9.8.15

Weltpremiere in Locarno

„Der Staat gegen Fritz Bauer" rollt Nachkriegsgeschichte auf

Deutscher Starter macht nicht viel Staat auf der Piazza

Locarno. Freitagabend erlebte das zu großen Teilen in NRW gedrehte historische Drama „Der Staat gegen Fritz Bauer" beim 68. Internationalen Filmfestival von Locarno (5. - 15. August) vor mehreren tausend Zuschauern seine Weltpremiere auf der Piazza Grande, dem grandiosen Open Air-Kino am Lago Maggiore. Während das Schweizer Festival zwischen Kommerz und Kunst bei besten (Wetter-) Aussichten neue Zuschauer-Rekorde erreichen könnte, wird der Film von Lars Kraume kaum die Erfolgsreihe von Publikumspreisen für deutsche Produktionen („Das Leben der anderen", „Das Wunder von Bern", „Die syrische Braut") fortsetzen.

Landesverrat ist das aktuelle Stichwort und ein Oberstaatsanwalt bangt um seinen Job. Diese Parallele zu aktuellen Ereignissen sorgte nur kurz für Heiterkeit im Publikum. Das Drama um den legendären Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Burghart Klaußner) zeichnet eine Zäsur im Verhältnis der Bundesrepublik zu ihrer Nazi-Vergangenheit nach. „Im Labyrinth des Schweigens" zeigte schon packend, wie Bauer, verfolgtes SPD-Mitglied und Jude, seine Staatsanwaltschaft einsetzte, um Adolf Eichmann auszuspüren und 1963 die ersten Prozesse gegen Auschwitz-Täter zu eröffnen. Nun wird Bauer in „Der Staat gegen Fritz Bauer" zur Hauptfigur im Ränkespiel mit ehemaligen Nazis und SS-Leuten in Justiz, Geheimdienst und Regierung. Und über den jungen Staatsanwalt Karl Angermann (Ronald Zehrfeld), der zum Vertrauten und Freund wird, auch seine, damals noch strafverfolgte Homosexualität.

Bauer ist eine wichtige, große Figur unserer Demokratie, die sich mit „heiligem Zorn" und Geschick in Nazi verseuchter Umgebung dem Leugnen und Verdrängen des Holocausts entgegenstellte. Das trägt der Film in deutlichen Worten vor - wie eine Verfilmung von Lexikoneinträgen und Aktendeckeln. Leider, bei allem Aufwand in Kostüm und Kulissen, bei den exzellenten Darstellungen von Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Lilith Stangenberg und Sebastian Blomberg bis in die Nebenrollen, vermisst man die filmische Idee, das emotionale Verstehen, dass hier einer aufforderte, nicht platt „stolz auf sein Land" zu sein, sondern im aktiven Einsatz die funktionierende Demokratie am Leben zu erhalten.

Dennoch - auch wenn die Dramaturgie nicht vom Hocker reißt, das Ende eher Antiklimax ist, die Ähnlichkeiten von der restaurativen Adenauer-Zeit zu Merkels bleierner Berliner-Republik sind frappant. Bis zum Schlüsselsatz „Wenn wir etwas für unser Land tun wollen, müssen wir es verraten." Da ist die Geschichte dann zumindest rund und hochaktuell. (Der Film kommt am 1. Oktober in die Kinos.)

Die Reaktionen der Presse waren zumindest nicht so vernichtend, wie beim Eröffnungsfilm, Jonathan Demmes' großer Enttäuschung „Ricki and the Flash" („Ricki – Wie Familie so ist", Start 3. September). Meryl Streep ist als alternde Rockerin und reuige Mutter völlig fehlbesetzt, Demme liefert nach großartige Neil Young-Filmen und dem legendären „Stop Making Sense" seinen schlechtesten Musikfilm ab und Autorin Diablo Cody verspielt ihren guten Ruf von „Juno" endgültig. Meryl Streep und das ganze Team blieben der Werbeveranstaltung wohlweislich fern. Dafür eröffnete Edward Norton den Promi- und Preisreigen, indem er sich auf der Bühne artig für den Schweiz-Urlaub für ihn und seine Familie bedankte. Aus diesem See von Fettnäpfchen wird das Traditons-Festival hoffentlich der Wettbewerb retten.

Bis am 15. August werden in Locarno 179 Langzeitfilme und 87 Kurzfilme aus 51 Ländern gezeigt. Im offiziellen Wettbewerb um den Goldenen Leoparden gibt es bei einer Handvoll bekannter Namen keinen deutschen Starter. Überhaupt gibt es deutsche Produktionen bis auf „Der Staat gegen Fritz Bauer" nur in Nebensektionen.