1.6.15

Kind 44

USA, Großbritannien, Rumänien, Tschechien 2015 (Child 44) Regie: Daniel Espinosa mit Tom Hardy, Noomi Rapace, Gary Oldman, Vincent Cassel 138 Min, FSK: ab 16

Irgendwann wird es in der Kulturgeschichte des Möchtegern-Zaren und Kriegsherren Vladimir Putin (Tschetschenien, Georgien, Ukraine) eine Fußnote zum Film „Kind 44" geben. Denn ohne die Mithilfe des speziellen Freundes von Depardieu, Blatter und Schröder würde dieser mittelmäßige historische Krimi niemals so viel Aufmerksamkeit bekommen. Was zahlt Hollywood eigentlich den Diktatoren für einträchtige Verbotsaktionen wie bei „The Interview" in Nord-Korea oder jetzt mit „Kind 44" in Russland?

Anfang der Fünfziger Jahre überzieht Stalin die Sowjetunion mit einer letzten, im Vergleich zum Großen Terror der Dreißiger, kleinen „Säuberungswelle" mit „nur" tausenden und nicht Millionen Opfer. Doch als der Sohn des Geheimdienst-Offiziers Alexei Andreyev (der Schwede Fares Fares) in Moskau ermordet wird, muss es ein Unfall gewesen sein, weil es im Arbeiterparadies der Stalinzeit keine Verbrechen geben darf. Wassilis Freund und Kollege beim inneren Geheimdienst NKWD Leo Demidow (Tom Hardy) unterstützt wider besseres Wissen und aus Angst vor dem allgegenwärtigen Überwachungs-Terror die Lüge. Wenig später, als sie wieder einen Unschuldigen verhaftet und der Folter überlassen haben, denunziert der anscheinend Leos Frau Raisa Demidow (Noomi Rapace). Doch den Verrat an der Geliebten, diesen Loyalitäts-Beweis verweigert der Held der Sowjetunion. Das Paar wird in eine ferne Arbeiterstadt deportiert, Raisa von Lehrerin zur Putzfrau und Leo zum Hilfspolizisten degradiert. Der neurotische und intrigante Wassili (Joel Kinnaman) hat nun Leos Posten, will aber mehr. Doch die Kindermorde setzen sich fort, auch am Ort von Leos Verbannung....

Was für eine gute Idee, die Gewalt eines unfassbar grausamen Staates in den Gewalttaten gegenüber wehrlosen Kindern zu spiegeln! Denn sowohl Leo als auch der Täter sind auch sträflich vernachlässigte und geschundene Waisen. Nur dumm, dass der Historienfilm „Kind 44" diese Historie aus den Augen verliert. Dass Leo unbedingt einer der Rotarmisten mit der Fahne auf dem Reichstag sein muss, ist dabei ohne weitere Funktion weit hergeholt.

Der schwedische Regisseur Daniel Espinosa („Safe House", 2012) erzählt mit einer nicht stringenten Überfülle von ziellos eindringlichen Szenen vom Staats-Terror, von der Jagd auf einen Serien-Mörder und von einer schwierigen Liebesgeschichte unter Terror-Angst. Das poltert munter durcheinander, Tom Hardy stapft nur stoisch mit hoch rasierten Haaren und seinem typischen schiefen Kopf durch die Handlung. Der schwedische „Millennium"-Star Noomi Rapace („The Drop", „Babycall") wirkt als blonde Russin dauernd deplatziert. Wobei gerade das Drama ihrer Figur Raisa viel Potential hat. Heiratete sie doch den verliebten und ungeheuer naiven Geheimdienst-Offizier Leo nur aus Angst, weil man solchen Leuten im Terror-Staat nicht Nein sagen darf. Erst seine Weigerung, sie zu verraten, kann ihr Herz langsam erweichen und macht sie zur Partnerin im Kampf um Leben und Tod.

Doch so wie die Gewalt im äußerlich düsteren „Kind 44" auffällig unübersichtlich montiert wird, verlieren sich die großen Gedanken und Themen im Gewühl der Ereignisse. So bleibt nicht mal eine Ahnung vom Leben in einem Land voller Denunzianten, der Täter ist weder bedrohlich noch tragisch. Und dass am Ende unter viel Rührung wenigstens zwei Waisen ein besseres Zuhause bekommen sollen, erscheint ebenso aufgesetzt wie die Psychologie beim Geständnis.

So ist das Interessanteste an „Kind 44" letztlich, wie einen viele gute Schauspieler (Tom Hardy, Noomi Rapace, Gary Oldman, Vincent Cassel...), eine außerordentliche Epoche, ein historischer Mordfall und eine besondere Liebesgeschichte letztlich unbewegt und ratlos zurücklassen. Doch der Schuldige steht fest: Putin mit seinem Verbot des Films.