Notunterkünfte zu bringen. Und wundert sich, dass niemand lacht. Die Flucht aus Deutschland scheint eine kleine persönliche Katastrophe zu werden, bleibt aber ein wenig beachteter Witz angesichts des ganz anderen Unglücks um Marie herum. Doch statt den Flug zurück zu nehmen, folgt Marie der eigenwilligen Satomi (Kaori Momoi), der letzten Geisha Fukushimas, die es sich in den Kopf gesetzt hat, in ihr zerstörtes Haus in der Sperrzone zurückzukehren. Marie hilft Satomi bei den Aufräumarbeiten. Dabei kommen sich die junge und die alte Frau, die unterschiedlicher nicht sein könnten, langsam näher und werden beide mit den Geistern ihrer Vergangenheit konfrontiert.

Geister gibt es tatsächlich in diesem dritten Japan-Film (nach „Erleuchtung garantiert" und „Kirschblüten – Hanami") von Doris Dörrie, ein Hauch asiatischer Alltags-Spiritualität. Die Leichtigkeit, mit der sie jedoch von großen und kleinen Katastrophen erzählt, die Selbstverständlichkeit von Tod, Abschied und Trauer in einer verwüsteten Landschaft stellen das große Kunststück im wunderbaren „Grüße aus Fukushima" dar. Die schwarz-weiß gedrehte Tragikomödie erzählt poetisch, lakonisch und komisch. Und politisch: Denn was das Team von Dörrie unter persönlichem Einsatz in der „Todeszone" an Bildern eingefangen hat, ist eine nachhaltige Anklage gegen Atomkraft - auch wenn die sichtbaren Zerstörungen auf den Tsunami zurückzuführen sind. Die apokalyptische Menschenleere geht jedoch aufs Konto der Gier von Energie-Konzernen.

Dass „Grüße aus Fukushima" trotzdem ein glücklich und Hoffnung machender Film ist, liegt auch an Rosalie Thomass. Sie spielt - großartig begleitet von der Japanerin Kaori Momoi - mit scheinbarer Naivität die in den Augen der Geisha trampelige Helferin, Elefant genannt, die mit „Put-Zen" und Sorgfalt beim Tee-Trinken den eigenen Trennungsschmerz zu überwinden lernt. Eigentlich eine simple Weisheit dieser „Radiation Vacation" über Loslassen und Weiterleben, doch deshalb braucht sie nicht falsch zu sein. Erneut ein sehr berührender Japan-Film von Dörrie.

Der Spion und sein Bruder

Großbritannien 2016 (Grimsby) Regie: Louis Leterrier mit Sacha Baron Cohen, Mark Strong 82 Min.

Literweise Elefanten-Sperma, eine heftig ausgedehnte Analwitz-Tabuzone, ganz neue Dimensionen von Ekel-Humor - „Der Spion und sein Bruder" verursachen ein historisches Fanal in der Kino-Geschichte. Die größte Sauerei ist allerdings, dass dieser schlechte schmutzige Scherz vom Filmverleiher Sony parallel zum Cannes-Jurypreis-Sieger „Son of Saul" vom gleichen Verleih Sony herausgebracht wird. Einer der erschütterndsten Filme seit Jahren wird so vom Unterhaltungs-Konzern selbst der Aufmerksamkeit beraubt, die er dringend verdient. So kann man einen Film auch vernichten, was ausgerechnet bei einer Holocaust-Geschichte doppelt bitter ist!

Abgesehen von diesem filmpolitischen Skandal bieten „Der Spion und sein Bruder" weniger als die zu erwartende Geschichte des Titels. Der nämliche Bruder (Sacha Baron Cohen) findet nach Jahren den lange vermissten Agenten-Angehörigen, nur um direkt dessen Tarnung als MI6-Killer auffliegen zu lassen und ein Attentat auf die Präsidentin einer Hilfsorganisation (Penélope Cruz in ihrer zweiten Blödelrolle nach „Zoolander 2") doch fast zu ermöglichen. Dabei steckt sich Harry Potter mit dem HIV-Virus an und gibt ihn später an Donald Trump weiter. Ja, hier gibt es Humor für jede Geschmacks-Klasse im Ausverkauf!

Selbstverständlich wird Norman Grimsby seinem Agenten-Bruder Sebastian (Mark Strong) gegen irgendeine weltumgreifende Verschwörung beistehen, auch wenn sie dafür ihren Hintern für ein anales Superfeuerwerk hinhalten müssen. Hilfreich sind auch die immer besoffenen und rauflustigen Hooligans, aus deren Mitte Norman und seine Frau (die talentierte Rebel Wilson nach „How to be single" leider wieder nur als dumme Dicke) stammen. Die nicht nur im Personal ziemlich dämliche Komödie gibt sich erschreckend wenig Mühe, den Action-Krimi-Plot auch nur halbwegs anständig zu erzählen. Vom „Borat", der bei aller Idiotie auch üble Verhältnisse bloßstellte, ist in dieser Rolle von Sacha Baron Cohen nichts vorhanden. „Der Spion und sein Bruder" - der widerwärtigste Film des Jahrzehnts. Gar nicht wegen der Ekel-Szenen, sondern wegen der aktiven Vernichtung von „Son of Saul" durch Sony und eine schlampig gemachte Nichtigkeit.

6.3.16

Darth Maul Apprentice

Meisterstück des Film-Lehrlings

YouTube-Premiere Star Wars-Fan Film

Shawn Bu macht Hollywood in der Region

Von Günter H. Jekubzik

Aachen. Letzten Samstag lief ein Star Wars-Film an, auf den viele gewartet haben: „Darth Maul: Apprentice". Auf YouTube schlug der Fan-Film eines Studenten der FH Design Aachen ein wie der echte „Star Wars" im Kino. 250.000 Zuschauer in der ersten 24 Stunden! Shawn Bu steht als Regisseur neuer Schule zwischen Filmhochschule und YouTube.

https://www.youtube.com/watch?v=Djo_91jN3Pk

Leuchtschwerter, Jedi-Kräfte, der ewige Kampf zwischen der guten und der dunklen Macht... „Darth Maul: Apprentice" ist alles, was die Fans an „Star Wars" lieben. Und sieht aus wie auf der Skywalker Ranch von Georg Lucas entstanden. Doch die kurze Geschichte um das Erwachen des besonders mächtigen Sith-Lords Darth Maul und seine letzten Gewissensbisse entstand in Aachen und Umgebung, an spektakulären Sets der Eifel und der Heerler Heide. Mit Steady-Cam, Drohne und Spezial-Choreograph für Kampfszenen. Die sagenhaften Effekte stammen selbstverständlich aus Rechnern und von Meistern ihres Fachs.

Das Team, das Regisseur Shawn Bu im über zweijährigen Entstehungsprozess seines Bachelor-Films an der FH Design begleitete, ist schon lange professionell tätig: Die T7pro-Filmproduktion von Shawn Bu sowie Regisseur und Kameramann Vi-Dan Tran drehte die Videos für Lena-Meyer Landrut zu den Songs „Home", „Catapult" und zuletzt „Wild & Free" vom Soundtrack zu „Fack Ju Göhte 2". 30.000.000 Klicks gab es dafür auf YouTube! Die Seite von Pro7 zeigt deutlich: Sie wollen und können „Hollywood-Qualität in Deutschland" realisieren. Auch Hauptdarsteller Ben Schamma erwies sich als echter Profi: Jeden Morgen war der Alsdorfer schon um vier Uhr wach, um in einem drei Stunden währenden Prozess seine eigene Maske anzulegen.

FH Design – Filmhochschule?
Der Macher des Star Wars-Fanfilms „Darth Maul: Apprentice" kommt aus guter Schule: Sein Bruder Julien Bam war schon mit JuBa-Films „Klick-Millionär" auf YouTube. Und aus der FH Design in Aachen kommt schon wieder eine erstaunlich professionelle Studenten-Produktion – obwohl es dort keinen Film-Studiengang gibt. Qualität, die man auch bei der „Showtime" bewundern kann, der regelmäßigen Vorführung aller filmischen Arbeiten der FH Design. Prof. Matthias Knezy-Bohm hat dort seit 1997 die Professur für das Lehrgebiet Video/ Bildbearbeitung/ Animation am Fachbereich Gestaltung und springt selbst auch schon mal vor der Kamera ein.

Da stellt sich die Frage, was Shawn Budorovits - wie er komplett heißt, in Zukunft machen will: Kino oder Klicks? Die Antwort des zurückhaltenden, aber am Set äußerst selbstsicheren Filmemachers ist eindeutig: „Beides! Mein Ziel ist es Kinofilme zu drehen. Im besten Fall einen Star Wars-Kinofilm. Kurzfilme zu drehen, ist der beste Weg zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und sein Können zu zeigen. Deswegen ist es toll, die Möglichkeiten von YouTube zu nutzen, um viele Menschen zu erreichen und Aufmerksamkeit zu erzeugen." Und auch der weitere Weg ist noch klassisch, Bu möchte gerne einen Master an einer Filmschule machen. Als nächstes stellt er ein Science Fiction-Musikvideo mit fertig. „Und ich bin sehr gespannt was für Auswirkungen der Star Wars-Film mit sich bringt."

http://www.youtube.com/user/T7pro
https://www.youtube.com/watch?v=yItcRErM45I

5.3.16

London has fallen

Großbritannien, USA, Bulgarien 2016 Regie: Babak Najafi mit Gerard Butler, Aaron Eckhart, Morgan Freeman, Angela Bassett, Melissa Leo 99 Min. FSK ab 16

Zuerst wird London in die Luft gejagt, dann ein schäbiger Rohbau voller Pappmache-Wände. Selten ging einem vermeintlichen Action-Spektakel bei den Schauwerten derart die Luft aus. Auch dass der spartanische Schauspieler Gerard Butler als Bruce Willis-Kopie durchfällt, trägt zum Missfallen dieses dünnen Action-Durchfalls bei.

Mitten in einem atemlosen, kaum mal innehaltenden Action-Galopp doch ein interessanter Gedanke: Die sogenannten Terroristen bringen denen, die irgendwo weit weg ferngesteuert Familien auslöschen, den Krieg zurück nach Hause. Der US-Präsident soll für all die Menschen, die er weltweit hat morden lassen, diesmal selbst den Kopf hinhalten. Politiker, die wirklich mal Verantwortung übernehmen und nicht nur mit viel Geld zurücktreten – interessante Idee! Diese schrecklich gerechte Handlungsweise wird allerdings umgehend mit ihrem Sprecher diskreditiert. Ist doch nur ein Waffenhändler ... genau wie die US-Regierung.

„London has fallen" ist schon wie der Vorgänger „Olympus has fallen" inhaltlich und politisch sehr sinnlos. Dafür laut: Schon der US-Drohnenangriff auf eine pakistanische Hochzeit macht gleich ein ganzes Viertel samt Bewohner platt. Die Rache dafür ist raffiniert. Der Tod der englischen Premiers lockt reihenweise Staats- und Regierungsleiter nach London, die Schauwerte der City führen zu massig Exekutionen und Explosionen. Nur US-Präsident Benjamin Asher (Aaron Eckhart) kann dank seines neurotischen Leibwächters Mike Banning (Gerard Butler) in den Untergrund einer brennenden und besetzen Stadt fliehen. Wobei nach lustigem touristischen Feuerwerk, das man oft deutlich als Computer-Effekt erkennt, das Finale in einem billigen bulgarischen Filmstudio stattfindet.

Dass eine Drohne mal nicht aus Versehen eine Hochzeit massenmordet, ist wohl eher schlechter Witz als Zynismus. Auch der Rest ist nach lautem Auftakt in Bild und Ton vor allem schlecht. Gerard Butler wirkt im Anzug deplatziert wie ein Kneipenschläger als Sicherheits-Chef. Vor allem in den nur peinlichen Scherzen zwischen Staats-Chef und Butler scheitert der Versuch einer „Die Hard"-Kopie kläglich. Das Muskelberg-Double aus „300" ist viel zu eindimensional selbst für diese Rolle im einseitigen Fach des harten Kämpfers in Folge von Willis oder Clint Eastwood.