25.8.15

Anni felici

Italien, Frankreich 2013 Regie: Daniele Luchetti mit Kim Rossi Stuart (Guido), Micaela Ramazotti (Serena), Martina Gedeck (Helke), Samuel Garofalo (Dario), Niccolò Calvagna 100 Min. FSK: ab 6

Von Anfang an belasten Eifersucht und die Seitensprünge des eigenwilligen Künstlers und Vaters Guido (Kim Rossi Stuart) die Familie des jungen Dario. Mutter Serena (Micaela Ramazotti) ist altmodisch pikiert über die Nacktheit in Guidos Kunst und vor allem bei seinen Modells, mit denen er sich auch zwischendurch vergnügt. Erfolg sucht er mit prätentiösen Manifestationen, die den Kunstbegriff aufbrechen sollen. Allerdings rastet der große Freigeist und Regelbrecher schon beim Solo-Urlaub seiner Frau völlig aus. Dabei weiß er noch gar nicht, dass sie auch ein Verhältnis mit seiner Galeristin (Martina Gedeck) begonnen hat. Sohn Dario registriert mit seiner geliebten Super 8-Kamera zuerst die Anziehung zwischen den Frauen.

Nachdem er in „Mein Bruder ist ein Einzelkind" (2007) die Spaltung der Gesellschaft in Gewerkschaftler und Postfaschisten an zwei Brüdern zeigte, widmet sich Daniele Luchetti („La nostra vita", „Der Taschenträger) jetzt mit der gleichen Meisterschaft dem gesellschaftlichen Umbruch des Familienmodels in einer autobiografisch beeinflussten Geschichte. Er inszeniert mit Ruhe und liebevollem Gefühl für die 70er einen melancholischen Blick auf eine Kindheit, deren Familienglück zu schnell endete. Anni felici - Jahre, die glücklich waren, nur hatte es damals niemand bemerkt.

Hitman: Agent 47

USA, BRD 2015 Regie: Aleksander Bach mit Rupert Friend, Hannah Ware, Zachary Quinto, Ciarán Hinds, Thomas Kretschmann 97 Min. FSK: ab 16

Wenn ein Werbefilmer ein Computer-Spiel verfilmt, ergeben dann zwei Minus ein Plus an Film? Hier absolut nicht: „Hitman: Agent 47" bleibt eine Weile mysteriös zwischen den Action-Sequenzen: Wieso sucht die junge Frau (Hannah Ware) mit den fast übersinnlichen Fähigkeiten die verschwundene Kampfmaschine Agent 47 (Rupert Friend)? Und weshalb verfolgt diese die Verfolgerin? Hauptbestandteil der letztlich recht übersichtlichen Verschwörung von wieder so einem Konzern, der menschliche Killermaschinen produziert, sind Action-Sequenzen, die logisch eine Katastrophe darstellen, weil sie extrem freizügig mit den altmodischen Konzepten von Raum und Zeit umgehen.

Katia van Dees heißt tatsächlich gleichlautend „quatre-vingt-dix", ist also die fortschrittliche Agentin 90 und Ziel eines Mega-Konzerns, der sie nachbauen will. Als ihr das klar wird, versinkt der Film gerade in blutigem Splatter. Als Gegengewicht gäbe es ein paar gute Gesichter und Schauspieler (Rupert Friend, Zachary Quinto, aus „Heroes"), die leider nur furchtbar blöde Dinge sagen dürfen.

Deutsche Produktions-Millionen sorgten für reichlich Berlin-Impressionen mit altbekannter S-Bahn-Hochspannung und ein paar Computer-Spielereien zur totalen Überwachung im Land. Dazu flog der Deutsche Jürgen Prochnow für einen Kurzauftritt aus den USA rüber und Thomas Kretschmann spielt den Mann im Hintergrund. Außer Action-Spesen nur lautes Gewese.

Der Chor - Stimmen des Herzens

USA 2014 (Boychoir) Regie: François Girard mit Dustin Hoffman, Garrett Wareing, Kathy Bates, Debra Winger 104 Min. FSK: ab 0

Der 11-jährige Stet (Garrett Wareing) ist sofort als schwieriges Kind mit gutem Herzen erkennbar: Bockig in der Schule, aber fürsorglich der unfähig allein erziehenden Mutter gegenüber. Als diese bald tödlich verunfallt, fügt es sich - wie alles in diesem fügsamen Film - dass seine Direktorin ihn an ein Sanges-Internat vermitteln wollte und sein reicher Vater (Josh Lucas) ihn dort mit dickem Scheck einquartiert, um dann möglichst schnell zu seiner aktuellen Muster-Familie zu verschwinden. Nun ist das Ausnahmetalent Stet eigentlich Außenseiter an der elitäreren Schule voller Chorknaben, angeblich undiszipliniert und knackt direkt den Automat mit Süßigkeiten. Doch der brave Film macht ihn mit fast einschläfernder Routine vom Problemkind zum Star.

Schlimmer als die Erwartung aller üblichen Klischees, ist es, wenn diese nicht mal erfüllt werden. Die Schule erweist sich als nette Umgebung, Stet folgt fast ungefährdet seiner Entwicklung. Dustin Hoffman gibt dabei routiniert mit ein paar knappen Auftritten den zu harten, fast militärischen Chorleiter und ist mal nicht auf Anhieb Sympathieträger.

Als Höhepunkt im Flachland der inneren und äußeren Ereignislosigkeit verschwinden in einer Schlüsselszene die Noten - genau wie in „Whiplash". Doch diesen Vergleich anzubieten, ist dramaturgischer Selbstmord: Denn dieser „Chor" ist, obwohl in der Grundkonstellation identisch, höchstens ein weichgespültes, filmisch wie thematisch eindimensionales „Whiplash". Ein wohltemperiert auf der Leinwand stehender, angenehmer Klang, dem etwas echte Disziplinlosigkeit gut getan hätte. Der junge Hauptdarsteller Garrett Wareing bleibt völlig blass, kann keine großen Emotionen auslösen. Nur die Musik an sich vermag trotz allen akustischen und optischen Störungen drumherum zu berühren.

François Girard, der seine Karriere großartig mit „32 Variationen über Glenn Gould" (1993), eine Folge der TV-Seria „Yo-Yo Ma Inspired by Bach" (Bach Cello Suite #2: The Sound of Carceri, 1997) und „Peter Gabriel's Secret World" begann, betreibt hier Ausverkauf an seinen Möglichkeiten.

24.8.15

Frank

Irland, Großbritannien 2014 Regie: Leonard Abrahamson mit Michael Fassbender, Maggie Gyllenhaal, Domhnall Gleeson 91 Min. FSK: ab 12

Filme mit Theremin - sind sie nicht alle irgendwie seltsam? Wie Bands mit Theremin auch, siehe Beach Boys? Diese Band ist es auf jeden Fall: Der Kopf der Band ist ... vor allem ein riesiger, grinsender Kopf aus Plastik. Frank spielt mit seiner Indie-Truppe „The Soronprfbs" in einem kleinen Küsten-Ort und liest dort den verträumten Keyboarder Jon Burroughs (Domhnall Gleeson, Sohn von Brendan) auf. Weil ihr eigener gerade versucht, sich am Strand zu ertränken. Quasi entführt landet Jon in einer abgelegenen Ferienhütte, wo Frank ein Album aufnehmen will. Das spielt sich irgendwo zwischen den Tonexperimenten von Fred Frith und den wahnsinnigen Konzepten der Pet Sounds ab. Ergänzt um heftige körperliche Ausbrüche. Rätselhaft bleibt Frank, der seinen comichaften Kopf nie ablegt. Dabei ist das exzentrische Genie noch der normalste und freundlichste in dem Haufen exzentrischer und abweisender Musiker. Nein, „The Soronprfbs" machen keine Musik für die Autofahrt, den Tanzabend oder den Aufzug. Und irgendwie möchte man bei all dem auch keinen von denen dabei haben.

Doch die Klausur mit den musikalischen Extremisten bedeutet für Jon misshandelte Kindheit und psychiatrische Anstalt, die er nie erlebt hat. Heimlich postet er Videos und Tweets, was der Band einen Auftritt beim berühmten South by Southwest-Festival in Texas einbringt. Eine Herausforderung für Frank, an der die Band und dann auch er selbst zerbricht. Was in der auch witzigen Parabel von freier ungebundener Kunst vs Streben nach Erfolg übrig bleibt vom Versuch, sich dem populären Geschmack anzupassen, ist ein trauriger, zerstreuter Haufen von „Freaks".

„Frank" wird in der Filmgeschichte mangels einfacher Erklärungen immer „der Film mit dem Plastikkopf" bleiben. Absurd, albern, tragisch und trotzdem bleiben die Aufnahmen immer unterhaltsam. Das liegt an der originellen Geschichte sowie dem guten Cast mit Domhnall Gleeson, dem Sohn des berühmten Brendan Gleeson. Und auch an Maggie Gyllenhaal als tödlicher Zicke Clara, die mit vernichtenden Blicken eifersüchtig über Frank wacht und jeden Erfolg der Band verhindern will. Wenn im berührenden Finale Michael Fassbender der Maske entschlüpft und noch einmal, auch singend, auftrumpft, ist das dann doch entgegen aller Logik des Films hitverdächtig.

Straight Outta Compton


Straight Outta Compton

USA 2015 Regie: F. Gary Gray mit O'Shea Jackson jr., Corey Hawkins, Jason Mitchell, Neil Brown jr., Paul Giamatti 147 Min.

Noch ein Musikfilm, einer von fünfen in dieser Kinowoche, könnte man denken. Aber in dem Rapper-Vergnügen „Straight Outta Compton“ drehen sich die Plattenteller auch um das immer noch brennende Politikum der Polizei-Gewalt gegen Afroamerikaner. Die hauptsächlich in den Achtzigern spielende Band-Bio über die legendäre Rap-Gang N.W.A schob inzwischen eine Diskussion an, die „Straight Outta Compton“ eher als historisches Dokument, denn als Spielfilm versteht. Allein der Name N.W.A, eine Abkürzung für „Niggaz Wit Attitudes“, zeigt den politischen Zündstoff im Machtkampf us-amerikanischer Ethnien. Zudem bildete das eigentlich kurze Leben der fünfköpfigen Hip-Hop-Truppe (1986-1991) mit ihren wenigen Hits die Grundlage für eindrucksvolle (Ice Cube) und gigantische (Dr. Dre) Karrieren im Musik-Geschäft.

Im Vergleich zu anderen Neustarts aus der DJ-Szene („We are your friends“) oder dem Knaben-Gesang („Der Chor - Stimmen des Herzens“) siedelt diese Musik-Geschichte im Milieu des Gangsta-Rap der Westküste. Von Anfang an bestimmt von willkürlichen Verhaftungen, Rassismus, Polizei- und sonstiger Gewalt. „Straight Outta Compton“ spielt in Los Angeles, doch im Gegensatz zum ärmlichen San Fernando Valley aus „We are your friends“ ist Compton als Heimat der Rapper Kriegsgebiet von Banden und hat die höchsten Kriminalitätsraten in den USA.

O'Shea Jackson (O'Shea Jackson jr.), der spätere Ice Cube, Andre Romelle Young alias Dr. Dre (Corey Hawkins) und der kleine Dealer Eric Wright, genannt Eazy-E (Jason Mitchell), entscheiden irgendwann, mehr aus ihrem prekären Leben zu machen und nehmen 1987 ihr erstes Album „N.W.A and the Posse“ auf. Der weiße Manager Jerry Heller (Paul Giamatti) ist begeistert und nimmt die Jungs unter seine Fittiche. Bei einer dieser völlig grundlosen Polizei-Schikanen bietet er sogar staatlicher Gewalt die Stirn. Auch als das nächste Album „Straight Outta Compton“ mit der Auskopplung „Fuck Tha Police“ sowohl Hit als auch Zielscheibe für FBI und Polizei wird, ist Heller auf der Seite der Afroamerikaner, die sich mit Musik gegen all die erlittene Gewalt wehren. Es ist ein - hier nur angedeuteter - Hohn, dass nicht der grimmig von der Polizei verfolgte Song „Fuck Tha Police“ für die behördlich prophezeiten Unruhen sorgt. Denn schließlich war es die Polizei selbst mit der öffentlich gewordenen, brutalen Prügel gegen Rodney King, die 1992 bürgerkriegsähnliche soziale Unruhen mit über 50 Todesopfern in Los Angeles auslöste.

Während der rasante Aufstieg mit schnellen Autos, schwerem Schmuck-Gehänge und freizügigen Poolpartys gefeiert wird, zerfällt die Freundschaft der Rapper. Hier kristallisiert sich Ice Cube nicht nur wegen seiner Texte heraus. Er wird auch als derjenige dargestellt, der misstrauisch hinter den Verträgen und dem Geld her ist. Zu Recht, doch erst als Dr. Dre seine Solo-Karriere gestartet hat und sich mit den Rest-Rappern heftige Dis-Battles liefert, entdeckt Eazy-E die Tricksereien von Manager Heller. Kurz darauf bricht eine AIDS-Erkrankung bei Eazy-E aus, was die zerstrittenen Freunde wieder zusammen bringt.

„Straight Outta Compton“ ist Musik-Geschichte für Rap-Fans und mit den Rodney King-Unruhen im Hintergrund auch Zeitgeschichte samt deftigem Sängerkrieg, der mit Lyrics und Fäusten ausgetragen wird. Snoop Dogg kommt im Studio vorbei und Tupac Shakur nimmt „California“ auf. In der Lounge vor dem Tonstudio spielen die brutalen Handlanger Dr. Dres schon den Banden-Krieg zwischen West- und Ostküste, zwischen den Studios der Gangsta-Rapper, der vermeintlich zum Tod von Tupac ein paar Jahre später führte.

Produziert wurde „Straight Outta Compton“ von Dr. Dre und Ice Cube. Ersterer gilt nicht erst seit dem milliardenschweren Verkauf seiner „beats“-Kopfhörer an Apple als reichster Hip-Hopper weltweit. Ice Cube spielt schon 1995 bei F. Gary Grays Debüt „Friday“ für den Regisseur („Gesetz der Rache“, „The Italian Job“, „Set It Off) und ist mittlerweile ein Film-Star. Noch familiärer wird es bei der Besetzung des Ice Cube-Charakters durch dessen Sohn O'Shea Jackson Jr. Da kann man keine selbstkritischen Einblicke erwarten und auch keine mutige Filmkunst. Doch mit guten Schauspielern und solider Inszenierung erfüllt dieser Musik-Film vor allem die Erwartungen der Fans, was sich schon beim US-Verkauf zeigt.

19.8.15

We are your friends

USA 2015 Regie: Max Joseph mit Zac Efron, Emily Ratajkowski, Wes Bentley 96 Min.

Cole (Zac Efron) ist Electro-DJ - meint er. Aber der international bekannte DJ-Star James Reed (Wes Bentley) sieht ihn als Welpen, den er musikalisch bei sich aufnimmt. Der „Welpe“ kommt aus einem schäbigen Vorort von Los Angeles, aus San Fernando Valley, dort wo sie die Pornos drehen. Doch Cole hat Talent und damit die Chance aus der kleinen Existenz von Feiern, Drogen verkaufen und tagsüber verschuldete Hauseigentümer abzocken, herauszukommen. Es läuft gut mit den beiden, obwohl Cole hemmungslos in James’ Freundin Sophie (Emily Ratajkowski) verliebt ist. Bis die einmal zu oft schlecht behandelt wird und bei einem drogenberauschten Festival-Trip ihren Gefühlen für Cole freien Lauf lässt.

Die Geschichte von Cole ist wie ein Welpe im Vergleich zu den ähnlichen, großen Geschichten, die Scorsese für seine jungen Helden und ihre Freunde aus Hells Kitchen geschaffen hat. Da steht einer zwischen Karriere und seinen nicht so talentierten Freunden, zwischen Liebe und Loyalität. Der musikalische Lehrling muss sich vom Meister und anderen schlechten Vorbildern lossagen.

Das ganze spielt in der Szene der E-DJs und muss demzufolge mit guter Musik spielen. Der Film findet auch nette Animationen, die zum Beispiel erklären, wie man die Leute zum Tanzen bringt. Ein Trip lässt Bilder einer Ausstellung zerfließen, bis alles Zeichentrip ist. Eine Track-Montage mit Sophies Stimme und einschlagenden Erfolg schlägt auch im Kino ein. Tragischerweise findet ausgerechnet dieser Film über Rhythmus und Flow selbst lange nichts zu beiden, er synchronisiert sich nicht mit den Herzen der Zuschauer, wie Cole es erklärt. Da erwartet man mehr von einem Musikvideo-Regisseur wie Max Joseph, der mal Musikvideos drehen darf.

Erst im großen, finalen Clip verbindet Joseph erstaunlich gute, weitgehend von Handlung befreite Bilder zu einem Moment, der den ganzen Film rettet: Hier fließt eine Menge Leben in den Track ein - wie in guter Kunst. Das „Wird’s jemals was Besseres geben, als das hier!“ kommt mit großer euphorischer Wucht und eingewobener Bitterkeit, wenn Cole mit Mikro eingefangenes Leben zu mitreißenden Stück Musik zusammen mixt.

Zac Efron ist vielleicht mit seinen sehr glänzenden Augen etwas zu bekannt und zu alt für den jungen Aufsteiger Cole, Wes Bentley als James wesentlich interessanter mit seinen zwei Gesichtern sowie dem Hang zum Alkoholismus. Und Emily Ratajkowski, na ja, mit sehr aufgeblasenen Lippen und auch anderen Körperteilen lange Zeit nicht mehr als die zu schöne Schaufensterpuppe zwischen den männlichen Protagonisten. Aber vor allem die furchtbare Synchronisation gibt ihr den Rest. Also unbedingt sehenswert, und hörenswert unbedingt im Original.

18.8.15

Die Yes Men - Jetzt wird's persönlich

USA, BRD, Niederlande, Dänemark, Finnland 2014 (The Yes Men are revolting) Regie: Laura Nix, Andy Bichlbaum, Mike Bonnano 92 Min. FSK: ab 0

Die Yes Men Andy Bichlbaum und Mike Bonnano verkleiden sich mit gebrachten Anzügen als wichtige Politiker oder Industrielle und machen mit neuen Formen von Protest und politischen Aktionen von sich reden. Sie gaben sich als Sprecher der US-Handelskammer aus und forderten eine CO2-Steuer, was landesweit in den Nachrichten landete. Und die echte Handelskammer ziemlich wütend machte. Auf jeden Fall redete man mal wieder über die Erderwärmung. Oder über die unglaubliche, gigantische Umweltverschmutzung durch den Abbau von Ölschlämme in Kanada. Kleine Animationen erklären beispielsweise, wie in die enormen Mengen an CO2-Verbrauch in den westlichen Gesellschaften ausgerechnet in den Gegenden, die kaum Energie verbrauchen können, sogar mit dem Leben bezahlt werden müssen.

Die Yes Men kramen für die Kölner Beetz-Produktion im Archiv der mittlerweile 15-jährigen Zusammenarbeit und geben auch etwas von ihrem Privatleben preis. Nicht nur nebenbei thematisiert der Film die Homosexualität von Andy, selbst im schwulenfeindlichen Uganda. „Die Yes Men" erlauben einen Blick hinter die Spaßaktionen mit großem Erkenntnisgewinn. Spaß mit Erkenntnisgewinn - so funktioniert auch diese Doku.

Boy 7

BRD, Niederlande 2015 Regie: Özgür Yildirim mit David Kross, Emilia Schüle, Ben Münchow 104 Min. FSK: ab 12

Das ist kurios: Zwei Filme nach der gleichen, gleichnamigen Vorlage von Mirjam Mous und mit fast der gleichen Handlung starten kurz hintereinander. Zuerst in den Niederlanden, da wo auch das Buch spielt. Dann mit David Kross und Emilia Schüle in der deutschen Version: Der Schüler Sam kommt ohne Erinnerungen in der U-Bahn zu sich und wird von der Polizei verfolgt. Doch zufällig findet er sein Tagebuch, das von einem modernen Erziehungslager für junge Hacker, Einbrecher und Schläger erzählt. Die Ausbildung dient allerdings kriminellen Zwecken der Institutsleitung, wie Sam schnell feststellt. Zusammen mit Lara (Emilia Schüle, „Freche Mädchen") versucht er auszubrechen und das System zu überführen.

Anders als beim Fußball geht der Vergleich eindeutig für das niederländische „Original" aus: Die Handlung verläuft glaubwürdiger und logischer. David Kross („Der Vorleser") als der Außenseiter und Hacker-Freak in der Schule - das funktioniert nicht. Emilia Schüle („Freche Mädchen") eignet sich mit ihrer Schnute eher für ein Fotoshooting als für Film. Ein schauspielerischer Lichtblick ist nur Liv Lisa Fries als Computer-Lehrerin Safira. Regisseur Özgür Yildirim („Blutzbrüdaz", „Chiko") will mit kalter Video-Ausleuchtung, schräger Kamera sowie Unschärfen hipp inszenieren. Doch vor allem ohne den politischen Hintergrund und die dystopische Atmosphäre der Geschichte ist „Boy 7" nur eine hohle Trockenübung: Denn Sam setzt seine Fähigkeiten nur ein, um Noten auf dem Schulserver zu verbessern. Der niederländische Film von Lourens Blok, der schon im Februar lief, arbeitet mit bescheideneren Mitteln, ist aber letztlich überzeugender und in den zwei Erzähl-Ebenen wesentlich reizvoller montiert. Da hätte man sich die zweite Produktion sparen können.

Broadway Therapy

USA, BRD 2014 (She's funny that way) Regie: Peter Bogdanovich mit Imogen Poots, Owen Wilson, Kathryn Hahn, Will Forte, Rhys Ifans 94 Min. FSK: ab 0

Die „Broadway Therapy" beginnt mit einem alten Song und sogar mit einem Darsteller - Owen Wilson - wie bei Woody Allen, stammt aber von Bogdanovic. Der ist mit „Paper Moon", „Die letzte Vorstellung" und „Isʼ was, Doc?" auch schon seit den Siebzigern dabei und immer noch für eine exzellente Screwball-Comedy gut, eine sehr komische „Pretty Woman", bei der sich die Stars gegenseitig aus dem Bild drängeln. Stilecht ist der rasante Boulevard-Start mit unglaublichen Mehrfach-Verstrickungen: Broadway-Regisseur Arnold Albertson (Owen Wilson) gönnt sich vor den nächsten Proben noch mal eine Prostituierte, der er danach 30.000 Dollar bietet, wenn sie diesen Job sein lässt und ihre wahren Träume realisiert. Am ersten Tag ihres neues Lebens trifft diese Isabella (Imogen Poots) beim Vorsprechen ausgerechnet auf Arnold. Ihre Partnerin ist Arnolds Frau, seit langer Zeit erstmals auf der Bühne, und ihre Rolle dann auch noch die eines Call-Girls, was die Texte verwirrend doppeldeutig macht. Rhys Ifans spielt ganz wunderbar den Vierten im Bühnen-Bunde: Er hat die Affäre im Hotel beobachtet und genießt die Verwirrung.

New York erweist sich als kleines Dorf, das scheinbar nur ein italienisches Restaurant hat, in dem sich dann wirklich alle wieder treffen: Auch Isabellas ehemaliger Kunde, ein obsessiver, alter Richter, oder die extrem egozentrische und unfähige Ersatz-Therapeutin (umwerfend: Jennifer Aniston) von fast allen. Das ist dann unglaublicher als unglaublich, aber auch unfassbar komisch, wenn immer mehr erfolgreiche Frauen auftauchen, die Arnold mit seinem „Finde dein Glück"-Spleen beglückt hat. Dazu gibt es die alten Bogdanovic-Stars wie Cybill Shepherd sowie Nebenrollen für Michael Shannon als Polizisten und Quentin Tarantino, der die scheinbar gar nicht so dumme Verführerphrase von den „Squirrels to the Nuts" filmgeschichtlich einordnet. Wes Anderson („Grand Budapest Hotel") und Noah Baumbach („Gefühlt Mitte Zwanzig") haben mitproduziert, so kommt zu dem exzellenten, nicht immer gewürdigten Können Peter Bogdanovichs auch ein Touch Moderne und die herrlich leichte Broadway-Komödie ist perfekt.

17.8.15

Selfless

USA 2015 (Self/less) Regie: Tarsem Singh mit Ryan Reynolds, Natalie Martinez, Matthew Goode, Ben Kingsley 118 Min. FSK: ab 12

Von Taxifahrer zum Milliardär? Diese Karriere macht Ben Kingsley gerade - in zwei Filmen, die sehr schön das Vermögen dieses Ausnahme-Schauspielers zeigen: Bescheiden unter einem Turban befährt er in „Learning to drive" die Straßen von New York. Ganz oben, über dem Central Park thront in „Selfless" hingegen seine Figur des im letzten Stadium krebskranken Milliardärs Damian. Der lehrt erst einem frechen, jungen Emporkömmling eine gemeine Lektion, bevor er sich selbst bei einer obskuren Organisation einen neuen, jungen Körper besorgt.

Bald tauchen allerdings im vermeintlich künstlich gezüchteten Körper (Ryan Reynolds) Erinnerungen auf, die nicht seine sind. Der aalglatte Wissenschaftler meint, dies seien Anpassungsprobleme. Aber Frau und Kind aus den „Anpassungsproblemen" lassen sich auf einer kleinen Farm wiederfinden und bald will die Organisation, die Damian gegen einige Millionen einen neuen Körper gab, gleich dessen ganzes Leben einkassieren. Zwischen ein paar anständigen Action-Einlagen versucht Damian nun nicht nur sein eigenes Leben zu retten. Wobei ... will er sein altes oder das alte Leben seines Körpers?

Auch wenn „Selfless" ein Film vom großen Bildzauberer Tarsem Singh („The Fall", „The Cell") ist, die Verpflanzung eines Menschen in einen neuen Körper verläuft unspektakulär einfach in einer MRT-Röhre. Und überhaupt nicht blutig wie in „Face/Off", dem anderen Film mit Identitätsproblemen und einem Schrägstrich im Titel. Der oft unterschätze Ryan Reynolds („The Voices", „R.I.P.D.", „Green Lantern") trägt den seriöseren Part des Film und trägt tatsächlich auch die innere Zerrissenheit des Protagonisten Damian zwischen zwei Identitäten nach außen. Ihm nimmt man - passenderweise in New Orléans - die hedonistische Freude am neuen Körper ab, der sich in Sport, Sex und Jazz austobt. Dann steckt aber auch noch ein kluger, weiser und vorausschauender Mann in der Figur, der sich mehr mit Raffinesse als mit purer Gewalt gegen seine Verfolger wehrt. Den rührenden Papa darf man ihm zweifach abnehmen, denn beide zeitweiligen „Untermieter" des einen Körpers müssen am Verhältnis zur jeweiligen Tochter arbeiten.

Damit ist „Selfless" in Handlung und im moralischen Gedankenspiel spannend. Der gut inszenierten Geschichte lässt man auch einige zu einfache Abkürzungen durchgehen, weil unter anderem Montage und Musik großartig sind. Dass Tarsem Singh in „The Fall" und „The Cell" schon mal atemberaubende Äußerlichkeiten überwiegen ließ, scheint vergessen. Nun lässt er sogar Spannungsmomente für innere Entwicklungen ruhen, und präsentiert damit einen klugen und spannenden, sehr gelungenen Film.

Southpaw

USA 2015 Regie: Antoine Fuqua mit Jake Gyllenhaal, Rachel McAdams, Forest Whitaker, Oona Laurence, 50 Cent 123 Min. FSK: ab 12

Ein rührender Familienfilm, bei dem die Box-Brutalität so weit geht, dass selbst auf die Kamera eingedroschen wird? Regisseur Antoine Fuqua setzt seine zwiespältige Filmografie mit „Southpaw" besonders problematisch fort: Ein in mehrerer Hinsicht unmöglicher, vorhersehbarer und brutaler Sportler-Film, der doch überzeugt und sogar rühren kann.

Was ist das denn? Da springt einem das Gesicht von Star Jake Gyllenhaal als blutige, zermatschte Visage entgegen, als wolle jemand die Erinnerung an Gyllenhaals subtiles Horror-Debüt „Donnie Darko" mit aller Bild-Gewalt überschreien. Und tatsächlich ist der Boxer Billy Hope mal eine ganz andere Rolle: Als mehrfacher Halbschwergewichts-Weltmeister etwas eitel und wahnsinnig, weil schon matschig in der Birne. Aber doch noch so clever, auf seine viel klügere Frau Maureen (Rachel McAdams) zu hören, und so sensibel, die naseweise Tochter Leila (Oona Laurence) mit ganzem Herzen zu lieben. Doch Boxer wird man nicht nach einer Zusatzqualifikation beim Konfliktschlichten. Es kommt, wie alles in diesem Film vorhersehbar kommt: Billy lässt sich endlich von einem besonders ekligen Konkurrenten provozieren und nach einer unüberschaubaren, schnellen Schnittfolge liegt Maureen erschossen am Boden. Der Witwer Billy verliert nun Kämpfe, sein Vermögen, die Kontrolle über sein Leben und die Erziehungsberechtigung für die Tochter. Ganz unten kriecht er zum bescheidenen Trainer Tick Wills (Forest Whitaker), putzt das Box-Studio und lernt neben Demut eine neue Technik. Dann bekommt er die Chance ... bla bla bla.

Es ist eigentlich schon unverschämt, wie einfallslos Antoine Fuqua und Autor Karl Sutter die Comeback-Geschichte von Rocky und Co. reproduzieren. Dazu setzt Fuqua, wie schon in „Gesetz der Straße - Brooklyn's Finest", „Training Day" und wie all die anderen geistlosen aber gewaltsamen Genre-Varianten heißen, sein effektvolles Kino nur für den Effekt ein, schnelle Schritte und Schnitte im Ring und Super-Slow-Mo als Ausrufezeichen seiner Filmkunst. Höchstens die Botschaft, dass die Welt schlecht sei, und bei den Cops in Los Angeles besonders übel, ist da zu entdecken. Nun hatte Fuqua mit Denzel Washington schon immer jemand Besonderen vor der Kamera, aber Jake Gyllenhaal schafft es tatsächlich, dem Einerlei von Gewalt und Machismo eine neue Richtung zu geben: Trotz unglaubwürdiger Resozialisierung, trotz völlig ignoriertem Umgang mit den eigenen Aggressionen, packt die „Bambi"-Geschichte im Herzen vom Gangster-Boxer-Kram. Der Kampf ums mutterlose Kind in einer staatlichen Erziehungseinrichtung rührt, selbst wenn Billys eigene Erinnerungen ans Heim nur ziemlich am Rande mitlaufen. Und fertig wäre der ideale Film für echte Kerle und ihre sensibleren Mädels. Fast, denn etwas gewaltbeständig müssen die Zuschauerinnen schon sein, und ziemlich geduldig mit gefühlsdusseligen Überlängen die Jungs.

Taxi (2015)

BRD 2014 Regie: Kerstin Ahlrichs mit Rosalie Thomass, Peter Dinklage, Stipe Erçeg, Antoine Monot jr., Robert Stadlober 98 Min.

Langsam wird es eng auf der Taxi-Spur im Kino: Nach dem iranischen Berlinale-Sieger „Taxi Teheran" und Ben Kingsley als New Yorker Taxi-Driver und Sikh-Exilant in „Learning to drive" nun die deutsche Literaturverfilmung „Taxi". Dabei kann die Komödie mit dem namens-rechtlich notwendigen Untertitel „nach dem Roman von Karen Duve" in Sachen Unterhaltung und Atmosphäre tatsächlich mit den internationalen Taxi-Modellen konkurrieren. Eine tolle Fahrt in Hamburger Nächte der 80er-Jahre.

Um im Genre des Taxi-Films zu bleiben, muss man mehr an die leidenschaftliche Dreiecksgeschichte „Die Taxifahrerin" (1980, „Extérieur, nuit") von Jacques Bral denken, als an Scorseses „Taxi Driver" Robert DeNiro. „Taxi" wird angetrieben von einer unkonventionellen, freiheitsliebenden jungen Frau. Die 25-jährige Alexandra (Rosalie Thomass) schmeißt ihre bürgerliche Ausbildung zur Versicherungskauffrau hin und wird ohne Orts- und sonstige Kenntnis Taxifahrerin in Hamburg. Kenntnis - und Sonstiges - wollen der gutaussehenden Frau ganz schnell eine Reihe seltsamer Jungs aus diesem Gewerbe vermitteln: Der typische taxifahrende Geisteswissenschaftler mit dem obligatorischen Buch vor der Nase (Robert Stadlober), ein geheimnisvoller, stiller Kollege namens Taxi-Mörder („Tech-Nick" Antoine Monot Jr.) und der sich selbst überschätzende, erfolglose Künstler Dietrich (Stipe Erceg), den Alexandra tatsächlich in ihre karge, aber eigene erste Bude und ihr Leben lässt. Etwas von ihr wollen meist auch die Fahrgäste, darunter in einer immer besoffenen Paraderolle zwischen eklig und sympathisch Armin Rohde.

Aus den lakonisch komischen Bemerkungen, mit denen Alex ihre Orientierungslosigkeit auf den nächtlichen Straßen und im Leben allgemein kommentiert, wird schon am Anfang klar, dass Dietrich nicht das Richtige ist. Dass es mit einem ungewöhnlichen Fahrgast etwas Besonderes wird, aber auch. Doch zu dem 1,35 Meter kleinen, aber charakterlich großen Engländer Marc (Peter Dinklage, leider unnötig synchronisiert) kann sich die bindungs-gestörte Frau, die Fahrgäste am liebsten aussteigen sieht, gar nicht bekennen. Es wird und bleibt eine Affäre, selbst als Dietrich sich selbst abschießt. Doch wie mit dem Taxiunternehmen geht es auch mit der allgemeinen Stimmung von Alex bergab. Für den türkischen Chef wäre mal wieder ein Totalschaden die Rettung. Alex spielt mit dem Gedanken ...

Freiheit hinter dem Lenkrad eines Taxis, bleibt eine seltsame idealistische Vorstellung. Aber zumindest an Verkehrsregeln brauchen sich Taxis ja nicht zu halten. Doch diese Metapher funktioniert sehr schön in der Geschichte von Karen Duve und in der atmosphärisch dichten Umsetzung von Regisseurin Kerstin Ahlrichs. Ihr gelang ein dichter Film um Freiheit und Mut zu Mehr, der großartig in Klamotten, Ausstattung und vor allem im exzellenten Soundtrack die Atmosphäre der 80er-Jahre atmet. Gut besetzt und gespielt kann man diese auf komische Weise lebens-weise Taxi-Fahrt auch ohne unnötige Hochgeschwindigkeit und hirnverbrannten Nervenkitzel genießen.

Die Piazza stimmt ab - Publikumspreis Locarno 2015

Wir sind Piazza! So würde die Zeitung mit den großen Buchstaben titeln. Denn mit dem NRW-WDR-Film „Der Staat gegen Fritz Bauer" hat nach „Das Leben der anderen", „Das Wunder von Bern" und „Die syrische Braut" wieder eine deutsche Produktion den Publikumspreis in Locarno ergattert. Das ist immerhin hinter Cannes, Venedig und Berlin das viertwichtigste Festival. Außerdem sind 8000 Zuschauer, die jeden Abend auf der Piazza Grande abstimmen, ein ernstzunehmendes Publikum. Ein Grund zum Feiern für den Regisseur Lars Kraume, für die exzellenten Darsteller Burghart Klaußner und Ronald Zehrfeld sowie die Film- und Medienstiftung NRW.
Doch können „wir" jetzt stolz sein? Der zurückgekehrte Exilant, der Freiheitskämpfer Fritz Bauer meint selbst im Film: Für Goethe und Schiller, für unsere Berge und Wälder, da können wir doch nichts. Aber wir können Tag für Tag für diese Demokratie kämpfen. Deshalb ein Preis, der auch dem Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gefallen hätte: Als Sieg der Sache über das Gefühl. Denn auch nach der zweiten Sichtung kann der Film über den Kampf um die ersten Holocaust-Prozesse in der BRD zum Ende der 50er Jahre nicht überzeugen, zu viel bleibt behauptet. Und mindestens drei Piazza-Filme waren besser gemacht: Das lesbische Liebesdrama „La Belle Saison" mit der großartigen Cecile de France. Die humorvolle und tief berührende Demenz-Geschichte „Floride" mit einem wunderbaren Jean Rochefort. Oder die umwerfend komische kanadische Polit-Satire „Guibord s'en va-t-en guerre". Alles runder, stimmiger, bewegender und begeisternder. Aber scheinbar stimmten die Zuschauer in Locarno gegen Vergessen und Verdrängen. Die Piazza als politischer Platz. Anders als auf dem Maidan in Kiew, auf dem Taksim in Istanbul oder dem Tahrir in Kairo, friedlich. Es ist ja „nur Kultur", aber immerhin: Ein deutlicher Standpunkt.

10.8.15

Locarno 2015 Ein- und Ansichten von Amy Schumer

Bei der Europa-Premiere von „Dating Queen" in Locarno bewies die Komikerin Amy Schumer, dass sie ihre scheinbar harmlosen, aber ziemlich treffenden Bemerkungen auch locker aus der Hüfte schießen kann. Der Star der TV-Serie „Inside Amy Schumer" verriet, dass es beim Film- im Gegensatz zum TV-Dreh entspannter war, immer nur bei einen Charakter zu bleiben. Das war es dann aber auch schon mit dem üblichen Presse-Nichtigkeiten. Mit ihrem überaus freundlichen Lächeln schoss sie gegen alle, die sie „female comedian" nennen, niemand würde „männlicher Komiker" sagen. Und auch die Waffenlobby bekam etwas ab: "Was im (US-) Kongress passiert, ist sehr frustrierend - nur das Geld verhindert, dass wir eine bessere Waffenkontrolle bekommen." Ganz unabhängig vom Erfolg ihres aktuellen Kinofilms arbeitet die gewitzte Entertainerin schon an einem neuen Projekt, einer Mutter-Tochter-Komödie, die sie wieder selbst schreibt. (ghj)

Coconut Hero

BRD, Kanada 2015 Regie: Florian Cossen mit Alex Ozerov, Bea Santos, Krista Bridges, Sebastian Schipper 101 Min. FSK: ab 12

Mike Tyson - „nicht der Boxer, sondern ein anderer Mike" - also der sechzehnjährige Mike Tyson legt sich schon mal den Gewehrlauf an die Stirn, gibt seine eigene Traueranzeige auf und ... feuert eine Platzpatrone ab! Doch „zum Glück" entdeckt man im Krankenhaus einen Hirntumor, den Mike (Alex Ozerov) selbstverständlich nicht entfernen lassen will. Denn Mike will sterben, anfangs erzählt mit schwarzem Humor im Stile von „Harold und Maude".

Der bislang nicht besonders fröhliche Mike kommentiert sein winziges kanadisches Kaff Faintville. Dort wird er auch im neuen Schuljahr wegen seines Namens und jetzt noch wegen der falschen Todesanzeige gehänselt. Klar, dass er mit Jesus redet und ihn bittet, beim nächsten Mal wirklich sterben zu können. Also diesmal ohne Wiederauferstehung. Die Sache mit dem Hirntumor kommt seinem Wunsch schon recht nahe. Und deshalb ist das ganze Holzfällerstädtchen plötzlich von opernhafter Freude erfüllt - große Ballett-Kino wie in einem Baz Luhrman-Film! Mit dem Knockout seiner bisherigen Bullies als grandioses Finale zu Rossini.

Mike ist ein sympathisch selbstbewusster Teenager. Muss er wahrscheinlich auch sein, bei dieser schillernd pädagogisch unfähigen Mutter Cynthia (Krista Bridges). Beim Treffen mit dem Vater, den er bislang nie gesehen hatte, wird alles mal kurz gewöhnlich, doch ein therapeutischer Tanzkurs sorgt nicht nur „für neuen Lebensmut". Die Begegnung mit der schön verrückten Tanz-Therapeutin Miranda (Bea Santos) gibt Mikes Leben und dem Film eine ganz neue Richtung.

„Coconut Hero" stemmt mit viel Humor und Leichtigkeit ganz schön gewichtige Themen. Vor allem das in vielen Stimmungen reizvolle und mitreißende Spiel von Hauptdarsteller Alex Ozerov bereitet dabei viel Vergnügen bei diesem anderen und doch netten Film. Udo Kier hat einen kleinen, feinen Auftritt als desinteressierter Therapeut. Der „Victoria"-Regisseur Sebastian Schipper ist nach seiner Rolle als Ehemann von Kim Basinger in „Ich bin hier" erneut als Schauspieler zu sehen.

Regisseur Florian Cossen fiel bereits mit der Vergangenheitsbewältigung „Das Lied in mir" (mit Jessica Schwarz in der Hauptrolle) auf. Nun überzeugt er mit guter Schauspielführung und sehr origineller Bildgestaltung, die durchgehend viel Spaß macht. Angefangen mit den Filmtiteln, die in Aufnahmen der Kleinstadt verstreut werden, bis zu Mikes Versuch, ein paar lange Bretter für seinen Sarg auf sein Fahrrad zu bekommen, während im Hintergrund ein riesiger Bagger gleich mehrere Baumstämme in die Luft hebt. Die Musik kommentiert die herrlich komische Handlung, dazu gibt es trockene One-Liner wie vom Sargverkäufer über sein Billig-Modell: „Es lohnt sich kaum, dafür zu sterben!" Für solche Filme lohnt es sich allerdings - unter anderem - zu leben.

Fantastic Four (2015)

USA 2015 Regie: Josh Trank mit Kate Mara, Michael B. Jordan, Miles Teller, Jamie Bell 90 Min.

Die Idee war gut: Weshalb nicht mit dem jungen Regisseur Josh Trank, der mit dem sensationellen Science Fiction „Chronicle" über eine Gruppe von Jungs, die zu Superhelden werden, reüssierte, die Anfänge der „Fantastic Four", einer Gruppe von Jungs und einer jungen Frau, die zu Superhelden werden, verfilmen? Die Ähnlichkeiten in der Substanz, die alles verändert sind frappierend. Die Unterschiede zwischen einer echten Alltagswelt („Chronicle") und der typischen Marvel-Kulisse allerdings auch. Doch vor allem sollen Unstimmigkeiten beim Dreh dem Ergebnis geschadet haben, so dass ausgerechnet das besonders beliebte Comic-Team der „Fantastic Four" mal wieder keinen anständigen Kinofilm hinbekommt.

Die Handlung beginnt im Jahr 2007, im Kino konnte man da „Rise of the Silver Surfer" sehen, den letzten, nicht so fantastischen Versuch, diesen Comic zu Kino zu machen. Die Geschichte der Anfänge geht mit dem nerdigen Erfinder Reed Richards (Miles Teller) los, dessen zusammen mit dem Freund Ben Grimm (Jamie Bell) aus Schrottteilen gebastelte Teleportations-Maschine tatsächlich Gegenstände verschwinden lässt und auch wieder zurück holt. Nur wo es dabei hingeht, wissen sie nicht. Erst der Forscher Dr. Franklin Storm (Reg E. Cathey) engagiert und klärt sie auf: Die Reise geht in eine andere Dimension und als Reed, Ben, die Kinder Storms sowie sein Assistent Victor van Doom (Toby Kebbell) heimlich als erste den Trip antreten, verändert sie die andere Welt für immer.

Der Rest ist Comic-Geschichte, aber für diesen Epilog zu einem bereits geplanten Film so viel Zeit zu verheizen, ist ökologisch untragbar und auch noch langweilig. Weder die Effekten des wabernden anderen Planeten oder Dooms gefährliches grünes Leuchten, noch die Charakterisierung der Superhelden vor ihrem Superhelden-Sein können begeistern. Ganz im Gegensatz zum „Star Trek"- oder dem „Batman"-Prequel. Umso erstaunlicher, dass zumindest mit Miles Teller („Whiplash") und mit Jamie Bell („Billy Elliot") zwei gute Schauspieler dabei sind. Der Neustart von „Fantastic Four" geriet für ein Comic-Spektakel sehr übersichtlich - um es freundlich zu sagen.

Dating Queen

USA 2015 (Trainwreck) Regie: Judd Apatow mit Amy Schumer, Bill Hader, Tilda Swinton, LeBron James 130 Min. FSK: ab 12

Grandios, wie der Vater seinen Töchtern erzählt, dass es doch blöd sei, nur mit einer Puppe spielen zu dürfen. Und nicht mit der neuen Puppe oder der Freundin der Puppe... Kurz: Monogamie ist Mist. 23 Jahre später lebt Amy (Amy Schumer) diese Mantra lustvoll und perfektioniert: Den stetig wechselnden Typen für einen Nacht macht sie vor, dass sie die Größten ... seinen und sie selbst soooo unerfahren. Nach ihrem Orgasmus schläft Amy direkt ein und schmeißt dann den Kerl schnell raus.

Als der Sport-Arzt Aaron Conners (Bill Hader), den die Sport-Hasserin für ihre dämliche Männerzeitschrift porträtieren soll, sie ein zweites Mal sehen will, bricht heftige Panik aus. Eine Allergie gegen Löffeln und sein Atem in ihrem Nacken lassen sich mit Abstand im Bett noch ertragen, doch eine ernsthafte Beziehung? Aber selbst der ruppige Papa, gerade im Pflegeheim gelandet, findet Doktor Aaron nett. Nicht nur, weil der haufenweise berühmte Sportler behandelt und kennt.

Amy Schumer schrieb sich mit „Dating Queen" ihren ersten großen Kinofilm selbst. Sie ist spätestens seit ihrer TV-Show „Inside Amy Schumer" auf Comedy Central eine neue Comedy-Sensation, die in Deutschland noch zu entdeckt ist. Wie in „Dating Queen" steckt hinter dem süßen Gesicht eine Menge Zündstoff. Schumer entspricht nicht dem Hollywood-Standard für Frauen, kann dafür süß wirken und bissig sein. In ihren Sketchen nimmt sie ganz alltäglichen Sexismus aufs Korn, spricht aber auch ernsthaft komisch Vergewaltigung an. Beispielsweise im legendären Clip, in dem ein Football-Trainer seinen Stars Gewalt gegen Frauen abgewöhnen will. Frech, selbstbestimmt und rücksichtslos legt Schumer auch ihre Figur Amy an. Promiskuitiv, saufend und ungebunden rumpelt die Redakteurin durchs Leben - es macht Spaß, ihr zuzusehen.

Leider wird auch Schumer für das große Publikum gebremst: Sie veralbert anfangs noch die romantische Montage-Sequenz in Anlehnung an Woody Allens „Manhattan", dann folgt die Handlung immer mehr den Spuren des Liebesfilms - erfolgreich. Mit einer offenen Knie-Operation zu Billy Joels „Uptown Girl", mit herrlichen Auftritten von Basketballstar LeBron James und Tilda Swinton als zynische und zickige Chef-Redakteurin eines Männermagazins für die ganz einfachen Ansprüche. Und dann ist da noch der herrliche Film-im-Film mit Daniel Radcliffe als Hundeführer und Marisa Tomei als sehr anzügliche Hundebesitzerin.

Der alte Trick, Beziehung und Liebe zu negieren, um sie später glaubhaft zu feiern, funktioniert in dieser endlich mal anständigen Komödie von Judd Apatow („Jungfrau (40), männlich, sucht" und „Beim ersten Mal"). Das Kunststück, heftige Attacken gegen verlogenen Kitsch abzulassen und dann selbst ein nettes romantisches Finale hinzulegen, ist gelungen. „Dating Queen" schafft es tatsächlich, zwischen vielen groben Scherzen und schrägen Situationen zu berühren.

9.8.15

Weltpremiere in Locarno

„Der Staat gegen Fritz Bauer" rollt Nachkriegsgeschichte auf

Deutscher Starter macht nicht viel Staat auf der Piazza

Locarno. Freitagabend erlebte das zu großen Teilen in NRW gedrehte historische Drama „Der Staat gegen Fritz Bauer" beim 68. Internationalen Filmfestival von Locarno (5. - 15. August) vor mehreren tausend Zuschauern seine Weltpremiere auf der Piazza Grande, dem grandiosen Open Air-Kino am Lago Maggiore. Während das Schweizer Festival zwischen Kommerz und Kunst bei besten (Wetter-) Aussichten neue Zuschauer-Rekorde erreichen könnte, wird der Film von Lars Kraume kaum die Erfolgsreihe von Publikumspreisen für deutsche Produktionen („Das Leben der anderen", „Das Wunder von Bern", „Die syrische Braut") fortsetzen.

Landesverrat ist das aktuelle Stichwort und ein Oberstaatsanwalt bangt um seinen Job. Diese Parallele zu aktuellen Ereignissen sorgte nur kurz für Heiterkeit im Publikum. Das Drama um den legendären Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Burghart Klaußner) zeichnet eine Zäsur im Verhältnis der Bundesrepublik zu ihrer Nazi-Vergangenheit nach. „Im Labyrinth des Schweigens" zeigte schon packend, wie Bauer, verfolgtes SPD-Mitglied und Jude, seine Staatsanwaltschaft einsetzte, um Adolf Eichmann auszuspüren und 1963 die ersten Prozesse gegen Auschwitz-Täter zu eröffnen. Nun wird Bauer in „Der Staat gegen Fritz Bauer" zur Hauptfigur im Ränkespiel mit ehemaligen Nazis und SS-Leuten in Justiz, Geheimdienst und Regierung. Und über den jungen Staatsanwalt Karl Angermann (Ronald Zehrfeld), der zum Vertrauten und Freund wird, auch seine, damals noch strafverfolgte Homosexualität.

Bauer ist eine wichtige, große Figur unserer Demokratie, die sich mit „heiligem Zorn" und Geschick in Nazi verseuchter Umgebung dem Leugnen und Verdrängen des Holocausts entgegenstellte. Das trägt der Film in deutlichen Worten vor - wie eine Verfilmung von Lexikoneinträgen und Aktendeckeln. Leider, bei allem Aufwand in Kostüm und Kulissen, bei den exzellenten Darstellungen von Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Lilith Stangenberg und Sebastian Blomberg bis in die Nebenrollen, vermisst man die filmische Idee, das emotionale Verstehen, dass hier einer aufforderte, nicht platt „stolz auf sein Land" zu sein, sondern im aktiven Einsatz die funktionierende Demokratie am Leben zu erhalten.

Dennoch - auch wenn die Dramaturgie nicht vom Hocker reißt, das Ende eher Antiklimax ist, die Ähnlichkeiten von der restaurativen Adenauer-Zeit zu Merkels bleierner Berliner-Republik sind frappant. Bis zum Schlüsselsatz „Wenn wir etwas für unser Land tun wollen, müssen wir es verraten." Da ist die Geschichte dann zumindest rund und hochaktuell. (Der Film kommt am 1. Oktober in die Kinos.)

Die Reaktionen der Presse waren zumindest nicht so vernichtend, wie beim Eröffnungsfilm, Jonathan Demmes' großer Enttäuschung „Ricki and the Flash" („Ricki – Wie Familie so ist", Start 3. September). Meryl Streep ist als alternde Rockerin und reuige Mutter völlig fehlbesetzt, Demme liefert nach großartige Neil Young-Filmen und dem legendären „Stop Making Sense" seinen schlechtesten Musikfilm ab und Autorin Diablo Cody verspielt ihren guten Ruf von „Juno" endgültig. Meryl Streep und das ganze Team blieben der Werbeveranstaltung wohlweislich fern. Dafür eröffnete Edward Norton den Promi- und Preisreigen, indem er sich auf der Bühne artig für den Schweiz-Urlaub für ihn und seine Familie bedankte. Aus diesem See von Fettnäpfchen wird das Traditons-Festival hoffentlich der Wettbewerb retten.

Bis am 15. August werden in Locarno 179 Langzeitfilme und 87 Kurzfilme aus 51 Ländern gezeigt. Im offiziellen Wettbewerb um den Goldenen Leoparden gibt es bei einer Handvoll bekannter Namen keinen deutschen Starter. Überhaupt gibt es deutsche Produktionen bis auf „Der Staat gegen Fritz Bauer" nur in Nebensektionen.

5.8.15

True Story

USA 2015 Regie: Rupert Goold mit Jonah Hill, James Franco, Felicity Jones 100 Min. FSK: ab 12

Ein Journalist ist besessen von der Geschichte eines kaltblütigen Mordes und stürzt sich in die Recherche. Das Ergebnis ist ein exzellentes, berühmtes Buch und dann ein Film über diesen Autor und seine Beschäftigung mit den Morden. Das hätte „True Story" nach einer wahren Geschichte von Michael Finkel werden wollen, aber leider reicht die wahre Geschichte „True Story" nur in einer Dimension heran an „Kaltblütig" (In cold blood) von Truman Capote sowie die Verfilmung „Capote" von Bennett Miller mit Philip Seymour Hoffman als Capote.

Diesmal spielt der eher als Komödiant bekannte Jonah Hill den erfolgreichen New York Times-Autor Michael Finkel. Gerade als dieser für eine journalistisch unkorrekte Geschichte über ausgebeutete Arbeiter in Afrika seinen guten Namen verliert, benutzt ein Kindermörder den während seiner Flucht. Auch in der Haft lockt Christian Longo (James Franco) den mittlerweile arbeitslosen Finkel. Der will nicht nur hören, „wie es ist, ich zu sein", er wittert auch ein Comeback in der Geschichte des Mannes, dem vorgeworfen wird, seine Frau und seine drei Kinder ermordet zu haben. Ein Pakt wird geschlossen, in dem Finkel vorerst Verschwiegenheit und dazu Schreibunterricht verspricht.

Dafür bekommt er direkt einen ganzen Packen handgeschriebener Seiten, eine komplette Biografie samt expressiver Bleistift-Zeichnungen und Daumenkinos. Erst spät fällt zuerst Finkels Freundin auf, dass Longo in einem erschreckenden Maße die Arbeiten Finkels kennt, dessen Handschrift und sogar Krakel am Seitenrand imitiert. Der Mörder manipuliert souverän den erstaunlich naiven Journalisten.

„True Story" bietet eine ungewöhnliche Paarung aus dem Komiker Jonah Hill („21 Jump Street") und dem Alleskönner James Franco. Daran liegt es nicht, dass dies über einige Strecken packende Psycho-Duell letztlich unbefriedigt lässt. Zwar ist es nie ein gleichberechtigter Kampf, Finkel ist zu arg- und wehrlos. Doch im Ansatz verfolgt man das Geben und Nehmen dank gutem Spiel interessiert. Auch lange musikalische Sequenzen und der Verzicht auf viel Gerichts-Gerede sind positiv. Dass dies alles mit der späten Erkenntnis des Manipulierten wie eine Seifenblase zerplatzt, ist aber zu wenig. Es muss nicht hoch spannend wie bei „Zwielicht" mit Richard Gere und Edward Norton ausgehen, doch etwas mehr Ausarbeitung und vielleicht eine Erklärung der Morde hätten dem Film gut getan. Schön immerhin die Pointe, dass Longo später für die New York Times schrieb - und Finkel nicht mehr.

4.8.15

Learning To Drive

USA 2014 Regie: Isabel Coixet mit Patricia Clarkson (Wendy), Ben Kingsley (Darwan), Grace Gummer 90 Min. FSK: ab 0

Die großartige katalanische Regisseurin Isabel Coixet drehte „Mein Leben ohne mich" (2003), „Das geheime Leben der Worte" (2005) und nach „Elegy oder die Kunst zu lieben" (2008) selbstverständlich wieder einen Frauenfilm und Ben Kingsley gibt nach „Gandhi" wieder den Inder. Obwohl, hier fängt das genauere Hinsehen schon an: Kingsley spielt einen Sikh, der als Taxifahrer in New York das Ende einer Ehe miterlebt. Diesmal ist es keine Flause, diesmal verlässt Ted nach 21 Jahren Ehe wirklich die ältere Literaturkritikerin Wendy (Patricia Clarkson). Bei der Aufregung wird ein Manuskript im Taxi vergessen, der freundliche Fahrer Darwan bringt es vorbei und zufällig bietet er auch Fahrstunden an, was die verzweifelt Sitzengelassene genau jetzt braucht, denn die Tochter Tasha begeistert sich neuerdings am ihrem organischen Farmleben außerhalb der Stadt.

Nun ist der Navi dieser Begegnungen im Fahrschulauto nicht auf romantischen Kollisionskurs eingestellt, das wäre zu banal. Wendy und Darwan lernen sich reichlich kennen, stammen sie doch aus ganz unterschiedlichen Welten: Die bekannte Literaturkritikerin ist in intellektuellen Kreisen zu Hause, weiß aber dort als einzige nicht, dass die bejubelte junge Autorin die neue Geliebte ihres Mannes ist. Darwan musste nach seiner politischen Verhaftung und der Ermordung seines Bruders aus Indien fliehen und erhielt politisches Asyl in den USA. Zurück kann er nun nicht mehr, Kontakt mit der Familie hält er per Video-Chat. So soll ihm auch ganz traditionell eine Frau vermittelt werden.

Sie spricht es einmal selbst an, die aufgeklärte, selbständige und moderne Frau: Ich habe alles und liege am Boden. Der immer ruhige und religiöse Mann nickt wieder einmal nur ein wenig mit dem Kopf. Ja, diese Fahrstunden sind auch Lektionen in Lebens-Philosophie und fast Meditation für schwierige Fälle. Man fühlt sich bis ins Kino in sicheren Händen.

So lernt Wendy nicht nur, mit den typischen rasenden und hupenden Idioten fertig zu werden, oder die in New York sehr hinderliche Angst vor Brücken zu überwinden, mit dem Führerschein gewinnt sich auch die Hoffnung wieder. Drumherum erzählt der Turban tragende Darwan von der rassistischen Verfolgung als „Osama", werden seine illegalen Mitbewohner verhaftet und die arrangierte Braut zieht hilflos in die Kellerwohnung.

Der Kern von „Learning to drive" ist jedoch diese schöne, ungewöhnliche Freundschaft. Damit gelang Isabel Coixet ein unaufgeregter, ernsthafter und doch leichter Film. Was ihrer Regie, der Vorlage der amerikanischen Kulturkritikerin Katha Pollitt („Learning to Drive: And Other Life Stories"), dem Schnitt von Scorseses langjähriger Cutterin Thelma Schoonmaker und dem Spiel von Ben Kingsley zu verdanken ist. Die leichte devote, auf jeden Fall zurückhaltende Körperhaltung und der typische indische Dialekt könnten bei jemand anderem zur Karikatur werden. Beim Oscarpreisträger, der schon bei „Elegy" mit Coixet zusammen arbeitete, entsteht eine faszinierende Figur mit Stärke in der Bescheidenheit und Schwächen auf unerwarteten Feldern. Ein reizvoller, reifer Film unter den vielen Taxi-Filmen („Taxi Teheran", „Taxi"), die zur Zeit ins Kino drängen.

3.8.15

Mission: Impossible - Rogue Nation

USA 2015 Regie: Christopher McQuarrie mit Tom Cruise, Jeremy Renner, Simon Pegg, Rebecca Ferguson 131 Min.

Selten war es so einfach, mit nur einer Melodie (von Lalo Schifrin) Atmosphäre und eventuelle Begeisterung zu „Mission Impossible" abzurufen. So wie mit den Trompeten von John Williams aus „Star Wars" oder dem minimalen Syntheziser Brad Fiedels zu „Terminator". Doch mit jeder neuen Ausgabe der Agenten-Action muss auch die Schraube der Attraktionen weiter angedreht werden. So hängt Tom Cruise als Agent Ethan Hunt gleich am Anfang des fünften Films „Mission Impossible: Rogue Nation" direkt wieder in der Luft. Eine Waffenladung darf nicht entfleuchen und so hängt Hunt sich außen an einen startenden Militärtransporter. Dieser eher komische Teaser kommt nie am Boden an, die eigentliche Handlung richtet dann eine junge Agentin vor den Augen Hunts hin. Fortan jagt Hunt den dämonischen Gegner Solomon Lane, Chef vom mysteriösen „Syndikat". Das drückt mit Stippvisite in Havanna, einem Opern-Besuch in Wien und Wasserröhren-Tauchen und Kasbah-Verfolgung auf Motorrädern in Casablanca wieder die Hyperaktivität der Reiseabteilung aus, die wichtiger scheint als eine sinnig packende Abfolge der Geschichte.

Als Dreingabe gibt es die, für „Mission Impossible" schon seit den Urzeiten der TV-Serie unerlässlichen, technischen Gimmicks und - diesmal eher lästig - ein obligatorischer Masken-Einsatz. Bemerkenswert ist nicht eine schwindelnd hohe Szene wie in „Mission: Impossible – Phantom Protokoll" an einem Wohnturm in Dubai sondern das Hohe C aus „Turandot" bei dem der Kanzler Österreichs erschossen werden soll. Mit spannend choreografierter Trapez-Action in der Oper gedenkt „MI 5" Hitchcocks „Der Mann, der zuviel wusste". Das Libretto „Turandot" spiegelt das Geheimnis um die geheime Doppelagentin Ilsa, von Rebecca Ferguson reizvoll gespielt.

Wenn man „Mission: Impossible - Rogue Nation" nicht wegen der Scientology-Mitgliedchaft von Tom Cruise ablehnt, dann vielleicht wegen mäßigen Schauspiels. Der fünfte neue Spielfilm ist - obwohl produziert von Cruise selbst - mehr Team als Tom. Simon Pegg, der Komiker der Cornetto-Trilogie, gibt den komischen Schreibtisch-Agenten, der im Außeneinsatz Angst erfahren darf. Ving Rhames den stoischen und treuen Freund Luther Stickell und Jeremy Renner den IMF-Chef William Brandt, der sich gegen die eifersüchtige CIA bewähren muss.

Das ist wieder mal so ein IMF-Auftrag, der routiniert erledigt wird, aber blöderweise hat „Kingsman" vor ein paar Monaten die Latte sehr hoch gelegt. Wenn dann Cruise nicht mehr der Knaller, sondern oft nur Randfigur ist, wenn dauernd jemand die Maske von Cruise zu tragen scheint, dann kann man diese selten aufgeregte Wiederholung schnell vergessen.

About A Girl

BRD 2014 Regie: Mark Monheim mit Jasna Fritzi Bauer, Heike Makatsch, Aurel Manthei, Simon Schwarz 106 Min. FSK: ab 12

Ist es dieses allgemeine Leiden, das sich Pubertät nennt, oder ein spezieller Lebensüberdruss, der die 15-jährige Charleen (Jasna Fritzi Bauer) in die Wanne treibt? Dort steht sie mit den Füßen im Wasser, den Föhn schon in der Hand ... als sie eigentlich doch nicht mehr nicht mehr will. Dazu ruft die beste Freundin endlich an, aber zu spät: Ein blöder Ausrutscher mit Kopfverletzung und Rettungswagen bringt Charleen reichlich Erklärungsnot für die nächsten Wochen ein.

Wie erklärt man der besorgten Mutter (Heike Makatsch), deren veganen Biolehrer-Freund (Simon Schwarz), dem Papa, der nach Jahren besorgt noch mal auftaucht, und allen anderen, dass eigentlich schon gar kein Selbstmord mehr geplant war? Es aber andererseits es auch irgendwie egal ist...

Es ist recht schwierig, so einen misslungenen grundlosen Selbstmord zu erklären - auch für die deutsche Jugendbefindlichkeits-Komödie „ About A Girl" - nicht im geringsten verwandt oder verschwägert mit Nick Hornby. Selbst wenn die Dialoge ganz gut und fast flott daherkommen, reicht das nicht. Vor allem kennt man nicht nur Cobain und Winehouse von der Posterwand, auch all die Versatzstücke der Geschichte sind mehr als vertraut: Klar, das Praktikum im Bestattungsinstitut und die Polaroids toter Tiere sollen komisch morbide wirken. Aber weder Todessehnsucht noch neu erwachte Lebensfreude wegen erster Liebe (mit Emo-Geklampfe der Tonspur) sind überzeugend, weder Freundschaft noch Streit mit der blonden, oberweiten-fixierten Freundin glaubhaft. Da steht man selbst im (Kunst-) Regen, der Charleen immer überfällt.

Irgendwie gab es solche Geschichten schon öfters und viel besser. Vom poetisch morbiden „Harold and Maude" bis zuletzt Gus van Sants „Restless". Und selbst die geklaute gute Idee wurde nicht überzeugend ausgeführt. Jasna Fritzi Bauer könnte vielleicht sogar besser spielen, Heike Makatsch kreiselt als Mama im Chaos der Ebay-Verkäufe und Psychoprobleme herum und hin auf die große Ich-liebe-meine-Tochter-Rede vor der klischeehaften Jugendamt-Zicke. Nein, diese Familie hat nicht wirklich Probleme - dafür aber und deshalb der höchstens nette Jugendfilm.