13.9.15

Der Sohn der Anderen

Frankreich 2012 (Le fils de l'autre) Regie: Lorraine Lévy mit Emmanuelle Devos, Pascal Elbé, Jules Sitruk, Khalifa Natour 105 Min. FSK: ab 6

Einmal stehen sie vor dem Spiegel und der Palästinenser Yacine sagt zum Israeli: „Wir sind wie Isaak und Ismael, die Söhne von Abraham". Dass zwei Vertreter der abrahamitischen Religionen erst durch den Topos des vertauschten Babys dazu kommen, die andere, verhasste Seite besser zu verstehen, fing ja schon irgendwie mit Moses an. Nun sind die Machtverhältnisse umgekehrt, aber der Seitenwechsel funktioniert auch in der netten, weil französisch betrachteten Nahost-Geschichte „Der Sohn der Anderen".

Bei unfassbar viel vergossenem Blut ist es eher unbeabsichtigte Ironie, dass ausgerechnet ein Bluttest bei der Tauglichkeits-Prüfung zum israelischen Militärdienst ans Tageslicht bringt, dass Joseph Silberg eigentlich Sohn einer palästinensischen Familie aus dem Westjordanland ist. Zwei Babys wurden direkt nach Geburt vertauscht. Ein ziemlicher Schock vor allem für den Vater Alon (Pascal Elbé), einem angesehenen Militär. Aber auch für die Familie Al Bezaaz, die es ihrem Sohn Yacine (Mehdi Dehbi) gar nicht sagen will, dass er nun genetisch ein Israelit sein soll.

Joseph rennt zuerst zum Rabbi, ob er denn noch Jude sei. Doch da ist die Blut-Religion gnadenlos, ohne jüdische Mutter, wird das schwer. Derweil verständigen sich die Mütter schon im Krankenhaus, während die Väter konfrontativ sprachlos bleiben, wenn sie nicht den großen Nahost-Konflikt ausfechten. Die Jungs selbst werden bald zu Freunden, nur Yacines eben noch unzertrennlicher Bruder Bilal (Mahmood Shalabi) reagiert ruppig und verdrückt sich beleidigt.

Der Baby-Tausch bringt immer einen reizvollen Gesellschafts-Vergleich, wobei die Grenze mal reich von arm trennt oder die Israelis von den Palästinensern. Das gab es 1987 in Étienne Chatiliez' Komödie „Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss" und im wunderbaren Drama „Like Father, Like Son" vom Japaner Hirokazu Koreeda („Nobody Knows", 2004). Die Verwechslung als Angelpunkt, um zu testen, wie eine Gesellschaft tickt, das führt hier bei der französischen Regisseurin Lorraine Lévy gezwungenermaßen zu einem eifrigen Grenzverkehr. Selbst der berühmte Soldaten-Vater Silberg muss nun auf der falschen Seite an der absurd riesigen „Sicherheits"-Mauer, die Israel vom Westjordanland trennt, entlang laufen. Und witzigerweise wissen bei den andauernden, für Palästinenser schikanösen Grenzkontrollen die Soldaten bereits über den kuriosen Grenzfall Bescheid.

Das unerhörte Ereignis sollte Verständnis für das Leben der Anderen wecken. Das Drehbuch erleichtert das Verständnis mit ein paar Zufällen: Die französische Verwurzelung der jüdischen Mutter trifft sich mit dem Studium des arabischen Sohnes Yacine in Paris. Ob man dessen weltmännisch leichten Umgang in Tel Aviv und den eher tapsigen von Joseph im besetzten Gebiet symbolisch sehen soll? Wenn dieser allerdings mit einem arabischen Lied die ganze Gast-Familie samt aller Vorbehalte Bilals vereinnahmen kann, ist das ein schöner magischer Moment.

„Der Sohn der Anderen" ist eine nette, manchmal sehr deutliche Parabel. Wie reiz- und kunstvoll hingegen stellte erst kürzlich „Mein Herz tanzt" von Eran Riklis („Lemon Tree", „Die syrische Braut", „Cup Final") die beiden so nahen und doch so unterschiedlichen Leben nebeneinander. So bleiben die ganz einfachen Rückprojektions-Aufnahmen nicht nur den schwierigen (Aufnahme-) Bedingungen an der Grenze geschuldet, auch der Film an sich macht es allen etwas einfach.