27.10.10

I Am Love


Italien 2009 (Io sono l'amore) Regie: Luca Guadagnino mit Tilda Swinton, Flavio Parenti, Edoardo Gabbriellini, Alba Rohrwacher 119 Min. FSK ab 12

Eine große Familiengeschichte. Der Weg einer besonderen Frau zu sich selbst und in die Freiheit. „I Am Love“ ist eines dieser Meisterwerke, vor denen man nur ergriffen dastehen oder dahin schmelzen kann. Tilda Swinton, die als Produzentin den Stoff elf Jahre lang mitentwickelt hat, glänzt als selbstvergessene russische Frau eines italienischen Patriarchen.

Im edlen Dekor kunstvoller Bilder zeigt der distanzierende Spiegel den flüchtigen Kuss für den Ehemann. Emma Recchi (Tilda Swinton) steuert mit aufmerksamem Blick und kleinen Gesten das Personal an diesem feierlichen Abend. Der Schwiegervater wird die Mailänder Stoff-Dynastie an die nächste Generationen weitergeben, an Emmas Gatten Tancredi Recchi (Pippo Delbono) und den gemeinsamen Sohn Edoardo (Flavio Parenti). Nach dieser Winterszene springt der Film in die sommerlichen Straßen Mailands und San Remos, in denen Emma Überraschendes über ihre Tochter Elisabetta Recchi (Alba Rohrwacher) erfährt und sich in einer Affäre mit Antonio Biscaglia (Edoardo Gabbriellini) dem Freund des Sohnes verliert. Die Liebe zu dem Koch bahnt sich über den Magen an, Emma ist begeistert von seinen Kreationen, die Erkundung einer Vorspeise wird zu einem magisch lustvollen Moment. Ein heimlich erwünschtes, aber trotzdem zufälliges Treffen zeigt die elegante Frau aus besten Kreisen völlig verwirrt und - nach einem unscharf gehalten Kuss - überglücklich. Dabei schafft es der sensationell sinnliche Film, das freie Glückgefühl der Verliebten dem Publikum durch ungewöhnliche Naturbilder und den prägnanten Musikeinsatz des Minimal-Music-Kompositionen John Adams zu vermitteln.

Mit seiner elliptischen Erzählweise schafft es Regisseur Luca Guadagnino, komplexe Vorgänge wie die Wandel im Geschäftsleben und in Beziehungen, ästhetisch brillant und emotional überwältigend darzubieten. Die opulenten Familienszenen im Stile eines Visconti, bei denen Gläser und Schmuck zeitweise ein Eigenleben gewinnen, die Ausstattung der Menschen wichtiger scheint als die Persönlichkeit. Dazwischen immer wieder irritierende Achsensprünge, lange Szenen ohne Sprache, bevor Sätze wie Vorschlaghämmer fallen. Das Finale dieser Film-Symphonie schließlich ein grandioses Gesellschafts-Ballett einer Flucht.

Tilda Swinton spielt die Gesellschaftsdame zwischen graziös und hingebungsvoll, dann nach einem tragischen Unfall ergreifend haltlos. Ebenso einnehmend dargestellt sind ihre Kinder: Der Sohn Edoardo, der die Firmengeschicke nicht mehr in Händen hält. Die Tochter Elisabetta, die ihr Glück in London in der Liebe zu einer Frau findet. Bis ins kleinste Detail überzeugt dieses satte Befreiungs-Drama: Emma entdeckt über ein Suppen-Rezept ihre russischen Wurzeln wieder, obwohl sie sich nicht mal mehr an ihren russischen Namen erinnerte. Ausgerechnet dieses doppelte Liebesgeschenk verrät sie, stößt den Sohn ins Verderben und die Türe zur Freiheit weit auf.

26.10.10

Takers


USA 2010 (Takers) Regie: John Luessenhop mit Chris Brown, Hayden Christensen, Matt Dillon 107 Min.

Schicke Gangster sollten klug sein, diese fallen aber durch überzogen modische Klamotten, prollig herausgestellten Luxus und arrogantes Gehabe auf. Böser Fehler! Denn bald sieht dieser Thriller besser aus als er funktioniert. Die Aktionen der Bank- und sonstwie Räuber bleiben trotz lauter Musik wenig spannend. Nur mit der üblichen Materialschlacht in dem zentralen Raubzug kann der Film etwas Eindruck schinden. Das finale Shoot Out mit russischer Wehmuts-Musik und Zeitlupe ist dagegen nur peinlich. Das Problem liegt in der schematischen Anlage dieses Heist-Movies, in dem man zahllose Vorbilder schnell wiedererkennt. Vor lauter Kopieren und Ausrechnen der Marktchancen wurde die Figurenentwicklung vernachlässigt. Die Familienprobleme von Gut und Böse wirken nur aufgesetzt. Selbst bekannte Gesichter wie Matt Dillon oder Paul Walker, die unter guter Führung mehr können, reißen diesen schon in der Blaupause vergeigten Anschlag auf die Kinokasse nicht mehr raus.

In ihren Augen


Argentinien, Spanien 2009 (El Secreto De Sus Ojos) Regie: Juan José Campanella mit Ricardo Darín, Soledad Villamil, Carla Quevedo, Pablo Rago 129 Min. FSK ab 12

Die Oscar-Favoriten der etwas vergreisten amerikanischen Film-Academy gefallen in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ traditionell eher durch großen Rührfaktor als mit mutiger Filmkunst. Der „Auslands-Oscar“ für die Produktionen des Jahres 2009 jedoch überzeugte in jeder Hinsicht: „In ihren Augen“ ist im Hintergrund klassisches Politdrama über die Gewalt der Militärdiktatur Argentiniens. Aber auch spannender Krimi, ergreifende Liebesgeschichte und vor allem ein immer wieder überraschender, exzellenter Film.

Der pensionierte Justizbeamte Benjamín Espósito (Ricardo Darín) zeigt sich als rüstiger Rentner: Er hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen für die Frauen und die ehemaligen Kollegen. Doch zuhause findet er nicht die Worte für den Roman, der einen ungelösten Fall nacherzählen soll. Und in der Nacht schreibt er auf einen Zettel „Temo“ - Ich habe Angst!

Kurz vor dem Tod und damit dem Ende der zweiten Amtszeit des Präsidenten Perón im Jahre 1974 untersuchte Benjamín Espósito in Buenos Aires erschüttert den Tatort von Vergewaltigung und Mord an einer jungen Frau. Zwar ließ ein rechter Kollege ein Geständnis aus zwei unschuldigen Bauarbeitern herausprügeln, doch erst die intensive Recherche führte Benjamín auf die Spur des Täters. Dessen Blicke auf alten Fotos mit dem Opfer verrieten ihn. Aber der Mörder Isidoro Gómez (Javier Godino) konnte immer wieder fliehen. Der lächerliche Chef ließ den Fall zu den Akten legen, nur die jüngere Staatsanwältin Irene Menéndez Hastings (Soledad Villamil) unterstützte Benjamín. Wohl auch, weil ihr Blick versteckte Gefühle verriet.

Als Benjamín Gómez im Fußball-Stadion des heißgeliebten Racing Clubs fassen konnte, war es auch Irene, die den Verdächtigen bei seinen Leidenschaften packte und ihn in einer atemberaubenden Szene raffiniert provozierte, die Hosen runter zu lassen. Aber der Inhaftierte tauchte bald an der Seite der neuen Präsidentin (und Marionette der Paramilitärs) Isabel Perón auf. Benjamíns Assistent und Freund wurde ermordet, er selbst musste in die Provinz fliehen, bevor er Irene seine Gefühle gestehen konnte. Die Zeiten hatten sich wieder einmal gewandelt. Die Brutalität des Mordes an der jungen Frau war Vorzeichen für Folter, Vergewaltigung und Mord einer rechten Regierung, die schamlos ihre Macht raushängen lässt.

Wie es neuerlich auch deutsche Justiziare tun, versucht Benjamín Espósito, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Das erweist sich nicht nur wegen der alten Olivetti mit dem defekten A als Problem. Die Schreibmaschine ist eine Quelle des Humors, der immer wieder in diesem exzellenten Drama auftaucht. Dazu begeistert der Oscar-Sieger „In ihren Augen“ flotten Dialogen voller Raffinesse und mit eindrucksvollen Schauspielern, die auch Nebenfiguren sehr interessant gestalten.

Dass Benjamíns Probleme der Erinnerung nach zwanzig Jahren keine einfache Schreibblockade, sondern ein gesellschaftliches Tabu sind, scheint offensichtlich. Intensiv nachfühlbar kristallisiert sich das Nachdenken über Formen der Justiz in der Geschichte. Auf allen Ebenen arbeitet der Regisseur und Autor Juan José Campanella mit exzellenten Bildern: Die scheinbar alberne Manie Irenes, ihre Bürotüre je nach privater oder dienstlicher Situation zu schließen, entwickelt sich zu einer starken Metapher. So gelang „In ihren Augen“ auf allen Ebenen spannend und liefert auch erzählerisch einen sehr schönen Schluss, wenn sich das „Temo“ (Ich habe Angst) mit nur einem Buchstaben mehr in ein „Te amo“ (Ich liebe dich) verwandelt.

R.E.D.


USA 2010 (RED) Regie: Robert Schwentke mit Bruce Willis, Morgan Freeman, John Malkovich, Helen Mirren, Mary-Louise Parker 111 Min.

Robert Schwentke ist unter den gar nicht wenigen neuen deutschen Hollywood-Regisseuren der erfolgreichste. Während viel Nachwuchs sich im Horror die Finger schmutzig macht, sammelt Schwentke beeindruckende Projekte mit großen Stars. Seit dem heftigen Thriller „Tattoo“ (2002) und der ebenso klugen wie frechen Kranken-Komödie „Eierdiebe“ (2003) drehte er mit Jodie Foster „Flight Plan - Ohne jede Spur“ (2005), mit Eric Bana „Die Frau des Zeitreisenden“ (2009) und nun mit einer ganzen Riege von Hollywood-Größen den Action-Spaß „R.E.D.“. Mit dabei ist immer der Kameramann Florian Ballhaus, Sohn der Legende Michael Ballhaus.

„R.E.D.“ startet fast gemächlich mit dem einsamen Ruheständler Frank Moses (Bruce Willis), dessen Leben sich um Fürsorge für einen Avocado-Kern und regelmäßige Telefonate mit der netten Sarah (Mary-Louise Parker) vom Call-Center dreht. Bis Frank, noch im Morgenmantel, problemlos drei schwer bewaffnete Angreifer umlegt. Kurz darauf wird sein Haus von Kugeln durchsiebt und pulverisiert, aber er ist schon unterwegs nach Kansas City. Dort findet ihn die sehr überraschte Sarah in ihrer Wohnung, er hat schon ihre Tasche gepackt und auch gestaubsaugt. Die will gar nicht mit einem Unbekannten verreisen, doch eine neue Horde von Killern, sowie Klebeband auf dem Mund helfen nach.

Es bleibt in der sehr raschen Entwicklung rätselhaft, weshalb der ehemalige und berüchtigte CIA-Mitarbeiter Frank Moses verfolgt wird. Seine sehr spinnerten Aktionen jedoch, die er mit äußerster Selbstverständlichkeit (amerikanisch: Coolness) hinlegt, unterhalten vortrefflich. Herrlich abstrus auch die Reaktionen der erst entführten, aber von dem ganzen Geheimdienst-Geballere immer mehr begeisterten Sarah: Sie erwartete nicht, gekidnappt oder betäubt zu werden, und sie hoffte, das er Haare habe, aber dies sein nicht mal ihr schlechtestes erstes Date! Der eigentlich recht schüchtern Verliebte fragt sich mitten im Feuergefecht schon mal, ob sie ihn wirklich wolle, und tritt dann einfach mal den Rigips neben einer Panzertür ein, wenn er den Geheimcode der zu erstürmenden CIA-Zentrale nicht mehr kennt.

Mit diesem ungleichen Pärchen, flotten Dialogen, gutem Tempo und einem anständigen Polit-Thriller im Hintergrund - demnächst auf Wikileaks - hätte die Comicverfilmung „R.E.D.“ ihr Soll längst erfüllt. Die Action-Komödie sammelt auf der Flucht jedoch zusätzlich noch eine Handvoll ebenso irrer Figuren auf: Morgan Freeman gibt den ehemaligen CIA-Vorgesetzten, der nicht im Altersheim sterben will. John Malkovich ist die Krönung als paranoider Marv, der jahrelang mit LSD behandelt wurde. Auch die schießwütige ehemalige MI6-Agentin Victoria (Helen Mirren) bereichert den Film mit ihrer eigenen Geschichte. Wer ihre große Liebe war, von der sie sich mit drei Schüssen in die Brust verabschieden musste, verrät erst das Finale zwischen etwas langatmigen Action-Routinen.

Richard Dreyfuss gibt einen angefetteten Industriellen, der die US-Regierung als eigene Firmenabteilung ansieht. Brian Cox sorgt als Ex-KGBler Ivan Simanov beim Wodka-wehmütigen Treffen mit Frank Moses für besonders viel Spaß. Und auch das Wiedersehen mit Western-Legend und Airwolf-Assistenten Ernest Borgnine macht viel Freude. Ein paar Wochen nach der überflüssigen Senioren-Stallone-Action „Expendables“ schießt sich dieser reife und frische Film mit Figuren und Geschichten, die sich nicht zu ernst nehmen, auf die gleiche Humor-Höhe wie Eastwoods „Space Cowboys“. Der Stuttgarter Robert Schwentke katapultierte sich damit gekonnt noch mehr ins Rampenlicht des Hollywood-Films.

Sammys Abenteuer - Die Suche nach der geheimen Passage (3D)


Belgien 2010 (Sammy's Avonturen: De Geheime Doorgang) Regie: Ben Stassen 86 Min. FSK o.A.

Ein Bio-Film, der schmeckt wie papierne Vollkorn-Nudeln und bei dem harte Kanten zusammen mit bösen Überraschungen auch noch die letzten Hoffnungen auf nettes Filmvergnügen aussterben lassen: „Sammys Abenteuer - Die Suche nach der geheimen Passage (3D)“ beweist vor allem die Beherrschung von digitaler 3D-Animation in schönen Unterwasser-Passagen. Die Figurenzeichnung wird dagegen böse vernachlässigt. Wortwörtlich in den plumpen Gesichtern der Tiere und übertragen in den lieblos entworfenen Charakteren.

So wird einem die 50-jährige Reise der Grünen Meeresschildkröte Sammy (Buch: Domonic Paris) vom kalifornischen Strand in den Pazifik, durch den Panama-Kanal in den Atlantik und wieder zurück arg lang(weilig). Zwar regnet es mal Schweröl auf die Korallen, zwar droht eine Plastiktüte Sammy zu ersticken und auch Greenpeace hat einen Einsatz gegen Walfänger, doch diese Öko-Lerneinheiten bleiben aufgesetzt. Zudem erfahren wir Grundlegendes nicht: Wie Schildkröten atmen und dass sie sich in ihrem Panzer verstecken könnten. Da erzählt die kleine Schildkrötenepisode aus „Findet Nemo“ viel mehr und das Meisterwerk „Ponyo“ verknüpft vorbildlich universale Einsichten mit bester Unterhaltung.

Die tatsächlich eindrucksvollen 3D-Unterwasserwelten der kreativen Brüsseler Animations-Schmiede nWave von Ben Stassen, der bei den „Rides“ für Freizeitparks Markführer war, bleiben eine oberflächliche Show mit einigen Schreckmomenten, die nicht (klein-) kindgerecht sind.

19.10.10

Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt


USA 2010 (Scott Pilgrim Vs. The World) Regie: Edgar Wright mit Michael Cera, Alison Pill, Mark Webber 112 Min.

Ein Comic-Roman von Bryan Lee O'Malley ist die Grundlage dieser Geschichte von Scott Pilgrim (Michael Cera). Das erklärt einiges, aber kaum all die vielen Stilelemente. Im Prinzip lernt der sehr nerdige Teenager, dessen Haupteigenschaft eine weinerliche Stimme zum passenden Gesicht ist, seine Traumfrau Ramona (Alison Pill) kennen und muss sich mit deren sieben üblen Ex-Freunden auseinandersetzen. Das geschieht im Stile eines von Bollywood-Musicalelementen und anderen Genre-Zitaten verseuchten Videospiels. Gleichzeitig kämpft Scotts talentfreie Band in einem Wettbewerb und damit hat sich die Handlung schon erledigt.

Aufgefüllt wird der Teen-Film mit animierten Geräuschen, Text-Einblendungen und skurrilen Szenen. Ein witzig-wilder Stilmix, der auch mal auf TV-Soap macht, während sich die Erzählung an den sieben Kämpfen entlang hangelt. Wenn das im zweiten Kampf noch wie Karikatur wirkt, zeigt es sich in der Wiederholung als Haupt-Bestandteil des Films. Abgesehen vom Spaß am heftig bewegten Bild wirkt vieles wie eine Einführung ins Action-Kino für nerdige Anti-Helden. Doch trotz aller frischen Gimmicks dreht sich alles um Boy-meets-Girl. Die junge Beziehung muss sich nicht nur der tödlichen Exen erwehren. Man hat öfters das Gefühl, Scott und Ramona wollen einfach nur zusammen nach Hause und den Overkill an Effekten abstellen.

Ondine - Das Mädchen aus dem Meer


Irland, USA 2009 (Ondine) Regie: Neil Jordan mit Colin Farrell, Alicja Bachleda-Curus, Alison Barry, Stephen Rea 111 Min.

Es ist eine grandiose Irland-Geschichte zwischen Fabel und Thriller, die Neil Jordan („Mona Lisa“) da mit „Ondine“ ins Netz gegangen ist. Oder gehen wir ihm ins Netz, wenn wir lange rätseln, ob der Autor und Regisseur hier ein Märchen erzählt...

Kurz darf man den Salzgeschmack der irischen Meeresküste schmecken, da geht dem Fischer Syracuse (Colin Farrell) eine junge Frau ins Netz. Eine Meerjungfrau? Das panische junge Wesen (Alicja Bachleda-Curus) hat auf jeden Fall keinen Namen und möchte von keinen anderen Menschen gesehen werden. Erst einen Tag später, nachdem Syracuse sie in seiner abgelegenen Hütte untergebracht hat, will sie Ondine genannt werden und sorgt mit einem Gesang in fremder Sprache für sagenhaften Fang.

Zwischendurch kümmert sich der raue Seemann Syracuse rührend um seine zuckerkranke Tochter Annie (Alison Barry), fährt sie zur Dialyse, erzählt ihr Geschichten. Dass hinter seinem Märchen von der Meerjungfrau mehr steckt, ahnt das ebenso lebenslustige wie hochintelligente Mädchen schnell. Sie informiert den Vater auch, dass es zu jeder Nixe einen eifersüchtigen Mann gibt, der sie wieder in die Tiefen zurückziehen will. Und schon taucht ein düsterer Fremder im kleinen Fischerdorf auf. „Verquerer und verquerer!“ zitiert Annie „Alice im Wunderland“. (Curiouser and curiouser! im Original, das unbedingt vorzuziehen ist!) Und tatsächlich häufen sich die wundersamen Ereignisse. Oder sind es alles Zufälle, die in den Augen eines fantasievollen Wesens märchenhaft erscheinen?

Neil Jordan, der mit „The Crying Game“ eine politische Irland-Geschichte erzählte und auch mal Märchen wie „Die Zeit der Wölfe“ oder „Interview mit einem Vampir“ drehte, gelingt mit „Ondine“ eine geniale Vermengung von Geschichten. Über fein gesponnen komödiantische und doppelsinnige Dialoge changiert die Welt um Syracuse dauernd zwischen Märchen und rauer Realität. Denn der Fischer (Colin Farrell - kaum wieder zuerkennen) ist trockener Alkoholiker, wie aus den köstlichen Gesprächen mit seinem Freund und Priester (Crying Game-Star Stephen Rea) hervorgeht. Aber trotz seiner Fürsorge bleibt das Sorgerecht für Annie bei der saufenden Mutter Maura (Dervla Kirwan) und ihrem verdächtigen Partner.

Der Ire Jordan und sein genialer ozeanisch-asiatischer Kameramann Christopher Doyle begeistern mit ungewöhnlichen Perspektiven und den schönsten Irischgrün-Tönen, die eine Kamera einfangen kann. Sie reihen eine Perle der Bildgestaltung an die nächste. Ein Bilderbuch-Märchen für sich! So ergibt sich ein ungemein dichtes Meisterwerk, das ganz real ein Thriller wird, psychologisch sehr klug gestrickt ist, Sigur Rós eine entscheidende Rolle gibt und viel zu märchenhaft ist, um es auf eine Kritik zu reduzieren.

18.10.10

Wall Street: Geld schläft nicht


USA 2010 (Wall Street: Money Never Sleeps) Regie: Oliver Stone mit Michael Douglas, Shia LaBeouf, Josh Brolin, Carey Mulligan, Eli Wallach, Susan Sarandon, Frank Langella 134 Min. FSK ab 6

„Wall Street: Geld schläft nicht“ verbindet den weltweiten Zusammenbruch des Bankensystems mit einem Familiendrama: Der junge Aktien-Händler Jake Moore (Shia LaBeouf) erlebt hautnah mit, wie zuerst seine alte Investment-Firma wegen fauler Kredite hopps geht und danach der ganze Bankensektor plötzlich astronomische Beträge von den Regierungen hinterher geworfen bekommt. Wer hinter den Kulissen die Fäden zieht, erklärt ihm niemand anders als der legendäre Aktien-Zocker Gordon Gekko (Michael Douglas), der wegen Insider-Handels im Knast saß. Im Tausch für diese Informationen soll ihn Jake mit seiner Verlobten Winnie (Carey Mulligan) wieder zusammenbringen. Winnie ist Gekkos Tochter, verachtet ihn aber, seit ihr Bruder sich umgebracht hat, ohne dass der Vater helfen konnte. Parallel zu dieser schwierigen Familienzusammenführung werden Intrigen geschmiedet, gerät ein Erbe von 100 Mio. Dollar in falsche Hände und kämpft ein Forschungsprojekt für regenerative Energien ums Überleben.

Gordon Gekko ist zurück aus dem Knast und Oliver Stone drehte wieder an der Wall Street. Die Fortsetzung „Wall Street: Money never sleeps“ schlachtet nach 23 Jahren die nahezu prophetischen Analysen über kannibalisierende Finanzmärkte aus dem Erfolg „Wall Street“ aus. Ein wenig viel für einen Film, der moralisch und filmisch überzeugen will. Denn Oliver Stone versucht nicht nur – mehr schlecht als recht – den Banken-Crash zu erklären, er macht auch auf grüne Energie-Politik und Romanze. Man erwartete Anklagen oder sogar Antworten von dem Regisseur, der sich seit „Geboren am 4. Juli“ politisch gibt. Doch Oliver Stone ist auch der Autor von „J. F.K.“, dem Film über das Kennedy-Attentat, bei dem einem auf bis dahin ungekannte Weise der Schädel brummte, aber man keinen Deut schlauer war nachher. Und ähnlich geht Stone auch „Wall Street 2“ an. Viele Gestaltungs-Gimmicks und schwierige Worte wie Derivate schwirren ebenso herum wie rein dekorative Kurs-Charts und Torten-Diagramme, die durch die Hochhausschluchten Manhattans schweben. Wirklich entlarvend ist Stone dabei nur einmal, als er bei einer Wohltätigkeits-Gala minutenlang allein den schweren Schmuck der Damen zeigt. Ansonsten ist Michael Moores „Capitalism: A Love Story“ nicht nur aufschlussreicher in Sachen Bankenkrise, die Doku unterhält auch besser als der Spielfilm „Wall Street 2“.

„Wall Street: Money never sleeps“ war nicht unbedingt das persönliche Projekt vom dreimaligen Oscar-Gewinner Stone. Er stieg erst 2009 ein und übernahm das Drehbuch des ehemaligen Aktienhändlers Allan Loeb. Das überzeugende Ausschlachten der Legende „Wall Street“ scheitert auch am Rest der Besetzung: Wer ist dieser Niemand auf dem riesigen Plakat neben Michael Douglas, werden sich viele gefragt haben? Aber Shia LaBeouf („Transformers“) hält sich ganz wacker neben dem alten Fuchs Douglas. LaBeouf mit dem jungen Tom Cruise zu verwechseln, wäre jedoch völlig überzogen. Er spielt die Rolle, die keine höchsten Ansprüche stellt, nur anständig. So darf man dem Film sein berühmtestes Zitat vorhalten: „Greed is good“ (Habgier ist gut - in diesem Fall ist die Habgier der Filmproduzenten als Hauptmotiv unübersehbar.

Banksy - Exit Through The Gift Shop


Großbritannien 2010 (Exit Through The Gift Shop) Regie: Banksy 86 Min.

Banksy, der weltbekannte Street Art-Künstler, inszenierte mit „Exit Through The Gift Shop“ einen Film, der raffiniert zwischen amateurhafter Dokumentation und Mockumentary wechselt. Die Aufnahmen eines verrückten Franzosen aus Los Angeles, der sich mit naiver Begeisterung in die internationale Street Art-Szene stürzt, landen angeblich bei Banksy, der sie darauf im zweiten Teil zur humorvollen Demontage des Kunstbetriebes montiert. „Ein Film über einen Mann, der versucht hat, einen Film über mich zu drehen“, so beschreibt Banksy seinen ersten Spielfilm.

Banksy ist ein international gefeierter Street Art-Künstler. Bekannt sind seine Schwarzweißbilder von sich küssenden Polizisten und Straßenkämpfern, die mit Blumen werfen. Im Westjordanland bemalte der Brite die monströse Mauer der Israelis mit künstlerischen Durchbrüchen. Mittlerweile sind seine Guerilla-Arbeiten, die in meist nächtlichen Aktionen mit unterschiedlichsten Materialien im Öffentlichen Raum erstellt wurden, in Museen wie dem MoMA oder der Tate Modern zu sehen.

Wie Street Art selbst spielt auch „Exit Through The Gift Shop“ mit der Wahrnehmung der Zuschauer. Der erste Film Banksys sieht erst einmal aus wie eine Dokumentation: Wir erleben den französischen Boutiquenbesitzer Thierry Guetta aus Los Angeles, der schon immer alles gefilmt hat, was ihm vor die Linse kam. Als er irgendwann Street Art entdeckt, weil der bekannte Künstler Invader sein Neffe ist, dringt er immer mehr in die Szene rein, lernt viele der Stars wie Shephard Fairey kennen und findet in dieser Dokumentation ein Ziel für die emsige Aufnahme seiner Umwelt.

Der ungeschickte Trottel Thierry, bei dem man befürchten muss, dass er bei einer Klebeaktion vom Dach fällt, ist selbst dabei, wenn Banksy eine Guantanamo-Szene in Disney Land nachstellt und Panik bei der Security auslöst. Er schafft es sogar, das Filmmaterial heraus zu schmuggeln. Doch all dieses Material stapelt sich nur in Thierrys Wohnung. Eine hektisch zusammengehauene Schnittfassung für Banksy, der das Projekt eigentlich unterstützen wollte, erweckt bei diesen den Eindruck „einer Person mit geistigen Problemen und einer Kamera“. Also übernimmt Banksy die Regie und wir erleben nun, wie Thierry selber zum Künstler Mr. Brainwash wird, beziehungsweise die vorher dokumentierten Street Artisten ziemlich dreist und platt kopiert.

Zu sehen, wie ein Idiot Erfolg hat, wie er eine Mega-Ausstellung trotz aller Probleme zum Event macht, liefert eine andere Art von Humor. Der Spaß an einer innovativen Kunstform mit ihren schillerenden Aktionisten macht Platz für eine deftige Farce des Kunstbetriebes, dem man scheinbar alles andrehen kann. Das ist im zweiten Teil dann ein klares Statement des Künstlers Banksy, der sich mit seiner Anonymität diesem Zirkus teilweise entzieht.

Auf seiner Website banksyfilm.com nennt Banksy sein Werk „The worlds first Street Art disaster movie“ - den ersten Street Art Katastrophen-Film! Der Film ist zumindest in Teilen so wie die Produktionsfirma heißt: Paranoid. In Thierry hat er eine Haupt- und Witz-Figur, die zu duchgeknallt ist, um nicht echt zu sein.

14.10.10

Tati erobert Gent




Gent. Museale Präsentationen zu Film-Regisseuren bieten meist nette Details und Erinnerungen an den Künstler. Die gestern in Gent eröffnete kongeniale Ausstellung zum französischen Komiker Jacques Tati (1908–82) lässt nicht nur seine bekannten Filme wie „Die Ferien des Monsieur Hulot" oder „Tatis Schützenfest" wieder aufleben, man wird direkt in seine eigenartigen Filmwelten versetzt. „Jacques Tati: Deux Temps,Trois Mouvements" ist bis zum 16. Januar 2011 im Genter Caermersklooster zu sehen. Das Filmfestival Gent zeigt noch bis zum 23. Oktober parallel die Filme Tatis.


Die französische Theater-Regisseurin Macha Makeieff kurierte die Ausstellung und wollte vor allem erfahrbar machen, „wie modern Tati schon damals war, wie seine Filme vom Wandel in die Moderne zeugen." Makeieff ist entfernt mit dem als Jacques Tatischeff geborenen Regisseur verwandt, frühe Begegnungen mit ihm hinterließen einen großen Eindruck. Deshalb führt sie die Besucher vom fertigen Werk, den nur sechs Langfilmen, die in dreißig Jahren entstanden, zu Tatis Anfängen. Er kam von der Music Hall, tourte Anfang der Dreißiger Jahre mit seinen Sportimitationen durch Europa. Es begeistert die Kuratorin immer noch, wie er Komik aus einfachen Situationen und Gegenständen erzeugte.


„Hulot, das bin ich teilweise, aber das seit auch ihr allemal."


Nicht nur sein Monsieur Hulot ist berühmt. Sobald ein etwas hektischer oder verwirrter Postbote im Film auftaucht, ruft man schnell „Tati-Zitat!" Aber tatsächlich ist der Berufskollege in „Amélie" eine kleine Hommage. Selbst David Lynch bewundert Tati und hat in seiner ruhigen Ballade „The straight story" die Szene kopiert, in welcher der Postbote ein Feld von Radrennfahrern überholt. Lynchs Held wird in einer noch hektischeren Zeit mit seinem reisenden Rasenmäher diesmal von der Straße gedrängt. Auch Steven Spielberg verweist ausdrücklich auf den Einfluss Tatis: Die Naivität und verblüffende Findigkeit, mit der Tom Hanks sein Leben in „The Terminal" einrichtet, sei vom französischen Komiker inspiriert. Ebenso die Zweckentfremdung der Möbel.


Tatis Vater fertigte noch Bilderrahmen in Paris. Ein Rahmen, den Jacques sprengte und gleichzeitig mit neuen Inhalten füllte. Der Sohn hat den französischen Film revolutioniert, weil er im Gegensatz zu dialoglastigen Vorgängern Komödien auf die Leinwand zauberte, die ohne Sprache weltweit verstanden wurden. Sprache war in Tatis Filmen immer nur ein Geräusch unter vielen. Damit ist Tati gestisch ein Verwandter von Chaplin und Buster Keaton, müht sich aber in seinem Quixote-Feldzug an anderen Windmühlen, anderen Modernen Zeiten ab. Die spezielle Poesie der Tati-Filme, die Generation nach Generation beglückt, trägt unter der leichten Oberfläche der gefühlvollen Komödie eine klare Kritik an menschen-unfreundlichen Auswüchsen der Moderne. Schon Jahrzehnte vor den Crazy Walks der Monty Python hatte dieser verrückte Franzose einen unverwechselbar staksigen Gang, der dauernd irgendwo anzuecken drohte. Aber meist ging es gut. Und falls nicht, hatte das Chaos des Monsieur Hulot immer reinigende Wirkung.

Die Sammlung von Szenen, Requisiten, Möbeln und Momenten aus Tati-Filmen in Gent bietet mit ihrer offenen Struktur immer neue Perspektiven und Einblicke. Makeieff freut sich vor allem auf das Publikum, weil es sich in dieser Umgebung selbst in einer Art tatiesker Inszenierung zum Teil der Ausstellung macht. Schon bei der Vorbesichtigung spielten eine Reihe von übrig gebliebenen Leitern und eine Putzfrau vortrefflich bei diesem Konzept mit. Man betritt die labyrinthische Bürosituation aus Tatis spätem Meisterwerk „Playtime" (1968), die Schwingtüre, nach deren intensiver komödiantischer Benutzung man regelrecht am Boden liegt, führt in den nächsten Teil – oder auch nicht.

Die Ausstellung besteht aus einem farbigen und einem Teil in Schwarz-Weiß. Das Event Tati erschließt sich in umgekehrter Reihenfolge: Erst werden die Filme wieder ins Gedächtnis gerufen, dann erst ist der junge, akrobatische Tati zu erleben. Tati sagte selbst, sein Star seiner Filme sei vor allem das Dekor. So kann man bestaunen, wie aktuell die zivilisationskritischen Entwürfe aus den Fünfzigern bis Siebzigern heute noch sind. Die Möbel aus dem damals futuristisch unbequemen Appartement von Herrn und Frau Arpel („Mon Oncle") wurden übrigens kürzlich wieder herausgebracht. Generell lehnt sich die Ausstellung an Tatis Stil an, indem sie Text weitgehend vermeidet und visuell arbeitet. Nach diesem Erlebnis wird man einiges in unserer modernen Zeit als tatiesk erkennen.



Wie sein von amerikanischer „rapidite, rapidite" begeisterte Postbote im „Schützenfest" war auch Tati angetan von technischer Entwicklung: Er versuchte diesen Film mit einem neuen französischen Farbfilm – in Konkurrenz zum amerikanischen Material – zu drehen. Und scheiterte. Erst nach seinem Tod konnten die Negative richtig entwickelt werden. „Playtime" war der erste französische Spielfilm, der auf 70mm gedreht wurde. Und eine finanzielle Katastrophe: Die bis zur Absurdität moderne Stadt wurde komplett als Kulisse gebaut und sorgte für den Ruin des Regisseurs. Doch noch heute ist die Vision ein Lehrstück für Architektur und Design. Wie modern der Regisseur war, zeigt diese Ausstellung.



37. Ghent International Film Festival

Das A-Festival mit dem Schwerpunkt Filmmusik zeigt über 125.000 Besuchern bis zum 23.10. in Wettbewerb und Nebensektionen circa 150 aktuelle Filme aus aller Welt. Zum Abschluss werden die World Soundtrack Awards an die besten Filmmusik-Komponisten der Welt verliehen.

www.filmfestival.be




„Jacques Tati: Deux Temps,Trois Mouvements"

15/10/2010 - 16/01/2011

Caermersklooster - Provincial Cultural Centre

Vrouwebroersstraat 6, 9000 Ghent.

Tel.: +32 (0)9 269 29 10.

http://www.Caermersklooster.be



12.10.10

Reine Fellsache - Jetzt wird's haarig!


USA, 2010 (Furry Vengeance) Regie: Roger Kumble mit Brendan Fraser, Brooke Shields, Matt Prokop, Ken Jeong ca. 90 Min.

Oh, diese Natur! Lauter sprechende Tiere, die komische Grimassen machen. Diesmal vergnügen zum Glück keine sprechenden Tiere, zumindest sprechen sie nicht mit menschlicher Sprache. Höchstens mal mit komischen Sprechblasen aus Filmbildern. Oh, diese Natur, sagt Dan regelmäßig, wenn er morgens sein Musterhaus mitten im Wald verlässt. Doch statt einer kleinen Siedlung im Grünen, die in drei Monaten hochgezogen wird, soll der ganze Wald platt gemacht werden, was Dan mit Frau und reichlich frustriertem Sohn für vier Jahre in der Pampa festnagelt.

Doch die Bauunternehmung hat die Rechnung ohne die Tiere gemacht, die schon im Vorspann lässig einen Porsche-Heini erlegt haben. Unter Führung des Waschbären wird Dr. Doolittle auf den Kopf gestellt. so brutal hat die Natur nicht zurück geschlagen seit der „Mäusejagd“ von Gore Verbinski. Die Rache durch Tier-Terror beginnt mit einer Elster die Poes Rabe imitiert, dann gibt es Stinktier-Attacke und Dixi-Klo-Marinade für Dan. Die verrückten Reaktionen des Naturschänders wider Willen verlangen eine etwas simple Natur, doch es ist schon grandios, wie Brendan Fraser mit seiner Mimik den Tier-Grimassen trotz. Der schön blöde Slapstick im Stile von Bug Bunny und Elmer hat bei der Animation von Mimik und tödlichen Blickwechseln sicher richtig Spaß gemacht. Dieser springt auch sofort aufs Publikum über. Die menschelnde Geschichte von Dans Sohn und seiner Öko-Freundin Amber stört den Wild-Spaß ebenso wie der finale Familienkitsch.

11.10.10

Im Oktober werden Wunder wahr


Peru, Venezuela  2010 (Octubre) Regie: Daniel Vega, Diego Vega mit Bruno Odar, Gabriela Velásquez, Carlos Gassols, María Carbajal 93 Min.

Ein wundersamer Fund bringt das Leben des peruanischen Geldverleihers Clemente (Bruno Odar) durcheinander: Das Findelkind in seiner Wohnung stört bei dem genauen Abzählen und Notieren, deshalb soll die religiöse Nachbarin Sofia (Gabriela Velásquez) helfen. Nur zu gern sagt die ältere Frau zu, die schon immer ein Auge auf Clemente geworfen hat. Der forscht derweil bei wohl bekannten Prostituierten nach dem Ursprung des Kindes, wird aber immer wieder neu reingelegt. Meist schweigsam spielen sich die Veränderungen in der kleinen zwei Zimmerwohnung ab. Irgendwann zieht sogar noch ein bedürftiges altes Paar in die kärgliche Behausung. Doch Sofia sorgt für alle.

Wie sich Clemente öffnet und verändert, ist ein kleines Wunder. Ebenso die Wirkweise des Films, der sehr ruhig und konzentriert völlig Unspektakuläres mit fast unscheinbaren Figuren erzählt. Da diese Menschen aber nicht als irgendwelche Typen strahlen, kann man sie genauer betrachten und trotz ihre Sprödigkeit sogar ins Herz schließen.

Die etwas anderen Cops


USA 2010 (The Other Guys) Regie: Adam McKay mit Will Ferrell, Mark Wahlberg, Eva Mendes, Michael Keaton 107 Min. FSK: ab 12

Nach noch so einer materialmordenden Verfolgungsjagd stürzen die beiden Super-Cops vor lauter Hybris ab. Die freiwerdenden Posten als Stars der New Yorker Polizei könnten Allen (Will Ferrell) und Terry (Mark Wahlberg) übernehmen. Doch der eine ist Bürohengst, ein Klugscheißer mit absurder Logik und keinerlei Interesse, den Schreibtisch zu verlassen. Allen fährt Prius, hört Little River Band und ist auch ansonsten der absolute Anti-Cop. Sein hyperaktiver, aggressiver Partner Terry hingegen hat im Übereifer einen wichtigen Spieler der Yankees angeschossen und sich damit zum Feind jedes New Yorkers gemacht. Irgendwann zwingt er seinen Partner mit vorgehaltener Waffe zum Einsatz. Das geht zwar schief, aber Allens Papierarbeit führt zu einem riesigen Finanzschwindel. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass der blasse Langeweiler von Superfrauen umgeben ist.

„Die etwas anderen Cops“ schießen die Lacher mit in der Mehrzahl absurden Szenen ab, die oft sogar Spaß machen. Die Regiearbeit von Adam McKay ist nach „Die Stiefbrüder“ (2008), „Ricky Bobby - König der Rennfahrer“ (2006) und „Anchorman - Die Legende von Ron Burgundy“ (2004) für Farrell ein Heimspiel. Wahlberg bleibt in seiner üblichen ernsten Rolle und wirkt plötzlich albern. Michael Keaton kommt sehr subtil komisch als Captain, der dauernd unwissentlich TLC zitiert. Aber irgendwann versucht die Handlung das Kommando zu übernehmen - das ist dann überhaupt nicht anders als bei jedem anderen Cop-Movie. Bis auf den Abspann, der erstaunlich einfach klar macht, wie jeder USA-Bürger die Pleiten und Gewinne der Banken bezahlt. Wie das auch für Deutschland synchronisiert?

Lebanon


Israel, Libanon, Frankreich, BRD 2009 (Lebanon) Regie: Samuel Maoz mit Yoav Donat, Itay Tiran, Oshri Cohen, Zohar Strauss, Michael Moshonov 92 Min. FSK: ab 12

Das ist wirklich „embedded“: Nur aus der Perspektive einer israelischen Panzer-Besatzung erzählt der israelische, deutsch und französisch produzierte Film „Lebanon“ vom Höllenritt eines Angriffs auf den Libanon. Die extrem laute, durchrüttelnde und erschütternde Panzerfahrt in den Libanon-Krieg des Jahres 1982 ist ein ungemein starkes Fanal gegen Krieg oder wie auch immer Regierungen das steuerfinanzierte Morden nennen mögen. Die klaustrophobische Atmosphäre erinnert stark an Petersens „Das Boot“. Regisseur Samuel Maoz, der seine eigenen Erlebnisse Jahrzehnte später verarbeitete und verfilmte, gewann in Venedig 2009 mit „Lebanon“ den „Goldenen Löwe“ und widmete den Preis allen, die Krieg überlebt haben und nach Hause kommen konnten.

„Lebanon“ ist eine von mehreren israelischen und kritischen Äußerungen der letzten Zeit zu den Kriegen des Landes. Die düstere Animation „Waltz with Bashir“ und vor allem das bittere Doku-Musical „Z32“,vom exzellenten Kino-Autor Avi Mograbi, gehören dazu. Wobei der wegen seiner (zwangsweise) einseitigen Perspektive nicht unumstrittene „Lebanon“ mit ganz banalen Beobachtungen erzählt. Da ist die Pfütze aus Öl, Schweiß und Urin im Tank, die man zu riechen glaubt. Die heftig umstrittenen Machtverhältnisse mitten im Chaos. Und chaotisch ist dieser Angriff auf jeden Fall: Schon nach wenigen Kilometern bleibt der Panzer stehen, verliert den Anschluss und die Orientierung. Die Besatzung wird von der Führung aufgegeben - oder in die Hände von christlichen Verbündeten, was noch schlimmer ist. Vor allem dem syrischen Gefangenen an Bord droht brutalste Folter durch die Phalangisten. Extrem erschütternd sind die Blicke auf das Trümmerfeld der Massaker. Mitten in den zerbombten Häusern eine schreiende Frau, Geiseln im Rollstuhl. Aber längst werden kein Warnschüsse mehr abgegeben. Wer noch immer glaubt, Krieg sei ein kontrollierbarer Konflikt, möge sich diesen Film antun. Dass Phosphorbomben zwar benutzt werden, aber einfach anders benannt sind, ist nur eine zynische Fußnote im Grauen. Wenn Samuel Maoz dann den unvorstellbaren Wahnsinn mit dem poetischen Overkill eines Feldes voller Sonnenblumen kontrastiert, wird ein Gefühl nur noch stärker: Nichts wie raus hier!

Goethe!


BRD 2010 Regie: Philipp Stölzl mit Alexander Fehling, Miriam Stein, Moritz Bleibtreu, Volker Bruch, Burghart Klaußner, Hans-Michael Rehberg 99 Min.

Er war ja eigentlich ein Punk, unser Klassiker Johann Wolfgang von Goethe. Für alle die befürchten, Staublunge zu bekommen, wenn sie einen Goethe lesen müssen, gibt es hier den jungen Wilden Johann, der selbst seine Klassiker verlacht. Mitten rein in den Sturm und Trank des Straßburgs von 1772 taucht diese ebenso kräftige wie lebendige Variante der Leiden des jungen Goethe. Mit Ausrufezeichen! Gerade hat Johann Goethe (Alexander Fehling) seine Doktorprüfung vergeigt und das Götz-Zitat schon mal großformatig in den Schnee getanzt. Doch das Drama „Götz von Berlichingen“ wird vom Verleger in Leipzig abgelehnt, da schickt der Vater ihn zur Jura-Ausbildung ins provinzielle Wetzlar. Das labyrinthische, fast surreale Reichskammergericht droht als Kafka-Vorbote mit öder Langeweile, vor allem der gestrenge Gerichtsrat Kestner (Moritz Bleibtreu) geht zum Lachen in den Keller. Aber schon beim ersten Ausflug mit seinem neuen Kumpel Jerusalem (Volker Bruch) trifft Johann auf die kecke Lotte Buff (Miriam Stein). Nur kurz darauf erlebt er bei den Buffs auf dem Lande seinen (sehr entkitschten) Lotte-Moment, der Anblick der jungen Frau inmitten der kleinen Geschwister, das gemeinsame Backen und Singen reicht, um der Liebe den letzten Stoß zu geben. Nur das übliche kleine Drama - schreib ich, oder warte ich? - steht einem stürmischen Liebesakt in freier Natur im Wege.

Doch (darin erzählt „Goethe!“ die Literatursoziologie nach) das Gefühl war dereinst nicht gern gesehen, gar verachtet. Materielle Zwänge lassen den verwitweten Vater Buff seine hübsche Tochter an den unromantischen aber finanziell gesicherten Gerichtsrat Kestner geben. Das schwärmerische Fräulein willigt aus Vernunft ein. Grad als Goethe ihr ein Theatermodell des verehrten Dramas „Emilia Galotti“ bringt, findet bei Buffs die Verlobung statt. Und Kestner, der sich ausgerechnet von seinem besten Mann Goethe den Antrag formulieren ließ, erkennt gleichzeitig mit dem unwissenden Liebhaber, dass sie um die gleiche Frau buhlten.

Ein sehr großer Kino-Moment peinlicher Erkenntnis, der später noch durch Lottes kluge Verleugnung der eigentlichen Liebe übertroffen wird. Großes Kino ist „Goethe!“ also auf jeden Fall. Ein großer Spaß gewiss, denn einen Dichterfürsten, der mit riesigem Lockenwickel und rosa Umhang auf die matschige Straße stürmt und drängt, das hat man noch nicht gesehen. Zudem klingt der hervorragende Alexander Fehling, wenn er verlegen tut, wie Heinz Erhardt (der ist auch von früher). Vor allem wirkt er mit schön angeödetem Blick wie ein deutscher Heath Ledger! Und das ist voll porno - oder wie es der Film in der alten Variante sagt: „scheißig schön!“ Überhaupt sagt er oft „scheiße“ und holt das Klassiker-ferne Publikum auch mal mit einem „Hurenfurz“ erfolgreich ab. Das ist aber keineswegs aufgesetzt. Ebenso wenig wie der Stoff für Deutschkurse, wenn Johann zufällig die Werther-Farben blau und gelb anzieht, „Schönes Fräulein darf ich’s wagen...“ schmeichelt, unter Tollkirschen-Einfluss „Dr. Faustus“ sieht und weitere literarische Rätsel einstreut.

Am Ende wird dann der „Werther“ fertig und Goethes erster „Bestseller“. Wie diese literarische Verdichtung des Erlebten ist auch der Film mehr als die Wahrheit - er ist Dichtung. Unterhaltsam, romantisch, bewegend und auch mal klug. Autor und Regisseur Philipp Stölzl findet nach der fast faschistoiden Auftragsarbeit „Nordwand“ wieder zu den Qualitäten seines Debüts „Baby“ (2002). So hat auch er das Zeug zum Klassiker...

Gainsbourg


Frankreich, USA 2009 (Gainsbourg (Vie Héroïque)) Regie: Joann Sfar mit Eric Elmosnino, Lucy Gordon, Laetitia Casta, Doug Jones, Anna Mouglalis 121 Min.

Ein genialer Maler, der als Musiker und Frauenheld berühmt und skandalös wurde. Ein Comic-Zeichner, der dieses unbändige und vielseitige Leben in einem Film mehr nachempfindet als nacherzählt. Grenzüberschreitungen bilden die wesentlichen Elementen der spannenden Anti-Biografie um die faszinierende Figur Serge Gainsbourg (1928 - 1991).

Vom Strand direkt in den Comic: Immer wieder wird Gainsbourg an den Küstenstreifen zurückkehren, wo er von einem Mädchen stehen gelassen wurde. Deshalb taucht der Film auch von hier aus in seine fantastischen Welten. Zuerst mit dem kleinen jüdischen Jungen Lucien Ginsburg, der schon mit zwölf Jahren raucht, die Malerakademie am Montmartre besucht, dabei das Aktmodell zum Ausziehen und Ausgehen überredet. Die gleichen großen Ohren hat während der deutschen Besatzung von Paris auch das Karikatur-Plakat eines Juden, aus dem sich ein riesiger Pappkopf schält und durch die Straßen rennt. Eine der ersten Alter Ego-Figuren, die Gainsbourg sein Leben lang begleiten werden. Die sprunghaften Episoden um Ginsburg, der erst später Gainsbourg wird, speisen sich oft aus Legenden: Der Junge, der lieber Cowboygeschichten liest als Klavier spielt, holt sich stolz einen Judenstern ab, muss sich aber später im Wald verstecken. Erfolg bei den Frauen hat er auch schon früh, als „ gutaussehender Mann mit sehr viel Angst“. Klavier spielt er in der Piano-Bar nur um die Malerei zu finanzieren, doch schon sein erstes Modell sagte: Küss mich mit der Zunge - oder der Sprache, was im Französischen nicht zu unterscheiden ist. Es wird denn auch sein freches, böses und mutiges Alter Ego „Die Fresse“ sein, die das Maler-Atelier unterm Dach in Flammen aufgehen lässt.

Von nun an ist Serge Gainsbourg als Komponist, Texter und Sänger erfolgreich - vor allem bei den Frauen. Von seiner Ehefrau, mit der er im Bett von Salvador Dalí lag, lässt er sich zum Date mit Juliette Gréco (Anna Mouglalis) fahren. Für die Bardot schrieb er „Je t'aime... moi non plus“, aber erst in seiner nächsten sehr intensiven Beziehung mit Jane Birkin wurde das Stöhnlied zum skandalösen Erfolg. Doch schon beim ersten Hit mit France Gall flüsterte ihm „Die Fresse“ ein, mit dem Chanson die Jugend zu verderben.

Regisseur Joann Sfar ist eigentlich Comic-Zeichner, dessen Bildgeschichten von „Chagall en russie“ bis zu „Der kleine Prinz“ reichen, und arbeitete immer schon mit jüdischen Themen. So begleitet auch sein Filmdebüt „Gainsbourg“ eine eigene Bilder- und Skizzensammlung. Diesem Hintergrund verdankt das Multitalent Gainsbourg eine uneigentliche Biografie mit ebenso vielen Liedern wie Facetten. Sie vermittelt Innenansichten Gainsbourgs und drängt „verbürgt“ Biographisches an den Rand. Der hervorragend aufgenommene Film zeigt meist Innenaufnahmen, bei denen die Totalen der Räume wie gemalte Hintergründe wirken. Das ist mehr die Skizze eines Zeichners als atmosphärische Nettigkeit, mit der zuletzt die Biografien „La vie en Rose“ (Piaf) und „Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft“ verwöhnten. Brüchig wie die Bob Dylan-Bio „I'm Not There“ von Todd Haynes gönnt sich der Film auch im konventionelleren letzten Drittel keine Sentimentalitäten und spielt zum Tod des geliebten (und von den Eroberungen des Sohns so herrlich begeisterten) Vaters den harten Chanson „Nazi Rock“ aus dem (vergangenheitsbewältigend sagt man wohl) Album „Rock Around the Bunker“.

„Gainsbourg“ überzeugt durch eine ganz hervorragende Besetzung, angefangen mit dem Film- und Theater-Schauspieler Eric Elmosnino, der dem Künstler frappierend ähnlich sieht. Noch eine Grenzüberschreitung des Films ist, dass er gleich zwei „Geisterbilder“ von mittlerweile Verstorbenen zeigt: Lucy Gordon, die Darstellerin der Jane Birkin, hat sich nach dem Dreh umgebracht. Und vor ein paar Wochen starb Claude Chabrol, der hier in einer sehr typischen Szene den erst entsetzten dann teuflisch begeisterten Produzenten von „Je t’aime“ spielt. Die Erinnerung an einen einzigartigen Künstler lebt mit diesem Film weiter - und auch seine Tochter Charlotte Gainsbourg. Die Schauspielerin singt mittlerweile Lieder vom Vater.

Twelve


USA 2009 (Twelve) Regie: Joel Schumacher mit Chace Crawford, Emma Roberts, Rory Culkin, Curtis Jackson 95 Min.

In der Verfilmung von Nick McDonells Roman „Twelve“ („Zwölf“) soll unüberhörbar etwas über eine Generation junger New Yorker Studenten aus weißen, reichen Familien gesagt werden. Aber sagt man etwas, indem man einen Erzähler (im Original: Kiefer Sutherland) überdeutlich abgedroschene Phrasen quatschen lässt? Regisseur Joel Schumacher verzettelt sich bei einem geschmäcklerischen Jugend-Trip.

Es ist Spring Break - Partyzeit für amerikanische Studenten auf Heimaturlaub. Bei der Gruppe im Fokus von „Twelve“ geht es dabei vor allem um Drogen. Das mag am „Helden“ White Mike liegen, der nach dem Krebstod der Mutter die Schule verließ und nun sehr erfolgreich „Gras“ an seine Altersgenossen verkauft. Dabei bleibt er selber sauber - ja, er trinkt nicht einmal.

Am Anfang stehen ein paar knallharte, schnelle Morde, doch schocken soll wohl die Dekadenz dieser Jugend (von heute). Dabei wirken die Hauptfiguren wie verstaubte Abdrucke aus dem Bilderbuch der Klischees: Die blonde und begehrte Sara (Esti Ginzburg) bezeichnet sich selbst als oberflächliche, manipulative Schlampe. Für ihrer Geburtstagsparty, durch die sie an „einer Schule und dann an allen Schulen berühmt werden“ wird, spannt sie das naive Jüngelchen (Rory Culkin, auch allein zuhause) ein, dessen Eltern verreist sind. Der spendet in Hoffnung auf ein Ende seiner Jungfräulichkeit die Location und einige Dollars. Dabei tickt in Form des aus einer Besserungsanstalt entflohenen älteren Bruders Claude eine menschliche Zeitbombe unter diesem Dach. Schon dessen Blick voller Steroide macht klar, dass diese enorme Muskel-Anspannung für Ärgern sorgen wird. Da hätte es des Aquariums voller Piranhas und des Samurai-Schwertes nicht bedurft. Während White Mike scheinbar sehr cool über all dem steht, hält er die liebe, zu nette Freundin Molly (Emma Roberts) von diesem Leben fern. Könnte sie ihm helfen, die Tränen loszulassen, die er seit dem tragischen Tod der Mutter nicht vergoss?

Obwohl von Joel Schumacher mit einigem Ernst inszeniert, liegt „Twelve“ tatsächlich nicht so weit weg von billigen Soaps. Vor allem interessiert überhaupt nicht, ob diese dämlichen Studenten hopps gehen oder nur langweilen. Prätentiöse, oberflächliche Kids reicher Eltern, die für eine neue Droge namens Twelve ohne zu zucken 1000 Dollar rüberreichen, taugen nicht zum Mitfühlen, selbst wenn sie vor die Hunde gehen.

7.10.10

Millennium Trilogie - Verblendung / Verdammnis / Vergebung DVD


Warner Home Video

Thriller

Regie: Niels Arden Oplev

Pünktlich zum letzten Teil „Vergebung“ kommt die komplette „Millennium Trilogie“ in einer Box heraus, die sich dank reichhaltiger Zugaben wirklich lohnt. Nach der für sie fast tödlichen Abrechnung mit dem mächtigen Gegner Zala liegt Lisbeth in „Vergebung“ fast wehrlos und vor allem erst einmal ohne ihre Computer-Spielzeuge im Krankenhaus. Dabei hat sie noch eine Menge Feinde, denn ihr Wissen kann eine Verschwörung alter Männer aufdecken, die bis in höchste Regierungskreise geht. Den Druck dieser Seilschaften bekommt auch die Millennium-Redaktion zu spüren, wobei kein Unterschied zwischen Verfassungsschutz und organisierter Kriminalität auszumachen ist.

Neben den drei spannenden Thrillern um den bekannten Enthüllungsjournalisten Mikael Blomkvist und die punkige Hackerin Lisbeth enthält eine Bonus-Disc mit über 120 Minuten bisher unveröffentlichtem Bonusmaterial. Dazu gehört eine Dokumentation über Stieg Larsson, ein ,Hinter den Kulissen’, Interviews mit Noomi Rapace, Michael Nyqvist und dem Team, sowie ein Making Of der ,Kampfszene Ronald Niedermann gegen Paolo Roberto’. Wenn dann demnächst das Hollywood-Remake ins Kino kommt, sollte man vielleicht der Hauptdarstellerin Noomi Rapace folgen und einfach nicht mitmachen. Diese Box ist das Überlebens-Paket für Larsson-Fans.

The Messenger - Die letzte Nachricht DVD


Universum Film

Kriegsfilm

Regie: Oren Moverman

Der mit Woody Harrelson, Samantha Morton und Steve Buscemi exzellent besetzte und sehr bewegende „The Messenger“ erzählt eine Geschichte, die während Kriegszeiten überall in der „Heimat“ passieren kann: Sergeant Will Montgomery (Ben Foster) kehrt schwer verletzt aus dem Irak zurück. Als seine Wunden verheilt sind, führt ihn sein Einsatzplan an die Heimatfront: Seine neue Aufgabe ist es, den Angehörigen gefallener Soldaten die Todesnachricht zu überbringen. Ein Job mit klaren Regeln, die ihm sein abgeklärter Vorgesetzter Captain Tony Stone (Woody Harrelson) zum Dienstantritt nahe bringt: nicht "Guten Tag" sagen, Ruhe bewahren, klare Worte finden, keine Emotionen zeigen, Körperkontakt vermeiden, verabschieden und gehen. Will hält sich daran und beginnt zu funktionieren. Seine Gefühle unterdrückt er bis zu dem Tag als er auf Olivia (Samantha Morton) trifft, für die er ebenfalls eine Nachricht zu überbringen hat …
Ein Film über all die unterdrückten Verwundungen, die sich ergeben, wenn man Freiheit großzügig in die ganze Welt bringen will. Die einmal besonders ernsthaften Extra enthalten eine Dokumentation über die Arbeit der „Casualty Notification Officers“ der U.S. Army und die Familien der getöteten Soldaten, den Audiokommentar von Regisseur, Produzent und Darstellern, Reflexionen vom Set sowie das Drehbuch als PDF.

5.10.10

The Road


USA 2010 (The Road) Regie: John Hillcoat mit Viggo Mortensen, Kodi Smit-McPhee, Charlize Theron, Robert Duvall, Guy Pearce 111 Min.

Geht es noch düsterer? In einem krassen Kontrast stürzt „The Road“ von der Traum-Idylle ins Grauen nach der Katastrophe: Kein Licht dringt mehr durch die Wolken, Feuersbrünste überall. Wo in diesem von Asche bedeckten Nordamerika noch menschliches Leben existiert, springt es einen als brutalster Kannibalismus an. In dieser Apokalypse nach einem nicht näher erklärtem Weltuntergang versucht ein namenloser Vater (Viggo Mortensen) seinen ebenso namenlosen Sohn (Kodi Smit-McPhee) zu retten. Für die meisten ist Selbstmord der Ausweg - auch die Mutter (Charlize Theron) ging in die eiskalte Nacht, ohne wiederzukehren. Für diese ultimative Möglichkeit hat der Vater auch eine letzte Kugel im Revolver, um seinem Sohn einen schrecklicheren Tod zu ersparen. Doch die verfeuert er bei einem Angriff einer dieser Horden...

Der Roman „Die Straße“ (The Road) von Cormac McCarthy, dem Autor von „No country for old men“, ist ein eher philosophierender als ein handelnder Text. Doch dem australischen Regisseur John Hillcoat („The Proposition – Tödliches Angebot“) gelang ein eindrucksvoller und passender Film dazu. Die erschreckende Abwesenheit von Zivilisation zeigt sich dabei nicht im überzogener Brutalität der „Unmenschen“, sondern gerade im Verschwinden mitmenschlichem Verhaltens beim Vater. Der Sohn weißt ihn darauf hin, dass man einem alten Mann doch durchaus helfen könne. Das extreme Misstrauen zeigt sich allerdings in anderen Situationen als gerechtfertigt. So ist es selbstverständlich, dass „The Road“ ein harter und kein fröhlicher Weg ist. Man kann höchstens schmunzeln, weil der Junge, der in einer Welt fast ohne Kinder als große Hoffnung angesehen wird, nicht weiß, was eine Cola-Dose ist. Während die Straße für den immer kränkeren Mann nicht zum Ziel führen wird, erweist sich das neu erstrittene Vertrauen für den Jungen als Schlüssel für eine vielleicht menschlichere Zukunft.

Oskar und die Dame in Rosa


Frankreich, Belgien, Kanada 2009 (Oscar et la dame rose) Regie: Eric-Emmanuel Schmitt mit Amir, Michèle Laroque, Max von Sydow, Amira Casar 105 Min.

Der Schülerstreich macht den Lehrer rasend ... bis er den Verantwortlichen ausmacht und milde meint: „Lachen tut doch ganz gut.“ Diese besondere Rücksicht oder Gnade tut dem kleinen Oskar allerdings weh. Denn der aufgeweckte Zehnjährige mit der Glatze unter der Gangsterkappe ahnt, dass er bald sterben wird. Bei einem belauschten Gespräch seiner Eltern mit dem Oberarzt Dr. Dusseldorfer (Max von Sydow) wird Gewissheit, dass die Erwachsenen mit dem nahen Tod nicht umgehen können. Oskar redet fortan nur noch mit der Pizzalieferantin Madame Rose. Sie flucht wie ein Bierkutscher und das gefällt ihm. So wird die ruppige und anscheinend gar nicht weichherzige Dame von "Pinky Pizza" mithilfe vieler Pizzabestellungen des weisen Klinikchefs Dusseldorfer zur Vertrauten Oskars. Rose willigt nur widerwillig in den ungeliebten Kontakt mit Kranken ein und warnt: „Nächste Woche behandeln sie mich wegen Depressionen!“

Madame Rose ist nicht auf den Mund gefallen. Und sehr witzig, selbst im Kinder-Krankenhaus, wo keiner mehr lacht. „Man muss es doch rauslassen oder man bekommt Krebs,“ lautet ihr Kommentar. „Zu spät“- die ebenso schlagfertige Antwort Oskars. Doch Rose hat auch die richtigen Rezepte gegen die Traurigkeit des Jungen: Da ihm nicht mehr viele Tage bleiben, werde er von nun an jeden Tag wie zehn Jahre erleben. Was auch funktioniert. Nach den ersten, schnell verflogenen zehn Jahren und der Pubertät, die man nur einmal erleben möchte, folgen die Dreißiger, die „Zeit der Sorgen“ mit der schönen Liebe zum „blauen Mädchen“. Das Glück in Form eines Tanzes in den Schneewolken unterbricht in den Vierzigern die Midlifecrisis, bei der man „nur Mist baut, auch ohne etwas zu tun“.

Diese Entwicklung Oskars im Zeitraffer wird von Rose mit den Lebensweisheiten angereichert, die uns das Wrestling lehrt. Denn anscheinend hatte die Dame in Rosa eine Vergangenheit im Ring, von der Traumepisoden in einer Schneekugel erzählen. Stilistisch traut sich der Film einiges, vom schwindelnden Vertigo-Effekt, als Oskars Eltern ihn verlassen, bis zu surrealen Traumsequenzen. Aber das Meisterliche liegt bei „Oskar und die Dame in Rosa“ in der enormen Tiefe der Themen bei einem immer auch humorvollen und sehr unterhaltsamen Erzählton. Gespräche über den Tod mit einem Zehnjährigen, einem sehr intelligenten Zehnjährigen, sind das Eine. Aber ihn dann auch noch zu Jesus, den „Gott, der das Leiden kennt“, zu führen - das ist gewagt. Und gelingt! Vielleicht auch wegen der riesigen, bunten Geburtstagstorte für Jesus, die Rose in die Kapelle schiebt. So kann man mit Rose und Oskar dauernd lachen, auch wenn man immer wieder Tränen in den Augen hat - Tränen des Glücks und Tränen der Rührung.

Eric-Emmanuel Schmitt verfilmte seine eigene Buchvorlage und diese ungewöhnliche „Arbeitsteilung” erwies sich als Glücksfall. Der Autor schrieb die Drehbücher zu „Gefährliche Liebschaften“ (2003) und seinem eigenen Roman „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ (2003), bevor er bei „Odette Toulemonde“ (2007) auch selbst Regie führte.

Michèle Laroque, vor allem als Komödiantin bekannt, beeindruckt in der Charakterrolle der Rose. Max von Sydow spielt mal wieder den Oberarzt, aber im Gegensatz zu „Shutter Island“ ist Dr. Dusseldorf ein gütiger. Besonders lobenswert: Dieser wunderbare Film ist auch in Originalversion im Kino zu sehen.

Wie durch ein Wunder


USA 2010 (Charlie St. Cloud) Regie: Burr Steers mit Zac Efron, Amanda Crew, Donal Logue, Dave Franco 99 Min. FSK ab 6

Bei einem Autounfall stirbt der kleine Bruder des erfolgreichen Seglers Charlie St. Cloud (Zac Efron). Aufgrund eines Versprechens auf der Schwelle zum Tode geht Charlie nicht aufs College, sondern kümmert sich als Friedhofsgärtner um Sams und alle anderen Gräber, verjagt Gänse, redet mit verstorbenen Freunden und trifft sich jeden Abend mit seinem toten Bruder zum Baseball-Training auf einer Lichtung im Wald. Das macht den mittlerweile 18-Jährigen zum Sonderling im Küstenort und ist auch seinem Beziehungsleben nicht zuträglich. Und doch verbringt Charlie mit der Seglerin Tess Carroll (deplatziert: Amanda Crew) einen wunderschön überstrahlten und weichgezeichneten Tag. Doof nur, dass Tess gar nicht da gewesen sein kann, weil sie draußen auf dem Meer vermisst wird. Nun muss Charlie sich zwischen den täglichen Treffen mit dem toten Bruder und einer Rettungsaktion für eine vielleicht noch nicht ganz tote Traumfreundin entscheiden.

Schmachtende Blicke eines angesagten Gesichts (Efron), eine dicke Musiksoße und der entsprechende Bilderkitsch zwingen überhaupt nicht wundersam in „Wie durch ein Wunder“ jedes Gefühl auf Gleichschritt. Das an sich grenzüberschreitende Thema übersinnlicher Verbindungen mit dem Jenseits gerät so zu einer ärgerlichen Schmonzette, bei der man direkt Nicholas Sparks („Mit dir an meiner Seite“) vermutet, aber dieser träge und leblose Jammerlappen von Film schafft letztlich noch die Wende vom Melodram zum Happy End.

Dabei verlaufen zu viele Themen im Sande: Die sozialen Differenzen um den armen Schüler Charlie, der ein Segelstipendium für Stanford erhalten hat, spielen keine Rolle mehr. Kim Basinger, die als Mutter Doppelschichten für die Bildung der Söhne schiebt, hat einen minimalen Gastauftritt. Ebenso ist Ray Liottas Anwesenheit eine Verschwendung. Ein komplettes Ärgernis. Bis auf die ganz beeindruckende Küstenlandschaft.