30.7.13

Halbschatten

BRD, Frankreich 2013 Regie: Nicolas Wackerbarth, mit Anne Ratte-Polle, Emma Bading, Leonard Proxauf, Henry Arnold 80 Min.

„Ich wollte sehen, was passiert, wenn Filmaufnahmen, die für gewöhnlich dem Schnitt zum Opfer fallen, ins Zentrum einer Erzählung rücken: Momente, in denen jemand alleine ist, in denen ein stummes Selbstgespräch geführt wird, in denen der Druck, den gesellschaftliche Erwartungen einfordern, aufkommt." So exakt wie Regisseur seinen Film „Halbschatten" beschreibt, so exakt erzählt er auch - trotz einer oberflächlichen, spröden Ereignislosigkeit. Das Warten der Mitt-Dreißigerin Merle (Anne Ratte-Polle) vor dem französischen Ferienhaus ihres Geliebten. Ein eiskalter Empfang durch dessen Kinder, aber selbst ergreift Merle auch nicht die Gelegenheit zur Verständigung. Sie könnte Stiefmutter spielen, aber ihre Kochkunst besteht aus nur einem Gericht. Große Schwester für Emma, doch es bleibt erst mal bei der Hausaufgaben-Hilfe. Und für den fast erwachsenen Sohn ein Kumpel oder eine erste Geliebte... Was ein Spielchen und böse Rache wäre, denn Romuald (Henry Arnold) lässt sich bis zum Ende des Films nicht blicken, nicht für die wartende Geliebte, den Geburtstag der Tochter oder deren vermeintliche Krankheit.

Merle will in ihrem Roman, an dem sich eigentlich nicht arbeitet, untersuchen wie Dinge ihren Namen bekommen. Regisseur Nicolas Wackerbarth selbst untersucht unbestimmte Zustände, die noch keinen Namen und vor allem keine Lösung haben. Eine eindeutig deplatzierte Frau sieht noch keinen Ausweg, kann sich nicht zum nächsten Schritt entscheiden. Das Warten auf Romuald ist eigentlich ein zielloses Kreisen um sich selbst.

Dass ein Film über das Verharren trotzdem äußerst packend sein kann, liegt teils an der Hauptdarstellerin Anne Ratte-Polle, die eine keineswegs sympathische Frau mit undurchdringlichem Gesicht und wenigen Regungen spielt. (In nur einer kurzen Szene treten auch die „Stars" Maren Kroymann und Lou Castel auf.) Aber vor allem sind die Szenen und Inszenierungen von Regisseur und Autor Nicolas Wackerbarth in ihrer raffinierten Deutlichkeit erstaunlicher Augenschmaus und Hirnkitzel. Wie sagte er es treffend selbst: „So spannen Anspruch und Erfüllung einen Stillstand auf, dem latent alle Möglichkeiten und ihre Bedrohung innewohnen. Ein Thriller über einige ereignislose Tage." Ein Filmemacher, von dem man gerne mehr sehen und hören möchte.

Francis Ha

USA 2012 Regie: Noah Baumbach mit Greta Gerwig, Mickey Sumner, Adam Driver, 86 Min.

Ha! Was für ein Film! Und was für eine Schauspielerin! Greta Gerwig („To Rome with Love") ist in „Francis Ha" erneut so eine Erscheinung, der man das pure Leben und alles ehrlich abnimmt. Die Gerwig spielt nicht, sie IST Frances Ha, diese junge, nicht sagenhaft begabte Tänzerin Mitte, Ende 20. In Brooklyn zieht sie von Apartment zu Apartment, taucht ab ins Leben der jungen Boheme, mit ihrer Freundin Sophia immer super lebendig und selbst verkatert noch umwerfend witzig. Von den vernichtenden Kommentare über ehemalige Liebhaber bis zu lebensphilosophischen Betrachtungen, die Glückskeks-Sprüchefür das nächste Jahrzehnt werden sollten. Francis und Sophia sehen sich selber wie ein lesbisches Paar, das keinen Sex mehr hat. Genauso humorvoll wie ihre Episoden sind die herrlich ironischen Musiken, die zu den New York-Trips auf die Tonspur gelegt werden. Doch dann verlieren sich die Freundinnen in den Wirren des Wohnungsmarktes und der Beziehungssuche.

Das spaßige Tänzeln durchs Leben entwickelt sich für Francis zu einer Abwärtsspirale: Die Schlafplätze werden immer schlechter, genau wie die Jobs. Die sympathisch chaotische Frau wird als „undatable" bezeichnet, als eine, die keinen abbekommt, bezeichnet ... und glaubt es irgendwann selbst. Die Karriere als Tänzerin rückt in die Ferne, die Chefin des Ensembles empfiehlt Frances sogar einen Bürojob! Allerdings solle sie dann auch lieber an eigenen Choreografien arbeiten als selbst zu tanzen. Und es gibt da noch diesen netten Typen...

Die Irrungen und Wirrungen der Jugend, das Finden des richtigen Weges für einen ganz persönlich und das Bewahren richtiger Freundschaften dabei. Das lässt „Francis Ha" im passenden Schwarzweiß der „Nouvelle Vague" miterleben, die ja auch ein Zeit des Aufbruchs und eine Bewegung junger Künstler war. Dementsprechend gibt es eine Melodie aus Truffauts Antoine-Doinel-Zyklus, diesem ähnlich wunderbaren Kino-Entwicklungsroman. Mehr macht „Frances Ha" nicht, aber dieses Geschenk der Kinowoche entwickelt sich unauffällig mehr und mehr zum Dauergrinser-Film, der nur von lautem Lachen unterbrochen wird.

Greta Gerwig, dieser mal zu recht gehypte Jung-Star der Independent-Szene, ist nach „Greenberg" von gleichen Regisseur Noah Baumbach („Der Tintenfisch und der Wal") wieder in einer frischen, unkonventionellen Komödie zu erleben, die ihr wesentlich besser steht, als der Mainstream, der sich mittlerweile auch um sie reißt. Sie ist ein Naturereignis der Leinwand, genau wie damals die junge Drew Barrymore oder wie immer wieder Valeria Bruni-Tedeschi mit einem ganz besonders natürlichen Eindruck.

„Francis Ha" verwebt mit der schönen Geschichte des Films auch ein Spiel mit der französischen Filmgeschichte: Das beginnt mit dem reizvollen Schwarzweiß, dazu rennt Francis wie einst bei Leos Carax zu David Bowie durch die Straßen und beim Abhängen vor dem Fernseher läuft auch Französisches.

Gerwigs Francis wirkt völlig liebenswert verloren in der Welt der Erwachsenen, aber nach gehörigen Dosen Nonkonformismus schließlich auch melancholisch versunken im eigenen Leben ohne wirkliche Freunde. Eine für sie selber nicht einfache Erkenntnis und für die Zuschauer ein in seiner entwaffnenden Offenheit anrührendes Vergnügen.

22.7.13

Bait – Haie im Supermarkt DVD

Regie: Kimble Rendall

Universum

Trash

Im Supermarkt und beim Discounter erwartet man ja viel Schlimmes: Mogelpackungen, Dioxin im Ei, Pferd in der Lasagne. Doch ein Hai ohne MSC-Siegel und dazu noch lebendig zwischen den Regalen fischend, das ist heftig! Heftiger Trash ist dieses Exploitation-Filet, so schlimm, dass es schon wieder Spaß machen könnte: Als Josh (Xavier Samuel) beim Einkaufen seine Ex-Verlobte Tina (Sharni Vinson) plus deren neuen Partner trifft, ist der Kleinkriminelle Doyle (Julian McMahon) gerade dabei, mit seinem Kumpel den Supermarkt zu überfallen. Doch plötzlich rollt eine zerstörerische Tsunami-Welle auf das Einkaufs-Center zu. Zuerst wird eine Sammlung von kleinen Dramen in den Supermarkt gespült, dann eine Killer-Flosse, wobei die eigentlichen Beißerchen lange vor dem Blick der Kamera untertauchen. Zu schöne Menschen mit zu melodramatischen Traumata sind ideales Fischfutter. Am besten sollte man sich das Ganze noch in 3D reinziehen! Im Bonus-Material des schockierend schlechten Hai-Schockers können sich die Zuschauer auf „Interviews mit Cast & Crew", den „Trailer" und ein ausführliches „Making-of zum Film" freuen.

21 & Over

USA 2013 (21 & Over) Regie: Jon Lucas, Scott Moore mit Miles Teller, Skylar Astin, Justin Chon, Sarah Wright 90 Min. FSK ab 12

Was wollen wir mit unserem Leben anfangen? Welchen Berufsweg einschlagen oder überhaupt? Das fragen sich viele junge Leute und so auch Jon Lucas und Scott Moore, die Autoren von „Hangover". Im besoffenen Kopf haben sie dann wahrlich dessen Script mit umgekipptem Bier verwässert und den Studio diesen lahmen Abklatsch (21 statt „Hang", aber auf jeden Fall „over"!) als Version für Schulabgänger empfohlen: Zotig, alkoholisiert, dämlich und selten witzig...

Miller (Miles Teller) und Casey (Skylar Astin) wollen den 21. Geburtstag ihres Freundes Jeff Chang (Justin Chon) feiern, doch der hat am nächsten Morgen ein wichtiges Gespräch für sein zukünftiges Medizin-Studium. Aus „Nur für ein Bier" wird eine exzessive Nacht mit Einweisungen bei Polizei und Psychiatrie. Es ist gleichzeitig Spring Break für die us-amerikanische Studentenschaft und haufenweise hirnrissige Rituale sind zu bewundern. Der Film setzt seine eigenen Höhepunkte damit, dass Jeff einen (ungebrauchten) Tampon isst und die beiden anderen in das Haus einer weiblichen Burschenschaft einbrechen. Nichts davon ist witzig, wenn man es als billig Kopie von „Hangover" erkennt, wird es sogar mehr als peinlich: Der leicht wahnsinnige Asiate Chow heißt diesmal Chang, der vom Leistungsdruck seines Vaters gequält wird. Keine Sorge: In die Tiefe geht dieses Thema nie. Jeff dient vor allem dazu, Southparks „Oh mein Gott! Sie haben Kenny getötet!" in „Was ist mit Jeff Chang los?" zu variieren. Selbst das wilde Tier kommt vor, entsprechend zum Potential des Films wurde aus dem Tiger ein Büffel. Der Rest ist pöbelnd, zotig, rassistisch, sexistisch und alkoholisch; stellenweise komisch, aber großflächig dämlich. Und vor allem wie immer - und nicht erst seit dem angeblich provokativen „American Pie" - extrem Prüde! Da ist der erzwungene Zungenkuss unter Freunden schlimmer als eine versehentlich abgerissene Vorhaut.

Was wollen wir mit unserem Leben anfangen? Welchen Berufsweg einschlagen oder überhaupt? Antworten gibt „21 & Over" keine, er hilft auch nicht, sich mit Zeittotschlagen vor diesen Fragen zu drücken. Der Zoten-Film zeigt übrigens die gleiche Lebenssituation wie der wunderbare „Frances Ha", der nächste Woche startet. Doch unabhängig davon, dass „21 & Over" ein Jungens-Film und der andere eine schöne Frauengeschichte ist, wird hier fortwährend besoffen gegrölt, während „Frances Ha" als kleines Meisterwerk mit einem Sonett, einem Gedicht, einem Gemälde vergleichbar ist.

21.7.13

La grande bellezza

Frankreich, Italien 2013 (La grande bellezza) Regie: Paolo Sorrentino mit Toni Servillo, Carlo Verdone , Sabrina Ferilli, 141 Min. FSK ab 12

Der Society-Kolumnist Jef Ganbardella (Toni Servillo), kennt die ganze Stadt Rom, alle feiern sie auf seiner Dachterrasse mit Blick auf das Kolosseum exzessive Feste und zelebrieren, hoch über den historischen Wahrzeichen der Stadt, hochkulturelle Gesprächskreise. Doch nach seinem 65. Geburtstag und folgender Konzentration auf das Wesentliche, erkennt der Autor, der nur ein Buch schrieb und danach im Nachtleben Roms versackte, dass dies alles nur „Bla bla bla" ist.

Der ausgezeichnete Paolo Sorrentino forderte nach vier sagenhaften Filmen - von „Le conseguenze dell'amore" (2004) über „L'amico di famiglia" (2006) und „Il Divo" (2008) bis zuletzt „This must be the place" mit Sean Penn - die Geduld des Publikums. Der Flaneur Ganbardella wandelt sich langsam vom messerscharfen Zyniker zum Bewunderer des einfachen Lebens und der bürgerlichen Liebe - die stattfinden, während er ausschläft. Dabei verweisen auch viele kuriose Ereignisse am Wegesrand auf Klassiker wie Fellinis "La dolce vita" oder Ettore Scolas "La terrazza". Exemplarisch wandelt sich der umwerfend komisch Auftritt der als Heilige verehrten Maria zu einem wunderschönen Moment: Maria könnte mit dem Papst zu Abend essen, doch stattdessen findet sie sich auf der Terrasse von Ganbardella ein. Während die Zahnlose schweigt, betet ein Kardinal Kochrezepte runter. Doch das Morgenrot zeigt ein stilles, wundersames Zwiegespräch mit zig Flamingos, die auf der Terrasse zwischenlanden. So verschwinden die schrillen Figuren und Szenen aus der Politsatire „Il Divo" bei derartiger Besänftigung für eine große Liebe und die große Schönheit der Stadt - „La grande bellezza". Sanft melancholisch berührt auch dieser Sorrentino. Und beeindruckt mit einem erneut großartigen Toni Servillo. Auf den ersten Blick vermeintliche Längen erweisen sich als notwendige Schritte auf dem Weg zu einer neuen Erkenntnis.

Wolverine: Weg des Kriegers

USA 2013 (The Wolverine) Regie: James Mangold, mit Hugh Jackman, Hiroyuki Sanada, Famke Janssen, Tao Okamoto, Svetlana Khodchenkova, Haruhiko Yamanouchi 126 Min.

Das Praktische an der Comic-Figur Wolverine ist, dass sie nicht altert. Alle möglichen (Vor-) Geschichten können so mit dem erfolgreichen Wolverine-Gesicht Hugh Jackman verfilmt werden. Diesmal geht es zurück zur Atombomben-Explosion über Nagasaki am 9. August 1945. Ein junger japanischer Soldat, der neben anderen Kriegsgefangene und auch Wolverine (Jackman) befreit und danach von diesem menschlichen Schutzschild vor Verstrahlung und Verbrennen gerettet wird, bittet diesen Jahrzehnte später nach Tokyo. Yashida (Haruhiko Yamanouchi) ist inzwischen mächtiger Boss eines Industrie-Konzerns, aber auch schwerkrank. Logan, der abgeschieden von Menschen und Mutanten in den Wäldern lebte, um nicht mehr kämpfen und töten zu müssen, soll angeblich ein Wunsch erfüllt werden. Yashida verspricht dem mutierten und technisch frisierten Mann, bei dem selbst schwerste Verletzungen in Sekunden heilen und dem ewiges Leben droht, einen menschlichen Tod. Recht eigennützig will der Todkranke dafür die Unsterblichkeit übernehmen. Doch Logan lehnt ab und kann nach dem Ableben des mächtigen Bosses nur noch dessen Enkelin Mariko (Tao Okamoto) beschützen. Allerdings schwinden seltsamerweise auch seine eigenen (Selbstheilungs-) Kräfte.

Es mischen sich noch eine Menge Ninja, einige Yakuza und andere Geschichten in diese Wolverine-Episode ein. Eine langatmige Affäre im Mittelteil eignet sich hervorragend, um noch mal Getränke zu holen. Nicht mal dass eine junge Japanerin tatsächlich mit dem nicht gealterten Helden ihrer Gutenacht-Geschichten ins Bett geht, nutzt der Film für dringend nötige Humor-Dreingaben.

Spaß macht am Anfang allein die rothaarige Freundin Marikos, Yukio (Rila Fukushima), mit faszinierenden Augen die einzige echt schrille Comic-Figur dieser Marvel-Adaption. Im Gegensatz zu den schillernden Mutanten- und Figuren-Arsenalen der „X-Men" kommt dieses „Wolverine"-Spinoff mit nur einer Handvoll Science Fiction-Attraktionen aus. Dafür gibt es statt der Mutanten- und Rassismus-Routine eine gute, tatsächlich interessante Geschichte, die vorgibt, dem fremden Kämpfer Logan japanische Traditionen entgegen zu stellen. Am Anfang - diese Teilung könnte man noch oft betonen - funktioniert das. Die Themen Todessehnsucht und Müder Krieger verlieren sich allerdings, je mehr Logan wieder zu Wolverine wird. Dann ist „Wolverine" wieder so ein hirnloser Prügelfilm, der schnell unfreiwillig komisch gerät, wenn die Ninja mit ihren Bogen aus dem Helden einen Käse-Igel für die Schlacht-Platte machen.

Vor allem das Ende enttäuscht mit wenig überzeugenden Ruckzuck-Lösungen. Dass Logan ein Ronin, ein „Samurai ohne Meister", war, hängt mit dem unabhängigen Charakter dieser Figur zusammen und muss nicht mit Beschäftigungs-Therapie bekämpft werden. Der Abschied von Wolverines verstorbener und beleidigter Liebe Jean (Famke Janssen) ist nur sehr dünne Kopie vieler ähnlicher Szenen anderer Filme.

So bleiben als Höhepunkte nur die üblichen Action-Schmankerl: Der bekannte Kampf auf dem Zugdach, japanisch auf Hochgeschwindigkeiten um 500km/h in eine neue Dimension gepusht. Eine Verfolgungsjagd durch Tokyo, wobei Kamera und Schnitt sehr ambitionierte Leistungen hinlegen, damit aber ebenso beeindrucken wie zeitweise irritieren. Im Gegensatz zum letzen „Wolverine"-Film, der als Rohfassung mit unfertigen Tricks vorzeitig im Internet auftauchte, wirkt dieser Versuch vor allem thematisch unvollendet. Das fällt nicht direkt ins Auge, hinterlässt aber doch ein unbefriedigtes Gefühl.

The Company You Keep

USA 2012 (The Company You Keep) Regie: Robert Redford, mit Robert Redford, Shia LaBeouf, Julie Christie, Susan Sarandon, Nick Nolte, Terrence Howard, 121 Min.

Noch ein Polit-Thriller vom Senior Robert Redford („Die Unbestechlichen") oder wieder ein Polit-Thriller mit Brit Marling („The East")? „The Company You Keep", die ebenso packende wie nachdenkliche und hochaktuelle Geschichte um Wege des Widerstandes gegen einen gefährlichen eigenen Staat, schafft mit zwei hervorragenden Schaupielern und Künstlern die Verbindung vom Vietnam-Krieg zu heutigen Übergriffen des Staates.

In Deutschland werden immer noch ehemalige RAF-Mitglieder inhaftiert, weil sie nicht wie jeder anständige Politiker das Recht auf Erinnerungslücken haben. Aber auch in den USA kümmern sich Geheimdienste oft eher um alte Rechnungen als um aktuelle, rechte Bedrohungen: Eher zufällig kommt das FBI nach dreißig Jahren einer Gruppe militanter Antikriegs-Aktivisten auf die Spur. Die Ehefrau und Mutter Sharon Solarz (Susan Sarandon) stellt sich der Polizei und damit droht auch die wahre Identität des angesehenen Anwalts Jim Grant (Robert Redford) aufzufliegen. Gemeinsam waren sie an einer Aktion gegen das hunderttausend-fache Morden im Vietnamkrieg beteiligt, bei der auch der Wachmann einer Bank erschossen wurde. Um endlich ans Licht zu bringen, was wirklich geschah, fährt Jim Grant seine 11-jährige Tochter zum Onkel nach New York und flieht dann, um ehemalige Mitstreiter zu kontaktieren.

Ein faszinierendes Panoptikum aus Menschen und Motiven liegt auf der Reise-Route Grants. Sein raffiniertes Katz- und Maus-Spiel mit dem FBI-Ermittler (Terrence Howard) und dem jungen Journalisten Ben Shepard (Shia LaBoeuf) entdeckt nicht nur eine alte Wahrheit. Das Wesen des Widerstandes wird quasi im Vorbeirennen aber trotzdem keineswegs flüchtig reflektiert. Wenn Redford fortrennt, geht es nicht wirklich um die eher behäbige Action, auch nicht um den junge Journalisten, der über diese Geschichte bekannt werden will. Der alte Recke bringt dem jungen Draufgänger bei, dass man sich auch immer fragen muss, wem eine (Enthüllungs-) Story schadet.

Shia LaBoeuf hat als Reporter Ben Shepard nur oberflächlich eine ähnliche Rolle wie Redford vor 37 Jahren, als er Bob Woodward spielte, einer der beiden Journalisten hinter der Watergate-Enthüllung. Diese wahre Geschichte gilt immer noch als glorioser Höhepunkt des Enthüllungs-Journalismus. Heutzutage hat Ansehen der Presse mächtig gelitten, eine kleine Ethik-Lektion kann da nicht schaden. Sie ist von Regisseur Redford und seinem Autor Lem Dobbs (Buchvorlage: Neil Gordon) so gut verpackt, dass „The Company you keep" allgemein beste Unterhaltung bietet. Bei diesem Film von Regisseur Redford kann man nur bemängeln, dass er auf den Hauptdarsteller Redford bestanden hat. Der ist ein bis zwei Jahrzehnte zu alt für die Rolle, oder seine Figur hat zu junge Kinder. Der Rest der Besetzung ist erste Sahne: Von Susan Sarandon („Dead Man Walking") über Nick Nolte („The Thin Red Line"), Julie Christie, Stanley Tucci, Sam Elliott bis zu Shootingstar Brit Marling („Another Earth"). Sie spielt hier die Rolle einer Jury-Studentin mit Zweifeln am System und überdenkt mit ihrem ganz aktuellen Film „The East" ebenso klug und spannend wie Redford die Moral des Widerstandes. Wahrscheinlich ist Brit Marling mittlerweile ein Name, bei dem die Prism-Alarmglocken ganz laut schrillen.

17.7.13

Jackie - Wer braucht schon eine Mutter

Niederlande 2012 (Jackie) Regie: Antoinette Beumer, mit Carice van Houten, Jelka van Houten, Holly Hunter, 96 Min. FSK ab 12

Eine Mutter hat Sofie (Carice van Houten) nach eigener Aussage nie gebraucht: Zwei nette schwule Väter zogen ihre Zwillings-Töchter in den Niederlanden groß, die amerikanische Hippie-Frau, die sie austrug, verschwand nach der Geburt. Die gestresste Redakteurin und Karriere-Frau Sofie hat keine Zeit für eine Mutter, nicht mal Zeit für einen Mann. Dann kommt ein Hilferuf aus den USA: Die Mutter Jackie liege mit gebrochenem Bein im Krankenhaus. Sofies chaotische Schwester Daan (Jelka van Houten) will sofort hin, fragt die Zögerliche „Wovor hast du eigentlich Angst?". Die offen sprechende Familie kommt schnell auf den Punkt und die beiden Schwestern so in die USA. Ein Ohrproblem samt Flugverbot bei Jackie (Holly Hunter) sorgt für den Roadmovie-Rahmen.

Die ziemlich verwirrt wirkende Frau begrüßt die Tochter schon mal mit einem Gewehr und macht auch sonst die Annäherung nicht leicht. Genregemäß stranden sie irgendwo in der Wüste in wunderbarer Landschaft, der Clash der Mentalitäten bekommt viel Raum und Zeit: Sofie, hochhackige Redakteurin und überspannter Workaholic, bekommt Abstand von der Arbeit als einzigem Lebenssinn. Daan, scheinbar naives und sehr herzliches Blondchen, darf endlich mal Autofahren und sich auch ansonsten emanzipieren.

„Jackie" ist ein sehr gelungenes Road-Movies, ein toller Schauspielerinnen-Film mit viel Humor und Einfühlungsvermögen in die Figuren. (Ob der englisch-niederländische Sprach-Mix die Synchronisierung überlebt, bleibt offen.) Der US-Star Holly Hunter zeigt mal wieder sein komödiantisches Vermögen, sagt nicht viel, macht aber enormen Eindruck. Jelka van Houten überrascht als Daan an der Seite ihrer tatsächlichen Schwester, der bekannteren Carice van Houten („Game of Thrones"). Die stille und tief berührende Film-Perle ist immer wieder sehr witzig, beglückt auch durch lebendige Kamera und schöne Landschaftsaufnahmen bis zur letzten, heftigen Pointe in Sachen Mütterlichkeit.

Pacific Rim

USA 2012 (Pacific Rim) Regie: Guillermo Del Toro, Charlie Hunnam, Idris Elba, Rinko Kikuchi, Charlie Day, Robert Kazinsky, 126 Min. FSK: ab 12

Godzilla 2.0 kann Karate! Und bedroht gleich mit einem ganzen Arsenal gigantischer Monster die Menschheit. Ihnen stellt der mexikanische Erfolgsregisseur Guillermo Del Toro („Pans Labyrinth", „Hellboy") Riesenroboter und eine fantastische Inszenierung entgegen. Die Popcorn-Maschinen können heißlaufen für dieses sehr gelungene sündige Vergnügen.

Der Pazifische Graben spukt in naher Zukunft riesige, drachenartige Monster namens Kaiju aus, die ganze Küstenregionen und Länder vernichten. Nur mechanische Roboter, die ebenfalls jedes Hochhaus überragen, können die Kreaturen aus der Hölle niederringen und -schlagen. Die Jaeger - mit deutschem Namen - reagieren so komplex auf die Bewegungen ihrer „Piloten", dass es gleich zwei, neuronal miteinander vernetzte von ihnen braucht, um die Stahlgebirge zu steuern. Guillermo Del Toro hält sich in seinem Update der klassischen Godzilla- und Kaiju-Filme nicht lange mit Schnickschnack auf, sondern schmeißt uns direkt mit Spaß in den Kampf: „Pacific Rim" ist gewaltiges Trash-Kino, ein wirklich GROSSER Spaß!

Nun muss es bei über zwei Stunden Vorzeigen von Riesigem, das so ziemlich alle Städte rund um den Pazifik zerbröselt, auch etwas andere Handlung geben. „Pacific Rim" schafft schnell eine wichtige Wendung, denn Pilot und Held Raleigh Becket (Charlie Hunnam) ist nicht unverletzlich, verliert den mit ihm perfekt synchronisierten Bruder bei einer desaströsen Niederlage. Auch weil die Kaiju mit jeder Generation stärker und klüger werden, soll das Jaeger-Programm eingestellt werden, die letzten ihrer Art versammeln sich in Hongkong zur entscheidenden Schlacht unter Führung vom Marshall Stacker (Idris Elba).

Bei enormem technischen Aufwand sparte „Pacific Rim" viel beim Menschen-Material, doch gerade dieser Idris Elba spielt sich mit der Führungs-Rolle in die erste Reihe der Großen. Eine Entdeckung, mal nicht bei den jungen Heldengesichtern, die zum Glück nicht so glatt bleiben wie im üblen Referenzfilm „Starship Troopers". „Pacific Rim", dieser internationale Robotronic-Trash, ist zwar ein großer Spielkind-Film von ein Fanboy Guillermo Del Toro, der selbst hat allerdings mehr politische Haltung und kulturellen Hintergrund drauf hat als viele andere. So zeigt die reizvolle Abfolge immer neuer Erdspalten-Monster Reminiszenzen an „Pans Labyrinth", „Alien" oder einen turmhohen King Kong. Eindrucksvoller als die Straßenschlachten mit einem Supertanker als Schlagstock sind die sich begegnenden Traumatas der miteinander vernetzten Piloten: Die Bilder eines kleinen japanischen Mädchens in von Asche bedeckter Trümmerlandschaft Tokyos gehören zu den stärksten Szenen des Films. Der zudem mit vielen witzigen wie eindrucksvollen Einfällen und Figuren aufwartet: Da ist das Paar wahnsinniger Wissenschaftler, bei denen sich ein Kaiju-Groupie an die Hirne der Monster ankoppelt. Übercooler Leichenfledderer der Neuzeit-Dinos ist „Hellboy" Ron Perlman.

So gelingt Del Toro nach dem Horror des Franco-Faschismus in „Das Rückgrat des Teufels" und „Pans Labyrinth", sowie der Comic-Höllenbrut „Hellboy" nun eine neue Ausgeburt der Unterwelt. Die Godzilla-Vorbilder kann man getrost vergessen: „Pacific Rim" ist von der ungelenken Tricktechnik vergangener Jahrzehnte so weit entfernt wie von der Simplizität der „Transformers", die hiergegen nur Plastik-Dreingaben eines Matschig-Menüs sind.

16.7.13

Paulette

Frankreich 2012 (Paulette) Regie: Jérôme Enrico mit Bernadette Lafont, Carmen Maura, Dominique Lavanant, Françoise Bertin 84 Min. FSK ab 12

Goldig sind die Erinnerungen an Lebenshöhepunkte wie den ersten Preis für einen Zwetschgen-Kuchen, die Konditor-Ausbildung und das eigenes Café. Die Realität der Mindestrente ist auch am Rande von Paris bitter, doch bitterer noch ist die alte Dame Paulette (Bernadette Lafont) selbst: Eine keifende Rassistin, die sich beim schwarzen Priester im Beichtstuhl beschwert, dass das Land von den Schwarzen überschwemmt wird, die sogar den süßen Mischlings-Enkel mit böser Abweisung straft.

Die stolze Zicke Paulette lebt im Wohnsilo von den Abfällen des Marktes, bis sie eher zufällig - ein Päckchen Hasch lag im Müll - in den Drogenmarkt einsteigt. Das Muttchen übernimmt völlig unverdächtig den Job des lokalen Dealers. In Folge einer ihrer Biestigkeiten mischt der Enkel etwas Hasch unter den Schoko-Kuchen, was wiederum eine Damenrunde und letztlich - als neue Geschäftsidee - das ganze Viertel herrlich aufmischt. Paulette und ihre Konditorkünste mit einer besonderen Zutat werden zum ganz großen Hit im Hochhaus-Viertel. Doch die jungen, ausgebooteten Dealer gehen mit ihr nicht nett um, die Sonnenbrille vor dem blauen Auge gibt ihr endgültig einen Gangstertouch.

Da es eine von Paulettes Grundregeln ist, bei den weichen Drogen zu bleiben, erscheint diese Back-Beschäftigung für ältere Damen durchaus eine Alternative zum geklauten sozialen Netz und gegen Alters-Armut. Zudem befördert es den Austausch zwischen den Generationen. Tatsächlich ist „Paulette" nur eine nette Sozialkomödie, die sich über Armut lustig macht. Sie fungiert als fadenscheiniger Vorwand, die alte Zicke mit dem ganz anderen Milieu zusammenzubringen. Der Gangster-Boss Mr. Vito bleibt eine Witzfigur an der Playstation, die kleinen Dealer sind alberne Jungs mit lächerlichem Slang. Dass der schwarze Schwiegersohn ausgerechnet auch ein Drogenfahnder ist, fügt dem oft albernen Reigen noch eine weitere Drehung hinzu. Nicht nur im Vergleich mit „Grasgeflüster" (GB 2000, Regie: Nigel Cole) mit Brenda Blethyn in einer ähnlichen Hauptrolle, fällt auf, wie dünn die Wirkstoffe dieses Komödienstoffes sind.

15.7.13

The East

USA, Großbritannien 2013 (The East) Regie: Zal Batmanglij, mit Brit Marling, Alexander Skarsgård, Ellen Page, Toby Kebbell, Julia Ormond, Patricia Clarkson, 112 Min., FSK ab 12

Nachdem Brit Marling als Autorin, Produzentin und Hauptdarstellerin in dem wunderschönen „Another Earth" (2011, Regie: Mike Cahill) eine zweite Erde als Chance zeigte, um einer quälenden Schuld zu entkommen, realisiert sie nun mit Regisseur Zal Batmanglij und der gleichen Aufgabenteilung einen genialen und sehr bewegenden Film über persönliche und politische Dilemmata unserer Zeit. Marlings Figur Sarah schleicht sich als Agentin eines privaten Geheimdienstes bei einer alternativen Widerstandsgruppe ein und verliert sich zwischen Undercover- und vorheriger Identität.

Sarah (Brit Marling) ist klar, gradlinig und erschreckend selbstbewusst. Man könne ihre Arroganz riechen, meint die auch nicht an Minderwertigkeits-Komplex leidende Chefin Sharon (Patricia Clarkson). Trotzdem bekommt die kühl-elegant gekleidete Frau den Job und als Begrüßungsgeschenk ein paar Birkenstocks. Die wird sie tatsächlich brauchen, denn Sharons privatwirtschaftlicher Geheimdienst schickt die ehemalige FBI-Agentin in den Untergrund, um eine geheimnisvolle Organisation namens The East aufzuspüren, die in den USA mit originellen Anschlägen Politik macht.

Nun wird dem Freund erzählt, es ging nach Dubai, während Sarah mit dem Undercover-Namen Jane auf geklautem Fahrrad und in leeren Güterzügen durchs Land zieht, Essen aus Abfall-Containern fischt, nur um mit The East oder Sympathisanten in Kontakt zu kommen. Dabei schlitzt sich die knallharte Agentin auch schon mal mit einer Cola-Dose den Arm auf, um danach von einer modernen Hippie-Kommune verpflegt zu werden. Ein irritierend genialer Doc flickt den langen Riss mit Superkleber und danach wird der kluge Kopf von Sarah/Jane bei einem Abendessen in Zwangsjacke gefordert: Wie kommt man, ohne die Hände nutzen zu können, mit groben Holzlöffeln an den Eintopf? Die Antwort ist ein wunderschöner sozialer Akt, der zumindest schon mal den Egoismus der Intelligenz von Sarah entblößt.

Tatsächlich hat sie die Gruppe gefunden und nimmt sogar an einer ihrer, „Jam" genannten Anschläge teil: Ein Pharma-Konzern feiert einen großen Deal mit dem Militär, doch beide bekommen von The East heimlich eine Kostprobe des mit schrecklichen Nebenwirkungen eher gefährlichen Medikaments, das nun jeder Soldat erhalten soll. Das Leugnen des pharma-militärischen Komplexes wird zwecklos, als ausgerechnet die Sprecherin der Organisation die schweren Hirnschäden erleidet, die auch den Doktor der Widerständler getroffen haben. Jane ist nicht nur durch die gemeinsamen Aktionen involviert: Obwohl sie pflichtgemäß Berichte an die Auftraggeber funkt, fühlt sie sich immer mehr zu den idealistischen Kämpfern hingezogen.

Weshalb kommen Selbstgerechtigkeit und Widerstandsbewegungen immer zusammen? Diese Frage zerreißt nicht nur die Gruppe, sondern auch Sarahs Verhältnis zu ihr und zum charismatischen Anführer Benji (Alexander Skarsgård aus „Das Glück der großen Dinge"). Und: Wie weit soll der Widerstand gehen? Darf man Industrielle in die gleiche tödliche Brühe schmeißen, mit denen sie Flüsse und Kinder vergifteten? Auge um Auge bis die von der Justiz nicht verfolgten Mörder wenigstens zu ihren Taten stehen? Unterstützt man das bürgerliche Greenpeace oder die radikaleren Kämpfer von „Sea Shepherd"?

So ist die persönliche Selbstfindung und Wiedergeburt von Sarah als Jane in „The East" gleichzeitig ein eindringliches und starkes Statement zum Stand des politischen Handelns in den westlichen Gesellschaften. Diese Durchdringung des Privatlebens nicht allein durch staatliche Stellen, sondern direkt durch Privatfirmen im Auftrag der Konzerne ist die nächste Stufe nach den Prism. Die fast altmodische Kommune mit Breitband-Hacker-Anschluss erhält einige Sympathien, wird jedoch keineswegs idealisiert. Dieser wichtige und in Buch, Licht, Kamera und vor allem Schauspiel mit zahlreichen spannenden Gesichtern sehr gelungene Film nimmt einem die Fragen nicht ab, die sich auch Sarah/Jane stellen: Wer bin ich, auf welcher Seite stehe ich...?

Only God forgives

USA, Frankreich, Dänemark, Schweden 2013 (Only God Forgives) Regie: Nicolas Winding Refn, mit Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Yayaning Rhatha Phongam, Vithaya Pansringarm, Tom Burke, 86 Min. FSK ab 16

„Time to meet the devil"! Ihr Mädchen, schließt die Augen, egal was passiert! Jungs, schaut gut hin! Diese Zitate aus „Only God forgives" grenzen die Zielgruppe für den ultrabrutalen Aufreger des bisherigen Kinojahres ziemlich ein. Der Däne Nicolas Winding Refn („Drive") macht darin „Kill Bill" auf Thailändisch, nachdem der Vater einer vergewaltigten Prostituierten den amerikanischen Täter Bill killt. Refn, Regisseur von „Drive", lässt nun eine unzüchtige Paarung aus Hamlet und Lady Macbeth los. Hauptdarsteller Gosling zieht als Bruder Julian des gemeuchelten Mörders Billy (Tom Burke) Gegner an der Nase durch reihenweise endlos lange Gänge und Refn zieht uns durch das Bangkok der Thai-Boxer, Prostituierten und Gangster.

Doch damit Julian, dieser Ödipus mit der Melancholie des Dänen-Prinzen, überhaupt in die Gänge kommt, bedarf es eines heftig starken Auftritts seiner Mutter Crystal (Kristin Scott Thomas). Atemberaubend grob kommt diese Megäre eingeflogen und hereingepoltert. Nicht sehr subtil fordert Lady Macbeth, dass Julian mit den „yellow niggern" aufräumt. Um die Familienehre, aber auch das Drogengeschäft zu retten. Die Begrüßung von Julians Freundin Mai (Yayaning Rhatha Phongam) im edlen Restaurant ist wohl mit Abstand die übelste Anhäufung von Beleidigungen in einem Atemzug. Der kleine Sohn wird mit einem Penis-Vergleich zum größeren Bruder noch einmal runtergemacht. Doch in der Bitte an ihn, ihr „noch einmal" zu helfen, enthüllt sich ein ganz altes Drama und der Grund, weshalb Julian ein so problematisches Verhältnis zu seinen Händen hat...

Dabei kulminiert diese eigentliche Mutter-Sohn-Geschichte nicht in einer der sehr einfallsreichen Mord-Gemetzel des mythischen Polizei-Chefs. Die unglaublichste, wenn auch ebenso blutige Szene komprimiert den Wunsch eines zurückgewiesenen Sohnes, wieder in den Bauch der Mutter zu schlüpfen, in einem Kinobild für die Ewigkeit. Dabei ist sowohl die Darstellung der Mutter und Drogen-Dealerin durch Kristin Scott-Thomas im deftigen Ellen Barkin-Stil als auch die Stilisierung Goslings purer Kult. Ryan Gosling ist wieder genial, wie er diesen einzigen zur Verfügung stehenden Gesichtsausdruck von Gosling übernimmt - das kann keiner so gut wie Golsing. Gleichzeitig zelebriert er die Entdeckung der Langsamkeit im Action-Film. An Stoizismus übertrifft ihn nur noch Vithaya Pansringarm als selbstgerechter Rache-Gott Chang mit schwachem Fleck für die eigene kleine Tochter. Wenn dieser Polizei-Chef nach wieder einem sadistischen Gemetzel mit seinem Kurzschwert vor versammelter Mannschaft thailändischen Karaoke-Kitsch singt, ist die Kreation eines unvergleichlichen Kino-Killers perfekt.

Das eingespielte Duo Refn-Gosling sorgt mit „Only God forgives" für „Danish Dynamite" mit heftigen Emotionen sowie einem Overkill an Dekor und fein ziselierten Lichtspielen. Griechische Tragödie und Shakespeare werden zusammen „gerefnt", irgendwo in diesen Gängen im Dämmerlicht, hinter diesen Türen zur Dunkelheit versteckt sich David Lynch. Surreale Visionen und ein dauerndes Dröhnen in Bild und Ton bringen unbewusste Ängste in Bildform. Das atmosphärische Schweben der einzelnen Szenen geht einher mit einer extrem rasanten Erzählung zwischen den Sequenzen.

„Only God forgives" ist näher an Refns früher „Pusher"-Trilogie und „Walhalla Rising" als an „Drive". Es ist ein extrem intensiver Trip, bei dem eine Frage jede weitere Einsicht verstellt: Ist dies Gewalt um der Gewalt willen, nur dekoriert mit exzellenter Filmtechnik und Kultur-Versatzstücken? Oder erzählt Refn eine atemberaubende Geschichte, die in seiner Vision sehr blutig ausfällt? Der Autor und Regisseur meinte jedenfalls, die Geburten seiner Kinder, die er selbst miterlebte, die seinen wirklich blutig gewesen.

10.7.13

We Steal Secrets: Die Wikileaks Geschichte

USA 2013 (We steal secrets - The Story of Wikileaks) Regie: Alex Gibney 130 Min.

Der Film zu Prism-Enteignung der Bürger von seiner eigenen Privatsphäre liegt hier vor! Dass „We steal secrets" nicht nur ein Film um die schillernde Gestalt von Julian Assange, sondern unter anderem auch ein sehr informativer Beitrag zum Datenabsaugen der Regierungen ist, belegt die Dichte und Tiefe dieser guten Dokumentation.

Julian Assange, Mitgründer von Wikileaks, wird einerseits als Held der freien Meinungsäußerung gefeiert, andererseits von den Regierungen und Geheimdiensten als Verräter und Terrorist gebrandmarkt. Sein Aufstieg und Fall findet eine Entsprechung in dem Gefreiten Bradley Manning, einem besorgten Soldaten, der Hunderttausende Geheimdokumente von amerikanischen Militär- und Diplomatenservern zugänglich machte und so das internationale strategische Räderwerk der US-Diplomaten und Militärs offenbarte. „We steals secrets" liefert viele spannende Details über Assanges frühe Hacker-Aktion mit dem „Wank"-Virus, über die Folgen von 9/11 und viele Wikileaks-Coups.

Das die Plattform Wikileaks schon so einer historischen Betrachtung wert ist, zeigt die Menge an veröffentlichtem Material, die bislang die Welt veränderten. So etwa die schockierenden Luftaufnahmen eines Massakers von US-Soldaten an Zivilisten samt zynischer Kommentare der Piloten.

Mit Hilfe von ein paar Animationen und Archivmaterial wird die Wikileak-Entwicklung schnell klar dargelegt. Wegbereiter wie der deutsche Informatiker und Aktivist Daniel Domscheit-Berg kommentieren die Persönlichkeit von Assange. Das macht „We steals secrets" bei vielen Interviews zwar zu einem Talking Heads-Film, doch die rasch entwickelte Analyse eines neuen Faktors in den Machtverhältnissen der Demokratien, diese Geschichte von Wikileaks, bleibt hoch spannend.

7 Tage in Havanna

Frankreich, Spanien 2012 (7 días en la Habana) Regie: Benicio Del Toro, Pablo Trapero, Julio Medem, Elia Suleiman, Gaspar Noé, Juan Carlos Tabío, Laurent Cantet, mit Josh Hutcherson, Vladimir Cruz, Magali Wilson, 124 Min. FSK ab 6

Sieben Tage, das sind sieben Filme, sieben teils hochkarätige Regisseure, die von außen kommend einen Blick auf die Hauptstadt Kubas werfen. Das ergibt bekannte Postkarten-Motive, eine Dosis Fernweh und real existierendes Sozialismus-Sentiment, geht aber auch direkt ins Soziale: Wenn ein Ingenieur und Taxi-Fahrer am Montag den us-amerikanischen Schauspieler durch die Nacht begleitet. Emir Kustirica torkelt betrunken durch das berühmte Havanna-Filmfestival und die Hand-Kamera folgt ihm konzentriert in langen Takes - sehr reizvoll, diese Selbstdemontage mit Kotz-Attacke vor dem großen Auftritt! Kusturica flieht konsequent das Filmgetue, nur um mit seinem Taxifahrer eine grandiose Jam Session zu erleben. Daniel Brühl darf als Musik-Manager sein Spanisch in einer dieser Geschichten zwischen Flucht und Bleiben einsetzen. Düster und bedrohlich zeigt Gaspar Noe („Irreversibel") auf seine bekannt brutale Weise die mit Voodoo vermischte Bestrafung einer Frau nach einer lesbischen Affäre.

Eine kleine Pointe für die Gleichberechtigung aller, auch nicht ganz eindeutiger Geschlechter, hier, eine erträumte und eine versuchte Landesflucht dort. Elia Suleiman („Göttliche Intervention") leuchtet als Beobachter vor und hinter der Kamera die Postkarten der anderen mit skurrilen Twists aus: Die Begegnung des berühmten Regisseurs mit El Commandante findet per Fernseher statt, dessen Rede endet nie. Suleimans Beitrag, der beste der Sammlung, unterminiert sogar die Sehnsuchtsbilder von Frauen am Strand. Ansonsten werden die schöne Bildern, die wir seit „Buena Vista Social Club" zu genüge kennen, etwas mit echtem Leben in der Stadt angefüllt.

Das Glück der großen Dinge

USA 2012 (What Maisie knew) Regie: Scott McGehee, David Siegel mit Alexander Skarsgård, Julianne Moore, Onata Aprile, Joanna Vanderham, Steve Coogan 99 Min., FSK ab 12

Das Geräusch streitender Eltern ist Maisie (Onata Aprile) vertrauter als das seltene Schlaflied der Mutter - dabei ist diese doch Sängerin. Aber die Songs der Rock-Lady Susanna (Julianne Moore) seien nicht geeignet für Kinderohren. Kinderohren und -Augen, die allerdings detailliert mitbekommen müssen, wie der englische Vater Beale (Steve Coogan) ausgesperrt wird, bald das ehemals gemeinsame Kindermädchen Margo (Joanna Vanderham) heiratet und vor Gericht ein geteiltes Sorgerecht erhält.

Nun erweist sich Papa, der zusammen mit seiner Tochter auch die Espressomaschine aus der alten Wohnung mitnahm, als international sehr beschäftigter Kunsthändler. Margo übernimmt nicht nur den Haushalt sondern auch die Sorge um Maisie. Auf der anderen Seite heiratet Susanna die Party-Bekanntschaft Lincoln (Alexander Skarsgård), reist aber bald auf Tournee ab und lässt die kleine Tochter mitten in der Nacht in einer Bar zurück. Wie ein Päckchen ohne besonderen Wert.

Es ist schrecklich grausam, wie dieses Kind im Streit seiner unreifen Erzeuger verloren geht. Grausam und hoffnungslos ... bis sich wundersam - fast wie bei Woody Allen - ausgerechnet die eigentlich völlig unpassenden neuen Partner als sehr liebevolle Ersatz-Eltern herausstellen: Lincoln wirkt zuerst wie ein völlig verantwortungsloser Junkie, findet aber direkt den richtigen Draht zum Mädchen und ist immer für sie da. Auch das blonde Kindermädchen Margo, das mit dem Hausherrn abhaute, stellt ihren Schmerz über eine furchtbar falsche Ehe zurück, um Maisie zu retten. Ein realistisches Sozial-Märchen, das ganz schnell Gedanken über das Recht und die Gerechtigkeit von Fürsorge-Regelungen hervorruft.

Die leise Geschichte von einem Kind in sehr bedrückender Situation inmitten des Wohlstands eines New Yorker Stadthauses entwickelt sich zu einem ganz besonderen, zu einem wunderbaren, grausamen, schönen, guten und wichtigen Film! „Das Glück der großen Dinge" sollte ab sofort Pflichtprogramm für Trennungspaare mit Kindern sein. Denn so konsequent wie die Perspektive nimmt er auch die Position von Maisie ein: Dabei bleiben die Sitzungen bei Gericht und vieles andere ausgeblendet - der Film zeigt, wie der Originaltitel sagt, nur was Maisie selbst erfährt.

„What Maisie Knew" ist denn auch der Titel der Buchvorlage von Henry James („Die Flügel der Taube", „The Portrait of a Lady"). Dass dieser so unglaublich aktuelle Film auf einem Text aus dem Jahre 1897 basiert, ist eine noch größere Überraschung als die Tatsache, dass es auch liebende, gute Menschen für Maisie gibt. Die Drehbuch-Autoren Nancy Doyne und Carroll Cartwright übertrugen die Kritik an einer dekadenten Gesellschaft auf eine Künstler-Gemeinschaft im Osten der USA ohne dass auch nur ein Anachronismus bemerkt wird. Und sie verkürzten die jahrelange Entwicklung Maisies im Roman auf ein paar Monate.

Großen Anteil an der Vollendung dieser Filmperle haben auch die Darsteller, wobei die großartige Julianne Moore diesmal als egozentrische Rock-Schlampe voller Selbstmitleid weniger Eindruck macht. Steve Coogan legt da den Vater, dessen Liebe ab und zu aufblitzt, aber dann doch vom nächsten Anruf verdrängt wird, wesentlich subtiler herzlos an. Alexander Skarsgård und Joanna Vanderham werden als jüngeres Paar die Stars der Herzen, während Onata Aprile als Maisie schon jetzt Oscar-Kandidatin ist.

9.7.13

The Call - Leg nicht auf

USA 2013 Regie: Brad Anderson mit Halle Berry, Abigail Breslin, Morris Chestnut, Michael Eklund 91 Min. FSK ab 16

Wer kennt sie nicht, die Hochspannung wenn der Akku-Ladung des Handys mitten im Gespräch zu Neige geht? Doch solche Mätzchen hat der extreme packende Thriller „The Call" mit Halle Berry gar nicht nötig. Nach nur wenigen Minuten entspannter Einführung mit etwas Privatleben kitzelt ein echt dramatischer Notruf direkt die Nerven: Ein junge Frau meldet einen Einbruch, der stattfindet während sie alleine im Haus ist. Diesmal ist „Allein zu Hause" gar nicht witzig, Jordan (Halle Berry), eine erfahrene Telefonistin der Notrufzentrale führt das Mädchen aus der Gefahr. Doch die Polizistin begeht auch einen schweren Fehler, weil sie zurückruft und persönlich involviert ist.

Das kostet der Anruferin schließlich das Leben. Sechs Monate später nimmt Jordan Psychopharmaka und hat als Lehrerin nur zynische Kommentare für neue Kollegen übrig. Als jedoch der Notruf eines Teenagers aus dem Kofferraum seines Entführers ziemlich unprofessionell entgegengenommen wird, greift die traumatisierte Frau ein und schon wieder verspricht sie einem Verbrechens-Opfer, dass alles gut wird...

Gut ist dieser gradlinige Thriller von Brad Anderson, der mit den beiden ungewöhnlicheren Filmen „Transsiberian" (2008) und „Der Maschinist" (2004) auf sich aufmerksam machte. Keine Hintergrund-Geschichten, keine lang vorbereiteten Rache-Aktionen - „The Call" antwortet einfach nur mit Spannung und das nicht zu knapp. Es dreht sich alles um Jordans Versprechen „Wir werden dich finden und dir helfen!" Wie Halle Berry in dieser Rolle die Entführte aufbaut, ihr Mut zuspricht und zur Mitarbeit motiviert, ist allein sehr packend. Die detektivischen Details, um den fliehenden Entführer zu identifizieren und zu finden, sind originell bis super-raffiniert. Ebenso raffinert wie das Skript (Buch: Richard D'Ovidio). Kamera und Schnitt treiben die Spannung an, da kann beim Psycho-Thriller im Großraumbüro der Polizei von Los Angeles der Serienmörder lange anonym bleiben. Erst nach einer halben Stunde bringt der Film als zusätzlichen Spannungs-Joker die Person des Killers so richtig in Rage. Die Psyche dieses gestörten Menschen und sein spezieller Psycho-Tick erweisen sich als ebenso faszinierend wie erschreckend.

Dabei hält sich „The Call", dieses verdreht ödipale „Schweigen der Lämmer", mit der Darstellung von Gewalttaten lange zurück und ist damit in der Phantasie der Zuschauer umso wirkungsvoller. Spannungs- und Handlungsfaden werden straff geführt, das trägt auch über ein paar große Löcher in der Logik hinweg. Bis zu einschneidenden Veränderungen im Finale gibt es nur ein paar Szenen, von denen man wusste, dass sie kommen werden. Nach dieser gelungenen Telefon-Tor-Tour ist nicht nur Jordan mitgenommen - dass sie auch noch mit dem Täter spricht, ist dann jedoch zu viel an Aufgabe. Doch die Überraschungs-Kiste ist noch nicht leer: wo gerade noch die US-Flagge im Hintergrund billigen Patriotismus herbei wehen könnte, überrascht eine letzte Volte mit die Rache der Telefonistin ... und öffnet die Tür für eine Fortsetzung.

8.7.13

Die Unfassbaren - Now You See Me

USA/Frankreich, 2013 (Now You See Me) Regie: Louis Leterrier mit Jesse Eisenberg, Isla Fisher, Woody Harrelson, Dave Franco, Mark Ruffalo, Morgan Freeman, Michael Caine, 111 Min., FSK ab 12

Film ist Täuschung. Allein die Tatsache, dass wir eine Abfolge von Fotos als Bewegung wahrnehmen, ist der größte Zaubertrick des Kinos. Wenn die große Illusionsmaschinerie, die mit ihrem Publikum spielt, dann noch mit Illusionisten spielt, die wiederum ihr Publikum täuschen, dann verspricht „Die Unfassbaren - Now You See Me" reizvolle Unterhaltung mit doppeltem Boden. Was gut funktioniert, während man nahe dran und im Film ist. Mit etwas Abstand betrachtet, ist auch „Now You See Me" eine Täuschung von vielen...

Vier ganz unterschiedliche Magier, Trickser und Täuscher werden von einem Unbekannten zusammengebracht: J. Daniel Atlas (Jesse Eisenberg) beeindruckt vor allem Frauen mit seinen Kartentricks. Seine Ex Henley Reeves (Isla Fisher) macht mit ihren Entfesselungs-Tricks unter Wasser Houdini nass. Der Mentalist Merritt McKinney (Woody Harrelson) kann in Sekundenbruchteilen jeden (psycho-) analysieren, wendet seine Kunst allerdings ziemlich billig in Imbiss-Buden an, wenn er untreue Ehemänner abkassiert, während ihre noch nichts ahnenden Frauen unter Hypnose sind. Jack Wilder (Dave Franco) täuscht nur vor, (schlecht) zu zaubern, um eigentlich als Taschendieb erfolgreich zu sein. Das alles macht Eindruck, aber scheinbar nicht besonders reich. So folgen die vier einer mysteriösen Einladung und bald darauf haben sie als „The Four Horsemen", die Vier Reiter der Apokalypse, eine gigantische Bühnen-Show.

Der landesweite Medien-Erfolg beruht dann letztlich auf einem simplen Show-Konzept: Sie lassen ein paar Millionen auf das Publikum in Las Vegas regnen! Die stammen allerdings aus einer Bank in Paris, in die sie live einen ahnungslosen Zuschauer „teleportieren", um daraufhin den Tresor leer zu saugen! Dieser unglaubliche Vorgang interessiert selbstverständlich auch die Polizei, doch Kommissar Dylan Rhodes will nun mal gar nicht an Zauberei glauben. Mark Ruffalo tritt als der toughe Macho-Cop auf, der immer wieder feststellen muss, dass er keine Ahnung hat. Neben den groß aufgezogenen Tricks ist es besonders eindrucksvoll, wie Merritt die Polizisten vorführt - spätestens hier fragt man sich, wer spielt hier eigentlich mit wem?

Doch damit ist das eindrucksvolle Personen-Verzeichnis noch nicht am Ende: Morgan Freeman tritt als Thaddeus Bradley auf, ein ehemaliger Magier und jetzt charismatischer Ent-Zauberer der Tricks von anderen. Sein zeitweiliger Gegenspieler mit noch mehr Leinwand-Präsenz ist Michael Caines Multi-Millionär Arthur Tressler: Ein selbstverliebter Finanzier der Zauber-Show, der letztendlich als kleine Figur im großen Spiel ziemlich dumm dasteht. Denn beim zweiten Auftritt spielen die vier Robin Hood und entschädigen die Opfer ihres Impresarios, indem sie auf offener Bühne die Millionen von dessen Konto umverteilen. Aber selbst diese 140 Mio. Dollar sind nur eine Ablenkung im großen Plan.

All die faszinierenden Tricks und aufgezwungenen Wendungen werden von Regisseur Louis Leterrier mit viel Er-Fahrung aus „The Transporter" auch schon mal mit einfachen Verfolgungsjagden aufgemischt. Die Musik legt sich mächtig laut ins Zeug und es ist immer wieder schön, wie Woody Harrelsons Merritt die Leute analysiert und vorführt. Allerdings irritiert auch, welchen Aufwand die Polizei betreibt, um beraubte Räuber zu schützen, die sie eigentlich vorher hätten verfolgen müssen. Vor allem hinterlässt die Auflösung nach vielen falschen Fährten zu den üblichen Verdächtigen einen Geschmack von faulem Zauber. Die Regel der Trickser, „Sei immer der Klügste im Raum", missachtet der Film: Man fühlt sich zeitweise für dumm verkauft.

3.7.13

Ich - Einfach unverbesserlich 2

USA 2013 (Despicable me 2) Regie: Chris Renaud, Pierre Coffin, 94 Min. FSK: o.A.

Gru, dieser scheußliche Schurke, dieser gemeine Gauner mit goldenem Herzen irgendwo unter der rauen Schale, dieser genial gemeine Erfinder mit seiner Armee ausgesprochen quirliger und bescheuerter Helferlein namens Minios, dieser Gru erleidet einen bösen Fall von Teil 2-Ernüchterung. Der originelle Animations-Erfolg „Einfach unverbesserlich" aus dem Jahre 2010 erweist sich tatsächlich als unverbesserlich, ja nicht mal als nachahmbar. „Einfach unverbesserlich 2" ist ein einfach schwächerer und viel zahmerer Nachfolger.

Nachdem der Welteroberer Gru, der schon mal den Mond geklaut - aber auch wieder zurückgebracht - hatte, im ersten Film von den drei süßen Waisenmädchen Margo, Edith und Agnes pazifiziert und heimisch gemacht wurde, setzt er nun seine ganze Ingeniösität für du perfekte Geburtstags-Party ein. Doch so ganz erfüllt die Familien-Seligkeit den ehemaligen Oberschurken nicht und auch die Marmeladen-Produktion in den ehemaligen Schurken-Laboren will kein süßes Vergnügen werden.

Wie gut, dass gerade im schön persiflierten Bondschurken-Stil eine komplette Polar-Station samt Geheimlabor mittel fliegendem Supermagneten geklaut wurde. Darin befand sich ein übles Serum, dass selbst die herrlich albernen Minios in gefährliche Verwandte der Gremlins verwandelt. Von der kessen und lässig überlegenen Agentin Lucy Wilde wird Gru unsanft in die Dienste einer supergeheimen Antischurken-Liga eingeladen. Unter dem Tarnmantel eines Cup Cake-Ladens sollen das Ex-Ekel und sein größter Fan Lucy herausfinden, wer in der Einkaufsgalerie das Serum versteckt hält.

Spitznase Lucy hat dabei eindeutig die besseren Gadgets und die Tauchfahrt mit ihrem Kleinwagen samt Tintenfisch-Kollision gehört zu den witzigeren Szenen des oft lahmen Films. Da hilft auch das ziemlich überflüssige 3-D nicht weiter. Während also der 3D-Aufpreis nicht lohnt, bietet die Original-Version zum Preis einer Englisch-Nachhilfe-Stunde dagegen mit den Stimmen von Steve Carell als Gru, Russell Brand als Dr. Nefario und Steve Coogan viel mehr Spaß.

Dass die überlegene Agentin Lucy wie ein verliebtes Girly tollpatschig um Gru herumscharwenzelt und freudig ihren spannenden Beruf für die Mutter-Rolle aufgibt, kann nur noch die einfach unverbesserlich altmodische Familien-Ministerin Schröder erfreuen. So macht in Sachen Figuren-Zeichnung bei den Neuzugängen ausgerechnet ein mexikanisches Kampfhuhn als Referenz an den mörderischen Poyo im Comic „Chew" den besten Eindruck. Grus verrückter Wissenschaftler Dr. Nefario verabschiedet sich vor lauter Neugierde gar zu einem besseren Job.

Ein wenig Slapstick beim verliebt durch die Stadt hüpfen, ein paar kleine Filmzitate und Agenten-Parodien, das reicht niemals an das Niveau des Vorgängers. Gru hat viel zu wenig Schurken-Charakter, dafür sind die Minios nach einer lahmen Stunde böse und lila. Das Ego Shooter-Geballer der Marmeladen-Schlacht im Finale ist außerdem nicht mehr wirklich kindgerecht. Insgesamt hat dieser unverbesserte Teil 2 junge und ältere Zuschauer im Visier, verliert aber mit zu viel Kinder- und Familienkram einiges an Potential. Ganz am Ende wird klar, ein noch gemeinerer Schurke, der hinterhältigste von allen, hat diesen Film gekapert: Disney hat eine witzige Idee übernommen und sie zum lahmen Nachfolger kaputt produziert.

First Position

USA 2011 (First Position) Regie: Bess Kargman 94 Min., FSK: o.A.

„Tanzt, tanzt sonst sind wir verloren!", sagte einst die legendäre Pina Bausch. Tanzt, tanzt, ihr seid schon verloren, möchte man den Kindern aus „First Position" zurufen: Der begeisternde Tanzfilm „First Position" begleitet sechs junge Talente auf ihrem Weg zum „Youth America Grand Prix" in New York, einem der weltweit renommiertesten Ballett-Wettbewerbe.

Der 11-jährige Aran, ist ein ganz normaler Junge, der uns in seinem Zimmer erst eine Luftpistole zeigt und dann ein paar üble Folter-Instrumente, die seine kleinen Beine gewaltsam überdehnen. Aran tanzt seit er vier ist und hat einen genialen Lehrer, der allein ist eine Show für sich. Auch mit seinen schmerzhaften Korrekturen und Schlägen des Schülers, der Ersatz für einen Sohn ist. Aran liebt jedoch die Schmerzen und die Erschöpfung des knallharten Trainings. Sein Vater zog für die Finanzierung dieser Ausbildung mit dem US-Militär nach Kuwait.

Brutal wie die (Auf-) Zucht zum Profi-Tänzer ist auch der Druck, Erwartungen und Investitionen der Eltern zu erfüllen. Denn Körper, Kopf und Kasse müssen bei diesen Kindern stimmen. Allein die eigene Choreographie für das Vortanzen kostet 1.500 US-Dollar, der Tutu bei den Mädchen mindestens noch mal so viel. Denn der „Youth America Grand Prix", dieser Wettbewerb für Tänzer von 9-19 Jahren, das sind fünf Minuten auf der Bühne, die vermeintlich über das weitere Leben entscheiden. Dagegen ist DSDS wirklich ein Kindergarten. Hier gibt es keine „Roten Schuhe", sondern blutige Füße.

Die ersten Bilder von „First Position", dem Debüt von Regisseurin Bess Kargman, begeistern nicht nur mit den Bewegungen vor der Kamera, auch diese selbst arbeitet elegant aber stetig aktiv an dem Euphorisierung mit. Kargman präsentiert sechs faszinierende Porträts. Man ist wie selbstverständlich bei allen wichtigen Momenten bis zum Finale in New York dabei. Die sehr aufwändige Arbeit von mehreren Kamerateams ist dabei ebenso wenig zu sehen, wie die endlosen Übungsstunden der Kinder nur zu erahnen sind.

Die athletische Michaela stammt aus Sierra Leone, sah im Bürgerkrieg viele Tote und Verstümmelungen, erlebte wie ihre Eltern umgebracht wurden. Für den adoptierten Teenager ist es ein Wunder, dass er überhaupt in den USA lebt. Man sieht, welche feinen Details dieser Film entdeckt, etwa dass Michaelas Adoptiveltern haufenweise Tutus und andere Ballettkleidung von „Hautfarben" auf braun umfärben müssen, weil „unsichtbare" Einsätze und Futter nur für weiße Tänzer entworfen wurden. Denn diese Tanz-Geschichten sind auch Emanzipations-Geschichten eines Kolumbianers aus Cali und einer Afrikanerin in einer noch überwiegend weißen Tanz-Gesellschaft.

Vor allem auf der Bühne sind die Protagonisten mit all ihrem Ernst schon kleine Erwachsene - der Gedanke an die verlorene Kindheit geht auch dem Film in seinem Verlauf leider verloren. Dass er sich letztendlich auf die Sieger konzentriert, nimmt ihm viel von seinen kritischen Ansätzen. Macht ihn aber auch zum Wohlfühlfilm.

1.7.13

Fliegende Liebende

Spanien 2013 (Los amantes pasajeros) Regie: Pedro Almodóvar, mit Antonio de la Torre, Hugo Silva, Miguel Ángel Silvestre, Laya Martí, Javier Cámara, 87 Min., FSK: ab 16

Der Spanier Pedro Almodovar ist einer der bedeutendsten Regisseure unserer Zeit, er verbindet in Meisterwerken wie „Alles über meine Mutter" überzogene gestylte Melodramen mit tiefen Einblicken in die menschliche Seele. In seinem 19. Spielfilm kehrt er formal zurück zu seinen wilden Wurzeln eines schrillen und provokanten An-Filmens gegen die von Faschismus erstarrte spanische Gesellschaft. Das „abgehobene" Kammerspiel „Fliegende Liebende" schafft die humoristische Notlandung so gerade, mixt wild schwule mit Hetero-Beziehungen und macht aus der Fluggesellschaft „Peninsula" einen Mikrokosmos spanischer (Wirtschafts-) Geschichten.

Die von Almodovar entdeckten internationalen Stars Penelope Cruz und Antonio Banderas bleiben zwar mit ihrem Kurzauftritt am Boden, doch die Leibes-Frucht ihrer Liebe wird den Pensinsula-Flug von Madrid nach Mexiko nachhaltig beeinträchtigen: Mit defektem Fahrwerk kreist die Maschine ziellos über Spanien, weiß nicht wie und wo sie landen sollen. Keinen kümmert die drohende Katastrophe. Die Stewardessen schlafen wie die ganze Economy- (oder Mittel-) Klasse - gegen das Economy-Syndrom stellte man sie einfach mit Drogen ruhig, ganz wie im „futuristischen Kongress" von Stanislav Lem. Die erste (Gesellschafts-) Klasse hingegen ist quicklebendig und voller Dramen: Der Banker Señor Mas flieht vor noch einem Betrugs-Skandal wie der Schauspieler Ricardo Galan (Guillermo Toledo) vor noch einer chaotischen Affäre. Die alte Domina Norma (Cecilia Roth) zickt herrlich melodramatisch herum, der schwarz gekleidete Mexikaner Infante (José María Yazpik) wirkt sehr geheimnisvoll und ein Medium ahnt alles. Das ist jedoch nichts gegen die männliche Crew, die sich gegenseitig „Mädels" nennen: Der verheiratete Flugkapitän und Familienvater Alex Acero hat ein Verhältnis mit dem Chef-Steward. Der legt zusammen mit seinen Kollegen wegen dem defekten Inflight-Entertainement nur zu gerne eine luftige Travestie-Show hin. Als die Not am größten ist, mixen der Dicke, der Macho und die Tunte in Ermangelung anderer Drogen („nur Koks, Heroin und Trips") ein paar anrüchige Mescalinas in den Retro-Cocktail „Acqua de Valencia". Der Katastrophenflug wird daraufhin zur befreienden Orgie, bei der dann endlich auch der Co-Pilot sein schwules Coming Out hat.

Viele große Regisseure entdecken bei einfacheren Produktionen mit weniger Mitteln alte Freiheiten wieder. „Fliegende Liebende" lässt einen alten Almodovar erahnen, ohne dass der unbändige Spaß seiner frühen Filme wieder auflebt. Das dankbare Genre der Sicherheitsanweisungs-Choreografie bringt noch dezenten Humor. Tuntige Stewards, die eifrig trinken und beten, wecken Hoffnung auf einen komischen „Flight". Doch irgendwie hat auch der Autopilot zu viele Drogen abbekommen - orientierungslos kurvt die Komödie im einförmigen Weiß der Wolken herum. Telefongespräche mit dem Boden noch dem Motto „Madrid, wir haben nicht nur ein Problem" machen zwei leicht rührende Beziehungskisten auf, die allerdings im allgemeinen Schaubad aus Klamauk, Zoten und angedeuteter Gesellschaftskritik untergehen. Wie nahe der Aufprall die harte Realität streift, zeigt der Ort der Bruchlandung: Der Flughafen La Mancha klingt etwas nach den Verrücktheiten eines Don Quixote und war tatsächlich, 2008 als erster privater Großflughafen Spaniens gebaut, bald eine der größten Investitionsruinen des Landes. Wenn Almodovar etwa bei der sehr schönen Notlandung, die auf dem menschenleeren Finanzkatastropen-Flughafen rein akustisch und im Off stattfindet, sein Können aufblitzen lässt, ist „Fliegende Liebende" nicht mehr aber auch nicht weniger als ein netter Rundflug unter der Anleitung einiger tuntiger Plaudertaschen.

Layla Fourie

Südafrika, BRD, Frankreich, Niederlande 2013 (Layla Fourie) Regie: Pia Marais, mit Rayna Campbell, August Diehl, Rapule Hendricks, Terry Norton, 107 Min. FSK ab 12

Bei Südafrika denkt man Nelson Mandela oder an den Sieg über die Apartheid. Das Land leidet aber auch unter enormer Kriminalität und Gewalt. Mit ihrem dritten Spielfilm kehrte die seit langem in Deutschland lebende Regisseurin Pia Marais nach Südafrika an den Ort ihrer Kindheit zurück und zeigt in einer spannenden und bewegenden Geschichte, wie sich Misstrauen und Angst aller Bereiche der Gesellschaft bemächtigt haben. Eine junge Mutter verursacht einen Autounfall und wird mit der Wucht einer griechischen Tragödie vor die Folgen ihrer Schuld geworfen.

Layla Fourie (Rayna Campbell) bewirbt sich um einen Job, ist unsicher, braucht aber dringend Geld für ihren kleinen Sohn Kane (Rapule Hendricks). Doch Schummeln oder Lügen ist nicht drin: Denn es geht um Lügendetektoren! Die Apparate haben in Südafrika Konjunktur und Layla soll mit ihnen selbständig Tests durchführen. Der erste Auftrag kommt viel zu schnell und führt die junge dunkelhäutige Mutter von Johannesburg in ein fernes Casino-Resort. Kane muss mit, weil kein Babysitter gefunden wird. Schon die lange nächtliche Fahrt verläuft bedrohlich, ein dunkler Wagen scheint ihnen zu folgen. Jeder Stopp erscheint als Risiko. In ihrer Panik übersieht Layla einen Mann, der in einer Kurve das Auto springt. Ein älterer, weißer Südafrikaner stirbt. Der Versuch, sich bei der Polizei zu melden, scheitert an der Ignoranz der Beamten. Nun tritt Layla ihren neuen Job im Dienste der Wahrheit mit einer Lüge im Gepäck an. Diese entzweit auch Mutter und Sohn, die doch schon allein wegen der neuen Umgebung zusammenhalten müssen. Zudem hat einer der ersten Kandidaten für Laylas Einstellungstests, der aggressive Weiße Eugene Pienaar (August Diehl), eine besondere Beziehung zum Opfer...

„Allem voran ist es ein Film über eine junge, allein erziehende Mutter und ihren Sohn," so beschrieb die in Berlin lebende Regisseurin ihren eindrucksvollen Film: „Jedoch spiegelt ihre Beziehung und wie sie sich im Laufe der Geschichte verändert, eine bestimmte Atmosphäre, die in Südafrika vorherrscht: Hoffnung überlagert von Misstrauen."

„Layla Fourie", Pia Marais' dritter Spielfilm nach „Die Unerzogenen" und „Im Alter von Ellen" beeindruckt mit einer spannenden Geschichte, sehr guten Darstellern und großen atmosphärischen Momenten: Wenn beim nächtlichen Unfall auch ein Pavian verletzt auf der Straße liegt, wird das eine unvergessliche Szene. Der allgemein ziemlich nutzlose Lügendetektor, an dem sich eine tief verunsicherte Gesellschaft festklammert, funktioniert als Katalysator für Misstrauen, Lügen und Angst. Während August Diehl sehr gekonnt einen ambivalenten Typen spielt, beeindruckt die Hauptdarstellerin Rayna Campbell als Mutter zwischen Angst und Skrupel. „Layla Fourie" gelingt die Balance zwischen Spannung und einem selten starken atmosphärischen Einblick in die südafrikanische Gegenwart.