31.10.11

Die Höhle der vergessenen Träume 3D

Frankreich, Kanada, USA, Großbritannien, BRD 2010 (Cave of forgotten dreams) Regie: Werner Herzog 89 Min. FSK ab 6

Was 1994 in der Chauvet-Höhle im Süden Frankreichs entdeckt wurde und vorher durch einen Bergrutsch für Jahrtausende konserviert war, verwandelt sich durch Werner Herzogs Dokumentation „Die Höhle der vergessenen Träume" in einen höchst reizvollen Zeit-Spagat zwischen den ältesten prähistorischen Abbildungen der Menschheit und der aktuell neuesten Abbildungstechnik, dem digitalem 3D: Riesige, kristallverkrustete Grotten von der Größe eines Fußballfeldes sind mit den versteinerten Überresten riesiger eiszeitlicher Säugetiere übersät. Die Wände sind mit hunderten unberührten Gemälden bedeckt. Sie stammen aus der Zeit der Neandertaler, in der Höhlenbären, Mammuts und Eiszeitlöwen die beherrschenden Spezies in Europa waren.

Diese einzigartige Dokumentation hat alles, was einen großen Film ausmacht: Ein Geheimnis, nie vorher gesehene Bilder und zutiefst Menschliches. Einzigartig ist „Die Höhle der vergessenen Träume" weil die hermetisch abgeschlossene Höhle nur für ganz wenige Wissenschaftler zugänglich ist. Herzog dokumentiert auch die durch restriktive Regeln eingeschränkten Dreharbeiten. Der Regisseur durfte mit nur vier Mitarbeitern ein paar Stunden in den Grotten drehen. Da ist 3D schon wieder ein Widerspruch, weil es einen höheren Aufwand bedeutet. Vielleicht wegen dieser Beschränkungen vertraut Herzog leider nicht auf seine Aufnahmen aus der Höhle, er sucht auch die Reaktionen in den Gesichtern der Besucher und Arbeiter und verlässt die Höhle für ein paar Exkursionen zu anderen Ausdrucksformen früher Menschen, vor allem die aus einem Mammut-Zahn geschnitzte „Venus vom Hohlen Fels" und ihren Schwestern.

Dabei ist Herzog am stärksten, wenn er anhand der atemberaubenden Funde fantasiert oder sie still wirken lässt. Die einzige Zeichnung eines Menschen, könnte in Verbindung von Frau und Bison eine Minotaurus-Geschichte erzählen. Kratzer von Bärentatzen und verschiedenen Gemälden überlagern sich. An anderer Stelle die Handabdrücke einer individuellen Person, erkennbar an ihrem verkrüppeltem kleinen Finger. Paläontologen kümmern sich um die vielen Knochen von teilweise ausgestorbenen Tieren, Schädel, die von glitzernden Calzit überzogen, wie glasiert wirken. Einmal bittet einer der Führer um Ruhe, damit man den Herzschlag hört, den eigenen oder den der mit Kohle eingefangenen Tiere. Zu der schwer vorstellbaren Zeitspanne, die dieser Bilder überbrücken, passt die mittlerweile komplette Digitalisierung der Höhlen per Laser. Typisch für Herzog dabei die Frage an einen Archäologen, der aus dem Zirkusmilieu stammt: Was erfahren wir durch die Bilder von den Träumen der prähistorischen Künstler? Der junge Franzose erzählt daraufhin, dass er nach den ersten Tagen in der Höhle immer von Löwen geträumt hat, von realen, nicht gemalten. Schon die Gegend mit dem Tal der Ardèche und einem natürlichen Brückenbogen liefert reichlich Material für mythische Träumereien. Herzog kommentiert dies selbst mit seiner fast flüsternden, still bewundernden Stimme.

Je weiter sich der Film jedoch von Chauvet entfernt, umso seltsamer werden dabei die Interviewten: Es gibt stolze Wissenschaftler, die beherrscht aufgeregt Neanderthaler-Flöten vorstellen. Schrate, die im Dienste einer experimentellen Archäologie in Felle gehüllt vor der Kamera stehen, während im Hintergrund eine Schnellstraße zu sehen ist und einen Parfüm-Designer, der weitere Höhlen erschnüffeln will.

Acht Beine bei einem Bison, die vielleicht Bewegung darstellen, werden selbstverständlich als Vorform des Kinos angesehen. Um schon mal für zukünftige Historiker vorzudenken, ist es bemerkenswert, dass zwei Deutsche - Wenders und Herzog - die neue Technik der 3D-Dokumentation so virtuos aufgreifen. Man kann an den Königsberger Kameramann Karl Freund und an seine „fliegende Kamera" im Stummfilm Murnaus denken. Aber angesichts dieser Zeichnungen ist das wirklich nur eine Fußnote der darstellenden Kunst.

Herzog wäre nicht der international geachtete Denker mit der Kamera, wenn er dem Film nicht ein ebenso atemberaubendes Postscript anhängt: Er verlängert sein philosophieren über den Wert der Kunst für die Entwicklung des Menschen zu einer absurden tropischen Biosphäre die von den Kühlwassern eines Atomkraftwerks an der Rhone aufgeheizt wird. Die Krokodile gedeihen dort prächtig, ebenso ihre Mutationen. Die Eiszeit ist gar nicht so fern und 30.000 Jahre Entwicklung können scheinbar leicht manipuliert werden.

Nur für Personal!

Frankreich 2010 (Les femmes du 6ème étage) Regie: Philippe Le Guay mit Fabrice Luchini, Sandrine Kiberlain, Natalia Verbeke, Carmen Maura, Lola Dueñas 107 Min.

Heutzutage sind Dachwohnungen in der Stadt heiß begehrt - früher wurde dort das Personal in sommerlicher Hitze und der Kälte des Winters ohne fließend Wasser und Toiletten untergebracht. Dass dieses „früher" mit den Sechziger Jahren noch gar nicht so weit zurückliegt, zeigt der sehr schöne, sozial- und auch sonst romantische Film von Philippe Le Guay „Nur für Personal!". Mit bestem französischem und spanischem Personal besetzt, führt er einige Jahre vor den 68ern in einem Pariser Mietshaus eine kleine Revolution auf.

Eigentlich eine Lachnummer, dieser steife Aktienberater Jean-Louis Joubert (perfekt: Fabrice Luchini): Im Kontor gewissenhaft und korrekt, die Ehe zuhause mit Frau Suzanne Joubert (herrlich zickig: Sandrine Kiberlain) scheint ebenfalls mehr auf Kalkül als auf Leidenschaft zu basieren. Bis ein neues spanisches Hausmädchen aufgetaucht, eingeführt von ihrer Tante Concepción Ramirez (Carmen Maura). Die Toast sind zwar angebrannt und die Eier zu hart, aber der Streit mit María Gonzalez (Natalia Verbeke) ist leidenschaftlich. Aus der kleinen Gefühlsregung wird eine große - langsam und kaum auffällig, wie es sich für einen Joubert aus der besseren Gesellschaft gehört.

Der Patron, der Ewigkeiten nicht mehr in der 6. Etage mit den Dienstboten-Wohnungen war, zeigt sich plötzlich solidarisch, setzt sich ein und macht die Signoras glücklich. Joubert interessiert sich, lernt selbst spanisch. Als er sogar sein Telefon zur Verfügung stellt, ist er schon ein Heiliger. Auch Joubert selbst wird durch den Umgang mit den lebendigen Spanierinnen im Allgemeinen und María im Besonderen immer glücklicher, was für die verwöhnte Ehefrau, vom Nichtstun dauernd furchtbar erschöpft, noch unerträglicher ist. Aufgrund eines eifersüchtigen Missverständnisses - was sich vor ihrer Nase entwickelt, kann sie vor lauter Klassendünkel gar nicht begreifen - wirft Suzanne ihren Mann raus. Der zieht nun selbst in die 6. Etage, zufällig ist ein Zimmer frei, und für die traditionelle Concierge des Gebäudes steht die Welt Kopf. Nur ausgerechnet die zynische, bissige Kommunistin unter den Angestellten besteht auf Klassentrennung und reiht sich nicht in die allgemeine Freude ein. Hier, ohne Heizung und mit nur einem Wasserhahn auf dem Gang, fühlt Joubert sich endlich frei. Nun berät er die wunderbaren Frauen anlagetechnisch bis sie Aktienkurse lesen und genießt Picknicks mit Paella. Der steife Anlageberater macht sich nicht mehr lächerlich sondern locker.

Aus dem armen Kerl zwischen allen Fronten wurde ein Mann, der sein Leben in die Hand nimmt und dabei auch Grenzen von Konvention und Klassen überwindet. Er, der vorher Anteile an erfolgreichen Firmen hatte, nimmt nun Anteil an seinem Mitmenschen, selbst an den für einige unsichtbaren. Er ist Teil einer grandiosen Solidarität der spanischen Hausmädchen. Jean-Louis lebt auf wie nie zuvor, das Publikum genießt mit und amüsiert sich köstlich. Die liebenswerten Figuren dürfen die Klischees ihrer Rollen voll ausspielen aber auch variieren. Die stolze Spanierin María gibt sich nicht so einfach hin und macht Joubert zumindest das Liebesglück recht schwer. Doch etwas Zeit zum Nachdenken und zur Entwicklung schadet auch diesem wunderbaren Wohlfühlfilm überhaupt nicht.

Real Steel

USA, Indien 2011 (Real Steel) Regie: Shawn Levy mit Hugh Jackman, Dakota Goyo, Evangeline Lilly 126 Min. FSK ab 12

Dies muss der verschwitzt feuchte Traum eines jeden Boxers sein: Nie mehr Platzwunden, keine Gehirnschäden, keine Nasenbrüche oder abgerissene Ohren - höchstens mal ein verbogener Schaltkreis: In der Zukunft boxen nur noch riesige Roboter gegeneinander. Dass die ganze Sache mit der Entwicklung der Menschheit damit nicht wirklich vorangeht, wird sich am Ende zeigen. Bis dahin liefert die Papa-Sohn-Geschichte gute Unterhaltung für das Kind im Manne - jeder Altersstufe.

In einer Zukunft, die sehr nach Vergangenheit aussieht, wurde aus der alten Boxhalle ein Reparaturbetrieb für Kampf-Roboter. Bailey Tallet (Evangeline Lilly, Kate aus „Lost") flickt dort Schrotthaufen zusammen, die Charlie Kenton (Hugh Jackman) regelmäßig anschleppt. Der ehemalige Faustkämpfer versiebt alles, was er anfasst, und macht kräftig Schulden dabei, ist aber gewohnt, sich durchzumogeln. So passt es, als ihm gerade sein Kampfroboter von einem Stier demontiert wurde, dass Charlie sich mit viel Geld überreden lässt, die Vormundschaft an seinem 11-jährigen Sohn Max an dessen Tante zu verkaufen.

Den Sommer verbringt der Halbwaise allerdings noch bei seinem Erzeuger, und so gehen ein kleiner Fan und ein alter Hase zusammen auf Box-Tour. Der Sohn erweist sich schnell klüger als der Vater, der umgehend wieder alles zu verspielen scheint. Ein alter, simpler G2-Roboter vom Schrottplatz namens Atom wird Max zum Freund und erweist sich als schlagkräftiger Gegner. Schließlich bekommen die drei Underdogs sogar einen Kampf um den WM-Titel.

„Reel Steel" kombiniert den bekannten Star Hugh Jackman mit dem netten, noch kindlichen Gesicht Dakota Goyos - und es funktioniert. Psychologisch ist der Knirps Max weiter entwickelt als der Vater und analysiert diesen schon nach wenigen Stunden: „Du schmeißt alles weg, was du nicht brauchst!" Japanisch kann Max auch - von den Computerspielen. Das erstaunliche 11-jährige Genie baut zudem über Nacht mal kurz Spracherkennungs-Module in die Kampfmaschine ein. Wie der Roboter das Kind im Schatten-Modus imitiert, macht der Junge seinem Vater nach. Das sorgt für viel Spaß, nicht nur bei den flotten Tanzeinlagen, auch beim Wiedererkennen der Charakterzüge und vor allem bei den verkehrten Rollen mit ultranervösem Vater und coolem Kid vor dem ersten großen Kampf Atoms.

Dabei kramt Charlie seine alten Talente als richtiger Boxer wieder hervor, um den Roboter zu trainieren. Jetzt kommt die Rocky-Geschichte mit einem Touch Mad Max in die Gänge und wird auch noch spannend. Es gibt scheppernde Gladiatorenkämpfe, die Filmemacher werfen dazu eine Portion Sentiment in den Ring. „Reel Steel" ist dabei vielleicht nicht so unmenschlich, aber ebenso brutal wie echtes Boxen. Vor allem für Charlie zeigt sich die Verbindung von Mensch und Maschine als Quell großen Glückes. Wie der „Avatar" dem Querschnittsgelähmten zu einem neuen Leben hilft, so lebt der Boxer über Atom wieder auf. Am Ende kämpft „mann" ganz archaisch wieder in der Einstellung „manuell" gegeneinander, im Schatten-Modus und per Handsteuerung.

So liefert Bot-Fighting - trotz einiger technisch schwer erklärbarer Momente - ein interessantes Zukunftsbild: Nur das Boxen, also die Gewalt, hat sich weiterentwickelt. Das ist ziemlich treffend für eine Gesellschaft, in der millionen-teure Dronen ferngeststeuert morden, aber Autos und Laster immer noch Menschen überfahren, weil da an Sicherheitszubehör für ein paar Euro gespart wird.

25.10.11

Chronologie einer vermeintlichen Störung

20.Oktober 2011 - Pressetermin zur Ausstellung „Nie wieder Störungsfrei" im Ludwig Forum Aachen

Nie wieder störungsfrei ... wieso erinnert das an ein verzweifeltes „Nie wieder zweite Liga" eines finanziellen wie sportlich katastrophalen Provinzvereins? Wahrscheinlich weil der Verein bald in der fünften Liga jammern wird: Nie wieder zweite Liga. Und weil auch diese Ausstellung wohl völlig störungsfrei über die Bühne gehen wird. Was eine ernüchternde Erkenntnis angesichts dieser versammelten Fluxus- und anderen Aktionismen vergangener Jahrzehnte ist: Gemischte Gefühle gegenüber einer zwischen Provinzialität und ehemaligem, kurzem Kunstruhm schwankenden Sammlung von historischen Schätzchen und alten Bekannten aus dem Fundus von Ludwigs. Was allerdings sinnvoll ist, soll doch auch mit dieser Schau lokale Ausstellungsgeschichte gefeiert werden: 20 Jahre Ludwig Forum.

Aber was provoziert heute noch? Die Mittelseiten des Kulturmagazins Movie beta immer wieder mal. Wenn man Hitler und den Papst in einem Satz bringt, oder Flakhelfer und Messdiener. Oder wenn deutsche Soldaten mit einem Luftschlag 140 Afghanen umbringen? Neuer Highscore nach 1945! Oder reicht auch das nicht... Dann eine Regierung, die Steuergelder für Jahrzehnte am Parlament vorbei den Banker schenkt? Wann ist die nächste Occupy-Aktion?

Nichts davon im Ludwig Forum - der Titel lügt: Nie wieder störungsfrei. Was macht die Kunst derweil? Unverschämt viel Geld macht Gerhard Richter, von dem ein frühes Werk aufgehangen wurde, und der den aufgeblasenen Kunstmarkt selber kritisiert! „Störungsfrei" zeigt, wie die Kunst ihre Kinder frisst. Die Aufregung ist im Museum angekommen - an die Wand genagelt und in Bildschirmen eingefangen. Das macht so viel Spaß wie Sex im Film zusehen. Dabei sein wäre besser. Vielleicht doch zur nächsten Occupy ziehen und ein paar Banken enteignen ... als Kunstakt selbstverständlich, die korrumpierte Politik ist dazu nicht fähig.

Update 21.10.2011 - Inszenierte Störung, reichlich peinlich
Ohne dass der Puls auch nur einen Tick schneller ging und man sich irgendwie aufgestört fühlte, gab es am Morgen die Meldung eines Diebstahls von drei Fahnen vor dem Ludwig Forum. So angekündigt wie früher die Revoluzzer mit der gelösten Bahnsteigkarte stellte die «Redesign Aachen Fraktion» (RAF, uiuiuih!) Forderungen: «Hot Dogs für ein Euro im Foyer!, Bällebad in der Mulde!, Jeden Mittwoch Köttbullar! Zwecks Besucherumleitung hängen die Ikea-Fahren seit dieser Nacht am Ludwig-Forum.» Das roch sehr nach Designmetropole Aachen (designmetropole-aachen.de), denn wann immer was Spannendes passiert, sind die dabei. (Und es bleibt spannend, auch wenn man sich mittlerweile mit dem Kulturbetrieb angefreundet hat.)

Update 22.10.2011 - Angepasste Kunst für angepasstes Publikum
Zu Eröffnung am Freitagabend noch so ein künstlich inszenierter Aufreger: Personenkontrolle am Einlass, Metalldetektoren und dadurch lange Schlangen. Keiner murrt, dabei war auch diese Sicherheits-Beklopptheit eine Aktion der Designmetropole. (Hier werfe ich anderen keine Balken ins Auge, denn wir Filmkritiker lassen uns seit Jahren von hirnrissigen Kontrollen drangsalieren und wortwörtlich ausziehen, ohne dass Widerstand entsteht. Man verzichtet nur immer öfter auf den hochsicherheits-geschützten Hollywood-Scheiß.)

Nach Ausstellung mit und ohne Störung ist das Gesamtbild klar: Man sollte doch den emsigen und guten Leuten der Designmetropole Aachen direkt den Etat des Kulturbetriebes Aachen vermachen und das Ludwig Forum zur offenen Werkstatt umwandeln.

Nachtmeerfahrten

BRD 2011 Regie: Rüdiger Sünner 70 Min.

Etwas verspätet zum 50. Todestag (6. Juni 2011) bietet diese Bilderreise zu C.G. Jungs Leben und Lehren eine gute Einführung in das Universum des Begründers der analytischen Psychologie. Rüdiger Sünner, der zuvor „Abenteuer Anthroposophie" oder „Das kreative Universum" drehte, holt sein Publikum mit populären Kino-Figuren aus „Avatar" und „Star Wars" ab, um von dort zu archaischen Mythen zurückzugehen. Den Mythen, die Jung auch bei seinen Nachtmeerfahrten ins „Dunkle Unbewußte" aufsuchte.

Spätestens wenn Jungs Jugenderfahrungen zitiert wurden, die Gott nicht in der Kirche, sondern in der Natur, etwa in der Freundschaft mit einem Stein fanden, denkt man, „der hätte Schamane werden können"! Die Abfolge von Jungs Lebensstationen wird mit Kunstwerken von Geisteskranken, Freuds antiken Reliquien und auch Bildern aus dem „Roten Buch", in dem Jung unzensierte Träume und Visionen sammelte, unterlegt.

Der Kinostart dieser Dokumentation ist zwei Wochen vor Cronenbergs Jung-Spielfilm „Eine gefährliche Begierde" sehr geschickt getimt. Selbstverständlich ergeben sich Bezugspunkte (man erkennt Jungs Haus wieder), doch auch unterschiedliche Wertungen, vor allem was Jungs Affäre mit seiner ehemaligen Patientin Spielrein betrifft. Das Dreieck Jung/Spielrein/Freud wird ganz anders interpretiert, hier wird die Frau fallengelassen, bei Cronenberg geht sie erfüllt ihren eigenen Weg.

Doch neben dieser Episode widmen sich „Nachtmeerfahrten" vor allem Jungs Auseinandersetzung mit dem Dunklen über mehrere Jahrzehnte, etwa über seine Reisen zu den alten Kulturen in Afrika, Nordamerika und Indien, anhand derer er Defizite der europäische Kultur erkennt. Angesichts des Weltkrieges fragt er: „Warum töten wir unsere Brüder im Krieg, statt zuerst den Schatten in uns selbst zu besiegen?" Früh äußert er prophetische Warnungen vor der „blonden Bestie des Germanentums", das nicht vollständig christianisiert wurde. Trotzdem reitet er später auf der nationalsozialistischen Schlammwelle mit. Hier erweist sich - im Cronenberg-Film - Freud als Prophet, der spöttisch meinte, Jung könne den Antisemitismus nicht verstehen. Über Alchemie und den Mythos vom heiligen Gral kommt Jung später zur Vorstellung, das Dunkle nicht wie im Drachenkampf zu besiegen, sondern aufzunehmen und alchemistisch anzuverwandeln. Die interviewten Interpreten und Biographen, die an Jungs Antisemitismus schwer zu knabbern haben, führen das Konzept von Integration statt Vernichtung weiter von der Pädagogik bis zur aktuellsten Außenpolitik. Vor allem Eugen Drewermann verblüfft durch seine überzeugenden Schlüsse. Auch die Geschichte vom Physiker Wolfgang Pauli bringt Erstaunliches zutage: Durch eine tanzende Chinesin in seinen Träumen entdeckt dieser über Jungs Behandlung den Spin von Elektronen, der ihm 1945 den Nobelpreis einbringt.

Insgesamt stellen die „Nachtmeerfahrten" eine schöne, wenn auch in den Bildern konventionelle Einführung und eine Vorbereitung zu Cronenbergs „Eine gefährliche Begierde" dar. Die Fachleute können Details diskutieren, das breite Publikum darf weitgehend unbedrängt von Propaganda Gedankenbilder kennenlernen, die - auch angesichts des neu aufkommenden Religionswahns - immer noch brennend aktuell sind.

24.10.11

Eine ganz heiße Nummer

BRD 2011 (Eine ganz heiße Nummer) Regie: Markus Goller mit Gisela Schneeberger, Bettina Mittendorfer, Rosalie Thomass 95 Min. FSK ab 12

Eine furchtbar verklemmte, hinterwäldlerische Nullnummer - nur so dürfte dieses unsägliche Gähnstück heißen, bei dem sich selbst die treuesten ZDF-Zuschauer am Montagabend aufregen würden, weil nix passiert. Regisseur Markus Goller reitet auf der Regionalfilm-Welle und übernimmt gleich ein paar Darsteller von Rosenmüller für seine niedlichen Leutchen mit Dialekt - die san eh lustig!

Im Bayerischen Wald herrscht Wirtschaftskrise. Drei Frauen vom Tante Emma-Laden müssen für Hypothek und so in die Telefonsex-Branche wechseln. Total witzigerweise hat das Trio von Sex-Dingen so wenig Ahnung, dass man sich fragt, wieso der Landstrich um Regensburg nicht völlig entvölkert ist. Immerhin ist das Leben lustig mit Klogeräuschen und Verstopfungs-Dialogen, mit Hausfrauen-Yoga und trotz bösem Banker im BMW. Der Pfarrer betet für Arbeitslose und raubt den Klingelbeutel aus. Bis der Clou der dünnen Geschichte ohne Überraschung raus ist, dauert es 30 Minuten, in denen die hilf- und orientierungslosen Figuren nicht interessieren. Danach kommt das Filmchen auch nicht auf Touren, ihm fällt das Vergnügen ebenso schwer wie den Frauen das Stöhnen. Dazu grimassiert vor allem das Nesthäkchen Lena (Rosalie Thomass) wie auf der Laienbühne. Gisela Schneeberger tut einem als überqualifiziertes Kabarettisten-Urgestein schrecklich leid. Ganz entfernt erinnert das an „Die Herbstzeitlosen", die fidelen Schweizer Seniorinnen mit ihren sexy Trachten-Dessous. „Eine ganz heiße Nummer" hingegen würde es im TV nicht mal bis zur Werbepause schaffen, aber deswegen gibt es ja beim ZDF abends keine Werbung.

Poliezei

Frankreich, 2011 (Polisse) Regie: Maïwenn mit Karin Viard, Joey Starr, Marina Foïs, Nicolas Duvauchelle, Maïwenn 127 Min.

Überraschend in jeder Hinsicht ist dieser Einblick in Pariser Kriminalbüros, den die französische Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Maïwenn in „ Poliezei" gewährte und dafür in Cannes den Preis der Jury erhielt: Basierend auf wahren Fällen rekonstruiert sie die Arbeit einer Einheit, die sich dem Schutz der Kinder widmet. Die „Brigade de Protection des Mineurs" (BPM) zeigt zwar in Verhören von Verdächtigen und Gesprächen mit Opfern schockierende Taten und Einstellungen auf. Doch wie bei vielen guten Krimiserien spielt das meist zerrüttete Privat-Leben der Ermittler eine ebenso große Rolle. Das Team, das fast wie eine Familie und sicher auch ein Familien-Ersatz ist, zeigt einen lebendigen Querschnitt der Haut- und politischen Farben. Man ist für und gegen Sarkozy, die Roma-Siedlung räumt man aber nur, weil man die Kinder vor Prostitution und Kinderarbeit schützen will. Da gibt es die Mutter, die ihre Söhne abendlich befriedigt, damit sie ruhig schlafen. Den Großvater, der sich immer an der Enkelin reibt. Den Vater, der alles mit Grinsen zugibt und auf seine guten Beziehungen verweist.

Der mit einem dokumentarischen Gestus gefilmte „Poliezei" setzt eine Menge bekannter Schauspieler ein, Sandrine Kiberlain etwa kann als Mutter die eigenen und die Vergewaltigungen an der Tochter nicht ausdrücken. Wenn man auch schnell den Vergleich zum Cannes-Sieger von 2008 „Die Klasse" ziehen wird, „Poliezei" ist vielfältiger und jede unterschiedliche Szene sitzt. Da hat eine im BPM-Team ihre große Nummer auf arabisch und staucht einen Patriarchen zusammen, der seine Tochter als Besitz betrachten und meint, Frauen dürften ihm nichts sagen. Die erfolgreiche Rettung eines entführten Babies wird ausgiebig gefeiert und betanzt. Eine große Lachnummer und ein Denk-Mal über die Jugend von heute ist das Mädel, das mittels Blowjob ihr abgezocktes Telefon wieder bekommen will. Es sei doch ein Smart-Phone gewesen! Eine 14-Jährige meint sogar, die Alten sollten sich mal Updaten, es sei doch normal, in dem Alter zu vögeln und im Internet zu strippen. Das Ende ist wiederum völlig überraschend und irritierend offen.

Regisseurin Maïwenn spielt vor der Kamera selbst die Rolle der immer weniger distanzierten Fotografin Melissa. „ Poliezei" ist ihr dritter Film, sie hat als Schauspielerin allerdings auch schon in „The Fifth Element" mitgemacht.

23.10.11

Killer Elite (2011)

USA, Australien 2011 (Killer Elite) Regie: Gary McKendry mit Jason Statham, Robert De Niro, Clive Owen 116 Min.

Transporter vs. Driver

Euch geht es immer nur um die Action, nie um das Ganze! Ihr seht nie, wer und was hinter allem steckt! Diese heftige Publikumsbeschimpfung ist der Kernsatz eines harten Action-Thrillers, der gleichzeitig versucht, üble Militärränke und Ölgeschäfte anzuklagen. Beides gelingt nicht ganz, aber die von Jason Statham und Robert De Niro verkörperte Kombination aus Schlagkraft und Können ist spannend und interessant.

Wir befinden uns in der Wirtschaftskrise, der Ölkrise, im Chaos - des Jahres 1980. Danny Bryce (Jason Statham) und sein älterer Kumpel Hunter (Robert De Niro) sind in der Welt rumgekommen und haben überall Menschen umgebracht. Danny ist dabei auszusteigen, aber ein Scheich aus dem Oman nimmt Hunter als Geisel und zwingt dessen Freund so, drei britische Soldaten der Spezialtruppe SAS umzubringen, die drei Söhne des Scheichs umgebracht haben. Dazu will der alte Herr Geständnisse auf Video und es soll immer wie ein Unfall aussehen. Danny bringt tatsächlich den Krieg zurück zu den Aggressoren nach England, selbst ein mächtiger Geheimbund aus Bänkern und deren Wachhund Spike (Clive Owen) können die Erfüllung des Auftrags nicht verhindern. Am Ende merken beide Killer, dass sie von politischen Drahtziehern nur benutzt wurden. Doch das eigentliche Problem ist die Haltung Spikes: Der Kriegs-Veteran kann das Kämpfen und Morden einfach nicht sein lassen, während Danny „ Ausstieg sofort" will.

„Killer Elite" hat nichts mit dem Sam Peckinpah-Film von 1975 zu tun, dafür viel mit Ranulph Fiennes hochbrisanten Roman „The Feather Men" und den wahren Begebenheiten dahinter. Mit „Blut für Öl" kann man auch diesen schmutzigen Kriegseinsatz abkürzen. Das ist erhellend und erschreckend, ebenso wie die brutalen Morde des „durchgeknallten Hundes" Danny. Dieser ist allerdings keine unbesiegbare Kampfmaschine, so wie die eng gefilmten Nahkämpfe nicht nur Action-Spaß, sondern auch realistisch brutal sind. Zwar lassen sich im Zeitalter der Schnauzbärte und aufgemotzten Ford Capri die früheren Rollennamen der Duellisten „Driver" Owen und „Transporter" Statham wortwitzig aufeinanderprallen, doch wenige Minuten von DeNiro zeigen, dass Statham zwar eine populäre, aber keine gute Besetzung ist. So stößt sich in diesem Regiedebüt vor allem ein Stoff, der von Le Carré oder Graham Greene sein könnte, an lautem Action-Gehabe und uneinheitlicher Inszenierung. Diese im Rückblick menschlich erbärmliche „Killer Elite" ist nicht aus einem Guss, aber durchgehend spannend.

Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn 3D

USA, Neuseeland 2011 (The Adventures of Tintin) Regie: Steven Spielberg mit Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig 107 Min. FSK ab 6

Herrjeh! Hergés Comic-Reporter Tim in den Händen von Spielberg und das Ganze im unsäglichen Motion Capture-Trickverfahren... Doch nicht verzagt: Die mit modernster Technik trotzdem auch ungelenke Verfilmung von bis zu 80 Jahre alten Comics ist hochwertiges Kino-Popcorn. Es knallt immer überall und in einigen Szenen geht richtig die Post ab.

„Die Abenteuer von Tim und Struppi" sind ein munterer Stilmix aus Realfilm und Animation, aus Schauspielern und Zeichnungen, in dem sich letztendlich Spielberg durchsetzt: Vom rasenden Vorspann mit Schattenspielen und expressionistischen Perspektiven geht es direkt rein ins Getümmel eines Brüsseler Flohmarktes. Umrisse, Klamotten und Namen sind den Hergé-Comic nachempfunden, ein Straßenmaler darf kurz das Originalgesicht der ikonographischen Figur aufs Papier bringen, dann eröffnet eine Wand aus Spiegeln die Variationen. Die Mimik der Figuren ist dank des Motion Capture-Verfahrens ausdruckskräftiger als bei früheren Versuchen von Regisseur Zemeckis mit Tom Hanks („Der Polarexpress", 2004) oder Jim Carrey („Eine Weihnachtsgeschichte", 2009). Doch auch um Tim herum, den ein Schiffmodel ins Abenteuer stürzt, bleibt eine Mischung aus groben Physiognomien, Knubbelnasen, Pausbacken, Haartollen und echt lebendigen Augen. Im Hintergrund findet man noch ganz grob animierte Figuren, bis die vordergründige Handlung mitreißt.

Das frisch erstandene Schmuckstück wird dem Reporter bald entwendet, unsympathische Gesellen tauchen auf, die tollpatschigen Polizisten Schulze und Schultze wollen helfen und Kapitän Haddock sorgt für viel Chaos. Die simple, handlungsgetriebene Dramaturgie von Hergés betagten Geschichten erweist sich als ideal für eine Hollywood-Verfilmung, höchstens etwas dünn. Deshalb wurden mehreren Bände (u.a. Die Krabbe mit den goldenen Scheren, 1940; Das Geheimnis der „Einhorn", 1943) zu einer atemlosen Abfolge von Ereignissen komprimiert, die zwar nicht die historische Detailgenauigkeit des belgischen Künstlers übernimmt, aber sehr wohl mit dem Exotismus der Handlungsorte glänzt. Von Brüssel über Antwerpen geht es per Boot, Flugzeug und Kamel nach Marokko. Meisterstücke sind die Szenen, die sich von der Linearität des Comic und des einfachen Films befreien. Sobald Haddock deliriert, zwei Erzählebenen in zahllosen, feinen Bildideen verschmelzen, wenn eine atemberaubende Seeschlacht mit einem wahnsinnigen Tanz auf den Wellen in der Wüste visioniert wird, dann kommt Film an sich zu seinem Recht und Spielberg zeigt, was er auch kann: Nicht nur geschickt unterhalten, sondern auch einzigartige Szenen kreieren, die im Gedächtnis der Filmgeschichte bleiben. Ganz großes Kino halt. Hier ist Tim eher mit Indi Jones verwandt als mit Hergé und auch Spielbergs Piraten-Schlachten zwischen Peter Pan und „Hook" sind zu spüren.

Trotzdem steht dieser „Tim und Struppi" mittendrin in der Entwicklung einer Technik, die immer noch holperig wirkt. Dagegen ist der Stil Hergés - obschon Geschmackssache - in sich vollendet. In wenigen Jahren wird man über diesen Film befremdet schmunzeln. Das 3Dimensionale beherrscht er hingegen schon, seine Räume sind faszinierend und nutzen ihre Tiefe, sei es bei einem aberwitzigen Matrosen-Mobile mit Hai in enger Koje oder in einem marokkanischen Küstendorf, dessen Hanglage durch chaotische Verfolgungs-Action komplett samt Häusern ins Rutschen gerät.

Unterhaltsam gelingen die „Abenteuer" durch die Mischung aus meist alkoholisiertem Haddock-Humor, konstanter Spannung und großartigen Action-Spielereien. Charakterlich muss anfangs noch der Hund Struppi charakterliche Lücken auffangen. Später folgen die großen Szenen immer dichter und die nie verstummende Orchester-Nachhilfe (Musik: John Williams) hält alles vortrefflich beieinander. Darin finden sich kleine Perlen, wie die Kanarienvögel, die comic-gemäß um den Kopf eines Schwindelnden schwirren, aber dann ganz realistisch vom benachbarten Vogelhändler eingefangen werden. Zuvor blendete der unendliche Ozean des 14. Jahrhunderts in eine kleine Pfütze des gegenwärtigen Brüssels über. Solch cineastischen Kapriolen gibt es zahlreich, sie gipfeln in einem Säbelgefecht mit riesigen Hafenkränen. Derart lässt man sich gern mit harmlosen Geschichten unterhalten, die selbst aufklärerische Fragmente des Stubenhockers Hergé unter den Tisch fallen lassen. Klar wie der auch ohne Computer berechnete Erfolg ist noch etwas sehr Comic-Typisches: Fortsetzung folgt.

21.10.11

Ach so, sprach Zarathustra


„Heinz im Sinn & die Geteiltdurchs" spielten symphonisch in der Aula auf

Von Günter H. Jekubzik

Metallica machte es, Peter Gabriel auch, Sting macht sowieso alles: Wer schon jeden Erfolg hinter sich hat, vor Goldenen Platten keine Tapete mehr sieht, spielt irgendwann seine größten Hits symphonisch ein. Nun also auch „Heinz im Sinn & die Geteiltdurchs" potenziert mit dem Aachener Studentenorchester im Konzertsaal - oder der Aula der RWTH. Die Fanclubs brachten Reisewege von über 300 Kilometer hinter sich, Kopfrechnen brauchten sie trotz des philosophierenden Titels „Ach so, sprach Zarathustra" selten. Stattdessen die bekannten, trotz konstanter Selbstkasteiung weit über dem dumpfen Comedy-Sumpf stehenden Wortwitze, die hintersinnigen und auch mal herrliche platten Belustigungen der Aachener Kabaretisten-Truppe.

Vor exakt einem Jahr kam Benedikt Eschbach vom Aachener Studentenorchester anlässlich des Heinz-Liedes vom „Sockenfresser" auf die Idee, die einfach wirkenden Melodien des Quartetts orchestral aufzupimpen. Eschbachs Arrangements und die finale Performance nach nur drei gemeinsamen Proben begeisterte am letzten Samstag: Statt des erwarteten Clashs of Civilizations zwischen jungen Musikern und vier auch satt zotigen Herren, die nun schon seit zwölf Jahren „diesen Scheiß" (O-Ton Front-Denker Gerhard Horriar) machen, entstand Harmonie selbst in der gewollten Disharmonie bei „Lieder wie dieses". Durch den vollen Klangkörper der Symphoniker hörten sich die genial bis absurden Blödeleien plötzlich groß und gut an. Dieser Samstagabend bescherte tatsächlich den gleichen Effekt wie bei Gabriels „Scratch my back": Man kratzte sich am Kopf, weil so hat man die Lieder noch nie gehört. Derart gerieten auch die Klassiker des Vorgänger-Quintetts „Vakante Genies" zu neuen alten Bekannten.

Vor allem Michael „der Sohn des Lecters" Stetter entführte mit seiner neunminütigen „Hanniballade" namens „Morden, Morden" und der diabolisch hochgezogenen Augenbraue in einen epischen Serienmörderfilm, der unter die Haut ging. Auch das extrem eingängige Beatles-Cover „Westerwave" (bitte mitsummen: Yesterday...) über unseren, des Englischen unfähigen „Minister des Äußersten" (Horriar), schien schon immer auf richtige Streicher gewartet zu haben, um sich zu entfalten. Bislang gaben Jo Siemon und Stetter nur phantastisch pantomimisch den nicht vorhandenen Bass. 

Das alte, vakante Motto „Filmfein, Liedgut, Textgehtso" bewahrheitet sich in Bezug aufs Lied unerwartet, wobei beim einen oder anderen Wortwitz das Verständnis - akustisch oder geistig - in der Holzvertäfelung der altehrwürdigen Aula hängen blieb. Auch wenn dies nicht Prinzip war, wie bei der Kant-Vertonung vom „regulativen Prinzip der systematischen Einheit der Natur". Die spontanen Frotzeleien von Horriar, Siemon, Stetter und Keyborder Mathias Wien hielten sich in diesem Rahmen zurück, die Meinung darüber gehörten zu den „Geteiltdurchs" des Abends.

Nach der unplugged „Bushäuschentour 2009" (noch immer auf der Website von „Heinz im Sinn" verewigt), ein weiterer Höhepunkt der Band-Karriere, die sich unverständlicherweise nicht aus der Region raustraut. Denn Elder Germanist Gerhard Horriar stellte, rauchend wie Helmut Schmidt, zu Recht fest „dies könnte ein erfolgreiches Lied sein". Ein erfolgreicher Abend war es auf jeden Fall. Einer, der wiederholt werden sollte. Das Quartett ohne Orchester gibt es wieder am 28. Januar  2012 im Franz, Franzstraße, Aachen.

19.10.11

Scheitern, scheitern, besser scheitern! − Gert Voss im Gespräch mit Harald Schmidt

Scheitern, scheitern, besser scheitern! − Gert Voss im Gespräch mit Harald Schmidt

 

Regie: André Heller, Lukas Sturm

 

Porträt

 

filmedition suhrkamp

 

Zur Buchmesse und zum 70. Geburtstag der Schauspiellegende Gert Voss mal was Literarisches auf DVD: Harald Schmidt, bekennendes Theatergroupie, fotografierte schon in den Siebzigern in Stuttgart den R4 von Voss und folgte als Schüler legendären Liederabenden. Der ausgebildete wie erfolglose Bühnenakteur, der momentan wieder bei Sat1 brav zur Nacht talkt, nähert sich in der Rolle des talentierten Amateurs seinem großen Idol. Man sitzt am Garda-See und tauscht mit echter Begeisterung und enormer Sachkenntnis Anekdoten aus. Selbstverständlich über Claus Peymann und Peter Zadek. Tabori wird von Voss auch wunderbar im Tonfall wiederbelebt. Wusste man schon, dass Voss anfangs einen Papagei bei Bernhards "Immanuel Kant" synchronisierte? Ein herrlich hochintellektueller Kaffeeklatsch am groben Holztisch mit Ikea-Gläsern, in der Form nicht sensationell, eher eine Extended Version von Kluges „New & Stories", aber die Besetzung ist sagenhaft! Nach dem schönen Einblick in die großen Bühnen des deutschsprachigen Theaters darf Schmidt in den Outtakes seine Nicht-Erlebnisse mit Peymann referieren und den Unterschied zwischen Schauspieler und Kabarettist erklären. Das hatten wir schon mal.

Sündige Grenze DVD


BRD 1951

 

Regie: Robert A. Stemmle

 

„Sündige Grenze" ist ein Regional-Klassiker wie Printen oder ruinöse Fußballvereine. Die Panzersperren, die mittlerweile als Kunstwerke durch die Stadt laufen und real Ökoinseln bilden, dienten einst Schmugglerkindern als Sichtschutz vor den Zöllnern. Das war kurz nach dem vorletzten deutschen Krieg, dem 2.Weltkrieg. Die Mutter aller Aachener Heimatfilme zeigt wie die nächtlichen Kinder-Schmuggler namens Rabatze fröhlich singend im Versteck feiern und sich in der Schule ausschlafen. Es ging um Kaffee, aber auch Koks wurde eingetauscht. Nur noch eines war schlimmer: Ein geklauter Kirchenschatz aus dem Münster, denn hier sind noch alle gläubige Schäfchen. Diese erschreckenden Zustände beobachtet der betroffen dreinschauende Herr Fischer von der Kölner Universität. Er will die „wahre Geschichte" erfahren, später völlig visionär alle Grenzen abschaffen - der Film ist von 1951 - und wird von Dieter Borsche, damals ein deutscher Star, bierernst gespielt.

 

„Sündige Grenze" lockt mit dem Wiedererkennen der Örtlichkeiten: Ist das nicht Orsbach? Oder doch Berlin, wo zumindest alle Studioaufnahmen stattfanden? Auf jeden Fall ist der Busch-Tunnel original ins Bild kopiert. Ansonsten erzählt das Filmchen eine einfache Schmuggler-Pistole, einen Trivial-Krimi. Unter sehr heftig scheppernder Musik gibt es große, theatralische Gesten, die sich immer noch nicht ganz vom expressionistischen Stummfilm verabschiedet haben. Vorvorgestrig auch die Rollen: Moralisch und romantisch extrem bieder, Männer mit furchtbaren Klamotten und willige Weibchen. Hinzu kommt stellenweise dick Didaktik. Kurios ist, dass der Film immer noch „ab 16" firmiert, was für heutige Verhältnisse ein Witz ist. Die jungen Rabatzer-Helden von damals durften ihre eigenen Geschichten nicht sehen, jetzt können sie es auf DVD. Aber nicht wieder über die Grenze schmuggeln, denn das ist immer noch verboten!

18.10.11

Footloose (2011)

USA 2011 (Footloose) Regie: Craig Brewer mit Kenny Wormald, Julianne Hough, Dennis Quaid, Andie MacDowell 113 Min. FSK ab 6

Vorsicht: Auch wenn auf der Verpackung weiterhin „Footloose" steht, dies ist nicht mehr der 80er-Tanzfilm um einen jugendlichen Rebellen. Das Remake lässt einen klugen, verantwortungsvollen Jungen gegen eher verzweifelte als verknöcherte Südstaatler und deren Tanzverbot antreten. Ein anderer Film als der Kult von 1984, aber auch kein schlechter. Er setzt statt auf Konfrontation auf Köpfchen - auch wenn dieses noch im Rock'n'Roll-Stil gegelt ist und der aus einer Tanzshow bekannte Körper von Kenny Wormald darunter auch nicht ohne.

„Loose, footloose / Kick off your Sunday shoes ..." dieser Hit ist unter den ersten Bildern eine Zeitmaschine und man muss genau hinschauen, in welcher Zeit das Remake eigentlich spielt. So wie man bei den Cover-Versionen der Songs auch sehr genau auf Unterschiede lauschen muss. Doch wir sind in dem altmodischen Südstaaten-Nest Bomont und später wird demonstrativ die Sammlung alter Vinyl-Platten von Kevin Bacon rausgeworfen und ein iPod angeschlossen. Aber erst mal knallt es nach Party, Alk und Kuss am Steuer mächtig. Fünf Teenager sterben und anders als in Bayern, wo so eine Fahrt gut für die Parteikarriere ist, wird als Gegenmaßnahme neben Null-Promille ein Tanzverbot für Jugendliche erlassen. In dieser restriktiven Umgebung landet der junge Ren MacCormack (Kenny Wormald), nachdem seine Mutter in der Großstadt an Leukämie verstorben ist. Ren sieht aus wie ein Rock'n'Roller, ist aber trotz T-Shirt, Lederjacke und Gel- Tolle ein braver Rebell. Technisch raffiniert möbelt er den alten Käfer vom Onkel auf. Sozial gewitzt fügt er sich in die Abschlussklasse der High-School ein. Den Oberbully schießt er beim brandgefährlichen Crash-Rennen mit Autobussen ab, dessen neugierige Freundin, die auf unartig machende Pfarrerstochter Ariel (Julianne Hough mit Quietsche-Synchrostimme), lässt er lässig abblitzen: Ich werde dich küssen, irgendwann! Trotz James Dean-Look weiß Ren, was er tut. Zudem scheint er klüger zu sein, als alle Südstaaten-Dörfler. Völlig basisdemokratisch startet der bürokratische Rebell eine Petition gegen das Tanzverbot. Als diese trotz eindrucksvoller Rede an den Holzköpfen im Stadtrat abprallt, hat Ren eine andere Lösung, redet aber erst mal mit dem Prediger, dem Vater von Ariel...

Erst mal miteinander reden - nach diesem Motto verfährt auch der Film, der statt stereotyper Konflikte das Verständnis betont. Selbst den Priester-Papa, von Dennis Quaid hervorragend gespielt, kann man verstehen. Andie MacDowell hat sich als kluge Mama für ihre seltenen Auftritte eine gute Rolle ausgesucht. Ansonsten beeindruckt die aufklärerische Klugheit des jungen Helden: Ganz nebenbei stellt der Rationalist die mangelnde Trennung von Kirche und Staat in Frage und fragt überhaupt gerne mal ganz einfach. So hebelt der ehemalige Turner elegant die üblichen Verdächtigungen der Erwachsenen aus. Nun ist nicht alles Diskurs, die Disco kommt keineswegs zu kurz. Hier glänzt Hauptdarsteller Kenny Wormald mit echten Tanzszenen, mit dem Rausschleudern des sehr wohl vorhandenen Trauerfrustes in einem akrobatischen Turn-Tanz. Die beste Szene bleibt aber die Kindergarten-Tanzstunde von Rens lustigem Kumpel, denn witzig ist die kluge Kult-Kopie auch.

17.10.11

Die Haut, in der ich wohne

Spanien 2011 (La piel que habito) Regie: Pedro Almodóvar mit Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Blanca Suárez 121 Min. FSK ab 16

Die spanische Regie-Legende Pedro Almodovar präsentiert in „Die Haut, in der ich wohne" mit dem ihm eigenen ästhetischen Augenkitzel, den knalligen Farben und der exquisiten Ausstattung einen komplexen und verschachtelten Thriller, der einigen Aufwand treibt, um zur großartigen Endszene zu kommen.

Antonia Banderas, der schon viel jünger bei „Atame - Fessle mich" mit Almodovar drehte, betreibt in dessen 18. Spielfilm als Robert Ledgard, als Spezialist für Schönheits-Operationen ein Frankenstein-Labor in seiner Luxus-Villa bei Toledo. Ledgards Schöpfung Val, die er auf riesigen Bildschirmen wie ein Gemälde beobachtet, reiht sich in die anderen Kunstwerke und Akte des Anwesens ein. Aber ihre Haut ist widerstandsfähig gegen Feuer und Stiche. Das erfährt Val, die ohne Scheren, Messer oder spitze Gegenstände eingesperrt ist, beim Selbstmordversuch mit der Kante eines Buchumschlages. Was Roberto wirklich mit Val vorhat, erklärt sich in Rückblenden. Sie erzählen vom Tode der Frau Ledgards und dem Selbstmord seiner geisteskranken Tochter Norma, die zuvor bei einem Ausflug aus ihrer Anstalt wohl vergewaltigt wurde.

Auch wenn es in der Zusammenfassung sehr melodramatisch klingt, Almodovar hält sich von seinem Lieblings-Genre fern, spielt die Schrecknisse nur an. Dafür schaut humorvoll zitierend der Horror klassischer Frankenstein-Geschichten rein, wenn Kunsthaut nach Schnittmuster zubereitet wird und andere kleine Gruselmomente ins Bild geraten. Zudem gibt es einen Krimi um den bankräuberischen Sohn der alten Angestellten Marilia. Und wie immer beim alten Romantiker Almodovar - eine Liebesgeschichte. Dass hier etwas möglich wird, was gesellschaftlich - auch in Spanien - immer noch sehr schwierig verläuft, zeigt noch einmal die enorme Themen-Elastizität dieser letztlich sehr spannenden und auch im verkünstelten Almodovar-Kosmos zeitgemäßen Geschichte. Die Basis war übrigens der 1984 erschienene Roman „Tarantula" des Franzosen Thierry Jonquet.

Die Kreation von Almodovar/Ledgard ist jedoch höchst modern, nicht nur ein verbotenes genetisches Experiment auch das Thema einer Geschlechtsumwandlung sorgt für Diskussionen. Der wahre Clou von „Die Haut, in der ich wohne" erweist sich allerdings viel atemberaubender. Almodovar betreibt einen enormen Aufwand für diese grandiose Pointe. Doch wenn Almodovar erzählt, geht man die verzweigten Wege der Handlung gerne mit. Vor allem wenn das Ensemble mit einem konzentrierten Antonio Banderas, mit Elena Anaya als Vera und Marisa Paredes als eingeweihte brasilianische Haushälterin Marilia in großartiger Form ist.

Contagion

USA 2011 Regie: Steven Soderbergh (Contagion) mit Matt Damon, Kate Winslet, Marion Cotillard, Jude Law, Gwyneth Paltrow, Laurence Fishburne 105 Min.

Ein extrem aggressives Virus breitet sich in Asien und den USA aus. Steven Soderberghs spannender Katastrophen-Thriller folgt einigen Einzelschicksalen und der detektivischen WHO-Arbeit. Das Ergebnis ist ein „Gerade-noch-mal-gut-gegangen" mit ein paar Gedanken über den unterschiedlichen Wert von Menschenleben in verschiedenen Teilen der Welt.

Soderbergh ist ein einzigartiger Könner und so beginnt sein Film ebenso rasant wie der Ausbruch des Virus. Von Tag 2 an zeigt er die Opfer in Hongkong, Minnesota und Chicago. (Tag 1 und den ersten Patienten spart sich der Film bis zum bitteren, „schweinischen" Schlusspunkt auf.) Die Geschäftsreisende Beth (Gwyneth Paltrow) erwischt es zuerst, dann ihren Sohn. Der Ehemann (Matt Damon) scheint immun zu sein. Ihr Liebhaber, den sie bei einer Zwischenlandung in Chicago „besuchte", wohl nicht. Detektivisch versuchen Spezialisten unter der Leitung des WHO-Bosses Dr. Ellis Cheever (Laurence Fishburne), den Ursprung des extrem aggressiven Fledermaus-Schweine-Virus (sic!) zu ergründen und ein Gegenmittel zu finden, während ein kapriziöser Blogger (Jude Law mit schiefem Zahn) Panik schürt und ein Naturheilmittel anpreist. Bald greift auch das Militär ein und die Homeland Security macht sich mit ihrem reflexartigen Terror-Verdacht lächerlich. WHO-Mitarbeiter erkranken (Kate Winslet), das öffentliche Leben stirbt, Chaos herrscht. Mehr als 130 Tage und zig Millionen Opfer später ist fast wieder alles gut, eine wissenschaftliche Heldentat führte zur richtigen Spur. Doch wer darf nun zuerst das rasch hergestellte Serum erhalten? In den USA gibt es eine Lotterie, in Asien entführt man West-Europäer (Marion Cotillard), um sein eigenes unwerteres Leben zu retten.

Inzwischen ist Soderberghs „Contagion" kaum merklich sehr politisch geworden. Überhaupt ist sein Film vielleicht nicht so emotional-dramatisch wie „Outbreak" aus dem gleichen Genre, dafür viel umfassender, informativer, kurz: klüger. Und die Schutzanzüge sehen mittlerweile viel besser aus! Zwar verliert der Regie- und Kamera-Meister ein bis zwei Figuren - wortwörtlich, nicht im Euphemismus für das Sterben - und die WHO kommt etwas zu positiv weg, doch man gewinnt bei aller Spannung auch eine Menge Einsichten. Moralische Entscheidungen bleiben zwar offen, doch der übliche Hollywood-Film, hätte sie unter dicker Marschmusik gar nicht erst aufkommen lassen. So warnt Cheever zwar unerlaubt seine Geliebte und soll deswegen abgeschossen werden, doch er gibt auch seine persönliche Impfdosis an den Sohn des Putzmannes. Ein kleines Signal der Solidarität und ein zusätzlicher Stachel der immanenten Kritik an Pharmaunternehmen, die in der Realität mit Fantasiepreisen die AIDS-Bekämpfung verhindern.

11.10.11

Apollo 18

USA, Kanada 2011 (Apollo 18) Regie: Gonzalo López-Gallego mit Warren Christie, Lloyd Owen, Ryan Robbins 86 Min.

Huston. es gibt ein paar Rollen Super8-Film vom Mond und wir haben damit ein dramaturgisches Problem: Nervige Wackel-Aufnahmen, Leerlauf mit uninteressanten Astronauten-Figuren, dann kratzt etwas an der Außenwand, ein Stein wackelt, ein anderer entwischt aus der Probenquarantäne und die wenigen Menschen, die Mondgestein ersteigert haben, sollten ganz schnell das Plexiglas verstärken...

Seit „Blair Witch Project" landet immer wieder die eine oder andere „Paranormal Activity" im Kino.
Man meint mit vorgeblich „authentischem Material" eine besondere Spannung aufzubauen, doch schnell zeigt sich, dass diese Masche ohne anständige Dramaturgie nicht weit bringt. Diesmal geht es auf die dunkle Seite des Mondes, wo Astronauten von Apollo 18 - eine Mission, die nie stattfand - eine verlassene russische Landfähre entdeckten. Dämliche Neugierde lässt die Raumfahrer in einen der viel zu kalten Krater gehen, die dortige Leiche eines Kosmonauten bewegt sich noch, wieder fliegt so ein Steinchen unheimlich belebt durch die Gegend. Eine Verletzung führt zu heftigen Mutationen, Wahnsinn bricht aus, der Sauerstoff geht zu neige, die russische Station scheint der letzte Ausweg zu sein.

Nervig unruhige und verwackelte Bilder sollen die Minimal-Dramaturgie überspielen, aber „Kleinigkeiten" wie fehlende Schwerelosigkeit fordern ein Höchstmaß an Bereitwilligkeit, alles zu glauben. So fühlt sich die Produktion des „Wächter"-Regisseurs Timur Bekmambetow an wie eine Parodie, nicht wie Horror. Knarzende und kribbelnde Steinwesen wirken niedlich statt beängstigend. Ganz sicher wird es keine Fortsetzung dieser Apollo-Serie geben.

10.10.11

Jesus Christus Erlöser (WA)

BRD 2008 Regie: Peter Geyer mit Klaus Kinski 84 Min.

"Halt's Maul und folge mir nach!" Das Kinski-Evangelium mag ungewöhnlich sein, doch dieser Kraftausdruck des jähzornigen Schauspielers mag der chaotischen Atmosphäre und der aggressiven Stimmung eines einmaligen Live-Auftritts geschuldet sein: Am 20. November 1971 versucht Klaus Kinski die „erregendste Geschichte der Menschheit" erzählen – das Leben von Jesus Christus, das er aus seiner Sicht aufbereitet hat. Doch die 68-er sind immer noch im Publikum, Kinski hat seinen Ruf und so ist es ein Drama, das wütend und traurig macht, wie der durchaus ernsthafte Schauspieler und Erzähler seinen spannenden Text einfach nicht fortführen kann. Immer wieder setzt er an, dass man Jesus unter den Ausgegrenzten, den Huren, den Arbeitslosen suchen solle, doch Kinski wird durch Zwischenrufe unterbrochen. Von Linken, deren Bretter vor dem Kopf erschreckend dick sind. Dies ist eine Entdeckung der äußerst spannenden Dokumentation, die von Peter Geyer zusammengeschnitten wurde: Die Helden der 68er, die den Muff von 1000 Jahren wegwischen wollten, sind auch ziemlich bornierte Spießer.

Und dann aber doch Kinski, der Wahnsinnige! Immer wieder verlässt er die Bühne, schreit, geifert, diskutiert und lässt Leute rausschmeißen. Am Ende dieses eindrucksvollen Dokuments, das in Aachen schon beim Filmfestival Aachen-Maastricht zu sehen war, darf Kunst auch dies sagen: "Halt's Maul und folge mir nach!"

Lauras Stern und die Traummonster

BRD 2011 Regie: Ute von Münchow-Pohl, Thilo Rothkirch 65 Min.

Die dritte Verfilmung von Klaus Baumgarts „Lauras Stern"-Kinderbücher geht zwar auch den Weg des 3D (in einigen Kinos), bleibt aber darin wie in der Handlung Kleinkindern gerecht: Lauras kleiner Bruder Tommy hat Angst vor den Traummonstern, doch sein Beschütz-mich-Hund lässt die Monster schrumpfen, weil Tommy durch ihn keine Angst mehr hat. Deswegen klauen die üblen Traumgestalten Tommys Hund und locken so die kleinen Helden mit ihren Kuscheltieren ins kunterbunte Traumland mit tausend Türen, hinter denen all die Träume von Laura, Tommy und sogar die von Lauras Kuscheltieren liegen. Ebenso fantastisch sind die bösen und hilfreichen Wesen: Die Schlange als Schal; Fresso, der alles frisst (Markus Maria Profitlich); eine altkluge Tentakel (Desiree Nick); die tumpe Beule (Maddin Schneider) sowie Stielauge (Hoecker). Die Monster haben Angst vor Licht und Lauras Stern, darum soll der Lichtfänger Lauras Stern vernichten, doch Tommy schließt Freundschaft mit ihm. Der Junge überwindet seine Angst und so werden im Finale die etwas schusseligen Traummonster erst zu großer Höhe wachsen, um dann rapide zu schrumpfen.

Auch wenn die liebliche Animation in den ersten Szenen wohlmöglich kleinere Kinder erschrickt, ist der psychologische Umgang mit dieser Angst ziemlich raffiniert gelöst. Im bunten, lustigen Film erleben Kinder, wie sie Angst überwinden können und sich am Ende alle Ängste in einem Lachen auflösen. Selbst Erwachsene können sich mit den schreikomischen Monstern und ihren wohlbekannten Stimmen von Maddin Schneider oder Desiree Nick vergnügen.

Restless

USA 2011 (Restless) Regie: Gus Van Sant mit Henry Hopper, Mia Wasikowska, Ryo Kase, Schuyler Fisk 91 Min.

Der junge Enoch (Henry Hopper) kann den Unfall-Tod seiner Eltern nicht verarbeiten und macht sich einen bitteren Spaß daraus, auf fremden Begräbnissen auftauchen. Auch legt er sich gerne in die Kreideumrisse von Unfall- oder Verbrechens-Opfer, Friedhöfe gehören selbstverständlich ebenfalls zu seinen Lieblingsorten. Bei einem Rauswurf während einer Bestattung hilft ihm die gleichaltrige Annabel (Mia Wasikowska), ein lebensbejahendes, keckes Mädchen mit Retro-Klamotten, kurzen Haaren, einem Tumor im Kopf und nur noch drei Monaten zu leben.

Beide, auf unterschiedliche Weise vom Tod Gezeichnete, verlieben sich ausgerechnet ineinander. Verspielt überspielt der nur Schwarz tragende Enoch seinen Schmerz beim Schiffe-Versenken mit Hiroshi (Ryo Kase), dem Geist eines Kamikaze-Piloten! Dass diese einseitige Freundschaft durch Eifersucht bedroht ist, gehört zur eingängigen Komik. Die ungewöhnliche Hilfe beim Trauern ist eine anrührende Idee. Zusammen mit Annabel widmet Enoch sich derweil schwelgerisch der Natur, entdeckt die Welt der Käfer und Vögel. Doch das Spiel entgleitet, als sie Annabels Ende inszenieren wollen - so leicht ist der Abschied nun doch nicht.

Man kennt Gus van Sant von Hollywood-Erfolgen mit einem gewissen Extra: „Good Will Hunting" (1997) oder das Remake „Psycho" (1998). In der Indi-Szene wurde er vorher berühmt mit „Drugstore Cowboy" (1989) und „My Private Idaho" (1990), letzterer auch durch die Rollen von River Phoenix und Keanu Reeves. Im lebendigen Wechsel folgten einander eigenwillige Kunstfilme und eingängige Geschichten, die immer noch seine Handschrift behielten. Zuletzt erzählte er mit Sean Penn die Biographie des schwulen Stadtrates „Milk" nach. „Restless" ist nun bestes Unterhaltungskino mit einer guten Portion schwarzem Humor, den mittlerweile allerdings jede Teenie-Blödel-Klamotte schon im Vorspann übertrifft. Der neue Film von van Sant erinnert stark an „Harold & Maud" aus 1971, nur mit der Jugend und der Musik von heute.

Die fast zarte Annäherung zweier junger Menschen an den Tod verläuft in „Restless" verspielt, leicht, manchmal magisch und durch tolle Independent-Songs unterlegt. So meistert van Sant das ernste, schwierige Thema. Als weiteres Beispiel der TRK (Terminal Romantischen Komödie), nur eine Woche nach dem tragischen Kino-Unglück von „Kein Mittel gegen die Liebe", kann man die schöne Geschichte der zwei Außenseiter auch deshalb nicht bezeichnen. Gus van Sant, der seinen jugendlichen Anti-Helden vor allem im Cannes-Sieger „Elephant" (2003) und in „Paranoid Park" (2007) eine Würde aus Leichtigkeit und fließenden Bewegungen „anfilmte", gewinnt hier mit eher klassischer Situationskomik, verträumten Dialogen und guten Songs. (Die Musik von Danny Elfman ist diesmal nicht so schauerlich wie bei Tim Burton.) Die letzten Worte Enochs sind nur Bilder der Erinnerung - meisterlich, wie van Sant genau damit berührt.

Die Liebesfälscher

Frankreich, Italien, Iran 2010 (Copie Conforme) Regie: Abbas Kiarostami mit Juliette Binoche, William Shimell, Jean-Claude Carrière 106 Min.

Juliette Binoche spielt die Hauptrolle in dem vertrackten Beziehungsdialog „Copie Conforme", den der iranische Meisterregisseur Abbas Kiarostami extra für den französischen Star schrieb. Alles dreht sich dabei um Kopie und Fälschung: Ein amerikanischer Autor (William Shimell) stellt in der Toskana sein Buch über den Wert von Kopien in der Kunst vor. Eine Französin (Binoche), die hier ihren Kunsthandel betreibt, interessiert dies besonders, sie bittet ihn auf ein Treffen für den nächsten Tag. Das Treffen wird zum Ausflug in ein idyllisches Dorf, die Gespräche über Original und Fälschung verlagern sich zum Thema Beziehung und Ehe. Langsam werden die Andeutungen immer intimer, die Situation kippt: Spielen hier zwei Fremde miteinander oder hat dieses Paar tatsächlich genau in diesem Dorf vor 15 Jahren Hochzeit gefeiert und sich in den letzten Jahren auseinander gelebt?

Mit der ihm eigenen Beiläufigkeit von Autofahrten durch eine wunderbare toskanische Landschaft, von entspannten Gesprächen und scheinbar alltäglichen Ereignissen spannt der iranische Regisseur Kiarostami einen sehr reizvollen Bilder- und Gefühlsbogen. Juliette Binoche fasziniert mit der mutigen Offenheit ihrer Figur, einen liebevollen Neuanfang anzubieten. Das Repertoire von Emotionen auf ihrem Gesicht erstaunt immer wieder, dafür gab es 2010 in Cannes die Auszeichnung als Beste Darstellerin.

8.10.11

Atemlos - Gefährliche Wahrheit

 

USA 2011 (Abduction) Regie: John Singleton mit Taylor Lautner, Lily Collins, Alfred Molina, Jason Isaacs, Maria Bello, Sigourney Weaver, Michael Nyqvist 106 Min. FSK ab 12

 

Ausziehen, ausziehen! John Singleton neuer Film - nach einer langen Pause - scheint vor allem niedere, sexistische Gelüste junger Frauen zu befriedigen. Taylor Lautner lautet das knackige Stichwort, das auch auf dem Plakat ganz groß rauskommt. Der Werwolf aus „Twilight" bekommt hier endlich mal eine Frau und seine erstenHauptrolle - die er keineswegs so ausfüllt, wie seine aufgeblasenen Muskeln die T-Shirts, die sowieso nur zum Ausziehen da sind.

 

Den Rest hätte man sich aus der Klischeekiste selbst zusammenbasteln können: Muster-Schüler mit aggressiven Träumen und Tendenzen findet zufällig ein Foto von auf einer Website verschwundener Kinder. Da er aussieht wie der Sohn des Hulk, ist Verwechslung ausgeschlossen. Kurz geht Nathan (Lautner) nun der Frage nach, wer diese Menschen bei ihm zu Hause sind, dann ist die geständige Nicht-Mutter schon von Herren im Anzug umgebracht und das Zuhause in die Luft geflogen. Ab jetzt rennt Nathan auf der Suche nach seiner wahren (Bourne) Identität rund um Pittsburgh herum. Ein böser Russe und die unfähige CIA sind ihm auf den Fersen. Für ein paar jugendfreie Jugendfreundin-Knutschszenen ist eine Schauspielerin im Schlepptau, die noch weniger kann als Lautner - das ist cleveres Casting!

 

Die ganz normale Geschichte eines normalen Jugendlichen mit Koma-Saufen, italienischem Moped und T-Shirt des lokalen Sportvereins. Oder ein ganz normaler Twilight-Darsteller, bei dem man die Gesichtsausdrücke genau wie die Highschool-Szenen ohne Veränderung wiederverwerten konnte. Alles ist hier klar und vorhersehbar, selbst dass der CIA-Abteilungsleiter Alfred Molina der nette Verräter wird. Lautner soll als Körper-Star positioniert werden, der Film ist auf ihn - seinen „Body" - zugeschnitten, in regelmäßigen Abständen darf er sein T-Shirt ausziehen. Diese unfreiwillige Komik ist ansonsten ziemlich einsam in der Action eines orientierungslosen Teenagers. Leider - und das ist die wirkliche Enttäuschung - liefert Routinier John Singleton („Boyz in the Hood", „2 Fast 2 Furious", „Four Brothers") nur sehr mäßige Action ab. Der Rest ist erwartet mäßig: Lautner kann nicht richtig schauspielern, die Trauer über seine Eltern ist noch so ein unfreiwilliger Witz, eigentlich hätte er noch das Shirt ausziehen können, um falsche Tränen zu trocknen. Lily Collins als ganz billiger Bella Swan-Ersatz läuft nur so mit - wortwörtlich. Das mit der Chemie zwischen den beiden klappt auch gar nicht, dabei ist es eine komplizierte Chemie von Jugendfreunden, die vor vier Jahren schon mal zusammen ausgegangen sind, sich entfernt haben und jetzt soll da was entflammen. Es köchelt nicht mal. Zum Schluss verpasst „Abduction" noch ein halbwegs rechtzeitiges Ende, hängt einen lahmen Scherz sowie einen Kuss an und bleibt mit der dreisten Behauptung, alles sei gut, nur schlecht in Erinnerung. Die Jugendfreigabe ab 12 ist übrigens sehr optimistisch, hier sollte man eher der Film-Dienst-Empfehlung ab 14 folgen.

5.10.11

Rene Marik ist "Der Biber"

Der neue Film von Rene Marik ("Kasperpop"): Macht der große Kleinkünstler jetzt auf Hollywood? Verkleidet er sich als Judenhasser und Frauen-Hauer? Oder war er bei der Regie von Jodie Foster nur als Puppen-Trainer im Hintergrund dabei? Taucht der Biber demnächst in einer Marik-Show auf???? Oder ist es Kalle in einem Cameo, der jetzt groß auf Karriere macht? Das einzige Statement der Marik-Truppe: "Mel, du kannst mich mal!"

Die Ähnlichkeit ist unübersehbar:
Kasper, Biber, Foster (v.l.n.r. oder umgekehrt)