28.10.15

Macbeth (2015)

Großbritannien, Frankreich, USA 2015 Regie: Justin Kurzel mit Michael Fassbender, Marion Cotillard, David Thewlis 113 Min. FSK: ab 12

Die Liste der Macbeth-Verfilmung ist lang, wenn auch nicht so endlos wie die der Aufführungen. Die jüngeren Meilensteine von Orson Welles (1947) und dem Polen Polanski („The Tragedy of Macbeth", 1971) zeichnen auch die Pole zwischen Theater-Verfilmung und von Kulissen befreitem Spielfilm auf. Nun führte der unbekannte Justin Kurzel („Die Morde von Snowtown") bei der aktuellsten Shakespeare-Umsetzung Regie, die Stars sind Michael Fassbender („X-Men", „Shame") und Marion Cotillard („Der Geschmack von Rost und Knochen", „La vie en rose").

Doch die neue Verfilmung sieht erst einmal alt aus, ganz wie der „Kohlhaas" mit Mads Mikkelsen. Keine Modernisierung, Hintergrund der deftigen Schlachtszenen sind die schottischen Highlands, es sollen sogar irgendwelche Originalschauplätze sein. Aus dem wabernden Nebel nähern sich die Hexen mit ihrer Prophezeiung: Der siegreiche Macbeth werde König werden und erst wenn ein Wald auf sein Schloss zu marschiert, wäre er besiegt, und nur ein nicht von einer Frau geborener könne ihn töten.

Genug Material für eine gewaltige Hybris, doch erst muss Lady Macbeth kühl den Königsmord entwerfen. Denn Macbeth selbst sei noch „voll von Milch der Menschenliebe", ihm „fehle die Bosheit". Ein zentraler Moment für die Familienplanung der Macbeths aus Schottland. Doch die Bestie des Textes lebt seltsamerweise nicht auf in der großartigen Schauspielerin Marion Cotillard, harmlos wirkt die mörderische Verführerin. Fassbender hingegen mit seinen blauen Augen hinter Bart und Narben gibt einen teuflischen Engel, dessen wachsenden Wahnsinn man schauerlich gerne beschaut.

Schön ist hässlich, hässlich ist schön! Wie trefflich sind die Worte der Hexen für die Ästhetik von Regisseur Justin Kurzel: Zum Auftakt prallen Körper aufeinander, rohes Schlitzen und Schlachten, ein heftiger Sound unterstützt die Wirkung. Ein scheußliches Gemetzel im Wechsel von Stillstand und Rasen, von leisen Violinen und donnernden Schreien. Auch später gibt es schwitzige und schmutzige Körperlichkeit statt royalem Glamour.

Von der ersten bis zur letzten Schlacht; bei den irrsinnigen Wanderungen der Macbeths im Nachthemd auf den Highlands: Die Geburt und der Niedergang der Tyrannei im Wahnsinn - das ist in einigen Bildern und Szenen immer wieder eindrucksvoll. Dazwischen sperriger Originaltext - auf jeden Fall in der deutschen Synchronisation - und wenig Begeisterung an Shakespeare. Das Entsetzen gebiert weniger er, es kommt von den filmischen Elementen. Eigentlich eine gute Sache, doch das Übergewicht einer Handvoll starker Film- und nicht Dialog-Szenen lässt vermuten, Justin Kurzel braucht Shakespeare eigentlich nicht. (Und der Barde den Filmer wohl auch nicht.) Deshalb ist „Macbeth" auch konsequenterweise für den Regisseur nur eine Station zum nächsten Spektakel, der Verfilmung des Computerspiels „Assassin's Creed".

Body

Polen 2015 (Cialo) Regie: Małgorzata Szumowska mit Janusz Gajos, Maja Ostaszewska, Justyna Suwała 92 Min. FSK: ab 12

Bei der Berlinale 2015 erhielt den Silbernen Bär für die Beste Regie ein komisches Drama oder eine dramatische Komödie von Małgorzata Szumowska. Die Polin realisierte bisher mit „33 Szenen aus dem Leben" (2008), „Das bessere Leben" mit Juliette Binoche (2011) oder „Im Namen des ..." (2013) immer unterschiedliche, aber gleichermaßen großartige Filme.

„Body" ist nun ein sehr polnischer Film über verbreiteten Aberglauben und ein universaler mit schwieriger Vater-Tochter-Geschichte: Eine der Huaptfiguren ist Janusz, ein Mensch, den so leicht nichts erschüttern kann. Der schwer erschütterbare Untersuchungsrichter arbeitet zu viel. Seiner magersüchtigen Tochter Olga, die noch immer ihrer verstorbenen Mutter nachtrauert, steht er indessen hilflos gegenüber. Aus Sorge, sie könne sich umbringen, lässt er sie in eine Klinik einweisen, in der die Psychologin Anna ihren Dienst versieht. Diese hat vor Jahren ihr Baby durch plötzlichen Kindstod verloren, verschanzt sich mit ihrem großen Hund in einer streng abgeriegelten Wohnung und beschwört Geister, die aus dem Jenseits zu den Lebenden sprechen.

Bemerkenswert ist, wie Szumowska Humor und Horror streift, dabei alle gefühlsseligen Klischees sicher und mit großem Abstand umkurvt.

27.10.15

Im Sommer wohnt er unten

BRD, Frankreich 2015 Regie: Tom Sommerlatte mit Sebastian Fräsdorf (Matthias), Alice Pehlivanyan, Godehard Giese, Karin Hanczewski 100 Min. FSK: ab 12

Matthias (Sebastian Fräsdorf) bewohnt mit seiner französischen Freundin Camille (Alice Pehlivanyan) das Ferienhaus seiner Eltern an der Atlantikküste. Der Sommer wird unterbrochen durch die verfrühte Ankunft des auf Anhieb ekelhaften, extrem egoistischen großen Bruders David (Godehard Giese) mit dessen Frau Lena (Karin Hanczewski). Der Spießer im Polohemd wirft den lässigen Kiffer Matthias direkt aus seinem Zimmer und kommandiert ihn wie einen Angestellten herum. Auch der Sohn von Camille muss sofort verschwinden, meint der Laune- und Spaß-Verderber. Doch hinter der Fassade des guten, erfolgreichen Sohnes, der die Faulenzer antreibt, versteckt sich ein verschuldeter und abhängiger Zocker. Aber Matthias lässt alles mit sich machen, weil die Eltern nicht wissen sollen, dass seine Freundin ein Kind hat. Camille wiederum wehrt sich und provoziert Eifersucht auf beiden Seiten...

Nach einer erfolgreichen Festivaltour kommt das deutsche Spielfilmdebüt „Im Sommer wohnt er unten" nun ins Kino. Wieder mal entladen sich deutsche Familien-Spannungen am Pool südlicher Ferienwohnungen wie unter anderem auch in Maren Ades „Alle Anderen". Diesmal sorgen ganz seltsame, nicht unbedingt nachvollziehbare Zwänge und Regeln vom ersten Treffen an für mehrfache Spannungen. Der Film von Tom Sommerlatte ist reizvoll fotografiert, gut gespielt aber alles andere als überraschend in der Entwicklung. Interessanterweise arbeitet auch diese Konflikthäufung mit einer familiären Druckkammer, die das Drumherum völlig austauschbar und nebensächlich macht. Es ist sicher auch dem knappen Produktionsetat geschuldet, aber das Kammerspiel unter blauem Himmel bleibt so letztlich auf Schauspiel und Dialoge beschränkt.

Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne

Frankreich, Tschechien 2015 (Marguerite) Regie: Xavier Giannoli mit Catherine Frot, André Marcon, Michel Fau, Christa Théret 129 Min.

Schöne Melodien und eine schreckliche Stimme - das bietet „Madame Marguerite" in Anlehnung an die historische Florence Foster Jenkins (1868–1944) ihrem persönlichen und dem Kino-Publikum. Regisseur Xavier Giannoli macht aus der Miss mit dem Missklang auf exzellente Weise eine überraschend bewegende Geschichte.

Marguerite (Catherine Frot) kann es sich vor allem finanziell erlauben, ihrem Sanges-Hobby zu frönen, begleitet vom besten Salon-Orchester. Beim Wohltätigkeits-Event traut sie sich direkt an die Arie der Königin der Nacht, was in furchtbarem Geschrei ausartet. Doch alle anderen in ihrer adeligen Gesellschaft spielen bei dieser Farce mit, wenn sie nicht entkommen können.

Während Marguerites Ehemann mal wieder durch eine Autopanne verhindert ist, treiben ein Journalist und ein Dada-Künstler den Wahnsinn auf die Spitze. Die Opern-Verrückte wird in ihrem Wahn bestärkt und solle doch bald öffentlich im wilden Paris der 20er auftreten. Was sich leicht arrangieren lässt, denn „Geld hat keine Bedeutung, man muss es nur haben", so Marguerite. Und sie hat reichlich, während ihr Mann nur den Adels-Titel in die Ehe brachte. Wirklich treu scheint ihr nur der Diener Madelbos (Denis Mpunga) zu sein, der die Selbst-Täuschung hinter den Kulissen eifrig unterstützt.

Marguerite ist eigentlich eine furchtbar tragische Figur, wenn sie mit ihrer venezianischen Maske traurig und abgewiesen auf dem Bett sitzt. Aber Regisseur Giannolis („Chanson d'Amour" mit Gérard Depardieu und Cécile de France) schöner und überraschender Film macht sich letztlich nicht lustig, lässt mitfühlen und -leiden.

Parallel zur wahnsinnigen Karriere Marguerites läuft am Rande die Entwicklung der jungen und hervorragenden Sängerin Hazel (Christa Théret) mit, in die der Journalist heimlich verliebt ist. Also einer, der im Gegensatz zu Marguerite seine Leidenschaft nicht auslebt. Die falsch klingende Diva hingegen kann mit ihrem konsequenten Wahnsinn, mit ihrer unerschütterlichen Selbsttäuschung doch noch so etwas wie Liebe bei ihrem Mann erwecken. Und so funktioniert auch der Film: Er zeigt eine Albernheit, eine peinliche Selbstdarstellung mit großer Ernsthaftigkeit und selbst bis in die groteskesten Nebenrolle hervorragend gespielt. Wie eine der vielen reizvollen und nachdenklichen Bildideen bestätigt: Die Kunst liegt im Auge des Betrachters, des liebenden oder des bösartigen vom ersten und letzten Bild des Films.

26.10.15

Der letzte Wolf

China, Frankreich 2015 (Le dernier loup) Regie: Jean-Jacques Annaud mit Feng Shaofeng, Dou Shawn, Ankhnyam Ragchaa 119 Min. FSK: ab 12

Jean-Jacques Annaud ist ein tierisch guter Regisseur: 1988 hatte er uns sehr erfolgreich den „Bär" aufgebunden, 2004 dann gleich zwei Tiger in den Abenteuerfilm „Zwei Brüder" getankt. Jetzt heult er mit den Wölfen, also den staatlichen Filminstanzen Chinas, wobei „Der letzte Wolf" nicht nur ein großartiger, eindrucksvoller und sehr schöner Film ist, er äußert auch politische und ökologische Kritik.

In endlosen Reihen voller Busse werden Studenten aufs Land verschickt - es ist 1967, das zweite Jahr der chinesischen „Kulturrevolution". Unter ihnen der junge Chen Zhen. Auch nach sechs Monaten bei einer Brigade aus Hirten der Inneren Mongolei bewegt er sich mit der Unbedarftheit eines Landausfluges, bis er plötzlich in einer hochdramatischen Situation von Wölfen umzingelt ist. Das Gesicht des Wolfes in Großaufnahme, die Reflektionen im Auge des Pferdes, die Musik von James Horner - da ist nicht nur der Gastarbeiter aus der Stadt fasziniert von den Wölfen. Chen Zhen spürt etwas von der spirituellen Welt der Steppen-Nomaden und sieht ein lächelndes Gesicht am Himmel. Das sei ihr Gott Tengger gewesen, erklärt der alte Batu später in einem der ruhigen Momente, die immer seltener werden.

Denn nach einer der vielen erstaunlichen Szenen, in der Chen Zhen den „Kühlschrank" der Wölfe kennenlernt, plündert der Partei-Delegierte dieses Fleischlager und bringt damit Chaos und Tod in die Region. Er ignoriert das alte Wissen darüber, wie Wölfe im Gleichgewicht der Natur die „grausamen Gazellen" kontrollieren. Denn die sind nämlich eine Bedrohung für das überlebenswichtige Gras. Nun führen die zunehmenden Übergriffe der hungrigen Wölfe zum Befehl des Partei-Leiters, Wolf-Welpen zu töten. Eine von den Mongolen mit Demut und Trauer durchgeführte Grausamkeit. Doch die heimliche Rettung so eines kleinen Fell-Knäuels durch Chen Zhen ergibt nicht eine der üblichen übersüßen Tiergeschichten...

Der neue Film von Jean-Jacques Annaud („Sieben Jahre in Tibet", „Der Liebhaber", „Der Name der Rose") ist mal grandiose Naturdoku mit teilweise mythisch wirkenden Naturbildern und eindrucksvollen Winterlandschaften, wobei das Verdrängen dieser Landschaft und seiner traditionellen Bewohner durch die chinesische Zentralregierung ebenfalls anwesend ist. „Der letzte Wolf" ist in mehrfacher Hinsicht aktuell: Im Umgang mit der originellen Öko-Idee, wieder Wölfe in unseren Wäldern haben zu wollen. Sowie bei der die Besiedlung der Mongolischen Steppe durch Bauern, die in einem für Landwirtschaft ungeeigneten Gebiet für eine ökologische Katastrophe sorgen.

Das vermitteln immer wieder sehr eindringliche Szenen: Bizarr gefrorene Standbilder nach einem schrecklichen Kampf haben die Grausamkeit von Goyas Grafiken „Die Schrecken des Krieges". Höchstdramatisch sind die Überfälle der Wölfe inszeniert. Zudem atemberaubend durch erstaunliche Luftaufnahmen der Tierhetzen.

Dabei verniedlicht Annaud nicht das schwierige Verhältnis beim Zusammentreffen ignoranter Städter und rücksichtloser Partei-Bürokraten mit den Menschen der Steppe. Die Wölfe sind nicht gut oder böse. Das Zähmen geht nicht ohne Verluste und böse Bisse ab. Doch „Der letzte Wolf" gewährt wunderbare Einblicke in diese Lebensweise, zeichnet den tatsächlichen Konflikt der Inneren Mongolei auf und deutet einen Weg des Miteinanders zumindest an.

(Wer es allerdings ganz ohne Romantik haben will, sollte sich auf Youtube das Video einer freilaufenden Hündin und deren Kampf gegen zwei Wölfe in den schwedischen Wäldern ansehen.)

21.10.15

Malala - Ihr Recht auf Bildung

USA 2015 (He named me Malala) Regie: Davis Guggenheim 87 Min. FSK: ab 12

Malala Yousafzai ist spätestens seit dem Friedensnobelpreis 2014 und dem autobiografischen Buch „Ich bin Malala" weltweit ein Begriff. Sie geriet als 15-Jährige zusammen mit ihrem Vater in den Fokus der Taliban, weil sie sich für das Recht auf Bildung von Mädchen in Pakistan einsetzten. Malala wurde auf eine Todesliste gesetzt und im Swat Tal in ihrem Schulbus von einem Schuss in den Kopf schwer verletzt. Das Attentat entfachte einen weltweiten Aufschrei der Empörung. Die Schwerverletzte wurde in eine Klinik in England ausgeflogen und überlebte auf wundersame Weise. Heute ist sie als Mitgründerin des „Malala Fund" eine global agierende Aktivistin für das Recht von Mädchen auf Bildung.

Der große Dokumentarfilm über die 1997 geborene Kinderrechtsaktivistin, die schon als Jugendliche gegen das Regime der Taliban aufbegehrte, ist dank bewegender Geschichte und geballtem Film-Können (Regie: Oscar-Sieger Davis Guggenheim, Musik: Thomas Newman) eindrucksvoll. Nicht unbedingt ein Meisterwerk, aber wegen der Geschichte an sich unbedingt sehenswert.

Der bekannte Dokumentarfilmer Davis Guggenheim („Eine unbequeme Wahrheit", „It Might Get Loud") hat viele Facetten geschickt montiert: Malalas neues Privatleben nach der Rettung, der Alltag in englischer Schule und die Reisen um die Welt für das Recht aller Mädchen auf einen Schulbesuch. Ehrungen, sowie viele Begegnungen mit unter anderem Hillary Clinton, Obama oder dem Probono-Sänger Bono. In einem Kaleidoskop verschiedener Stile verfolgen wir den wachsenden Terror der Taliban und die zunehmende Bedrohung für Malalas Vater, einen politisch aktiven und leidenschaftlichen Lehrer. Die ungewöhnliche Dramaturgie setzt das traumatische Erlebnis der Flucht aus dem geliebten Heimat-Tal und dann den Anschlag ans Ende. Um mit der Nobelpreisrede desto wirkungsvoller die Hymne für eine begnadete Rednerin und mutige Kämpferin anzustimmen.

20.10.15

A Perfect Day

Spanien 2015 Regie: Fernando León de Aranoa mit Benicio Del Toro, Tim Robbins, Olga Kurylenko 106 Min. FSK: ab 12

Nein, nicht der melancholische Grundton von Lou Reeds Song „Perfect Day" bestimmt diesen wunderbar ironischen Film über hilflose Helfer: Benicio Del Toro, gerade noch grandios als „Sicario"-Killer in Action, hat als Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation nicht nur den jugoslawischen Bürgerkrieg am Hals. Es taucht auch noch Mambrús sehr junge, attraktive Affäre in Form der Russin Katya (Olga Kurylenko) auf.

Doch erst einmal hat die Ausgangssituation etwas vom absurden Theater: 1995, „irgendwo auf dem Balkan", liegt eine ziemlich dicke Leiche in einem ziemlich tiefen Brunnen. Die muss innerhalb von vierundzwanzig Stunden raus, sonst wird die Wasserquelle unbrauchbar. Eine tolle Aufgabe für internationale Helfer von „Aid across borders" - wenn man ein anständiges Seil hätte. Die gut ausgestatteten UN-Soldaten haben jedoch gerade keine Zeit, um sich um so was zu kümmern. Dazu seien sie nur bei internationalen bewaffneten Konflikten verpflichtet. Der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien ist zwar sehr bewaffnet und konfliktreich, aber (noch) nicht international: Das Massaker von Srebrenica findet gerade woanders statt und die Bombardierung von Belgrad folgt erst rasante vier Jahre später.

Der Amerikaner namens B - ein sehr schön verrückt mit Helfer-Syndrom und Rock'n'Roll auf humanitärer Mission spielender Tim Robbins - versucht auch, die verfahrene Situation mit Jeep und einem Seil aus dem Dreck zu ziehen. Doch der Dorfladen braucht alle seine Seile, „um Leute aufzuhängen".Dass sich schließlich ein Seil am Ende eines sehr bissigen Hundes findet, ist nicht der letzte bittere Scherz in einer Film, bei dem nicht nur die hysterisch idealistische Helferin Sophie (Mélanie Thierry) beim ersten Einsatz ihre Naivität verliert.

Nach den hervorragend beobachteten Sozialdramen „Amador und Marcelas Rosen" (2010) und „Princesas" (2005) kann Regisseur Fernando León de Aranoa nun mit internationalen Stars brillieren. Vor allem in den aberwitzigen Dialogen hat „A perfect day" etwas vom Wahnsinn der Kriegs-Satire „Mash" und erinnert im Setting an Winterbottoms „Welcome to Sarajevo".

Doch der Spaß verfliegt, je mehr wie erleben: Kleine Jungens spielen mit Fußball und Pistolen. Die Helfer müssen hilflos zusehen, wie gefangene Zivilisten wie in Srebrenica aufgereiht werden. Die dauernde Gefahr durch Minen oder Sprengfallen in einem völlig zerschossenen Dorf sorgt für Spannung. „Ethnische Säuberung" zeigt sich so konkret schrecklich, dass danach nur noch die Punkversion von „Sweet dreams" erklingen kann.

Mit exzellentem Schauspiel, klugem Drehbuch und etwas menschlichem Touch zeigt „A Perfect Day" bis zum kafkaesken Ende, in dem UN-Soldaten das mühsam aufgetriebene Seil zerschneiden, die Schwierigkeit ahnungslos international zu helfen, in vielen Schattierungen und Tönen. Eine perfekte Balance zwischen Satire und echter Anteilnahme.

Unser letzter Sommer

Polen, BRD 2015 (Letnie Przesilenie) Regie: Michal Rogalski mit Jonas Nay, Filip Piotrowicz, André M. Hennicke 100 Min. FSK: ab 12

Die polnische-deutsche Kriegs-Geschichte „Unser letzter Sommer" ist der seltene Fall eines Antikriegs-Films: Im Sommer zeigt sich Ostpolen in einem normalen Ausnahmezustand. Es sei relativ ruhig, berichtet man dem neuen Kommandanten einer deutschen Gendarmerie-Abteilung, nur ein paar Partisanen. Zeit genug, neben den Gleisen, die von Warschau kommen, weggeworfene Kleidung und Koffer zu durchwühlen, mit Fotos der deportierten Familien. Denn hier auf dem Land wird „nur" eine jüdische Mitarbeiterin wird aus dem Dienstplan gestrichen, aber das Grauen, das deutsche Soldaten in Warschau anrichten, ist im Gesicht einer jungen Frau zu sehen, die aus einem der Züge zur „Rampe" des Vernichtungslagers Treblinka, fliehen konnte.

Naiv all dem gegenüber stehen sich zwei kaum erwachsene Jungs gegenüber: Romek (Filip Piotrowicz) fährt auf der Lokomotive einer der Züge mit. Sein Vater ist verschollen, der grobe Lokführer nistet sich derweil bei der Mutter ein und plündert eifrig mit. Guido (Jonas Nay) ist einer der Gendarmen, ein Junge, der das Schäferhund-Welpen noch auf dem Arm trägt. Der verbotene Swing brachte ihn in die Uniform, Musik bringt die Gegner kurz zusammen. Da ignoriert Guido schon die Angst der jungen Polen angesichts eines doppelten Eindringens. Romek und Guido töten das erste Mal in der Mitte des Films in einer Mischung aus Schuld und Zwang.

Vor allem in den beiden jungen Hauptfiguren zeigt der polnische Kurz- und Dokumentarfilmregisseur Regisseur Michal Rogalski erfreulich feine Nuancen der Beteiligung und des stillen Widerstands, das ist das Besondere an diesem sorgfältig aufgenommenen und gut gespielten Film. Die Gewalt der Besatzung macht bald aus naiven, verliebten Jungs skrupellose Täter. Verlieren werden beide, da ist die Handlung ebenso konsequent und brutal in einer Welt, die für Gefühle keinen Platz hat. „Unser letzter Sommer" verweist mit starker Bildsprache nicht nur in der Schlusseinstellung die Abtötung der Seelen, er ruft auch das Bild einer ganzen vom Krieg entmenschlichten Generation herauf.

19.10.15

Imagine Waking Up Tomorrow and All Music Has Disappeared

Schweiz, BRD 2015 Regie: Stefan Schwietert 86 Min. FSK: ab 0

Stefan Schwietert ist eine Art George Lucas des Musikfilms: Mit den Dokumentarfilmen „El Accordéon del Diablo", „A Tickle in the Heart" oder „Accordion Tribe" begeisterte er das Arthouse-Kino. Diesmal geht es nicht um ein besonderes Instrument, sondern eine Verweigerung des üblichen Musik-Betriebes. Ein Star war der schottischer Musiker Bill Drummond mit der Acid-House-Band „The KLF" sowie Hits wie „Justified & Ancient". Damals hatte er schon mal eine Millionen Pfund auf der Bühne verbrannt und die Asche zu einem Ziegelstein pressen lassen. 1992, auf dem Höhepunkt des Erfolgs, löste sich die Band auf und Drummond kaufte samt Musikrechte alles auf und versteckte es in einen Container.

Nun reist Bill Drummond im langen Ledermantel quer durch Großbritannien für das Projekt „The 17". Scheinbar willkürlich bittet er Menschen längs eines bestimmten Breitengrades, einen Ton oder eine kurze Melodie anzustimmen. Die Ergebnisse komponiert ein Freund mit „Garage Band" zusammen und es gibt eine einmalige, wohl meist einsame Aufführung. „Es geht nicht um Unterhaltung, man wird es nicht im Radio hören, es wird nicht im Internet sein, um es zu hören, muss man selbst dabei sein."

Drummond erweist sich als ernsthafter und sehr ungewöhnlicher Künstler mit radikaler Verweigerung jeglicher Verwertung. Er schmeißt das Ausstellungsplakat zu „The 17" in eine Pfütze irgendwo neben einer Straße und vernichtet das Musik-Werk nach einmaliger Aufführung. Im Rahmen seiner Aktions-Reihe „Score" bildet er eine Menschenkette im Herzen Berlins, die auf Rufweite miteinander verbunden ist. Zwar zeugen einige Plakate und Fotos der einmaligen Events davon, dass die Verweigerung der Aufzeichnung doch nicht ganz durchgezogen wird, aber das interessante Porträt mit einem netten Mitmach-Finale fürs Kino lädt zum Hören und Nachdenken ein.

18.10.15

The Walk

USA 2015 Regie: Robert Zemeckis mit Joseph Gordon-Levitt, Ben Kingsley, Charlotte Le Bon, James Badge Dale 123 Min. FSK: ab 6

Man sagt, gute Schauspieler könnten auch Telefonbücher spannend interpretieren. Beim Film wäre Robert Zemeckis ein Regisseur, dem Entsprechendes zuzutrauen ist. „The Walk" zeigt sehr schön, was Zemeckis alles drauf hat. Aber auch, dass ein Telefonbuch ein Telefonbuch bleibt. Der Balance-Akt von Philippe Petit in 417 Metern Höhe zwischen den Türmen des World Trade Center aus dem Jahre 1974 ist so spannend wie eine schlaffe Wäscheleine.

Der große Traum von Philippe Petit (Joseph Gordon-Levitt) beginnt 1973 in Paris, was er selbst immer wieder in die Kamera berichtet: Der kleine anarchische Akrobat will den glorreichsten Hochseiltakt der Geschichte vollbringen. Dazu geht er zuerst beim Akrobaten-Patriarchen Papa Rudy in die Lehre - Ben Kingsley gibt dem Film früh die besten Schauspielmomente. Nach einem ersten Stunt zwischen den Türmen von Notre Dame zieht die Handlung nach New York, wo das World Trade Center mit seinen Zwillingstürmen gerade vor der Fertigstellung steht. Mit einem nicht ganz idealen Team aus eigenwilligen Typen und seiner Freundin Annie (Charlotte Le Bon) starten Vorbereitungen wie für einen klassischen Raubzug.

Regie-Legende Robert Zemeckis („Cast Away – Verschollen", „Zurück in die Zukunft") muss hier einige Register aus der Filmtrick-Kiste ziehen, um den bekannten Ausgang zu dramatisieren. Da haut ein bekiffter Helfer früh ab, als er versteht, dass die Aktion nicht ganz gesetzesgemäß ist. Ein anderer muss ausgerechnet mit Höhenangst lange über einem tiefen Aufzugschacht hocken. Und ein Nachtwächter macht sein Nickerchen direkt neben dem Base-Camp auf der vorletzten Etage. Doch dank der nervigen Rahmen-Einblendungen war jedem jederzeit klar, dass Petit diese Geschichte überlebt hat. Selbst falls man nicht einen der verräterischen Trailer gesehen oder die Vorlage gelesen hat. „The Walk" basiert auf Philippe Petits Buch „To Reach the Clouds". Regisseur James Marsh erzählte die Geschichte bereits im Dokumentarfilm „Man on Wire – Der Drahtseilakt".

Joseph Gordon-Levitt ist an sich ein exzellenter Schauspieler, was man in „Don Jon", „Premium Rush" oder „Inception" sehen konnte, aber hier nicht. Das liegt auch am bescheuerten französischen Akzent, der gleich mehreren Leuten auferlegt wird. Auch bei Kamera (Dariusz Wolski) und Musik (Alan Silvestri) sparte man nicht. Der Film ist über lange Strecken wegen der 3D-Technik aber sehr dunkel, die paar Schau-Effekte, die dies einbringt, sind keineswegs schwindelerregend. Diese Geschichte hat sehr wenig Substanz für einen Film, zudem keinen doppelten Boden oder tiefere Bedeutung.

Dass „The Walk" trotz eigentlich atemberaubender Aussichten und guter Besetzung nie richtig packt, liegt vielleicht auch daran, das heute fast täglich sensationelle Stunts vollbracht werden - von Brauseherstellern gesponsert und von zahllosen Kameras aufgenommen. So bleibt nur im historischen Dekor viel Sentimentalität, die für das Kunststück von Petit nicht funktioniert und für das World Trade Center einen großen erzählerischen Umweg nimmt. Denn das letzte Bild ist den Zwillingstürmen gewidmet, die seit den Anschlägen im Jahr 2001 nicht mehr die Silhouette New Yorks prägen.

13.10.15

Hockney

Großbritannien, USA 2014 Regie: Randall Wright 113 Min.

„Interested in ways of looking" - so lautet treffend eine der vielen Beschreibungen von Freunden und Weggefährten des 1937 in England geborenen Malers David Hockney: „An der Art des Sehens interessiert". Die BBC-Dokumentation blickt ebenso auf das Werk wie auf die Figur Hockney, geschaffen mit vielen Akten der Selbstdarstellung. Mit blondierten Haaren und einer dicken schwarzen Brille sieht man ihn nach dem Umzug in die USA auf dem reichhaltigen Originalmaterial immer wieder. Seine Beteiligung an der Popart, seine „joiners" genannten Fotocollagen erscheinen in der interessanten Doku allerdings manchmal wie eine Randnotiz.

Picknick mit Bären

USA 2015 (A walk in the woods) Regie: Ken Kwapis mit Robert Redford, Nick Nolte, Emma Thompson 104 Min. FSK: ab 0

Auch Robert Redford „ist dann mal weg". In der Rolle des angesehenen Reisejournalisten Bill Bryson läuft er vor dem Alter, der wachsenden Menschenfeindlichkeit und dem eigenen Glück davon. Direkt hinter seinem Haus führt ein Wanderweg vorbei, der über 2000 Meilen lange Appalachian Trail. Eine verrückte Idee, finden alle, und nur Stephen Katz (Nick Nolte), Freund aus wilden Jugendtagen, ist bescheuert genug, Bill zu begleiten.

Der Weg ist der Film - mit unausweichlichen Landschaftsaufnahmen, ein paar verwechselbare Pop-Liedchen, den Bären des Titels und einer kleinen Notlage. Irgendwann kommen die großen Fragen auf: Weshalb bürdet ein Mann, der doch alles hat, sich solche Abenteuer auf? Und schließlich: „Bist du glücklich?"

Nick Nolte spielt diesen grandios heruntergekommenen Kerl mit künstlichem Knie, der nach verseuchten Amphetaminen nun jede Stunde etwas essen muss und kaum den ersten Hügel hoch kommt. Es ist präsenter, aber vor allem lauter als Redford, der im Gegensatz zu „All is lost", seinem Solotrip auf einem Segelschiff, nicht sein ganzes Können zeigt. Dieses „Picknick mit Bären" - nach Bill Brysons gleichnamigem Buch - ist wesentlich undramatischer und weniger lebendig als der Titel vermuten lässt. Recht beschaulich geht es voran, ein paar Tage und Film-Szenen später möchte man die weinerlichen alten Männer so hinter sich lassen, wie sie eine mitwandernde rechthaberische Nervensäge einst abgehängt haben.

12.10.15

Hotel Transsilvanien 2

USA 2015 (Hotel Transylvania 2) Regie: Genndy Tartakovsky 89 Min.

Einst verirrte sich ein junger amerikanischer Rucksackreisender beim Karpaten-Urlaub in ein Vampirschloss. Statt dem üblichen blutleeren Touristen-Aussaugen verliebte er sich in die Tochter des Hauses und es ereignete sich ein grandioser Zeichentrickspaß mit einem Überschuss an Ideen. Der reicht nicht ganz für diesen Nachfolger aus.

Die Hochzeit von Vampirmädchen Mavis und Angsthase Johnny wird mit schreiender Torte sowie Tanz an der Decke schnell und witzig abgehandelt. Die Schwangerschaft noch rascher angekündigt und dann steht die große Frage im Schlosszimmer, was es werden wird: Mensch oder Vampir? Da letzterer erst mit fünf Jahren seine Beißzähne bekommt, wächst Dennis derweil mit kleinen hyperaktiven Werwölfen auf und Monster-Kinder, die Yoga auf der Streckbank spielen. Doch die unterschiedlichen Ansichten von Erziehung bei Opa und Mama eskalieren. Wobei Schwiegerpapa fast zum DeNiro wird, als die junge Familie wegziehen will, weil es woanders sicherer sei als im Monster-Hotel.

Während die Eltern eine Auszeit nehmen, geht Opa heimlich mit dem Kleinen auf Schreckenstour. Doch weder der domestizierte Werwolf noch die verstaubte Mumie können sich zu ihrer alten Form aufschwingen. Und auch das Ferienlager für Vampire ist aus versicherungstechnischen Gründen eher eine wattierte Sicherheitszone. Hier ist alles zu niedlich, wie letztlich auch dieser zweite Teil vom Monster-Spaß mit einem Schwiegervater, der verzweifelt wirkliche monströse Momente sucht. Erst in der letzten Viertelstunde bekommt die Handlung noch etwas Schwung, als mit dem Urgroßvater ein echter Vampir auftritt. Ein echter Charakter mit Bela Lugosi-Touch.

Nach dem Motto „Biss zum Ablachen" startet „Hotel Transsilvanien 2" mit hoher Frequenz verrückter Ideen. Da läuft Bluetooth tatsächlich als blauer Zahn herum und das kubistische Gemälde hat da eine kubistische Figur als Vorlage. Doch so krampfig wie die menschlichen Schwiegereltern ist auch im angeklebten Action-Finale die aufgesetzte Moral: „Normal" zu sein, ist nicht wirklich wichtig. Als Plädoyer für Toleranz mäßig überzeugend, als Nachfolger mächtig enttäuschend.

11.10.15

Black Mass

USA 2015 Regie: Scott Cooper mit Johnny Depp, Joel Edgerton, Benedict Cumberbatch 123 Min. FSK: ab 16

Das darf doch nicht wahr sein ... wie hier eine „wahre Geschichte" über den angeblich legendären Gangster James „Whitey" Bulger unter Mitarbeit von Johnny Depp zum undramatischen Langeweiler verfilmt wurde. Ein echtes Verbrechen - am Publikum!

Es beginnt wie ein guter Gangster-Film, etwa wie „Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia" 1975 mit einem Geständnis. Doch nur von einer Nebenfigur, der viele andere Nebenfiguren auf dem Zeugenstuhl folgen. Alle erzählen die Geschichte von „Jimmy" (Johnny Depp), einem irischen Gangster mit Halbglatze, dem Liebling im Bostoner Armenviertel, der sein Stück vom Territorium der italienischen Mafia haben will. Da kommt ihm John Connolly (Joel Edgerton) gerade recht, ein Emporkömmling beim FBI, der sein Netzwerk alter Freunde von der Straße ausnutzen will. Das Team aus Bulle und Gangster wird ergänzt von Jimmys Bruder, dem Senator Billy Bulger (Benedict Cumberbatch).

Wie erwartet, wird fleißig neurotisch ausgerastet und gnadenlos gemordet. Dabei macht Jimmy auch nicht vor Freunden und Geliebten halt, was ihm eine Menge Verräter einbringt. Doch so uninteressant Johnny Depp mit Halbglatze wirkt, so wenig kann seine Figur packen.

Regisseur Scott Cooper („Auge um Auge", „Crazy Heart") erzählt langsam und holprig. Die Figuren, die Familie, die Beziehungen - alles aufgereiht wie beim großen Film, doch leblos wie eine unausgearbeitete Skizze. Da hilft dann auch die hochkarätige Besetzung nicht mehr. Benedict Cumberbatch hält sich fein raus, Kevin Bacon als FBI Chef blickt nur kurz rein. Klar, hier soll der Fokus auf einem Psychoten liegen, der nach dem Tod seines Sohnes und dem ungestörten Aufstieg in Boston noch wahnsinniger handelt. Aber weder Handlung noch Innensicht können überzeugen. Die Kamera verliert ihre Figuren oft im diffusen Hintergrund, die Musik dröhnt bedrohlich, ohne dass jemand dies Versprechen einlöst. Nicht erst beim undramatischen Finale, als James Bulger nach 16 Jahren auf der Flucht am 22. Juni 2011 im Alter von 81 Jahren verhaftet wurde, wundert man sich: Wie kann man so was bei so vielen guten Vorbildern so uninteressant machen?

American Ultra

USA, Schweiz 2015 Regie: Nima Nourizadeh mit Jesse Eisenberg (Mike Howell), Kristen Stewart 96 Min. FSK: ab 16

„American Ultra" dreht sich wieder um einen dieser unwahrscheinlichen Geheimagenten, von denen es mittlerweile so viele gibt, dass man sich freut, wenn Bond einfach Bond ist. Dass der Kiffer und „Slacker" mit eingebauter Reisephobie Mike Howell (Jesse Eisenberg) allerdings aus dem Stand zwei Angreifer mit einem Teelöffel ermordet, ist nicht nur ein ehrenvoller Verweis auf den Kult-Kurzfilm „The Horribly Slow Murderer with the Extremely Inefficient Weapon", es ist auch tatsächlich eine Überraschung.

Selten passte der Begriff „Schläfer" besser als bei diesem dauerbekifften Mike, der nicht nur seinen Auftrag, sondern gleich sein ganzes Leben verpennt. Dass er nicht aus seinem Heimatkaff raus kann, liegt ebenfalls an der geheimen Programmierung. Eine Verwandtschaft zur Thematik der „Truman Show" wäre zu weit gedacht für diesen spaßigen Action-Film mit unerwarteter Besetzung.

Das frustriert zwar seine etwas fittere Kiffer-Freundin Phoebe Larson (Kristen Stewart), doch sie muss Mike wirklich lieben, da sie selbst im Kugelhagel nicht von seiner Seite weicht. Und vielleicht auch die sehr verrückte Ideen und Geschichten, die sich Mike für seine Comics ausdenkt. Das Drehbuch (Buch: Max Landis, „Chronicle") selbst ist weniger originell, wenn es nun eine ganze Armee von Geheimagenten rankarrt, um den erweckten „Hitman" Mike nun endgültig auszuknipsen. Dafür läuft parallel und mühsam die Hintergrund-Story um eine Geheimdienst-Verschwörung, die ungekehrt proportional überhaupt nicht originell ist.

Aber mit zunehmender Lauflänge passt sich auch die Handlung um Jesse Eisenberg und Kristen Stewart diesem Einerlei an: Die Action sollte in der nur etwas abgedroschenen Idee eines Finales im Supermarkt kulminieren, in dem Mike eine reiche Auswahl an ungewöhnlichen Mordinstrumenten hat. Doch so etwas wie der Todesschuss über Eck und eine fliegende Bratpfanne ist bereits ausverkauft. Es dauert letztlich nur eine kurze Weile, dann greift Mike ziemlich banal zu Beil und Hammer.

So bleibt das Staunen über die Besetzung „gegen den Strich": Vampir-Bella Kristen Stewart zeigt sich nach ausgesprochenen Arthouse-Filmen wie „Die Wolken von Sils Maria" an der Seite von Juliette Binoche nun ganz schön fit im Killen und Entkommen. Vor allem beweist sie erneut, dass sie tatsächlich spielen kann. Jesse Eisenberg wechselt nach der genialen Öko-Terroristen-Einlage „Night Moves" auf die Seite der Gesetzeshüter und zur einfachen Unterhaltung. Das Ergebnis ist ein actionreicher Film von Nima Nourizadeh („Projekt X"), der das raffinierte Action-Spiel weniger liebt als alte Meister wie John Badham („Ein Vogel auf dem Drahtseil", „Gegen die Zeit"), Renny Harlin („Stirb langsam 2", „Tödliche Weihnachten") oder John Landis, der Vater vom Drehbuchautor Max Landis. „Die Glücksritter" (1983), „American Werewolf" (1981), „Blues Brothers" (1980) waren eine ganz andere (Unterhaltungs-) Klasse.

The Tribe

Ukraine, Niederlande 2014 (Plemya) Regie: Miroslav Slaboshpitsky mit Grigoriy Fesenko, Yana Novikova, Rosa Babiy 132 Min. FSK ab 16

Der Debütfilm des ukrainischen Regisseurs Miroslav Slaboshpitsky ist inhaltlich schockierend und stilistisch meisterhaft: In einem Internat für Taubstumme wird der Neuzugang Sergej schnell in die kriminelle Gang aufgenommen, die alles kontrolliert und auch Mitschülerinnen prostituiert.

Aus der Ferne registriert die Kamera eine schwierige Wegbeschreibung an einer befahrenen Straße mit ausgeschlachtetem Auto hinter einer Bushaltestelle. Genauso so heruntergekommen sieht die Schule aus, auf welcher der suchende Junge mit Rucksack und Koffer landet. Sergej (Grigoriy Fesenko) ist ein Neuzugang im Internat für Taubstumme, um den man keine Angst zu haben braucht. So wie er sich im brutalen Schulhofkampf gegen drei andere durchsetzt, verdient er sich direkt Respekt und wird direkt in eine geschmiert laufende Verbrecher-Organisation aufgenommen: Schmuggel, Diebstahl in den regionalen Zügen und auch Prostitution stehen hier auf dem Stundenplan. Dabei ähneln die kargen Räume eher Gefängniszellen als Internats-Zimmern. Trotz der Anzüge der Schüler eine raue Umgebung, in der das Lehrpersonal kaum zu sehen ist.

Das ist in der nüchternen Darstellung packend befremdlich, bis die Schraube von Härte und Gewalt das erste Mal anzieht. Schockierend, wie locker und selbstverständlich sich zwei Mädchen umziehen, um auf einem LKW-Parkplatz auf den Strich zu gehen. Dann prügeln die Jungs jemanden fast tot, um an dessen Einkaufstüten zu kommen und danach auf einem nächtlich verlassenen Kinderspielplatz zu saufen. Sergej betätigt sich bald auch als Zuhälter. Mit dem Problem, dass er sich in eines der Mädchen verliebt. Die Situation eskaliert, als die Mädchen nach Italien vermittelt werden sollen...

„The Tribe" ist inhaltlich und formal ein sensationeller Film. Nicht nur „Uhrwerk Orange" ohne reine Farben oder Chance auf Besserung. Nicht nur vergleichbar mit großen Werken von Haneke und Kieslowski. Das harte Jugend-Drama verläuft komplett in ukrainischer Zeichensprache, ohne Voice Over, ohne Untertitel. Was erstaunlicherweise keine Behinderung ist, es steigert die schon äußerst gespannte Aufmerksamkeit und schärft die Konzentration auf exquisite Filmkunst. Das Schweigen verstärkt zudem die Körperlichkeit der jungen Protagonisten, die unheimlich präsent von gehörlosen Laien gespielt wurden.

Immer wieder wechseln sich fast starre Einstellungen mit intensiven Steady Cam-Szenen ab. Dabei entstehen atemberaubende handwerkliche Leckerbissen. Nie jedoch ist der Stil ein Selbstzweck, er verbindet sich mit der selbstverständlichen Brutalität, der unmenschlichen, sinnlosen Härte im Osten Europas, bei der einem oft die Sprache wegbleibt. Die Abtreibung einer der prostituierten Schülerinnen bei einer Engelmacherin wird quälend in kompletter Länge gezeigt. Und auch das Finale werden viele als unerträglich hart beschreiben. Da drängt sich wieder der Vergleich zu Hanekes „Funny Games" auf. Dazu herrscht eine schmutzige, herbstliche Farbgebung vor, die zusätzlich zur Kälte vom frühen Haneke an Kieslowski erinnert. Alles in allem eine packende und souveräne Bildästhetik einer heftigen, aber glaubhaft inszenierten Geschichte. Ein Spielfilm-Debüt, das begeistern muss. „The Tribe" erhielt 2014 drei Auszeichnungen der Semaine de la Critique in Cannes und den Europäischen Filmpreis als „Europäische Entdeckung 2014".

7.10.15

Pan (2015)

USA 2015 Regie: Joe Wright mit Hugh Jackman, Garrett Hedlund, Rooney Mara 110 Min.

Die Besetzung mit Regisseur Joe Wright macht aus „Pan", der nächsten Verfilmung der Peter Pan-Geschichten von J.M. Barrie, ein aufwändig kriegerisches Spektakel, das an seine „Abbitte" erinnert. Vor allem ist es ein „Prequel" über die Ursprünge der beliebten Figuren, über Peters ersten Besuch in Neverland: Der 12-jährige (Levi Miller) lebt in einem trostlosen Londoner Waisenhaus, wo nächtens Kinder von einem fliegenden Piratenschiff entführt werden. Was Peter und die Kinder im Kino erleben, ist dabei mehr Alptraum als Piratenüberfall. Das fliegende Schiff wird - wir sind im 2. Weltkrieg - von der Luftabwehr mit deutscher Luftwaffe verwechselt, was in ziemlich erwachsener Action ausartet. Mit als Höhepunkt: Schwerelosigkeit im All. Das ist wirklich fantastisch, wenn auch längst nicht mehr poetisch. Überhaupt ist dieser düstere Peter Pan mit Kriegs-Kostümen und -Farben eher verwandt mit Oliver Twist. Das Motto von Kapitän Blackbeard (Hugh Jackman) lautet: Kind sein, ist ziemlich beängstigend.

Die Kleinen im Kinderbergwerk singen zur Ankunft Peters im Neverland Nirwanas „Nevermind". Als Entertainer und Ausbeuter betreibt Blackbeard auf der Suche nach Pixie-Staub Landraub im Stile der Regenwald-Vernichtung oder des Braunkohle-Abbaus. Und dann hebt Peter Pan als eine dieser Messias-Figuren ab, die wegen einer Prophezeiung um ihr Leben fürchten müssen.

Nach dem tatsächlich originellen Buch von Jason Fuchs inszeniert Joe Wright große futuristische Szenerien mit fliegenden Piraten einem Sky-Dock, einer bunten Urwald-Kirmes, die einem wie die 3D-Kugeln um die Ohren fliegen. Aber sobald das Spektakel Pause macht, stürzt die Geschichte mangels schauspielerischer Höhenflüge ab. Nur Hugh Jackman sticht als Pirat heraus.

Für einen Kinderfilm sind ziemlich viele Tote zu vermelden, wenn auch nur in Form bunter Farbwolken. In Sachen Filmtechnik jedoch auch ein atemberaubendes 3D. Ja, die Tricktechniker schufen hier einen der eindrucksvollsten Film-Räume seit der breiten Wiedereinführung dieser Technik. Es ist nicht mehr der Pixie-Staub, der abheben lässt, heute ist es eindeutig Pixel-Zauber.

6.10.15

Wochenenden in der Normandie

Frankreich 2015 (Week-Ends) Regie: Anne Villacèque mit Karin Viard, Noémie Lvovsky, Jacques Gamblin, Ulrich Tukur, Aurélia Petit 90 Min.

Diese „Wochenenden" zeigen episodisch das Leben zweier Familien, die zwei Ferien-Häuser gegenüber besitzen. Nachdem ihr Mann Jean (Jacques Gamblin) sie mitten in der Nacht verlässt, ist Christine (Karin Viard) noch im nächsten Winter völlig durch den Wind. Die Hysterie steigert sich, weil Jean auch mit seiner neuen Freundin Pascale (Aurélia Petit) die Wochenenden im einst gemeinsam gekauften Haus nutzt. Derweil führen Sylvette (Noémie Lvovsky) und Ulrich (Ulrich Tukur) eine konstant langweile Beziehung, wenn auch die emotionale Ausbrüche Christines selbst die gesetzte Nachbarin erschüttern.

Die „Wochenenden in der Normandie" sind vielsagende Begegnungen, die ein ganzes Leben, zumindest einen großen Teil, wiedergeben wollen. Es sind die Echos großer Dramen, die Zusammenfassungen schleichender Veränderungen. Sie zeigen eine manchmal reizende, aber insgesamt eher schwerfällige Entwicklung. Wenn man auch auf die Gesellschaftskomödien von Eric Rohmer verweisen kann, fehlt hier die Leichtigkeit. Trotz der Besetzung mit der großartigen Komödiantin und Regisseurin Noémie Lvovsky, der immer wieder fantastischen Karin Viard, die diesmal mit herrlich stummen Wutanfällen bei der Trennung ein kleines Meisterwerk für sich hinlegt. Jacques Gamblin braucht nicht viel zu tun, Tukur fällt als deutscher Gast deutlich ab, darf aber am Ende ein Liedchen singen.

5.10.15

The Program

Großbritannien, Frankreich 2015 Regie: Stephen Frears mit Ben Foster, Lee Pace, Chris O'Dowd, Guillaume Canet, Dustin Hoffman 103 Min. FSK: ab 0

Wenn Sie bei Armstrong nicht an Mond oder Trompete denken, dann könnte der neue Film von Stephen Frears was für Sie sein. Wenn Sie allerdings auch Stephen Frears kennen, werden Sie enttäuscht sein. Denn der exzellente Regisseur, der seit „Mein wunderbarer Waschsalon" im Jahr 1985 mehr als sieben großartige Erfolge landete, filmt dem großen Tour de France-Gewinner Lance Armstrong eher unmotivert hinterher.

„The Program" will den Aufstieg und Fall eines Helden zeigen: Der junge Weltmeister Lance Armstrong (Ben Foster) aus den USA, der in Europa von seinem späterem Trainer Johan Bruyneel (Denis Menochet) und dem Arzt Michele Ferrari (Guillaume Canet) als zu muskulös für einen Tour-Sieger eingeschätzt wird. Der Patient mit Hodenkrebs und Metastasen im Hirn, die operativ entfernt werden. Der Weg vom Todeskandidaten zum Toursieger. Der ganz andere Erfolg seiner Livestrong-Stiftung gegen den Krebs, zu der sich Millionen mit gelben Armbändern solidarisch zeigten.

Der unbedingte Wille zum Sieg und auch zum geschäftlichen Erfolg mit geschickten Sponsoren-Verträgen verändert und verbittert Armstrong im Laufe des Films sichtlich. Enttäuschte Wegbegleiter gibt es bei sensationellen und unvergleichlichen sieben Tour-Siegen viele: Der Teamkollege und spätere Toursieger Floyd Landis, der erwischt wurde. Oder Betsy Andreu, die Frau des Kapitäns von Armstrongs Team US-Postal. Und dann ist da der persönliche Hexenjäger Armstrongs, der britische Sport-Journalist David Walsh, auf dessen Buch „Seven Deadly Sins: My Pursuit of Lance Armstrong" der Film basiert. Letztlich wird der einzigartig erfolgreiche Radsportler, der nie des Dopings überführt wurde, in einer weinerlichen TV-Show bei Ophra Winfrey gestehen und mit einigen Millionen büßen.

Im Film erfahren wir viele Details vom Doping-„Program", etwa wie die Spritzen ein Jahr nach dem skandalösen Festina-Ausschluss aus der Tour heimlich herbeigeschafft und in Getränkedosen entsorgt wurden. Das alles mit Hunderten nachgestellter Team-Räder wunderbar retro inszeniert und durchaus geschickt mit den originalen TV-Aufnahmen verschnitten. Doch hier hat selbst eine millionenschwere Filmproduktion keine Chance gegen die uneinholbar brillanten, atemberaubenden und mit Motorrad- wie Helikopterkameras aufwändigen TV-Aufnahmen von Radrennen. Die Dramatisierung des Teamsports Radrennen mit den Helden-Schemata von Hollywood gelingt ebenfalls nicht: Kaum sind die Epo-Spritzen gesetzt, dröhnt ein Punk-Song auf der Tonspur und Armstrong fährt auf einer Bergetappe mühelos allen davon. Dass er vorher jahrelang bei jedem Wetter unvorstellbar hart trainiert hat, dass so eine Etappe gerne mal sechs Stunden dauert, dass fast alle anderen auch auf Epo fahren, passt nicht in die Logik des Films.

Statt des Dramas eines gestürzten Helden wird hier eher eine Fachdiskussion simplifiziert übersetzt, was letztlich den Journalisten Walsh zum Verantwortlichen dieser - für nicht fachlich interessierte - langweiligen Sport-Biografie macht. Aber mag Ben Foster auch als Imitator von Armstrongs Gestik und Mimik durchgehen, die Hauptrolle eines Psychodramas trägt er nicht. Das Drehbuch gibt ihm kein Leben neben dem Sport. Vielleicht realistisch, aber tödlich für eine Filmfigur. Das kann man beobachten, aber nicht nach- oder mitfühlen. So haben die Darsteller von Johan Bruyneel, Denis Menochet, und Michele Ferrari, Guillaume Canet, mehr Charisma. Unter diesen Bedingungen bleibt dem Können eines Stephen Frears wenig Spielraum.

Landraub

Österreich 2015 Regie: Kurt Langbein 91 Min. FSK: ab 0

Circa 500.000 Menschen seien in Kambodscha von Landkonflikten betroffen oder bereits vertrieben worden. Die Regierung hat 65 Prozent der gesamten Anbaufläche Kambodschas an Konzerne vergeben. Unglaubliche Zahlen und Schicksale sammelt Kurt Langbein in seiner „Landraub"-Dokumentation aus Kambodscha, Indonesien, Äthiopien, Sierra Leone und Rumänien. Da vertreibt der Zucker-Konzern eines Senators die einstigen Bauern aus ihren Hütten, die direkt niedergebrannt werden. Und erst ein EU-Programm gründete diese vorher nicht existente Zuckerindustrie. Ausländische Konzerne kaufen großflächig Land in Rumänien und bekommen anscheinend einen Großteil der EU-Förderung. Kleine Bauern erhalten so gut wie nichts, dadurch werden alte Strukturen zerstört. Landwirtschaft als Kapitalanlage hat viele Gesichter: Palmöl in Indonesien, Zuckerrohr in Sierra Leone. Oder der obszöne Reichtum in Dubai mit Gold auf der Vorspeise und Tomaten von darbenden afrikanischen Pflückern eines holländischen Farmers.

Das ist Futter für die schon Überzeugten und Informierten, eine Bebilderung der Ansicht, dass die Welt ist schlecht und ungerecht ist. Oft, wie beim angeblich unvorteilhaften Energieverbrauch der Großfarmen bleiben Behauptungen nur Behauptungen ohne Gegenstimmen. Auch wenn Firmenvertreter brav die Vorteile und Vorsichten ihrer Konzerne vortragen. Das Gezeigte ist interessant, aber filmisch nicht herausragend, denn immer müssen Texteinblendungen nachhelfen. So ist ein mit Kamera bewaffneter buddhistischer Mönch symptomatisch: So präsentiert bleibt der Kampf gegen Landraub eine Glaubenssache.

Der Marsianer

USA 2015 (The Martian) Regie: Ridley Scott mit Matt Damon, Jessica Chastain, Kate Mara, Michael Peña, Jeff Daniels 141 Min.

Huston, wir haben ein Problem! Ein Zeitproblem. Nicht nur die enorme Distanz zum Mars macht dem gestrandeten Mars-Männchen Matt Damon als „The Martian" Probleme. Irgendwo auf der langen Strecke seit „Alien" (1979) und „Prometheus" (2012) ging Ridley Scott das Timing für Science Fiction verloren: Überlanger Aufenthalt ohne echten Mars-Geschmack sowie Spannung nur ganz am Schluss. Das wird die Massen nicht mobil machen.

Ausgerechnet eine Sat-Schüssel haut Mark Watney im heftigen Mars-Sturm von den Beinen, sodass er für tot erachtet und bei der Not-Evakuation zurückgelassen wird. Denn neben einem Nahrungsproblem plagt den nun einzigen Mars-Bewohner die mühsame Verständigung mit der NASA-Basis in Huston: Das Funksignal braucht circa eine halbe Stunde für einen Weg, die Astronauten müssen über ein Jahr reisen. Eine Rettungs-Mission würde also eine Weile auf sich warten lassen, wenn überhaupt jemand mitbekäme, dass Mark noch lebt. Also baut der Botaniker auf Mars-Sand und den Fäkalien der Astronauten erst einmal Kartoffeln für die nächsten vier Jahre an. Was erstaunlich einfach und undramatisch gelingt. Wie alles in diesem Film, der es nie schafft, die außerirdische Situation dieses galaktisch Gestrandeten zu vermitteln, der einen in den Weiten des Alls ziemlich kalt lässt.

Wie schwer muss es sein, mit einer Bauchwunde in den Raumanzug zu steigen, durch die Luftschleuse, raus in die Sonne zu gehen? Ist es Arbeit, zahllose Kisten mit Erde voll zu schaufeln, sie auf eine Karre zu hieven, in die Station zu transportieren? In diesem Film gelingt das in wenigen Schnitten und ohne Schweiß. Zwischendurch fährt Mark auf dem Mars spazieren, führt ein launiges Video-Tagebuch und schaut auf den Horizont, der auch mit 3D nicht wahnsinnig eindrucksvoll rüber kommt. Nein, der Mark vom Mars ist kein Knaller. Nicht packend und dramatisch wie Tom Hanks im Jahr 2000 als altmodischer Paketbote in „Cast Away - Verschollen" von Robert Zemeckis, selbst wenn dem humorvollen Mark nach über einem Jahr auch so ein Piratenbart wächst. Und auch nicht witzig wie Mork vom Ork, was zwischendurch immer mal probiert wird.

Das liegt nicht nur an Langeweiler Matt Damon, der aus dem Druckkammer-Spiel wenig rausholt. Es ist auch das Unvermögen von Buch, Inszenierung und Schnitt, die im wahrsten Sinne „atemberaubende" Situation und Isolation spürbar zu machen. Alle klappt locker flockig und schnell. Ob das zum demonstrativ verbreiteten neuen Pioniergeist dieser Film-NASA passt, mit dem plötzlich alles möglich ist? Auf jeden Fall verließen sich die Produzenten zu sehr auf die Schauwerte Mars und Matt, feilten zu wenig an einer anständigen Geschichte, einer interessanten Figur und an gutem Rhythmus.

Der Film stellt zwar die entscheidenden Fragen: Was macht das mit einem Menschen? Was denkt er? Die Antworten sind jedoch banal: Mark sucht die richtige Musik nach der Dusche, weil er seinen MP3-Player wohl auf der Erde vergessen hat. Was zu „Hot Stuff" von Donna Summer führt, wenn Mark den Mars Rover mit einem kleinen Plutoniumreaktor in der Fahrerkabine pimpt. Und wenigstens zum unerlässlichen, zum optimistischen „Star Man" von David Bowie. Zum Glück sorgt nach zwei Stunden Abhängen auf dem Mars die übliche Kavallerie - diesmal aus China - wenigstens im Finale für Spannung. Ein schlechtes Verhältnis von Produktions-Aufwand und Kino-Ergebnis, auch wenn man sich überlegt, wie viel Menschen man mit all diesem Raumfahrt-Geld auf der Erde hätte retten können...

Gluckauf für Film aus Limburg

Utrecht. Die Gala des niederländischen Films wurde Freitagabend wie erwartet zu einem Limburger Filmfest. „Gluckauf", das in Limburg spielende, düstere Vater-Sohn-Drama vom Heerlener Regisseur Rémy van Heugten erhielt gleich vier mal das „Goldene Kalb": Für Bester Film, Regie, Drehbuch und Kamera. Zudem gab es wichtige Preise für weitere Filme und Künstler aus der niederländischen Provinz.

„Es wird etwas dauern, bis ganz Holland limburgisch redet ..." So heißt es in der inoffiziellen Hymne der südlichsten niederländischen Provinz von Rowwen Hèze. Zuerst scheint das Land limburgisch Film sehen zu wollen. „Gluckauf", der in starkem Dialekt abläuft, war mit 10 Nominierungen schon im Vorfeld großer Favorit, insgesamt waren Limburger mit einem Drittel der Nominierungen dabei. Am Ende eines Abends, auf dem auf der Bühne neben Hollywood-Größen wie Anton Corbijn und Kameramann Theo van de Sande („Homefront", „Blade") auch der Limburger Platt eine Rolle spielte, bekam der Heerlener Rémy van Heugten ein Goldenes Kalb für die Beste Regie. Weitere Hauptpreise gingen an seine Produzenten für den Besten Film, an Gustaaf Peek für das Drehbuch und an Mark van Aller für die Kamera. Jorrit Kleijnen, der junge Komponist aus Kerkrade, ging leer aus. Erstmals haben ähnlich wie beim Oscar die Fachleute der „Dutch Academy for Film" entschieden.

Zudem wurde die Maastrichter Schauspielerin Hadewych Minis als Beste Nebendarstellerin ausgezeichnet. Sie spielt in „Bloed, Zweet & Tranen" die Frau des Volkssängers André Hazes. Der auch in Limburg aufgenommene „De Surprise" vom Sittarder Oscar-Sieger Mike van Diem („Karakter", 1997) wurde mit zwei Hauptpreisen geehrt. Überhaupt befindet sich Film aus Limburg stark im Aufwind. Ganz aktuell sind mehrere Produktionen der Nachbarn auf internationalen Festivals am Start, wie das Netzwerk „Cinesud" stolz verkündet. Als kommerzielle Fußnote des Erfolges lief Freitag parallel zur Preisverleihung im Fernsehen die 100. Folge der beliebtesten Krimi-Serie des Landes "Flikken Maastricht", quasi der Tatort Limburgs. Angesichts dieser erstaunlichen Übermacht der Süd-Provinz fand man die Erklärung, dass die Katholiken in Limburg mit ihrem traditionellen Bezug zu Bildern und Ikonen eher für den Film geeignet sind als die calvinistischen „Holländer".

Huldigung der Bergleute
Der Kumpelfilm „Gluckauf" siegt nun ausgerechnet im offiziellen Jahr der Zechen. Das Film-Team huldigte den Bergarbeitern mit einem „Kumpel-Anstecker" am Revers auf dem roten Teppich und man widmete die Preise den „film koempels". In seiner Dankesrede beschrieb Produzent Piet-Harm Sterk „Gluckauf" als einen Film über Unbekannte „in einem wilden Stück Niederlande" und dankte der „Schönheit und Hässlichkeit von Limburg".