31.12.16

Passengers

USA 2016 Regie: Morten Tyldum mit Jennifer Lawrence, Chris Pratt, Michael Sheen 117 Min. FSK: ab 12

Jim Preston (Chris Pratt) hört beim Aufwachen Bob Dylan, aber ansonsten liegt viel Zukunft vor ihm. Weit vor ihm, denn schnell wird dem Techniker auf dem Raumschiff Avalon klar, dass er als einziger von 5000 Kolonialisten 90 Jahre zu früh aus dem Hyperschlaf aufgewacht ist. Der Notruf zur Erde kostet 6000 Dollar und eine Antwort kann frühestens in 36 Jahren kommen. So ist Jims erster Gesprächspartner ein Androide, der lässige Barkeeper Arthur (Michael Sheen). Mit seinen üblichen Gastwirt-Sprüchen, die witzigerweise selbst in dieser extremen Situation passen. Zum Glück ist der einsamste Mensch des Universums Handwerker und macht sich mit der Axt den Weg frei in Bereiche für reichere Reisende. Der schale Spaß mit dem Unterhaltungsprogramm des riesigen Spielzeugs Aurora wird im Laufe des ersten Jahres allerdings zum existenziellen Trip bis zu Selbstmord-Gedanken. Schließlich wird sich Jim wie einst Adam eine Frau erschaffen. Genauer: erwecken.

Die Auserwählte, die Schriftstellerin Aurora Lane (Jennifer Lawrence), soll nie erfahren, wieso auch sie 90 Jahre vor der Ankunft in der neuen Welt aufwachte. Trotzdem ist dies nicht die beste Voraussetzung für einen Romanze im Weltall. Allerdings sehr wohl für einen romantischen Science Fiction, wenn man unbedingt ein Genre für den durchaus originellen „Passengers" braucht. Denn ganz anders, als es die Trailer vorgaukeln, ist dies erst einmal der Film von Jim. Er verliebt sich in eine Sleeping Beauty, deren Aufzeichnungen er studiert. Nach einem folgenreicher Eingriff kann er sich beim Werben viel Zeit lassen, schließlich ist er der attraktivste, weil einzige wache Mann weit und breit. Das führt zu guten Scherzen über ihre spezielle Situation beim ersten Date, ihr erster Ausflug geht direkt ins Schwerelose und die Romanze funktioniert wunderbar. Jim und Aurora sind eine Weile „sehr glücklich für zwei unglückliche Menschen". Aber nicht nur die Liebe zerbricht, auch auf dem Schiff funktioniert immer mehr immer weniger.

So spielt „Passengers" als Kammerspiel in unendlicher Weite ein interessantes Beziehungskonzept durch. Während man sich gerade überlegt, wie etwa Sartre diese Situation weiterentwickelt hätte, meldet sich bei einer der großen Richtungsänderungen in das Hollywood-Denken mit einer Action-Routine zurück. Nicht sehr originell. Optisch immer noch attraktiv, muss man nach vielen netten Schwerkraft-Scherzen (und auch Fehlern) in den entscheidenden Momenten an „Gravity" zurückdenken. Die Science Fiction-Action wird spätestens wenn es um Leben und Tod geht, zur Lachnummer. Da schließt sich der Kreis für Chris Pratt zu seiner Parade-Rolle als „Guardian of the Galaxy".

Neben schönen Ausstattungs-Spielereien, die das gigantische Schiff erfahrbar machen, zeigt vor allem Jennifer Lawrence („X-Men", „Die Tribute von Panem") erneut, dass sie eine ernsthafte und sehr gute Schauspielerin ist. Michael Sheen macht sich als sympathischer Bar-Roboter unsterblich. Der norwegische Regisseur Morten Tyldum verdient nach der Turing-Biographie „The Imitation Game" und dem harten Thriller „Headhunters" mit „Passengers" eindeutig eine Platzreservierung in Hollywood.

27.12.16

Einfach das Ende der Welt

Kanada, Frankreich, 2016 (Juste la fin du monde) Regie: Xavier Dolan mit Gaspard Ulliel, Nathalie Baye, Marion Cotillard, Vincent Cassel, Léa Seydoux 99 Min. FSK: ab 12

Mit seinem sechsten Film „Einfach das Ende der Welt" gewann der Kanadier Xavier Dolan in Cannes 2016 den Großen Preis des Festivals und den Preis der ökumenischen Jury. Nach aufsehenerregenden, wilden und berauschenden Filmen wie „Mommy", „Laurence Anyway" oder „I killed my mother" begeistert dieser erste erwachsene Film des 27-Jährigen mit einer sensationellen Darstellerriege und berührt mit schmerzlich einsamer Familiengeschichte.

Der verlorene Sohn, mittlerweile berühmter Schriftsteller, kehrt heim und möchte seinen baldigen Tod ankündigen. Über zwölf Jahre kamen von Louis (Gaspard Ulliel) nur Postkarten mit elliptischen Sätzen, sie kamen zu Geburtstagen und anderen wichtigen Daten, jeder hat eine Sammlung davon. Jetzt steht sich die Familie im dunklen Haus lange verloren gegenüber. Später wird geredet, viel geredet, gestritten und geschrien. Nur kurz unterbrechen Szenen der Erinnerung den verbalen Familienreigen mit groben und sensibleren Menschen: Die empfindsame Schwägerin Catherine (Marion Cotillard) trifft ihn zum ersten Mal und erkennt als Einzige den Grund des Besuchs. Die aufgedonnerte Mutter Martine (Nathalie Baye) zieht gnadenlos ihr Programm durch, die jüngere Schwester Suzanne (Léa Seydoux) weiß nicht, ob sie Ärger oder Bewunderung zeigen soll. Und der cholerisch, extrem missmutige ältere Bruder Antoine (Vincent Cassel) ist einer dieser brutalen Gewaltmenschen, die immer wieder für Katastrophen in Dolans Filmen sorgen. Der berühmte Schriftsteller hat dabei selbst kaum Worte. Der schöne Eingangs-Song von Camille sagt es: Zu Hause ist kein Hafen, zu Hause ist der Schmerz.

Wunderkind Xavier Dolan zeigt auf Basis eines Theaterstücks des Franzosen Jean-Luc Lagarce, dass diese Familie viel weiter als nur einen Flug voneinander entfernt ist. Die einzigen Momente der Nähe im familiären Chaos sind die, in denen die ruhige Filmmusik von Gabriel Yared alles sanft überdeckt. Mit Marion Cotillard („Assassin's Creed"), Vincent Cassel („Der Pakt der Wölfe", „Die purpurnen Flüsse"), Léa Seydoux („Spectre", „The Lobster"), Gaspard Ulliel („Saint Laurent") und Nathalie Baye („Eine pornografische Beziehung") zeigt eine absolut exquisite Auswahl der frankophonen Schauspielkunst, wie angesehen der junge Franco-Kanadier Dolan mittlerweile ist. Und erwachsen, wie er selbst meint. Der Thematik geschuldet, fällt die Inszenierung weniger schrill, mit weniger Trash und Camp als bei seinen vorherigen, tollen Werken aus. Die Menschen schreien immer noch. Und reden viel. Näher kommen sie sich nicht, allein das von Dolan streng komponierte und in Produktion, Regie, Buch und Schnitt überwachte Kunstwerk gewährt mit seinen Bildern und Töne einen gnädigen Blick.

Die Überglücklichen

Italien, Frankreich, 2016 Regie: Paolo Virzì mit Valeria Bruni Tedeschi, Micaela Ramazzotti, Valentina Carnelutti , Tommaso Ragno 116 Min. FSK: ab 12

Was für eine Rolle für die grandiose Schauspielerin und Regisseurin Valeria Bruni Tedeschi! Sie gehabt sich als Maria Beatrice Morandini Valdirana wie die Leiterin einer psychiatrischen Anstalt für Frauen, schreitet mondän und herrlich herrisch über den Hof der Landkommune, erinnert an Anstand und treibt die anderen wortreich bei der Arbeit an. Selbstverständlich ist Maria Beatrice selbst nur eine Patientin, auch wenn vielleicht ihre Familie tatsächlich einst das Landgut stiftete. Obwohl es eine dieser typisch italienischen freien Anstalten ist, darf Maria nicht raus. Sie wurde zweifach verurteilt und steht unter Aufsicht. Maria ist nicht nur geschwätzig, sie ist auch neugierig. So neugierig, dass sie sich als Ärztin ausgibt, um bei dem schroffen Neuzugang Donatella (Micaela Ramazzotti) alle Details und Hintergründe zu erfahren. Maria hat George Clooney und Armani in ihrer Kontaktliste, redet ununterbrochen von ihren Treffen mit Berlusconi und den Clintons sowie von ihren guten Beziehungen zu guten Anwälten. Die sie mit nächtlichen Anrufen belästigt, bis es eine gerichtliche Verfügung gibt.

Tatsächlich entwickelt sich zwischen der chicen Frau, die Dior-Kleider trägt, und der trashigen Donatella mit den vielen Tattoos auf dem ausgezehrten Körper eine Zusammenarbeit. Die neurotische Expertin in der Haltung und Stilfragen organisiert schon mal eine eigene unheilige Messe mit gesammelten Medikamenten und geklautem Rotwein. Nach der gemeinsamen Flucht mit dem Linienbus helfen sich Maria und Donatella, dem Grund ihrer Leiden näher zu kommen: Die Dame aus besserer Familie lässt sich wieder von ihrer asozialen großen Liebe erniedrigen und die sensible jüngere Frau versucht, ihren Sohn zu treffen, der seit Donatellas Selbstmordversuch bei Adoptiveltern lebt.

Diese wunderbare Geschichte von Autorin Francesca Archibugi und Regisseur Paolo Virzì („Die süße Gier - Il Capitale Umano") ist eine Mischung aus „Eine floh aus dem Kuckucksnest" und „Thelma & Louise", bei der sich die beiden Ausflüglerinnen regelmäßig gegenseitig fragen, ob sie verrückt seien! Wobei „Die Überglücklichen" in der Tragikomödie selbstverständlich nicht wirklich glücklich sind, aber mit ihrem Ausflug das Unglück ein Stück hinter sich lassen können.

Valeria Bruni Tedeschi, die ehemalige Schwägerin von Nicolas Sarkozy, zaubert mit ihrem sagenhaften Spiel haufenweise extreme Zustände auf die Leinwand. Sie hat eine Rolle, so einfühlsam persönlich und gleichzeitig politisch wie bei ihren eigenen Regie-Arbeiten. Bruni Tedeschi stammt wie die Halb-Schwester Carla Bruni aus einer italienischen Industriellen-Familie. Sie scherzt als Maria über Verhältnisse zu wesentlich jüngeren Männern und war mit dem 19 Jahre jüngeren Schauspieler Louis Garrel zusammen. Ihre reale Mutter Marisa Borini spielt (wie schon in den drei eigenen Filmen der Tochter) erneut ihre Film-Mutter. Und beschwert sich, dass sie durch das Verhalten der Tochter so verarmt sind, dass sie ihre Villa für Dreharbeiten italienischer Filme zur Verfügung stellen müssen - furchtbar! Das ist auf der stimmigen psychologischen Ebene nur eines von mehreren schwierigen Mutter-Tochter-Verhältnissen. Ein substantielles Thema, bei dem jede Schwermut weggeweht wird, wenn Maria und Donatella als vermeintliche Komparsen in Kostüm einen Film-Oldtimer entführen.

Es gibt eine großartige Szene bei einer Wahrsagerin, viele Straßenszenen aus dem echten Leben zwischen Party- und Urlaubs-Menschen und einen Einblick in die spezielle italienische Psychiatrie. Vor allem gibt es, auch wenn sich immer die Frage stellt, was ist Wahnsinn, was Wahrheit, viele echte Gefühle. „Die Überglücklichen" zeigen keinen einseitigen Kampf einer Heldin gegen die Institutionen. In dieser großartigen, sehr berührenden Tragikomödie kann man beide Seiten bestens verstehen.

Love & Friendship

Irland, Niederlande, Frankreich, USA, 2016 Regie: Whit Stillman mit Kate Beckinsale, Chloë Sevigny, Stephen Fry 93 Min. FSK: ab 0

Herrlich biestige Sätze schießt diese Schönheit lächelnd in die gesellschaftliche Runde, sodass selbst ihre Feinde ihr bald verfallen. Regisseur Whit Stillman zeigt Jane Austen mal anders, sehr modern, und auch Kate Beckinsale lässt sich als das schöne Biest Lady Susan keineswegs mit ihrer Vampirjägerin aus „Underworld: Blood Wars" verwechseln. Diese Dame des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist viel gefährlicher!

Jane Austens Roman-Entwurf „Lady Susan" ist die Vorlage für diese scharfe Gesellschaftskomödie. Ein Briefroman, daher amüsiert ein steter Fluss von Dialogen, nur unterbrochen von der pointierten und spöttischen Vorstellung der „personae" wie bei Bühnenstücken. Die schöne, aber mittellose Witwe Lady Susan Vernon (Kate Beckinsale) flog gerade bei ihrem Liebhaber Lord Manwaring raus, weil die hysterische Frau Manwaring zu viel Theater machte. Nun nistet sie sich bei der Verwandtschaft in Churchill ein: „Mein Projekt werden die Kinder sein, ein paar Namen kenne ich schon!" Ihre Freundin und Kammerzofe Miss Cross muss gehen, weil es ja die Freundschaft verletzen würde, der mittellosen Frau einen Lohn zu zahlen! Trotz ihres skandalösen Liebeslebens versucht Lady Susan gleichzeitig für sich und für ihre Tochter Frederica einen Ehemann zu finden. Noch sind die Kandidaten allerdings in die jeweils Falsche verliebt.

„Wir leben nicht, wir besuchen", so lautet das bekannte Jane Austin-Dilemma zwischen Gefühlen und Auskommen in der Kurzfassung von Lady Susan. Ein weiterer pointierter Spruch - „Fakten sind eine furchtbare Sache" – macht die Moderne dieser Austen-Verfilmung frappant deutlich. Während Erbsen noch als Kuriosität auf dem Teller bestaunt werden, sind die Figuren keineswegs verstaubt. Vor allem Kate Beckinsale, die Furie aus dem „Total Recall"-Recall, hat mit lebendigem Geist die Sympathien auf ihrer Seite. Zusammen mit ihrer Filmfreundin Chloë Sevigny war sie schon in Whit Stillman ganz modernen „Last Days of Disco" dabei. Diesmal begeistert ihre Rolle in dem reizend ausgestatteten Historienfilm mit viel geschliffenem Wortwitz.

26.12.16

Assassin's Creed

Großbritannien, Frankreich, Hongkong, USA 2016 Regie: Justin Kurzel mit Michael Fassbender, Marion Cotillard, Jeremy Irons, Brendan Gleeson, Charlotte Rampling 116 Min. FSK: ab 16

Nicht nur Fans des Computer-Spiels „Assassin's Creed" waren neugierig auf die gleichnamige Verfilmung von Regisseur Justin Kurzel – hat der doch mit den gleichen Hauptdarstellern Michael Fassbender und Marion Cotillard zuvor einen sehr faszinierenden „Macbeth" inszeniert. Trotz ein paar visueller Reize muss man Kurzel nach dieser Enttäuschung aber kurz sagen: „Game over".

Im Andalusien des Jahres 1492 erklingen Schlachtengetümmel und Schreie Verwundeter. Die Reconquista steht mit der Eroberung von Granada vor dem Endsieg. Mit dem Zurückdrängen der Araber wurde Spanien auch gleich judenfrei gemacht, die Brandstapel der Inquisition lodern fröhlich. In diese nicht gerade gemütliche Gemengelage springt der Film für einen Vorgeschmack mittelalterlicher Action. Dann gehen die Sprünge im Süden der USA auf einem BMX-Rad mitten in eine ärmliche Siedlung, in welcher der junge Callum Lynch zuhause den Vater mit einem Messer neben der ermordeten Mutter findet. Vor einer Armada abgedunkelter Geheimdienstwagen kann Callum gerade noch fliehen. In ein scheinbar wenig erfolgreiches Leben, denn die nächste Szene findet den erwachsenen Lynch (Michael Fassbender) in einer Todeszelle und nach der Hinrichtung erwacht er in einem Hightech-Labor unter den Augen der Forscherin Sophia Rikkin (Marion Cotillard).

Das ist anfangs holperig schnell erzählt. Der Rest bleibt simpel: Mit einem Stecker im Rückenmark und aufgehängt an einem Hydraulik-Kran erlebt Callum Lynch sehr körperlich die Erlebnisse seines Vorfahren Aguilar de Nerha in Andalusien nach. Es geht darum, den Verbleib des legendären „Edenapfel" herauszubekommen. Ein austauschbarer „MacGuffin" - genauso gut hätte es um den heiligen Gral (Monty Python) oder den Nagellack von Maria („Da Vinci Code") gehen können. Wichtig ist, dass die Tempel-Ritter und die „Assassinen" etwas haben, worum sie Jahrhunderte und einige Film-Folgen lang kämpfen können. Das Labor, in dem Callum gefangen ist, wird von den üblen Kirchenmännern kontrolliert. Die geheimnisvollen Assassinen sehen unter ihren Kapuzen cooler aus und machen in Andalusien auf eine Art von Ninja-Guerilla.

Es ist haarsträubend fantastisch, wenn die ganze Laborbesatzung irgendwie sieht und miterlebt, was Callum aufgrund von ein paar DNA-Strängen in Granada und Umgebung alles zusammenschlägt. Die Action im Gegenlicht sieht allerdings ebenso gut aus, wie viele Szenen in „Macbeth". Es gibt reichlich Flugaufnahmen (Aguilar heißt Adler) über rötlich braune Erde, während das Labor sehr grau bleibt. Die Assassinen haben nicht nur asiatische Kampftechniken drauf und beherrschen auch das „vogueing", wenn sie nach einem tödlichen Kick für Sekunden in Poster-Pose verharren. Auch der „parcours" über Dachsimse und Wäscheleinen in Granada geht auf ihre Kutten-Kappe. Darunter ähneln sie dann gleich noch Batman, wenn sie nach erfolgreicher Action wie Raubvögel irgendwo ganz oben auf den Stadtdächern im Abendlicht Schatten werfen.

Columbus war übrigens auch ein Assassine. Kurzel kurz gefasst, müssen die First-Class Schauspieler Michael Fassbender und Marion Cotillard eine ganze Menge Kappes auf ihren Schultern und Gesichtszügen tragen. Fassbender, der die letztlich recht uninteressante Action mit produzierte, kommt als stoischer Kapuzenmann, der seine wahren Gene erkennt, noch halbwegs gut weg. Cotillard, gerade noch in „Allied" mit Brad Pitt verheiratet, kann nichts von ihrem Können zeigen. Aber ihr letzter Blick verspricht Rache, da kann noch was kommen. Hoffentlich mit besserem Drehbuch und mit weniger sinnlosen Hokuspokus.

20.12.16

Gemeinsam wohnt man besser

Frankreich, 2016 Regie: François Desagnat mit André Dussollier, Bérengère Krief, Arnaud Ducret 97 Min.

Letztens nahm ein alter Franzose in „Mit dem Herz durch die Wand" eine schüchterne Piano-Schülerin auf, nun André Dussollier als mürrischen Senior Hubert Jacquin aufgrund einer Verwechslung die vermeintliche Putzfrau Manuela (Bérengère Krief). Völlig überraschend stellt nun die quirlige Studentin den Alltag eines Rentners auf den Kopf. Im grellen Sacko geht es in die Disco samt Leuchtstäbe aus der Retrokiste. Ohne wirklich großen Widerstand lässt sich Hubert überreden, die Wohngemeinschaft zu erweitern. Die verspannte Krankenschwester Marion und der in Scheidung lebende, neurotische Anwalt Paul-Gérard ziehen ein, trotz einiger Schwierigkeiten erweist sich die gemischte WG als Jungbrunnen. Das ist, wie gesagt, keine revolutionäre Idee, auch die Abläufe samt Vorstellungsrunde und erwartbarem Chaos überraschen kaum. Doch mit anständigem Schauspiel kann diese Formel immer noch funktionieren. „Gemeinsam wohnt man besser" ist nicht bewegend, klug, tiefgründig und kritisch wie „Die Kommune" von Thomas Vinterberg, aber zumindest dank André Dussollier („Diplomatie", „Herzen") recht unterhaltend.

Eine schöne Bescherung (2015)

Schweden, 2015 (En underbar jävla jul) Regie: Helena Bergström mit Maria Lundqvist, Robert Gustafsson, Anastasios Soulis, Anton Lundqvist 108 Min.

Die Familie fällt zum Fest beim schwulen Paar Oscar und Simon sowie deren Freundin Cissi, die im neunten Monat schwanger ist, ein. Die drei wollen eine Familie zu gründen. Dabei hat der Vater schon am noch nicht fertig renovierten Haus und an vielem anderen zu meckern. Schon seine Hausbesichtigung ist ein emotionaler und manifester Zerstörungsakt. Dann taucht mit dem Schwiegervater der gerade noch übel rassistisch angegangene Zimmerjunge aus dem Hotel auf, seine geschiedene Frau kommt mit dem viel jüngeren Liebhaber vorbei. Selbstverständlich sind Oscar und Simon die Väter von Cissis Baby. Das Durchkonjugieren der politischen und Lebenshaltungen von unfassbar rückständig bis locker liberal soll für Humor sorgen. Zuerst ist jedoch ein weihnachtliches Überfressen an Reiz-Themen und –Figuren festzustellen.

„Einer der erfolgreichsten schwedischen Filme der letzten Jahre" – das lässt angesichts anderer nationaler Hits wie „Ziemlich beste Freunde" viel befürchten. Dazu handelt es sich noch mit dem Weihnachtsfilm um eines der furchtbarsten Genres aller (Jahres-) Zeiten. Solche Familien-Aufstellungen mit reichlich Konfliktstoff können bei sorgfältiger Figurenzeichnung einfühlsam unterhalten, wie es die Dänen Susanne Bier („Love is all you need") oder Thomas Vinterberg („Das Fest") besser vormachen. Hier fallen die Klischees direkt mit der Tür ins Haus, Besserung ist nicht in Sicht, aber das Happy End garantiert. Das ist Wohlfühl-Kino in einem Bett vertrockneter Tannennadeln.

Nocturnal Animals

USA, 2016 Regie: Tom Ford mit Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson 117 Min. FSK: ab 16

Die kühl gestylte Kunsthändlerin Susan Morrow (Amy Adams) lebt in Los Angeles wohl situiert mit ihrem untreuen zweiten Ehemann Hutton Morrow (Armie Hammer). Eines Tages erhält sie von ihrem Ex Edward Sheffield (Jake Gyllenhaal) dessen Roman-Manuskript mit dem Titel „Nocturnal Animals". Es ist ihr gewidmet, „nachtaktiv" nannte er sie früher wegen ihrer Schlaflosigkeit. Der Roman erzählt von einem furchtbaren Verbrechen: Tony Hastings (ebenfalls gespielt von Jake Gyllenhaal), fährt in einem alten Mercedes mit seiner Familie durch Texas und wird in der Nacht von Ray Marcus (Aaron Taylor-Johnson) und dessen White Trash-Gang von der Straße abgedrängt. Die brutalen Gewaltmenschen entführen, vergewaltigen und töten Frau (Amy Adams) und Tochter.

Das hat anfangs viel von David Lynchs „Lost Highway". Ein Gewalteinbruch, dem der normale Familienvater nichts entgegensetzen kann. Diese Ebene könnte fast in eine der modernen, voyeuristischen und sadistischen Gewaltorgien abgleiten. Doch immer wieder wird der Film im Film gebrochen von den entsetzen Reaktionen der Leserin Susan, die sich im Opfer wiedererkennt. Und schließlich auch von Susans Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit dem Autoren Edward, den sie wohl ebenfalls im Roman sieht.

Diese raffinierte Konstruktion führt zu einem Gegeneinander von einem Arrangement der Gefühllosigkeit und einem Überschuss an vor allem furchtbaren Emotionen. Die Binnenhandlung spielt brutal langsam mit Ängsten und lässt sie dann wahr werden.

Wie Gyllenhaal seine beiden Charaktere anlegt, ist genial und zeigt das Vermögen des Darstellers aus „Donnie Darko", „Prisoners" und „Enemy" abseits der Kassenschlager wie „Nightcrawler" oder „Everest". Amy Adams kann man nach „Arrival" gar nicht mehr loben. Diese herausragenden Leistungen sind jedoch nur Bestandteile eines ganz großen und mutigen Werkes, das 2016 in Venedig einen „Silbernen Löwen" als Großen Preis der Jury erhielt. „Nocturnal Animals" sieht selbstverständlich sehr gut aus (Kamera: Seamus McGarvey von „Anna Karenina" und „Abbitte"), ist mit der Musik von Abel Korzeniowski klassisch spannend, lässt aber vor allem die Verknüpfungen der Ebene zur Interpretation frei. Irgendwann hängt der Begriff „Rache" groß an einer Galerie-Wand. Die (für uns bebilderte) Lektüre und die Unsicherheit über deren Absichten verändern eventuell das Leben von Susan.

Es ist sieben Jahre her, seit der Modemacher Tom Ford sein sensationelles, sehr intimes und intensive Regiedebüt mit „A Single Man" (und Colin Firth) hinlegte. Obwohl es kein Vergnügen ist, bei „Nocturnal Animals" die Ereignisse des Film im Film (mit dem großartigen Michael Shannon als Detective) zu verfolgen, fragt man sich anlässlich des faszinierenden Gesamtkonstrukts, wieso Ford nicht öfter Filme macht. Wie bei „A Single Man" schrieb Tom Ford auch das Drehbuch, diesmal auf der Basis von Austin Wrights Roman „Tony and Susan".

Stil ist dabei für den ehemaligen Designdirektor von Gucci keine Marke. Er ist Thema, sperrt in Mode, Architektur und Kadrierung Susan ein. Inwiefern die staubige Gegenwelt von Texas (von wo Ford stammt) mit Shannon als Cowboy auch als Kunstwelt verstanden werden soll, gehört wieder in das weite Feld der Interpretation dieses außergewöhnlichen Kunstwerks.

19.12.16

Vaiana

USA, 2016 (Moana) Regie: Ron Clements, John Musker 107 Min. FSK: ab 0

„Vaiana" nimmt einen polynesischen Mythos, dreht ihn durch die Disney-Mühle bis wieder die übliche US-Teenager-Geschichte herauskommt. Diesmal mit dem Mädchen Vaiana in der Hauptrolle, das seine (verbotenen) Grenzen jenseits der Lagune austestet. Ihr Vater hat ihr streng verboten, hinter das Riff zu fahren. Aber bei einer Ökokatastrophe, die Kokosnüsse faulen und das Meer fischlos werden lässt, entschließt sich die Häuptlingstochter Natur und den Mythos wieder in Ordnung zu bringen. Vaiana, die in Europa nicht ihren richtigen Namen Moana tragen darf, weil eine Bikini-Marke und ein Porno-Dokumentation so heißen, bricht mit einem alten Floss auf und überredet den Halbgott Maui, ihr zu helfen.

Mal wieder ist die weibliche Hauptfigur Thema: Diese Moana / Vaiana ist etwas fülliger als Barbie, etwas eigensinniger als „Die Eisprinzessin" und das geht schon als Gender-Fortschritt durch. Doch bis zu wirklich eigenständigen Figuren, die nicht vor allem vom Hollywood-Konzept der weltweiten Vermarktung geprägt sind, ist es weit her. So was Staunenswertes machte Tomm Moore mit „Das Geheimnis von Kells" und „Die Melodie des Meeres". Bei „Vaiana" führten hingegen die Disney-Veteranen Ron Clements und John Musker („Basil, der große Mäusedetektiv", „Aladdin", „Arielle, die Meerjungfrau", „Küss den Frosch") Regie auf die sichere Tour. Mit verlässlich vielen Liedchen, von denen dann eines wieder den Oscar bekommt. Weil es herzlich wenig mit Hawaii oder Polynesien zu tun hat. Und lustigen Sidekicks wie das blöde Huhn, das letztlich auch mal ein magisches Herz findet. Oder die animierten Tattoos auf Mauis komplett dekorierter Haut und die Kokosnuss-Piraten.

Vaiana ist auch eine Kriegerin, was für ein paar Action-Szenen sorgt, und eine Freundin des Meeres, was etwas Magie in die Geschichte bringt. Das alles passt so gar nicht zu dem Halbgott, der selbst eine unreife Witzfigur ist, so ein männlicher US-Teenager, wahrscheinlich im echten Leben Football-Dampfwalze. Oder der singenden Monster-Krabbe mit ihrer psychedelischen und phosphoreszierenden Musical-Einlage. Ein Disney, der alles Mögliche in die Schale wirft und doch hinter der fast realistisch perfekten Animation Stückwerk bleibt.

Allied

USA 2016 Regie: Robert Zemeckis mit Brad Pitt, Marion Cotillard, Jared Harris, Lizzy Caplan, Matthew Goode, August Diehl 125 Min. FSK: ab 12

„Uns bleibt immer Casablanca" – dachte sich wohl Robert Zemeckis („Forrest Gump", „Flight", „Cast Away"), als er ein neues Filmprojekt suchte. „Allied" ist edles Starkino mit Brad Pitt und Marion Cotillard, dabei gleichzeitig eine nette Hommage an Michael Curtiz' Klassiker „Casablanca" von 1942.

Schon wie der kanadische Geheimdienstoffiziers Max Vatan (Brad Pitt) in den ersten Wüsten-Bildern dieses hochkarätigen Films landet, ist formvollendet. Da schwebt ein Mann im sandigen Nirgendwo auf eine Düne nieder und schon sind wir gefesselt mittendrin in den Rätseln der Handlung. Ein Auto staubt heran, der Pistolen-Halfter wird gelöst. Doch spannend wird es in Casablanca erst einmal zwischen Max und der französischen Résistance-Kämpferin Marianne Beausejour (Marion Cotillard). Im Auftrag der Alliierten spielen sie ein Ehe- und Liebespaar aus Paris (siehe Humphrey Bogart und Ingrid Bergman). Marianne warnt ihn früh: Der Fehler, den Leute in diesen Situationen machen, ist nicht, miteinander ins Bett zu gehen. Es sind ihre Gefühle!

Nebenbei erledigen die Liebes-Spione ziemlich kalt den deutschen Botschafter und noch ein paar Nazi mehr. Marianne hat dabei die Hosen an, sowohl sprachlich als auch in der Kenntnis der lokalen Umgangsformen. Es ist wunderbar, wie Mrs. Pitt und Mrs. Cotillard Verliebte spielen sollen, was umso schwieriger wird, wenn man sich tatsächlich verliebt. Nach stürmischer Liebe im Wüstensturm – das ist der zweite Clou des Films – stellt sich allerdings später die Frage, ob die Liebe echt war.

Robert Zemeckis, einer der ganz prominenten Regisseure, der mit zahllosen Stars gedreht hat, inszeniert sein Liebes- und Spionage-Drama „Allied" wieder grandios. Ein Hauch, oder eher ein Wüstenwind von „Casablanca" weht gleich zu Anfang kräftig durch die Geschichte. Ebenso elegant setzt sich die Handlung mit wenigen Szenen über längere Zeiträume hinweg: Von der kurzen, schneidigen Action-Einlage beim Anschlag, über Heirat und Geburt einer Tochter bis zum Zeitraum, wo die Uniform von Max fast schon am Haken hängt. Die Sache bekommt nur einen Haken, als ein besonders geheimer Geheimdienst-Mann Max in London eröffnet, dass seine Frau dringend verdächtigt wird, eine deutsche Spionin zu sein.

„Allied" sieht nicht nur gut aus, er funktioniert auch bestens als Liebesfilm, Kriegs- und Spionage-Geschichte. Zudem zeigt Zemeckis das vom deutschen Bombenterror gepeinigte London mit Partys zum Fliegeralarm und Picknick vor abgeschossener Luftwaffen-Maschine. Brad Pitt spielt losgelöst von Klamotten wie „Mr. und Mrs. Smith" hervorragend in fast schüchterner Zurückhaltung, Verliebtheit, Schock nach der Anklage und in Zweifeln. August Diehl, der demnächst als Karl Marx zu sehen sein wird, macht hier kurz den Nazi-Standard als fieser deutscher Kommandant. Er schafft es aber nicht bis zum Flughafen, wo am Ende wieder Casablanca zitiert wird – an einem anderen Flughafen in einer anderen Abschieds-Szene. „Allied" muss kein Klassiker werden, ist aber beste Kinounterhaltung auf hohem Hollywood-Niveau.

14.12.16

Rogue One: A Star Wars Story

Rogue One: A Star Wars Story

USA, 2016 Regie: Gareth Edwards mit Felicity Jones, Diego Luna, Ben Mendelsohn, Donnie Yen, Jiang Wen, Mads Mikkelsen, Alan Tudyk, Riz Ahmed, Forest Whitaker 133 Min.

Mit „Rogue One: A Star Wars Story" bringt Disney der Welt bei, wie man eine erfolgreiche Franchise-Kuh richtig melkt. Selbst in dieser Hinsicht revolutionäre George Lucas, der sein ureigenes Star Wars-Universum an den Mickey-Mouse-Konzern verkaufte, wird staunen. Es ist der erste Film mit der Warenkennung „A Star Wars Story", ein abgeschlossenes Abenteuer neben der Star Wars-Saga.

Dieser „Star Wars 3 ½", angesiedelt vor dem allerersten Star Wars-Film „Eine neue Hoffnung" von 1977, erzählt die Geschichte einer Gruppe in Ethnie und Geschlecht modern diversifizierter Helden rund um die junge Rebellin Jyn Erso (Felicity Jones). Sie schließen sich zusammen, um die geheimen Pläne des gefürchteten Todessterns zu stehlen. Da gibt es den abtrünnigen Piloten des Imperiums (Riz Ahmed), einen rauen Kämpfer der Rebellen (Diego Luna), den blinden Mönch (Donnie Yen) mit der Macht und den bärtigen Berserker (Wen Jiang). Selbstverständlich muss ein Film für in der Entwicklung hängen gebliebene Fan-Boys als Spielzeug einen Roboter enthalten. Darth Vader ist auch wieder dabei, sogar in der Badewanne. Es fehlen jedoch Laserschwerter und Jedis. Die Fans, denen man eigentlich alles anbieten kann, solange was mit X-Wings, Androiden oder Todessternen drin ist, wollen vor allem wissen, wie sich dieser Weihnachtsbonus für Disney & Co. in die Saga einfügt. Dass Disney der Presse gebot, auf keinen Fall zu erzählen, dass am Ende die schaurig digital verjüngte Prinzessin Leia wie vor 40 Jahren die Nachricht vom Todesstern versendet, zeigt wie wenig man dem Unterhaltungswert des restlichen Konstrukts vertraute.

Dabei ist auch diese Episode wieder nicht mehr und nicht weniger als eine kleine, übersichtliche, mit viel Geld aufgepumpte Abenteuer-Geschichte. Jyn schlägt sich nicht nur mit dem Imperium, sondern auch mit dem üblichen Vater-Problem herum. Denn „Ich bin dein Vater" Erso (Mads Mikkelsen) ist als Architekt des Todessterns, also als Speer-Spitze der Mitläufer, scheinbar sehr systemtreu. Ja, sogar der dänische Schauspiel-Gott Mikkelsen tut nach seinem Bond-Auftritt wieder was für den Kontostand. Ansonsten bleiben die Personalkosten für das Spin-of „Rogue One" übersichtlich. Es sind deutlich weniger bekannte Gesichter dabei, als vor einem Jahr, bei „Star Wars: Das Erwachen der Macht", dem siebten Teil der milliardenschweren Saga. Nur Forest Whitaker als wahnsinniger Rebell Saw mit Dennis Hopper-Gedächtnis-Atemmaske fällt noch auf. Und etwas nette Samurai-Action. Die schwache und vernachlässigbar gespielte Hauptfigur überlebt die Sache zum Glück nicht.


Der Rest besteht aus Kriegs-Spiele, die man sich auch live in Syrien ansehen könnte, Nazi-Nachbauten und D-Day-Ikonographie. Dazu ein Opfergang bis zum opernhaften Weltuntergang am Strand, der mal nicht Happy endet. Regisseur Gareth Edwards („Godzilla") wollte diesen Star Wars-Ableger ganz im Stil seines exzeptionellen „Monster" bodenständiger machen und lehnte sich an den dreckigen Realismus moderner (Kriegs-) Filme an. Wieder gibt es fantastische Kreaturen und eindrucksvolle Landschaften, trotzdem muss man sehr irdisch mit Arbeitslagern und Terror-Regimes unweigerlich an aktuelle Kriegs-Katastrophen-Bilder denken.

Wirklich interessant ist die Form des filmischen Erzählens, die sich mit diesem Setzling vom dicken Star Wars-Stamm entwickelt. Das Vorbild stellt eindeutig das Marvel-Imperium dar, das am dreisteten eine Vielfachverwertung seiner ach so flachen Comic-Figuren durchzieht. Aber mittlerweile müssen diese beiden Franchise-Superhelden mit dem neuen Erzählen der schnelleren, dichteren und viel einfallsreicheren TV-Serien konkurrieren. Nicht nur die geballte Ladung an Material beim Binge-Watching neuer Staffeln hängt jeden schwer keuchenden Star Wars-Marathon ab.

13.12.16

Agonie (2016)

BRD, Österreich, 2016 Regie: David Clay Diaz mit Samuel Schneider, Alexander Srtschin 94 Min. FSK: ab 16

Kühl und nüchtern folgt der Film zwei jungen Männern in Wien: Alex kommt gerade vom Militär und fixiert sich auf seinen Kampfsport, während er heftige Hass-Reime über seine Ex rappt. Christian studiert mit Mühen Jura und stattet sich höherwertig aus. Bei Prolet und Bürgersöhnchen sind trotz ganz unterschiedlicher Umgebungen die Probleme mit der Gesellschaft und dem eigenen Leben unübersehbar. Der ein spukt und schlägt trotzig um sich. Dem anderen ist hinter dem unbewegten Gesicht keine Regung anzusehen. Am Ende wird eine blutige Gewalttat stehen. Mit Schwarzblenden und erschreckender emotionaler Kälte ergeben sich Ähnlichkeiten zu Hanekes frühen Filmen, vor allem „Bennys Videos". Das konsequent verfolgte Prinzip der distanzierten Beobachtung verhindert Identifikation und blockiert Erklärungsversuche.

Das unbekannte Mädchen

Belgien, Frankreich, 2016 (La fille inconnue) Regie: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne mit Adèle Haenel, Olivier Gourmet, Jérémie Renier 106 Min. FSK: ab 6

Die zweifachen Cannes-Sieger, die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne, drehten einen Krimi! Das ist fast sensationell für ihren 10. Spielfilm „Das unbekannte Mädchen", waren die Belgier doch berühmt für ihre Sozialdramen, die ganz nahe dran blieben an ihren Protagonisten in extremen Lebenslagen.

Der jungen Ärztin Jenny (Adèle Haenel) steht eine erfolgreiche Karriere in einer gut situierten Praxisgemeinschaft bevor. Doch einstweilen setzt sie ihre Vertretungsarbeit bei für einen alten Arzt in eher prekären Verhältnissen des Lütticher Vorortes Seraing fort. Kümmert sich dabei engagiert um viele Patienten und den zurückhaltenden Praktikanten, den sie auch mal zusammenstauchen muss. Am Abend nach Ende der Sprechstunde klärt sie gerade die Situation mit dem Praktikanten und lässt ein Klingeln an der Tür unbeantwortet. Am nächsten Tag erfährt sie von der Polizei, dass eine unbekannte junge Frau, die vorher in der Praxis Schutz suchen wollte, tot aufgefunden wurde. Ein Schock für Jenny! Wie in Trance versucht sie mehr zu erfahren und im Viertel mit einem Foto der Toten herauszubekommen, wer die Frau war.

„Ein guter Arzt muss seine Gefühle im Griff haben!" Das prägt „Dr. Jenny" anfangs noch dem Assistenten ein. Die beliebte und außergewöhnlich gute Ärztin gibt sich allerdings nur äußerlich rau. Ein Dankeslied eines jungen Krebspatienten rührt sie später zu Tränen. Getrieben von ihrer inneren Notwendigkeit, etwas mehr über die Tote heraus zu finden, tritt sie mit großen Augen energisch bis rücksichtslos vielen Menschen des Viertels gegenüber. Was durchaus gefährlich sein kann, denn die detektivischen „Hausbesuche" führen Jenny auch zum Besitzer einer illegalen Autowerkstatt (dem das eigene Auto kaputt geht!) und ein paar Typen, die direkt ein Brecheisen herausholen.

Wie schon im letzten Dardenne-Film „Zwei Tage, eine Nacht" ist auch diese Reise und Suche wieder ein Querschnitt durch die Gesellschaft, den nicht wohlhabenden Teil der Gesellschaft. Jenny sorgt sich um illegale Ausländer, bügelt ein krankes System aus, wo der Gaszähler auf Vorkasse umgestellt wird, bei jemandem, der mit von der Diabetes geschwollenen Füßen nicht zum Aufladen der Prepaid-Karte gehen kann. Aber die Menschen kommen auch zu ihr und beichten ihren Zusammenhang mit dem Mord, weil sie mit reinem Gewissen weniger Magenschmerzen haben.

„Das unbekannte Mädchen", eine Geschichten zum Erbarmen, ist auch wegen dem unschuldigen Gesicht der Hauptdarstellerin Adèle Haenel („Liebe auf den ersten Schlag" 2015, „Water Lilies" 2007) berührend, unaufhaltsam und packend. Weil der Film für die Dardennes enorm ereignisreich ist, war doch die Hauptfigur in früheren Entwürfen als Polizistin angelegt.

Mit dem instinktiven humanistischen Akt, einer Toten einen Namen zu geben, ändert Dr. Jenny nicht nur ihr eigenes Leben. Sie wird sich entscheiden, die Praxis im Problemviertel zu übernehmen, in die nur Kassenpatienten kommen. Die scheinbar sinn- und aussichtslose Suche wird fast zur Tat einer Heiligen, wären die Geschichten der Dardennes nicht so wohltuend bodenständig und nahe dran am echten Leben.

11.12.16

Paula

BRD, Frankreich, 2016 Regie: Christian Schwochow mit Carla Juri, Albrecht Abraham Schuch, Roxane Duran, Joel Basman 123 Min. FSK: ab 12

Christian Schwochows sehr schön freie Film-Biographie „Paula" erzählt von der Künstlerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907), die 1897 als 21-Jährige in die Künstlerkolonie Worpswede kommt, um entgegen allen gesellschaftlichen Erwartungen eine eigenständige Malerin zu werden. In einer Folge schöner, expressiver Szenen schildert „Paula" das Leben in Worpswede, die Freundschaften mit der Künstlerin Clara Westhof und dem Dichter Rainer Maria Rilke, Paulas Liebe zu Otto Modersohn sowie nach Jahren die Flucht vor der asexuellen Beziehung und der gesellschaftlichen Geringschätzung nach Paris. Hier taucht bis hin zu Camille Claudel eine ganze Reihe kreativer Frauen auf, die als Assistentinnen missbraucht werden, kaum ein Unterschied zu Worpswede, wo sie nach der Meinung der Kollegen vor allem die Palette halten sollten.

Paula Modersohn-Becker wird nach ihrem kurzen Leben als erste Frau mit 750 Gemälden und 1000 Zeichnung ein eigenes Museum erhalten. Vor allem die Leidenschaft einer kecken Frau aus Norddeutschland, ihr Eigensinn in Stil und Darstellung werden durch die aus dem Tessin stammende Hauptdarstellerin Carla Juri („Feuchtgebiete") in einem ansonsten ruhigen Film wunderbar mitreißend und berührend verkörpert.

Regisseur Christian Schwochow („Novemberkind", „Der Turm") gibt in oft berauschenden Bildern viel Zeitgeist wieder, erlaubt aber seiner eigenen Inszenierung die Freiheit und Frechheit ihrer Heldin Paula. Nicht notwendig, aber interessant ist die typische Männer-Sicht, die in der Modersohn-Dokumentation „So weit und gross - Die Natur des Otto Modersohn" aus dem Jahr 2010 zeitgleich noch einmal ins Kino gebracht wird. Denn im Liebesfilm, der „Paula" auch ist, wird klar, dass es erst richtig klappt, wenn man(n) die unabhängigen Qualitäten der Künstlerin anerkennt.

Shut In

USA, Kanada, Frankreich 2016 Regie: Farren Blackburn mit Naomi Watts, Oliver Platt, Charlie Heaton 95 Min. FSK: ab 16

Wenn man bei einem Psycho-Thriller mit vielen Anleihen bei „The Shining" an die Anarcho-Komik von „Little Britain" denkt, läuft etwas schief. So schief, dass es auch Naomi Watts als Kinderpsychologin nicht mehr retten kann: In einem abgelegenen Haus kümmert sich die Kinderpsychologin und Witwe Mary (Watts) um ihren gelähmten, 18-jährigen Stief-Sohn Stephen (Charlie Heaton) und um einen kleineren, gewalttätigen Autisten, den Waisenjungen Tom (Jacob Tremblay). Plötzlich verschwindet Tom im Schneesturm, aber unerklärliche Ereignisse im Hause lassen Mary zweifeln: Ist Tom wirklich tot?

„Shut in" hat phonetisch, sowie mit Schneesturm und abgelegenem Gebäude etwas von Kubriks „The Shining". Auch das hinterhältig schnelle Ende des herbeieilenden Helfers ist kopiert, aber damit sind die Gemeinsamkeiten auch schon auf- und auserzählt. Die Psychologie bleibt eine recht oberflächliche. Schuldgefühle quälen Mary, weil sie Stephen vor seinem tragischen Unfall wegschickte. Und auch Fantasien, den Stiefsohn in der Wanne zu ertränken. Der Thriller verläuft dazu wenig überraschend. Nachdem die Lösung für einiges Bedrohliche und Unerklärliche Gestalt angenommen hat und nicht so witzig ist, wie der gleiche „Running Gag" aus „Little Britain", muss noch fast eine Stunde lang gerannt, geflüchtet und gekämpft werden. Dafür braucht man allerdings keine guten Schauspieler wie Naomi Watts und Oliver Platt. Überhaupt braucht man diesen ganzen Film eigentlich nicht.

7.12.16

Salt and Fire

BRD, USA, Frankreich Mexiko, Bolivien, 2016 Regie: Werner Herzog mit Veronica Ferres, Michael Shannon, Gael García Bernal, Lawrence Krauss 98 Min. FSK: ab 6

Das kann nur so ein typischer Herzog-Witz sein: Die Leiterin einer wissenschaftlichen Delegation wird entführt und mit zwei blinden Jungen in einer gigantischen Salzwüste in Bolivien ausgesetzt. Reichlich Bildmaterial für Herzog, aber wieso Veronica Ferres in der Hauptrolle? Nach Nicole Kidman als Laurenzia von Arabien nun die Maschmeyer-Gattin mit Dialogen zum Weglaufen, unter anderem über die „Mutter aller Durchfälle". Ein Geiselnehmer steht aus dem Rollstuhl auf, ein anderer (Michael Shannon aus „Elvis & Nixon") redet dauernd in Rätseln. Wenn so Entführungen ablaufen, ist das ja unmenschlich. Das ist alles so daneben und unglaubwürdig, dass es schon surreal wird. Eine filmische Katastrophe - umso mehr, weil in diesem Trümmerfeld von Ideen das eigentliche Konzept (nach Tom Bissells Kurzgeschichte „Aral") durchaus neugierig macht.

Alle Farben des Lebens

USA, 2015 (About Ray/Three Generations) Regie: Gaby Dellal 93 Min. FSK: ab 6

Wenn die lesbische Oma der Enkelin sagt, „Sex mit Frauen bedeutet nicht, dass du weltoffen bist, du bist nur glücklich", dann sind wir herrlich weit fortgeschritten im reichen und intellektuellen Bürgertum New Yorks. Dass die 16-jährige Enkelin Ray (großartig: Elle Fanning) allerdings ein Junge sein will, findet die liberale Dolly (Susan Sarandon) dann gar nicht mehr gut. Und auch die freilebige Mama Maggie (Naomi Watts) zögert ihre Unterschrift zur Hormontherapie als Erziehungsberechtigte lange hinaus. Zum Glück kann sie ja auch noch auf den Mann warten, dessen Name in der Geburtsurkunde steht, und den in den letzten Jahren keine der Frauen mehr gesehen hat.

Die drei Generationen in dem alten Haus bilden eine wunderbare Familie mit sehr schönem Frauen-Pärchen, einer suchenden Zwischengeneration und der entschlossenen Jugend voller Energie. Tolle Bilder des transsexuellen Mädchens in New York beim Skaten und Workout machen den Film auch optisch zu einem Genuss. Aber vor allem die geistreichen und klugen Dialoge, die man so sehr selten im Film hört, sind ein Glücksfall. Bei dem der ironische Witz nicht zu kurz kommt, wenn in dem penetrant vegetarischen Haushalt für ein blaues Auge doch noch ein Huhn aus dem Kühlschrank herhalten muss. Oder Maggie ihren sehr jungen Liebhaber fragt, wie es ist, einen Penis zu haben. Das ist eine starke Truppe, auch weil sie durchgehend mit Extraklasse-Schauspielerinnen besetzt ist. Vor allem Super-Jungstar Elle Fanning („The Neon Demon", „Maleficent") begeistert, wie ihr/e Ray mit Sensibilität die neue Rolle sucht oder mit der Rauheit eines James Dean und ihren Doc Martens durch die Straßen New Yorks stapft. Das ist atmosphärisch wie menschlich gleichermaßen wunderbar und in jeder Hinsicht gelungen.

Jacques - Entdecker der Ozeane

Frankreich, 2016 („L'Odyssée") Regie: Jérôme Salle mit Lambert Wilson, Pierre Niney, Audrey Tautou 122 Min. FSK: ab 6

Nein, Bill Murray ist in „Die Tiefseetaucher" („The Life Aquatic with Steve Zissou", 2004) einfach der bessere Jacques Cousteau. Doch das Bio-Pic „Jacques" über den weltberühmten französischen Meeres-Grzimek zeigt gekonnt die Faszination der Meere, das (Fast-) Scheitern eines Traums und die Familien-Tragödie von Jacques-Yves Cousteau. Der Kapitän mit der roten Mütze war seit den Sechziger Jahren weltbekannt: Was heute atemberaubende Dokumentationen der BBC vom Leben auf und unter Wasser zeigen, hat er als Pionier mit selbstgebauten Atemgeräten, Unterwasserkameras und Scootern für Taucher erst möglich gemacht.

1949 entscheidet sich der wohlsituierte Marine-Kapitän Jacques Cousteau (Lambert Wilson) mit seiner Frau Simone (Audrey Tautou), den sicheren Job aufzugeben, um mit dem eigenen Forschungs-Schiff Calypso zur Expedition der Ozeane aufzubrechen. Die beiden Söhne bleiben im Internat zurück. Jahre später schließt sich der erwachsene Philippe Cousteau (Pierre Niney) der Calypso-Truppe an: Vater Jacques ist zu einem internationalen Filmstar und gefeierten Produzenten geworden. Simone, die einst ihren Schmuck für die Calypso opferte, hängt mittlerweile an der Flasche und lebt wegen der Affären ihres Mannes nur noch auf dem Schiff. Obwohl es viele Preise auf den Filmfestivals gab und Cousteau einem US-Sender gleich eine ganze Serie von Filmen verkaufte, leidet sein Imperium mit Forschungs-Abteilung, Unterwasser-Stadt und mehreren Schiffen immer unter Geldmangel. Deshalb fängt er auch schon mal zwei Robben, um bei seiner eitlen Selbstinszenierung eine rührende Lügen-Geschichte mit Tieren vor die Kamera zu bringen.

Philippe trennt sich darauf vom Vater und macht mit seiner Frau eigene Filme über die Verschmutzung der Meere und die Ausrottung der Wale. Erst spät, als der Vater wirklich vor dem Ruin steht, reisen sie zusammen in einer Himmelfahrtsaktion in die Antarktis. Diese Expedition unter ökologischen Vorzeichen versöhnt beide in der gemeinsamen Leidenschaft für eine eindrucksvolle Natur.

„Jacques" ist viel mehr als die übliche konventionelle Doku über eine Galionsfigur der Meeresforschung. Wie der zweite Sohn Jean-Michel Cousteau, dessen Buch „Mon père, le commandant" dem Film zugrunde liegt, völlig vernachlässigt wird, bleibt im Hintergrund. Der Vater-Sohn-Konflikt mit Liebling Philippe reicht als Familien-Drama aus. Lambert Wilson („Matrix Reloaded") spielt mit langer Nase glaubwürdig den Visionär, der bei der Verwirklichung seines Traums, „unter Wasser zu fliegen", völlig die Bodenhaftung verliert. Selbstverständlich nehmen Unterwasseraufnahmen viel Raum ein, und tatsächlich können sie in dieser sorgfältigen Produktion selbst angesichts der heutigen Flut von aufwendigsten Naturfilmen noch beeindrucken. Der wunderbare Familienausflug zu viert unter Wasser ist dabei prächtige Natur und Glücksmoment in einem. Eine heile Welt, die für eine Jagd nach Visionen geopfert wurde.

6.12.16

Sing

USA, Japan, 2016 Regie: Garth Jennings 108 Min. FSK: ab 0

Eine Casting-Show geht vor die Hunde. Und vor die Büffel, Schweine, Echsen, Garnellen.... Wie in „Creature Comforts" von Nick Park („Wallace & Gromit") aus 1989 wird animierten Tieren Urmenschliches in den Mund gelegt, was in Kombination urkomisch wirkt. Die erfolgreiche Regie-Anweisung für große und kleine Tiere lautet diesmal „Sing"!

Buster Moon ist ein kleiner Koala-Bär und ein großer, romantischer Träumer: Er gibt die Idee nicht auf, sein altes schillerndes Musiktheater wieder zu Glanz und Erfolg zu bringen. Dabei steht er eigentlich kurz vor dem Ruin. Die Idee, das Publikum mit einer Casting-Show anzulocken ist nicht so erfolgreich wie der Druckfehler auf den Flugblättern: Aus 1.000 Dollar macht die liebenswert schrullige Sekretärin 100.000! Die erste Ausscheidungsrunde mit viel Pop und Pepp im Sekundentakt ist ein Knaller. Unzählige umwerfende Nummern wie die Schnecke mit „Run like the wind", Garnelen mit einem Beyoncé-Hit oder quietschend bunte japanische Meerschweinchen machen „Sing" schon in der ersten halben Stunde zum Erfolg.

Impressario Buster Moon und seine Kandidaten brauchen etwas länger. Eine freche Sinatra-Maus mit Hang zum Verbrechen ist sehr siegessicher. Das Schwein Rosita muss als gestresste Mutter mit Mann und 25 kleinen Ferkeln erst den Alltag raffiniert automatisieren, um zu den Proben zu kommen. Minna, eine schüchterne Elefantin im Plattenladen, ist ebenfalls mit toller Stimme begnadet, aber so ängstlich, dass sie erst mal hinter der Bühne arbeitet. Mit Ash, der Stachelschwein-Punkerin, gibt es gleich noch eine starke Frauenrolle. Gorilla Johnny covert Elton John und muss für seine Gangster-Familie Schmiere stehen.

All diese kleinen privaten Dramen und der große Kampf ums alte Musiktheater bieten reichlich Handlung im Wechsel mit dem richtig guten Originalgesang von Stars wie Matthew McConaughey, Reese Witherspoon, Seth MacFarlane, Scarlett Johansson und John C. Reilly. Bei den deutschen Stimmen fällt positiv Katharina Thalbachs Sidekick-Figur der uralten verrückten Chamäleon-Sekretärin Miss Crawly auf. Übrigens im Original gesprochen von Regisseur Garth Jennings („Der Sohn von Rambow", „Per Anhalter durch die Galaxis") selbst!

Rasende Animations-Flüge zwischen den Vorstellungen erhöhen das Tempo, aber zum Glück nimmt sich das konventionelle Finale Zeit für ganze Songs und runde Auflösungen aller Geschichten der kunterbunten Tiercharaktere. So bekommt das liebenswerte Schlitzohr Buster vor allem Dank der hauptsächlich älteren Songs von Paul Anka („My Way"), Stevie Wonder („Don't You Worry 'Bout A Thing"), David Bowie und Freddy Mercury („Under Pressure") oder Leonard Cohen („Halleluja") wieder etwas vom alten Glanz seines Musiktheaters hin. Das ist das i-Tüpfelchen auf dieser ausgesprochen flotten und schwungvollen Animation.

5.12.16

Die Vampirschwestern 3 - Reise nach Transsilvanien

BRD 2016 Regie: Tim Trachte mit Marta Martin, Laura Roge, Jana Pallaske, Christiane Paul, Stipe Erceg 95 Min. FSK: ab 0

Die blutärmste Vampirgeschichte überhaupt geht in die Fortsetzung und tatsächlich kann diese filmische Anämie nach Franziska Gehms Kinderbuchreihe mit platter Harmlosigkeit verschrecken: Die deutschen Vampirschwestern Daka (Laura Roge) und Silvania (Marta Martin) müssen ihren kleinen Baby-Bruder Franz retten, während die Eltern in einen infantilen Zustand hypnotisiert wurden. Die völlig harmlos böse Vampirkönigin Antanasia (Jana Pallaske) hat den Halbvampir-Jungen als Thronfolger nach Transsilvanien entführt.

Dass die zusammengeschusterte Handlung ebenso unstimmig in ihren Antrieben daherkommt wie die Figuren, werden nur die ganz kleinen Kinogänger nicht merken, für die auch die Schleimwürmchen eingebaut wurden. Der schlappe Klamauk von TV-Nasen wie Michael Kessler und anderen (dafür hat Christiane Paul den Emmy nicht bekommen) ist wichtiger als die schnell vergessenen Pubertäts-Probleme der braven Silvana oder die nicht wirklich thematisierte Identitäts-Suche von Dakari. Die kleine, bescheidene fantasielose Produktion ärgert zudem mit einem furchtbar fremdenfeindlichen Blick auf Rumänien während eine Sonntags-Rede über das Anderssein und die Angst der Bürger vor den Fremden nur aufgeklebt wirkt.

Safari (2016)

Österreich, 2016 Regie: Ulrich Seidl 91 Min. FSK: ab 12

Nach Gänsehaut-Trips in Österreicher Keller, in die Köpfe von „Models" und zuletzt ins „Paradies" von Glaube, Liebe, Hoffnung nimmt uns der grenzüberschreitend „unreine" Dokumentarist Ulrich Seidl mit auf eine Safari nach Afrika. Im Fokus sind Buschböcke, Impalas, Zebras, Gnus und Giraffen, aber vor allem der gemeine Jäger.

Deutsche und österreichische Jagdtouristen schießen sich die stattliche Preisliste für ihre Jagdtrophäen hoch. Ohne die Opfer zu sehen, folgen wir einem Jäger, seinem Führer und einem schwarzen Assistenten durch den Busch. Ein verhinderter John Wayne in kompletter Outdoor-Ausstattung gibt einem kleinen Gnu posthum den Lob des touristischen Killers: „Guter Kämpfer, mein Freund!"

Mal wird das ganze Anschleichen mit einem Dreifuss als Gewehrkrücke spannend geschnitten, dann sieht man einen der Herren der Schöpfung mit Wampe und Dosenbier auf dem Hochsitz eindösen. Zurecht drapiert und geschminkt, noch etwas Gras aus dem Bild, stellt man das Erinnerungsfoto mit dem Kadaver. Dann finden sich die Safari-Touristen zum Interview in den symmetrisch aufgebauten Tableaus des Jägers menschlicher Abgründe, Ulrich Seidl. Die Äußerungen der viel Geld zahlenden Freizeitkiller, die nicht mal ohne Leiterchen aus dem Jeep steigen können, sind schaurig und komisch. Zum Schießen. Die Gründe reichen von Entwicklungshilfe bis zur tierischer Euthanasie. Aber vor allem die Trophäen-Frau, die gleich mit ihrem ganzen Rudel jagt, kann die erotisierende Aufregung des Tötens nicht verbergen. Dieser Person will man auch in Wien nicht im Dunklen begegnen!

Während sich die ganze blutrünstige Sippe gegenseitig mit zynischen Äußerungen rund um „das Stück" (Tier) überbietet, sehen wir das unappetitliche Ausschlachten der Beute, das den Schwarzen vorbehalten ist. Spätestens beim langsamen Verenden einer Giraffe vor der Kamera (während die anderen Tiere der Herde rührend in der Nähe warten) ist dies kein veganer Film mehr. „Safari" ist nicht analytisch, es gibt keine Zahlen, kein Off-Kommentar, nur von jung bis alt ausgewählt hässliche Menschen, die zur Beobachtung frei gegeben werden. Das ist ähnlich widerwärtig und gleichzeitig faszinierend wie die Sex-Touristinnen mit ihren afrikanischen Lover-Boys in „Paradies: Liebe". Es bleibt rätselhaft, dass sich immer noch Leute vor der Kamera des in Filmkreisen berühmten und in konservativen Kreisen berüchtigten Ulrich Seidl entblößen - oder teilweise sogar erblöden. Fremdschämen ist da nicht angebracht, Staunen um so mehr.

Elvis & Nixon

USA, BRD, 2016 Regie: Liza Johnson mit Michael Shannon, Kevin Spacey, Alex Pettyfer 87 Min. FSK: ab 0

Der „King" und Mr. President. Zwei Medienstars, zwei Figuren des öffentlichen Lebens, weltweit bekannt. Ein Treffen im Dezember 1970 ist belegt. Wie dieser sehr, sehr komische und schräge Film es sich ausmalt, ist ein ganz besonderes Vergnügen mit einigen ernsten Gedanken über das Innenleben einer Legende.

Elvis (Michael Shannon) sitzt in seiner Villa Graceland vor seinen TV-Schirmen und sorgt sich um den Zustand des Landes. Deshalb zieht er spontan persönlich und ohne Entourage los, um etwas zu ändern. Was schon am Flughafen von Memphis mit einer Verhaftung endet. Denn Elvis wollte gleich mehrere Pistolen mit an Bord nehmen! Doch mit Hilfe seines Freundes Jerry Schilling (Alex Pettyfer) und der Töchter der Beamten wird der Sänger wieder freigelassen. Gemeinsam kommen Elvis und Jerry mit ein paar Tricks tatsächlich ins Weiße Haus. Denn der King will fortan als FBI-Spezialagent ein Auge auf die Jugend werfen. Undercover! Oder will er doch nur noch ein FBI-Abzeichen für seine Sammlung von Sheriffsternen?

Im Weißen Haus gibt es derweil eine Diskussion, ob Nixon (Kevin Spacey mit reichlich präsidentieller Erfahrung aus „House of Cards") für dieses Treffen auf seinen Mittagsschlaf verzichten soll. Sowohl Elvis als auch des Präsidenten Mitarbeiter (Hanks Sohn Colin als Egil Krogh) bekommen detaillierte und komische Anleitungen, wie mit der jeweiligen Prominenz umzugehen sei. Nach einem angeberischen Vergleich der Häuser und der Stücke Mondgestein greift sich der King die ausdrücklich für Nixon reservierten M&Ms und dessen Limonade. Nun noch eine Karate-Einlage und Elvis bekommt, was er wollte, während Nixon glaubt, er sei auch cool.

Der großartige Michael Shannon hat keinerlei Ähnlichkeiten mit Elvis. Sein King trifft am Flughafen tatsächlich auf einen Elvis-Imitator, der ihn für einen Kollegen hält. Durchgehend wirkt Shannon wie ein schlechtes Double, aber das macht überhaupt nichts, denn die Komödie um einen einsamen Mann, den alle zu kennen glauben, funktioniert hervorragend. Allein vor dem Spiegel blickt der Mensch hinter Brille, protzigem Schmuck und der Schmalzlocke hervor. Die Ausbruchsversuche sind reichlich verquer, aber wie albern dieser Typ auch wirkt, er überzeugt mit einer großen Lässigkeit einfach jeden. Und für den Notfall ist noch ein Revolver im Stiefel.

Die Inszenierung von Liza Johnson macht dieses seltsame Treffen zu einem tollen Film, in dem jeder Moment stimmt. Wie beim Einsatz von Shannon ist auch die Musik gerade nicht von Elvis, hat aber große Klasse. „Elvis is in the building", da sollte man dabei sein!

29.11.16

Ein Lied für Nour

Niederlande, Großbritannien, Katar, Argentinien, Palästina, 2015 (Ya tayr el tayer) Regie: Hany Abu-Assad mit Tawfeek Barhom, Ahmed Al Rokh, Hiba Attalah 95 Min. FSK: ab 0

Nach wilder Verfolgungsjagd über Dächer, durch Nähereien und Marktstände des Gaza-Streifens folgt die Überraschung: Der flotte Junge, der sich gerade wieder einen Schekel verdient hat, ist ein Mädchen. Die mutige, zwölfjährige Nour und ihr Bruder Mohammed sammeln Geld für ihren Traum, eine richtige Band zu werden. Doch gerade als sie ganz nahe dran sind, stirbt Nour weil ihre Nieren versagen. Erst Jahre später als junger Mann will Mohammed (Tawfeek Barhom) den Traum verwirklichen, indem er an der Casting-Show „Arab Idol" teilnimmt. Ein schwieriges Unterfangen für einen armen Palästinenser, der nicht mal ohne Probleme aus dem Gaza-Streifen raus kommt.

„Ein Lied für Nour" erzählt die reale Geschichte des „Arab Idol"-Siegers Mohammed Assaf in zwei ganz unterschiedlichen Teilen: Die Kindheit erfreut als nette, sympathische Geschichte. Die zweite Hälfte geriet dann zu einer arg konventionellen und inszenatorisch einfallslose Erfolgs-Story, verwoben mit noch einer Kranken- und einer Liebesgeschichte.

Die politisch angehauchte Tragikomödie zeigt am Rande mit allgegenwärtigen Trümmern und beinamputierten jungen Männern die Folgen des Aufstandes gegen die israelischen Besatzer. Wenn Mohammed als einziger Vertreter aus Gaza die Stimme einer unterdrückten Nation sein soll, dann ist das schon arg deutlich Propaganda und der Film verliert den Charme seiner ersten Hälfte. Dabei wollte ihn ein alter Freund, der an die Religion verloren ging, gar nicht ausreisen lassen. Der reale Mohammad Assaf ist mittlerweile Botschafter der Vereinten Nationen, hat einen Diplomatenpass, muss sich aber die Einreise nach Gaza immer noch genehmigen lassen.

Das Morgan Projekt

USA 2016 (Morgan) Regie: Luke Scott mit Kate Mara, Anya Taylor-Joy, Rose Leslie 92 Min. FSK: ab 16

Hat er das „Blade Runner"-Gen? Oder ist der Sohn nur ein Klon? Luke Scott, Sprößling von Großmeister Ridley Scott macht direkt als Debüt einen Replikanten-Film und fordert einen Vergleich heraus.

Die eiskalte Risikomanagerin Lee Weathers (Kate Mara) soll in einem abgelegenen, streng geheimen Forschungslabor einen Unfall mit einer künstlich erzeugten Kreatur überprüfen. Die dortige Wissenschaftler-Gemeinschaft lebte mit Morgan (Anya Taylor-Joy) die letzten fünf Jahre wie in einer glücklichen WG. Bis dem wie ein ausgewachsener Teenager wirkenden „Es" die Ausflüge in die Natur untersagt wurden. Bald muss ein „Psychologe für Künstliche Intelligenz" auch dran glauben und schnell haben wir die alte Geschichte, dass die Kreatur gegen ihre Schöpfer rebelliert. Bekannt aus „Blade Runner", zuletzt gesehen im großartigen „Ex Machina", mit Scarlett Johannson bereits als „Lucy" und demnächst in dem Anime-Remake „Ghost in the Shell!". „Morgan" fehlt dagegen so ziemlich alles, was diese Geschichten faszinierend macht. Die Kreatur wird nur von einer unbestimmten Wut angetrieben. Der ganze Kitsch, dass diese Wesen die besseren Menschen seien, fällt komplett aus.

Dabei ist der Science Fiction mit zunehmenden Splatter-Elementen mit Jennifer-Jason-Leigh, Paul Giacometti, Toby Jones und anderen ungewöhnlich gut besetzt. Anya Taylor-Joy sieht als Morgan mit blasser Haut und bläulichen Lippen gleichzeitig verletzlich und gefährlich aus, aber längst nicht so faszinierend wie Eve aus „Ex Machina". Uninteressant wie das Styling der Räume erweisen sich auch die flachen Gedankengebäude. Selbst die - vorhersehbare - Überraschung des Endes verpufft wirkungslos. Das reicht für ein Fernsehfilmchen, aber der Sohn von Ridley „Blade Runner" Scott darf mit so was nicht nach Hause kommen! Hab man ihm denn nicht schon in der Wiege vorgespielt, wie es richtig geht?

Marie Curie

Frankreich, Polen, BRD, 2016 Regie: Marie Noëlle mit Karolina Gruszka, Arieh Worthalter, Charles Berling 100 Min. FSK: ab 6

Das erste, was wir von der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie sehen, ist eine Geburt. Dabei ist Curie (1867-1934) die einzige Frau unter den vier Mehrfach-Nobelpreisträgern und neben Linus Pauling die einzige Person, die Nobelpreise auf zwei unterschiedlichen Gebieten erhalten hat. Die Polin war erste Frau an der Sorbonne und später die erste Professorin, die dort lehrte. Genau diese Spannung zwischen Mutter, leidenschaftlicher Frau und außergewöhnlicher Wissenschaftlerin versucht die Regisseurin und Autorin Marie Noëlle („Ludwig II.", 2012, „Die Frau des Anarchisten", 2008) in einschmeichelnden Bildern einzufangen.

Der Film erzählt vom Leben der französische Wissenschaftlerin Marie Curie (Karolina Gruszka) zwischen ihren beiden Nobelpreisen für Physik (1903) und für Chemie (1911). Die große und leidenschaftliche Liebe zu ihrem Mann Pierre (Charles Berling) wird durch dessen plötzlichen Unfall-Tod zerrissen. Eine gemeinsame Romantik, die auch darin bestand, das blaue Strahlen des Radiums in der Nacht zu bestaunen, ist vorbei. Gerade Mitte dreißig versucht die junge Mutter zweier Kinder die Lehrtätigkeit ihres Mannes als einzige gleichwertige Forscherin auf dem Gebiet der Strahlenforschung weiterzuführen. Doch die sexistischen Widerstände sind und bleiben groß. Der Liebesfilm zeigt nun den Kampf einer Frau, die ohne ihren Mann keine Anerkennung und keine Professoren-Stelle erhalten kann. Marie kämpft auch dafür, dass ihre Töchter einmal in einer gerechteren Welt leben können. (Eine Tochter wird später als zweite Frau überhaupt auch einen Nobelpreis erhalten!)

Es ist ihr geistreicher Bewunderer Einstein, der beim Spaziergang am Strand das Lachen der Marie Curie entdeckt. Eine neue Liebe findet sie mit einem verheirateten Kollegen - ebenfalls Wissenschaftler und Liebhaber in einem - und macht sich dessen zu Recht eifersüchtige Frau zur Feindin. So trifft die Nachricht vom zweiten Nobelpreis ein, während die „Académie des sciences" Marie Curie gerade abgelehnt hat und ein Pöbel ihr Haus belagert, weil sie mit einem verheirateten Mann zusammen und auch noch Jüdin ist

Dass diese „moralische Verfehlung" nur Thema sein kann, weil Marie Curie eine Frau ist, der ein besonders eklig sexistischer Entscheider seine Stimme nur gegen Sex geben will, spricht die entschlossene Frau selbst aus. Während modernste Wissenschaft und archaische Schlacken wie Antisemitismus und Duelle nebeneinander existieren, zeigt Regisseurin Marie Noëlle gleichzeitig exzellente Forscherin und leidenschaftliche Frau. Das könnte in Plattitüden abrutschen, doch Curie wird sehr glaubwürdig, sinnlich und energisch verkörpert von der Polin Karolina Gruszka. Trotz poetisch überstrahlter Bilder - ein Großteil der Szenen findet im Gegenlicht statt - bleiben die Figuren lebendig und natürlich. Die Musik von Bruno Coulais sichert die großen Gefühle, die Kamera von Michal Englert sorgt für einschmeichelnde Bilder. Letztendlich ein gelungenes Experiment, denn neben der historisch-biografischen Geschichte meint man einen faszinierenden Menschen kennenzulernen.

Underworld Blood Wars

USA 2016 Regie: Anna Foerster mit Kate Beckinsale, Theo James, Tobias Menzies 91 Min. FSK: ab 16

Noch mal 1000 Jahre? Das klingt wie eine Drohung, weil „Underworld 5" weniger „mehr vom Gleichen" als mehr Weniger bietet. Ein „Was bisher geschah" stellt den äußerst uninspirierten Anfang der neuen Franchise-Folge dar. Und mehr als eine Fernsehserien-Fortsetzung um Kate Beckinsale in Lack-Leder kommt auch bis zum Ende nicht dabei raus.

In dem Abklatsch des ehemaligen Blockbusters, der dank besonders kühlem Design aufregend anzusehen war, geht es für die Vampirin Selene (Kate Beckinsale) weiter im Kampf gegen den Lykaner-Klan und die Intriganten der eigenen Blutsauger-Sippen. Ob Vampire in langen SS-Mänteln oder Hightech-Werwölfe, die mit UV- und Torpedo-Kugeln schießen, alle sind hinter dem Blut von Selenes Tochter her, einem Hybrid-Mädchen. Das kann an Intrigen- und Verrat-Potential glatt mit Uralt-Kram wie „Dallas" oder „Denver" mithalten. Wenn Semira (Lara Pulver), die neidische Hexe unter den Vampiren, allerdings von ihrem „schönen, aber fantasielosen Bettgenossen" redet, könnte sie auch den ganzen Film damit meinen.

Immerhin flieht man nach viel Gequatschte zu den Nordischen Feen-Vampiren und Selene hat nach Wellness-Kur mit Gurken-Maske oder so ein Gandalf-Erlebnis: Sie kann als Weiße Vampirin noch rasanter zuschlagen. Denn bei all den tollen Sachen, die Werwölfe und Blutsauger so drauf haben - letztlich fällt ihnen nichts anderes ein, als sich zu prügeln. So vermisst man spektakulären Vampir-Kram, der Look der Locations in Prag und dem hohen Norden wirkt lahm und billig. Anna Foerster, die deutsche Kamerafrau von „White House Down" und „Anonymus", kann hier mit ihrem Spielfilm-Debüt gar nicht überzeugen.

28.11.16

Sully

USA 2016 Regie: Clint Eastwood mit Tom Hanks, Aaron Eckhart, Laura Linney 96 Min. FSK: ab 12

Von einem Eastwood erwartet man immer viel, auch wenn der Mann ein seltsames Verhältnis zu Stühlen und Politik hat. Nun macht er aus der sagenhaften Landung eines antriebslosen Passagierfliegers auf dem Hudson mitten in New York eine Hymne des einfachen Mannes „Sully". Wie der Pilot Chesley Sullenberger dies und die Turbulenzen danach bewältigt, ist nur am Rande eine typische Tom Hanks-Rolle. Dank ungewöhnlichem Aufbau packt „Sully" nicht als Katastrophen- sondern als exzellenter Eastwood-Film.

Es ist immer noch eine unglaubliche Geschichte, wie am 15. Januar 2009 Kapitän „Sully" Sullenberger sein defektes Flugzeug im Gleitflug auf dem eisigen Hudson River notlandete und das Leben aller 155 Menschen an Bord rettete. Das „Wunder auf dem Hudson" war nicht nur eine unfassbare Geschichte aus dem Herzen New Yorks, es war auch nach vielen Niederschlägen mal etwas Positives für die Stadt. So joggt Sullenberger (Tom Hanks) nach seiner Wasserung nachts durch New York und sieht den ganzen Time Square mit riesigen Aufnahmen seiner Heldentat ausgeleuchtet. Dass er allgegenwärtig ist, belustigt andere und beängstigt ihn. Denn derweil läuft schon eine Untersuchung, ob der Flugkapitän nicht doch den nächsten Lufthafen hätte erreichen können.

Es dauert glatt eine halbe Stunde, bevor Regisseur Clint Eastwood uns eine erste dramatische Version der mittlerweile legendären Not-Landung zeigt. Der Film selbst beginnt nach dem eigentlichen Ereignis mit der Untersuchung einer Luftsicherheits-Behörde. Die ungewöhnliche Dramaturgie zeigt den kurzen Einschlag von Wildgänsen in beide Triebwerke und die flugtechnische Meisterleistung aus verschiedenen Perspektiven: Die Suche nach der Wahrheit präsentiert den Ablauf mal dramatisch geschnitten wie im Katastrophen-Film, mal nüchtern aus dem Cockpit der beiden sehr ruhigen Piloten gesehen und sogar als Albtraum mit einem katastrophalen Crash mitten in New York.

Selbstzweifel quälen Sully, obwohl er tatsächlich als letzter das sinkende Luftschiff verlässt - korrekt in Uniformjacke mit dem Bordbuch in der Hand. Tom Hanks, der Jedermann des Hollywood-Films, ist nun ein ganz gewöhnlicher Flug-Kapitän. Um ihn herum ist alles erstaunlich unspektakulär. Die Vorwürfe der Flugaufsichts-Behörde gegen Sullenberger werden zu schnell abgeschmettert, um zur skandalösen Unrechts-Geschichte zu werden.

Der kurze Gerichtsfilm-Moment mit obligatorischer Rede legt offen, dass all die Computer-Simulationen, mit denen man Sullenberger falsches Handeln unterstellt, den menschlichen Faktor außer acht ließen. So verlängert Eastwood mit „Sully" das für New York so positive „Wunder auf dem Hudson" in ein Loblied darüber, was alles machbar ist, wenn gute, bescheidene und einfache Menschen einfach zusammenarbeiten. Wenn die beiden Piloten mit ihren altmodischen Schnurrbärten mit ganz leichtem Stolz sagen „Wir haben unseren Job gemacht", dann hört man das Eastwood selbst knurren. Das ist ziemlich einfach und konservativ gedacht - wie auch anders, bei einem 86-Jährigen. Ob man es naiv oder positiv nennen will, darf jeder selbst entscheiden. Gut und interessant gemacht ist auch dieser Eastwood auf jeden Fall.

Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt

BRD, Belgien 2016 Regie: Wolfgang Groos mit Arsseni Bultmann, Alexandra Maria Lara, Sam Riley 106 Min. FSK: ab 0

Regisseur Wolfgang Groos ist mit „Rico, Oskar und ..." sowie „Die Vampirschwestern" und „Vorstadtkrokodile 3" ganz groß in der Umsetzung von Kinderbüchern und auch meist ganz gut. Wieso nun die Neuverfilmung der sehr bekannten WDR-Puppentrickserie „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" völlig misslang, ist ein interessantes Rätsel. Das einzig Interessante am lahmen, wenig witzigen und ganz schlecht besetzten Kinderfilm. Wie im fast fünfzig Jahre alten, gleichnamigen Kinderbuch von Boy Lornsen trifft der gemobbte Außenseiter-Junge Tobbi auf einen Roboter-Jungen, dessen Raumschiff auf der Erde strandete. Zum Glück ist Tobbi eifriger Erfinder und mit dem bald gebauten Flug-Wasser-Wagen Fliewatüüt reisen die Jungs zu Robbis Eltern an den Nordpol. Den Wert der Freundschaft wiederholt „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" penetrant, aber so leblos wie Tobbi von Arsseni Bultmann gespielt wird, verwundert es irgendwie nicht, dass seine besten Freunde Hirngespinste sind.

Das Buch von Jan Berger verlagert die alte Geschichte in die digitale Gegenwart, macht aus dem Bösewicht, der Robbi wie einst „E.T." jagt, den harmlos diabolischen Vorsitzenden eines Kommunikations-Konzerns. Dass die liebliche Kleinstadt als ein künstliches Bilderbuch-Örtchen, schlimmer als Prenzl-Berg, daherkommt, wäre noch zu ertragen. Aber die ganze Geschichte kommt über den Versuch, nett sein zu wollen, nicht hinaus. Und steht dann sehr lange dumm rum, genau wie dieser nervige Tobbi. Ein Kurzauftritt vom hinter Vollbart verstecktem Bjarne Mädel, Alexandra Maria Lara und Sam Riley als überkandidelte Agenten - das war es auch schon in Sachen gekonnter Spaß. Der Rest besteht aus Slapstick-Versuchen mit schlechtem Timing. Ein Kinderfilm von Groos für klein zum Abgewöhnen.

21.11.16

Ferne Söhne

BRD 2016 Regie: Andres Rump, Erik Wittbusch 88 Min.

An den Grenzen bei Aachen werden auch alleinreisende minderjährige Flüchtlinge „aufgegriffen" und in Jugendheimen untergebracht. 800 sollen es sein. Da verwundert es nicht, dass gleich mehrere Filmemacher dieses Thema aufgreifen. Nachdem das Regieduo Michael Chauvistré und Miriam Pucitta zusammen mit Flüchtlingskinder in Maria im Tann filmte, stellt nun der Aachener Andres Rump mit „Ferne Söhne" ein Porträt von sechs jugendlichen Flüchtlingen vor, die in Deutschland ein neues Leben begonnen haben.

Ambesa aus Eritrea erzählt, wie das Militär ihn als Zehnjährigen entführt hat, während er auf einem Balkon hinter Kaninchendraht steht. Mahruf aus Afghanistan sieht man beim Sortieren einer Werbezeitung, als er erzählt, wie die Taliban seinen Schulbesuch verhinderten und ihn verjagten. Von all diesen Schicksalen erfahren wir in Off-Erzählungen, teilweise als Hörspiel mit Untertiteln, durchgehend in Schwarz-Weiß. Im Bild die Orte, an denen sie jetzt leben: Das Flüchtlingsheim, ein Moschee, das Boxtraining. Eine Bahn lang im Schwimmbad erfahren wir, dass der afghanische Flüchtling den Kontakt zu den Eltern verloren hat, wegen seiner Depressionen behandelt wird und noch immer Arzt werden will. Die Bildebene ist dabei immer von der Handlung her reduziert. Es passiert sehr wenig, die Kamera liefert nur feste Einstellungen, man kann sich auf die Erzählungen konzentrieren.

„Ferne Söhne" ist so ein sehr statischer Film, was man weithergeholt als Ausdruck der Flüchtlings-Situation interpretieren könnte: Es geht nicht weiter. Die Geschichten der sechs Jungs sind aber vor allem durchgehend in sich bewegend. Die kluge, aber nicht selbstverständliche Entscheidung, trotz durchaus guter Deutschkenntnisse alle in ihrer eigenen Sprache reden zu lassen, verstärkt die Wirkung.

Aloys

Schweiz, Frankreich, 2016 Regie: Tobias Nölle mit Georg Friedrich, Tilde von Overbeck 91 Min. FSK: ab 12

Als dem verschrobenen Privatdetektiv Aloys Adorn seine Kamera geklaut wird und ihm eine mysteriöse Frau als Finderin in Telefongespräche verwickelt, bekommt das Schneckenhaus des Sonderlings Risse. Bislang beobachtete er durch seine Kamera das Leben anderer. Und den Tod seines Vaters. Nun widersetzt sich Aloys zuerst den vorgeschlagenen „Telefon-Wanderungen", gemeinsamen Ausflügen der Fantasie. Doch der seltsame Kauz, der immer Distanz zu anderen Personen wahrt und selbst beim Benutzen der Sprachform Ersten Person Probleme hat, öffnet sich. Dann erkennt er im telefonischen Gegenüber seine Nachbarin Vera, gerade als die nach einem Selbstmordversuch aus dem anonymen Wohnblock abtransportiert wird.

„Aloys" zeigt eine einnehmend schöne Tragikomödie abseits von den Trampelpfaden dieses Genres: Es ist wunderbar, wie die Welten der beiden einsamen Menschen in surrealer Inszenierung zusammenkommen. Irre, wie die bebilderten Fantasien einmontiert werden, in die sehr reizvoll exakten Bildkompositionen, kühl wie der Protagonist selbst. Nun übers Telefon verbunden, gehen sie gemeinsam auf Spaziergänge, in den Zoo und zum Essen - während Vera tatsächlich in einem psychiatrischen Krankenhaus hockt. Umso trauriger wirken die Geschichten von lauter eingesperrten Tieren, aus dem Zoo, in dem sie gearbeitet hat. Aber die gemeinsame Fantasie schwingt sich auch zu einer richtigen Party in seiner „Stinkbude" auf. Sie holt ihn ins Leben zurück, allein über die Vorstellung, sie würden sich sehen. Bis er sich zwischen Fantasiefrau und der realen Vera entscheiden muss. Am Ende sind zwei Ebenen nicht mehr ganz voneinander entfernt.

Tobias Nölle erzählt in seinem sensationellen Spielfilmdebüt „Aloys" auf mehreren Ebenen, die man als fantastisch bezeichnen könnte, die jedoch auch einfach poetisch Facetten von Personen und Leben wiederspiegeln. Der Österreicher Georg Friedrich erweist sich als ideale Fremdkörper-Besetzung in Schweizer-Dialektumgebung.

Ich, Daniel Blake

Großbritannien, Frankreich, 2016 (I, Daniel Blake) Regie: Ken Loach mit Dave Johns, Hayley Squires, Micky McGregor 101 Min. FSK: ab 6

Mit dem herzzerreißenden Sozialdrama „Ich, Daniel Blake" gewann der Brite Ken Loach in Cannes 2016 zum zweiten Male die Goldene Palme. Erschreckend und gleichzeitig Mut machend ist das Schicksal des kämpferischen Arbeiters Daniel Blake, auch weil die Schikanen des Sozialsystems wohl eine weltweite Konstante des Neoliberalismus geworden sind.

Nach einem Herzinfarkt versucht der einfache und anständige Durchschnittsengländer Daniel Blake (Dave Johns), der zu seinem eigenen Leid arbeitsunfähig geworden ist, Krankengeld zu erhalten. Doch die Gesundheitsbehörde, die tatsächlich an eine amerikanische Firma „outgesourced" wurde, entschied nach Aktenlage mal dagegen. Eine notwendige Beschwerde verlangt dem Witwer viel Geduld an den stundenlang besetzen Hotlines ab, und dann gibt es eine neue Untersuchung erst in einigen Wochen. Also muss sich Daniel obwohl er gar nicht arbeiten kann, arbeitslos melden, um wenigstens etwas Geld zum Leben zu bekommen. Was ihn vom Regen in die Traufe geraten lässt: Alles geht bei Arbeitsamt nur noch online, wer keinen Computer-Zugang hat, bekommt zwar auch Hilfe. Die Nummer dafür gibt es ... online!

Arbeits- und Sozialamt funktionieren gemäß des zynischen Mottos „Fördern und fordern" mit einem System gnadenloser und absurder Regeln, die von Kafka erfunden zu sein scheinen. Will eine Mitarbeiterin helfen, wird sie brutal abgemahnt. Und wer sich von den „Kunden" angesichts dieser unhaltbaren Zustände beschwert, fliegt raus. Wenigstens beim Sicherheitsdienst gibt es neue Jobs. Nur unter den rausgeworfenen Verlierern gibt es noch Solidarität. Daniel trifft auf die junge Katie. Sie lebte mit ihren beiden Kindern für zwei Jahre in einem Obdachlosenheim und wurde nun aus London nach Newcastle „rausgesiedelt". Der herzkranke Arbeitslose setzt selbstlos sein handwerkliches Talent ein, um Katies erbärmliche Wohnung aufzumöbeln und verkauft schließlich sogar seine eigenen Sachen, damit die noch ärmeren mal wieder essen können. Das alles passiert in England, mit diesem tollen Börsenplatz, der unfassbar viel Geld umsetzt und scheffelt!

Derweil funktioniert das herzlose System der Verhinderung, dass Menschen ihre rechtlichen Ansprüche erhalten, hervorragend. Schon der Stress mit Warteschleifen und Internet-Formularen macht beim Zuschauen wütend. Die kleinen Aufstände des cleveren Daniel sind herzerfrischend. Doch das Aufregen über dieses Gesundheitswesen, ist schlecht für das Herz.

Ein himmelschreiendes Unrecht und Solidarität nur noch bei den ganz Armen - das ist der typische Stoff von Ken Loach, mit den Brüdern Dardenne aus Lüttich, die „Ich, Daniel Blake" ko-produzierten, einer der letzten linken Kämpfer im Regiestuhl. Allerdings sollte man die Beharrlichkeit, mit der Loach für die „kleinen Leute" eintritt, nicht als längst bekannt abtun. Obwohl man meint, die ganzen staatlichen Sauereien aus „Ich, Daniel Blake" zu kennen, sie in diesem Film zu erleben, erschüttert enorm und macht richtig wütend. Eine verdiente Goldene Palme und ein sehr notwendiger Film.

Arrival

USA 2016 Regie: Denis Villeneuve mit Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker 116 Min. FSK: ab 12

Ein friedliebender Science-Fiction Film? Ein hoffnungsvoller Liebes- und Familien-Film? Der absolut großartige und geniale „Arrival" ist vor allem nicht, was man erwartet oder der Trailer verspricht. „Arrival" vom Kino-Revolutionär Denis Villeneuve ist etwas völlig anderes, weil Neues. Wir sehen die Linguistin Louise Banks (Amy Adams) zuerst in ihrem einsamen und stillen Leben. Dazwischen Bilder von Geburt und Aufwachsen ihrer Tochter Hannah, die als Teenager an Krebs stirbt. Da wundert man sich nicht über die Verschlossenheit von Louise, die an einer Uni, die wie eine Festung wirkt, noch Vorlesung hält, als auf dem ganzen Campus schon Panik herrscht. Zwölf Raumschiffe sind in unterschiedlichen Regionen der Welt gelandet.

Die exzellente Linguistin Louise Banks wird nun zusammen mit dem Mathematiker Ian Donnelly (Jeremy Renner) vom Militär engagiert, um Kontakt mit den Aliens aufzunehmen und deren Sprache zu entschlüsseln. Anfangs sind zwölf Nationen und Armeen vernetzt, um das Rätsel gemeinsam zu lösen. Doch als der Begriff Waffe entziffert wird, steigt die Anspannung, die Verbindungen werden gekappt.

Wie sehen die Außerirdischen aus? Was ist das für eine escherartige Gravitation in dem Raumschiff, das die Form einer riesigen schwarzen Kontaktlinse hat? „Arrival" ist von der ersten bis zur letzten Minute ungeheuer fesselnd, was das enorme Können des Regisseurs erneut beweist. Dass Denis Villeneuve spannend erzählen kann, spürte man zuletzt im knallharten Drogenthriller „Sicario" bis ins Mark. Im Gegensatz zu seinem großartig genialen „Enemy" (2013), der unvermeidlich auf einen großen Crash zulief, steht hier das Ringen um Weltfrieden im Zentrum. Die Action tritt zurück, Jeremy Renner („The First Avenger: Civil War", „Mission: Impossible – Rogue Nation") rennt kein einziges Mal! Wie bei Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art" (1977), der wie „2001" und andere SciFi-Klassiker ganz dezent zitiert wird, sind die Aliens keine aggressiven Nachbarn aus dem All. Sie bringen ein Geschenk und zwingen die Nationen, ihre Teile des Geschenks miteinander zu verbinden. Dass die vermeintliche Waffe sich letztendlich als Sprache herausstellt, ist eine besonders schöne Idee des Films.

Villeneuves „Arrival" schafft es dabei immer, zwei Seiten einer Medaille zu sein. Oder besser: Zwei Seiten eines Möbiusbandes. Denn immer schimmert im Science Fiction auch die Familien-Geschichte von Louise durch. Und umgekehrt. So dass man immer weniger weiß, wo man sich eigentlich befindet, welche Zeit gerade abläuft. Wenn man die Fragmente der Handlung in eine richtige Reihenfolge zu bringen versucht, jauchzt der endlich mal geforderte Intellekt auf. Wie einst bei „Pulp Fiction", nur ein paar Etagen cleverer. Der Clou des Films erschließt sich ganz allmählich. Und hört dann nicht mehr auf, das Hirn mit nie so gedachten Gedanken zu verblüffen. Ein berührender Liebes- und Familien-Film sowie gleichzeitig ein genialer Science-Fiction Film!

Deepwater Horizon

USA, Hongkong, 2016 Regie: Peter Berg mit Mark Wahlberg, Kurt Russell, John Malkovich 108 Min. FSK: ab 12

Es ist eine Katastrophe mit diesen Katastrophen-Filmen, die derart schematisch runtergedreht werden, dass nur noch ein Klischee-Bingo die Sache erträglich macht. „Deepwater Horizon" ist ein besonders schmieriger Fall, wird hier doch bei einem brennenden Inferno auf See eine gigantische ökologische Sauerei der Öl-Industrie auf ein heldenhaftes Drama der Bohrarbeiter reduziert.

Auch die Katastrophenfilm-Routine von „Deepwater Horizon" stellt erst einmal die Figuren vor, die bald in die Luft gejagt werden. Und die Angehörigen, die um sie bangen werden. Chef-Techniker Mike Williams (Mark Wahlberg) verabschiedet sich liebevoll von Frau (Kate Hudson) und Tochter. Im Golf von Mexiko findet er eine völlig mangelhafte Bohrplattform vor. Trotzdem machen die Schlipsträger von BP Druck, lassen Sicherheitstest ausfallen und zwingen die vorsichtigen Fachmänner zu fatalen Entscheidungen. Der gewöhnliche Kapitalismus mit dem Zwang zu immer mehr Produktion bei immer schlechteren Bedingungen und schwindender Sicherheit für die Arbeitnehmer.

Routinier Peter Berg inszeniert das mit andauerndem Männer-Gequatsche unter lautem Maschinenlärm. Immer mal wieder taucht die Kamera tief unter Wasser, um drohendes Unheil herbei zu schwören. Das ist aber letztendlich genauso langweilig wie der Rest. Nur wenn Malkovich als rücksichtsloser BP-Manager spricht, wacht kurz man auf. So wartet man doch angespannt darauf, dass endlich mal etwas passiert. Auch wenn es eine Katastrophe ist. Das eigentliche Special Effects-Feuerwerk erweist sich als recht unübersichtlicher Überlebenskampf mit den üblichen Heldentaten von Mark Wahlberg. Darum geht es dem vor allem lauten und überflüssigen Film: Die Glorifizierung der einfachen Bohrinsel-Arbeiter überblendet die kriminellen Aktionen von BP. Ein katastrophaler Film, weil er die eigentliche Katastrophe ausblendet. Der Zuschauer wird wohl kaum zukünftig die Tränen von Mark Wahlberg in den Benzinpreis mit einrechnen.

20.11.16

Florence Foster Jenkins

Großbritannien 2016 Regie: Stephen Frears mit Meryl Streep, Hugh Grant, Simon Helberg 110 Min. FSK: ab 0

Florence Foster Jenkins (1868-1944) war ein Phänomen - und so gibt es in gerade mal einem Jahr gleich drei Filme zu der prominentesten unfähigen Sängerin überhaupt: Nach der gelungenen französischen Variante „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne" und der deutschen Dokumentation „Die Florence Foster Jenkins Story" darf nun Meryl Streep die Königin der schiefen Töne geben: Die reiche Erbin Florence Foster Jenkins ist in New York schon eine Weile dabei, ihren Traum zu verwirklichen. Vor einem kleinen Kreis von Freunden und Fans singt sie in peinlich prächtigen Kostümen Opernarien. Ihr platonischer Ehemann und Manager, St. Clair Bayfield (Hugh Grant), ist damit beschäftigt, jede echte Reaktion auf dieses Gejaule vor ihr fern zu halten. Er kauft alle Zeitungen mit den vernichtenden Rezensionen auf, wenn er die Kritiker vorher nicht bestechen konnte. Cosmé McMoon (Simon Helberg), der neue Pianist für die schiefe Diva muss auch besonders eingestimmt werden. Als Florence in einem unbewachten Moment im Jahr 1944 gleich ein ganzes öffentliches Konzert in der Carnegie Hall kauft, entwickelt sich die latente Tragödie zum echten Drama.

Der neue Film zu Florence Foster Jenkins fügt einiges hinzu, was ansonsten nicht thematisiert wurde: Ihr tragische Syphilis-Erkrankung, die Affäre von St. Clair mit einer jungen Nebenfrau. Dabei gelingt dem eigentlich äußerst fähigen und vielfältigen Regisseur Stephen Frears („Mein wunderbarer Waschsalon", „Grifters", „High Fidelity", „Die Queen") ein erstaunlich uninteressanter Film. Die Streep gibt als Schauspielerin, die durchaus singen kann, die unfähige Sängerin mit kleinen Momenten schmerzender Selbsterkenntnis. Und Trotz: „Die Leute mögen sagen, dass ich nicht singen kann. Aber sie können nicht sagen, dass ich nicht gesungen habe!" Hugh Grant legt mit britischem Charme in einem ersten Höhepunkt seines Alterswerks eine großartige Rolle und eine heiße Tanzeinlage hin.

Bad Santa 2

USA 2016 Regie: Mark Waters mit Billy Bob Thornton, Kathy Bates, Tony Cox, Christina Hendricks 93 Min. FSK: ab 16

Der vorletzte Ex von Angelina Jolie ist schon wieder arbeitslos und hängt auf der Straße rum: Billy Bob Thornton gibt erneut den bitter besoffenen Anti-Weihnachtsmann Willie. Dreizehn Jahre nachdem „Bad Santa" sehr erfolgreich und erfreulich im übersüßen Weihnachtsauswurf von Hollywood räuberte, bekommt Santa Claus wieder einen drüber.

Willie (Billy Bob Thornton) ist arbeitslos, einsam, frustriert und so unten, dass es nur noch bergauf gehen kann: Auf den Stuhl, um sich selbst aufzuknüpfen. Blöderweise stört dabei wieder das tiefbegabte aber umso anhänglichere Dickerchen Thurman (Brett Kelly). Bald ist auch der ebenso verräterische wie kleinwüchsige Marcus (Tony Cox) wieder im Bild und so geht es mit dem altbewährten Trio zu einer neuen Gaunerei unter dem Deckmantel von Leihweihnachtsmännern. Kathy Bates gibt als gehasste Mutter in klasse Verkleidungen den hässlichen Kopf der Gang. Sehr begründet traut Willie seiner eigenen Mutter nicht, überhaupt beleidigen und streiten sich auch diese beiden durchgehend. Sprache und Themen sind obszön, unverschämter als Trump.

Nachdem das Happy End aus dem letzten Film sehr drastisch die Gosse runter ging und ein Selbstmord im Elektroherd auch nicht funktioniert, bleibt einem nichts mehr übrig als noch ein „Bad Santa"-Film. Der als Strafe verstanden werden kann: Bei der wenig originellen „Heist"- und Raub-Routine wirken die Obszönitäten auf Dauer verdammt ermüdend. 13 Jahre später sind völlig versaute Filme zur Routine bis hinein ins Kinderprogramm geworden. Da können Thornton und Co nicht mehr mithalten. Die Dreingabe von Christina Hendricks als Sex-Objekt kann nichts mehr retten, wenn ein unausgewogenes Timing beim De- und Remontieren der Sympathien in der Gosse völlig scheitert.

16.11.16

Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind

Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind

Großbritannien, USA, 2016 (Fantastic Beasts and where to find them) mit Eddie Redmayne, Katherine Waterston, Dan Fogler, Colin Farrell, Samantha Morton 140 Min.

Fantastisch ist er tatsächlich, dieser neue Film nach J.K. Rowling: Wieder ein Film mit viel Magie und Zauberstab-Gefuchtel. Aber Rowling hat sich von Potter emanzipiert, der neue Held Newt Scamander ist erwachsen. Vor allem aber spielen sagenhafte und wirklich phantastische Tierwesen die Hauptrolle in diesem erstaunlichen Film.

Die Vorlage für diesen Film was das Hogwarts-Lehrbuch „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind", das von der fiktiven Figur Newt Scamander verfasst wurde. Er spielt Jahrzehnte vor Harry Potter, im New York des Jahres 1926: Der Engländer Newt Scamander (Eddie Redmayne) ist kaum von Bord gegangen, das entschlüpfen seinem Lederkoffer die ersten Wesen. Ein diebisches kleines Schnabeltier sorgt in einer Bank und im Juwelierladen für herrliches Chaos. Dabei hat der Magische Kongress der USA (MACUSA) magische Wesen verboten und sieht sich einem wachsenden Rassismus gegenüber. Eine Gefährliche Glaubensrichtung mit sadistischer Hass-Predigerin (Samatha Morton) als Anführerin ruft zur Hexenjagd auf, wie einst in Salem. Die Zerstörungen eines dunklen und gewalttätigen Obscurus erschrecken die Stadt und werden dem gutherzigen Newt in die Schuhe geschoben. Nach viel Spaß und ein paar Andeutungen einer dunklen Bedrohung wird ausgerechnet der herzensgute Newt Opfer einer speziellen Hexenjagd durch die Hexer selbst. Hintergrund der Obscurusse ist eine interessante Konstruktion: Unterdrückte Fähigkeiten bei Kindern erzeugen diese mörderische Macht.

Eddie Redmayne („Die Entdeckung der Unendlichkeit", „The Danish Girl") sah schon immer ungewöhnlich aus. Sein Magizoologe Newt Scamander wirkt zwar anfangs brav, doch mit einen entschlossener Sanftheit erweist der Tierfreund sich als erwachsener Zauberer. Als Hauptdarsteller von „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind" erweisen sich allerdings tatsächlich die magischen Tierwesen: In der Manteltasche versteckt sich ein kleines, eigenwilliges Wurzelmännchen, das Schlösser knacken kann. Das unsichtbare Demiguise sorgt im weihnachtlichen Macy's für Chaos. Als auch noch der echte Zoo im Central Park einen massiven Ausbruch zu vermelden hat, erleben wir den Newts Paarungstanz mit einem gigantischen, leuchtenden Nashorn. Und eigentlich ging es um Frank, einer riesigen vierflügeligen Kreuzung aus Adler und Drache, die zurück nach Arizona soll.

Doch nun muss Newt einen polnischen Bäcker betreuen, der durch ein bissiges Wischmob-Wesen infiziert wurde, die liebenswerte Außenseiterin Goldstein von seinen guten Absichten überzeugen und vor allem dauernd seine Tiere wieder einfangen. Das historische New York wurde hierfür mit enormem Aufwand rekonstruiert, im Jazz-Club erlebt man Elfen als Bedienung und Band. Das 3D funktioniert bei kleinen, bunten magischen Insekten ebenso wie bei riesigen, schillernden Schlangenwesen. Wenn man mit Newt und Rowling in diesen wunderbaren Koffer hinabsteigt, kann man endlos staunen angesichts der unendlichen Welt und des Artenreichtums im Inneren.

Bei dem Reichtum an Einfällen und magischen Wesen gerät die X-Men Geschichte mit dem gleichem Konflikt, der gleichen Konfrontation glatt in den Hintergrund. Leider erspart uns das Finale nicht das übliche Zerstörungs-Feuerwerk im Ghost Buster-Stil mit Godzilla-Spuren und dem typischen Zauberstab- oder Lichtschwert-Fuchteln. Nur ein kurzer Johnny Depp-Auftritt sorgt hier für Überraschung. Trotzdem ist die Vorfreude auf die nächste Dosis Magie im Kino selbst bei einem Muggel sehr groß.

The Hollars (Kinostart 12.01.2017)

USA 2016 Regie: John Krasinski mit Anna Kendrick, John Krasinski, Anna Kendrick, Mary Elizabeth Winstead 88 Min.

Ein Film wie das Leben – um es mal positiv zu sehen: Mit Geburt und Tod, mit Trauer, Streit und Versöhnung. Anständig gemacht, gut gespielt. Etwas witzig, unvermeidlich rührselig… und schon tausende Mal gesehen. Es hängt wohl von der Stimmung ab, ob man John Hollar (John Krasinski) aus New York zurück ins Städtchen seiner Herkunft folgen will. Seine Mutter Sally (Margo Martindale) brach dort gerade mit einem Gehirntumor zusammen. Vater Don (Richard Jenkins) heult deshalb nur rum. Der eher unter-intelligente Bruder Jason (Charlie Day) zog nach Scheidung und Entlassung aus Vaters bankrottem Handwerkerladen ausgerechnet wieder zuhause ein. Irgendwie sind alle verrückt oder beschränkt im Ort der Jugend. Johns Jugendliebe Gwen (Mary Elizabeth Winstead) schiebt ihm zur Begrüßung die Zunge in den Mund, obwohl ihr Mann nebenan Bier holt. Dieser Jason (Charlie Day) ist ausgerechnet Krankenpfleger der Mutter, eifersüchtig und auch sonst seltsam – siehe oben. John selbst ist Comic-Zeichner mit Schreibblockade und hat Zweifel bezüglich seiner Zukunft mit der schwangerer Freundin Rebecca (Anna Kendrick). Die kommt auch noch vorbei, während Jason die neue Familie seine Ex stalkt. Also alles perfekt für eine tragikomische Familientherapie: Zurück zu den Wurzeln, um aus der Distanz des Vergangen zu betrachten, wo man jetzt steht.

Geburt und Tod, Hochzeit und Begräbnis, mit Wehen im Leichenwagen ... diese persönliche Arbeit von Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent John Krasinski lief auf dem Sundance-Festival, was nicht für den ehemaligen Hort des Independent-Films spricht. Anständige Schauspieler in einer routinierten Inszenierung, aber so interessant wie das gleiche gute Graubrot, das man seit Jahren isst. Ein wenig witzig, unausweichlich rührend, wie die Figuren ist der Film seltsam, kann aber auch liebenswert wirken. Hat doch John ein schönes, offenes, fast freundschaftliches Verhältnis zur Mutter. Und dann der Männerchor beim Lied zum möglichen Abschied vor Operation... „The Hollars" werden die eine oder andere unterhalten, können aber auch ganz furchtbar anöden.


PS: All die Filme, die uns Woche für Woche vorgesetzt werden, sind ja nur die Spitze des Eisbergs der US-Produktion. Es gibt unter der Mehrzahl der anderen, die auch mit großen Namen und schicken Plakaten in anderen Ländern oder auf DVD rauskommen, viel Interessantes. Nur weshalb zeigt man uns stattdessen immer wieder das Gleiche, nur in mittelprächtig?

15.11.16

Die Reise mit Vater

BRD 2016 Regie: Anca Miruna Lazarescu mit Alex Margineanu, Razvan Enciu, Ovidiu Schumacher, Susanne Bormann 111 Min. FSK: ab 12

1968 versucht der junge deutschstämmige Arzt Mihai (Alex Margineanu) im rumänischen Arad gleichzeitig seinen lebensbedrohlich kranken Vater zu pflegen und den rebellischen jungen Bruder Emil (Razvan Enciu) vor dem staatlichen Geheimdienst zu schützen. Stalin ist zwar schon länger tot und Staatschef Nicolae Ceaușescu macht noch auf Reformer, aber für einen politischen Slogan kassiert man noch Knochenbrüche. Dank der neuen Freiheiten unter Alexander Dubček in der Tschechoslowakei kann Mihai in die DDR reisen, um den Vater gegen dessen Wissen operieren zu lassen. Doch als die „sozialistischen Bruderstaaten" noch in der gleichen Nacht den Prager Frühling blutig niederwalzen, landet das Trio plötzlich in West-Deutschland.

Eher gemächlich rollt der Film mit drei exemplarischen Donauschwaben ein Sonderkapitel deutscher Geschichte vor dem Hintergrund des Prager Frühlings auf. Eine Vater-Sohn-Geschichte soll das Herz dieses Road Movies durch Rumänien, die CSSR, die DDR und Westdeutschland. „Die Reise mit Vater" wirkt lange wie eine Geschichtslektion. Als sie in München ausgerechnet in einer sozialistischen WG landen. Die Konfrontation von desillusionierten mit kämpferischen, aber vor allem theoretischen Sozialisten veralbern die Brüder mit spöttischen Texten zur Kalinka-Melodie. Besonders freundlich sind auch die Geheimdienste auf beiden Seiten - anfangs. Später schlagen sie auch brutal zu.

Weder als Komödie noch als Drama, nicht als Familien- oder Zeit-Geschichte kann „Die Reise mit Vater" überzeugen. Zwar lehrreich, aber nur etwas weniger verstaubt als die Geschichtsbücher kommt diese persönliche, höchstens nette und gut gespielte Geschichte in dem Langfilmdebüt von Anca Miruna Lazarescu daher.