24.2.15

Asterix im Land der Götter

Frankreich 2014 (Asterix: Le domaine des dieux) Regie: Alexandre Astier, Louis Clichy 84 Min. FSK: ab 0

Das Dorf der Gallier wirkt von Anfang an erstaunlich unecht - es ist ja auch nur ein Modell, an dem Cäsar seinen neuen teuflischen Plan ausheckt, um die unbesiegbaren Gallier endlich klein zu kriegen. Und es ist ein neuer teuflischer Plan der Filmproduzenten, die Begeisterung für die Asterix-Comics auf die Leinwand zu bekommen: Nach den ersten einfachen Zeichentricks, die gerne mehrere Geschichten kombinierten, kamen die Realfilme. Weil der Obelix-Darsteller Depardieu allerdings irgendwie von der russischen Mafia abgeworden wurde, ging es mit dem Nationalepos und dem National-Schauspieler nicht mehr weiter. Deshalb nun eine 3D-Animation, was dem alten Comic-Fan kein freudiges Wiedersehen beschert. Computer-animiert und knuddelig rund kommen einem die vertrauten Figuren erst einmal fremd vor. Auch wenn schon nach wenigen Minuten die erste Dorf-Prügelei der Gallier abgeht.

Die Geschichte von der „Trabantenstadt" (französischer Originaltitel: Le Domaine des Dieux), dem 17. Band der Asterix-Reihe von René Goscinny und Albert Uderzo aus dem Jahr 1971, ist auch heute noch hochaktuell. Schon damals wurden Natur und Ackerland für Wohnungsbau zubetoniert, während in den Städten Leerstand herrschte. Nur die Gallier leisteten noch eifrig Widerstand gegen die Baumaßnahmen, pflanzten abgeholzte Bäume (das mag Idefix gar nicht) wieder nach und nervten am Ende die neuen Mieter durch ihr typisches, volkstümliches Verhalten und Feiern.

Doch scheint Cäsars Plan aufzugehen: Dank eifrigem Handel mit den neuen Nachbarn zerfällt die Dorfgemeinschaft der Gallier und die Unbesiegbaren zerlegen sich von selbst, bevor sie zu echten Römern werden. Man nennt das heute wohl Globalisierung.

Erstaunlicherweise funktionieren die alten Scherze immer noch. Selbstverständlich angereichert von haufendweise Modernisierungen, einem „römischen" Popsong und dem rasanten Takt der Scherze. Der Gladiatorenkampf als Catcher-Einlage wird von Werbung unterbrochen und der Vorspann ist eine Kombination von James Bond und Asterix. Eine respektvoll aktualiserte Verfilmung eines Literatur-Klassikers.

Heute bin ich Samba

Frankreich 2014 Regie: Eric Toledano, Olivier Nakache mit Omar Sy, Charlotte Gainsbourg, Tahar Rahim, Izïa Higelin 120 Min. FSK: ab 6

Wie wäre es, wenn man „Nymphomanic" mit dem Schwarzen aus dem Rollstuhlfilm paart? Ziemlich platt gesagt, aber jeder weiß Bescheid, was für die Besetzung mit Charlotte Gainsbourg und Omar Sy aus „Ziemlich beste Freunde" spricht. Doch die erste Hälfte der französischen Immigranten-Geschichte „Samba" straft den Zyniker Lügen, bevor ein Happy End alles kaputt macht.

Was für eine Karriere: Anfangen als „Kleine Diebin" und jetzt Sozialarbeit als Beschäftigungstherapie. Charlotte Gainsbourg („Nymphomaniac", „Anleitung zum Träumen") spielt die Karrierefrau Alice, die nach einem Burn Out beurlaubt ist, und deswegen mithilft, Immigranten in Frankreich zu ihrem Aufenthaltsrecht zu verhelfen. Ein graues Mäuschen im Mini Cooper, das trotz der Warnung einer abgebrühten Kollegin Manu (Izïa Higelin) direkt dem ersten Klienten in Abschiebehaft ihre Telefonnummer gibt. Doch auch wenn der Flirt von Samba (Omar Sy) charmant und unübersehbar ist, Alice kapiert es nicht. Auch im weiteren Verlauf gestaltet sich das Kennenlernen vor allem komisch holperig, auch wenn die Situation von Samba überhaupt nicht komisch ist. Zwar entlässt man ihn aus der Haft, allerdings mit der nicht kontrollierten Auflage, sofort das Land zu verlassen. Ab jetzt ist er offiziell ein „Illegaler" und fügt sich murrend den Anweisungen zur Anpassung, die ihm sein Onkel mitgibt: Immer Anzug mit Zeitung unter dem Arm tragen, nie schwarzfahren, die eigene Identität möglichst verleugnen.

Die anfangs einfühlsame Komödie „Heute bin ich Samba" macht auf verschiedene Weisen erstaunlich klar, wie sich ein Leben als Flüchtlinge anfühlt. Die Gegensätze von Abschiebehaft und Luxus-Hotel, in dem ausgerechnet die Ärmsten arbeiten müssen, sind gut gewählt. Damit dies nicht in Larmoyanz abrutscht, gibt es ein paar Tanz- und gute Laune Szenen. Vor allem Sambas neuer „brasilianischer" Freund Wilson (Tahar Rahim, „Le Passé – Das Vergangene") sorgt mit einer heißen Fensterputzer-Nummer vor begeisterten Sekretärinnen für Stimmung. So wie eine Sprechstunde für Flüchtlinge mit einem für die Beteiligten furchtbar anstrengenden Sprachwirrwarr, sehr witzig anzusehen ist. Die Beziehungen zu den Freunden und Kollegen sind lebing gezeichnet, sorgen ihrerseits für Spaß und Anteilnahme.

Charlotte Gainsbourg steht diese Rolle großartig, viel besser als „Nymphomaniac" oder die einseitige Kronprinzessin aus Jacky im Königreich der Frauen". Alices Burn Out-Attacke auf die Kollegen ist ein gelungener Scherz, der über ihren angeblichen exzessiven Sex ein Querverweis auf das kühle Kalkül der Besetzung. Doch dann lässt das Ende den ganzen Film kippen. Von daher gesehen stimmt die ganze Moral, die ganze Haltung Sambas nicht mehr. Aus unerklärlichen Gründen, vielleicht wegen eines Zwangs zum Happy End, stimmt dann eigentlich gar nichts mehr, auch die Abreise von Sambas Onkels erscheint völlig sinnlos. So schafft es der größtenteils gelungene Film am Ende, alle Sympathien und sozialkritischen Ansätze zu verspielen.

Als wir träumten

BRD, Frankreich 2015 Regie: Andreas Dresen mit Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Marcel Heuperman, Joel Basman, Frederic Haselon, Ruby O. Fee 117 Min. FSK: ab 12

Rico und seine Brüder

Überholen ohne einzuholen, Walther Ulbrichts Parole aus der DDR von 1959 passt trefflich auf einen Film, der vor und nach dem Mauerfall spielt, ohne diesen irgendwie zu zeigen. Fünf Freunde in Leipzig sind dreizehn, als die Geschichte in der DDR beginnt und siebzehn, als sie im neuen Deutschland endet. Sie lassen pionier-bunte Kindheit und die graue Desillusionierung der „Freiheit" nacherleben. Regisseur Andreas Dresen („Halbe Treppe", „Sommer vorm Balkon", „Wolke 9", „Halt auf freier Strecke") verfilmte mit „Als wir träumten" den gleichnamigen Roman von Clemens Meyer. Das Drehbuch schrieb Defa-Legende Wolfgang Kohlhaase („Ich war neunzehn", „Solo Sunny").

In einem heruntergekommenen Kino, in dem sie als Kinder noch „Winnetou 3" erlebten, trifft Dani (Merlin Rose, „Doktorspiele") noch einmal den Junkie Mark (Joel Basman). Der ist auch heruntergekommen und eine schön angelegte Rückblende aus dem Kino erzählt, wie nicht nur diese Freundschaft zerbrach. In der DDR war Rico der Auffällige, der sich aus privaten Gründen gegen die uniforme Erziehung bei den jungen Pionieren wehrt. „Hurra, hurra, die Schule brennt", erklang hier nicht, doch bei der Pionier-Übung in der künstlich verräucherten Schule erhofften sich die Jungs Wiederbelebungs-Küsse der etwas älteren Retterinnen.

Bald springt der Film von der Schulzeit zu den Jugendlichen, „Halbstarke" hätte man sie früher im Westen genannt. Saufen und Vandalismus bestimmt ausführlich das Lebensgefühl. Als Traum eignet sich dann auch ein Underground-Club, der trotz großer Ahnungslosigkeit kurzzeitig erfolgreich ist. Bis die Neonazis, mit denen sich Rico (Julius Nitschkoff) früh anlegte, den Club zertrümmern. Da ist aber auch schon die Freundschaft zerbrochen. Pitbull ((Marcel Heuperman) wurde zum Dealer. Ricos Box-Karriere scheiterte an der eigenen Unbeherrschtheit. Danis Traumfrau (Ruby O. Fee), Sternchen genannt, erweist sich nicht erst als dämliche Stripperin („Hab immer gerne getanzt!") unfreiwillig als Witzfigur und Provokation des Feminismus.

Fünf Freunde und eine verlorene Jugend. Drogen und eine Frauengeschichte bringen die Jungs auseinander. Dabei hat mal nicht die Eingliederung der DDR Schuld, die taucht gar nicht richtig auf. Höchstens in kleinen Unterschieden: Zwischen den Saufgelagen kümmern sich die Jungs noch um eine alte Nachbarin, nicht nur weil es Geld fürs Kohlenschleppen gibt. Eine erste Konfrontation mit Neonazis, die sich um diesen Job betrogen sehen, verweist auf spätere Prügeleien. Aber auch der geschlagenen Hausfrau kommen Rico und seine Freunde zu Hilfe - wenn auch mehr schlecht als recht. Was wie vieles andere einen melancholischen Humor aufleuchten lässt.

Der Debütroman des Leipzigers Clemens Meyer wurde von Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase und Regisseur Andreas Dresen als ein ernüchternder Abgesang an Hoffnung und Zukunft verfilmt. Leider, trotz guter Besetzung, wenig „sexy" oder mitreißend, auch wenn Dresen wieder wichtige Themen aus dem DDR-Nachfolgestaat eindrücklich auf die Leinwand bringt. Er kann vermitteln aber nicht begeistern.

23.2.15

American Sniper

USA 2014 Regie: Clint Eastwood mit Bradley Cooper, Sienna Miller 132 Min. FSK: ab 16

Clint Eastwood, der Dirty Harry unter den knallharten Kerlen, der Vorreiter des Spaghetti-Western, der mit seiner Regie „Erbarmungslos" dem Rachefilm einen Abgesang bereitete, der seine berittenen Fans mit dem veritablen „Frauenfilm" „Die Brücken am Fluß" schockte. Mal als unabhängiger Bürgermeister von Carmel braver Unterstützer der Zivilgesellschaft, mal gibt er seine Stimme den Liberalen Hollywoods, dann rückt er als Unterstützer der Republikaner recht weit nach rechts. Mittlerweile ist der Schauspieler, Regisseur und Komponist ein ruppiger, alter Herr, der schon mal mit leeren Stühlen redet, aber auch ganz locker ein paar filmische Meisterwerke tief empfundener Mitmenschlichkeit („Gran Torino", „Letters From Iwo Jima") hinlegte. Und nun „American Sniper", nach der Autobiographie des „Tödlichsten Scharfschützen der US-Armee": Eine Stunde lang eine der furchtbarsten Kriegstreibereien seit langem, quasi die Verfilmung der martialischen Bush-Präsidentschaften. Das patriotische Bejubeln eines Massenmörders an der irakischen Bevölkerung. Die in diesem Film nur aus hinterhältigen Attentätern besteht! Wenn es noch Rauchkinos gibt, dies ist ein Grund, viele US-Flaggen in Rauch aufgehen zu lassen.

„American Sniper" ist mehr als ein umstrittener Film. Es ist im besten Falle die zu subtile Demontage eines us-amerikanischen Massenmörders und Nationalhelden sowie des Waffen-Wahns dieses Landes aus Cowboys. Die Biografie von Chris Kyle (Bradley Cooper) beginnt mit einer schwierigen Entscheidung. Während der Scharfschütze im Iran eine Mutter und ihren Sohn im Visier hat, führt die Rückblende zur Ausbildung zum Todesschützen. Schon sein Vater brachte ihm das Abknallen von Tieren bei. Dazu prügelt er seinen Kindern ein Weltbild ein, dass es nur Schafe, Wölfe und Schäferhunde gäbe. Kurz: Schieße oder du wirst erschossen. Extrem religiös und schießwütig, aus diesem Material ist Chris Kyle, der auch nach 9/11 glaubt, die Attentäter können man im Irak jagen und sich deswegen gerne dem Sadismus der Marines-Ausbilder aussetzt.

Nun also unten auf der Straße eine Irakerin und ihr Sohn. Trotz der so tollen Schießkünste gibt hier die Alternative eines Warnschusses nie. Aber die „Wilden", wie Kyle sie alle nennt, haben sowieso immer Böses im Schilde oder eine Granate unter dem Kleid versteckt. So wird Kyle - im Film und auch der echte - nach über 160 Tötungen sagen, er würde keine bereuen.

Erst in der zweiten Stunde zeigt sich, dass Killer Kyle die vier Einsätze im Irak nicht verarbeiten konnte. Er wird zum gepanzerten emotionalen Wracks bis sich sogar seine Frau von ihm trennen will. Ist das schon Warnung vor dem Kriege? Oder war es die Falschmeldung früh im Film, dass es ein Attentat von „Feinden Amerikas" gab, die sich später als stramme Nationalisten herausstellten? Oder soll ein Schlussbild, in dem Kyle auch seinem Sohn wieder das Schießen beibringt, tragisch wirken? Weil es die Erziehung zu Waffe schon bei kleinen Kindern bloßstellt? Im weichem Gegenlicht?

Viel treffender ist die Tatsache, dass Kyle letztlich nicht im Cowboy-Duell von einem hinterhältigen iranischen Scharfschützen erwischt wurde, sondern zuhause von einem anderen traumatisierten Veteranen. Der Prozess gegen seinen vermeintlichen Mörder beginnt gerade.

Bradley Cooper („Valentinstag", „Hangover", „Silver Linings"), eher ein Schönling aus Rom-Coms, spielt den Gewalttäter Chris Kyle und produzierte auch diesen feuchten Traum aller patriotischen Hohlköpfe.
Man muss sehr lange suchen und um die Ecke interpretieren, um dieses hässliche Machwerk der Kriegstreiberei, dieses Hohelied des kalten Mordens nur ein wenig zu verteidigen. Eigentlich sollte jede echte Demokratie diese imperialistische Propaganda mit Verachtung strafen und mal eine Achse des Guten Geschmacks mit islamischen Ländern aufmachen. Denn „American Sniper" ist so schrecklich viel undifferenzierter als etwa Bigelows Irak-Film „Tödliches Kommando - The Hurt Locker", weil Eastwood nur unerträglich einseitig die US-Perspektive zeigt.

18.2.15

SpongeBob Schwammkopf 3D

USA 2014 (The Spongebob Movie: Sponge Out Of Water) Regie: Paul Tibbitt mit Antonio Banderas 93 Min. FSK: ab 0

Nun geht auch SpongeBob in seinem dritten Kinofilm den Weg jeder erfolgreichen Zeichentrickfigur: Er strandet im Realfilm! Doch erst liest der Pirat Burger Beard (Antonio Banderas) ein paar singenden Möwen eine Geschichte aus seinem gerade eroberten Schatzbuch vor - eine neue Geschichte von SpongeBob: Es gibt weiterhin den veritablen Lebensmittelkrieg um das Geheimrezept von Mr. Krabs mit Bombern, Panzern und Riesen. Die Restaurant-Konkurrenz zwischen Plankton sowie SpongeBob und Mr. Krabs verläuft rasant, überbordend, frech und verrückt, voller genialer Wortspiele (im Original) sowie vielen populären Medienzitaten für kleine und große Fans. So weit wie gehabt. Zur Wiederfindung des geheimen Burger-Rezepts bauen SpngeBob und Plankton gar eine Zeitmaschine aus einem Passfoto-Automat - samt Musical-Einlage. Sie begegnen dem Delphin Bubbles als Weltenwächter im Geiste von Douglas Adams mit einem Laserstrahl im Atemloch und stranden schließlich irgendwo in Kalifornien.

Die bis zum Ende durchgehaltene Frequenz der verrückten Scherze und Figuren ist atemberaubend. Banderas als Pirat und Koch sorgt in den Realfilm-Teilen da sogar noch für Ruhe. Allerdings sind ausgerechnet die Real-Sequenzen am Strand überhaupt nicht mehr so unverwechselbar, mit viel Rumfliegen und -rasen gar ziemlich austauschbar. Wieder einmal haben flach gezeichnete Figuren mehr Tiefe als computer-animiertes 3D. Nur die Idee, dass die Figuren dem Buch mit ihrer eigenen Geschichte begegnen, sorgt am Ende noch mal für einen raffinierten Twist.

17.2.15

Jacky im Königreich der Frauen

Frankreich 2013 (Jacky au royaume des filles) Regie: Riad Sattouf mit Vincent Lacoste, Charlotte Gainsbourg, Didier Bourdon, Anémone 87 Min. FSK: ab 12

Ein Königreich der Frauen ... in dem alles genauso bescheuert verläuft wie in der männerdominierten Welt. Das ist die Volksrepublik Bubunne, die von der ärmlichen Bebauung her auch Nord-Korea oder das sozialistische Albanien sein könnte. In der Erb-Diktatur „herrschen" Frauen seit Generationen. Die Männlein müssen sich unter einer knallroten Einheits-Tschador verstecken, am Hals ein Ring, an dem sie paarungsbereit mit einer Hundleine wedeln. Der feuchte Traum all dieser unterdrückten Putzhilfen ist die Thronfolgerin, die Colonelle (Charlotte Gainsbourg) in Uniform auf Pferd oder Panzer. Da sie zur Erbfolge einen Mann braucht, tanzen hunderte Hoffnungsvolle zu Bräutigam-Schau an. Mit Hilfe seines rebellischen Onkels kann das umgekehrte Aschenputtel Jacky (Vincent Lacoste) als Frau verkleidet die von ihm begeisterte Colonelle tatsächlich kennen lernen.

„Jacky im Königreich der Frauen" ist eine detailliert ausgestaltete und ziemlich überzogene Satire: Einiges wirkt arabisch, die weiblichen Schlachtschiffe in Uniform sehen sowjetisch aus. Bubunne hat eine Sprach-Verhunzung mit seltsam verlängerten Worten, eine eigene Schrift, eine unappetitliche Art der Ernährung mit einer Art Kleister, der zäh aus riesigen Wasserhähnen tropft und das Verbot, Gemüse zu essen. Das komödiantische Tempo geben gleich in den ersten Minuten ein paar Hinrichtungen, ein Pony als Orakel und etwas Onanie vor. Treffend in den Überzeichnungen der Satire driftet die Geschichte schon mal in Trash ab, doch dass die Oberen Gemüse verbieten, um es selber zu essen, kommt einem recht bekannt vor. Neben der beherrscht spielenden und etwas unterforderten Charlotte Gainsbourg überzeugen gleich eine ganze Reihe hervorragender französischer Komikerinnen, „herrlich" beispielsweise Valérie Bonneton als Sheriff. Frauen sind ordinär, spucken auf die Straße ... doch weiter oder tiefer geht die Verfilmung des Comics vom ehemaligen Charlie Hebdo-Zeichner Riad Sattouf nicht. Ein netter, nur im Ansatz raffinierter Spaß - mit einer herrlichen Überraschung mitten im Happy End.

Selma

USA, Großbritannien 2014 Regie: Ava DuVernay mit David Oyelowo, Carmen Ejogo, Tom Wilkinson, Giovanni Ribisi, Oprah Winfrey 128 Min.

Unglaublich, aber leider wahr: „Selma" scheint der erste Kinobiografie über Martin Luther King jr. seit Jahrzehnten zu sein. Die Regisseurin Ava DuVernay schildert als Grund die geringe Risikobereitschaft der Studios, auf eine schwarze Hauptfigur zu setzen. So setzt sich in den Problemen, dieses Projekt zu finanzieren, der Kampf von King für gleiche Rechte der Afroamerikaner fort. Ein wichtiger Film also und zugleich ein spannender und historisch erhellender.

Es ist Ko-Produzentin Oprah Winfrey selbst, die in ihrer Rolle als Annie Lee Cooper 1964 im Örtchen Selma beim Versuch, sich für eine Wahl zu registrieren zu lassen, wieder einmal scheitert. Das ist zwar mittlerweile Grundrecht, doch die Schikane eines rassistischen Beamten wird hier im Süden, in Alabama, als eine Art Naturrecht hingenommen. Dabei gilt diese Registrierung der Schlüssel für mehr Gerechtigkeit, weil nur registrierte Wähler in Juries Recht sprechen dürfen und nur sie ihren Sheriff wählen.

So erwählt der Friedensnobelpreisträger und friedliche Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King jr. (David Oyelowo) den Ort Selma, um gezielt und koordiniert gegen dieses Unrecht vorzugehen. Die Taktik ist klar: Passiver Widerstand soll den Sheriff, einen berüchtigten Rassisten, provozieren und die Medienberichte dann Präsident Lyndon B. Johnson (Tom Wilkinson) unter Druck setzen. Der gibt sich im Gespräch mit King zwar loyal, hat aber zuerst andere wichtige Themen zu bewältigen. King bereitet seine Mitstreiter darauf vor, dass sie im Gefängnis landen werden, dass sie Geduld haben müssen. Doch schockierend ist das Maß der Gewalt, sind die Polizisten die ohne Skrupel einen Menschen erschießen, ist der Pöbel der einen solidarisierten Journalisten tot knüppelt. Dagegen macht sich wiederum sehr eindrucksvoll ein Marsch von über 500 Einwohnern über den Alabama-River in Richtung der Hauptstadt Montgomery auf.

Unfassbare und selbst im Film schwer erträgliche Gewalt, eine Menschenjagd mit Knüppeln und Schlagstöcken, mit Rassisten am Rand, die anfeuern, und Journalisten, denen die Stimme versagt, wird live ins ganzen Land übertragen. Es ist der erwartete Wendepunkt, doch „Selma" zeigt auch, wie schwer die Opfer auf Kings Gewissen lasten. Dieses „Bio-Pic" ist keine der üblichen Überhöhungen, es zeigt auch den privaten Dr. King, der schon mal den Müll raus bringt und mitten in der Nacht bei der Sängerin Mahalia Jackson anruft, weil er ihren Gospel als Stimme Gottes braucht.

Gleichzeitig ist „Selma" in seiner politischen Analyse hochaktuell: Beginnend mit der Ankunft von Kings Team von der Southern Christian Leadership Conference in Selma wurden alle Schritte des Widerstands vom Geheimdienst protokolliert, was Schlagzeilen auf die Leinwand zeigen. Der neurotische Geheimdienst-Chef und Schwarzen-Hasser J. Edgar Hoover schlägt sogar unverblümt die Ermordung Kings vor oder als Alternative, Kings Frau zu terrorisieren. Es ist ein erschütterndes Stück politische Geschichte, mit einem erschreckend guten Tim Roth als extremer Rassist und Gouverneur. David Oyelowo hätte als Martin Luther King eigentlich für einen Oscar nominiert werden müssen, doch hier zeigt sich wieder, dass Gleichberechtigung noch längst nicht erreicht ist. Immerhin hat Oprah Winfrey als Ko-Produzentin eine Chance beim Besten Film.

16.2.15

Into the Woods

USA 2014 Regie: Rob Marshall mit Anna Kendrick, James Corden, Emily Blunt, Meryl Streep, Lilla Crawford, Chris Pine, Johnny Depp 125 Min.

Es ist verhext mit diesen neuen Märchen-Filmen. Da wird an den alten Handlungsfäden gedreht und gezwirbelt, um die Spannung oder meist den Spaß hochzutreiben. Doch oft bleibt die wesentliche Qualität dieser Geschichten mit klugem Kern auf der Strecke. Und manchmal vergaloppiert sich der Film völlig, wie beim Märchen-Musical „Into the Woods": Hier gibt es eine Stunde postmoderne Dekonstruktions-Spaß und im überlangen Anhang noch mal sechzig Minuten lahmes, schlampig geschriebenes Abenteuerchen.

Vorsicht bei Wünschen - sie könnten in Erfüllung gehen! Das erleben Grimms Aschenputtel, Rapunzel, Rotkäppchen sowie ihr englischer Verwandter Jack mit seiner Bohnenranke ins Land der Riesen. Doch eigentlich geht es um das kinderlose Bäckers-Paar (James Corden, Emily Blunt), dem die Hexe (Meryl Streep) mit der Tür in die verarmte Backstube fällt. Um einen alten Fluch aufzuheben, sollen sie einen roten Umhang, Jacks weiße Kuh, Rapunzels goldenes Haar sowie einen goldenen Schuh von Aschenputtel besorgen. Dabei kreuzen sich ihre Wege im titelgebenden Wald und die ursprünglichen Märchen erfüllen sich. Wenn auch mit sehr komischen Wendungen.

Das macht Spaß mit gebrochenen Charakteren, die gerne mal aus der Rolle fallen. Die Prinzen sind vor allem im Duett minderbemittelte Föhnlocken, der Bäcker ist dumm wie Brot, hat aber zum (Un-) Glück seine zu clevere Frau dabei. Meryl Streep rappt, Johnny Depp hat als bedrohlicher Wolf einen kurzen Auftritt und ein Zickenkampf und den goldenen Schuh darf im Märchen-Mix mit seinen rasanten Sing- und Kanon-Spielen auch nicht fehlen.

Bis zur bekannten Hochzeit von Aschenputtel. „Into the Woods" ist danach nur noch eine 08/15-Geschichte, in der man zusammenarbeitet, um die wütende Riesin zu besiegen, die Jack heruntergelockt hat. Zwischendurch hat der Prinz einen Seitensprung mit der Bäckerin, die daraufhin sang- und klanglos tödlich abstürzt. Auch andere Handlungsfäden werden in einer Art Drehbuch-Panik auf Nimmerwiedersehen fallen gelassen. Hier bleibt nur bemerkenswert und typisch am Musical-Stoff von Stephen Sondheim („Sweeney Todd"), dass sich selbst die Hexe nicht mehr an die einst saubere Trennung zwischen Gut und Böse hält. Ausgerechnet sie hält den anderen eine Moralpredigt wegen deren Selbstsucht. Rob Marshall liefert nach „Chicago" und „Nine" (fd 39 738) wieder perfektes Kinomusical-Handwerk, das letztendlich vor allem verärgert aus dem Kino entlässt.

Whiplash

USA 2014 Regie: Damien Chazelle mit Miles Teller, J.K. Simmons, Melissa Benoist 107 Min. FSK: ab 12

Trommelwirbel! Eine Sensation! Tusch! Nach der genialen Schlagzeug-Begleitung in „Birdman" haut jetzt ein ganzer Schlagzeuger-Film die Kinos von den Socken: Das Duell zwischen dem exzellenten Musikstudenten Andrew (Miles Teller) und seinem cholerischen Band-Leader J.K. Simmons (Fletcher) ist ein Film wie kein anderer und nicht nur deshalb bis zum atemberaubenden Finale ein Kino-Genuss und -Muss.

Der 19-jährige Jazz-Schlagzeuger Andrew Neiman (Miles Teller) lernt am Shaffer-Konservatorium, der besten Musikschule, wie er selber sagt. Doch er will der Beste überhaupt werden. Bei einer seiner einsamen nächtlichen Drum-Sessions steht der bekannte Band-Leader und Dozent Terence Fletcher (J.K. Simmons) in der Tür und startet ein ebenso raffiniertes wie fieses Psychospiel. Schon die erste Begegnung ist knallhart und bereitet Andrew im Minutentakt eine Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Hoffnung und tiefer Enttäuschung. Kein Smalltalk, keine Rücksicht, kein Mitgefühl. Doch dann darf der junge Drummer in die Band des allseits gefürchteten Flechter - auserwählt für die Hölle auf Erden, Kategorie Musikschule.

Einstudiert wird das Titelstück Whiplash, übersetzt: Peitschenschlag, des US-amerikanischen Jazzmusikers Hank Levy. Nach nach einigen Sekunden folgt das kommentarlose Abkanzeln Fletchers: Das Tempo ist nicht richtig, nie hoch genug. Erst darf Andrew als zweiter Schlagzeuger nur Noten umblättern, bis er durch einen dummen Zufall seinen Vorgänger verdrängt. Ein kurzer Moment des Triumphs bis der neue Frontmann gleich zwei Konkurrenten hinter sich gesetzt bekommt, um ihn immer weiter zu treiben. Dabei übt er schon, bis Blut auf die Becken fliegt.

So dirigiert Fletcher eine völlig eingeschüchterte Truppe von gedrillten Musik-Soldaten von Erfolg zu Erfolg. Die eindrucksvolle Inszenierung der scharfen Jazz-Stücke macht auch ohne absolutes Gehör klar, wie gut sie sind. Trotz der miesen Psychospielchen, des Zuckerbrot und Peitsche vom Psychopaten, der den Takt auch schon mal mit Ohrfeigen einprügelt. Bei der Suche nach einem falsch spielenden Bläser bricht ein Schüler in Tränen aus und fliegt. Fletcher kommentiert kalt, dieser sei es zwar nicht gewesen, doch wenn er es nicht wisse, sei er nicht gut genug. Brutal treffende Sprüche kanzeln jeden ab.

Das ist das Umfeld, in dem wir die Emanzipation von Andrew erleben. Einem großen Talent, das mit wachsendem Selbstbewusstsein gegen die Ignoranz in der Familie revoltiert und Lobgesänge für Cousins demontiert, die drittklassig Football spielen (siehe Überschätzung von Fußballern in Deutschland). Aber auch von einem Besessenen, der die nette Freundin verabschiedet, weil sie dem Erfolg im Weg stehen wird. Doch vor allem steht Andrew gegen den Tyrannen Fletcher auf, gegen diesen Macbeth, der Instrumente als Waffen benutzt. Es kommt mitten im Konzert zu einer großartig fiesen Rache, zu einem irren musikalischen Duell zwischen Drummer und Dirigent. Andrew macht Whiplash zu seiner Nummer, zu einer ganz großen Nummer.

Der Rhythmus des Films von Damien Chazelle (Jazz-Musical „Guy and Madeline on a Park Bench") selbst ist kongenial gut, die minimal angespielten Stücke treiben einen schon beim Zuschauen Schweiß auf die Hände. Miles Teller spielt seinen Andrew souverän sympathisch. J.K. Simmons jedoch legt eine Oscar-Leistung als mieser Typ hin, nicht nur wenn er Instrumente durch den Raum schleudert. Das steht auf einer Stufe mit dem berühmten Surflehrer Kilgore (Robert Duvall) aus „Apocalypse Now" („Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen.") Dazu diese wunderbaren Bilder von Blut- und Schweißtropfen auf den glänzenden Becken, von blutigen Fingern im Eiskrug.

„Nie aufgeben" ist erneut das Thema, diesmal aber kritisch diskutiert in einem unglaublich guten Film. Nicht die übliche Erfolgsgeschichte, denn hier schaut die Kamera ganz genau auf die beiden Duellisten, statt es sich mit einer ansonsten üblichen ungelenken Drama-Mechanik leicht zu machen. Die große, offene Frage ist, wie man Ausnahmekünstler wie Charlie Parker wird. Was es kostet, diesen Weg zu gehen. Ob man dazu Leute antreiben und über ihre Grenzen fordern muss. Eine, ausnahmsweise ruhige Aussage Fletchers meint, das Lob „gut gemacht" sei der Tod jeder Karriere. Doch gibt es eine Grenze beim Antreiben, das in diesem Film auch tödlich endet?

12.2.15

Berlinale 2015 Elser (Wettbewerb außer Konkurrenz)

Oliver Hirschbirgel, der TV-Regisseur, der sich schon mit dem unsäglichen „Der Untergang" als GröHiVer (Größter Hitler Verhunzer) schuldig gemacht hat, nimmt sich nun im Hauptprogramm der Berlinale Georg Elser vor. Den Attentäter, dem nur 13 Minuten fehlten, um Hitler zu ermorden und die Weltgeschichte zu ändern. „Elser" ist vor allem ein Film von Ko-Autor Fred Breinersdorf, von dem auch der (Berlinale-) Erfolg aus 2005 „Sophie Scholl - Die letzten Tage" stammte. (Dessen Regisseur Marc Rothemund verschwand damals auf wieder in der Belanglosigkeit flacher Beziehungskomödien.) Nun also noch so eine Geschichte vom deutschen Widerstand, der faktisch seltener auftrat als er auf der Leinwand zu sehen ist. Georg Elser wird in den interessanteren Strecken der, exakt wie „Sophie Scholl", aus der Haft rückerinnernden Erzählung als kluger Freigeist geschildert, der sich trotz klarer Sicht auf die Entwicklungen nach der Wahl 1933 auch nicht den Kommunisten anschließt. Das jemand ganz alleine denkt und handelt können die üblichen Nazi-Schergen nicht verstehen, was zu intensiver Folter führt. Als „Sophie Scholl 2" könnte man dieses Stück Gutdeutschentum außerhalb des Wettbewerbs bezeichnen. Die obligatorische deutsche Vergangenheits-Ausleuchtung, die in dieser Form mehr lästige Bewältigung als dringend notwendige Vermittlung darstellt.

11.2.15

Berlinale 2015 Eisenstein in Guanajuato

Großen Applaus erhielt auch gestern der britische Kino-Intellektuelle Peter Greenaway für „Eisenstein in Guanajuato" im Wettbewerb. Wie 1931 der sowjetische Regisseur Sergei Eisenstein nach Guanajuato reist, um seinen nie vollendeten Film „Que viva México" zu drehen, zeigt Peter Greenaway detailreich und humorvoll als Eisensteins Begegnung mit einer anderen Kultur, deren Umgang mit dem Tod und als Revolution des eigenen Körpers. Eisenstein gilt nach Greenaway als „Vaterfigur des Weltkinos, die unsere Sprache des Kinos entwickelte", das der Preisträger des Innovationspreises der Peter und Irene Ludwig Stiftung auch in diesem Film mit vielen Ideen weiter treibt. So ist „Eisenstein in Guanajuato" nicht nur ein intellektuelles Vergnügen vom wandelnden Lexikon unter den Filmregisseuren.

In Anlehnung an Eisensteins Revolutionsfilm „Oktober. Zehn Tage, die die Welt erschütterten" nennt Greenaway sein Werk „Zehn Tage, die Eisenstein erschütterten". „Berlinale. Zehn Tage, die die Filmwelt erschütterten" passt leider nicht. Denn bislang fand sich drinnen selten Begeisterung, wenig Streit oder engagierte Diskussion.

10.2.15

Inherent Vice - Natürliche Mängel

USA 2014 Regie: Paul Thomas Anderson mit Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Owen Wilson, Reese Witherspoon, Benicio Del Toro, Martin Short, Eric Roberts, Martin Donovan 148 Min.

Wenn Paul Thomas Anderson nach „Boogie Nights", „Punch Drunk Love", „There Will Be Blood" oder „The Master" in seinem siebten Film „Inherent Vice – Natürliche Mängel" als erster überhaupt einen Romans des unverfilmbaren Thomas Pynchon angeht, ist das eine äußerst spannende Unternehmung mit ungewissen Ausgang. Ist es doch ein gerade ein Charakteristikum der vielschichtigen und stilreichen Pynchon-Romane, sich nicht in ein paar Sätzen zusammenfassen zu lassen.

Das zumindest ist Anderson gelungen - man kann die Geschichte des dauerbenebelten Detektives und Arztes Larry „Doc" Sportello (Joaquin Phoenix) recht einfach nacherzählen: Ende der psychedelischen 1960er-Jahre taucht eine Ex von Doc auf und erzählt was von ihrem milliardenschweren Immobilienmakler, dessen Ehefrau ihn mit ihrem Freund kidnappen und in die Klapsmühle stecken will. Bei den Ermittlungen liegt ganz schnell eine Leiche neben dem allseitig unfähigen Doc und sein Lieblings-Feind, der Polizist und neurotische Hippie-Hasser „Bigfoot" Bjornsen (genial: Josh Brolin) macht ich das Leben noch schwerer. Hilfreich ist vor allem die ordentliche und biedere Kifferin und Bett-Freundin Penny Kimball (Reese Witherspoon) bei der Staatsanwaltschaft.

Letztlich schafft es Doc, einen Freund aus einem komplizierten Lebenslauf voller verstrickter Undercover-Jobs und aus einer Nazi-Bikergang rauszuholen. Das verläuft im Film als Gras-vernebelte Zeitgeschichte, denn Anderson ist wieder nahe der 1970er-Jahren aus seinem ersten Erfolg „Boogie Nights" gelandet. Alle sind von Charles Manson verängstigt, das Ende der Hippie-Seligkeit hat begonnen. Auf der Tonspur meldet sich immer mal wieder die Ex neben den Songs der Zeit von beispielsweise Neil Young und dem Soundtrack vom Radiohead Jonny Greenwood.

Nun bleiben am Rand der Geschichte(n) noch haufenweise Figuren übrig und ein sehr entspannter Umgang mit „der Realität". Praktisch ist, dass die allgegenwärtigen Drogen immer als Begründung für surreale Momente herhalten können. Eingerahmt von der berühmten Straße am kalifornischen Strand, an welcher der maximal anonyme Pynchon selbst gewohnt haben soll, finden sich Nazi-Biker, die einen jüdischen Immobilien-Hai schützen, Surfer, Abzocker, Kiffer, Detectives vom Los Angeles Police Department, ein verdeckt ermittelnder Saxofonspieler, eine geheimnisvolle Organisation namens Goldener Fangzahn, die vielleicht auch nur ein paar Zahnärzten zur Steuerhinterziehung dient, und für Pynchon typische astronomische Randbemerkungen. Das hat was von „Big Lebowski" und Hunter S. Thompsons Gonzo verkörpert von Johnny Depp in „Fear and Loathing in Las Vegas". Die Immobilien-Geschäfte lassen an Polanskis „Chinatown" denken. Und wirkt es im Vergleich zur Vielfalt der Pynchon-Texte irritierend übersichtlich. Was vielleicht gut für den Film sein mag, aber dann auch wahrscheinlich der erzählerischen und inhaltlichen Vielfalt des Autors nicht gerecht wird. Es bleibt nebelig.

Vor allem aber ist „Inherent Vice" mit Owen Wilson, Reese Witherspoon, Benicio Del Toro, Martin Short, Eric Roberts und Martin Donovan überaus reizvoll besetzt und bereitet zumindest auf vielen Ebenen und in unterschiedlicher Weise großes Sehvergnügen.

Berlinale 2015 Every Thing Will Be Fine (außer Konkurrenz)

R: Wim Wenders mit James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, Marie-Josée Croze, Robert Naylor, Patrick Bauchau, Peter Stormare

Wettbewerb (außer Konkurrenz)

Der neue Wenders, das intensive Drama „Every Thing Will Be Fine", lief gestern Abend außer Konkurrenz. Weil Wenders einfach konkurrenzlos gut ist, könnte man bei dieser exzellent geschriebenen und fotografierten Geschichte meinen: James Franco überzeugt in seinem dritten Berlinale-Film endlich als Schriftsteller, der bei winterlicher Autofahrt dem Handy zu viel Aufmerksamkeit schenkt und ein Kind überfährt. Das verbindet ihn in wechselhaften mit der Mutter, die von Charlotte Gainsbourg gespielt wird. Oft wie ein Thriller orchestriert, in reizvollem 3D inszeniert, erlebt man letztlich angenehm undramatisch, wie ein schweigsamer Schriftsteller nur langsam mit seiner Schuld leben lernt.
Die Berlinale ehrte den in Düsseldorf geborenen Filmemacher vor der Vorführung mit einem Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk und widmet diesem Werk eine Hommage, in deren Rahmen auch seine erste 3D-Sensation „Pina – Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren" zu sehen ist.

9.2.15

Berlinale 2015 Game of Films

In noch einer neuen Sektion, „Berlinale Special Series", werden die ersten beiden Folgen der von RTL und Ufa Fiction produzierten Event-Serie „Deutschland 83" mit Jonas Nay, Maria Schrader und Ulrich Noethen als Weltpremiere zu sehen sein. Unter anderem läuft auch Matthias Glasners „Blochin - The Living and the Dead" mit Jürgen Vogel. Zudem sitzt mit dem amerikanischen „Mad Man"-Macher Matthew Weiner ein Künstler aus dem Serien-Bereich in der Jury.
Leider zeigt die Berlinale nur einzelne Folgen, also nichts Halbes und schon gar nichts Ganzes. Denn neben der größeren kreativen - oder finanziellen - Freiheit, die sich Regisseure wie Steven Soderbergh oder ganz aktuell Woody Allen vom Fernsehen erhoffen, geht es doch bei den neuen TV-Serien gerade um den großen Erzählbogen über gleich mehrere Staffeln.

So wird die neue Sektion „Berlinale Special Series" von vielen als weitere Überfüllung eines überbordenden aber profillosen Festivals kritisiert, das es sich sogar leistet, luxuriöses Essen mit Film als Hintergrundmusik teuer in der Sektion „Kulinarisches Kino" zu verkaufen.

Parallel zu den öffentlichen „Berlinale Special Series" gibt es mit den „Drama Series Days" eine neu geschaffene Initiative für Qualitätsserien beim „European Film Market" (efm) für Fachpublikum. Die Film- und Medienstiftung NRW ist als Partner dabei.

Berlinale 2015 DFFB Rebellion heute und einst

Direkt neben dem Berlinale-Palast befindet sich hoch oben über dem Trubel im Sony-Center die DFFB (Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin) und unüberhörbar mischt sich ihr Richtungsstreit in das aufgeregte Rauschen des Festivals. Die Studierenden wollen die bewährte Mitbestimmung erhalten und befinden sich im Kampf um ihre Filmschule als Ort individuellen, filmkünstlerischen Schaffens. Nach ihrer Meinung geht es um die Zukunft des deutschen Films, weil sich die Ausbildung immer mehr an wirtschaftlichen Kriterien orientiert. Sehr passend zeigte das exzellente „Panorama Dokument" „Eine deutsche Jugend" von Jean-Gabriel Périot mit spannendem Archivmaterial die Entwicklung zum Deutschen Herbst mit Spuren im ersten Jahrgang der DFFB. Filmausschnitte vom damaligen Studenten und späteren RAF-Mitglied Holger Meins sowie TV-Beiträge von Ulrike Meinhof lassen die Radikalisierung der Zeit miterleben.

Berlinale 2015 NRW-Empfang

Wer hat den größten Etat, wer die meisten Filme? Die Film-Förderer aus NRW und Bayern liefern sich seit Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch mit mehr als 1.000 Gästen aus Film, Medien und Politik hatte NRW am Sonntagabend auch bei der 65. Berlinale wieder den größten Empfang des Festivals. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Filmstiftungs-Geschäftsführerin Petra Müller begrüßten vor allem Wim Wenders. Die Berlinale ehrt den in Düsseldorf geborenen Filmemacher in diesem Jahr mit dem Goldenen Ehrenbären und widmet seinem Werk eine Hommage. Mit Wim Wenders verbindet NRW eine enge Zusammenarbeit. Gemeinsam mit der Film- und Medienstiftung NRW, dem Land NRW und der Stadt Düsseldorf wurde 2012 die Wim Wenders Stiftung gegründet, die sich darum kümmert, das filmische, photografische, literarische und künstlerische Lebenswerk von Wim Wenders zusammenzuführen und es so weltweit einer breiten Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich zu machen. Insgesamt 29 Filme des Berlinale-Programms stammen aus Nordrhein-Westfalen.

Berlinale 2015 Als wir träumten (Wettbewerb)

Die lokalen Zeitungen vermelden Wildschweine in Berlin, die Berlinale erlebt Wildsäue auf der Leinwand: Wie Sebastian Schipper im mitreißenden „Victoria" erzählt auch Andreas Dresen im nächsten deutschen Wettbewerbsbeitrag die Geschichte einer Jungengang. Nur statt Berlin in Leipzig und diesmal vor und nach dem Fall der Mauer. Rico und seine Freunde erleben den Drill der DDR und werden in der BRD von Nazi-Banden durch die Straßen gehetzt, selbst sind sie Weltmeister im Vandalismus und im Saufen. Fünf Freunde und eine verlorene Jugend - Drogen und eine Frauengeschichte bringen die Jungs auseinander. Dabei hat mal nicht die Eingliederung der DDR Schuld, die taucht gar nicht richtig auf. Der Debütroman des Leipzigers Clemens Meyer wurde vom ausgezeichneten Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase und vom Regisseur Andreas Dresen als ein ernüchternder Abgesang an Hoffnung und Zukunft verfilmt. Diesmal wenig „sexy" oder mitreißend, auch wenn Dresen wieder wichtige Themen aus dem DDR-Nachfolgestaat mit guten Gesichtern eindrücklich auf die Leinwand bringt.

Wild Card

USA 2015 Regie: Simon West mit Jason Statham, Michael Angarano, Dominik García-Lorido, Hope Davis, Stanley Tucci 93 Min. FSK: ab 16

Jason Statham ist der knallharte Kämpfer mit dem weichen Herzen und der belasteten Leber, dessen Beschützerinstinkte
ihn in große Probleme bringen. Was sonst, fragt man da. Diesmal ist das „sonst noch", das den Action-Film besonders macht, der schon legendäre Drehbuch-Autor William Goldman mit seinem bereits 1986 mit Burt Reynolds verfilmten Roman „Heat". Goldman schreib „Butch Cassidy and Sundance Kid", „Der Marathon-Mann", „Die Brücke von Arnheim" und „Die Unbestechlichen" - unter anderem.

Nun ist sein Held der höflicher Brutalo Nick Wild, der nicht nur mit Messer und Gabel isst, sondern auch mordet. Auch der Film von Action-Spezialist Simon West („The Expendables 2", „Lara Croft: Tomb Raider", „Con Air") ist ebenfalls sehr stilvoll, im langsamen Fortschreiten mit vielen extremen Zeitlupen fast graziös ... wenn alles nicht so banal wäre. Nicks brutal vergewaltigte Ex-Freundin will Rache und Nick lässt sich erweichen, obwohl er weiß, dass es übel endet, wenn man sich mit dem Sohn eines Mobster-Bosses anlegt. Denn eigentlich ist Nick klug, hielt sich in Vegas vom organisierten Verbrechen fern und verkaufte seine Fähigkeiten als ehemaliger Soldat und Spezial-Agent an ängstliche Touristen. Alle mögen ihn - vorerst. Regisseur West spielt nun die Spannung lange aus, bis der wilde Nick seine Überlegenheit ausspielt und drei bewaffnete Killer nur mit Kreditkarte und einer Münze außer Gefecht setzt.

In einer sehr langen Black Jack-Sequenz gewinnt und verspielt Nick 500.000 Dollar. Immer dabei seine sorgfältig gezeichneten Freude und Bekannten. So ist „Wild Card" lange nicht der übliche Prügelfilm um einen schlagkräftigen Verlierer, bis nach langer, interessanter Entwicklung dann doch eine deftige Prügelorgie zum Song „White Christmas" abgezogen wird. Es ist ein seltsamer Rhythmus, wie der Film „Wild Card" atmosphärisch stark Situationen am Spieltisch und Gespräche mit Nicks Bekannten zelebriert, aber ebenso die Grausamkeiten von der Bösen und der angeblichen Opfern auskostet.

So wie Nick Wild vom ruhigen Leben in Korsika träumt, wünschten sich hier ein paar übliche Verdächtige - Jason Statham und Simon West - mal einen anderen Film. Ganz ohne das vertraute Prügel-Handwerk ging es dann aber doch nicht. Ob dabei ihre übliche Klientel mitmacht, muss sich zeigen.

Brasserie Romantiek

Belgien 2012 Regie: Joël Vanhoebrouck mit Sara De Roo, Axel Daeseleire, Koen De Bouw, Filip Peeters 102 Min.

Kochen und Essen im Film, da kann ja eigentlich nicht funktionieren, weil Geschmack und Geruch fehlen. Tut es aber doch, außer in diesem Film „Brasserie Romantiek", in dem so ziemlich gar nichts funktioniert - in der Küche und auf der Leinwand: Das Valentintags-Menü in der Brasserie Romantiek versammelt im Genter Restaurant eine Reihe von Paaren und ein Menü voller Dramen, Sehnsüchte, Leidenschaften. Auch die Chefin Pascaline (Sara De Roo) bekommt mit Frank (Koen De Bouw) ihre ehemalige Liebe vorgesetzt, der ihr nach 23 Jahren Abwesenheit einen Flug nach Argentinien anbietet. Für diesen Abend!

Eine vernachlässigte Ehefrau ist eifersüchtig auf ein jung verliebtes Paar und eröffnet ihrem Mann, ein ordinärer Autohändler, ihre Affäre. Der verschrobene Biologe Walter sitzt mit einer ganz scharfen Traum-Frau aus dem Internet am Tisch, die allerdings nur er alleine sieht. Ebenfalls allein ist die selbstmörderische, betrogene Pralinen-Herstellerin Mia, die mit einer Schachtel voller Pralinen russisches Roulette spielt. All dies sind abgelaufene Rest-Geschichten aus der hintersten Ecke der filmischen Speisekammer. Es ist vor allem erstaunlich, wie wenig Originelles sich bei so vielen Geschichten findet. Der abgestandene Film aus 2012 wird nun schwach synchronisiert für das deutsche Kino aufgewärmt und ist das Uninteressanteste, was seit langem aus Flandern zu uns gekommen ist.

When the Game Stands Tall

USA 2014 Regie: Thomas Carter mit Jim Caviezel, Michael Chiklis, Alexander Ludwig, Laura Dern 115 Min. FSK: ab 6

„When the Game Stands Tall" ist nicht nur der x-te Versuch der Resteverwertung nur für die USA gedrehter Sportfilme. Schlimmer - es ist ein religiös verquarkster Sportfilm zu einer Sportart, die in Deutschland ungefähr so interessiert, wie Curling in der Sahara. Er bejubelt eine Football-Schulmanschaft, die ziemlich erfolgreich ist. Zum Auftakt der neuen Saison bekommt der Erfolgstrainer einen Herzinfarkt, die jungen Star-Spieler haben mit sterbenden Verwandten und mit der Verführung durchs große Geldes der großen Universitäten zu kämpfen. Dann wird noch ein Spieler erschossen, was endgültig das alte Team, langjährige Freundschaften und vor allem den Team-Geist zerreißt, der einem hier mit jeder Szene ins Hirn geprügelt wird.

Neben groß angelegter Langeweile nervt der deplatzierte Film mit großartigen Einfällen, wie dem Sohn des Trainers, der kurz nach dem Herzinfarkt beleidigt ist, weil Papa das Team sobald nicht mehr trainieren kann. Dass die liegend wie stehend gleich katatonische Figur sich jetzt um seine Familie kümmern will, wird nicht erfreut aufgenommen. Sohnemann meint, als er einen Vater braucht, hatte er ein Trainer, und wo er jetzt einen Trainer braucht, einen lahmen Vater. Bob Ladouceur (Jim Caviezel) ist nebenbei Religionslehrer und meist mehr Priester als Trainer. Ein anti-charismatischer, sehr verschlossener Mensch.

Um den alten Mannschaftsgeist wieder zu finden, sollen die jungen, arroganten Spieler-Götter einen Tag lang Krankenschwestern bei der Pflege von Schwerverletzten - meist aus us-amerikanischen Kriegen - helfen, die mit Lähmungen und Amputationen in einem Reha-Programm sind. Die Lehre dabei ist allerdings nicht Demut vor Leben und Gesundheit, sondern es ist diese ideologische Grundlage für alles militärische Morden: Durchhaltewillen, Kameradschaft und Kampfbereitschaft.

Der auch ohne seine uninteressante Thematik einfach schlechte „When the Game Stands Tall" kann selbst in den vielen Szenen auf dem Platz, wo ja universal immer die Wahrheit liegt, keine Faszination für dieses andere Hinter dem Ball-Herrennen erzeugen. Ausgerechnet die Spielmomente lassen alles so simpel und leicht aussehen, wie es nach der Behauptung des restlichen Films nicht sein soll. Schlecht und unnötig.

Sehnsucht nach Paris

Frankreich 2014 (La ritournelle) Regie: Marc Fitoussi mit Isabelle Huppert, Jean-Pierre Darroussin, Michael Nyqvist, Pio Marmai 98 Min.

Uns bleibt immer Paris... Als letzte Ausfahrt aus einer eingeschlafenen Ehe zum Beispiel: Die Kinder des Viehzüchter-Paares in der Normandie sind zwar aus dem Haus, doch die beiden können ihre Zucht-Rinder nicht alleine lassen. Dementsprechend routiniert und verschnarcht verläuft die Ehe.

Brigitte (Isabelle Huppert) und Xavier (Jean-Pierre Darroussin) verbreiten in ihrer eingefahrenen Routine eine nervige Langeweile, die sich bis ins Kino verbreitet. Dabei ist vor allem Xavier (Jean-Pierre Darroussin) wenig aufgeschlossen gegenüber allem Neuen und lästert über die „Jugend von heute". Brigitte dagegen geht neugierig auf die Party von ein paar Mädels aus der Stadt, die auf der Farm nebenan stattfindet. Wenig verwunderlich quält Brigitte ein heftiger Ausschlag auf der Brust und so ist der Besuch beim Spezialisten in Paris nur ein Vorwand einen jungen Mann von der Party wiederzusehen. Die reife Frau will etwas Romantisches erleben oder ein Abenteuer haben, aber es kommt nur zum gemeinsamen Babysitten. Zum Glück hat sich in Brigittes Hotel auch der Däne Jesper (der Schwede Michael Nyqvist, zuletzt in „John Wick") eingecheckt. Doch nach einer aufregenden Nacht geht es zurück zum vertrauten Gestank der prämierten Kühe.

„Sehnsucht nach Paris" erzählt träge und umständlich. Isabelle Huppert mit Pelzmütze und Stola im Stall und auf der Wiese - wer hätte gedacht, dass die Frau, die alles spielen kann, auch so zu langweilen vermag. Liegt es daran, dass sie eine etwas verzweifelte, leicht schrullige ältere Frau spielt? Mit den Unsicherheiten eines Teenager bei eher peinlichen Begegnungen in Paris. Der Ausbruch aus dem Alltag und der Eheroutine soll wohl komisch sein, die Wiedervereinigung mit einer Parabel aus dem Kuhleben (!) wahrscheinlich rührend. Doch der Film wirkt wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder Beschäftigungstherapie für bessere Schauspieler. Eine qualvoll beschauliche Null-Nummer, so was für das ZDF am Montagabend.

Manolo und das Buch des Lebens

USA 2014 (The Book of Life) Regie: Jorge R. Gutierrez 97 Min. FSK: ab 6

Eine Handvoll Nachsitzkinder bekommt eine besondere Führung in die Mexiko-Abteilung des Naturkunde-Museums und erlebt mit fantastischen Sagengestalten auf Basis mexikanischer Legenden ein atemberaubend farbiges und lebendiges Abenteuer aus dem Zeichentrick-Buch des Lebens.

Die Wette des Herrschers der Unterwelt mit seiner verstorbenen Götter-Geliebten soll Wohnverhältnisse der beiden neu regeln: Welcher von zwei mexikanischen Jungen wird das Herz der gemeinsamen Freundin Maria gewinnen? Manolo und Joaquin sind beste Freunde und von Kindesbeinen an in ihre gemeinsame Freundin Maria verliebt. Als die nach Jahren in Europa wieder in ihre mexikanische Heimatstadt kommt, haben sich der Stierkämpfer-Poet Manolo und der stolze Soldat zu jungen Männern entwickelt. Joaquin will wie sein Vater Bürgermeister werden. Manolo ist hin- und hergerissen zwischen der Stierkämpfer-Tradition seiner Familie und seiner Leidenschaft als Mariachi-Musiker.

Alle Figuren in diesem tollen, raffiniert auf drei Ebenen erzählten Trickfilm sind sorgfältig und witzig animierte Marionetten. Das ist auf der Ebene der Lebenden etwas kantig, aber wir wissen ja vom „Lego Movie", das dies kein Hindernis für interessante Figuren und gelungenen Humor ist. Dann schlägt das Schicksal zu und Manolo landet im Totenreich. Hier gibt es so viele Totenköpfe und -Fratzen, dass selbst die Kinder im Museum fragen, was das ist, mit den Mexikanern und dem Tod. Unglaublich farbenprächtig ist das Land der Erinnerten, allein Manolos Familie besteht aus so vielen ausgefallenen, schillernden, verrückten und abgedrehten Stierkämpfer-Typen, wie andere Produktionsfirmen in ihrem gesamten Bestehen nicht versammeln können.

Doch Manolo ist nicht nur vegetarischer Stierkämpfer, was der emanzipierten Maria gut gefällt, er ist auch ein großartiger Poet. Die können ja sogar Tote erwecken, wie wir von den alten Griechen wissen. Grandios nach Mexiko transkribierte Musikeinsätze von Radioheads „Creep" über Beethovens Neunter Sinfonie bis Elvis Presley „Can't Help Falling in Love With You" verstärken den Spaß der prallen Bilder. Zu den herrlichen Pop-Zitaten in Mariachi-Varianten auf hohem Niveau passt auch der Soundtrack von Gustavo Santaolalla („Die Reise des jungen Che"). Zu allen fantastischen Einfällen gibt es selbstverständlich auch eine große romantische Geschichte und dann noch ein flottes und witziges Action-Finale. Ein wenig versteht man dabei, wieso die Mexikaner den Tag der Toten mit all den Schädeln und Schreckensfratzen so fröhlich feiern können.

7.2.15

Berlinale 2015 Victoria (Wettbewerb)

BRD 2015 R: Sebastian Schipper D: Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski, Burak Yigit, Max Mauff, André M. Hennicke, Anna Lena Klenke, Eike Schulz

Ein Weltrekord! 140 Minuten für eine ununterbrochene Szene! Das ist länger als Aleksandr Sokurovs "Russian Ark", die Endlosfahrt durch die Zeitgeschichte der Eremitage in St. Petersburg aus 2002. Und echter als die scheinbare Endlosfahrt in „Birdman", bei der viel digital getrickst wurde. In „Victoria", dem ersten deutschen Wettbewerbsfilm der Berlinale, sind es 140 Minuten und mindestens 30 davon zu lang, um Sebastian Schippers ("Absolute Giganten", "Mitte Ende August") faszinierenden Nacht-Trip durch Berlin komplett gelingen zu lassen.

Die ersten Bilder flashen mit Stroboskop und House-Music eines Clubs. Dann lässt sich Sebastian Schipper eine Stunde Zeit, um die enge Freundschaft von vier rauen Berliner Jungs sowie die beginnende Anziehung zwischen dem sympathisch einfachen „Sonne" und der spanischen Kellnerin Victoria zu etablieren. Nachdem es ungeschnitten aus dem Club auf die Straße, auf ein Dach, in ein Kaffee ging, und man schon etwas den Drive von Schippers Debüt „Giganten" vermisst, beginnt nach einer Stunde ein knallharter Krimi, eine hochdramatische und romantische Geschichte, die jede Minute packt.

Erstaunlich dabei, dass man den Weltrekord-Versuch glatt vergisst. Das Spiel ist kraftvoll und lebendig, kleine Unfälle und Aussetzer werden spontan integriert. Trotzdem sind die Figuren exakt charakterisiert, die haltlos Jugendlichen aus dem echten Berlin, die Spanierin Victoria, deren Lebenstraum als Pianistin gerade gescheitert ist und die alles mitmacht. Es war angeblich der dritte und letzte Versuch, diesen einen „Take" auf die Festplatte zu bekommen. Ein origineller Aufmacher, ein nettes Alleinstellungsmerkmal. Doch ganz krass gesagt: Ein paar Schnitte hätten den Film noch besser gemacht!

5.2.15

Berlinale 2015 Quote auf dem Regiestuhl?

Quote auf dem Regiestuhl?

Aachenerin führt Regie bei „Pro Quote Regie"

Berlin. Man sollte es bei den Temperaturen nicht erwarten, doch der Potsdamer Platz selbst entwickelt sich 2015 zu einer Spielstätte der Berlinale. Da wo Wim Wenders einst für den „Himmel über Berlin" in der Todeszone hinter der Mauer Curt Bois einsam sinnieren lies, protestieren nun Studenten der Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin für den Erhalt der Mitbestimmung, wird der ferngesteuerte Dreh eines Ai Weiwei-Films mit Til Schweiger übertragen und protestieren Filmemacherinnen in einer „Multimedia Bubble" gegen Diskriminierung von Regisseurinnen in ihrer Branche.

Denn nur drei von 23 Filmen im diesjährigen Wettbewerb der Berlinale stammen von Regisseurinnen. Darin spiegelt sich ein internationales und strukturelles Problem wieder, auf das auch Festivalleiter Dieter Kosslick bei der Programm-Pressekonferenz hingewiesen hat. In Deutschland entstehen 22 Prozent aller Kinofilme unter weiblicher Regie, bei TV Produktionen sind es sogar nur 11 Prozent. Die Aktion „Pro Quote Regie" fordert eine paritätische Besetzung aller Filmfördergremien, eine umfassende soziologischen Studie und die Einführung einer Quote.

„Pro Quote Regie" ist im Herbst 2014 an die Öffentlichkeit gegangen und entwickelt sich zum ersten heißen Thema des Festivals. Mittlerweile sind es über 250 Regisseurinnen, die für die Gleichstellung von Frauen in ihrem Beruf eintreten. Mehr als 200 Persönlichkeiten aus der Filmbranche gehören zu den Unterstützerinnen und Unterstützern, zum Beispiel Berlinale-Direktor Dieter Kosslick, Veronica Ferres, Senta Berger, Volker Schlöndorff oder Edgar Reitz.

Die aus Aachen stammende Regisseurin Katinka Feistl ist eine der führenden Köpfe von Pro Quote Regie. 1972 in Aachen geboren, studierte sie Germanistik an der RWTH Aachen und in Berlin Film an der Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin. Später realisierte sie Spielfilme für ZDF und Sat1. Am 7. März wird sie im Rahmen des Internationalen Frauentages in Aachen einen Vortrag zum Thema halten.

"Können" Frauen Filme machen?
Die kulturelle und politische Dimension der Frauenquote in der Filmförderung

Referentinnen:
Karimi Niki, Iran, Regisseurin
Katinka Feistl, Deutschland, Regisseurin, Pro Quote Regie
Aula der RWTH Aachen
Templergraben 55


www.proquote-regie.de

Berlinale 2015 Nobody Wants the Night (Eröffnungsfilm)

Sp, Fr, Bulgarien 2014 (Nadie quiere la noche) Regie: Isabel Coixet mit Juliette Binoche, Rinko Kikuchi, Gabriel Byrne, Orto Ignatiussen 118 Min.

Isabel Coixet inszenierte schon immer sehr ergreifende Frauengeschichten. „Das geheime Leben der Worte" (2005) mit dem Überleben einer Frau, die in serbischen Vergewaltigungs-Lagern war. Oder „Mein Leben ohne mich" (2003), ebenfalls mit Sarah Polley, deren Figur sich vom Leben verabschiedet. Nun treffen zwei Frauen aufeinander, die den gleichen Mann lieben, wobei eine ein Kind von ihm hat und die andere gerade von ihm schwanger ist. Etwas dramatischer wird die bekannte Geschichte, weil der Mann gerade den Nordpol entdecken will und die Frauen - seine Gattin und eine jüngere Eskimo-Frau - zusammen die Polarnacht in der menschenfeindlichen Einsamkeit eines verlassenen Basis-Camps verbringen müssen.

Das Kühlkammer-Spiel zeigt Juliette Binoche als verwöhnte, eingebildete Frau, die ihrem vergötterten Mann, dem berühmten Arktis-Forscher Robert Peary, nicht nur zig Polar-Expeditionen finanzierte, sie möchte ihn auch mal bei der Arbeit besuchen. Selbst wenn der arktische Winter droht, ihr alle abraten, weiter nördlich zu reisen und die Tochter schon monatelang allein zuhause in New York ist. Im Jahr 1908 gilt der Nordpol als die letzte unbekannte Ecke der Welt. Naiv und rücksichtslos schafft es Josephine Peary, ein verlassenes Basislager zu erreichen, doch ihre Begleiter sterben auf dem Weg oder bringen die angefrorenen Abenteurer zurück in Sicherheit. Als Josephine trotzköpfig allein in der Hütte bleibt, gesellt sich in einem Iglu vor der Tür die junge Inuitfrau Allaka (Rinko Kikuchi) hinzu. Sie wartet auf den gleichen Mann...

Lange verwundert Isabel Coixet mit dieser in ihren schicken Kleidern und eher dekorativen als wärmenden Pelzen deplatzierten Frau in eindrucksvoller Eislandschaft. Es ist unfassbar, wie arrogant sich Josephine Peary gegenüber der Natur und ihren Bewohnern verhält. Doch das tatsächliche Drama der beiden völlig unterschiedlichen Frauen bei Hunger und Kälte macht klar, weshalb Coixet diesen Film drehen wollte. Da bedürfte es dann im Abspann nicht mehr des Hinweises, dass die Eskimos bei den heroischen Entdeckungsreisen nie erwähnt wurden und ihnen heute das Land geklaut oder von Ölgesellschaften verseucht wird.

Berlinale 2015 Jute Tasche

Berlinern für Anfänger

Da ist sichtbar etwas schiefgegangen bei dieser Berlinale: Wer sich den heißen Festivalzonen im eiskalten Berlin nähert, wird von einem matschigen Braun empfangen. Als Einheitslook haben die Akkreditieren eine große Festivaltasche aus Jute umhängen. Jute, für die Jüngeren erklärt, war mal Öko. Damals als noch nicht von der LKW-Plane bis zum Fahrradreifen alles recycelt und zu Taschen verarbeitet wurde. Nun also, Jahrzehnte später, das Recycling des Recyceln. Doch wer sich unter die weinigen überlebenden Einheimischen mischt, versteht schnell. Das ist alles nur ein Verständnisfehler: In der Auftragskette steckte ein Berliner und der sagte einem Grafiker von Woandersher „Ik brauch mal ne jute Festivaltasche...". Und schon war die Berlinale 2015 außerhalb der Kinos nachhaltig ästhetisch versaut.

3.2.15

Manolo und das Buch des Lebens

USA 2014 (The Book of Life) Regie: Jorge R. Gutierrez 97 Min. FSK: ab 6

Eine Handvoll Nachsitzkinder bekommt eine besondere Führung in die Mexiko-Abteilung des Naturkunde-Museums und erlebt mit fantastischen Sagengestalten auf Basis mexikanischer Legenden ein atemberaubend farbiges und lebendiges Abenteuer aus dem Zeichentrick-Buch des Lebens.

Die Wette des Herrschers der Unterwelt mit seiner verstorbenen Götter-Geliebten soll Wohnverhältnisse der beiden neu regeln: Welcher von zwei mexikanischen Jungen wird das Herz der gemeinsamen Freundin Maria gewinnen? Manolo und Joaquin sind beste Freunde und von Kindesbeinen an in ihre gemeinsame Freundin Maria verliebt. Als die nach Jahren in Europa wieder in ihre mexikanische Heimatstadt kommt, haben sich der Stierkämpfer-Poet Manolo und der stolze Soldat zu jungen Männern entwickelt. Joaquin will wie sein Vater Bürgermeister werden. Manolo ist hin- und hergerissen zwischen der Stierkämpfer-Tradition seiner Familie und seiner Leidenschaft als Mariachi-Musiker.

Alle Figuren in diesem tollen, raffiniert auf drei Ebenen erzählten Trickfilm sind sorgfältig und witzig animierte Marionetten. Das ist auf der Ebene der Lebenden etwas kantig, aber wir wissen ja vom „Lego Movie", das dies kein Hindernis für interessante Figuren und gelungenen Humor ist. Dann schlägt das Schicksal zu und Manolo landet im Totenreich. Hier gibt es so viele Totenköpfe und -Fratzen, dass selbst die Kinder im Museum fragen, was das ist, mit den Mexikanern und dem Tod. Unglaublich farbenprächtig ist das Land der Erinnerten, allein Manolos Familie besteht aus so vielen ausgefallenen, schillernden, verrückten und abgedrehten Stierkämpfer-Typen, wie andere Produktionsfirmen in ihrem gesamten Bestehen nicht versammeln können.

Doch Manolo ist nicht nur vegetarischer Stierkämpfer, was der emanzipierten Maria gut gefällt, er ist auch ein großartiger Poet. Die können ja sogar Tote erwecken, wie wir von den alten Griechen wissen. Grandios nach Mexiko transkribierte Musikeinsätze von Radioheads „Creep" über Beethovens Neunter Sinfonie bis Elvis Presley „Can't Help Falling in Love With You" verstärken den Spaß der prallen Bilder. Zu den herrlichen Pop-Zitaten in Mariachi-Varianten auf hohem Niveau passt auch der Soundtrack von Gustavo Santaolalla („Die Reise des jungen Che"). Zu allen fantastischen Einfällen gibt es selbstverständlich auch eine große romantische Geschichte und dann noch ein flottes und witziges Action-Finale. Ein wenig versteht man dabei, wieso die Mexikaner den Tag der Toten mit all den Schädeln und Schreckensfratzen so fröhlich feiern können.

Sehnsucht nach Paris

Frankreich 2014 (La ritournelle) Regie: Marc Fitoussi mit Isabelle Huppert, Jean-Pierre Darroussin, Michael Nyqvist, Pio Marmai 98 Min.

Uns bleibt immer Paris... Als letzte Ausfahrt aus einer eingeschlafenen Ehe zum Beispiel: Die Kinder des Viehzüchter-Paares in der Normandie sind zwar aus dem Haus, doch die beiden können ihre Zucht-Rinder nicht alleine lassen. Dementsprechend routiniert und verschnarcht verläuft die Ehe.

Brigitte (Isabelle Huppert) und Xavier (Jean-Pierre Darroussin) verbreiten in ihrer eingefahrenen Routine eine nervige Langeweile, die sich bis ins Kino verbreitet. Dabei ist vor allem Xavier (Jean-Pierre Darroussin) wenig aufgeschlossen gegenüber allem Neuen und lästert über die „Jugend von heute". Brigitte dagegen geht neugierig auf die Party von ein paar Mädels aus der Stadt, die auf der Farm nebenan stattfindet. Wenig verwunderlich quält Brigitte ein heftiger Ausschlag auf der Brust und so ist der Besuch beim Spezialisten in Paris nur ein Vorwand einen jungen Mann von der Party wiederzusehen. Die reife Frau will etwas Romantisches erleben oder ein Abenteuer haben, aber es kommt nur zum gemeinsamen Babysitten. Zum Glück hat sich in Brigittes Hotel auch der Däne Jesper (der Schwede Michael Nyqvist, zuletzt in „John Wick") eingecheckt. Doch nach einer aufregenden Nacht geht es zurück zum vertrauten Gestank der prämierten Kühe.

„Sehnsucht nach Paris" erzählt träge und umständlich. Isabelle Huppert mit Pelzmütze und Stola im Stall und auf der Wiese - wer hätte gedacht, dass die Frau, die alles spielen kann, auch so zu langweilen vermag. Liegt es daran, dass sie eine etwas verzweifelte, leicht schrullige ältere Frau spielt? Mit den Unsicherheiten eines Teenager bei eher peinlichen Begegnungen in Paris. Der Ausbruch aus dem Alltag und der Eheroutine soll wohl komisch sein, die Wiedervereinigung mit einer Parabel aus dem Kuhleben (!) wahrscheinlich rührend. Doch der Film wirkt wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder Beschäftigungstherapie für bessere Schauspieler. Eine qualvoll beschauliche Null-Nummer, so was für das ZDF am Montagabend.

2.2.15

Jupiter Ascending

USA 2014 Regie: Andy Wachowski, Lana Wachowski mit Channing Tatum, Mila Kunis, Sean Bean, Eddie Redmayne 125 Min.

Es gibt Menschen, die fragen sich angesichts des Strudels in der Klospülung, was eigentlich dahinter ist. Jupiter Jones (Mila Kunis) scheint als Putzfrau Spezialistin für Kloschüsseln zu sein und ahnt nicht, dass sie eigentlich eine Herrscherin des Universums ist. Nicht die Schüssel, die Putzfrau. Klingt nach Douglas Adams' „Per Anhalter durch die Galaxis" ist aber leider nur ein schwacher Film der Matrix-Macher und Wachowski-Brüder, die nach Geschlechts-Umwandlung zu Geschwistern geworden sind.

Tatsächlich wollen die kapitalistischen Herrscher des Universums, also die genetischen Verwandten von Jupiter Jones, die menschliche Population, die sie selbst säten, auch ernten, sobald die Menschheit die Ressourcen des Planeten erschöpft hat. Wie es im Öko-Wurmfortsatz heißt. Nicht zur eigenen Nahrung im Stile von „Solvent Green", sondern als Badezusatz für den eigenen Jungbrunnen. Aus hundert Menschen wird in Balem Abrasax' (Eddie Redmayne) riesiger Raffinerie ein Fläschchen zur einmaligen Anwendung gewonnen. So kommen diese Elite-Menschen auf Lebensspannen von einigen tausend Jahren. Zeit ist das wertvollste Gut geworden. Dass irgendwo in der Geschichte auch die Eizellen von Jupiter für ein paar Dollar „geerntet" werden sollen, reicht nicht für ein substanzielles Thema. Derweil fährt die Handlung mit Jupiter als Wiedergeburt der Mutter schematisch alle drei Geschwister ab.

Ihr Freund und Lover Caine Wise (Channing Tatum) ist dabei Elite-Kämpfer und genetisch mit etwas Wolf gekreuzter Legionär. Außerdem kommen in diesem Action-Zoo auch noch Mäuse-Ohren und -Zähne, Folter- und Kampf-Drachen sowie selbstverständlich klassische Aliens a la Area 51. Dass die Raumschiffe in (von Aliens bevölkerten) Maisfeldern die berühmten Korn-Kreise zurücklassen, ist einer von viel zu wenigen Scherzen des Films. Wirklich faszinierend sind nur die Designs der Flugmaschinen und Weltraum-Städte. Erstere ähneln Libellen und schillernden Käfern, sind echte Transformers und Paradies-Vögel des Alls.

Ach ja, aus heiterem Himmel verliebt sich Jupiter noch in Caine. Nicht unerwartet, aber so schlecht gespielt, dass man sich wieder die nächste Action-Sequenz herbei sehnt. Die persönliche Wandlung von einer Putzhilfe zu einer Herrscherin des Universums findet bei Mila Kunis überhaupt nicht statt, selbst das Staunen angesichts neuer Dimensionen ist arg minimalistisch. Channing Tatum zeigt wie in „Foxcatcher" wieder viel Oberkörper, allerdings stehen ihm hier Techno-Kram und Flügel besser als Muskelpakete. Doch eine der wenigen Lehren des leeren Films lautet: Schönheit täuscht. „Leben ist konsumieren", ist ein anderer Merksatz. „Jupiter Ascending" gehört zur Kategorie Konsum, die nicht befriedigt. In besten Momenten ist es heißes Popcorn-Kino, das allerdings noch während der Laufzeit des Films schal wird. Dann reizen die Leistungen von Mila Kunis nur dazu, was Neues an der Theke zu holen.

Die Science Fiction-Action erinnert entfernt an „Das 5. Element" ohne heranzureichen, kopiert in einer nicht richtig zündende Witz-Szene bürokratischen Wahnsinn a la „Brazil" (und tatsächlich taucht Terry Gilliam hier selbst als Siegel-Verwalter auf). Doch „Jupiter Ascending", dieses Aschenputtel in All, zeigt nur in den besten Szenen richtigen Science Fiction mit mal einer neuen Art, Türen zu öffnen. Wobei die Raketen-Stiefel des Superhelden Caine Wise (Channing Tatum) sich vortrefflich eignen, die gigantischen Zukunfts-Kulissen und die Straßen-Schluchten von Chicago in 3D zu vermessen.

Eddie Redmayne als Balem Abrasax, als erster, gottgleicher und gnadenlosester der Dynastie, hat hingegen mit seiner rauen Stimme (im Original) zu den zarten Gesichtszügen eine sofortige Leinwand-Präsenz. Wieder einmal läuft das Böse dem langweiligen Guten den Rang ab. Im Blick auf die ganze Geschichte könnte man sehr wohlwollend sagen, auch Jupiter hat die Wahl zwischen zwei Realitäten, zwischen Optimismus und dem Standardsatz „Ich hasse mein Leben". Aber dazu muss man sehr wohlwollend was hineindenken in das bombastische Action-Filmchen auf dünnem Inhalts-Eis.

Foxcatcher

USA 2014 Regie: Bennett Miller mit Channing Tatum, Mark Ruffalo, Steve Carell, Vanessa Redgrave, Sienna Miller, Anthony Michael Hall 135 Min. FSK: ab 12

Das kann doch nicht wahr sein ... Tatsächlich gewinnt der neue Film von „Moneyball"- und „Capote"-Regisseur Bennett Miller zunehmend an Staunenswürdigem, je dramatischer die Geschichte von zwei Olympia-Siegern und einem reichen DuPont-Erben wird.

Seine Rede vor Grundschülern ist nicht der Knaller. Die 20 Dollar sind es ebenso wenig, und werden sofort in einen Hamburger investiert. Das Leben des Goldmedaillen-Gewinners im Ringen bei den Olympischen Spielen von Los Angeles 1984 sieht nicht sehr glamourös aus. Mark Schultz (Channing Tatum), trotz einem kantigen Kopf und dem sehr muskulösen Oberkörper eher unauffällig wirkend, lebt zurückgezogen in einer ärmlichen Wohnung. Das Training mit seinem Bruder David Schultz (Mark Ruffalo), auch ein Gold-Junge von LA, sieht ebenfalls nicht nach Spaß und Lebensfreude aus. Das Aufwärmen und Dehnen ähnelt noch intimen Umarmungen, dann sieht es eher nach Schlägerei als nach Ringen aus.

Mark, mit seinem Schwarzenegger-Kopf und dem Hulk-Körper, wird plötzlich ins luxuriöse Anwesen des schwerreichen Chemie-Erben John du Pont (Steve Carell) eingeflogen. Der neurotische Reiche, der trotz allem großkotzigen Gehabe immer noch unter der Fuchtel seiner Mutter Jean (Vanessa Redgrave) steht, will mit einem Ringer-Team einen „eigenen" Pokal neben die Trophäen-Sammlung von Muttis Pferden stellen. Die Foxcatcher genannte Truppe um Mark Schultz bekommt einen kompletten Olympia-Stützpunkt auf dem Anwesen der Du Ponts zur Verfügung gestellt. Doch Bruder David will bei seiner Familie bleiben. Es soll nicht die letzte Konfrontation von zutiefst einsamen Menschen und glücklichem Familienleben bleiben.

Unter John du Pont, der sich für eine selbstfinanzierte Dokumentation zum Clown macht und selbst dank Bestechung auch einen Senioren-Ringkampf gewinnt, wird das Ringen zu jeder Tages- und Nachtzeit fast zu einer intimen Angelegenheit. Auf jeden Fall schmückt sich der einsame Erbe nicht nur mit dem Goldjungen, er kauft sich mit dem Star auch einen Freund. Der extrem besitzergreifende Kapitalist spendiert dem nationalen Ringerbund ein Trainingslager und will dafür bei der nächsten Olympiade in Seoul trotz offensichtlicher Ahnungslosigkeit Marks Trainer sein. Eine Zerreisprobe für die stumme aber extrem enge Verbindung der beiden Brüder. Die wiederum den einsamen Intriganten Du Pont bis in den Wahnsinn provoziert...

Es gibt bei dieser kuriosen aber wahren Geschichte viel Seltsames, wie am Rande den sehr bekannten Komödianten Steve Carell, den man hinter dicken Maske und Gumminase nicht wiedererkennt. „Foxcatcher" hat sehr wenig Bewegung für einen Sportfilm, denn wie schon der Baseball-Film „Moneyball" ist auch dies etwas ganz anderes. Der selbst ernannte Nationalist Du Pont könnte mit seinen hohlen Phrasen gleich bei Pegida mitmachen, eine lächerliche Figur will dem Land Hoffnung geben. Ein lächerlicher und dann gefährlicher Spinner. Dieser seltsame Vogel könnte von John Irving erdacht sein, wenn er nicht tatsächlich gelebt hätte, und im hohen Alter im Gefängnis starb, wo er wegen Mord einsaß.

Das Ringen auf der Matte spiegelt selbstverständlich das psychologische Ringen um Anerkennung, Zuneigung und Freundschaft. Der Führungs-Anspruch über die Foxcatcher-Truppe aus Anabolika-Paketen ähnelt erschreckend dem Gehabe von politischen oder geist-moralischen Führern. Wie einer der reichsten Männer der Welt zerstört, was er nicht haben kann, ist nicht nur mit verblüffenden Einsichten exzellent geschrieben. Bennett Miller inszeniert auch komplexe Zusammenhänge und vielschichtige Szenen mit sicherer Selbstverständlichkeit.

Blackhat

USA 2014 Regie: Michael Mann mit Wang Leehom, Chris Hemsworth, Tang Wei, Viola Davis, Holt McCallany, Yorick van Wageningen 133 Min.

Mann, was für ein Film! Ein (Michael) Mann-Film, was trotz heftiger Action-Einlagen nicht Männer-Film bedeutet, sondern unvergleichbare Qualität jenseits aller Kategorien. Höchstens Steven Soderbergh brachte auf ähnliche Weise Szenen zustande, die so unerklärlich gut sind.

In China explodiert ein Kernkraftwerk. Nicht die übliche Panne, sondern das Attentat eines Hackers, wie wir in „Kamera-Fahrten" bis in den Mikrobereich der Computer-Platinen verfolgen können. Dann sind die Börsen dran: Der Soja-Preis, den sie sonst immer manipulieren, wird von außen in die Höhe getrieben. Chinas Armee setzt darauf Chen Dawai (Leehom Wang), einen genialen Computer-Spezialisten aus ihren Reihen auf den Fall an. Da mit dem gleichen Tarnprogramm „Black Hat" schon mal ein Angriff auf US-Kernkraftwerke stattfand, arbeitet sogar das FBI mit den Chinesen zusammen. Chens erste „Bitte" lautet, den verurteilten Hacker Nicholas Hathaway (Chris Hemsworth) aus dem Gefängnis zu holen, denn er schrieb in Studienzeiten zusammen mit Chen genau diesen Code. Bald entdecken sie, das Atomkraftwerk war nur die Generalprobe...

„Blackhat" ist ein „Action-Film der Dinge", der ganz eindeutig die Bedrohung des „Internets der Dinge" durch Hacker mit den Anschlägen auf die Twin Towers vergleicht. Nur heute braucht man kein Flugzeug mehr zu kapern, es reicht, ganz simple mit USB-Stick oder Email-Anhang die Kontrolle über eine banale Pumpe im Kühlsystem zu übernehmen. Zwar geht es zusammen mit Dawais Schwester Lien (Tang Wei) über Chicago, Los Angeles, Hong Kong und Malaysia nach Jakarta, doch Regisseur Michael Mann umkurvt auch hier ganz knapp die Klischees des Action- und Agenten-Films. Denn samt ausländischem Bösewicht Sadak (der Niederländer Yorick van Wageningen) könnte alles auch als langweiliger Bond-Film durchlaufen. Doch Mann packt mit anderen Schwerpunkten. Mit der Figurenkonstellation, deren Poster-Boy Chris Hemsworth eher mitgeschleppt wird, die aber durch die FBI-Agentin Carol Barrett (Viola Davis) und Hathaways Aufpasser, Marshall Mark Jessup (Holt McCallany) reizvoll erweitert wird. Da wirkt dann Atmosphäre statt Gerede zwischen den Personen. Die Spannung hält das „Wie" dauernd aufrecht. Nicht das „Wie wurden die Computer gehackt?", das ist sofort klar. Sondern, wie Mann das gemacht hat: Wie schon „Miami Vice" ist auch „Blackhat" ein Musterbeispiel der Veredelung von Banalem durch exzellentes bis geniales Handwerk.

Davon, also von Michael Mann, hat man viel zu lange nichts mehr gesehen, das wird einem während „Blackhat" schmerzlich deutlich. „Public Enemies" war 2009 sein letzter Kinofilm, danach produzierte er TV-Serien. Selbst sein „Miami Vice"-Remake war 2006 noch ein Musterbeispiel, wie ein Künstler ein festgelegtes Format auf spannende Weise aufladen kann. Doch Kenner schätzen ihn seit 1986 als er mit „Blutmond" (alternativer deutscher Titel: Roter Drache, englischer Originaltitel: Manhunter) die erste und immer noch beste Hannibal Lecter-Verfilmung ablieferte. Danach kam 1992 „Der letzte Mohikaner" mit Daniel Day-Lewis und Madeleine Stowe, sowie das grandiose Duell zwischen Al Pacino und Robert De Niro in „Heat" (1995)

Ein heftiges Feuerduell sei auch diesmal in „Blackhat" den Action-Fans versprochen, und das Finale mitten in überfüllten Straßen eines exotischen Folklore-Umzuges ist Erste Sahne. Doch das Dazwischen macht den Unterschied zwischen Massenware und Können aus - die Szenen dazwischen und in diesen dieses unsichtbare Etwas, diese Extra-Zutat von Michael Mann.