30.11.10

22 Bullets


Frankreich 2010 (L' Immortel) Regie: Richard Berry mit Jean Reno, Kad Merad, Richard Berry 117 Min. FSK ab 18

Lucan Le Stelle unterlegt die kurvenreiche Fahrt aus den Hügeln runter nach Marseille. Der alte Vater Charley Matteï (Jean Reno) genießt die Fahrt mit seinem kleinen Sohn. Eine Idylle, die ganz sicher nicht hält. Kurz darauf geht Matteï im Kugelhagel von „22 Bullets“ zu Boden, erweist sich aber als „L' Immortel“, als der Unsterbliche des Originaltitels. Den ewigen Regeln des Mafia-Films folgend beginnt die Rache des Paten von Marseille. Allerdings nicht gleich: Matteï, der mit zwei Freunden einst die alte Garde ermordet und die Herrschaft über das Verbrechen übernahm, will seine große Familie schonen, hatte sich eigentlich aus dem schmutzigen Geschäft zurückgezogen. Erst als sie ihm den treuen Handlager foltern und von Hunden zerfleischen lassen, nimmt er die Rache in die linke Hand. Die rechte wurde beim ersten Attentat zerschossen.

Der Schauspieler und seltenere Regisseur Richard Berry umgibt seine Mafia-Familie in der Verfilmung seines eigenen Drehbuches mit hektischen Schnitten, Zeitraffern und auch mal mit einer komplexen Fahrt wie bei Brian De Palma. Vor allem aber fährt er volle Kanne Figuren, Klischees und klassische Musik auf. Für den Effekt ist ihm nichts zu schade. Das tragen Reno & Co. eine ganze Weile. Sobald das Ganze aber an Biss verliert, wirken die Figuren albern, mit dem ganzen Konzept überzogen. Tony Zacchia (Kad Merad, der Briefträger der Sch’tis ) als hypochondrischer aber gnadenloser Boss beeindruckt nicht in allen Szenen. Der geplante Höhepunkt, in dem sich Matteï für seinen Sohn tatsächlich unkaputtbar durch endlose Stacheldrahtwälle kämpft, überzieht ins unfreiwillig Lächerliche. Nur zimperlich zu sein, kann man den für Jugendliche nicht freigegebenen „22 Bullets“ nie vorwerfen. Vom ersten Kugelhagel an, nutzen Gangster und Filmemacher jedes Mittel das recht und effektiv ist.

Home for Christmas


Norwegen, Schweden, BRD 2010 (Hjem Til Jul) Regie: Bent Hamer mit Fridjov Såheim, Cecile Mosli, Trond Fausa Aurvåg 79 Min.

Nach seinen ganz wunderbar eigenartigen Erfolgsfilmen „Kitchen Stories“ und „O Horten“ darf man auf den neuen Bent Hamer sehr gespannt sein. Trotz des Titels „Home for Christmas“ hat dieser weder mit dem üblichen Weihnachtskitsch zu tun, noch mit der heftigen Gegenreaktion darauf, den ruppigen Anti-Weihnachts-Komödien wie „Bad Santa“ oder „Scrooged“. Das zeigt schon die erste Szene: In einem verlassenen Stahlwerk irgendwo in Jugoslawien sucht ein Junge nach einem Weihnachtsbaum. Dabei befindet er sich schon im Visier eines Snipers. Kann die Mutter ihr Kind retten? Dann springt der Film ins winterliche Norwegen.

„Home for Christmas“ steht auf der Pappe eines Bettlers - er sammelt Geld, um zu seinen Eltern zu kommen. Der hypernervöse Paul hingegen bettelt um Chloroform, damit er seiner Ex und den Kindern einen Überraschungsbesuch abstatten kann. Verkleidet als Weihnachtsmann wird er zuerst seinen Nachfolger ko schlagen und dann unerkannt ins traute Heim schleichen. Vorher tauschte er die Geschenke für die Kinder durch seine aus. Ein Arzt wird entführt um bei einem Flüchtlingspaar im Wald ein Kind zur Welt zu bringen. Heutzutage beherbergt Norwegen Albaner und Serben, deren Ethnien überschreitende Liebe von ihren Familien nicht toleriert wird. Für den im Wohlstand und seiner Ehe satt gewordenen Helfer wird die fast biblische Szene eine Wende im Leben bedeuten.

Eine Geliebte erwartet eine Wende von ihrem Liebhaber am Heiligabend. Der will ausgerechnet zum Familienfest aus der Ehe ausziehen -  wie stilvoll! Doch kaum angekommen, kehrt er wieder um. Es kommt zum Showdown der Frauen während der Christmette. Nicht dabei ist Paul, der bekommt die Tür zur Kirche nicht auf. Liegt es vielleicht daran, dass er seinen Konkurrenten betäubt, mit Alkohol überschüttet und anstelle des Jesuskindes in die Krippe des Örtchens gelegt hat?

Sechs Erzählungen webt Bent Hamer zu einem ganz besonderen Wohlgefühl zusammen. Das übliche Weihnachtsgefühl kann man dabei knicken wie den Stern, der partout nicht gerade auf dem Baum bleiben will. Aber ein anderer Stern weist der Flüchtlingsfamilie den Weg und auch dieses kleine, sehr schöne Wunder gönnt sich Hamer, bevor er wieder zum Sniper nach Jugoslawien zurückkehrt. Der Norweger bringt ein gute Menge Skurrilität in die Geschichten, etwa wenn Paul unsicher mit der Schaufel Maß nimmt, um den Nachfolger niederzustrecken. Sentiment ist mehr als in seinen anderen Geschichten vorhanden, die eher von einer unbestimmten Wehmut durchzogen waren. Doch kitschig oder vorhersehbar entwickeln sich die kleinen Dramen nie.

Ich sehe den Mann deiner Träume


USA, Spanien 2010 (You will meet a tall dark stranger) Regie: Woody Allen mit Naomi Watts, Anthony Hopkins, Antonio Banderas, Josh Brolin, Gemma Jones 98 Min. FSK o.A.

Wenn es im Kino keine pubertären Probleme mehr gibt, was bei einem seit Mittwoch 75-jährigen Woody Allen unwahrscheinlich ist, dann verhalten sich plötzlich gesetzte Senioren wie Teenager: Alfie (Anthony Hopkins) ist total auf dem Sport-Trip, verlässt seine Ehefrau nach Jahrzehnten und schmeißt das Geld raus für ein dummes Blondchen, das jeder ziemlich schnell als Prostituierte erkennt. Die verlassene Helena (Gemma Jones) hat erst einen Nervenzusammenbruch und danach Seance bei einer Wahrsagerin. Mit zunehmender Hoffnung geht dabei allerdings mächtig die Bodenhaftung verloren. Mit esoterischen Weisheiten, die ihren Schwiegersohn Roy (Josh Brolin) in den Wahnsinn treiben. Der will Schriftsteller sein und liegt seiner Frau Sally (Naomi Watts) auf der Tasche, während er endlos der Frau in Rot vom Fenster gegenüber hinterher starrt. Doch auch die gestresste Sally selbst sehnt sich nach Abwechslung und macht sich Hoffnungen auf ihren Chef, den spanischen Galeristen (Antonio Banderas).

Im Wahn, auf der anderen Seite der Straße jemanden Besseren zu finden, machen sich alle lächerlich. Vom joggenden Opa bis zur klaren Geschäftsfrau, die Kleinmädchen-Träumen hinterher rennt. Mit diesem Reigen der kleinen, gemeinen, böse bloßgestellten Beziehungs-Wünsche sorgt Woody Allen für sichere Lacher. Vorhersehbar wie die menschlichen Schwächen, allerdings mit ein paar Ecken und Kanten. Dass nur die verrückteste Witzfigur dieses wie üblich prominenten Ensembles am Ende ihr Glück findet, ist die gelungenste Pointe in dem eher durchschnittlichen Woody Allen.

Megamind 3D


USA 2010 (Megamind) Regie: Tom McGrath 96 Min. FSK ab 6

Das Ying und Yang der Superhelden-Geschichte(n) verlangt nach einem Gleichgewicht von Held und Schurke. Was wäre Batman ohne Joker? Blass, ziemlich dunkel blass. Zwar waren die Sympathien schon immer bei den charismatischen Bösewichten, doch das haben sie selbst noch nicht mitbekommen. Wir sonst ist es zu erklären, dass sich all die Weltvernichtungspläne letztendlich nur als - sehr lauter - Schrei nach Liebe erweisen? Nach Gru, dem Oberschurken aus „Ich - einfach unverbesserlich“, entdeckt nun Megamind, ein animierter Anti-Superman,  seine allzumenschliche menschliche Seite.

Für Megamind beginnt das Leben wie bei jedem gewöhnlichen Superhelden: Das Universum seiner Eltern bricht in sich zusammen, er wird in einer Rakete zusammen mit einem treuen Begleiter in die unendlichen Weiten des Alls geschickt. Doch schon während der Reise muss der Säugling aus dem Cockpit-Fenster verfolgen, dass noch so ein intergalaktischer Findling unterwegs ist. Und während es Megaminds Kapsel durch jedes Kometenfeld rumpelt, verläuft die Reise des strahlenden und blond gelockten Konkurrenten störungsfrei. Die Erde schließlich in Sicht, steuert unser blauer Held Megamind ein herrschaftliches Anwesen an - um im letzten Moment von Metro Man aus der Bahn gekickt zu werden. Dieser wächst mit dem goldenen Löffel im Mund auf, kann fliegen und die Augen als Schneidbrenner einsetzen. Megamind strandet im Knast, lernt viel von den kriminellen Stiefpapas, könnte aber immer noch ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft werden. Doch auch in der Schule hat Metro Man diesen Platz schon besetzt. So kommt dem kleinen blauen Außenseiter die Erkenntnis: Wenn alles, was ich anfange, schlecht endet, dann fange ich jetzt direkt nur noch Schlechtes an. Ein neuer Super-Schurke ist geboren!

Im ewigen Kampf um Metrocity - ein schematisch gezeichnetes New York - zeigt sich Megaminds Talent zum Verlierer. So bösartig und genial seine Pläne auch sein mögen, Metro Man durchschaut und vereitelt sie. Auch die Entführung der Reporterin Roxanne zum Anlass der Eröffnung eines Metro Man-Museum gerät ziemlich dilettantisch. Doch durch einen Zufall hat der Schurke die schwache Stelle des Superhelden entdeckt und kann den doch nicht so ewigen Gegner vernichten. Nach der Freunde und der Einnahme der Stadt kehrt allerdings schnell Langeweile ein im Lager des Bösen. Deshalb erschafft sich Megamind einen Gegner, um das alte Spiel weiterzutreiben. Der verhält sich allerdings gar nicht „super“...

„Megamind“ spielt virtuos mit Zitaten des Superman-Genres: Von der Katastrophe an der Wiege der Kindheit bis zur Projektion eines Marlon Brando als Superhelden-Vater. So machen die Haupt- und Neben-Figuren großen Spaß. Der gute Metro Man kann als ekliger Tom Cruise-Verschnitt sogar über Wasser gehen und wird erst als Rentner richtig sympathisch. Selbst Megaminds treuer Helfer, ein Fisch im haarigen Roboter-Outfit, hat sein kleines, menschliches Drama. Den Hauptteil verbucht allerdings auch dabei der blaue Held. Auf dem Alien-Kopf, der aus „Mars Attacks“ stammen könnte, zeigt sich immer noch das Gesicht des kleinen, ungeliebten Jungen. Damit lässt die eindrucksvolle Animation viel Platz für Romantik - echtes Abenteuer und der ganz große Spaß bleiben leider irgendwann auf der Strecke.

29.11.10

Salto für Anfänger


Schweden 2007 (Underbar Och Älskad Av Alla) Regie: Hannes Holm mit Martina Haag, Nikolaj Coster-Waldau, Stig Engström 106 Min

Filmtitel für Marketing-Anfänger - Teil 15: Wenn ein Film aus Skandinavien kommt, nicht viel Eigenes für sich hat und Ihnen nichts einfällt - hängen Sie einfach „... für Anfänger“ dran. Den Anfänger-Anfang machte der dänische „Italienisch für Anfänger“ von Lone Scherfig, nicht wirklich noch ein Dogma-Film und auch nicht richtig gut. Danach kam „Stealing Rembrandt - Klauen für Anfänger“, wobei nicht das Klauen dämlicher Titelübersetzungen gemeint war. Und vor einigen Jahren, nämlich 2007 dieser „Salto für Anfänger“, was überhaupt denn, wenn schon, so etwas wäre wie „Bridget Jones für Anfänger“.

Denn peinlicher Star und Vorlage zum Fremdschämen in dieser Teenie-Komödie für die Ü40-Zielgruppe ist die schwedische Schauspielerin Bella. Sie sucht verzweifelt einen Job, landet zuerst in einigen Fettnäpfchen und dann wundersamerweise am königlich-schwedischen Nationaltheater. Die (sehr zurückgezogen) lebende Legende Ingmar Bergman wolle noch einmal Shakespeares „Was ihr wollt“ aufführen und Bella sei wegen der Ähnlichkeit mit einem bekannten Schauspieler für die Zwillingsschwester von dessen Part ideal. Die paar akrobatischen Übungen mit den unaussprechlichen Namen wären doch laut Lebenslauf sicher kein Problem? Soviel kann die nicht besonders überzeugende Darstellerin noch spielen, dass ihr die Lüge gelingt. Nun probt sie mit den Besten des Landes und versucht nebenbei verzweifelt, Nachhilfe in Akrobatik zu bekommen. Dabei meint ihre Mutter, Bella hätte schon Probleme, beim Schuhezubinden das Gleichgewicht zu halten.

Um dem Drama noch etwas Pep zu geben, vernascht Dänemarks bekanntester Schauspieler die neue Kollegin und Bella braucht fast den ganzen Film, um zu erkennen, was für ein Hohlkopf und Arsch dieser Micke ist. Das Ende gerät dann doch Happy für Anfänger und der Kritiker, der statt diese Bella lieber Isabelle Huppert in „Villa Amalia“ mit existenziellen Lebenskrisen sieht, kann sich höchstens ein „ganz nett“ abnötigen.

Martina Haag spielte selbst die Hauptrolle der Chaos-Frau Bella in der Verfilmung ihres eigenen, angeblichen und gleichnamigen Bestsellers. Der Regisseur Hannes Holm hat sich bisher in seinem Fach auch noch nicht international hervorgetan, bekannte Gesichter sind nicht zu entdecken. (Nur kurz der Hinterkopf von Bergman.)

Es bleibt rätselhaft, weshalb die auf dem internationalen Filmmarkt gut abgelagerte Nettigkeit jetzt doch noch bei uns startet. „Salto für Anfänger“ hat so gar nichts von den skandinavischen Filmen, die dahin gehen, wo es weh tut oder richtig komisch ist.

24.11.10

Please Give DVD


Regie: Nicole Holofcener

Ich hätt da mal ne Frage: Wie reagieren Sie, wenn Obdachlose mit ihren Geschichten um Hilfe bitten? Kate (Catherine Keener) gibt immer und gibt reichlich, hat sogar beim Bettler auf ihrer Straße so etwas wie einen Dauerauftrag laufen. Das ist bitter für ihre pubertierende Tochter, die meint, nur mit der sündhaft teuren Designerjeans überleben zu können, für die aber kein Geld da ist. Das ist auch schwierig für Kate und ihren Alex (Oliver Platt), leben sie doch als Antiquitätenhändler von der Unwissenheit ihrer Verkäufer, die oft Haushalte nach Todesfällen auflösen, ohne um die verstaubten Schätze zu wissen. Zudem wartet das Paar im teuren Wohnpflaster New York auch noch auf den Tod ihrer alten Nachbarin, damit sie endlich ihr Appartement erweitern können. Was deren Enkeltöchtern (Rebecca Hall und Amanda Peet) gar nicht nett finden...

Wie viel Spaß schlechtes Gewissen machen kann, zeigt Nicole Holofcener mit „Please Give“. Ihre überaus gelungene Familienkomödie lässt die exzellenten Schauspieler Catherine Keener, Amanda Peet und Oliver Platt viele Varianten des Geben und Nehmen durchspielen. Das Bonusmaterial in Form von Outtakes sowie einem Interview mit Nicole Holofcener darf man guten Gewissens mitnehmen.

Au revoir Taipeh


USA, Taiwan 2009 (Yi yi tai bei) Regie: Arvin Chen mit Jack Yao, Amber Kuo, Joseph Chang, Lawrence Ko, Frankie Gao 84 Min. FSK ab 6

Es ist ein äußerst munterer Reigen, der sich da im nächtlichen Taipeh tummelt: Der liebeskranke junge Kai braucht dringend Geld, um seine Freundin in Paris zu treffen, da diese Schluss gemacht hat. Bao, der stadtbekannte, alte Gauner, der offiziell in Immobilien macht, bietet ihm einen Deal an: Kai solle ein Päckchen abliefern, dann könne er schon am Morgen losfliegen. Hong, Neffe und rechte Hand Baos, will mit seiner Gang aus in orangen Anzügen gekleideten Jung-Gangstern diese sicher wertvolle Ware abfangen und selber einsacken. Hinzu kommt die nette Buchhändlerin Susie, die auf Kai steht, sowie ein verlassener Polizist. Und alle rennen sie umeinander her im nächtlichen Taipeh.

Was jetzt allerdings keineswegs hektisch geschieht: Kai und sein Freund gehen mit der heißen Ware erst einmal essen und vermitteln uns ein paar Eindrücke vom Nachtmarkt der taiwanesischen Hauptstadt. Dort tauchen auch die albernen Möchtegern-Gauner in orange auf, deren Frisuren noch dämlicher sind als ihr Verhalten. Während sich alle über Gangsterfilme im Fernsehen amüsieren, gibt es unter Gypsy-Swing auch mal eine verzögerte Verfolgungs-Jagd, weil Rennen in der U-Bahn verboten ist. Action wird hier in Swing übersetzt und dann wieder mit einer Tanzgruppe im Park pausiert.

Das gemächliche, von einem Jazz-Score begleitete Großstadttreiben in neon-bunter Nacht erinnert etwas an den frühen Wong Kar-Wai, ist allerdings mit weniger Stilwillen inszeniert. Sehr humorig und sympathisch ist es trotzdem. Auch mit zwei Beziehungsdramen bleibt alles harmlos verspielt, ein melancholischer Swing, der von Woody Allen sein könnte, wenn dieser 60 Jahre jünger und irgendwo in Asien leben würde.

23.11.10

Villa Amalia


Frankreich, Schweiz 2009 (Villa Amalia) Regie: Benoît Jacquot mit Isabelle Huppert, Jean-Hugues Anglade, Maya Sansa, Xavier Beauvois 94 Min. FSK o.A.

Schroff. Ruppig. So springt Regisseur Benoît Jacquot mittenrein in die Handlung seines neuen Films. So zieht die Pianistin und Komponistin Ann (Isabelle Huppert) einen Schlussstrich unter ihr Leben, nachdem sie ihren Partner Thomas (Xavier Beauvois) beim Fremdgehen sieht. Sie löst Wohnung und Konto auf, verkauft ihre drei Pianos, reagiert nicht auf die Anrufe ihres Ex-Freundes, verbrennt Bilder, Noten und CDs. Nur Georges (Jean-Hugues Anglade), ein Freund aus Jugendtagen, den sie genau im Moment des Seitensprungs traf, wird eingeweiht, bildet eine Zwischenstation auf der Flucht. Während einer sprunghaften Europa-Reise schneidet Ann - mit dem vielsagenden Künstlernamen „Hidden“ (dt. versteckt) - ihre Haare ab, wirft immer wieder alte Klamotten in den Müll, vernichtet ihr Handy. Dem Wechsel der Kleider folgen die Farben und immer wieder schreckt sie nachts auf. Die ruhelose Bewegung führt auf Ischia zu einer ein verlassenen Hüte hoch über der Steilküste inmitten von sehr viel Blau. Diese „Villa Amalia“ mit ihrer tragischen Geschichte wird zum Hort für die Frau, die nach einer Neugeburt im Meer nun Anna heißt und mit einer jungen Italienerin das Bett teilt.

Viel erklärt wird nicht bei Benoît Jacquots Verfilmung des gleichnamigen Romans von Pascal Quignard. Isabelle Huppert - wieder „Die Klavierspielerin“ - erscheint (im fünften Film mit Jacquot) ideal für die Rolle der unbestimmt gehetzten reifen Frau, wie sich schon Isild Le Besco in Jacquots “Hier und jetzt” treiben ließ. Der französische Star lässt keinen Zweifel aufkommen an dieser beeindruckenden Konsequenz, auch wenn diese Frau im einzelnen Moment eher anstrengt und ihr bester Freund öfters bemerkt, dass sie ja spinne. Anns nervös machenden Kompositionen gehen über in die Filmmusik von Bruno Coulais.

Erst im letzten Abschnitt, fast ein Epilog, bringt die Begegnung mit dem früh verschwundenen, jüdischen Vater beim Begräbnis der Mutter eine Menge Psychologie und Sentiment in die Figur. Der alte Musiker drückt ihr erstmals Bewunderung aus, man entdeckt Ähnlichkeiten im Fluchtverhalten und sieht plötzlich eine immer noch kleine Tochter, die noch viel zu lernen hat. Eine Erlösung, die dem schroffen Gesamtkunstwerk plötzlich einiges an Radikalität nimmt.

Ein gutes Herz


Island, Dänemark, USA, Frankreich, BRD 2009 (The good heart) Regie: Dagur Kári mit Brian Cox, Paul Dano, Isild Le Besco 95 Min.

Dass man bei Meditationsübungen den Zeigefinger und Daumen der entgegengesetzen Hände zusammenführen kann und dann bei dieser falsch verstandenen Entspannung die fünfte Herzattacke bekommt, ist äußert kurios. Es sind solche skurrilen Momente, die der isländische Regisseur Dagur Kári („Nói Albinói“, „Dark Horse“) seinen seltsamen Einzelgängern reihenweise anhängt, die „Ein gutes Herz“ zum außergewöhnlichen Vergnügen machen.

Die misslungene Entspannung führt den alten, griesgrämigen Wirtes Jacques (Brian Cox) im Krankenhaus mit dem gescheiterten Selbstmörder Lucas (Paul Dano) zusammen. Der lebensunfähige, naive und extrem gutherzige Tor will dem Hospital als Dank für die Behandlung eine Samenspende hinterlassen und verschenkt dann das vom Personal für ihn gesammelte Geld draußen auf den kalten Straßen New Yorks sofort an andere Obdachlose. Ohne lange zu fragen, erwählt ihn Jacques zum Nachfolger für sein „House of Oysters“, eine schäbige Spelunke voller schräger Gestalten. Fremde, die sich hierhin verlieren, bekommen eine Bloody Mary mit Tomatenketchup serviert. Der Junge, der unter seinen langen Haaren ängstlich in die Welt hinaus blickt, wird rüde eingeführt in die Kunst, die Stammkunden zu kennen und vor allem nicht zu vergessen, das Geld am Abend in das Tiefkühlfach zu stecken.

Doch der Neuling bricht bald eine von Jacques’ Regeln und bedient einen Kunden freundlich. Der brummige Boss muss einsehen, dies ist kein Naturtalent in Sachen Feindseligkeit. Die Situation eskaliert, als eines Abends eine Ex-Stewardess, die Angst hat zu fliegen, in den Schuppen reingeregnet kommt. April (Schauspielerin und Regisseurin Isild Le Besco) bestellt Champagner, Lucas kann sowieso niemandem einen Wunsch verwehren, schon gar nicht, wenn sie weint. April verbringt die Nacht in seinem Bett, er wie immer darunter auf dem Fußboden. Der nächste Morgen beginnt mit einer von Jacques’ Weisheiten aus dem Handbuch der Frauenverachtung: Champagner sei dazu da, um Erfolge in der Welt des Sports zu feiern, und nicht für Frauen. Doch auch wie der alte Griesgram schließlich nachgibt und wie verdreht er Lucas wenigstens ein schlechtes Gewissen unterschieben will, gerät Brian Cox mit seiner großartig kantige Figur und britisch betontem Furor ganz herrlich.

Jacques, dies wandelndes Wörterbuch unzähliger Substantive des Sich-Schlecht-Fühlens, das beim Lachseminar so unglaublich deplatziert wirkt, ist die Triebfeder des Films. Cox, den man eher aus Geheimdienst- und Gangster-Filmen kennt, hält locker mit ähnlichen Rollen von beispielsweise Jack Nicholson mit. Von seinem unwirtlichen Wirt lernt man nicht nur, dass Brokkoli die Verkörperung des Furzes sei, sondern auch, dass einem ein derartiger - vermeintlicher - Menschfeind durchaus vermitteln kann, das Leben zu schätzen.

Regisseur und Autor Dagur Kári exportiert die dunkle Farbtöne seiner isländischen Filme verlustfrei in die USA. Seine verlorenen Figuren, die bis in zur Weihnachtsgans vor ruppigem Charakter strotzen, reden zwar englisch, sind aber Typen, die man im Skandinavien von Kaurismäki verortet. Kári hat in seinen Filmen schon immer Sonderlinge und Außenseiter zu ihrem Glück (vor-) geführt. Nun gelingt das Happy End nicht für alle, was dem Film eine ganz besondere, bitter-süße Note gibt.

22.11.10

Fair Game


USA, Vereinigte Arabische Emirate 2010 (Fair Game) Regie: Fair Game mit Sean Penn, Naomi Watts, Sam Shepard 108 Min. FSK ab 12

Wer meint, unsere Politiker würden schon wissen, weshalb wir etwa plötzlich dringend einen milliarden-teuren Raketenschutzschirm brauchen und wovor er uns eigentlich schützen soll, kommt durch „Fair Game“, diesen spannenden Polit-Thriller mit Starbesetzung ans Grübeln. Action-Spezialist Doug Liman („Mr. & Mrs. Smith“) rollt einen wahren und wahrhaften Skandal noch einmal auf.

Ausnahmsweise muss hier das „nach einer wahren Geschichte“ betont und verbürgt werden: „Fair Game“ beruht auf den beiden Büchern von Joseph Wilson („The Politics of Truth“) und Valerie Plame („Fair Game“), den Hauptfiguren dieser Geschichte. Valerie Plame war 19 Jahre lang erfolgreiche CIA-Agentin, ihr Mann Joseph Wilson unter Bush Sr. und Bill Clinton Botschafter sowie politischer Spezialist für einige afrikanischen Länder. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wird die CIA angewiesen, Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak zu finden. Also einen Grund, um in das Land, das mit 9/11 überhaupt nichts zu tun hatte, einzumarschieren. Valerie Plame befragt ihre Undercover-Kontakte im Irak. Wilson wird unabhängig davon offiziell in den Niger geschickt, um herauszubekommen, ob von dort verschwundenes Uran vielleicht in den Irak gelangte. Sein Urteil ist ohne Zweifel: Nein! Trotzdem taucht seine Expertise im Endbericht der CIA als Grund für einen Einmarsch auf. Wilson veröffentlicht in der New York Times, dass der Angriff aufgrund konstruierter Fakten geschah, worauf seine Frau auf Anweisung aus dem Weißen Haus sofort entlassen und enttarnt wird. All ihre Kontaktpersonen im Ausland befinden nicht nun in Lebensgefahr...

Aus der trockenen Faktenlage eines der unglaublichsten Politskandale der Vereinigten Staaten macht Regisseur Doug Liman vor allem mit dem exzellent die Stimme von Ehre und Gewissen verkörpernden Sean Penn einen auf mehreren Ebenen spannenden Film. Da sind die verzweifelten Versuche Valeries, mit anständigen Kollegen ein paar der Kontaktpersonen zu retten. Wir erleben die Enttäuschung der Iraker, die für den Frieden und auch für Freiheit in ihrem Land Informationen preisgegeben haben, nebenbei über die Unwissenheit der westlichen Geheimdienste staunten und nun sich selber überlassen werden. Und wir fühlen, wie der äußere Druck einer schmutzigen Medienkampagne die Familie von Joseph Wilson und Valerie Plame zu zerreißen droht. Hier kann man an der Starrköpfigkeit des amerikanischen Kohlhaas zweifeln, doch seine finale Lektion in politischer Wahrheit trifft und wischt all die täuschende Scheingefechte hinweg. Seine erste Frage vor einer Uni-Klasse lautet: Wieso gibt es Krieg?

Darin ist „Fair Game“ ein richtig altmodischer Polit-Thriller. Er hält tapfer die Fahne der Wahrheit hoch, deckt Skandale auf und gibt einem ein Quäntchen mutigem Widerstandsgeist für die Welt außerhalb des Kinos mit. Dass Liman schlüssiger und glaubhafter argumentieren kann als das cineastische „Shock and Awe“(dt. „Schrecken und Ehrfurcht“) von lauten Spektakeln wie „Green Zone“, tut gut. Auch wenn er eine Weile braucht, um die komplexe Situation auf die Handlungs-Reihe zu bekommen.

17.11.10

Still Walking


Japan 2008 (Aruitemo, aruitemo) Regie: Hirokazu Kore-eda mit Hiroshi Abe, You, Yoshio Harada, Yui Natsukawa 114 Min.

Die außerordentliche Geschichte von japanischen Geschwistern, die nach dem Verschwinden ihrer Mutter monatelang allein überleben, stand im Zentrum des Festivalerfolges „Nobody Knows“. Nun widmet sich Regisseur Hirokazu Kore-eda in dem unbedingt sehenswerten „Still Walking“ wieder einem Familienthema und es ist völlig erstaunlich, wie wiedererkennbar die Strukturen und Gefühle dreier japanischer Generationen auch für uns sind.

Die Frauen quatschen in der Küche und drehen lästernd den Rest der Familie durch den Wolf: Der Sohn Ryota wird mit einer „gebrauchten“ Frau kommen, einer Witwe mit Sohn aus dieser früheren Ehe. Während sich Großmama mit den erwachsenen Kindern und den Verschwägerten trotz des stetig grummelnden Großvaters freundlich versteht, sind ansonsten Mauern zwischen den Generationen spürbar. Der pensionierte Arzt wirft seinem Sohn unausgesprochen vor, das dieser einen anderen Beruf wählte. Und immer steht der verstorbene ältere Sohn im Raum, nicht nur weil wieder der Jahrestag seines Todes gefeiert wird. Doch Ryota tut sich selbst mit seinem Stiefsohn schwer, der hinter seinem Rücken Prinz ohne Lächeln genannt wird.

Ryota ist eigentlich dem Eltern-Haus entwachsen, stößt sich immer wieder den Kopf und sieht den eigenen Vater erstmals hilflos bei einem Krankheitsfall in der Nachbarschaft. Der verstorbene, bessere Bruder schaut vom Foto auf dem Altar zu und flattert in einem magischen Moment als gelber Schmetterling, der seine Wiedergeburt sein könnte, herein. Hirokazu Kore-eda gibt dem allen mit begrenzten Räumen und ruhender Kamera einen festen Rahmen. Er zeichnet Stillleben, die zur Kontemplation einladen. Wie die unbelebte Aufnahme eines Raumes einmal mit fehlender und dann mit wieder vorhandener Schublade.

Es sind erstaunlich universale Themen, die da fast am anderen Ende der Welt auf den mit Sushi reichlich gedeckten Tisch kommen, mit der Mais-Tempura platzen Erinnerungen auf, um den titelgebenden Schlager deutet sich ein altes Ehedrama an. Die Großmama zeigt, dass man sie nicht unterschätzen darf: Sie lädt immer noch den Jungen ein, bei dessen Rettung der älteste Sohn ertrank - um ihn zu quälen! Doch dieses im Großen und Kleinsten unglaublich stimmige und sorgfältige Meisterwerk zeigt enorm viel Verständnis für die Menschen und verbreitet das Glück des wahren Lebens.

15.11.10

The Kids Are All Right


USA, Frankreich 2009 (The Kids Are All Right) Regie: Lisa Cholodenko mit Julianne Moore, Annette Bening, Mark Ruffalo 104 Min.

Patchwork-Familien in den verschiedensten Formen sorgen immer noch für viele Fragen. Verlieren die Kinder oder gewinnen sie eine weitere Bezugsperson hinzu? Bei einigen Familien sind die Antworten ganz klar. Nic und Jules wissen - die Kinder brauchen keinen Vater. Eigentlich führen die beiden mit ihren Kindern Laser und Joni ein ganz klassisches Familienleben. Nic ist der Boss, Jules schmeißt den Haushalt. Mit dem kleinen Unterschied, dass beide Lesben sind, die sich ihre jeweiligen Kinder von einem unwichtigen Samenspender machen ließen! Das geregelte Leben der beiden Super-Moms gerät allerdings durcheinander, als Joni volljährig wird und ihren Erzeuger kennenlernen will...

Die Moms sind nicht begeistert, doch es kommt zu einem Treffen mit Paul (Mark Ruffalo), dem Chef eines edlen Öko-Restaurants, ein erdiger und klarer Typ. Die Begegnung verläuft erst nicht besonders glatt, die verkrampfte Suche nach Gemeinsamkeiten ist für die Zuschauer aber längst ein weiterer Spaß, denn die Verwandtschaft in kleinen Gesten ist nicht zu übersehen. Überhaupt gibt Lisa Cholodenko dem schweren Problematisieren in ihrer Familien-Komödie „The Kids are alright“ keine Chance. Schon die Schilderung der ungewöhnlichen Familie mit ganz gewöhnlichen Problemen ist ein herrliches - oder: weibliches - Vergnügen. Von den ärgerlichen Haaren im Siffon bis zur ungewöhnlichen Filmlektüre des Ehepaares im Bett stellt sich Normalität, genial gespielt von Julianne Moore (Jules) und Annette Bening (Nic), einmal anders dar. Die nette Ergänzung der Familie durch Paul wird richtig problematisch, als die unausgelastete Jules ihm den Garten neu gestaltet und sich im Gegenzug heftig angraben lässt. Nicht nur Jules’ mexikanischen Hilfsarbeiter Luis amüsiert sich mit den Allergien und Affären der anderen aufs Köstlichste.

Dass der Samenspender einen besonders fertilen Garten eigen nennt, gehört dabei zum exzellenten Dialogwitz, der sich nicht nur in schönen Zweideutigkeiten ergießt, sondern auch die Psychologie dieses Quintetts genau beschreibt. „The Kids Are All Right“ ist alles anderes als ein Problemfilm, ist ein sehr sonniger Film. Mit geilen Fahrten auf Motorrad, die von der rationellen, kontrollierenden Nic in der Vaterrolle selbstverständlich verboten sind. Sie gerät gemäß den Regeln des Rollenspiels selbstverständlich auch mit Paul aneinander, obwohl der im Moment größter Nähe Joni Mitchells „Blue“ mitsingt, nach denen die Tochter aller benannt wurde. Der Konflikt zweier Alpha-Tiere ist aber immer auch ein Konflikt der entgegengesetzten Lebensweisen. Und der Eindringling, der nach seinem ausschweifenden Junggesellen-Leben auch eine Familie will, verliert schließlich nicht nur die Kontrolle über die Kinder, sondern auch seine Freundin. Am Ende dieser herrlich komplizierten Komödie steht ein Toast auf die unkonventionelle Familie, die was auch immer passiert, offen und ehrlich miteinander umgeht.

Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 1 2D


Großbritannien/USA, 2010 (Harry Potter and the deathly hallows – Part I) Regie: David Yates mit Daniel Radcliffe, Rupert Grint, Emma Watson, Helena Bonham Carter 148 Min. FSK ab 12

HP7/1 ist zu sehen! Was klingt wie eine neue Software für Drucker, ist das unfertige Halb-Ende der sehr erfolgreichen Harry Potter-Verfilmungen. Gleich zu Beginn schleudert uns der düstere siebte HP-Film heftige Action-Momente und große Schrecken entgegen, die HP7/1 für Kinder ab 6 nicht unbedingt empfehlenswert machen.

Es beginnt düsterer als je zuvor: Die Zauberlehrlinge werden wie zu Anfang jedes Films zuhause abgeholt, doch für die mittlerweile zu Teenager erwachsenen Harry Potter (Daniel Radcliffe) und Hermione Granger (Emma Watson) ist es ein endgültiger Abschied. Hermione löscht sich per Zauberstab aus dem Gedächtnis ihrer geliebten Eltern, selbst Harrys garstige Gastfamilie zerdrückt beim Auszug ein Tränchen. Dann geht es mit den Gehilfen und Getreuen von Hogwarts in die erste Schlacht, ein Gewitter aus Blitzen und rasanten Flugszenen.

Danach hangelt sich die Handlung gemäß der Romane von Joanne K. Rowling an der Suche nach den Horkruxen entlang, die Potters dämonischen Gegner Voldemort leben lassen. Zwischendurch hageln immer wieder die Attacken der Todesser wie Bombenangriffe auf die drei Freunde Harry, Hermione und Ron Weasley (Rupert Grint) herein, immer wieder wähnt man sich im Mafia-Film, wenn Wände von Kugeln durchsiebt werden. Kugeln? Auch hier bleibt die diesmal recht kurz kommende Zauberkraft rätselhaft. Manchmal kann sie alles retten und dann die einfachsten Fährnisse nicht verhindern. So bleiben einige Weggefährten zurück und hinterlassen rührende Momente.

Viele Außenszenen in eindrucksvollen und offenen Landschaften wirken befreiend - nicht nur für den bis dahin schematischen Ablauf des Potter-Schuljahres in den vorherigen Filmen und Romanen. Man kann es fühlen, wie junge Menschen trotz der konstanten Bedrohung ihre neuen Freiräume genießen. Das führt zu vielen ruhigen Momente im Wald und auf der Heide. Die Freunde nähren Zweifel, lassen noch einmal etwas Eifersucht hochköcheln, reden viel und schauen bedenklich drein. Je öfter Daniel Radcliffe dies in Nahaufnahme machen muss, desto deutlicher erkennt man vor allem bei ihm die fehlende Schauspielkunst. Die Kinderstars der ersten Harry Potter-Filme sind in zehn Jahren gewachsen, ihr darstellerisches Vermögen kam nicht immer mit. Besonders in der Szene, die Harry, Hermione und Ron unter der Tarnung fremder Körper ins Zaubereiministerium führt, ergibt sich durch die anderen Darsteller plötzlich ein mit wesentlich mehr Ausdruck aufgeladener, umgehend spannenderer Film. (Interessant dabei auch noch der Wandel des Zaubereiministeriums in eine faschistische Einrichtung, die in Anlehnung der deutschen Judenverfolgung gewaltsam Halbblute von „reinen“ Zauberern trennt.) Radcliffe ist nicht mit der Rolle gewachsen. Jetzt wo sich der Film noch mehr auf ihn konzentriert, fällt auf, wie wenig Format er seiner Figur gibt.

Nicht der übereilte Entschluss, HP 7/1 doch nicht in 3D zu zeigen, bestimmt ästhetisch den Film. Es sind holperige Momente, schlecht geschnittene Szenen sowie unrhythmische Entwicklungen, die den Eindruck des Unfertigen hervorrufen. Der Mix aus heftiger Action (die auch einem Bond gut stände), schaurigen und erschreckenden Horror-Elementen sowie dem Raum für die persönliche Entwicklung erweist sich als unausgewogen. Auch wenn sich Leser über solche ausführliche Stimmungsmomente freuen, die eigentlich nicht nötig sind, um die Handlung voranzutreiben - die Entscheidung, den letzten Teil der Harry Potter-Bücher in zwei Teilen zu verfilmen, ist ganz klar Geldmacherei. So findet der halbe Film kein richtiges Ende. Auch wenn der Hinweis bei Potter-Fans sinnlos sein mag: Man sollte wirklich warten, bis beide Teile 7 dann sicher auch hintereinander gezeigt werden.

10.11.10

Umständlich verliebt


USA 2010 (The Switch) Regie: Josh Gordon, Will Speck mit Jason Bateman, Jeff Goldblum, Juliette Lewis, Thomas Robinson, Jennifer Aniston, 102 Min.

So war das mit dem Spenden in Samen-Spende nicht gemeint: Auf der Party zur künstlichen Befruchtung seiner platonisch besten Freundin Kassie (Jennifer Aniston) verschüttet Wally (Jason Bateman) im Vollrausch auf dem Klo die wertvollen Tropfen eines ausgesuchten Top-Athleten und ersetzt sie durch seine eigene Spende. Jahre später, als Kassie mit ihrem Sohn Sebastian (Thomas Robinson) wieder nach New York zieht, hat Wally den Vorfall längst vergessen, doch frappante Ähnlichkeiten zwischen Kind und bestem - platonischen! - Freund der Mutter irritieren den etwas seltsamen Banker immer mehr. Als sich dann der vermeintliche Super-Mann aus dem Spender-Katalog anschickt, von der Erzeuger-Rolle zum Full-Time-Familienvater zu wechseln, muss der komische Kauz nach zu vielen Jahren des Platonischen endlich handeln.

Da auch der Film alles sehr früh verrät, müssen die Darsteller das Interesse an dieser romantischen Sonderling-Komödie halten. Was Bateman und dem jungen Thomas Robinson leidlich gelingt. Leider ist aber auch Jennifer Aniston dabei, ein Problem für wirklich jeden Film. Diesmal verhindert sie das Funktionieren von Romantik, besonderer Anteilnahme und größerem Interesse. Eine Schande, dass die besseren Schauspieler am Rande bleiben: Juliette Lewis ist für die ungezügelten Frechheiten dabei und Jeff Goldblum gibt cool den väterlichen Freund.

Die Welt ist groß und Rettung lauert überall


Bulgarien, BRD, Slowenien 2008 (Svetat E Golyam I Spasenie Debne Otvsyakade / The World Is Big and Salvation Lurks Around the Corner) Regie: Stefan Komandarew mit Miki Manojlovic, Carlo Ljubek, Hristo Mutafchiev, Ana Papadopulu 111 Min. FSK ab 6

Das Leben als großer Wurf, als Backgammon-Wurf, in dem alles möglich ist und alles passieren kann. Dieser Glücksfall osteuropäischen Erzählens gekreuzt mit deutschen Produktionsgeldern rollt in seiner Wohl- und Besser-Fühl-Geschichte ein Familiendrama samt einem eng damit verbundenen historischen auf. Oder besser gesagt: Er rollt es ab! Denn der Weg, den ein Opa mit seinem erwachsenen Enkel von Erfurt nach Bulgarien auf einem Tandem zurücklegt, ist der umgekehrte Weg, den der Junge einst mit seinen Eltern auf der Flucht in den Westen nahm.

Bai Dan (Miki Manojlovic) ist nicht nur König im Backgammon-Spiel, sondern gewann auch als Radrennfahrer 1954 die Bulgarien-Tour. So macht er sich, als er vom Unfall in Deutschland hört, auf den Weg zum Enkel Alex (Carlo Ljubek), der beide Eltern und sein Gedächtnis verloren hat, rüttelt den lethargischen jungen Mann auf und bringt ihn nach einer Weile dazu, mit auf dem Tandem nach Bulgarien zu fahren. Dieses spaßige und sympathische Road-Movie ist gleich mit zwei tieferen Bedeutungen gesegnet. Selbstverständlich bringt der gemeinsame Weg durch Wind und Wetter, über Alpen-Pässe und an die Adria-Küste für Alex eine Menge Er-Fahrungen mit sich. Er könnte aber auch „Zen. Oder die Kunst Backgammon zu spielen“ heißen. „Es gibt keine schlechten Würfe, nur schlechte Spieler!“ oder „Es gibt immer einen nächsten Wurf!“ lauten die fußball-ähnlichen Weisheiten dieses jedoch nur scheinbar simplen Spiels. Die sechs Schritte der Genesung folgen streng den Feldern des Spielbretts. König des Schauspiels bleibt dabei Miki Manojlovic, der markante Hauptdarsteller aus „Underground“ und der Boss von „Irina Palm“. Regisseur und Ko-Autor Stefan Komandarew lässt seine Geschichte mit sehr eleganten Übergängen fließen (Schnitt: Nina Altaparmakova), den rötlich warmen Farben Bulgariens steht das bläulich kalte Deutschland gegenüber. Oft geht der Blick in den Himmel, wo Wolken die Nachrichten gewaltsam entfernter Lieben übermitteln, und von dort oben blickt die Kamera gnädig zurück auf ihre Figuren, die mit einfachem Optimismus ihr Glück direkt um die Ecke finden werden.

9.11.10

South


Österreich 2009 (South) Regie: Gerhard Fillei, Joachim Krenn mit Matthew Mark Meyer, Claudia Vick, Sal Giorno 105 Min.
    
Werbe-schöne Bunt-Bilder einer Natur-Idylle werden abgelöst von grau grausamem Leiden einer Frau am gleichen Ort. „Einige Jahre später“ verrät ein Insert, ansonsten weiß man nichts. Was ist passiert? Bruce McGray (Matthew Mark Meyer) versteckt sich nach einem Raubüberfall in New York, seine Auftraggeber wollen ihn außer Landes schaffen, doch während sie ein Zugticket nach Kanada anbieten, will er gen Süden. Denn da gab es diese Frau, deren Tagebuch er bei sich trägt, an die er sich aber trotzdem nicht erinnert. Dabei kreuzen sich seine Weg mit einer jungen Frau, deren Freund sie brutal schlägt, und deren älterer Beschützer sich selbst nicht vor den Kredithaien retten kann. Immer wieder dringen Bilder auf Bruce ein, das Haus im Süden, eine Frau im Schlamm und Maria, eine Prostituierte, die ihn gut kennt. Sind es Erinnerungen. Oder Wahnvorstellungen, hervorgerufen durch seine Schussverletzung und die Schmerzmittel?

„Einige Jahre später“ steht auch symptomatisch für diese österreichische Produktion, die zwölf Jahre lang gedreht wurde! Trotz dieser fast unglaublichen Entstehungs-Geschichte (die übrigens auch gerade der deutsche Action-Film „Real Buddy“ erlebt) gelang ein äußerst ungewöhnlicher und dadurch reizvoller Film, der auch schon mal in die Kiste „experimental“ gesteckt wird. Viel Handkamera und grobkörniges Schwarzweiß, dazu authentische New York-Atmosphäre. Die sorgfältig gestylten Bilder halten die Spannung und die Geschichte bleibt bis zur letzten Minute rätselhaft. Man erinnert immer wieder „Memento“, nicht wegen der Struktur, sondern der verschlüsselten Erzählung dieses gekonnt inszenierten und gespielten modernen „film noir“.

Einfach zu haben


USA 2010 (EASY A) Regie: Will Gluck mit Emma Stone, Penn Badgley, Amanda Bynes, Thomas Haden Church, Lisa Kudrow, Malcolm McDowell, Stanley Tucci 92 Min.
 
Endlich mal eine amerikanische Teenie-Komödie, die Spaß macht und dabei die Intelligenz Pubertierender nicht beleidigt: Was Olive an Ausgrenzung mitmacht, als sie mal probiert, wie es wäre, sich sexuell auszuprobieren, spannt den Bogen von Nathaniel Hawthornes „Der scharlachrote Buchstabe“ bis zu Facebook. „Einfach zu haben“ zeigt Emma Stone („Zombieland“, „Superbad“) als klasse Komödiantin und bietet vor allem Mädchen eigenständige Rollenvorbilder abseits vom Schlampen-Klischee und religiösen Eiferern.

„Endlich sind wir beide Superschlampen!“ Rhia feiert die Geschichte vom wilden Wochenende ihrer Freundin Olive (Emma Stone) so enthusiastisch, dass diese gar nicht mehr anders kann, als ihr „entkorkt werden“ mit romantischen Kerzen auszuschmücken. Dabei ist überhaupt nichts passiert, alles erfunden. Doch dank technischer Beschleunigungsverstärker wie Handy und Internet verbreitet sich das Gerücht - per Zeitraffer raffiniert umgesetzt - bald durch die ganze Schule. Olivia hat den Ruf einer Schlampe weg und kann sich plötzlich hervorragend in die ausgegrenzte und mit dem A für Adultery (Ehebruch) markierte Hester Prynne (NICHT Demi Moore) aus dem Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ hineinversetzen. Aber das flotte Mädel packt die Gelegenheit beim Schopfe, heftet sich das rote A an besonders knappe Korsagen und testet diese Rolle mal aus. Zudem bittet sie ihr schwuler Freund Brandon, sie solle ihn mit einer - ebenfalls nur inszenierten - flotten Nummer zum vermeintlichen Hetero umpolen und vor Prügel wie Hänseleien retten. Ist der Ruf dann erst ruiniert, kann Olive ja auch gegen Gutscheine vom Baumarkt oder andere Gegenleistungen weiteren Außenseitern wenigstens behauptet die erste sexuelle Erfahrung verschaffen.

Gibt es virtuelle Prostitution? Doch bevor Olive jetzt zur Heiligen Hure im Stile Lars von Triers wird, halten die Macher von „Einfach zu haben“ ihre Teenie-Komödie vor allen mit unverkrampften und hellwachen Eltern (Patricia Clarkson, Stanley Tucci) sowie einer ebenso klug wie selbständig denkenden Hauptfigur im jugendfreien Bereich. Dabei ist der in jeder Hinsicht sorgfältig angelegte Film durchaus mutig und frech: Ob da die Freundin Rhia „Ballontitten“ hat oder Brandon „schwul wie ein Rudel Friseure“ ist - Jugendlichen wird mal nicht das Leben vorenthalten, während man sie mit vermeintlich provokanten Ekelszenen zugekippt. (Auffällig ist jedoch, dass die freche und freie Sprache nicht im Bild fortgesetzt wird. So hängt es tatsächlich an der Synchronisation, ob Olive rotzig bleibt oder ob sie in das verharmlosende Einerlei üblicher Jugendfilme von Disney & Co einstimmt.) Dass da ein Teenager verantwortungsvoll mit seinem eigenen Image (altmodisch: Ruf) umgeht, ist in Facebook-Welten ebenso zeitgemäß, wie die Frage nach dem ersten Mal zeitlos ist. Gleichzeitig erfüllt Olive sich (und vielen Zuschauern) den Wunsch, dass das Leben nur einmal so laufen möge, wie ein 80er Jahre-Film von John Hughes - samt Musical-Nummer ohne ersichtlichen Grund. Olive ist zwar nicht Ferris Bueller, aber schon mal viel besser als der Rest.

Plug & Pray


BRD 2010 Regie: Jens Schanze 91 Min. FSK o.A.

„Man steckt es rein und es funktioniert - oder manchmal auch nicht“, kommentiert ein alter Mann mit sarkastisch die typischen Windows-Fehlergeräusche. Der aufgeweckte Herr ist allerdings nicht irgendjemand, der einen Computer-Kurs bei der Volkshochschule belegt hat. Joseph Weizenbaum war weltweit angesehener Professor für Computer-Sprachen am Bostoner MIT und hat in den Sechziger Jahren mit ELIZA, einem digitalen Dialog-Experiment, die Diskussion über Künstliche Intelligenz vorangetrieben. Doch dann wendete sich Weizenbaum selbst von diesem Thema ab und äußerte sich fortan - nicht Fortran, liebe Nerds - öffentlich kritisch zur künstlichen Intelligenz wie zum allgegenwärtigen Kabelsalat, der sich „drahtlos“ schimpft.

Weizenbaum ist einer aus der handvoll Interviewten, die Jens Schanze in seinem Film auffährt, um eine obskure altmodische Technikfeindlichkeit aufzubauen. Wohlgemerkt geht es bei der Bedrohung, die sich in dräuender Musik zu blinkenden Serverwänden aufbaut, nicht um Googles Street View, der aktuellen Themen-Kuh, die voller Unkenntnis durchs digitale Dorf  getrieben wird. Der Japaner mit seinem Roboter, der ihm ähnelt wie ein Zwilling, der erfinderische Unternehmer Ray Kurzweil und der Italiener mit seinen Robocop-Imitaten, sie alle wollen den Menschen mit Maschinen verbessern. Ganz böse Militärs wollen dann diese Maschinen benutzen, uih, wie gefährlich...

Die vermeintlichen Gefahren dieser ebenso langweilig wie dröge gestalteten Dokumentation sind genau so altmodisch wie die Ansichten der befragten Personen. Behäbig, uninteressant, inhaltlich dünn - das wären noch die positivsten Beschreibungen. Da bringt es wesentlich mehr Spaß und Erkenntnis, „Neuromancer“ oder „Idoru“ von William Gibson zu lesen. Romane, die auch schon vor Jahrzehnten erschienen sind! Falls es mal einen großen Gedanken in diesem Film gab, haben ihn wohl die vielen TV-Sender ausgetrieben, mit denen sich der Abspann schmückt.

3.11.10

Buried - Lebend begraben


Spanien 2010 (Buried) Regie: Rodrigo Cortés mit Ryan Reynolds 95 Min. FSK ab 16

Dies ist wirklich ein Kammerspiel - in der engsten Bedeutung des Wortes: Paul Conroy (Ryan Reynolds) wacht in einer engen Kammer auf und ist scheinbar in einer Kistte unter der Erde begraben. Er hat nur sein Feuerzeug und ein Handy, dessen Ladung schwindet. Aus dem irakischen Telefonnetz versucht er Rettungen herbei zu rufen, doch erlebt den alltäglichen Horror von Hotlines, Call-Centern und akustischen Service-Wüsten.

Dieser alte klaustrophobische Albtraum kombiniert mit dem Kommunikationsmittel Mobiltelefon, das nicht nur für den fast völlig immobilen Paul traumatische Bedeutung erlangt. Eine einfache Formel, die erstaunlich gut aufgeht. Irgendwann melden sich seine Entführer, aber seine Frau ist nicht zuhause und das Pentagon ist wie immer mit anderen Dingen beschäftigt. Ryan Reynolds träft diesen extremen Solopart ganz alleine und hervorragend. Damit „Buried“ so gut funktioniert, haben allerdings auch Drehbuch und Schnitt sehr gut gearbeitet.

Machete



USA 2010 (Machete) Regie: Robert Rodriguez, Ethan Maniquis mit Danny Trejo, Robert De Niro, Jessica Alba, Steven Seagal 105 Min. FSK ab 18

Robert Rodriguez sorgte 1992 mit dem Low Budget-Film „El Mariachi“ für eine Sensation: Ein guter Mexiko-Western, für fast kein Geld gedreht, wurde international ein Hit. Danach macht er das teure Remake „Desperado“ (1995) und mit seinem Kumpel Tarantino „From Dusk Till Dawn“ (1995). Seitdem genießt Rodriguez scheinbar Narrenfreiheit. Neben Kinder-Action („Spy Kids“, „Das Geheimnis des Regenbogensteins“), härtesten Comics („Sin City“) oder Horror („The Faculty“) erlaubt er sich sehr sinnlose Spielereien wie das Grindhouse-Projekt mit Tarantino. Dreckige und billige Filmchen, wie sie früher in kleinen schäbigen Kinos (Grindhouse) liefen. In seinem Teil „Planet Horror“ baute Rodriguez einen Trailer für einen Film ein, den es damals noch nicht gab: „Machete“ zeigte den mexikanischen Action-Opa Danny Trejo mit seiner prägnanten Mimik bei hirnverbrannten Aktionen. Genauso geriet jetzt der tatsächliche Film, der reichlich Überlänge für einen Scherz hat.

Der mexikanische Austragskiller Machete (Danny Trejo) soll einen texanischen Senator (De Niro) im Wahlkampf erschießen, der Auftrag ist allerdings eine Falle - Machete wird als ausländischer Sündenbock gejagt, der Politiker zum Held hochgejubelt. Doch in einer aberwitzigen Folge unglaublicher - und unglaublich brutaler - Szenen entkommt der simple Schlächter immer wieder und rächt sich an den weißen Schurken.

Originell ist dieser überzogene Actionfilm nur in der Menge verschiedener Arten, Menschen umzubringen. Oder vielleicht noch darin, die Verhältnisse in Texas auf den Kopf zu stellen: Jeder Weiße steht unter Verdacht und erweist sich schließlich auch als Verbrecher, während die Mexikaner die besseren Menschen sind. Unglaublich vor allem, dass bei diesem Brutalo-Blödsinn, der immerhin einige Millionen gekostet hat, Schauspieler mit Rang und Namen mitmachen: Robert De Niro, Jessica Alba, Michelle Rodriguez, Don Johnson und Lindsay Lohan werden ihren Auftritt sicher noch in vielen peinlichen Zusammenschnitten bedauern können.

2.11.10

Carlos - Der Schakal


Frankreich, BRD 2010 (Carlos) Regie: Olivier Assayas mit Édgar Ramírez, Nora von Waldstätten, Alexander Scheer, Christoph Bach, Julia Hummer 187 Min.

Die Geschichte des Super-Terroristen Carlos wird im Vorspann bewusst als Fiktion ausgewiesen, wiewohl alle Taten des real in französischer Haft einsitzenden Verbrechers real sind. Das neueste, spannende Werk von Olivier Assayas („Clean“, „Demonlover“, „Irma Vep“) durfte im Mai in Cannes als Fernsehfilm nicht in den Wettbewerb. Dabei weiß man schon länger, dass TV oft hochwertiger als Kino ausfällt.

Wie auf Jobsuche bietet sich der junge Ilich Ramírez Sánchez Anfang der Siebziger selbst den Palästinensern an. Er hat ein Moskauer Diplom in Ökonomie, will aber auf seine Weise das Unrecht der Welt ausgleichen. Was er auch gerne ausführlich vielen Frauen erzählt. Demos ändern nichts, man müsse bewaffnet Widerstand leisten. Mit seinem neuen Kampfnamen Carlos begleitet er zuerst Aktionen anderer, meist stümperhafter Kämpfer. Drei Japaner wollen Kampfgenossen der „Roten Armee Japans“ freipressen, als die Verhandlungen stocken macht Carlos „Terror im algerischer Stil“: Er schmeißt zwei Handgranaten in Pariser Cafes, die jüdische Besitzer haben. Der arrogante Attentäter bewundert sich nach dem Mordanschlag nackt im Spiegel.

Als das europäische Netzwerk des bewaffneten palästinensischen Widerstands auseinander fällt, übernimmt Carlos die Führung, um den Friedensprozess Arafats zu boykottieren. Assayas erzählt im ersten Teil sogar spaßig: Da fliegt das Geschoss der Panzerfaust in Orly weiter am El Al-Flugzeug vorbei und kroatische Befreiungskämpfer reklamieren den Fehltreffer auf ein jugoslawisches Flugzeug umgehend für sich. Mit der Straßenbahn geht es zur revolutionären Geiselnahme bei der OPEC-Konferenz in Wien. (Ob sie eine Fahrkarte lösten, ist nicht zu sehen.)

Wie bei Soderberghs „Che“ besteht auch „Carlos“ aus zwei Teilen, die Aufstieg und Niedergang eines Revolutionärs zeigen. Sosehr vor allem die Musik einen „coolen“ Typen mit Waffe in der Hand vorführt, sosehr wird immer wieder der egozentrische Extremismus des Protagonisten vorgeführt: Carlos bittet mitten in eine Party mit Freunden aus Lateinamerika die französischen Polizisten zu einer Gegenüberstellung - um dann die Beamten und einen Verräter zu erschießen. Dieser meistgesuchte Feind vieler Staaten plant kaltblütig und mordet heißblütig. Vor allem erschießt immer wieder einmal zuviel. „Waffen sind eine Verlängerung meines Körpers“, meint er einmal. Ist er deshalb auch so erfolgreich auch bei den Frauen, die bei den Waffen ganz aufgeregt werden?

Aber auch als Frauenheld zeigt der Narzisst seine Menschenverachtung. Während der Wiener Geiselnahme nimmt sich der Film viel Zeit, um Carlos’ Denkweise in mehreren Gesprächen offen zu legen. Mit intellektueller Schärfe und unmenschlicher Härte wandelt sich der vermeintliche Idealist zu einem Söldner des internationalen Terrorismus.

Die immer packende Inszenierung von Assayas kann sich - auch in der fünfstündigen Langversion - auf den Hauptdarsteller Édgar Ramírez verlassen. Dank der aktiven Mitarbeit deutscher Zellen am Kampf der Palästinenser bekommen auch eine Reihe deutscher Darsteller eindrucksvolle Auftritte. Vor allem Christoph Bach funktioniert als Hans-Joachim Klein - mit dem Kampfnamen „Angie“ - als Gewissen und Gegenfigur, die noch zwischen Zionismus und Antisemitismus differenzieren kann und nach der Entebbe-Entführung entsetzt aussteigt.

Du schon wieder


USA 2010 (You Again) Regie: Andy Fickman mit Kristen Bell, Jamie Lee Curtis, Sigourney Weaver ca. 90 Min.

Viel Spaß mit den Spätfolgen von Schul-Mobbing: Dass Marni (Kristen Bell) glaubte, die Höllenqualen der Schulzeit seien endlich vorüber nachdem sie der Highschool entfloh, sich Kontaktlinsen zugelegte und super Karriere machte, war ein Trugschluss. Denn ausgerechnet der große Bruder, der Marni immer beschützen wollte, bringt unwissentlich die Rädelsführerin des Mobs von damals als Verlobte in die Familie. Joanna (Odette Yustman) tut zwar so, als wüsste sie von gar nichts, aber bald zeigt das Biest ihre Krallen und es kommt an irgendeiner dieser amerikanischen Vor-Vor-Feiern zur Schlacht am schleimigen Buffet. Und auch Marnis Mutter (Jamie Lee Curtis) sowie Joanas Tante (Sigourney Weaver) haben eine gemeinsame traumatische Schulvergangenheit. Danach fährt der Film allerdings erst recht seine schmierigen Seiten auf und so schlittern alle in eine krampfige Versöhnung. Merke: War doch alles gar nicht so schlimm. Sie wollte doch nur spielen und dein Leben für immer zerstören...

Von den grob überzeichneten Pickeln des Mobbing-Opfers bis zu den Familienfeierlichkeiten und dem endlosen „Es tut mir leid“-Finale: Die Künstlichkeit der Gefühle in diesem schlaffen Komödchen schreckt ebenso ab wie die schlampige Machart. Jamie Lee Curtis und Sigourney Weaver könnten neben den schauspielerischen Nullnummern glänzen, doch die einzige Regieanweisung lautete scheinbar „Grins’ doch mal schön blöde in die Kamera...“ Außerdem klingt die schreckliche Synchro so, als wenn auch dort schon niemand diesen Mist ernst nehmen konnte.