26.6.13

The Deep

Island, Norwegen 2012 (Djúpid) Regie: Baltasar Kormákur, mit Ólafur Darri Ólafsson, Jóhann G. Jóhansson, Þorbjörg Helga Þorgilsdóttir, 92 Min. FSK ab 12

Männer und das Meer, immer ein schönes Kino-Thema. Etwa im Jahr 2000 mit George Clooney und Mark Wahlberg starbesetzt in „Der Sturm" von Wolfgang Petersen und neuerdings auch in „All is lost" mit Robert Redford ganz allein auf hoher See - der alte Mann und das Meer. Der isländische Regisseur Baltasar Kormákur („101 Reykjavik") packt jedoch so eine (wahre) Geschichte in „The Deep" ganz anders an und ein:

Ein paar isländische Fischer feiern rau, lassen sich vor dem Auslaufen noch einmal volllaufen. Der nächste Tag bringt einen neuen Koch und viel Arbeit auf dem Schiff. Dann ein rasend schneller und heftiger Untergang bei Nacht, das Schleppnetz hatte sich verhakt. Nur drei der sechs Männer überleben, hocken auf dem Kiel des Kahns. Bald erfrieren zwei weitere nur der rundliche, Gulli (Ólafur Darri Ólafsson) treibt noch im eiskalten Wasser. Mehrere Stunden hält er das aus, redet mit einer Möwe während er auf Toter Mann macht. Oder gibt sich existenzialistischen Erinnerungen an die Kindheit hin, in der sein ganzes Dorf von Lava begraben wurde. Und dann der Wunsch-Traum von nur noch einem weiteren Lebenstag, der endlich als besserer Mensch - ohne Schulden! - gelebt werden soll, kurioserweise im Super8-Format präsentiert. Doch Gulli schafft es, wird an Land getrieben und überlebt sogar noch den Marsch an der schroffen Küste.

„The Deep" von Baltasar Kormákur ist keine Heldensaga, kein Männer-Kampf mit den Elementen. Dazu eignet sich der unscheinbare Gulli auch kaum. Der ganz anders packende Film berichtet von einem unerklärlichen Ereignis, das 1984 - die Männer diskutieren über VHS oder Beta und den Weißen Hai - tatsächlich stattfand. So ist es ziemlich realistisch komisch, wenn im letzten Teil des Films nach Erklärungen gesucht wird, weshalb gerade dieser nicht besonders fitte Mann im eiskalten Wasser überleben konnte. Im Testbecken geben reihenweise muskulöse Soldaten und Kampfschwimmer vor ihm auf. Die einzige Erklärung lautet „Seerobbenfett". Da hat Kormákur, dessen neuester Film „2 Guns" mit Denzel Washington, Mark Wahlberg und Paula Patton am 7. August das Festival von Locarno eröffnen wird, einen mit mystische Musik und einer traumhaft baren Natur schon längst in die Tiefen seiner eigentümlichen Filmkunst gezogen. Was „The Deep" trotz der dunklen Bilder extrem packend macht.

25.6.13

Papadopoulos & Söhne

Großbritannien 2012 (Papadopoulos & Sons) Regie: Marcus Markou, mit Stephen Dillane, Cosima Shaw, Georges Corraface, Thomas Underhill, Frank Dillane, 105 Min. FSK o.A.

Er ist zwar Unternehmer des Jahres, aber auf keinen Fall Vater der Woche: Harry Papadopoulos (Stephen Dillane) kam einst als griechischer Einwanderer nach London, betrieb mit seinem Bruder Spiros (Georges Corraface) erfolgreich einen Imbiss und wurde mit Taramas, der hellrosa Fischrogen-Creme, international (erfolg-) reich. Nun erhält er dafür eine gravierte Blumenvase und schon das Verhalten der drei Kinder beim Fototermin deutet auf schräge Familienverhältnisse hin. Der Witwer Harry Papadopoulos geht seltsam unverbunden, distanziert und unbeholfen mit der fast erwachsenen Tochter Katie (Georgia Groome), dem stotternden Pflanzenfreund James (Frank Dillane) und dem kleinen Börsenspezialisten Theo (Thomas Underhill) um.

Erst in der Firma fühlt der in sich zurückgezogene Patriarch sich wieder wohl. Selbst als die wegen des Börsen-Crashs von 2002 pleite geht. Denn der King des Feta-Käses verhebt sich angeberisch an noch so einer Shopping-Galerie mit albernem Namen - Papadopoulos Plaza. Mit 300 Millionen Schulden und gepfändeter Wohnung zieht die Familie zurück in den ersten Imbiss von Harry, zurück zu den Wurzeln. Harrys Bruder, Onkel Sprios, der noch Anteile an der alten Fish & Chips-Bude „Drei Brüder" hat, bringt Leben in die Familie und den Film. Alle kommen endlich aus sich heraus beziehungsweise bei sich an. Nur bis Harry locker wird, dauert eine besonders lange Weile.

„Papadopoulos & Söhne" steht in der Tradition vieler Familien, die erst durch äußere Katastrophen wieder zueinander finden. Am poetischsten und mutigsten umgesetzt in dem persönlichen Meisterwerk von John Boorman, „Die Zeit der bunten Vögel" („Where the Heart Is", 1990) mit Uma Thurman in einer ihrer ersten großen Rollen. Diese Komödie von Marcus Markou allerdings (nach eigenem Drehbuch) kann weder in Sachen Kamera noch beim Timing punkten. Die halbwegs nette Geschichte von „Papadopoulos & Söhne" hat zwei bis drei gute (Stephan Dillane, Georges Corraface und der Junior Thomas Underhill) und einige anständige Darsteller. Leider kommen die gut angelegten Figuren teilweise zu kurz, man hätte mehr von ihnen mitbekommen wollen. Gesellschaftskritik taucht nur in Form des in Krisenzeiten unerträglich fröhlichen und generell ekelhaft schmierigen Insolvenzverwalters Rob (Ed Stoppard) auf. Seine Assistentin Sophie (Cosima Shaw), mit der Harry dann auch noch eine aufgesetzte Liebe erleben darf, fasst die Weisheiten des Films zusammen: Macht es etwas aus, wenn das Geschäft klein aber alle Mitarbeiter glücklich sind? Denn einige der größten Firmen machen keinen Gewinn, es sind alles nur Rechentricks!

So simpel bleibt „Papadopoulos" weit entfernt von Brit-Komödien wie Frears „Mein wunderbarer Waschsalon" aber zum Glück auch von Schenkelklopfern wie „My big fat greek wedding". Bis auf die Bemerkung, Harry hätte seltsamerweise immer seine Steuern bezahlt - Achtung: Griechenwitz! Zwar lassen auch die passenden Musik-Klischees nicht lange auf sich warten, doch letztlich unterhält „Papadopoulos & Söhne" gemächlich, aber sympathisch - und das ist jetzt kein Griechenwitz.

24.6.13

The Grandmaster

Hongkong, VR China, USA, Frankreich 2013 (Yi Dai Zong Shi) Regie: Wong Kar-wai mit Zhang Ziyi, Tony Leung, Wang Qing-Xiang, Chang Chen 118 Min. FSK ab 12

Wie einst in Kleists „Penthesilea" oder in Ang Lees „Tiger and Dragon" ist auch „The Grandmaster" vom Großmeister Wong Kar-wai („In the Mood for Love", Chungking Express") eine große und gewaltige Geschichte vom Geschlechterkampf der Liebenden. Ip Man, begnadeter Kämpfer in den 20er Jahren Chinas und zukünftiger Meister des Nordens wie des Südens, wird seiner großen Liebe Gong Er nie näher als im Kampf kommen...

Eine ewige Liebe in einer Bewegung - das ist Wong Kar-Wai. So ist auch das große Epos eigentlich schnell erzählt: Ip Man (Tony Leung), ein überlegener, aber bescheidener Kämpfer des Kung Fu aus dem Süden, wird zum Nachfolger des ganz großen und vereinigenden Meisters Gong, indem er es sogar mit dessen Tochter Gong Er, der Zauberin der 64-Schlag-Technik, aufnimmt. Dieser ausgesprochen romantische „pas des deux" sollte fortgesetzt werden, doch der Einmarsch der japanischen Armee trennt die Liebenden. Erst nach vielen Jahren und politischen Umwälzungen treffen sie sich im inzwischen britischen Hong Kong wieder. Doch Frau Gongs Gelübde, dass ihr half, den Mörder des Vaters zu besiegen, steht der Erfüllung im Wege.

Nach „Ashes of Time" ist „The Grandmaster" der zweite Martial Arts-Film vom Ausnahme-Regisseur Wong Kar-wai. Selbst wenn man nicht übermäßig viel für asiatische Klöppereien übrig hat, bei ihm wird Martial Arts zum Ballet, zum atemberaubenden Bewegungs- und Bilder-Fluss. „The Grandmaster" ist ein typischer Wong Kar Wai, der einen Moment nicht erfüllter Liebe über Jahrzehnte und mehrere Filmstunden aufs Wunderbarste zerdehnen kann. Kurze Zeitlupen, schwebende Rauchwölkchen, zitternde Schneekristalle, Tropfen, die für ihr perfektes Perlen reihenweise Oscars erhalten müssten. Das schmerzlich süße Schmachten kann niemand so gut in Filmform bringen, wie man seit „In the Mood for Love" weiß. Dazu Tableaus, die an Rembrandts Gilden-Gemälde erinnern oder aus einem Bordell in Süd-China „eine Bar in den Folies-Bergère" im Stile Manets machen. Dass in der unvereinbaren Liebe zwischen dem verschneiten Norden und dem warmen Süden nebenbei chinesische Geschichte und in der Zusammenführung unterschiedlicher Kampfstile durch den realen Ip Man (1893-1972) etwas Wesentliches für den Kung Fu erzählt wird, ist da fast Nebensache.

„Beim Eintopf kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an: Steht er zu kurz auf dem Feuer, fehlt Geschmack, steht er zu lang, ist er verkocht" - wie anhand des aufmerksamen Kochens einer Suppe Lebensweisheiten vermittelt werden, äußern die Figuren zwar wenig, aber Treffendes. Fachjournale mögen entscheiden, ob die Geschichte des Lehrers von Bruce Lee korrekt wiedergegeben ist. Aber der Genuss an dieser perfekten Komposition aus Zeit und Raum, dem wunderbaren Ballett aus Zeitlupen und schneller Action ist allen gegeben. „The Grandmaster" ist ein großartiger Film, ein großes Drama um zwei Königskinder der Kampfkunst, dem etwas historisches Schicksal in Form der Japanischen Invasion untergemischt ist. Während bei anderen einzigartigen Film-Meisterwerken ein Kuss, eine Melodie oder ein Satz für immer hängen bleiben, schafft es Wong Kar-wai einem kleinen Regentropfen Ewigkeit zu verleihen.

18.6.13

Man of Steel

USA, Kanada, Großbritannien 2013 (Man of Steel) Regie: Zack Snyder, mit Henry Cavill, Amy Adams, Russell Crowe, Michael Shannon, Kevin Costner, Diane Lane, Laurence Fishburne, 137 Min. FSK ab 12

Der eigentlich als Mann in Strumpfhosen bekannte Clark Kent, Berufsbezeichnung: Superman, erlebt sein Recycling als „Man of Steel". Nun war er bisher noch keine Dose, aber ansonsten so ziemlich alles: Zuerst Comic-Figur, dann Film-Held, Zeichentrick-Figur, Kultur-Ikone, amerikanisches Symbol für einen Haufen Kram und auch TV-Wiederkehrer.

200 Millionen Dollar steckte Warner nun in das überlange Filmchen, den größten Teil davon bekam das Marketing ab. Als Produzent und Drehbuchautor leistete man sich mit kleineren Millionenbeträgen Christopher Nolan und David S. Goyer, die bereits „Batman" als „Dark Knight" rebooteten. Regisseur Zack Snyder qualifizierte sich mit „300" und „Watchmen". Von ersteren erhofft man sich eine gebrochene Gestalt, letzterer darf den neuen Überflieger mit rotem Cape als Muskel-Paket ausstatten, das aus dem Anabolika-Versandkatalog gefallen ist.

Doch jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, dem von „Man of Steel" der eines großartigen Science Fiction im Stile von „Dune": Der Planet Krypton steht kurz vor dem Zusammenbruch. Gegen den Willen des putschenden Militärs General Zod (sagenhaft: Michael Shannon) sendet der Wissenschaftler Jor-El (gut: Russell Crowe) seinen frisch geborenen Sohn quer durchs Universum auf die Erde. Das war es dann leider nach 30 Minuten mit einem fantastischen Zukunfts-Film voller organischer und Hightech-Visionen.

Danach verläuft „Man of Steel" holpernd wie die Erd-Landung vom Super-Schreihals und -Windelscheißer: Hüpfend zwischen Rückblenden, Heldentaten und Gegenwart kann Regisseur Zack Snyder auch die Erde reizvoll inszenieren, jeder Szene etwas Besonderes geben. Superman Clark Kent (Henry Cavill) bleibt undercover bis Zod in Raumschiffen, angetrieben von großem und lautem Filmorchester, einfliegt und auf den Ruinen der Menschheit Krypton neu aufbauen will. Das kann nur einer verhindern: Batman! Oh nein, falsch: Mr. Universe! Oder doch: Superman?

Als Messias, der die Menschen lehren und führen soll, kommt Hauptdarsteller Henry Cavill schnell an seine Grenzen. Ein unpassendes Gesicht mit Schmalzlocke. Milchgesichtig vor allem gegenüber Zod-Schurken Michael Shannon, der vielleicht nicht diesen Planeten aber den Film für sich erobert. Kevin Costner hat als Erd-Papa von Kent noch einmal so einen großen, ur-amerikanischen Helden-Abgang. Nebenbei trifft Lois Lane (Amy Adams mit mit kecker Nase) auf Diane Lane in der Rolle von Kents Adoptivmutter. Echte Scherze jedoch, die auch zünden, gibt es auf 140 Minuten Film genau 2, in Worten: Zwei! Dafür findet im stundenlangen Finale eine unfassbare Materialschlacht statt, die jegliche Rücksicht auf die Skyline von New York - im Film Metropolis genannt - nach 9/11 fallen lässt: Flugzeuge knallen wie auf Perlenkette in Hochhäuser, die danach Domino Day spielen. Für den High Noon zwischen Zod und Kent wird pietätlos der Ground Zero verwendet. Und wieder fällt so einer hoch entwickelten Zivilisation nichts anderes ein, als sich letztendlich mit den Fäusten zu prügeln.

Der enorme Aufwand für die Pop-Ikone Superman, die hier minimal mehr Tiefe erhält, resultiert in annähernd zwei Stunden Unterhaltung. Der Rest ist zu läng und ermüdend mehr von der gleichen Materialvernichtung - seien es Stadtlandschaften oder millionen-schwere Filmminuten. Schauspielerisch können nur die Randfiguren überzeugen. Die männlichen, da hier scheinbar alle Frauen sich mit der Groupie-Funktion zufriedenstellen müssen. selbst wenn Lois Lane zwischendurch auf Lara Croft macht. Dieser Super-Mann-Traum in engem Latex bleibt halt auch ein ziemlich verstaubtes Stöffchen.

Confession

Frankreich, BRD, Großbritannien 2012 (Confession of a child of the century) Regie: Sylvie Verheyde, mit Charlotte Gainsbourg, Pete Doherty, August Diehl, 120 Min., FSK ab 12

Nach Alfred de Mussets (1810 - 1857) autobiographischem Roman „La confession d'un enfant du siècle" („Bekenntnis eines jungen Zeitgenossen") über seine Beziehung zu George Sand entstand ein in Stimmungen schwelgender Film, der das Liebes- und Leidensdrama vor allem atmosphärisch interessant fasst.

Anstelle von Dialogen und Handlungen als antreibende Elemente schwebt der Film lange Strecken zwischen diesen, ist mit oft unscharfen Bildern und dem Score von „NousDeux the Band" der Sound- und „Bild-Track" einer persönlichen und - so wird behauptet - auch Zeit-Stimmung. Octave (Pete Doherty) steht für eine „verlorene Generation" in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Exzessive Feiern und viele erotische Begegnungen versuchen die Leere eines Lebens-Überdrusses aufzufangen. Octave weigert sich zu lieben, verfällt aber doch der älteren Brigitte (Charlotte Gainsbourg).

„Confession" zeigt ein intensives, verzweifeltes Verhältnis, das bereits einmal in „Das Liebesdrama von Venedig" (Les enfants du siècle, Regie Diane Kurys) mit Juliette Binoche und Benoît Magimel verfilmt wurde. Die talentierte Belgierin Sylvie Verheyde, die bisher mit „Stella" (2007), der Geschichte einer Kneipentochter beeindruckte, lässt uns die Gefühlsqualen über zwei Stunden lang intensiv miterleben. Das ungewöhnliche und nicht professionelle Spiel vom bekannten Musiker Pete Doherty fügt sich ein, ist jedoch merklich ein anderes als etwa das von August Diehl, der neben „Layla Fourie" wieder einmal in einer englisch-sprachigen Produktion beeindruckt und so den unsäglichen „Nachtzug nach Lissabon" vergessen lässt.

Vor allem im Zusammenspiel mit Charlotte Gainsbourg gelingen Doherty natürlich wirkende Szenen und kleine Perlen wie eine transvestite Verkleidung der beiden. Gainsbourg verdankt man auch die emotionalsten Szenen im verzweifelten Kampf ihrer Figur um Liebe, im Abmühen am überdrüssigen Schnösel Octave. Ein mit dunklen Bildern und Wort- wie Musikschleifen ungewöhnlich eindringlicher und in seinem Stil kompromissloser Film, auf den man sich ganz einlassen sollte.

Die mit dem Bauch tanzen

BRD 2013 Regie: Carolin Genreith, 79 Min. FSK: o.A.

Bauchtanz auf Wiesen vor interessierten Kühen ist eine mutige Gratwanderung für die ersten Aufnahmen. Die Berliner Regisseurin Carolin Genreith kehrt in ihr Heimatdorf der Nordeifel zurück und sieht sich vor allem mit dem neuen Leben der Mutter konfrontiert. Diese zeigt sich nach einer Trennung von langjähriger Ehe als sehr glücklich und vor allem in ihrer Bauchtanzgruppe aufgehoben.

Filmemacherin Carolin Genreith selbst ist 28, und „wird bald 30"! Während die Mutter schon in den Wechseljahren ist. Die Eifler Damengruppe in selbstgeschneiderten Orientlook hat sichtbar viel Spaß, die erwartete Hinterwäldler-Mentalität hinter hohen Buchhecken wird nur im Kommentar behauptet und in einigen Bildern angedeutet. Nur das Wetter macht wie erwartet tatsächlich mal auf deprimierend. Dagegen erzählen einige Porträts der Tänzerinnen mit Trennungs-Geschichten und solchen der neuen Liebe von durchaus erfüllten Leben, gerne auch nach großen Richtungswechseln. Ein nettes Häufchen witziger und lebendiger Frauen mittleren Alters halt.

„Ist das jetzt peinlich?" lautet eine Frage der Filmemacherin und sie kann generell verneint werden. Während die Hitzewallungen der Wechseljahre idyllisch im Hohen Venn in „Persönlicher Sommer" umbenannt werden und sich ein entspanntes Verhältnis zum eigenen Körper eingestellt hat, rennt die Regisseurin in ihrem Kommentar weiter durch ihr Leben auf der Suche nach innerer Ruhe und dem perfekten Mann.

„Die mit dem Bauch tanzen" ist noch mehr als Bauchtanz-Film ein Bauchnabelschau-Film, ganz wie David Sievekings „Vergiss mein nicht". Carolin Genreith steht zur kritischen Haltung, mit der sie sich dem Heimatdorf und dem Thema nähert. Sie nimmt sich und ihr ambivalentes Verhältnis aber zu wichtig, um noch mehr aus den Figuren herauszuholen. So sollte der Film besser „Die mit den Bauchtänzerinnen filmt" heißen. Dabei gelingen immer mal wieder witzige Kommentare zum fidelen Frauen-Tross, Genreith findet auch landschaftlich schöne oder reizvoll komische Aufnahmen. Die Dramaturgie hin zu einem Auftritt in einer Pariser Fußgängerzone bringt keinen großen Spannungsbogen, muss es aber auch gar nicht. Wenn die Tänzerinnen dann dort mit Einheimischen und anderen Touristen (und gar nicht Bauchtanz) tanzen, hat auch die Regisseurin begriffen, dass der Weg das Ziel ist: „Mit 30 hat man Panik, mit 50 ... Spaß"

Promised Land

USA, Vereinigte Arabische Emirate 2012 (Promised Land) Regie: Gus Van Sant, mit Matt Damon, John Krasinski, Frances McDormand, Rosemarie DeWitt, 107 Min. FSK: ab 6

Wenn Stars auf Wohltätigkeit tun, also Bono pro bono, sieht das oft hinter Designerbrillen falsch und verlogen aus: Stars united fürs eigene Portemonnaie oder zumindest Renommee. Matt Damon erweist sich mit „Promised Land" als erfreuliche Ausnahme: Engagiert, klug und packend macht sein Film Front gegen den Fracking-Wahnsinn, der die USA bereits unterwandert und vergiftet hat.

Der Super-Star Matt Damon (Die Bourne-Trilogie) wendet sich als Ko-Autor (mit John Krasinski), Produzent und Darsteller in dem emotionalen Öko-Drama „Promised Land" gegen den Gold-Rausch von heute namens „Fracking". Nur die Inszenierung überließ er seinem alten Kumpel Gus van Sant. 1998 bekam der noch unbekannte Schauspieler Damon für Sants „Good Will Hunting" einen Silbernen Bären als Drehbuchautor und Darsteller. Nun spielt er einen raffinierten Vertreter der Gas-Industrie, der erst langsam die Gefahren des „Fracking" und die miesen Machenschaften dieser Branche erkennt.

Der Unternehmensvertreter Steve Butler (Matt Damon) wird von seinem Bergbau-Konzern gefeiert und zu einem neuen Einsatz aufs Land geschickt. Dort wo Dörfer aussterben und Bauern am Existenzminimum leben, verspricht er bei Hausbesuchen viel Geld für Schürfrechte und unglaublich viel für den Fall des Bohrerfolges. Bei den meisten hat Steve Butler mit seiner Kollegin Sue Thomason (Frances McDormand) leichtes Spiel, freundlich raffiniert staffieren sie sich vorher volkstümlich aus, jovial versucht vor allem Steve auf Kumpel der Kunden zu machen. Auch der Bürgermeister des Dorfes lässt sich schmieren. Nur haben selbst in dieser abgelegenen Gegend bereits einige Menschen davon gehört, dass es der Natur und vor allem dem Grundwasser nicht gut tut, wenn man einen hochgiftigen, geheimen Chemikalien-Cocktail in die Erde pumpt, um Gas und Öl aus dem Gestein zu lösen.

Das weiß auch Steve. Doch er ist tatsächlich auf der Seite der Farmer, denn er musste als Kind miterleben, wie der Hof seines Vaters zugrunde gerichtet wurde. Jetzt hat er wegen Gier und Verzweiflung leichtes Spiel ... bis ein Gegner (John Krasinski) auftaucht, der in der Dorfkneipe nicht nur singt, sondern auch noch aussieht, wie ein junger Bruce Springsteen. Sollte der All American-Boy Steve diesmal der Verlierer sein?

Schon dass der gute Kerl auf der falschen Seite steht, überrascht in diesem gut gespielten und inszenierten Stück Polit-Kino mit viel Herz, einer schönen Portion Romantik und etwas Gus van Sant-Stil. Obwohl sogar Bundesumweltminister Peter Altmaier vor seiner Wende der Energie-Wende das Fracking zeitweise abgeschrieben hatte, begnügt sich der Film „Promised Land" keineswegs mit einer Schwarzweiß-Zeichnung: Die Motive der skrupellosen Werber für ein extrem zerstörerisches Verfahren werden ebenso ernst genommen wie die Situation der verarmten Farmer. Schnell begreift man, es ist nicht alles so, wie es scheint. Selbst bei den vermeintlichen Dorftrotteln, die „Guns, Groceries, Guitars, Gas", also Gewehre, Gemüse, Gitarren und Benzin in einem Laden kaufen. Kultregisseur Gus Van Sant („Good Will Hunting", „Milk") zaubert eine stimmige Atmosphäre, setzt die authentisch wirkenden Figuren gekonnt ein und hält sich mit seiner eigenen Ästhetik weitgehend zurück. Das tut dem Film und der Sache gut, auch wenn hier nicht einfach „Argumente in die Köpfe der Leute gepumpt werden".

17.6.13

Gambit

USA 2013 (Gambit) Regie: Michael Hoffman mit Colin Firth, Cameron Diaz, Alan Rickman, Tom Courtenay, Stanley Tucci 100 Min.

Dass die ungewöhnliche Paarung von Colin Firth und Cameron Diaz eine wunderbare Peter Sellers-Hommage hervorbringen würde, hätte niemand erwartet. Doch wer hinter die Kulissen dieses großartig altmodischen Spaßes schaut, entdeckt mit den Drehbuch-Autoren Ethan und Joel Coen („Fargo") sowie dem Regisseur Michael Hoffman („Ein Sommernachtstraum", 1998) eindeutige Indikatoren für bestes Kino!

Dieser Plan von Kunst-Kenner Harry Deane (Colin Firth), mit einen Heuhaufen-Gemälde von Monet einen Haufen Heu, beziehungsweise Geld, zu machen und sich gleichzeitig herrlich am ausgesucht ekligen Lord Lionel Shahbandar (Alan Rickman) zu rächen, läuft eindeutig zu glatt ab! Denkt man, aber das ist erst mal nur die voreilige Vorstellung von Harry Deane. Die Ausführung erweist sich als wesentlich holperiger, merkt der spätestens, als der distinguierte Brite in einer texanischen Bar auf die Nase fällt oder einen auf selbige bekommt. Dauernd wird der „törichte Freund" des Erzählers von nun an etwas auf die Nase bekommen und - gemäß der Erzähltradition der texanischen Filmemacher Coen - im Verlaufe der nicht planmäßig verlaufenden Handlung immer mitgenommener aussehen.

Dabei sah alles so einfach aus: Harry Deane lässt seinen Chef Lord Lionel Shahbandar „zufällig" entdecken, dass in der Absteige des ungehobelten texanischen Cowgirls PJ Puznowski (Cameron Diaz) ein millionenschwerer, seit Jahrzehnten vermisster Monet hängt. Diese Fälschung von Harrys Freund und Mitarbeiter Major Wingate (Tom Courtenay) soll die eingeweihte PJ dem Lord in London verkaufen und damit alle reich und glücklich machen. Doch zuerst erweist sich vor alle PJ Puznowski als ganz anders und viel ordinärer. Was Lionel Shahbandar überraschenderweise gar nicht abstößt. Und auch ein Häuflein witziger Japaner hat viel Spaß an ihr. Wobei Harry immer weniger zu lachen hat. Selbst Martin Zaidenweber (umwerfend gespielt von Stanley Tucci), das laufende Klischee eines deutschen Museumsleiters („the director of the Kunstmuseum in Köln"), kommt ihm als konkurrierender Expertisen-Ersteller böse in die Quere.

Dass dieser perfekt chaotisch ablaufende Trickdiebstahl - bis auf Harrys Nase - unblutig verläuft, macht den Coen-Film zu einem besonderen Spaß. Man kommt nicht umhin, an das geniale Duo aus Regisseur Blake Edwards (1922-2010) und Komiker Peter Sellers (1925-1980) zu denken: „Der Partyschreck" (1968) und „Der rosarote Panther", schon im animierten Vorspann angedeutet, standen eindeutig Pate bei dieser gelungenen Gauner-Komödie. Dass ausgerechnet Colin Firth das Erbe von Inspektor Jacques Clouseau und Dr. Seltsam antritt, lag nicht auf der Hand, erweist sich aber als geniale Besetzung: Der eher ernsthaft eingesetzte Meister-Schauspieler setzt als scheinbar scheiternder Meister-Dieb feine Nuancen des Niedergangs hervorragend um. Cameron Diaz darf als einfache Amerikanerin, die ihr Herz auf der Zunge trägt, deftiger loslegen. Stanley Tucci gibt seinem Martin Zaidenweber einen genialen deutschen Dialekt, den die Synchro wohl nicht mitbekommt. Aber vor allem gibt es endlich wieder mal einen richtigen Alan Rickman, der sich vom Fluch der Potter-Hexereien befreite.

So entstand herrlicher Slapstick in Tradition von Sellers und Tati wenn Harry mit widerspenstigen Stühlen kämpft. Es gibt unglaublich altmodisch spritzig-zotige Dialoge, wenn der verzweifelte Kunst-Gauner über seinen „Major" redet, was Hotel-Angestellte genital missverstehen, und allein die Namen der Figuren brächten nicht nur Loriot viele Sketch-Ideen! Spritzig ist der Spaß auch, wenn der Major nebenbei auch noch einen Pollock fälscht und Harry auch dabei einiges abbekommt. Wie gut „Gambit" letztendlich geworden ist, belegt die Tatsache, dass man keinen Moment wünscht, die Coens hätten diesen Film selbst inszeniert: Michael Hoffman, er fiel bisher vor allem durch seinen sehr netten „Ein Sommernachtstraum" (1998) mit Kevin Kline, Michelle Pfeiffer, Rupert Everett und Stanley Tucci auf, erweist sich als die beste Pointe dieser Humor-Produktion.

The Sapphires

Australien 2012 Regie: Wayne Blair mit Chris O'Dowd, Deborah Mailman, Jessica Mauboy, Shari Sebbens, Miranda Tapsell 103 Min.

Wayne Blair erzählt in seinem sensationellen Langfilm-Debüt „The Sapphires" von vier jungen Frauen, die von den australischen Ureinwohnern abstammen und im Jahr 68 als Sängerinnen zur Truppen-Unterhaltung in den Vietnam-Krieg ziehen. Die wahre Geschichte, wie die leidenschaftlichen Mädels dem Rassismus zuhause entkommen und ihren kurzen Ruhm genießen, ist ein musikalischer Wohlfühlfilm.

Sie haben den Schwung von „The Commitments" und den Drive des Roadmovies „Priscilla – Königin der Wüste". Doch die Sapphires haben auch ihre ganz eigene Geschichte als Aborigines, die sich mit Hilfe der Musik von den Fesseln ihrer Heimat befreiten. Als sie sich noch „Cummeragunja Song Birds" nannten, waren die Mädels Außenseiter. Sowohl in ihren „Reservaten", wo die Singerei als Spinnerei angesehen wurde und nur harte Arbeit zählte, als auch bei den „Weißen". Es ist 1968 in Australien. Als Gail (Deborah Mailman) und ihre drei Schwestern im nächsten Kaff einen lächerlichen Musikwettbewerb mit sagenhaftem Gesang in den Grundfesten erschüttern, werden sie doch nur zweite - sie sind „schwarz". Dass sie ausgerechnet ziemlich rein-weißen Country&Western singen, ist eine besondere Note dabei. So lautet denn auch eine der ersten Lektionen von ihrem zukünftigen Manager Dave (Chris O'Dowd): „90% aller Musik ist Schrott, der Rest ist Soul". Allerdings dauert es etwas, bis Gail und ihre Mädels akzeptieren, dass dieses versoffene, heruntergekommene Weißbrot irgendwo Soul im Körper hat und sie managen darf. Den größten Widerstand gibt es jedoch zuhause. Vor allem die Jüngste darf nicht mal mit zum Vorsingen nach Melbourne. In der Zeitung war ein Job als Showband für die Soldaten in Vietnam annonciert. Doch schließlich überreden die drei Power-Frauen sogar noch ihre stimmgewaltige Cousine Kay (Shari Sebbens), die einst vom Staat entführt und von Weißen adoptiert wurde. Jetzt begeistern die Sapphires mit neuem Namen, Soul-Repertoire und heißer Bühnenshow erst das Auswahlkomitee und dann Heerscharen von Soldaten in Südost-Asien. Dass dort ein blutiger Krieg stattfindet, dringt mit tragischen Folgen erst spät durch die mädchenhafte Begeisterung...

„Sing, wenn du traurig bist" lautet der Rat von Gails spirituell verwurzelter Großmutter. Könnte auch eine universelle Formel für erfolgreiche Filme sein. Der australische Wohlfühlfilm „The Sapphires" bringt wie einst die „Commitments" viel Schwung mit etwas Sentiment ins Kino. Und wie bei „Priscilla – Königin der Wüste" geht es auch hier um Ausgegrenzte, Unterdrückte und Benachteiligte. So genießt man tolle Stimmen, gute Songs und den Spaß vor allem mit dem König der Oneliner Dave, während man nebenbei Erschütterndes über die Situation der Aborigines, der australischen Ureinwohner, erfährt. Die Widerspenstigkeit Gails ist auf eines der massenhaft verübten staatlichen Verbrechen zurückzuführen, die lange Jahrzehnte Familien auseinanderriss und ganze Generationen traumatisierte. „The Sapphires" trumpft trotz Vietnam-Krieg und Rassismus mit einem glaubhaften Happy End auf. In der Schlussszene wartet ein kleiner Junge auf seine Mutter, der einst das Buch zu diesem Film schreiben wird.

12.6.13

Woodstock in Timbuktu

BRD 2011 Regie: Désirée von Trotha 96 Min.

Was in den Nachrichten gerne als Malis Kampf gegen die Islamisten verkürzt wird, erhält in dem hintergründigen Musikfilm „Woodstock in Timbuktu – die Kunst des Widerstands", der informiert und begeistert, Leben und erlebte Substanz. Der Dokumentarfilm erzählt von einem internationalen Musikfestival in der malischen Sahara. Es geht um die Musik der Tuareg, die in jüngster Zeit Erfolge feiert und Grammys gewann; um Musiker und Poeten, die Macht der Frauen, Kamelhirten, Ex-Rebellen, Drogenschmuggler und die drohende Gefahr durch militante Salafisten. In ihren Liedern besingen sie wie schlimm vieles war, wie hart es noch ist und wie schön alles werden soll. Im Moment ist es wieder sehr schlimm. Doch gerade jetzt scheint es drängender denn je an bessere Zeiten und den kulturellen Reichtum dieses vom Untergang bedrohten Volkes zu erinnern.

Der gelungene Mix aus Historischem und schönen kleinen Geschichten, guten Interviews sowie Portraits und Interviews der Musiker zieht einen sofort in seinen Bann. Auch die große Rolle der Frau in der Nomaden-Gesellschaft der Tuareg kommt zur Sprache. Der konventionelle Rote Faden um Vorbereitungen und Aufbau des Festivals, das seit 2001 veranstaltet wird, gerät dabei in den Hintergrund, aber immer wieder nehmen tolle Auftritte auch diesen Faden wieder auf. Eine exzellente Dokumentation mit tollen Bildern.

Tango Libre

Belgien, Luxemburg. Frankreich 2012 (Tango Libre) Regie: Frédéric Fonteyne mit François Damiens, Sergi López, Jan Hammenecker, Anne Paulicevich, Zacherie Chasseriaud 105 Min. FSK ab 12

Jean-Christophe (François Damiens), „JC" genannt, lernen wir als sehr korrekten, ängstlichen Wachmann im Knast kennen, dessen Leben grau wie die Dienstuniform ist und der selbst an einer absurden Ampel mitten auf dem Feld bei Rot stehen bleibt. JC verliebt sich auf Anhieb in Alice (Anne Paulicevich), die Neue vom Tango-Kurs. „Tango Libre" könnte so ein Tanz-Film wie viele andere („Man muss mich nicht lieben") werden, doch Alice hat es in sich! Sie besucht die inhaftierten „Kunden" von JC, zeigt sich sexy in der Besucherkabine - gegenüber ihrem Mann Fernand (Sergi López) und auch gegenüber ihrem Liebhaber Dominic (Jan Hammenecker), der in der gleichen Anstalt, ja sogar in der gleichen Zelle einsitzt. Als sie über diese neue Beziehung ein Besuchsrecht ohne Glasscheibe erreicht hat, sieht die Visite aus, wie die Reise nach Jerusalem, denn auch ihr Sohn Dominic (Jan Hammenecker). Nur JC bekommt keinen Stuhl beim Wechselspiel. Allerdings ist der Spanier Fernand direkt auf ihn eifersüchtig, während Dominic erst mal ruhig bleibt.

Weil der Wärter mit seiner Frau draußen tanzt, bittet Fernand drinnen den besonders beschützten Argentinier (Mariano "Chicho" Frumboli), ihm den Tango beizubringen. Es ist ganz wunderbar, wenn sich die vermeintliche und nur gespielte Aggression unter den harten Jungs als Einführung in den Tango erweist. Hier kann sich „Tango Libre" mit dem Roxanne-Tango aus „Moulin Rouge" messen, hat eine seiner großen Szenen, für die allein sich der Kinobesuch lohnt - neben all den feinen Beobachtungen und Details, dem exzellenten Spiel.

Denn zwischen Alice sowie ihren großen und kleinen Männern, den freien und unfreien, ganz unabhängig von der Position zu den äußerlichen Gittern zeigt „Tango Libre" eine ganze Reihe komplexer Beziehungen und Gefühle. Und Regisseur Frédéric Fonteyne („Eine pornografische Beziehung", 1999) erzählt mit subtilem Witz: Dass Alice ganz eigennützig beim Wärter vorbeischaut, weil der von einem Häftling zusammengeschlagen nicht zum Tango-Kurs kommt, wird sehr schön vom Hinweis gekrönt, dass sie Krankenschwester sei. Der „Hausbesuch" ist eine erste Annäherung, die alles nicht einfacher macht. Beide Genres, das des Knast-Films und des einsamen Einzelgängers, verlangen nach einem Ausbruch. Er gelingt mit einem Familienausflug und einer sehr, sehr ungewöhnlichen, aber sympathischen und vor allem glücklichen Patchwork-Situation.

Anne Paulicevich, die bei uns bisher nur in dem postmoderenen „JCVD" (2008) zu sehen war, hinterlässt als Alice einen ganz starken Eindruck. Sergi López begeistert immer, im französischen Original noch mehr mit seinem wunderbaren, originalen spanischen Akzent. Den Tanz-Lehrer im Knast spielt übrigens der argentinische Tango Nuevo-Entwickler Mariano Chicho Frúmboli.

Olympus has fallen

USA 2013 (Olympus has fallen) Regie: Antoine Fuqua, mit Gerard Butler, Aaron Eckhart, Angela Bassett, Morgan Freeman, Dylan McDermott, Melissa Leo 120 Min. FSK ab 16

Schon wieder die Nord-Koreaner! Hollywood muss entweder völlig verzweifelt oder unter Drogen sein, um diese künstlich aufgeblasene Bedrohung des Welt-Unfriedens nach dem Remake von „Red Dawn" noch einmal ernsthaft als dramaturgisches Material zu verwenden. Aber ansonsten fällt denen ja auch nichts Neues ein. Also noch so ein völlig unrealistischer Angriff auf die USA, deren Luftraum scheinbar nur von zwei dämlichen Jet-Piloten gesichert ist. So trudelt ein langsamer, träger Bomber gemütlich bis zum Weißen Haus, schießt auf dem Weg sinnlos Passanten ab und köpft das Washington Monument - die Millionen müssen ja irgendwo verpulvert werden und auch dieser Film will ein schockierendes Bild von Verletzung uramerikanischer Symbole präsentieren.

Dann nehmen die Schurken auch noch den Präsidenten in dessen eigenen Keller als Geisel. Gegen diesen Anschlag in das Herz der auf Guantanamo und in Polen folternden, die ganze Welt aushorchenden Demokratie kann letztlich nur einer auftreten: Sylvester Stallone! Nein, der macht in Senioren-Unterhaltung. Steven Seagal! Nee, der eröffnet ein Body Building-Studio im Kreml. Bruce Willis! Auch nicht, der hat eine harte Zeit, weil „Die Hard" so übel gestorben ist. Also: Gerard Butler! Was sowohl für dessen Karriere als auch für diesen ironie-freien Ballerfilm nichts Gutes bedeutet.

Nach einer halben Stunde lautem Inszenieren einer weißen Präsidentschaft (Aaron Eckhart), mit Morgan Freeman auf der Ersatzbank, reanimiert sich der nach dem von ihm miterlebten Absturz der First Lady deaktivierte Präsidenten-Leibwächter Agent Mike Banning (Gerard Butler) zum Retter hinter den Kulissen. Vor allem die alte Freundschaft zum kleinen Sohn des Präsidenten treibt ihn an, die nord-koreanische Invasion eigenhändig zurückzuschlagen. „Olympus Has Fallen" ist eine extrem harte Mischung von „Kevin allein im weißen Haus" mit einer schwachen Variante der Weihnachtsversion von „Die Hard". „Training Day"-Regisseur Antoine Fuqua ist auf seinem schlingernden Karriere-Weg zwischen Routine („Gesetz der Straße - Brooklyn's Finest", 2009) und besserer Routine („Shooter", 2007) diesmal in einen Straßengraben voll mit altbekanntem Action-Schrott gelandet. Zudem ist der Film politisch dämlich und unerträglich patriotisch. So extrem brutal die Mord- und Folter-Szenen im Einzelnen aus sein mögen, es wirkt immer noch zynisch, dass wir Mitleid um eine Machtelite haben sollen, in deren Jobbeschreibung „Kriege führen" ganz oben steht.

Seelen

USA 2013 (The Host) Regie: Andrew Niccol mit Saoirse Ronan, Max Irons, Diane Kruger, Jake Abel 125 Min. FSK ab 12

Das klare Styling in den ersten Szenen versprechen eine spannende Science Fiction-Geschichte von Andrew Niccol, der mit „In Time - Deine Zeit läuft ab" (2011) sowie „Gattaca" (1997) das Genre bereicherte und auch beim Actionfilm „Lord of War - Händler des Todes" (2005) sein Können bewies. Aliens haben in der Zukunft die Erde kolonialisiert und „befriedet". Als Melanie (Saoirse Ronan) eine der letzten, noch nicht besetzten Menschen, von den Suchern verfolgt wird, springt sie in den vermeintlichen Tod. Doch die Häscher retten sie und pflanzen den Host, den Parasiten namens „Wanderer", der schon auf vielen Planeten im Einsatz war, in ihren Kopf. Melanies Erinnerungen sind gefragt, um die letzten Widerstands-Nester zu finden. Doch ihre Rückblenden geraten sehr emotional. Nicht nur wegen des kleinen Bruders, der auch fliehen konnte, als der Vater sich vor der Ergreifung durch die Außerirdischen erschoss. Es gibt auch Jared, den sie liebt.

Der Rest von Melanies menschlichem Bewusstsein erweist sich als besonders willensstark. Über auf Dauer nervige Dialoge im Kopf - Gedanken von Melanie, Gesprochenes vom Host - und ein paar Spiegelszenen für diese schizophrene Situation überzeugt Melanie den Host, gemeinsam zu fliehen. Auch wenn der Fluchtwagen als alter Volvo extrem stabil ausgelegt ist, überlebt er es nicht, dass zwei Persönlichkeiten sich um die Richtung streiten. Trotzdem gelangen sie zum Nest des Widerstands unter der Führung von Onkel Jeb (William Hurt irgendwo in der Wüste, wo ihn Wim Wenders in „Bis ans Ende der Welt" 1991 zurückgelassen hatte). Dieser geniale Sonderling schuf einen ökologischen Mikrokosmos im Inneren eines alten Vulkans und redet mit dem Host, nennt den Wanderer freundlich Wanda - zum Entsetzen aller anderer. Die ungewöhnliche Offenheit dem Fremden gegenüber verändert jedoch die Welt...

Chromglänzende Maschinen, weiße Anzüge und Kleider - bis auf die Augen mit dem kalten Glanz starr leuchtender Pupillen sind es eigentlich ganz freundliche Aliens. Nur die von den Borg oder anderen Religionen entlehnte Philosophie der totalen Vereinnahmung ist nicht mehr nett. Dass sich einzelne Aliens trotzdem als die besseren Menschen erweisen, setzt ein gerüttelt Maß an interplanetarischer Völkerverständigung voraus. Doch die kitschige Weltfriedens-Vision ist als Film von Andrew Niccol immer noch handwerklich reizvoll inszeniert. Als jedoch die Gefühle für Jared, den früheren Freund von Melanie, mit denen von Wanda für Ian konkurrieren, wird es das befürchtete Teenie-Filmchen. Das Schema der jungen Frau zwischen zwei Männern verursacht auf der Stelle Langeweile, auch ohne zu wissen, dass ein Roman von Stephenie „Twilight" Meyer die Vorlage ist. Diesmal sind es nicht Werwolf und Vampir sondern junger Rebell und junger Rebell. Was an subtilem Humor vorhanden war, wird völlig albern, wenn Melanie mit nervigem Dauerkommentaren die Küsserei zu verhindern versucht: „Ihr seid ja nicht mal vom gleichen Planeten!" Schlimmer und schleimiger ist nur noch das Finale.

Bei sehr schöner Kamera-Arbeit (Roberto Schaefer) wird die Hauptrolle ordentlich gespielt von Saoirse Ronan („Wer ist Hanna?", „In meinem Himmel"). Das Schielen auf ein junges „Panem"-Publikum ist unübersehbar. Senior William Hurt hat endlich mal wieder eine großartige Rolle, auch Diane Krüger („Barfuß auf Nacktschnecken", „Mr. Nobody") als kalte Sucherin mit einem Rest Menschlichkeit überzeugt.

The Place Beyond the Pines

USA 2012 (The Place Beyond the Pines) Regie: Derek Cianfrance mit Ryan Gosling, Bradley Cooper, Eva Mendes, Mahershalalhashbaz Ali, Ben Mendelsohn, 140 Min. FSK ab 12

Das löchrige T-Shirt trägt er auf Links, seine Autogramme sind so ungelenk wie die Tattoos - aber was für ein Auftritt! Die Kamera folgt Ryan Gosling aus dem Trailer, quer über den Jahrmarkt bis zum halsbrecherischen Motorrad-Stunt, um dessen Figur Luke unvergesslich einzuführen. Ryan Gosling spielt einen blonden Ryan Gosling, dauerrauchend und grinsend. Wie in „Drive" kümmert er sich um Frau und Kind, nur ist es diesmal Lukes eigenes, nur redet er diesmal etwas mehr. Luke hat spontan seinen Job beim Jahrmarkt gekündigt und will in dem kleinen Nest bleiben, wo er vor einem Jahr mit Romina (Eva Mendes aus „Holy Motors") ein Kind gezeugt hat. Am Tag der Taufe tritt der Mann, der sich zwischendurch an Rominas Seite war, brav im Anzug auf. Er soll nicht der Gegenspieler Lukes in dieser intensiven Geschichte voller Überraschungen werden.

Um Geld für seine „Familie" aufzutreiben, überfällt der Motorrad-Driver (oder -Transporter) Luke zusammen mit seinem Kumpel Robin (Ben Mendelsohn) Banken. Nach dem ersten Überfall kotzt er sich erst mal im Laster, der das Flucht-Motorrad versteckt, aus. Aber die dunkle Warnung steht schon im Raum: „If you ride like thunder, you gonna crash like thunder" (sinngemäß: Wer so höllisch fährt, kommt in die Hölle.)

„The Place Beyond the Pines" zeigt einfache Typen, die Handlung schreitet ohne viel Schnickschnack, ohne retardierende Momente voran, wie bei einem effektiven Raubzug. Die Musik versucht etwas Schwebendes zu erzeugen und dann tritt Gosling/Luke ab. Statt der schillernden Figur folgt der Film einem eher unauffälligen Polizisten. Avery (Bradley Cooper) ist ein ehrlicher Cop, Sohn eines Richters und ehemaliger Jura-Student, der korrupte Kollegen unter der Führung von Deluca (Ray Liotta) auffliegen lässt. Die erste Geschichte wiederholt sich, nun steht Avery mit einer Tüte Geld vor dem Haus von Romina...

Der Film begibt sich auf das Territorium der James Gray-Filme, wobei der große Unterschied zwischen diesem Doppelportrait und Regisseur Cianfrances Vorgänger „Blue Valentine"im Partner von Gosling liegt. Damals war es Michelle Williams, nun Bradley Cooper und und der hat sogar mehr „Screen Time" als Gosling! Allerdings überrascht „The Place Beyond the Pines", der Drei-Akter um Väter und Söhne erneut, als 15 Jahre später die beiden Jungs von Luke und Avery aufeinandertreffen.

Nach Lukes Geschichte mit faszinierenden Bildern um eine ikonografische Figur und dem Cop-Krimi vollendet sich das Triptychon mit dem Mut zu ganz großen, ja epischen Erzählschritten. „The Place Beyond the Pines" kriegt auf faszinierende Weise die Kurve wieder hin zum Anfang - allein für diese Formvollendung sollte man sich den Film (wieder) ansehen. Um Gosling herum agieren sehr gute Schauspieler, auch die nächste Generation beeindruckt.

5.6.13

Das wundersame Leben von Timothy Green

USA 2012 (The Odd Life of Timothy Green) Regie: Peter Hedges, mit Jennifer Garner, Joel Edgerton, CJ Adams, M. Emmet Walsh, Dianne Wiest 105 Min. FSK ab 6

Ein verzweifelt kinderloses Paar malt sich in einer schönen, gemeinsamen Trauerszene alle Eigenschaften ihres Idealkindes aus und vergräbt die Zettel mit den Wunschvorstellungen im Garten. Märchenhaft sorgt ein heftiges Gewitter dafür, dass noch in der gleichen Nacht der schlammverschmierte Tim in ihrer Wohnung steht. Nur kurz erstaunt nehmen Cindy (Jennifer Garner) und Jim Green (Joel Edgerton) den Jungen (CJ Adams) auf, der vieles und anderes mehr zu wissen scheint als die Erwachsenen: Die Vergeblichkeit, ihm die ungewöhnlichen Blätter von den Knöcheln zu entfernen, belächelt er nur. Die Vergänglichkeit des eigenen Lebens und das von seinem alten Onkel nimmt er mit Gelassenheit und nur leichter Wehmut an. Irgendwann beginnen die paar Blätter von alleine zu fallen.

Denn während alle auf ein paar kuriose pflanzliche Verhaltensweisen starren, vollbringt Tim reihenweise kleine Wunder, erfindet einen neuen Bleistift, macht aus Cindys garstiger Chefin einen empfindsamen Menschen und schießt sogar das entscheidende Tor im Fußballspiel. Cindy und Jim sind so begeistert, dass sie nicht bemerken, wie Tim seine Wunder-Blätter verbraucht, um ihren Stolz zu nähren.

Die in ihren Wurzeln nette Geschichte ist am schönsten, wenn sie ganz fantastisch ist. Was in anheimelnd kleinstädtischer Kitsch-Platzierung mit lauter ehrlich arbeitenden Menschen zu selten passiert. Vor allem die Rahmen-Erzählung strotzt so vor überlieblicher Disney-Familienseligkeit, dass man schreiend dreinschlagen möchte. Zudem scheint sich auch das Schauspiel an die Gleichmacherei von den einfachen Menschen anzupassen. Es mag persönlicher Geschmack sein, aber Jennifer Garner wirkt bei der Anstrengung, eine angestrengte Mutter zu spielen, immer etwas zu sehr bemüht und letztlich überfordert.

4.6.13

After Earth

USA 2013 (After Earth) Regie: M. Night Shyamalan, mit Jaden Smith, Will Smith, Sophie Okonedo, Zoë Kravitz 100 Min.

Ob es gut ist, wenn Millionen Menschen weltweit Familienalbum und -konflikte einsehen können? Die neueste Geschichte der Familie Will Smith ist ganz und gar eine Smith-Produktion, überhaupt kein M. Night Shyamalan-Film und nur mit Mühen als Scientology-Propaganda interpretierbar.

Ein Asteroiden-Sturm zwingt das futuristische Raumschiff ausgerechnet auf der Erde, die vor Generationen verlassen und unter Quarantäne gestellt wurde, zur Notlandung. Kitai Raige (Jaden Smith), der ehrgeizige und begabte Sohn des hochverehrten militärischen Führers und Helden Cypher Raige (Will Smith) ist voller Panik. Sein schwer verletzter Vater schickt ihn auf eine mehrtägige Reise, um von einem anderen Trümmerteil einen Hilferuf abzuschicken.

Die Erde hat sich tausend Jahre nach den Menschen wieder prächtig erholt: Bison-Herden bis zum Horizont, riesige Wälder mit Mammut-Bäumen, aber auch ziemlich viele, sehr wilde Tiere. Die Außerirdischen von der Erde haben als zusätzlichen Spannungshelfer noch eines dieser Monster mitgebracht, das den neuen Heimatplaneten unsicher macht. Es ist zwar blind, kann allerdings die Angst der Menschen riechen.

Papas Anweisungen vom Kontrollzentrum ähneln einem Computerspiel und praktischerweise kann er auch live und in Farbe mitverfolgen, was Sohnemann erlebt. Das ist unter anderem eine Injektion ins Herz nach einer Blutvergiftung, dazu nicht nur ein atemberaubender Sprung mit einem Wingsuit, sondern noch ein Luftkampf mit Riesenadler, der später den einsamen Kämpfer adoptiert.

Während der Vorrat an Atemflüssigkeit zur Neige geht, gestaltet sich auch der Vater-Sohn-Dialog höchst spannend. Der alte Smith spielt dabei zwei gebrochene Beine und macht nicht viel. Der kleine Smith sagt nicht viel, rennt mit Doppelharpune (passend zum Moby Dick-Thema) durch atemberaubende Landschaften und mit der letzten Luft sprechen sie endlich aus, was zwischen ihnen stand: Der Tod der Tochter beziehungsweise Schwester, dem Kitai tatenlos zusah. Und das Schuldgefühl des Vaters, der schon mit dieser älteren Tochter meist nur über Video in Kontakt stand. Allein wir sehen dabei die Regungen des Vaters, der nur mit Mühen die reglose Fassade als Vorgesetzter aufrecht erhält. Der Blickwechsel zum Papa, der auch nur bei Mama sein möchte, wird spät nachgeliefert.

Der gut gestaltete Science Fiction ist zum Glück spannend genug, um sich über die gerade mal ausreichende Küchenpsychologie keine Gedanken machen zu müssen. Unter der Zukunftst-Deko ist „After Earth" wieder die gleiche Vater-Sohn-Geschichte vom überarbeiteten und abwesenden Ernährer. Ein Problem der Smiths, das sich wohl nur etwas entspannt, wenn jetzt die ganze Familie als Darsteller (Will, Jaden) oder Produzenten (Will, Jada Pinkett-Smith) mit dreht. Dass da Verbindungen zu den Scientologen der Handlung zugrunde liegen, muss allerdings mit Mühen herbeizitiert werden.

Der spannende Smith-Film „After Earth" ist dabei leider kein richtiger M. Night Shyamalan-Film. Doch der gefeierte Regisseur konnte ja schon 2010 mit „Die Legende von Aang" nicht an seine sensationell spannenden „The Village" (2004), „Signs" (2002) oder „The Sixth Sense" (1999) anschließen. Dafür beweist das Familienunternehmen Smith einen sechsten Sinn fürs unterhaltsame Geschäft.

Snitch

USA, Vereinigte Arabische Emirate 2013 (Snitch) Regie: Ric Roman Waugh, mit Dwayne Johnson, Barry Pepper, Jon Bernthal, Susan Sarandon, Michael K. Williams 112 Min. FSK ab 12

Als sympathischer Bauunternehmer kümmert sich John Matthews (Dwayne Johnson) mehr um den neuen Angestellten, als um seinen 18-jährigen Sohn Jason (Rafi Gavron), der bei Johns Ex-Frau wohnt. Als Jason mit einem Paket voller Ecstasy-Pillen erwischt wird, kann der Junge die Mindeststrafe von zehn Jahren Haft nur reduzieren, wenn er andere Drogenkäufer verrät. Doch der einzige, den er kennt, ist der angebliche Freund, der ihn schon für eine Strafreduzierung verraten (engl: to snitch) hat. Da Jason selbst nicht zum Verräter werden will, als er in Untersuchungshaft krankenhausreif geschlagen wird, macht Papa John den Drogen-Kurier, nur um einen der Händler an die Staatsanwältin Joanne Keeghan (Susan Sarandon) auszuliefern.

„Snitch", ein Film vom unbekannten Action-Regisseur Ric Roman Waugh, nimmt sich die Zeit, das schwierige Verhältnis von John zu seinem Sohn durchaus ernsthaft zu behandeln. Er skizziert auch die Seitenlinien der Handlung, in der Daniel, ein vorbestrafter Angestellter von John, seine Beziehungen zum kriminellen Milieu einsetzt. Die Action startet erst nach fünfzig Minuten, als John einen seiner Firmenlaster zum Schmuggeln startet. Dann allerdings ist das Filmchen endgültig in der Mittelmäßigkeit angekommen. Er hatte bis dahin schnell erzählt, aber auch einige Glaubwürdigkeits-Lücken in Kauf genommen. „Snitch" hält seine Grundspannung, bleibt aber sehr eindimensional. Selbst Marc Wahlbergs ähnlich gelagerter „Contraband" stellt „Snitch" in den Schatten.

Ex-Wrestler Dwayne „The Rock" Johnson in gemeinsamen Szenen mit der großartigen Schauspielerin Susan Sarandon zu sehen, ist schon kurios. Sie zeigt als zynische Staatsanwältin, dass der verlogene „Kampf gegen Drogen" keinen Raum für Gerechtigkeit lässt, und dass sich die Methoden der Strafverfolgung nicht von denen der Drogen-Kartelle unterscheiden. Johnson ist wenigstens nicht der Superman, der alles im Griff hat. Sein naiver und dickköpfiger John steckt sogar mal eine Tracht Prügel ein. Haarsträubend dämlich wird die mäßige Unterhaltung allerdings, wenn sie uns weismachen will, dass all die Drogenkriminalität nur aus Sorge um die konservative Kernfamilie geschieht.

Before Midnight

USA, Griechenland 2013 (Before Midnight) Regie: Richard Linklater, mit Ethan Hawke, Julie Delpy, 108 Min. FSK ab 6

Regisseur Richard Linklater gelang mit seinen Schauspielern Julie Delpy und Ethan Hawke eine wunderschöne Trilogie einer Liebe über fast zwei Jahrzehnte: Es ging 1995 mit „Before Sunrise" im Berlinale-Wettbewerb los, als die Figuren Jesse (Hawke) und Celine (Delpy) sich in Wien während einer Nacht kennenlernten und verliebten. Der Silber-Bären-Gewinner fand mit „Before Sunset" 2004 wieder bei der Berlinale seine Fortsetzung: Neun getrennte Jahre später ist Jesse ein erfolgreicher Autor mit der Geschichte dieser Wiener Nacht geworden. Zur Lesung in Paris kommt die reale Celine und ein endloser Spaziergang durch die Stadt der Verliebten bringt den Amerikaner schließlich dazu, seinen Flieger zurück zur Familie zu verpassen.

Auf „Before Midnight" nun hatte die Welt so gespannt und so von Gerüchten fehlgeleitet gewartet wie auf den „Hobbit". Nur die Fangemeinde war eine andere. Richard Linklater hatte mit seinen Darstellern sowie Ko-Autoren Julie Delpy und Ethan Hawke eine mögliche Fortsetzung lange in der Schwebe gehalten. Neun Jahre später ist Jesse in „Before Midnight" geschieden. Mit Celine und den Zwillingen des Paares verbringt er den Urlaub in Griechenland. Eine endlose, nicht von Schnitten unterbrochene Autofahrt beweist, die beiden Verliebten reden immer noch wunderbar miteinander. Aber das Leben als Eltern hat auch Spuren hinterlassen. Der romantische Abend in einem Hotel, den Freunde schenkten, wird zur Belastungsprobe.

Julie Delpy, die selbst charmante, gewitzte und intelligente Familiengeschichten inszeniert („2 Tage Paris", „Familientreffen mit Hindernissen"), bleibt als Celine die impulsive, kämpferische Frau, die nun mit einem erfolgreichen Schriftsteller lebt und gemeinsame Kinder großzieht, aber sehr mit ihrer eigenen Rolle hadert. Da gibt es viel Reibungsfläche, wenn Jesse vor griechischer Urlaubskulisse von Kollegen verehrt und hofiert wird. Glückliche Paare mehrere Generationen vergleichen scherzend Modelle des Zusammenlebens und streifen das Rätsel der Liebe. Was davon im Alltag übrig bleibt, versuchen Celine und Jesse mit inszenierter Romantik aufleben zu lassen. Vergeblich. Wobei selbst das Scheitern mit einer spielerischen Leichtigkeit präsentiert wird.

„Before Midnight" gelingt das Unglaubliche: Ein Film, in dem nur geredet wird, begeistert und beglückt das Publikum. Geschliffene Dialoge, intelligente Themen von den Geschlechterrollen über die Frage nach der ewigen Liebe und die spitzen Bemerkungen des Paares halten die Laune hoch. Die Streitereien sorgen für eine Achterbahnfahrt der Gefühle. So schwatzt sich ein unwahrscheinlicher Film zum Meisterstückchen der Trilogie auf. Ein launiges Orakel von Delpy steht am Ende und am Anfang der Hoffnungen auf eine weitere Fortsetzung: „Ich liebe dich nicht mehr." Trotzdem gibt es vielleicht 2035 den 14. Teil mit dem Titel „Before the grave".