29.5.13

Hangover 3

USA, 2013 (The Hangover Part III) Regie: Todd Phillips, mit Bradley Cooper, Ed Helms, Zach Galifianakis, Ken Jeong, Justin Bartha, John Goodman 100 Min.

Ein übler Kater nach dem feucht-frechen Fest - „Hangover 3" hinterlässt nach wilder Erzählung und großem Erfolg bei den Vorgängern ist unangenehmes Nachgefühl. Das „wolf pack" Phil, Stu, Alan und Doug landet wegen ihrem Dauer-Freund/Feind Mr. Chow in einer albernen Gangster-Komödie.

Was ist eigentlich passiert? Wie kommen wir in diese mehr als missliche Lage? So begann beim ersten „Hangover"-Film einer Erinnerungstour mit heftig peinlichen Entdeckungen und eine Erfolgsgeschichte an der Kinokasse. Vor allem der Standup-Comedian Zach Galifianakis, der als verpeilter Kumpel Alan das Chaos-Quartett immer wieder in Fettnäpfchen, Gefängnis oder auch nur lebensgefährliche Situationen brachte, wurde weltweit bekannt. Nun, im lahmen dritten Teil, ist es die Sorge um ihn, die alle wieder zusammenbringt: Alan köpft nicht nur eine Giraffe auf der Autobahn und besorgt seinem Vater einen finalen Herzstillstand, er ist auch einfach völlig durchgeknallt und hat zudem seine Medikamente abgesetzt. Auf dem gemeinsamen Weg zu einer Besserungsanstalt werden die Freunde vom Gangster Marshall (John Goodman) gekidnappt. Der Auftrag für den Rest des Films lautet: Bringt mir Mr. Chow (Ken Jeong) und die Goldbarren, die er mir geklaut hat. Der großartige Auftakt mit einer dichten Abfolge von irren Szenen zeigte auch Chows Ausbruch aus einem Knast in Bangkok. Doch nach Goodmans Auftritt, der wenig tut und doch noch zum Besten des Films gehört, fährt der Film auf Autopilot fort.

Dabei wird die geniale Grundidee der ersten Teile mit ihren wahrlich überraschenden Rückblenden für eine langweiligere chronologische Erzählung aufgegeben. Sogar eine komplizierte Erklärung und Einleitung von Gangster Goodman muss man dabei ertragen. Dann geht es nach Mexiko, wobei selbst Tijuana mit einer Dosis verlebter Umgebung dem Film keinen Pep gibt. Wie in zig anderen Gauner-Routinen wird in eine Villa eingebrochen, um noch mehr Gold zu stehlen. Zurück in Vegas, wo alles anfing, gibt es noch eine Entführung aus Caesar Palace und dann ist der Film glücklicherweise bald ausgestanden.

„Hangover 3" wirkt wie die Geiselnahme von Figuren und Erfolgsformel durch einen sehr gewöhnlichen Film. Es gibt die gleichen Gesichter und ein paar Verweise auf die schlimmsten Sachen aus den letzten beiden Folgen, doch sonst ist nichts wie es war. Wenn der wahnsinnige Chow auf unvergleichliche Weise Johnny Cashs „Hurt" in einer Karaoke-Bar covert, wenn seine mit Kokain gefütterten Kampfhähne auf die Freunde losgehen, landet der Film seine einzigen Humor-Treffer.

Doch vor allem ist dies Action mit Albernheiten, mittelmäßiger Krimi mit vier gewöhnlichen Deppen als Hauptfiguren. Um es noch schlimmer zu machen, schiebt der lahme Abklatsch bei Alan etwas persönliche Entwicklung nach und diskreditiert sich endgültig mit einem Hochzeits-Ende, für das sich sogar ein trivialer Hausfrauen-Film schämen würde.

28.5.13

Die wilde Zeit

Frankreich, 2012 (Après Mai) Regie: Olivier Assayas mit Clément Métayer, Lola Créton, Félix Armand, Carole Combes 122 Min. FSK ab 12

Die schöne Revolutions-Romantik „Die wilde Zeit" von Olivier Assayas zeigt 1971 außerhalb von Paris junge Studenten, die sich politisch engagieren und von Spezialeinheiten der Polizei in Straßenschlachten brutal zusammengeschlagen werden. Gilles (Clément Métayer) lässt sich von der politisch aufgeladenen und kreativen Aufbruchsstimmung seiner Zeit mitreißen und engagiert sich mit seinen Freunden für eine neue Gesellschaftsordnung. Dabei lernt er Christine (Lola Créton) kennen, die für die gleiche Sache kämpft wie er, und verliebt sich in sie. Neben der Liebe entdeckt er die Welt der Kunst und sein Interesse für Malerei und Film.

Sie rauchen wie blöd, wenn nicht Tränengas den Blick vernebelt. Dazwischen wird viel gelesen und konzentriert Musik gehört, die noch von der Schallplatte kommt. Ohne Computer haben die Jugendlichen verdammt viel Zeit. Aber irgendwann provozieren brutale Wächter eine ebenso brutale Reaktion, der Protest verliert seine Unschuld. Was bleibt, ist mehr als revolutionäre Romantik. Vor allem erstaunt die Sicherheit, mit der Gilles seinen Weg findet. Die von ihm vergötterte Laure, wird ihn zwar verlassen, doch sie beneidet ihn: "Du weißt, was du willst!" Er bewundert hingegen, dass sie im Jetzt lebt. Und im Jetzt wird sie (sich) verbrennen.

Nach „Carlos - Der Schakal" erzählt Olivier Assayas mit „Die wilde Zeit" eine autobiografisch angelehnte und sehr persönliche Geschichte. Er wolle eine verspottete und verkürzt dargestellte Periode zu ihrem Recht verhelfen, sagte er in Venedig, wo der Film 2012 den Preis für das Beste Drehbuch erhielt. Es sei schon politisch, die Komplexität von Situationen zu zeigen, meinte er zu Recht. Und er lässt über das heute nachdenken: Früher sah man die Jugendlichen viel Lesen, Malen, Reden und Revoluzzen. War ja genug Zeit da, ohne Internet. Die entscheidende Frage blieb aber gleich: Was willst du mit deinem Leben anfangen?

Playoff

BRD, Frankreich, Israel 2011 Regie: Eran Riklis, mit Danny Huston, Mark Waschke, Amira Casar, Max Riemelt, Hanns Zischler 115 Min.

Von seinem ersten coolen Auftritt an ist dies ein starker Film von Danny Huston. Er spielt den Star-Trainer Max Stoller, der mit Maccabi Tel Aviv Europameister wurde, und nun die Basketball-Nationalmannschaft zur Olympiade 1984 in Los Angeles führen soll. Dabei weigert sich der charismatische Mann, Deutsch zu sprechen und weicht Pressefragen über seine Vergangenheit unter den Nazis aus. Dabei ist er bei seiner Rückkehr in die Heimatstadt Frankfurt nach Jahrzehnten durchaus berührt, als er in seiner alten Wohnung, die nun von einer alleinstehenden Türkin bewohnt wird, einen alten Stuhl aus der Möbelmanufaktur seiner Familie findet. Fortan legt sich Stoller vor allem mit dem Mannschaftskapitän Thomas (Max Riemelt) an, dessen Vater sich als Wehrmachtssoldat erschossen hat. Gleichzeitig versucht der stille Trainer, der Türkin Deniz (eindrucksvoll: Amira Casar) bei der Suche nach ihrem verschwundenen Ehemann zu helfen. Stoller erweist sich groß in seiner Hilfe, aber braucht sie selbst am meisten...

Es ist nicht nur das Rätsel um den Tod von Stollers Vater, die dem exzellenten Film vom Israeli Eran Riklis („Cup Final", „Die syrische Braut", „Lemon Tree", „Die Reise des Personalmanagers") seine Kraft gibt. „Playoff", der auf einer wahren Begebenheit um den legendären Coach Ralph Klein basiert, ist psychologisch gleich auf mehreren Ebenen höchst spannend: Die Begegnung mit der Vergangenheit, die Anziehung durch eine fremde Frau, die Differenzen im Team, das Deutschland der 80er-Jahre, das gerade Dank des Eurovisions Grand Prix „Ein bisschen Frieden" gewonnen hat. Die exzellente und exakte Kamera-Arbeit von Rainer Klausmann zeigt es leicht angegraut auf eine derart selten gesehene, aber sehr stimmige Weise. Der Streit zwischen den Kindern der Opfer und den Kindern der Täter auf der einen Seite und das große Verständnis für Deniz Tochter Selma, weil auch Stoller in einem fremden Land groß werden musste, spannen einen historischen Bogen, der in einem der vielen kleinen Scherze ausgemessen wird: „Wir brauchten 40 Jahre, um von Israel nach Ägypten zu kommen, dabei ist es ein Spaziergang von drei Stunden", beschreibt Stoller ein israelisches Dilemma.

Huston gewinnt mit einer eindrucksvollen Präsenz und sagenhaftem Spiel. Der sehr kluge und komplexe Film ist aber auch in den deutschen Rollen toll besetzt: Neben Max Riemelt als trotzigem Kapitän darf Irm Hermann die Bäckersfrau geben. Selten erhielt übrigens ein Stück Schwarzwälder Kirsch so eine große dramaturgische Bedeutung. Als Stoller in einer sehr bewegenden Szene endlich einbricht, erinnert das an den Madelaine-Moment von Proust.

27.5.13

Nach der Revolution

Frankreich, Ägypten 2012 (Baad El Mawkeaa) Regie: Yousry Nasrallah, mit Menna Shalabi, Bassem Samra und Nahed El Sebaï 122 Min.

Die Arabellion Ägyptens wird so schnell immer wieder neu umgewälzt, weiter- und zurückgedreht, dass „Nach der Revolution", der bei den 65. Filmfestspielen von Cannes 2012 im Wettbewerb lief, schon ein Jahr später wie ein historisches Dokument wirkt. Gleichzeitig gewährt er einen interessanten Insider-Blick auf die Brutalitäten während der Umstürze sowie gesellschaftliche Verwerfungen davor und danach.

Es sind zwei Welten, die sich hier in Kairo und Umland begegnen: Reem (Menna Shalabi) ist eine moderne Ägypterin mit eigenem Job in der Werbebranche und auch unabhängig von ihrem Mann, von dem sie sich gerade trennen will. Sie trifft sich in Polit-Gruppen, die für die Rechte der Frauen eintreten. Als Reem außerhalb der Stadt, bei den Pyramiden, dem Reiter Mahmoud (Bassem Samra) begegnet, reagiert sie erschrocken und fasziniert angesichts dieser rauen Männlichkeit. Hier draußen leiden alle Reiter, weil durch die Revolution der Tourismus und damit ihr Einkommen versiegte. Aber Mahmoud ist zudem geächtet, weil er bei einem Massaker auf dem Tahrir-Platz am 2. Februar 2011 zu den gekauften Reitern gehörte, die brutal auf die Demonstranten einschlugen. Mahmound wurde dabei vom Pferd gerissen und verprügelt. Das alles, mit Handys aufgenommen und verbreitet, macht ihn unter seinen Mittätern und unter den Revolutionären zum Geächteten. Anfangs entwickelt sich eine vorsichtige Romanze zwischen Reem und Mahmound, welche die Frau sehr erfüllt. Doch der gesellschaftliche Druck vor allem der politischen Gruppen Reems macht eine gute Entwicklung unmöglich.

Von dokumentarischen Aufnahmen der Kämpfe auf dem Tahir-Platz bis zu Spielszenen an einer riesigen, symbolträchtigen Mauer, die Nachbarn vom Geschäft mit den Großen Pyramiden abschneidet, erzählt der ägyptische Regisseur Yousry Nasrallah mittels seiner Liebesgeschichte in Zeiten der Revolution viel vom aktuellen Ägypten. Die soziale Trennung, die unterschiedlichen Geschlechter-Rollen in verschiedenen Gesellschaftsschichten, das Leben in der Stadt und auf dem Dorf, der traditionelle Umgang mit den Pferden und trotz Armut der Wunsch der Jungen, auch Reiter zu werden - „Nach der Revolution" ist reich an Einblicken in diese Region. So ist es fast ein journalistischer Film, der aber als Antriebskraft die Emotionen seiner gut gespielten Protagonisten und seine reizvollen Bilder nutzt. Yousry Nasrallah war Schüler des 2008 verstorbenen Youssef Chahine, der 1997 die Goldene Palme für sein Lebenswerk erhielt.

To the Wonder

USA 2012 Regie: Terrence Malick, mit Ben Affleck, Olga Kurylenko, Rachel McAdams, Javier Bardem

Auftakt und Ende einer Liebe zwischen den Kontinenten - ist das als Thema zu klein für Terrence Malick („The New World", „Der schmale Grat"), der in seinem sensationellen Cannes-Sieger „The Tree of Life" gleich die ganze Schöpfung mit verfilmte? „To the Wonder" erzählt von der französichen Felseninsel Mont Saint Michel (das Wunder) bis zu irgendeiner amerikanischen Vorstadtsiedlung in Oklahoma, wie sich die lebhafte Ukrainerin Marina (Olga Kurylenko) und der zurückhaltende Amerikaner Neil (Ben Affleck) verlieben, auseinanderleben, im Streit zerfleischen und trennen. Denn Marina fühlt sich fremd, zweifelt an der Beziehung und sucht Beistand beim katholischen Geistlichen Pater Quintana (Javier Bardem). Der wiederum zweifelt am eigenen Glauben und konfrontiert sie mit der Frage, ob eine Liebe überhaupt ewig halten kann. Dann taucht auch noch Neils Jugendfreundin Jane (Rachel McAdams) auf. Aus dem Wunder Liebe wird ein zerfleischender, grausamer Krieg.

Malick, der nie öffentlich auftritt, stellte den betörend schönen Film für seine Verhältnisse rasend schnell fertig (und hat gleich noch drei andere Projekte in den letzten Zügen). Seine Filme sind keine bebilderten Geschichten, sondern Gedichte, bestenfalls Sonette, die neben ihren eigenen optischen Harmonien auch etwas erzählen. So zeichnen Flugzeuge Marinas Sehnsucht an den Himmel. Ihre Tochter Tatjana aus erster Ehe ist anfangs von dem neuen Freund begeistert, will aber dann schnell weg aus den USA weil "hier etwas fehlt". Das Land ist hier bestimmt von Zäunen, man kann es nicht an diesem oder jenen festmachen, aber man fühlt sich direkt nicht wohl. Da braucht es nicht den Seitenstrang um vergifteten Boden und Gewässer in der Nachbarschaft.

„To the Wonder" ist wieder komplett von einem symphonischen Score unterlegt. Figuren sprechen selten vor der Kamera, brauchen sie auch nicht, denn die kurzen, manchmal traumhaft schönen Einstellungen ergänzen sich zu intensiven Gefühlen. Ben Affleck („Argo", „Pearl Harbour") steht der steife, immer mehr sich zurückziehende Mann. Olga Kurylenko („James Bond 007 – Ein Quantum Trost", „7 Psychos") gibt ein ganz fragiles Wesen, zu dem die Leichtigkeit von Malicks Aufnahmen passen: Wassernebel schweben ebenso durch die Bilder wie Tücher oder Staubteilchen im Luftzug. So ist „To the Wonder" vielleicht tatsächlich ein schwächerer Malick, aber immer noch einzigartig und herausragend im allgemeinen Rauschen des Kinos. Auf jeden Fall sehenswert und mit das Beste, was gerade im Kino läuft.

22.5.13

Der Dieb der Worte

USA 2012 (The Words) Regie: Brian Klugman, Lee Sternthal mit Bradley Cooper, Jeremy Irons, Dennis Quaid, Olivia Wilde, Zoe Saldana 102 Min.

Wenn ein Film seine Geschichten in Zwiebelform verschachtelt, ist das im besten und im schlechtesten Fall zum Weinen. „Der Dieb der Wort" ist ein Verzwirbler der letzteren Art: Drei Erzählungen, die herzergreifend sein wollen, gewinnen auch nicht, wenn man sie ineinander steckt.

Der junge New Yorker Schriftsteller Rory (Bradley Cooper) ist einer der vielen Erfolglosen, die noch kein Buch veröffentlichen konnten. Als bei einer Parisreise im Trödelladen ein altes Manuskript findet, zögert er kurz, gibt es dann aber als sein eigenes aus und hat riesigen Erfolg damit. Die Zweifel nagen allerdings in ihm und irgendwann tritt ein alter Mann auf, der sich als eigentlicher Autor zu erkennen gibt und das schlechte Gewissen anfeuert. Ein kleines Drama, mit einer bedrohten Liebe als Zugabe. Zwischendurch erzählt der Film dann die Geschichte des Manuskripts, vom amerikanischen Soldaten, der sich am Ende des Weltkriegs in eine Frau aus Paris verliebt, diese aber ebenso wie das gemeinsame Kind verliert. Auch ganz herzlich rührend vielleicht, aber wie müssen ja auch noch miterleben, wie ein anderer Autor, der die beiden anderen Geschichten schrieb, bei einer Lesung sehr ungewöhnlich auf die Avancen einer jüngeren Frau reagiert. Das ist eindeutig zu viel des Mittelmäßigen, auch weil nur Jeremy Irons als alter US-Soldat und in Maßen Dennis Quaid als zynischer Mann der Rahmengeschichte gut spielen. Dieser Film ist eher ein Dieb der Zeit.

Das Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte

BRD 2012 Regie: Steffen Zacke, mit Hanna Merki, Michael Kranz, Jasmin Barbara Mairhofer, Oliver Karbus, 89 Min.

Märchen sind beliebt bei groß und klein. Wobei man hier von großen und kleinen Produktionen reden kann: Schneewittchen wurde gleich zwei Mal in einer üppigen Hollywood-Version verpunkt. Mal geht es mit Horror im Körbchen in den Wald, mal ähnelt die Fantasy den grimmigen Filmen von Terry Gilliam. Dagegen scheint es eine kleine deutsche Gesellschaft schwer zu haben, doch es gibt sicher auch das eine oder andere Märchen, dass vom Erfolg eines Däumlings gegen übermächtige Riesen erzählt. So gelingt es dem „Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte" mit viel Witz und Charme zu begeistern.

Prinzessin Clara (Hanna Merki) ist das Aschenbrödel am Hofe. Ein Tollpatsch und einzige sympathische Person hinter den sieben Bergen, dazu wird sie von der Schwester und deren Freundinnen zum hässlichen Entlein gemacht. Alle sagen ihr, sie würde niemals eine richtige Prinzessin sein. Da ist guter Rat teuer, zumal ausgerechnet der Hofnarr Michel ihr Berater ist. Clara gesteht sich in der klassischen Spiegel-Szene ein: „Ich schaffe es einfach nicht, so zu sein, wie die anderen es wollen." Sie kann einfach nicht wie eine richtige Prinzessin sein. Die letztendliche Lösung (auch von 99 Prozent der anderen Kinderfilme), zu akzeptieren, wie man ist, verkündet der Narr schon nach zwanzig Minuten. Doch Clara glaubt, sie müsse nun wie in einem Märchen ihr Glück finden und probiert einige Vorlagen aus.

Auch den Rest könnte man als vorhersehbar zur Seite legen: Ein paar Animationen gemäß Märchenbuch sorgen für witzige Variationen bekannter Geschichten. Doch Clara kann halt den Frosch nicht an die Wand werfen. Frösche küssen in Serie ist jedoch machbar - bis sich einer wenigstens in ein Huhn verwandelt.
Auch die Sache mit dem Rotkäppchen klappt nicht richtig, weil die schwerhörige Großmutter eine mehrere Meter lange rote Mütze strickt. Alles scheitert auf herrlich komische Weise bis Prinz Ermelin (Pascal Andres) mit einem selbstgeschnitzten Fahrrad auftaucht: Komm mit mir, dann können wir gemeinsam seltsam sein...

Nur auf den ersten Blick ist „Das Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte" auf Basis von Susanne Straßers gleichnamigem Kinderbuch in Schauspiel und Inszenierung bodenständig. Da ergeht es dem Film wie der Prinzessin Clara, an Äußerlichkeiten haben beide nicht viel zu bieten, aber sie haben das Herz am richtigen Fleck und gewinnen die richtigen Zuschauer mit viel Charme. Großen Anteil daran hat die sympathische Hauptdarstellerin Hanna Merki. Dank der kecken Art und Dickköpfigkeit ihrer Clara wird das „Märchen" zu einem sympathischen Zeitvertreib, der auf beste Weise an Kinder- und Jugendfilme „aus dem Osten" erinnert. Aber das ist wieder ein anderes Märchen aus alten Zeiten.

21.5.13

Mutter und Sohn

Rumänien 2012 (Child's Pose / Pozitia Copilului) Regie: Calin Peter Netzer, mit: Luminita Gheorghiu, Bogdan Dumitrache, Natasa Raab, Florin Zamfirescu ca. 90 Min.

Die dramatische und universale Beziehungsgeschichte zwischen „Mutter und Sohn" vor dem Hintergrund krasse sozialer Unterschiede Rumänien gewann überraschend den Hauptpreis der letzten Berlinale. Damit wurde die überaus lebendige und reizvolle neue Filmwelle des Landes gewürdigt. Die Geschichte einer Befreiung in tragischen Umständen ist aber auch sonst sehenswert.

Ein Raserduell auf nächtlicher Strecke: Zwei Männer mit mehr PS als Verstand unter der Haube müssen sich irgendwas beweisen und nachher liegt ein Kind tot auf der Straße. Der junge Fahrer wird von den Verwandten des Opfers fast gelyncht. Doch dann startet das wahre Unrecht seine Maschinerie.

Cornelia, die Mutter des Mörders, eine reiche wie unterbeschäftigte Architektin, Gattin eines Chirurgen, legte ihre kaltherzige Schminke auf, stürmt das Polizeibüro und aktiviert gleichzeitig, mit Smartphone bewaffnet, ihre Beziehungen. So hält der verständliche Widerstand der einfachen Polizisten gegen Korruption und freche Überrumpelung nur ein paar Stunden. Dann ist der Sohn Barbu frei, Dokumente werden gefälscht, an Beweisstücken kräftig manipuliert.

Nun erwartet man ein soziales Drama darüber, wie ein verwöhnter Raser und Kinds-Mörder mit Hilfe seiner einflussreichen Mutter der Gerechtigkeit entkommt. Doch der Film bleibt bei der reichen Familie und baut ein anderes Drama auf: Barbu könnte sich freuen oder Schuldgefühle haben oder irgendwas machen. Aber er ist nur damit beschäftigt, die Umklammerung seiner Mutter zu verhindern. Dabei hat der Mann einen Beruf, eine Frau, die ein Kind mit in die Beziehung brachte, eine eigene Wohnung. Doch der Mann wird immer noch wie ein kleiner Junge behandelt und verhält sich auch öfter so. Aber er hat es tatsächlich schwer: Hemmungslos durchsucht Mama seine Wohnung, korrigiert die Lektüre am Bett, schnüffelt in allen Ecken und kritisiert noch viel mehr.

Es dauert lange in diesem nicht immer packenden Film, bis ausgerechnet der verantwortungslose Unfall dem Sohn die Gelegenheit gibt, dem Griff der übermäßig fürsorglichen, ekelhaft reichen und korrupten Mutter zu entkommen. Denn die Versuche, alles mit Geld zu regeln scheitern. Die Reiche und der Täter müssen sich der Familie des Opfers stellen und dabei gewinnt der Film endlich an Dramatik. Denn als wirkliche Anteilnahme und echte Verantwortung für das eigene Handeln gefragt ist, emanzipiert sich Barbu endlich.

Schon dass die „Opferung" eines Kindes nur als dramaturgischer Auslöser für einen wenig weltbewegenden Luxus-Konflikt inszeniert wird, macht „Mutter und Sohn" nicht unbedingt sympathisch. Genau wie seine Hauptfigur, die von Luminita Gheorghiu eindrucksvoll widerwärtig gespielt wird. Doch es müssen ja nicht alle ihre Kamera auf die echten Probleme richten, wie man es gerne bei Ländern mit großem Wohlstandsgefälle wie Rumänien oder Deutschland erwartet. Unter diesem Verzicht ist „Mutter und Sohn" eine gute Psycho-Zeichnung und so beschränkt sogar gelungen.

15.5.13

Cannes 2013 Eröffnung

Cannes. Eine große Show war es immer und wird es wieder sein: Wenn mit Baz Luhrmans „Der große Gatsby" am Mittwochabend die 66. Filmfestspielen von Cannes (15.-26. Mai) eröffnet werden, ist ein großes Spektakel garantiert: Der Regisseur von „Moulin Rouge" und „Romeo und Julia" legte sein Remake des Dramas mit Robert Redford aus dem Jahre 1974 als optische und musikalische Orgie an. Neben der Frage, wie sich heute Leonard DiCaprio in der Moulin Rouge-Umgebung hält, irritiert das Timing dieser Eröffnung das Fachpublikum.

Kratzt sich Cannes am eigenen Lack, wenn die glamouröse Gala um „Der große Gatsby" etwa parallel zu der nicht so ganz spektakulären „Ladys First"-Vorführung des Films im Aachener Cineplex stattfindet? Und außerdem in vielen Ländern schon regulär im Kino startet? Zwar verkaufte sich Cannes schon öfter als maximal exklusive Startplattform, aber diesmal geht doch etwas Glanz die Cotè d'Azur runter.

Was wenige Stunden später mit dem echten Start des Wettbewerbs um die Goldenen Palmen vergessen sein wird: Weil mit Steven Spielberg der erfolgreichste und von vielen auch als der beste angesehene Regisseur seiner Epoche als Präsident der Jury (unter anderem mit Christoph Waltz) zu Gast ist, wollte man ihm wohl nur das Beste vom Besten vorsetzen. Die zwanzig Filme des Wettbewerbs beeindrucken im Vorfeld mit einer selten dagewesenen Qualitätsdichte: Die Brüder Coen, James Gray, François Ozon, Steven Soderbergh, Roman Polanski, Jim Jarmusch und Paolo Sorentino führen den Reigen der Regie-Stars an. Dazu werden die Leinwand-Stars fast nebenbei mitgeliefert - auch wenn das einige Glamourmagazine anders herum sehen mögen: Für die laufen zwischen den Highlights des Schaulaufens auf den berühmten Treppen zum Festivalpalast „ein paar Filme".

Man kann also bester Hoffnung sein, dass die Wettbewerbs-Auswahl das Beste ist, was gerade frisch vom Schneidetisch gefallen ist. Ausnahmen und Abwesende gibt es dabei immer wieder, eine ist in diesem Jahr besonders pikant: Lars von Trier kündigt ausgerechnet für den 16. Mai, den ersten richtigen Festivaltag von Cannes, Neues zu seinem sexuell provokanten Film „Nymphomaniac" an. Selbstverständlich außerhalb von Cannes, das ihn nach seinem ungeschickten Hitler-Vergleich 2011 von seinen heiligen Gefilden gebannt hat

Etablierte Herren-Riege
Die Abwesenheit von Frauen abseits des Blitzlichtgewitters auf dem Roten Teppich ist eine alte Leier, die man der Alt-Herrenriege von Cannes jedes Jahr vorwerfen muss. 2013, also ganz knapp nach den Suffragetten, der Frauenbewegung und Emanzipation, ist Valeria Bruni Tedeschi die einzige Regisseurin im Wettbewerb. Diese seltene Erscheinung - Cannes kann auch ganz ohne oder oben ohne - hat weniger damit zu tun, dass Bruni Tedeschi als Halb-Schwester von Carla Bruni die Schwägerin eines französischen Ex-Präsidenten ist, sondern vor allem damit, dass jeder ihrer bisherigen Filme ein übersehenes Meisterwerk war. Außerdem positionierte sich die Tochter eines Turiner Industriellen sowie ebenso exzellente Schauspielerin und Regisseurin in den sehr persönlichen „Actrices - Oder der Traum aus der Nacht davor" (2007) sowie in „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr" (2003) als wahrhafte und kämpferische Linke.

Der andere große Steven bei Cannes 2013, Nachname: Soderbergh, zeigt mit „Behind the Candelabra" seinen angeblich letzten Film. Darin geht Michael Douglas mit Matt Damon ins Bett, und zwischendurch laufen sie viel in Bademänteln rum. Denn Soderbergh, der meint, das Filmemachen biete ihm nichts Neues mehr, erzählt von einer großen Liebe des legendären Pianisten und Entertainers Liberace aus der Sicht des jüngeren Liebhabers.

Angesichts derartig viel Qualitäts-Glimmern muss man sich entscheiden, ob man sich genüsslich die Finger nach diesem Programm ableckt oder einen Finger in die Wunde namens „mangelnder Nachwuchs" legen will: Man kann nicht gleichzeitig eine einzigartige Ansammlung bekannter wie ausgezeichneter Filmemacher zusammenkehren und auf Entdeckungsreise unter den noch namenlosen, um den nächsten große Steven zu finden. Dafür gibt es im übrigen auch die Nebensektionen, in denen etwa das Spielfilmdebut „Tore tanzt" von Katrin Gebbe in der „Sektion Un Certain Regard" für Neugierde sorgt: Der Film handelt, inspiriert von realen Ereignissen, von dem Jesus Freak Tore, der in Hamburg bei religiösen Punks ein neues Leben beginnen möchte.

NRW groß mit dabei
NRW erweist sich erneut als starker Koproduktions-Partner. Zwei von drei deutschen Koproduktionen im Wettbewerb entstanden teilweise in NRW. „Only Lovers Left Alive" von Jim Jarmusch hat die Kölner Pandora Film - wie drei weitere Cannes-Beiträge - produziert und zu weiten Teilen in Nordrhein-Westfalen realisiert. Auch die NRW-geförderte internationale Koproduktion „Heli" des mexikanischen Regisseurs Amat Escalante startet im Wettbewerb. Dazu wird die in NRW gedrehte Pandora-Koproduktion „Der Kongress" von Ari Folman („Waltz with Bashir") die Reihe „Quinzaine des réalisateurs" eröffnen. Eine filmpolitisch starke Antwort auf Kritiker dieser Wirtschafts-Förderung, die sich gerne über Unterstützung von Kassen-Hits wie „7 Zwerge" aufregen.

Auch so zeigt sich das Festivalmotiv der 68. Ausgabe als schöne und hervorragende Wahl. Der klassische Kuss (aus dem Jahre 1963) zwischen Paul Newman und Joanne Woodward, die als Traum- und Ehe-Paar bis zum Tode Newmans 2008 fünfzig Jahre zusammen waren, symbolisiert in der Form des liegenden Paares und in seiner Mischung aus Showgeschäft und echten Gefühlen das Yin und Yang von Cannes: Glamour und Inhalt, Geschäft und Kultur, Oberflächlichkeit und tief gehender Inhalt balancieren sich immer wieder aus zu einem faszinierenden Tanz auf dem Vulkan der Bilder und Töne.

Der große Gatsby (2013)

USA, Australien 2013 (The great Gatsby) Regie: Baz Luhrmann, mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Joel Edgerton 143 Min.

Die große Premiere-Party fand in Cannes statt, deshalb übersetzen wir den Titel mal frei französisch in „Das große Deja vu". Man fragt sich bei der Neuverfilmung des Romans von F. Scott Fitzgerald und des Films mit Robert Redford aus 1974 (siehe DVD-Spalte) nicht nur, was Leonardo DiCaprio in Luhrmanns Vorgänger „Moulin Rouge" macht. Tobey Maguire erweist sich im Vergleich mit Ewan McGregor als der schwächere Erzähler und „Der große Gatsby" als der kleinere Film. Ein großes Spektakel ist es trotzdem - um mit Fitzgerald zu schreiben: ein Kaleidoskopischer Karneval...

Im Frühjahr 1922 zieht New York zieht der Möchtegern-Autor Nick Carraway (Tobey Maguire) nach New York, um am Börsenboom der Wall Street mitzuverdienen. Seine entfernte Cousine Daisy Buchanan (Carey Mulligan) wohnt mit ihrem reichen Ehemann Tom (Joel Edgerton) am gegenüberliegenden Ufer der Bucht. Neben Nick thront das Anwesen von Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), der ausufernde Parties schmeißt, zu denen halb New York herausfährt. Dass der arme („pennyless") Broker Nick als einziger wirklich eingeladen wird und der geheimnisvolle, unnahbare Gatsby seine Nähe geradezu aufdringlich sucht, hängt nur mit Carraways Verwandtschaft zu Daisy zusammen. Denn die eindrucksvolle Fassade von Reichtum, Prominenz und Lebensgenuss inszeniert Gatsby allein, um nach fünf Jahren der Trennung seine große Liebe Daisy wieder zu erobern.

Baz Luhrmanns neues Spektakel „Der große Gatsby" ähnelt in frappierend vielen Facetten seinem großen Meisterwerk „Moulin Rouge": Die Rahmenerzählung eines gebrochenen Autors an der Schreibmaschine, der wirbelnde Dirigent, der wahnsinnige Pianist, das Duell zwischen dem reichen und dem bettelarmen Verehrer. Dazu rasende Fahrten ins Zentrum der Party, diesmal über einen See, wobei eine Boje mit grünem Licht der Sehnsucht die rote Windmühle aus „Moulin Rouge" ersetzt.

Es ist gut nachvollziehbar, wie sehr die Opulenz der Zwanziger Baz Luhrmann gereizt hat: Der Art Deca-Stil, die wirbelnden Kleider im irren Charleston-Takt, ein „chemical madness" aus Pillen und Alkohol sowie selbstverständlich der Jazz in Zeiten von Prohibition. In einer kleineren Rausch-Szene eröffnen sich für den Beobachter Nick, der immer mittendrin, aber nie wirklich dazugehörig ist, in den Fenstern der gegenüberliegenden Fassade der unerschöpfliche Reichtum des Lebens. So ein magischer, fesselnder und berauschender Ausschnitt bietet auch „Der Große Gatsby" in vielen Momenten.

Wie immer ist der Soundtrack bei Luhrmann ein besonderer Hit: Verführten einst Lady Marmalade mit „Voulez vous coucher avec moi" ins wilde Paris, so ist es jetzt ein genialer Griff, das unter anderem Bryan Ferry mit dem stilgemäßen Bryan Ferry Orchestra "Love is the drug" und andere musikalische Anachronismen ins Mikro schmachtet.

Optisch kann man sich das 3D bis auf einige Effekten, die in New York den Sturz der Banken und der Banker vorwegnehmen sparen. Bemerkenswert nur noch ein paar feinere ästhetische Versuche, wie das Schneetreiben von Buchstaben im Winter der Erinnerung Carraways.

Leonardo DiCaprio steht der charismatische Millionär hervorragend, ein Flugboot-Verweis auf seine Rolle als Howard Hughes macht reiche Erfahrung auf diesem Gebiet noch klarer. Auch wenn Gatsby zusammenbricht und, im Innersten unsicher, um Anerkennung bettelt, vermögen das wohl wenige so glaubhaft darzustellen. Die Figur der Daisy kommt trotz Carey Mulligan („Shame", „Drive") Einiges zu kurz, denn wenn man den Vergleich zu Ende treibt, ist dies eigentlich die Liebesgeschichte von Carraway und Gatsby.

Das Original-Drehbuch stammte von Francis Ford Coppola, die Beziehung zur Bankenkrise von 2008 ist trotzdem offensichtlich, der Hype, der überbordende Lebensstil, die Blase von der Börse bis zu aufgeblasenen Persönlichkeiten mit ganz dünnen Innenleben. Aber letztlich, auch wenn in der Luhrmann-typischen Signatur dieses Films „Ein Leben in Angst ist nur ein halbes Leben" steht, ist das wirklich Große an Gatsby seine unerschöpfliche Hoffnung, die für Liebe Berge versetzt.

13.5.13

Paradies: Hoffnung

Österreich, BRD, Frankreich, 2012 Regie: Ulrich Seidl, mit Melanie Lenz, Joseph Lorenz, Michael Thomas, 92 Min. FSK: ab 12

Der Abschluss einer Trilogie sollte „die Sache" im besten Falle „rund" machen. Wenn das Diät-Paradies in Folge der ersten beiden Teile „Liebe" und „Glaube" allerding zu billigem Spott verführt, muss es zu mager ausgefallen sein. Und Ulrich Seidl sich die Frage gefallen lassen, ob das Material wirklich für drei Teile ausreichend war.

Was bisher geschah: Eine frustrierte, üppige Krankenschwester findet auch mit gekauften Loverboys im Afrika-Urlaub nicht das „Paradies: Liebe" (Cannes 2012). Ihre Schwester findet zwar durch Einführung eines Kreuzes mit dem Lieben Herrn Jesu und Kasteiung davor oder danach Befriedigung, doch der Ex-Mann, der im Rollstuhl zum strammen Muslim wurde, nimmt dem „Paradies: Glaube" zumindest das Alleinstellungsmerkmal und auch irgendwie die Reinheit der ausgestellten Barmherzigkeit (Venedig 2012).

Nun muss Melanie (Melanie Lenz), die übergewichtige Tochter der Liebes-Suchenden und Nichte der Gläubigen, rein in ein Diät-Camp und raus kommt ein dünner Film. Die Teenie-Gespräche der 13-Jährigen mit anderen Häftlingen der Österreicher Volks- und Sprachangehörigkeit könnten Doku-Soap sein. Oder Parodie. Zuerst wird altersentsprechend heimlich gefeiert, gesoffen, geraucht und gegessen. Die Verliebtheit Melanies in den schleimigen Diät-Arzt - ein naiver Kleine-Mädchen-Casanova - könnte zu einem spannenden Konflikt führen, doch alles läuft derart unterkomplex ab, dass erst die fast letzte Szene mit der coma-betrunkenen „Melli" und dem auf einer Waldlichtung an ihr herumschnüffelnden Arzt die Abstrusität üblicher Seidl-Geschichten hat. Der militärische Drill des schmierigen Sportlehrers und die immer wieder in albernen Formationen ins Bild gebrachte Kindergruppe des Guantanamo-Light-Imitats irgendwo in den Voralpen ist höchstens dekorativ und nur beim ersten Mal unterhaltsam. Hier laufen selbst die genau Kadrierungen Seidls, die es jetzt auch in eine Foto-Ausstellungen schafften, ins Leere. Das Spiel der nicht professionellen Melanie überzeugt nur in diesem Rahmen und stellt mit etwas Distanz betrachtet, die Frage, die Seidls Filme zwischen echtem Leben und Inszenierung sonst stellen. Wird es diesem jungen Menschen gut tun, so präsentiert oder gar vorgeführt zu werden. Es wird hoffentlich keine Folge-Doku über das Schicksal der Melanie L. geben.

Bis auf ein paar Insider-Scherze bringt die Verbindung der drei „Paradies"-Filme auch keinen Mehrwert, die Bezeichnung Trilogie ist dafür stark übertrieben. Die Hoffnung auf ein gutes oder sogar der Glaube an ein gesteigertes Ende der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl verflogen nach wenigen Minuten.

6.5.13

Schimpansen

USA 2012 (Chimpanzee) Regie: Alastair Fothergill, Mark Linfield 78 Min., FSK: o.A.

Eine „Geschichte mit Drama, Trauer und Freude" soll es werden, und dieses Affentheater hält, was Disney androht. Das Lebensdrama eines kleinen Schimpansen, der nach dem Tode seiner Eltern von einer anderen Sippe „adoptiert" wurde, ist eine vom Erzähler lustig interpretierte Inszenierung von Bildern, die schon ein wenig Sachverstand als manipulativ missbraucht erkennen lässt. Da heißen die Figuren Oscar und Scar, da wird Trauer oder Glück in die Gesichter behauptet. Anfangs beutet „Schimpansen" auch noch geschickt die Niedlichkeit seiner „Hauptfigur" aus - die Ähnlichkeiten zu „Bambi" sind unüberhörbar.

Doch mit der größten Unverschämtheit trumpft der angebliche „Tierfilm" gleich zu Beginn auf: Ein flotter Jazz Club-Song setzt eine ganz üble Tradition fort, schwarzen Jazz mit Affen in Verbindung zu bringen. Ja, auch das „Dschungelbuch" ist da nicht ohne! Massiver wirkt jedoch die andere üble -Disney-Tradition, die Vermenschlichung von Tieren in vermeintlichen Dokumentationen. Denn die bedenkliche Verfälschung und Verwurstung von dokumentarischem Material erschreckt hier noch einmal besonders, auch wenn sich so mittlerweile wieder fast jeder Tierfilm verhält. Da braucht es nicht die „Enthüllung" eines Forschers, dass sich beispielsweise die rivalisierenden Familien in Realität nie hätten begegnen können, weil ihre Territorien hunderte Kilometer auseinander liegen.

Trotzdem bieten diese „Schimpansen" zwischen den furchtbaren Kommentaren immer noch eine tolle Biologie-Stunde und ein faszinierende Aufnahmen aus dem Urwald. Den enormen Aufwand der Produktion kann man nur an der Qualität der Bilder aus allen möglichen Winkeln und aus unglaublicher Nähe erahnen. Hinzu kommen reizvolle Szenen in Zeitraffer vom Wachstum des Dschungels oder Luftbilder der geschlossenen Pflanzendecke.

Den Hauptdarsteller soll übrigens mittlerweile das Schicksal von vielen Lassies und Free Willys ereilt haben: Reichtum und Ruhm konnten einen frühen Tod nicht verhindern. Am Ende bleibt die Frage, ob man noch etwas Gutes in einem Riesenhaufen Affen-Dung finden will.

Smashed

USA 2012 (Smashed) Regie: James Ponsoldt, Mary Elizabeth Winstead, Aaron Paul, Octavia Spencer, Nick Offerman, 81 Min., FSK: ab 12

Es vergehen gerade mal eine Viertelstunde Film oder 24 Stunden Leben und Kate (Mary Elizabeth Winstead) hat eine heftige Nacht durchgezecht, vor ihrer Grundschul-Schulklasse gekotzt, bei ihrer Chefin eine Schwangerschaft vorgetäuscht, sich auf Crack ihr Auto stehlen lassen. Die Musik macht auf fröhlich, doch der Spaß ist trotz des sympathischen Gesichts der jungen Alkoholikerin bald vorbei. Sie pinkelt im Supermarkt zwischen den Regalen, wacht irgendwo an der Kanalisation aus dem Sauf-Koma auf. Ein erster Schluck Bier morgens unter der Dusche, einen aus dem Flachmann kurz vor der Arbeit. Kate ist tatsächlich sehr sympathisch - eigentlich und nur auf einem schmalen Grat. Vorher und nachher ist sie schwer erträglich.

Ihr spießiger Kollege Dave, der sich als seit neun Jahren nüchtern zu erkennen gibt, bringt sie endlich zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker, denn ihre Zustände haben sich von „peinlich zu beängstigend" entwickelt. Das größte Problem für Kate, die schon immer viel getrunken hat, ist dass alle, die sie kennt, ebenfalls Säufer sind. Bei der Mutter, die Kate will endlich mal wieder besucht, kulminiert das gesellschaftliche Problem, einfach mal nur ein Glas Wasser zu trinken. Weil halt auch die Mutter Alkoholikerin ist. Der kurze, kluge und sehr lebensnahe Film konzentriert sich auf die Auswirkungen des Ernüchterns auf eine Beziehung. Unter Tränen muss Kate erkennen „Ich kann nicht nüchtern und mit dir zusammen sein."

„Smashed" macht nicht auf Drama im Hollywood-Sinn, ist kein „Leaving Las Vegas". Dafür glaubt man, dass Kate und die anderen echte Menschen sind, man kommt ihnen nahe, fühlt mit. Nicht allein wegen der Handkamera sondern auch über das hervorragende Spiel von Mary Elizabeth Winstead („Abraham Lincoln Vampirjäger", „Death Proof - Todsicher"). Dass dies kein „Problemfilm" ist und einiges allgemeingültig ist, macht ein Satz von Kates Patin klar: Alle Menschen erführen das Leben mal als seltsam und frustrierend. Wobei die Anonymen Alkoholiker Mittel hätten, damit umzugehen. Wenn nach einem Jahr Nüchternheit das weitere Leben des Paares parallel gezeigt wird, macht der sensible Film das nicht besserwisserisch, sondern einfach nur traurig. Offen bleibt, ob Kate auch die Stärke gewinnt, sich aus der Abhängigkeit von einer ungesunden Beziehung zu lösen.

4.5.13

Starlet

USA 2012 (Starlet) Regie: Sean Baker, mit Dree Hemingway, Besedka Johnson, Stella Maeve, James Ransone 103 Min., FSK: ab 16

Ungewöhnliche Freundschaften sind die Stars der Kino-Geschichten. Diese zwischen einer nicht besonders hellen Blondine und einer einsamen alten Frau überrascht und berührt in gelungener Folge. Die Ernest-Hemingway-Urenkelin, das Topmodel Dree Hemingway, und als Newcomer die 86-jährige Besedka Johnson beeindrucken in der exzellent fotografierten und bewegenden Geschichte aus dem „Porn Valley" bei Los Angeles.

Zugegeben, nach Harmony Korines sensationellen „Spring Breakers" haben anscheinend völlig hohle Girlys an Respekt gewonnen. Doch die WG von Jane (Dree Hemingway), ihrer Freundin Melissa und beider „Manager" Mikey verspricht erst einmal keinen besonders bedeutenden Film: X-Box und Drogen bilden hier den Lebensmittelpunkt. Jane kümmert sich auch noch um den titelgebenden Handtaschen-Hund, der ebenso viel Strass trägt wie sein Blondchen. Dass und was die beiden jungen Frauen arbeiten, kommt eher beiläufig und spät heraus. Die Porno-Drehs alle paar Wochen laufen absurd nebenher, genau wie die Bemühungen von Vollpfosten Mikey, mit der Installation einer Strip-Stange im Wohnzimmer ein eigenes Geschäft aufzumachen.

Als Jane in einer Thermos-Kanne, die sie bei einem Garagen-Flohmarkt erstand, 10.000 Dollar
findet, zeigt sich ein überraschend gutes Herz. Einen Teil des Geldes leiht sie Melissa, was nur die Gier dieser falschen Freundin anfacht. Dann versucht sie den Rest in eher komischen Aktionen detektivischer Schläue dem wahren Eigentümer zurückzugeben. Doch das liebe Kind wird von der alten Dame und Voreignerin in sehr komischen Dialogen um die Definitionshoheit des Gefäßes zurückgewiesen. Trotz einiger Missgeschicke gelingt schließlich die Annäherung und Sadie erweist sich als sehr einsame und verschlossene Frau, die nur mit viel Liebesmüh aus ihrem Schneckenhaus gelockt werden kann. Jane setzt sich bei diesen Versuchen sogar einem Bingo-Turnier aus, um die Freundschaft der alten Dame zu gewinnen. Doch von dem gefundenen Geld hat sie ihr noch nicht erzählt. Das ist inzwischen auch von Melissa komplett verprasst worden, weil der blöde Hund das Versteck an die noch dummere Mitbewohnerin verriet. Trotzdem hat diese üble Gangster am Hals...

„Starlet" zeigt unter dem kalten Sonnenschein Kaliforniens die schöne Freundschaft einer Porno-Darstellerin und einer zurückgezogen lebenden Seniorin ohne die üblichen Zutaten anderer Buddy-Movies. Beiläufig lebt Jane in den Tag und so erzählt auch Sean Baker. Neben den Bildern, die „Trash" einer Randgesellschaft mit strahlender Ausleuchtung kontrastieren, vermittelt die Handlung mehr als der ersten Blick verrät. Geld spielt immer und überall eine Rolle. Männer kommandieren die jungen wie die alte Frau. Genau wie die Hauptfigur überrascht auch die Hauptdarstellerin, die als Model deklarierte Hemingway-Urenkelin Dree Hemingway. Gänzlich gelungen dann das Zusammenspiel mit der nicht nur ein paar Jahre älteren Debütantin Besedka Johnson. Bis zum offenen Schlussmoment, einem großen, schmerzlichen Verstehen Janes.

Stoker

USA, Großbritannien, 2013 (Stoker) Regie: Park Chan-Wook, mit Mia Wasikowska, Matthew Goode, Dermot Mulroney, Nicole Kidman, 99 Min., FSK: ab 16

Am Tag ihrer Volljährigkeit verliert India Stoker (Mia Wasikowskav) ihren Vater Richard (Dermot Mulroney) bei einem Verkehrsunfall. Die Trauerfeier lässt die 18-Jährige seltsam unberührt. Nur der plötzlich aufgetauchte junge Onkel Charlie (Matthew Goode), von dessen Existenz niemand wusste und der als einziger nicht schwarz trägt, interessiert und irritiert sie. In einer traumhaften Bewegung kreisen die beiden in der Trauergemeinschaft umeinander.

Das Mädchen India mit ihrem betrübten und immer ernsten Blick mag nicht angefasst werden und sieht Dinge, die andere nicht sehen. Genau wie dieser Film von Park Chan-Wook („Old Man"). In der Zeichenklasse bringt sie irre Muster aufs Papier, die sich nur auf der Innenseite der Vase befinden! Eine Spinne krabbelt ihr den Verlauf des Films über Stück für Stück das Bein hoch.

Die fassbarste Irritation bei „Stoker" stellt Charlie dar, mit diabolischem Glanz in den Augen. Er flirtet mit Mutter Evelyn (Nicole Kidman) und Tochter, hat leichtes Spiel beim Verführen der Witwe und beim Zuschauen lassen des reifen Teenagers. Dann ist das vierhändig virtuoses Pianospiel von Onkel und Nichte fast bis zum Orgasmus erotisch.

Dieser immer lächelnde, immer sehr korrekt angezogene Mann wirkt wie Indias Seelenpartner, er kennt sie tatsächlich bis in ihre dunkelsten Ecken. Sie wird sein Geheimnis jedoch erst sehr spät erfahren. Da hat die Gewalt bereits von der Familie Stoker Besitz ergriffen. Das Blut am Bleistift, das von einem übergriffigen Mitschüler stammt, wird schon genüsslich durch den Spitzer gedreht. Die Rache an einem Vergewaltiger gibt es in zwei Varianten, wobei die spätere ein ganzes Stück schockender ausfällt. Aber Indias Weinen danach unter der Dusche wandelt sich zur Erregung.

Gewalt und Verstörung sollten nicht verwundern bei Park Chan-Wook, dem Regisseur von so überragenden Filmen wie dem Cannes-Sieger „Oldboy" (2003), „Durst" (2009), „I'm a Cyborg, But That's OK" (2006) oder „Sympathy For Mr. Vengeance" (2002). Sein erster US-Film „Stoker", der keinen direkten Bezug auf den „Dracula"-Autor Bram Stoker nimmt, ist ein schöner, ein unheimlicher, kein eindeutiger und so ein auf reizvolle Weise verstörender Film. So seltsam wie einem die Koreaner in vielen ihrer Filmen vorkommen, wirken nun die bekannten Gesichter westlicher Schauspieler (Mia Wasikowska, Matthew Goode oder Nicole Kidman) in anscheinend zeitloser Umgebung. Vor allem die Szenen am Abendtisch zeigen einen Teenager in erstickenden Setting, im dunklen, verstaubten Horror der 60er Jahre. Hier und im Verschwinden der alten Küchenhilfe bekommt „Stoker" einen Touch von „Rosemaries Baby". Bis auf ein einzelnes Handy wirkt der Psycho-Thriller zeitlos, obwohl man an Indias Geburtsdatum errechnen kann, dass er Heute spielt.

Mia Wasikowska, die von der lieblichen „Alice im Wunderland" bis zur rauen Gangsterbraut in „Lawless" stark beeindruckte, macht auch „Stoker" zu ihrem Film. Nicole Kidman zeigt wieder einmal, dass sie keine gute Schauspielerin ist: Die Witze ihrer verkrampften Witwe sollen vielleicht unbeholfen wirken. Doch je öfter man sie und ihr Manierismen sieht, desto deutlicher wird die Beschränktheit ihrer schauspielerischen Mittel. Da die Geschichte in der Stimmung zeitweise recht nah an „The Others" kommt, kann man ihre Anwesenheit hier trotzdem tolerieren.

„Erwachsen und frei werden heißt, wir sind nicht verantwortlich für das, was wir sind!" Irritierend und reizvoll böse wie diese Entwicklungs-Geschichte einer jungen Frau sind auch die ästhetischen Mittel von Park Chan-Wook: Oft löst er seine Bilder geometrisch auf, so dass die Form noch mehr als der Inhalt fasziniert. Wie die Schuhschachteln, die bisher an jedem Geburtstag Indias die gleichen Schuhe brachten und nun einen geheimnisvollen Schlüssel, versteckt der Koreaner hinter bekannten Elemente und Symbole rätselhafte Stimmungen. Ihm gelingen zahlreiche geniale Szenen und ein Ende, das die Bilder des Anfangs auf schaurig schöne Weise umdeutet.