29.9.10

Veronika beschließt zu sterben


USA 2009 (Veronika decides to die) Regie: Emily Young mit Sarah Michelle Gellar, Jonathan Tucker, David Thewlis 103 Min. FSK ab 12

Kaum ist der Entwurf eines extrem deprimierenden Standard-Lebens im Kopf durchgespielt, hat Veronika (Sarah Michelle Gellar) schon die ersten Tabletten mit Alkohol runter gespült, (un-) gemein passend spielt dazu Radioheads „Exit Music (for a film)“. Doch Veronika wird gefunden und gerettet. Aus dem Koma erwacht, begrüßt sie höhnisch eine bittere Neuigkeit: Da sich ein Blutgefäß lebensgefährlich erweitert hat, wird sie trotzdem bald und plötzlich an den Folgen der Tabletten-Überdosis sterben, aber erst einmal völlig widersinnig in einer psychiatrischen Einrichtung festgehalten. Sie bleibt unter der Kontrolle des ebenso unsympathischen wie anscheinend pessimistischen Dr. Blake (David Thewlis) - samt Praxiseinrichtung ein staubiges Klischee von Psychiater. Während Veronika wie im Traum durch die Luxuseinrichtung geistert, funktioniert sie als Katalysator für andere Patienten, die nach Jahren plötzlich wieder zurück ins richtige Leben wollen. Die Begegnung mit dem jungen, verstummten Edward (Jonathan Tucker) wird sie selbst verändern.

Die seltsame Anstalt des Dr. Blake zeigt sich als Palast und auch sonst gestaltete Emily Young „Veronika beschließt zu sterben“ als Augenschmaus. Es ist unglaublich, wie die Regisseurin von „Kiss of Life“ mit wenigen, klaren Szenen ganze Lebensentwürfe gnadenlos in die Abfall-Tonne der Enttäuschungen haut. Während die ganz außergewöhnlich sorgfältig gestalteten Bilder mit der intensiven Musik von Anfang an packen und nur am Ende etwas kitschig wirken, erscheint der grundlegende Taschenspielertrick vom Psychologen Dr. Blake (und Autor Paul Coelho) im Rückblick billig, die Moral der Geschicht’ zu hausbacken. Gellar, bekannt als „Buffy“, braucht sich nicht sehr variantenreich auszudrücken, deshalb gelingt ihr die Rolle gut. (Barbara Sukowa ist kurz als Veronikas Mutter zu sehen.) Der Stoff wurde übrigens bereits 2005 in einer japanischen Produktion verfilmt. Von Coelho sind als weitere Verfilmungen „Elf Minuten“ und „The Alchemist“ für das nächste Jahr angekündigt.

28.9.10

Ich - Einfach unverbesserlich


USA 2010 (Despicable Me) Regie: Chris Renaud, Pierre Coffin 94 Min. FSK o.A.

Ein ebenso fürchterlicher wie gruseliger Schurke ist dieser Gru! Zwar sind seine letzten Raubzüge etwas mickrig ausgefallen, denn die Freiheitsstatue war halt nur die kleine aus Las Vegas, doch der nächste Coup wird gigantisch und seinem Anspruch, größter Schurke des Universums zu sein, gerecht werden: Den Mond will Gru stehlen. Doch zuvor muss auch ein echter Bösewicht bei einem teuflischen Banker einen Kredit für die Mondrakete beantragen. Und die Verkleinerungs-Kanone von dem konkurrierenden Kriminellen Victor klauen. Dazu braucht der große Kinderhasser ironischerweise die Hilfe von drei Waisen, denn nur die lässt der notorisch überbewaffnete Victor in sein Haus.

Unter normalen Bedingungen ist das Schurkenleben schon schwer genug - als allerdings die drei Mädels noch in die Wohnung und irgendwann zwangsläufig ins unterirdische Labor von Gru einziehen, ist das Chaos unerträglich für den eingefleischten Griesgram. Vor allem nervige Geräusche - eigentlich streng verboten - trieben ihn in den Wahnsinn, wäre er nicht schon längst ein wahnsinniger Oberschurke. Obwohl er ihnen Kinderbetten aus alten Bomben bereit stellt, gehorchen sie ihm einfach nicht - so sitzt er bald zwischen anderen Müttern beim Ballett-Unterricht.

Man ahnt schnell, dass sich die Bösartigkeit von Gru vor allem beim Einparken mit seinem monströsen Umweltverpester zeigt. Sonst könnten ihn seine kleinen gelben Minions nicht so mögen. Während Gru in Gestik und Gesichtsausdruck Mike Myers / Dr. Evil aus „Austin Powers“ ähnelt, wird der Mini-Me von dort ersetzt durch diese niedlichen Helferlein. Dazu gesellt sich ein schwerhöriger Wissenschaftler und schon entsteht aus der englischen Wortverwechslung von Dart (für Pfeile) und Fart (für Fürze) eine Furz-Kanone. Die meisten Scherze sind zum Glück auf anderem Niveau und alle Figuren ziemlich sympathisch. Das garantieren die köstlichen (Charakter-) Zeichnungen. Denn selbst Gru ist nur verbittert von der Lieblosigkeit seiner Mutter und taut den Eisblock namens Herzen im Zusammenleben mit den drei Kleinen auf. Dabei wird bei dieser Animation mal keine Moral verkauft, nur Spaß. Durchaus frecher zudem. Dazu gibt es flotte Action-Einlagen im Stile und mit der Musik von James Bond. Ein ganz schön buntes und gemeines Vergnügen.

Adèle und der Fluch des Pharaos


Frankreich 2010 (Les Aventures Extraordinaires d'Adele Blanc-Sec) Regie: Luc Besson mit Mathieu Amalric, Gilles Lellouche, Philippe Nahon 107 Min. FSK ab 6

Luc Besson sagt man nach, dass er gerne, geschickt und sehr erfolgreich andere (meist amerikanische) Genres variiert. „Subway“, „Taxi“, „Nikita“, „Leon - Der Profi“ sind nur einige seiner Erfolge als Produzent und Regisseur, die Besson jetzt gar von einem eigenen Pariser Großstudio träumen lässt. Dass es dabei genügend eigene und reizvolle französische Stoffe gibt, beweist „Adèle“: Nach den Comics „Les aventures extraordinaires d'Adèle Blanc-Sec“ von Jaques Tardi schuf Besson als Regisseur einen ebenso exotischen wie comic-haft überdrehten Abenteuerfilm, der um die vorletzte Jahrhundertwende spielt.

Man muss die Archäologin und Autorin Adèle Blanc-Sec (Louise Bourgoin) letztlich doch wieder mit Indiana Jones vergleichen: Zu vorwitzig, raffiniert und mutig entführt die emanzipierte Lady eine Mumie aus Ägypten, wobei sie den Gefahren der Pyramiden-Alarmanlage ebenso trotzt wie den hinterlistigen Einheimischen. Zurück in einem putzigen Paris des Jahres 1912, wo sich solch ungetrübter Kolonialismus noch ebenso zuhause fühlt wie sicherlich auch die Großmama von „Amelie“, will Adèle den alten Ägypter unbedingt wiederbeleben, um ihre beim Tennisspiel tragisch verunglückte Schwester von einem Haarspange zu befreien, die nicht am, sondern im Kopf steckt.

„Adèle und der Fluch des Pharaos“ stellt zwar eine optisch mit vielen Reizen angefüllte Realverfilmung der Comics von Tardi dar, aber die meisten komisch verzeichneten Gesichter können ihre Herkunft aus den Bilderfolgen nicht verleugnen. Im quicklebendigen Abenteuerfilmchen wimmelt es von fast ebenso vielen skurrilen Figuren wie Begebenheiten. Zu diesen ebenso prächtigen wie aberwitzigen Abenteuern gehören ein prähistorischer Flugsaurier, ganz alltägliche Wiedergeburt, ein schießwütiger Schafspelz-Jäger, ein lächerlich dummer Inspektor und raffinierter, verliebter Assistent.

Wenn das tapsige Flugsaurierbaby als Wiedergeburt des mächtigen Professors für politischen Terrorismus verantwortlich gemacht wird, gerät die Geschichte dämonisch komisch und grandios traumhaft - kurz fantastisch. Der Humor erreicht zeitweise die Schräge eines Douglas Adams, die sarkastischen Kommentare der klugen wie resoluten Adèle könnten in den besten Momenten als Oscar Wilde durchgehen. Zu Finale hin wird die treffsichere Komödie alberner und schwächer - das ist ebenso typisch für Besson wie weitere Fortsetzungen, bis die Idee ganz billig abgedreht und ausgequetscht ist.

Das Sandmännchen - Abenteuer im Traumland


BRD, Frankreich 2010 Regie: Sinem Sakaoglu, Jesper Møller, Helmut Fischer 83 Min. FSK o.A.

Wenn aus der vom Fernsehen bekannten „Sandmann, lieber Sandmann“-Melodie im Vorspann unaufdringlich Großes Orchester wird, ahnt man schon, dass der Schritt vom Vorabend-Liebling der Kinder zum Kinostar beim „Sandmännchen“ mehr als gelungen ist. Großes Kino für die ganze Kleinen und auch für Erwachsene ein sehr schöner Spaß.

Zuckerwatte-weiche Schäfchen-Wolken bilden die Trainings-Wiese bei der Ausbildung zum Traumschaf: Bitte recht eintönig und gleichförmig über den Zaun springen, damit später alle beim Schäfchenzählen schnell einschlafen. Nur Nepomuk springt wieder aus der Reihe und verursacht eine Schafenskrise beim Ausbilder. Nach dem Rauswurf empfiehlt sich Nepomuk oben auf dem Leuchtturm beim Sandmann. Gerade rechtzeitig, um mitzuerleben, wie dessen Gegenspieler Habumar den Sack mit Traumsand klaut, um ihn zu Albtraumsand zu „verübeln“. Nun soll Nepomuk aus der Realwelt den tapfersten Kapitän auftreiben, erwischt aber ausgerechnet den kleinen, wasserscheuen Miko unter der viel zu großen Kapitänsmütze seines Opas. Doch bezaubernd verzaubert übersteht der kleine Junge schließlich das Abenteuer im fantastischen Traumland.

„Wo Wolle ist, ist auch ein Weg“ - besonders solche Dialoge bieten auch Erwachsenen viel Spaß: Wenn Nepomuk beim fleißigen Zitieren „Casablanca“ mit  „Vom Winde verweht“ verwechselt, sich als „Schlafschaf 7 oder 007“ ausweist, dann merkt man, hier wurde auf jeder Ebene viel Liebe und Mühe vergarnt. Die Aufgabenteilung im Film ist klar. Für die Magie ist der Sandmann zuständig, für den Humor eindeutig Nepomuk, dessen Witzigkeit sich an der von „Shaun, das Schaf“ anlehnt, aber auch völlig ausgelassen albernd herumpurzelt. Und die Herzen gewinnt der kleine Miko als Trickfigur. Während im flugs skizzierenden Realfilm die Nöte des kleinen Jungen vorgestellt werden, darf er im Traumland seine Angst überwinden. Das passende Abenteuer taucht zwar auch mal mit einem U-Boot und einer wienernden Figur freud-ig ins Unterbewusste ab, doch die kleinen Kinogänger können durchaus lernen, wie sie bösen Träumen die Luft aus den Segeln nehmen.

Volker Lechtenbrink spricht unerschütterlich sonor den Sandmann, Ilja Richter den Schurken Habumar, der sich auch im strengen Vater Mikos widerspiegelt, gespielt vom selben Ilja Richter. Für die überwiegende Animation waren wie immer zahlreiche Studios verantwortlich, doch der Mix geht auf, alles fügt sich bestens zueinander, die frankophon kokette Sahnetorte macht ebensoviel Spaß wie das schaurig schöne Schattenspiel in Habumars Bar. Was dieses sensationell gute Kino-Sandmännchen vor allem bemerkenswert macht, ist sein Mut zu fantastischen Welten. Dass dabei viele Stile und Momente widererkennbar sind, schadet keineswegs - lebt doch auch ein Trickerfolg wie „Shrek“ vom klugen Referieren. Vor allem der Bösewicht Habumar scheint beim „Sandmännchen“ die Handschrift düsterer Fantasien eines Tim Burtons zu tragen. Der schummerige Leuchtturm wirkt mit seinen grünlich-grauen Mischfarben wie eine Leihgabe von Jean-Pierre Jeunet. Wenn sich Schirme hinter dem Horizont zu Vögeln wandeln, hat Dalí Spaß. So wie eigentlich jeder bei diesem durchgehend gelungenen Kinderfilm.

Hochzeitspolka


BRD, Polen 2009 Regie: Lars Jessen, mit Christian Ulmen, Katarzyna Maciag, Fabian Hinrichs, Waldemar Kobus 98 Min. FSK ab 6

„Er kann so lustige Gesichter machen“ - klar, wieder ein Film mit Christian Ulmen. Zuletzt hatte sein Standard-Typ des zurückhaltenden Spießers Probleme mit Italienern, jetzt sind es die Polen. Bei denen hat Frieder Schulz (Ulmen) den Job eines Geschäftsführers und verhandelt Gehaltserhöhungen, während er längst weiß, dass die Fabrik sowieso geschlossen wird. Die Tatsache darf aber nicht der Heirat mit der örtlichen Schönheit Gosia Borowka (Katarzyna Maciag) in die Quere kommen. Am Abend vor der Hochzeit taucht auch noch Frieders alte Band aus Deutschland auf. „Heide Hurricane“ wirbelt mit Vorurteilen und alten Vorbehalten das Fest kräftig auf. Der Alkohol tut das seinige.

Wenn Herrenrasse und „Heil Hitler“ erwähnt werden, braucht man kein Polnisch zu verstehen, um die Aversionen auf beiden Seiten der EU-Partner zu erkennen. Außer dieser Konfrontation fällt Fernsehregisseur Lars Jessen, der auch immer mal wieder Kinofilme („Am Tag, als Bobby Ewing starb“, „Dorfpunks“) dreht, nicht viel ein. Der mit blassen Farben und viel Handkamera digital aufgenommene „Hochzeitspolka“ ist vor allem eine konfuse, dann eine schlechte Komödie, bei der man nur mit viel gutem Willen erschließen kann, was das alles soll.

Snowman's Land


BRD 2010 (Snowman's Land) Regie: Tomasz Thomson mit Jürgen Rißmann, Thomas Wodianka, Reiner Schöne, Waléra Kanischtscheff, Eva-Katrin Herrmann 98 Min. FSK ab 16

Zwei Killer, die einen Fehler begangen haben, werden mit einem obskuren Auftrag in die tief verschneiten Karpaten geschickt. In einen abgelegenen Hotel breitet sich beim Warten der Wahnsinn aus, zudem muss ein tödlicher Unfall vor dem gefährlichen Auftraggeber verheimlicht werden. Der gelungene deutsche Genre-Film bedient den Thriller mit bekannten Elementen und vielen guten eigenen Ideen.

Kühl und cool schreitet Walter (Jürgen Rißmann) durch Gassen und Menschen, ein Gang wie bei „Bullitt“, blaues Licht stylt die Herrentoilette - doch das hilft alles nix. Am Ende hat der Auftragskiller einen zu viel umgebracht und sollte unbedingt mal „Urlaub machen“, wie sein Boss nachdrücklich betont. Zum Glück gibt es für Walter einen Job in den heftig eingeschneiten Karpaten, in einem einsamen Hotel, in dem auch Jack Nicholson seinen Jagd-Schein gemacht haben könnte. Walter soll bei diesem rätselhaften Einsatz das Gebäude für den Unterwelt-Boss Berger (Reiner Schöne) vor Einheimischen und Konkurrenten schützen. Nebenbei vielleicht auch noch Bergers Geliebte Sibylle (Eva Katrin Hermann) überwachen. Die ist sehr blond und scharf, hat eine eindrucksvolle Drogenküche im Keller und sagt Sätze wie: „Ich bin hier die Disco!“ Als Kollege wurde Walters alter Bekannter Micky herbei geordert. Der durchgeknallte Abknaller hat seit seinem letzten Bombeneinsatz eine Metallplatte im Kopf und ist selber hochexplosiv. Doch erst einmal warten die zwei Profis, die Fehler begangen haben, auf Berger und jeder amüsiert sich auf seine Weise...

Gute Typen, trockene Dialoge, klasse Songs - das kann nicht nur Tarantino, so Gutes gibt es auch aus deutschen Landen. Mysteriöse Angriffe von Außen und Kazik (Waléra Kanischtscheff), die asiatische Rechte Hand Bergers, sorgen für Action, so dass der Wahnsinn bald eine blutige Spur in den Schnee zeichnet.

Jürgen Rißmann gibt sehr satt den müden Walter, der zwischen tragischem Abgang und  fast meditativer Transzendierung - im Kugelhagel -in eine andere Welt steht. Seine trockenen Erläuterungen im Off, zu denen das Bild auch mal eingefroren wird, sorgen für den lakonischen Grundton. Thomas Wodianka spielt einen neurotischen Killer: kindisch, dämlich, gefährlich. Rainer Schöne legt seinen übersinnlich begabten und überspannten Karpaten-Paten derart klasse hin, dass man sich mehr große Rollen für diesen großen Schauspieler wünscht. Der Reiz in dieser gelungenen Genre-Variante liegt in der guten Ausführung, die wahrscheinlich nach viel mehr Geld aussieht, als tatsächlich da war. Aber vor allem auch in den schrägen und originellen Ideen: Mit dem Klapprad im Schnee oder mit der PS-Schleuder Schlitten fahren - Regisseur und Autor Tomasz Thomson findet immer wieder gute Ideen und Bilder (Kamera: Ralf M. Mendle), um den Genre-Film aus der Action-Familie ein eigenes Gesicht zu geben.

22.9.10

Die Liebe der Kinder


BRD 2007 Regie: Franz Müller mit Marie-Lou Sellem, Alex Brendemühl, Katharina Derr, Tim Hoffmann 86 Min. FSK ab 12

Über eine Anzeige finden sich Maren und Robert. Sie will den Kontakt schon abbrechen, doch er bleibt hartnäckig und schließlich ziehen die Bibliothekarin und der Baumpfleger mit ihren fast erwachsenen Kindern zusammen. Es entwickelt sich ein entspannte, neugierige Beziehung - und eine Liebe bei den Kindern Mira und Daniel. Während die Intellektuelle und der einfache Mann ihre unterschiedlichen Lebenswelten nicht zusammenfügen können, wollen die verliebten Jungen heiraten und in die Ukraine auswandern. Die Spannungen eskalieren.
Autor und Regisseur Franz Müller hat die Menschen in seinem Film fein und lebensnah beobachtet. Das Darsteller-Quartett überzeugt ebenso wie Inszenierung und die stimmige Musik.

Fish Tank


Großbritannien, Niederlande 2009 (Fish Tank) Regie: Andrea Arnold mit Katie Jarvis, Rebecca Griffiths, Michael Fassbender 124 Min.

Wenn keines der Label wie „Romantische Komödie“ oder „Road-Movie“ richtig passt und wenn eine Regisseurin gleich mit ihren beiden ersten langen Spielfilmen den Preis der Jury in Cannes erhielt, dann lohnt sich die Aufmerksamkeit. Andrea Arnold ist eine junge britische Regisseurin, die in ihrem Langfilm-Debüt „Red Road“ die verstörende Geschichte einer Sicherheitsangestellten erzählte, welche bei der Videoüberwachung eine Person aus ihrer Vergangenheit entdeckt hat. In „Fish Tank“ steht wieder eine Frau im Mittelpunkt, diesmal ein junges Mädchen, das Orientierung sucht.

Eindrucksvoll ist dieser Vernichtungs-Feldzug, den die 15-jährige Mia (Katie Jarvis) in ihrer Umgebung anrichtet! Es steckt so viel Wut in diesem schmächtigen Körper, da muss schon mal die Nase einer Freundin dran glauben. Im schwierigen Verhältnis mit der Mutter ist der beste Moment ein Abschied. Wenn man sich zum Abschied wenigstens ein „ich hasse dich“ entgegenschleudert, ist noch alles im Rahmen. Es kann aber auch heftiger und deftiger werden, in diesem Arbeiterviertel mit den aufeinander gedrängten Sozialwohnungen. In Mias Leben mit der Mutter und der kleinen Schwester bot bislang der Tanz einen Fluchtpunkt. Bei eindrucksvollen „Moves“ zwischen HipHop und freiem Tanz schreit sie Aggressionen heraus. Dann steht eines Tages der knackige neue Freund der Mutter in der Küche herum. Es entsteht sofort enorme Spannung, die offen lässt, wer hier eigentlich verführt.

„Fish Tank“ ist immer besonders spannend, wenn es darum geht, wer gerade die Macht hat. Nicht „Die Macht“ aus „Star Wars“, sondern die aus dem ganz alltäglichen zwischenmenschlichen Balance-Spiel. Diese dynamische Intensität wird eindringlich gespielt von der jungen, mittlerweile preisgekrönten Laien-Darstellerin Katie Jarvis und Michael Fassbender („Inglourious Basterds“, „Hunger“) als dem neuen Freund der Mutter. Dieser wartet mit einer Überraschung auf, genau wie der sagenhaft dichte Film seine Figur unerwartet weitertreibt: Mia erlebt man im Wechsel vom Terror-Mädchen, das in den ersten 15 Minuten einen atemberaubende Zerstörungsschneise schlägt, zu einer sehr vielschichtigen und empfindsamen Figur. „Fish Tank“ ist dabei stellenweise märchenhaft, dann wieder ganz real in einer lebensgefährlichen Situation, die Mia herbeiführt. In Momenten der Nähe kann die bemerkenswerte Regisseurin Andrea Arnold problemlos mit Zeitlupe arbeiten. Sie hat ihre eigene Sprache, genau wie die drei Frauen in der engen Wohnung. Diese verstehen sich in der Musik, kennen alle den gleichen Tanz zum Musikvideo im dauerlaufenden Fernseher.

„Fish Tank“ wurde nach Premiere in Cannes 2009 und dem Preis der Jury mit weiteren Auszeichnungen überhäuft: Beste Darstellerin, Edinburgh 2009; Beste Regie bei den British Independent Film Awards 2009 und Gewinner des „Outstanding British Film“ bei den Britischen Filmpreisen 2010.

21.9.10

The Town


USA 2010 (The Town) Regie: Ben Affleck mit Ben Affleck, Blake Lively, Jeremy Renner, Rebecca Hall 120 Min.

Loyalität wird in bestimmten Filmen als Männerfreundschaft über alle moralischen Grenzen hinweg buchstabiert. Da bleibt der Kumpel aus dem Viertel der wichtigste Mensch der Welt, auch wenn er ein cholerischer, schießwütiger Idiot ist. Mal in der Variante Italo-Amerikaner bei Scorsese oder mit Iren bei James Gray. Frauen sind jeweils nur dazu da, um Herzen zu brechen und die Polizisten meist mieser als die Gangster. In diesem Genre möchte nun auch Ben Affleck mitspielen. Nicht nur erneut als Darsteller, nein diesmal als Regisseur. Das Ergebnis „The Town“ zeigt aber keine persönliche Sicht oder Variante dieser Geschichten sondern nur noch eine weitere von ihnen. Das DVD-Regal wird es um eine Stilblüte - weiß du noch, dieser Film von Ben Affleck - bereichern. Die Filmkunst nicht.

Der Thriller „The Town“ begleitet eine Gang von Räubern, die sich auf Banken und Geldtransporter spezialisiert haben. In Charlestown, einem Stadtteil von Boston, so etwas wie die Haupterwerbsquelle der männlichen Bevölkerung. Doug MacRay (Ben Affleck), der Kopf der Truppe, verliebt sich ziemlich kopflos, als er die mögliche Zeugin Claire (Rebecca Hall, „Vicky Cristina Barcelona“) observiert. Das findet Kumpel Jem (Jeremy Renner) nicht toll, aber das Drama kommt erst nach mehr als einer Stunde in Fahrt, nachdem bei mäßiger Action alle Figuren positioniert sind. Dann zwingt der irische Pate und Blumenhändler (Pete Postlethwaite) die Gang zu einem letzten Überfall, dann ist der wenig charismatische Gegner von der Polizei ihnen auf den Fersen, eine enttäuschte Frau (Blake Lively, „The Private Lives of Pippa Lee“) begeht Verrat, man bangt um eine unmögliche Liebe.

Mit nur anständig spannenden Überfällen, überzogenen wie unübersichtlichen Verfolgungsjagden und einem recht unoriginellen Baller-Finale kann „The Town“ die Action-Fans nicht überzeugen. Das Beziehungsdrama mit einer um die Wahrheit betrogenen Frau rückt irgendwann an den Rand. Affleck selbst kann kaum punkten, das hart verbissene Gesicht eines Gangsters gelingt ihm nicht, den Charmeur darf er nicht geben. Seltsamerweise sind die Nebenrollen besser besetzt: Postlethwaite als Pate und Chris Cooper als Vater machen gut Eindruck. Letztlich ist „The Town“ auch das Porträt eines Viertels, in dem die Polizisten wegschauen, wenn Bankräuber ihren Fluchtwagen wechseln. Doch einen eigenen Ansatz oder Stil bleibt Affleck schuldig. Wieso also noch so ein Film?

Jud Süss - Film ohne Gewissen

Jud Süss - Film ohne Gewissen

BRD, Österreich 2010 Regie: Oskar Roehler mit Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi
120 Min. FSK ab 12

Die Filmwelt tut sich weiterhin schwer, den richtigen Umgang mit dem NS-Film zu finden: Kann man ästhetische Qualitäten und künstlerisches Talent würdigen, wenn die kreativen Mitläufer die Augen vor Terror, Krieg und Massenmord verschlossen? Kann man tolle Filme wie „Münchhausen“ genießen, wenn man sich zerbombte Städte und Vernichtungslager außerhalb der Studios und Kinos vorstellt? Wie geht man mit derartiger Durchhalte-Unterhaltung um? Bei „Jud Süß“ ist es klar: Die antisemitische Propaganda, die 1940 unter der Regie von Veit Harlan und strengster Kontrolle von Joseph Goebbels entstand, ist weiterhin verboten. Regisseur Oskar Roehler („Die Unberührbare“, „Elementarteilchen“) geht in „Jud Süss - Film ohne Gewissen“ eine diffizile Konfrontation mit deutscher Film- und NS-Geschichte ein. Er verfolgt das Schicksal von Ferdinand Marian (Tobias Moretti), dem Darsteller des Jud Süß, der an seiner Rolle zerbrach.

Quasi per Akklamation durch Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) wird Ferdinand Marian (Tobias Moretti) zum Hauptdarsteller des großen Filmprojektes, das die Zuschauer emotional von der Schändlichkeit der Juden überzeugen solle. Marian wehrt sich, wird aber halb überredet, halb gezwungen. Schon während der Dreharbeiten zu dem Lieblingsprojekt von Goebbels spitzt sich die Situation in Marians Umfeld zu. Der Schauspieler, der auf den großen Durchbruch hofft, gibt immer mehr Freunde und Positionen auf. Seine Frau spürt die Gefahr stärker. Sie wird aber als „Viertel-Jüdin“ benutzt, um Marian zu erpressen. Hier gehört der Film uneingeschränkt dem dämonischen Goebbels, dessen Lautstärke immer in Richtung Reichsparteitag tendiert, der aber auch, wenn er seine Maske fallen lässt und Marian einmal direkt zusammenstaucht, für Gänsehaut sorgt.

Der nationale und internationale Erfolg von „Jud Süß“, der sogar vom jungen Michelangelo Antonioni eine positive Kritik erhält, ist nur ein kurzer Rausch. Bei einer Tour durch die Ostgebiete sieht der gebrochene und saufende Schauspieler an der Baustelle für Auschwitz wie sein Film wirkt. Den weiteren Niedergang verfolgt der Roehlers Film im holperigen Schnelldurchgang. Das Ende Marians nach dem Krieg ist nur noch eine Szene lang: Eine letzte Begegnung mit dem ehemaligen jüdischen Kollegen Wilhelm Adolf Deutscher, der Ghetto und KZ überlebt hat und dem Marian versprach, „Jud Süß“ würde kein Propaganda-Film werden. Am nächsten Morgen bringt sich Marian mit seinem Auto um.

Roehler muss sich zur Zeit gegen Vorwürfe verteidigen, er hätte historische Details nicht korrekt abgebildet. Anstelle dieser im Bereich von künstlerischer Freiheit kleingeistigen Erbsenzählerei sollte man lieber genau hinsehen, was der Film als eigenständiges Werk erzählt und dann - wenn man politisch und moralisch argumentiert - wie es um das Gewissen des Films steht. Dass die von Bleibtreu lustvoll dämonisch angelegte Figur des Joseph Goebbels mehr Eindruck macht, als die Hauptfigur Ferdinand Marian muss man wohl unter der „Faszination des Bösen“ verbuchen. Aber noch ein Moment bleibt emotional stark im Gedächtnis: Der „große Volksschauspieler“ Hans Moser, der sich extremst erniedrigt, um für seine jüdische Frau zu betteln. Und doch nur eine großkotzig arrogante Abfuhr von Goebbels erhält. Dass dieses Drama einer Szene nachhaltiger wirkt, als das ganze Elend von Marian, um den sich ja dieser Film dreht, gibt zu denken. Aber das tun auch viele Szenen, die ein eindringliches Bild des Terrors, der Anpassung und der vielen kleinen wie großen Verrate hinterlassen. Sie bringen den furchtbaren und menschenverachtenden Antisemitismus auch emotional auf den Punkt. Der Wahnsinn springt dann aus dem Bild , wenn sich die Frau eines Lagerkommanten als „Perversion“ im Feuerglanz einer Bombennacht vom Juden Süß Oppenheimer begatten lässt, gespielt durch Marian. Das Licht, die Besetzung, das gute Schauspiel, die expressionistische Schatten. Stilistisch ist Roehler exzellent, aber eine durchgehende Atmosphäre des Terrors und des Schrecken, etwa wie in „Das weiße Band“, entsteht nicht.

15.9.10

The American


USA 2010 (The American) Regie: Anton Corbijn mit George Clooney (Jack), Violante Placido (Clara), Thekla Reuten (Mathilde), Paolo Bonacelli, Bruce Altman 105 Min. FSK ab 12

Und vor allem: Gehe keine Freundschaften ein ... Dieser Satz ist der Klassiker im Geschäft des Film-Auftragskillers. Recht häufig versuchen diese Mietmörder auszusteigen, müssen nur „noch einen letzten Job“ erledigen oder nach einem Fehler in Deckung gehen. Daher braucht man nicht lange zu erklären, was der „Amerikaner“ Jack (George Clooney) in dem kleinen Dorf in den Abruzzen macht. Er steht selbst auf einer Abschussliste, muss sich verstecken. Der schon ergraute Spezialist traut niemandem, auch seinem Auftraggeber Larry (Bruce Altman) nicht mehr, lässt sich aber doch zu einem letzten Auftrag überreden.

Jack spricht nicht viel, beobachtet mehr, sucht aber die Nähe eines Priesters. Schnell überträgt sich die extrem angespannte Aufmerksamkeit auf den Zuschauer. Man wird selber misstrauisch, jeder ist verdächtig. Der neugierige Hirte, der „alles sieht“. Der Mann, der vor Jacks Wohnung steht. Und schließlich steht das Misstrauen auch zwischen Jack und Clara, der Prostituierten, mit dem er ein neues Leben anfangen könnte. Der Mann, der nach dem Schmetterling, den er als Tattoo trägt, auch Mister Farfalla genannt wird, erscheint nun noch verletzlicher. Dem Roman „A Very Private Gentleman“ von Martin Booth sind sicher bedeutungsschwere Sätze zu verdanken. Wie: „Du bist Amerikaner. Du meinst, der Vergangenheit entfliehen zu können“. Dazu läuten dann auch noch die Kirchturmglocken. Hat sein letztes Stündlein geschlagen?

Die Handlung schreitet in einem stetigen Tempo voran, nur selten beschleunigen die Montage oder ein Musikstück den Fluss der Bilder. (Zu der Musik von Herbert Grönemeyer kann man sagen, dass sie zum Glück nicht auffällt und er auch nicht singt.) Ausführlich wird die Erstellung eines Spezialgewehrs in Handarbeit gezeigt. Solch einen Vorgang handeln Actionfilme in kurzen Montagesequenzen ab. Es bleibt Raum für existenzielle Fragen eines alternden Auftragsmörders, die sich auf dessen Gesicht abzeichnen. „The American“ baut auf die enorme Präsenz des Hauptdarstellers. George Clooney ist hier allerdings nicht der Charmeur und Kaffeemaschinen-Flirter, er ist ein grautemelierter Killer am Karriereende. Also eher der von Zweifeln aus der Bahn gebrachte Mann aus „Up in the Air“ als der dauerlächelnde Checker aus „Ocean’s Eleven“.

Wenn man Corbijns „Control“ gesehen hat und wenn man von der Herkunft dieses berühmten niederländischen Fotografen weiß, überrascht das betonte Styling nicht. Sorgfältig gelingen ihm zeitweise ganz exquisite Bilder - eine Bedrohung quetscht Jack an den Rand des Raumes, das große, dunkle Fenster erdrückt ihn förmlich, lässt nur einen schmalen Streifen Luft. Doch diese besonderen Bilder fügen sich erst spät zu einer einzigartigen Atmosphäre, die „Bullitt“ und andere dieser Filme um gejagte Jäger auszeichnen. Dann allerdings, kurz vor dem Ausgang, legt der „The American“ ein ganz großes Finale hin, mit einem dieser ikonographischen Szenen, die sich tief in die Filmgeschichte einbrennen.

Mammuth


Frankreich 2010 (Mammuth) Regie: Benoît Delépine, Gustave de Kervern mit Gérard Depardieu, Yolande Moreau, Isabelle Adjani, Benoît Poelvoorde, Bouli Lanners  92 Min. FSK ab 12

Ein unglaublicher, ein unfassbarer Film. Benoît Delépine und Gustave de Kervern waren schon immer für Werke berüchtigt, die mit „sehr seltsam“, „schräg“ und „skurril“ nicht wirklich beschrieben wurden: In „Aaltra“ stritten sie sich (als Hauptdarsteller) als verfeindete Nachbarn im Rollstuhl quer durch Europa. Mit „Louise hires a serial killer“, der nicht besonders durchschlagenden anarchistischen Reaktion auf eine kapitalistische Werksentlassung, wurden sie weiteren Kreisen bekannt. Jetzt triumphieren sie schon in Cannes mit „Mammuth“, einem Film, der für immer aus dem durchaus gewaltigen Werk Depardieus herausragen wird.

Serge "Mammuth" Pilardosse (Gérard Depardieu ) wird in der Fleischerei verabschiedet - schon dies ein Bild für die Götter der aberwitzigen Bildgestaltung: Langhaarig und sehr verdattert dreinblickend steht er unter lauter maximal desinteressierten Kollegen, um ein unverschämt schäbiges Abschiedsgeschenk in Empfang zu nehmen. Zu Hause packt den simplen Serge schnell die Unruhe, wie gut, dass ihm einige Rentenbescheinigungen fehlen und er diese auf einer Motorrad-Tour einsammeln muss. Diese Tour de Force eines einfältigen Berges von Mann auf einem mächtigen Motorrad, das Mammuth heißt und auch so aussieht, ist Rahmen einer Reihe von absurden bis abartigen Begegnungen und lässt gleichzeitig ein Arbeitsleben Revue passieren. Denn die Regisseure stehen immer auf der Seite der Arbeiter und so sieht man bei diesem großartigen Vergnügen nebenbei, wie sich die Arbeitswelt nicht nur in Frankreich verändert hat. Aus der Mühle wurde beispielsweise ein schickes Medienhaus.

Zwischen knallhart realen Begegnungen mit einer räuberischen Prostituierten und dem surrealen Auftreten einer totenbleichen Isabelle Adjani als Geist eines tragischen Unfalls reichen die immer wieder fesselnden und verstörenden Momente. Von absurdem Dada bis zu sanften impressionistischen Würdigungen des imposanten Körpers Depardieus reicht die Spannweite dieses ästhetisch überaus reizvollen Meisterwerkes. „Mammuth“ huldigt dem Schauspiel-Gott und beweist großen Mut zur Hässlichkeit. Obwohl - ist dies wirklich Hässlichkeit? Oder geben uns Benoît Delépine und Gustave de Kervern die seltene Gelegenheit, richtig hinzusehen, gerade weil ihre Kamera nie „richtig“ steht, weil das Licht nie „gut“ ist? Das wäre der Unterschied zwischen einem Satz, den man herunterliest, und einem, der hängenbleibt, weil man an ihm hängenbleibt. Nicht nur Depardieu hat einen sensationellen Auftritt, hervorragend ist auch die vertraute Schauspielfamilie des Regie-Duos Delépine/de Kervern: Der belgische Schauspieler Benoît Poelvoorde, wird immer wieder besetzt, ebenso „Louise“ Yolande Moreau und Bouli Lanners aus Kelmis bei Aachen. Es lohnt sich, sowohl die Regisseure als auch diese Darsteller im Auge zu behalten, die mit ihrer gegen den Strich gebürsteten Kunst das frankophone Kino bereichern.

Groupies bleiben nicht zum Frühstück


BRD 2010 (Groupies bleiben nicht zum Frühstück) Regie: Marc Rothemund mit Anna Fischer, Kostja Ullmann, Amber Bongard, Inka Friedrich, Roman Knizka 103 Min.

Der Vorspann mit dem Musikvideo (der Band „Berlin Mitte“, die nur für diesen Film entstand) zeigt, dass es mehr auf die richtige Pose als den richtigen Ton ankam. Doch dies erweist sich unter der Regie des jungen Routiniers Marc Rothemund („Sophie Scholl“), der mit 32 schon seit zwölf Jahren Kino macht, als gute Einstellung. Die Teenie-Komödie „Groupies bleiben nicht zum Frühstück“ ist tatsächlich oft komisch, meist unterhaltsam, mit Blick auf Details inszeniert und überraschend gut gespielt.

Ohne zu ahnen, dass er ein heiß bekreischter Stars ist, trifft Lila (Anna Fischer) auf Chriz (Kostja Ullmann), den Sänger der angesagten Band „Berlin Mitte“. Die Romantik schlägt auch auf der Tonspur schnell zu, doch nach dem ersten gemeinsamen Abend sorgt ein eifersüchtiger Bandmanager Hand in Hand mit den Drehbuchschreibern für reichlich Komplikationen. Doch vor allem Dank Lilas Freundin Nike (Nina Gummich) - mit frecher Berliner Schnauze und ebensolchen Ideen - kommt Lila immer wieder an den Mengen von Fans und Reportern (handgezählte 20) vorbei.

Ja, dieser Film hat zu viele Hindernisse und Last Minute-Rettungen. Ja, er verhebt sich zum Finale hin an der tieferen Bedeutung. Und ja, die Songs im Durchlauferhitzer sind schlimm. Doch vor allem mit dem Spiel der jungen Anna Fischer punktet die Romantische Komödie für Kleine. Als Ulk-Nudel Lila darf sie dank sehr guter Mimik als Entdeckung verbucht werden. Der Rest wurde von Marc Rothermund im Detail sehr gut und nett inszeniert. Eine Menge Filmmeter haben zwar nur die eine Aussage: „Geil, Berlin!“ Dafür erhöhen viele gute Nebenfiguren (vor allem der mega-coole deutsch-türkische Leibwächter und Liebesbote Horst) den Spaßfaktor. Trotz Höhen und Tiefen dürfen die beiden Nachwuchs-Romantiker Lila und Chriz beim großen Finale am Flughafen klassisch zitieren: „Uns bleibt immer Berlin (Mitte).“

14.9.10

Ponyo


Japan 2008 (Gake No Ue No Ponyo) Regie: Hayao Miyazaki 101 Min.

Wenn selbst hartgesottene Filmkritiker, die sich auch gerne mal Splatter und Gewalt antun, mitten in der Nacht während eines Festivals ganz selig und glücklich dreinschauen, dann muss dieser „Zeichentrickfilm für Kinder“ wirklich besonders sein. Vom 69-jährigen japanischen Animationsmeister Hayao Miyazaki, der schon mit "Prinzessin Mononoke" (Berlinale Gewinner), "Chihiros Reise ins Zauberland" (Oscarsieger) sowie "Das wandelnde Schloss" begeisterte, kommt nun eine liebevolle Verquickung von Andersens „Die kleine Meerjungfrau“, Goethes Zauberlehrling, Wagners Walkürenritt und Disneys "Nemo".

Etwas ist seltsam an diesem kleinen Goldfisch, der sich in ein Marmeladenglas verklemmt hat. Zuerst die sehr klugen Gesichtszüge um die wachen Augen. Dann heilt das Fischlein eine Wunde am Finger des fünfjährigen Sosuke, der den Fisch namens Ponyo findet und befreit. Und schließlich passiert etwas im Meer, das scheinbar nach Ponyo schnappt und immer bedrohlicher an den Klippen der Steilküste empor schwappt. Doch zuerst entwickelt sich eine niedliche Freundschaft zwischen dem Jungen und dem Fisch. Sie wächst so sehr, dass Ponyo zum Mensch werden will. Aber ihr Vater, ein mächtiger Zauberer des Meeres holt sie zurück in die feuchten Tiefen. Als Ponyo den Zaubertrank sucht, um menschlich zu werden, lässt sie das Wasser des Lebens ausfließen und startet katastrophale Veränderungen: Riesige Fische aus der Vorzeit tauchen auf, Ponyos Geschwister wandeln sich zu gewaltigen Wellen. Derweil retten sich Sosuke und seine neue Freundin mit einem von Zauberhand vergrößerten Spielzeugkahn vor den Fluten und Sosukes Mutter kümmert sich um die Aufregung in einem Altenheim auf dem Berg. Doch das Abenteuer ist noch lange nicht zu Ende, denn Ponyos Vater ist auch auf dem Lande mächtig.

Die Vorlage des neuen Meisterwerks aus dem berühmten (Animations-) Studio Ghibli stammt unverkennbar von Hans Christian Andersen. Doch „Ponyo“ ist viel mehr und in jeder Faser von Hayao Miyazaki: Sei es in den fantastischen Visionen, sei es im ökologischen Grundgedanken, der leicht und verspielt überall auftaucht. Magisch an „Ponyo“ ist auch, dass er seine Wirkung mit scheinbar simplen Zeichnungen hervorruft. In einer Zeit, in der selbst größter Schrott mit 3D zu etwas Speziellem aufgewertet werden soll, erscheinen Miyazakis 2D-Zeichnungen fast naiv. Trotzdem bleiben seine Figuren fantastisch, sind seine Menschen nahe an Fabelwesen, ebenso wie die Tiere reizvoll menschliche Züge zeigen. Ein großer Humanist ist der Japaner sowieso: Gut beobachtet wurde schon, wie liebevoll auch das Zusammenleben mehrerer Generationen in „Ponyo“ dargestellt ist. In Japan hatten vor zwei Jahren mehr Menschen „Ponyo“ gesehen, als alle anderen Filme des Jahres zusammen. Ähnlich verhält es sich mit dem Glücksgefühl, das dieses Filmwunder im Verhältnis zu anderen Filmen hervorruft.

8.9.10

Eine Karte der Klänge von Tokio


Spanien 2009 (Map Of The Sounds Of Tokyo) Regie: Isabel Coixet mit Rinko Kikuchi, Sergi López, Min Tanaka, Takeo Nakahara 109 Min.

Sie sind mehr als kurios, diese „Zimmer“ in dem Tokioter Stundenhotel „Hotel Bastille“: Eine letzte Metro aus Paris soll Fantasien anregen, das Romantische bleibt dabei abgekoppelt. Die katalanische Regisseurin Isabel Coixet findet viele reizvoll eigentümliche Bilder in ihrem neuen Film. Sie bedient sich dabei reichlich an Kunstbildern aus Tokio. Lost in dieser Translation bleiben allerdings die tiefen Seelenabgründe der in diesem Bilderalbum gestrandeten Personen und die man aus den bisherigen Meisterwerken von Coixet - „Mein Leben ohne mich“, „Das geheime Leben der Worte“ und in etwas geringerem Maße in der Philip-Roth-Verfilmung „Elegy“ - kennt.

Sie haben alle ihr Päckchen an Leid und Trauer zu tragen in diesem Film. Doch zuerst faszinieren die Figuren mit ihrem Alltag: Mit der Verschlossenheit, mit der Ryu (Rinko Kikuchi) nächtens auf dem Fischmarkt arbeitet und sich als einzige Belohnung fast besessen Erdbeermochis gönnt. Die gleiche Regungslosigkeit legt sie bei ihrem „Nebenjob“ als Auftragsmörderin an den Tag. Ihr nächster Auftrag ist der melancholische spanische Weinhändler David - ein Rolle, die speziell für den großartigen Sergi López geschrieben wurde. Davids japanische Freundin Midori hat sich umgebracht, wie David hat auch Nagara (Takeo Nakahara), der reiche und mächtige Vater der Toten keine richtige Erklärung für den Freitod. Aber er macht den Fremden verantwortlich und beauftragt Ryu. Diese in einem episodischen und oft exotischen Bilderreigen präsentierte Geschichte erzählt ein Mann (Min Tanaka), der die Klänge von Tokio sammelt und von großer Zuneigung angestachelt, Ryu ein Mikrofon ansteckt.

Aus dem scheinbar komplexen Reigen von Personen und einigen fremden Eindrücken kristallisiert sich mehr und mehr die Geschichte zwischen Ryu und David als eine von schwieriger Liebe heraus. Zuerst erfolgt die Annäherung sexuell, im „Hotel Bastille“ leben beide eine enorme Anziehung aus, die andere Gefühle überdeckt und vernachlässigt. David trauert immer noch Midori nach und gesteht dies auch Ryu ein. Sie gesteht sich selbst ihre Gefühle nicht. Nur der Toningenieur bemerkt die Veränderung...

Auch wenn Coixet den Bildern fremder Kulturen, mit denen sie spielen will, öfters mal verfällt, was bei der Premiere 2009 in Cannes zu gemischten Reaktionen führte, gibt sie nicht den Genres nach, die anklingen: Die inneren Kämpfe bleiben spannender als der Konflikt einer Killerin, die sich in ihren Auftrag verliebt. Dort heraus, aus den vernarbten Seelen, entwickelt Coixet auch wieder sehr starke und bewegende Momente, die „Eine Karte der Klänge von Tokio“ zu einem sehenswerten.

7.9.10

Niki de Saint Phalle: Wer ist das Monster - du oder ich?


BRD 1995 Regie Peter Schamoni, 93 Min.

Ihre Nanas, die freudig-bunten, üppigen Frauenfiguren sind jedem - auch außerhalb der Museen - bekannt. Die am 21 Mai 2002 im kalifornischen San Diego verstorbene Künstlerin Niki de Saint Phalle hat jedoch ganz noch ganz andere Schaffens- und Lebensperioden zu bieten. Die am 29 Oktober 1930 in Neuilly-sur-Seine, in Frankreich, geborene Bankierstochter war nach dem Abitur als erfolgreiches Fotomodell tätig. Nach einer gescheiterten Ehe, nach einem Nervenzusammenbruch kreiert sie TIRS: Großflächige Bilder mit Farbbehältern, die erst durch den Beschuss der Künstlerin fertig werden. Hier passt der Titel „Wer ist das Monster - du oder ich?“ Langsam wandelt sich diese düstere Phase den farbenfrohen Nanas zu, die bald auf der ganzen Welt zu sehen sind. In Stockholm entsteht sogar eine monumentale, begehbare Nana. Fast eine Vorarbeit zum wunderbaren „Garten des Tarot“ in der Toskana, ein kompletter Park, ganz im Geiste der Nanas gestaltet.

Peter Schamoni stellt in seinem schönen, anrührenden Film die faszinierende Künstlerin und ihr Lebenswerk vor. Im Zusammenspiel von Kunstwerk-Zitaten und Interviews fängt er Aggression und Wut der frühen Phase ebenso ein, wie die kreative Beziehung zum Kinetikkünstler Jean Tinguely und den schöpferischen Kampf gegen eine schwere Lungenkrankheit im Alter. Das Leben der Niki de Saint Phalle zeigt sich als ergreifendes, mutmachendes Kunstwerk. Zu den schönsten Momenten gehört die Integration von Tinguelys kinetischer Kunst in die bis dahin statischen Objekte Saint Phalles nach dem Tod ihres Partners. Am Ende des Films eröffnete sich für die erkrankte Künstlerin ein neues Leben in Kalifornien, in ihrer Kunst tauchen plötzlich Wale auf.

Beilight ­ Biss Zum Abendbrot


USA 2010 (Vampires Suck) Regie: Jason Friedberg, Aaron Seltzer mit Jenn Proske, Matt Lanter, Christopher Riggi 82 Min. FSK ab 12
  
Film-Parodien saugen populäre Filmreihen oder -Genres aus wie Vampire. Diese markttechnische Reaktion auf alles Erfolgreiche ist mittlerweile ein Automatismus, der allem Anschein nach von einem lahmen Computer in einem Hinterzimmer irgendwo in Hollywood verwaltet wird. Besonders einfallsreich sind die Filmchen kaum mehr, ein paar flaue Scherze und die Attraktion des Original-Produkts müssen reichen. Da ist der deutsche Titel „Beilight – Biss Zum Abendbrot“ mit gleich zwei Wortspielen schon ein Knaller!

Schmatzend und schmarotzend saugt diese Parodie die Vampir-Filme der „Twilight“-Serie aus. Becca verliebt sich erneut in den coolen Vampir Edward und muss mit dem eifersüchtigen Wolfsmenschen Jacob zurechtkommen. Dass dieser mal das Beinchen an einem Laternenpfahl hebt und sich auch in Menschengestalt mit der Hinterpfote die Flöhe wegkratzt, gehört zum humoristischen Grundrauschen der nacherzählten Geschichte. Das hat keinen satirischen Biss. Wie die meisten dieser Parodien liefert auch „Beilight“ bei Lichte besehen ein paar schnell runter geschriebene Scherzchen, dazu erstaunliche Ähnlichkeiten bei den Darstellern und bei einzelnen Szenen. Zur schlampigen Machart passt dann wieder, dass reichlich Handlungssprünge für Ärger bei den Fans sorgen werden. Twilight-Ignoranten können mit diesem Billigkram sowieso nichts anfangen. Aus gegebenem Anlass sei an Polanskis „Tanz der Vampire“ erinnert: Eigentlich auch eine Parodie von Vampirfilmen, aber so raffiniert, komisch, genial und eigenständig gemacht, dass er als Klassiker bestand hat, während die Vorlagen zu Staub zerfallen sind.

Verlobung auf Umwegen


USA 2010 (Leap Year) Regie: Anand Tucker mit Amy Adams, Kaitlin Olson, Matthew Goode, Adam Scott 97 Min.

Was ist bloß mit den amerikanischen Männern los? Und mit guten alten Traditionen wie Auf-die-Knie-fallen und Um-die-Hand-anhalten? Wenn es wieder mal nicht mit den unromantischen Karrieretypen klappt, hilft nur eine Irland-Reise. Dorthin wo die Wiesen noch grün, die Rothaarigen keine Tönung benutzen und die Kerle noch echt sind. Per Flugzeug oder im Kino...

Anna (Amy Adams, „Sunshine Cleaning“) aus Boston hat seit vier Jahren so einen aalglatten Erfolgsmann an der Backe: Jeremy (Adam Scott) ist Herz-Chirurg, aber kein Herzspezialist. Er küsst Anna nie auf den Mund, schaut beim Essen auf eklige OP-Handyfotos statt in ihre Augen und fühlt sich damit auch noch gut. Doch nach vier Jahren Beziehung reicht es Anna. Als Jeremy zu einer Konferenz nach Dublin fliegt, erinnert sie sich an eine alte irische Tradition: Jedes Schaltjahr am 29. Februar darf die Frau dem Mann einen Antrag stellen. Doch der Trip nach Irland beginnt mit einer Notlandung im falschen Hafen. Die „Madame aus Boston“ strandet in einem kleinen Kaff voller Sonderlinge und mit einem Schnuckelchen hinter der Theke von Kneipe, Restaurant, Hotel und Taxizentrale. Dass beim ersten Anblick des ruppigen Declan (Matthew Goode, „Wiedersehen mit Brideshead“) in Bezug auf den weiteren Verlauf der Romantischen Komödie alles klar und sowieso vieles vorhersehbar ist, stört den Spaß nicht. Zu trefflich vergnügt das Hickhack der Verliebten aus gegensätzlichen Welten, die ihre wahren Gefühle längst noch nicht ahnen.

Immer wieder treibt es amerikanische Filmfrauen - bevorzugt rothaarig oder mit irischen Wurzeln - in die archaischen Gefilde vermeintlich ursprünglicher Gesellschaften. Ob die Wahlkämpferin in „Heirat nicht ausgeschlossen“ (USA 1997, The Matchmaker), die in Irland eigentlich Kennedy-Wurzeln sucht, aber endlich einen Mann findet, oder zuletzt die todunglückliche Witwe in „PS - Ich liebe dich“, die eine neue Liebe findet. Declan bringt das Dilemma hervorragend auf den Punkt, als er sich breit auf das einzige Bett fläzt: „Ihr wolltet doch die Gleichberechtigung!“  

Aber keine Sorge, am Ende werden im netten Frauenfilm „Verlobung auf Umwegen“ gleich zwei Männer vor ihr auf die Knie gehen. Vorher ist Anna auf ihrer Odyssee nach Dublin allerdings dem speziellen Charisma ihres spröden Begleiters ausgeliefert. Sie verwüstet in Minuten das bescheidene Hotelzimmer und das Stromnetz des Dorfes. Er fährt sie im Gegenzug in einem klapperigen alten R4, dessen Rot wunderbar zum Grün der traumhaften Landschaften passt. Sie weiß alles immer besser, bis sie mit ihren 600 Dollar-Schuhen in einen Kuhhaufen tritt oder sich den Koffer rauben lässt. Dieser ständige Begleiter und gelungene Rolling Gag erhält von Decan gleich den Namen Louis (Vuitton) aufgeklebt. Rustikale Steinmauern gehören hier ebenso dazu wie seltsame Käuze und lustiger Aberglaube. Dass sich Anna sehr dämlich anstellt, wie sie mit hohen Hacken durch grüne Wiesen stöckelt, wird emanzipatorisch dadurch ausgeglichen, dass auch Declan ganz schon blöd aus der lässigen Wäsche schauen kann. Also findet die gut inszenierte und anständig gespielte Romantische Komödie auch hier das richtige Maß.

6.9.10

Black Death


Das Mittelalter war entgegen allgemeiner Auffassung nicht so dunkel, weil es damals noch keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke gab und alle Lichter ausgingen. Es war eher die Religion, die den gesunden Menschenverstand verdüsterte, Erkenntnisse aus Medizin, Mathematik und Technik vergessen ließ. Wenn dann noch die Pest eine Steilvorlage für Aberglauben, Massenhysterie und Intoleranz gab, erlosch auch der letzte Funken Hoffnung. So kann man „Black Death“ als solide inszeniertes, düsteres Mittelalter-Abenteuer sehen. Aber durchaus auch als Menetekel zum Wahnsinn der Religionen.

Der junge Mönch Osmond liebt im 14. Jahrhundert heimlich eine Frau und liebte sie bereits im fleischlichen Sinne des Wortes. So quält das schlechte Gewissen Osmond wie die Pest Europa geißelt. Doch er will zu seiner Geliebten, die vor der Krankheit floh, deshalb bietet er sich sofort an, als der Ritter Ullrich (Sean Bean) im Kloster einen geistlichen Begleiter für einen Auftrag in den entfernten Sümpfen sucht. So könnte Osmond den gemeinsamen Treffpunkt mit seiner Liebe rechtzeitig erreichen. Der Auftrag erweist sich allerdings als besonders grausamer, wie schon eine monströse Foltermaschine klar macht: Ullrich will in abgelegenen Dörfern, die von der Pest verschont blieben, einen Necromancer finden, einen Ketzer, der Tote zum Leben erweckt. Nach einer Reise mit den obligaten Schrecken wie Hexenverbrennung und dem Überfall durch wilde Gestalten kommt die Gemeinschaft bärtiger, zotteliger Gesellen in ein glückliches, friedliches Dorf mit freundlichen Gastgebern und einem Geheimnis.

„Black Death“ ist nicht nur das, was sich viele vielleicht vom Plakat versprechen - das erste Gemetzel lässt gut eine halbe Stunde auf sich warten. Die Stimmung erinnert entfernt an „Der 13. Krieger“, die düstere John McTiernan-Action mit Antonio Banderas. Zwischendurch wird viel geredet, angedeutet und angedroht. Man philosophiert, ob Gott dies oder jenes verantwortet und was er alles bestraft oder durchgehen lässt.

Doch wenn gemetzelt wird, dann richtig. Zuerst bringen die schlagfertigen Missionare ihren infizierten Kameraden in inniger Umarmung um. Dann bekämpft man den Unglauben mit barbarischen Foltern. Irgendwann werden die Rollen umgekehrt, die Atheisten erzwingen ebenso grausam die Abkehr vom Glauben wie die gläubigen Monster das Gegenteil. Man übertrifft sich gegenseitig an Verlogenheit und gnadenlosem Morden. Am Glauben kann man anscheinend nur mit Nachhilfe durch Folter und Todesdrohung festhalten.

Die deutsche Produktion, bei der deutsche Wälder und Schlösser eine prominente Rolle spielen, der Rest aber englisch spricht, wurde solide inszeniert. Im Grunde zeigt der Film eine ähnliche Konstellation und ähnliche Thematik wie „Im Namen der Rose“, nur kriegerisch mit dem Schwert agierend statt mit den Waffen des Geistes. Bei den Schauspielern ist allein Sean Bean wirklich bekannt. Seine Gegenspielerin, die Niederländerin Clarice van Houten ???? macht einen guten Eindruck. Auch wenn der dunkle Film zuerst eine sehr krude Moral („lieber tot als gottlos“) an den Tag zu legen scheint, bleibt am Ende keine positive Identifikationsfigur übrig. So erweist er sich schließlich als düsteres Spiegelbild unserer erneut religiös verseuchten Zeit.

Pianomania - Die Suche nach dem perfekten Klang


Ö, BRD 2009 (Pianomania) Regie: Lilian Franck, Robert Cibis 93 Min.

Musiklaien muss man vielleicht erklären, dass ein Piano nicht nur verstimmt und richtig gestimmt sein kann - nein, jeder große Pianist hat ein eigenes Verständnis davon, wie sein Piano richtig gestimmt sein soll. Die großen Stars der internationalen Klimperei haben dazu jeweils ihren Lieblings-Flügel: Wie andere beim Chinesen ihr Essen bestellen, wünschen sie sich ihren Steinway: „Für die ‚Die Kunst der Fuge’ hätte ich gerne Nr. 109!“ In diesem Extrembereich des perfekten Klanges arbeitet Stefan Knüpfer. Der Cheftechniker und Meisterstimmer von Steinway & Sons ist enger Vertrauter von weltberühmten Pianisten wie Lang Lang, Alfred Brendel, Rudolf Buchbinder und Pierre-Laurent Aimand. Vor Konzerten oder CD-Einspielungen ziehen sie ihn zu Rate, besprechen die Konzeption ihrer speziellen Interpretation und lassen ihn auch immer wieder während der Aufnahmen „feintunen“.

Das mag sehr speziell klingen - geriet aber der tollen Dokumentation zu einem ungemein unterhaltsamen und fesselnden Porträt einer besonderen Tätigkeit und eines sonderlichen Menschen. Denn Stefan Knüpfer ist durchaus ein Spezialist, wenn man den „nerd“ wohlmeinend übersetzt. Er ist besessen von der Suche nach dem richtigen Klang, bastelt beispielsweise Tonreflektoren, die über dem Flügel einzelne Bereiche des Klangspektrums verstärken. Oder er fummelt kleine Dämpfer zwischen die Saiten. Diese Tüfteleien sind äußerst faszinierend. Der Sonderling ist nebenbei auch noch auf anderen Gebieten äußerst kreativ und erarbeitet mit dem Komikerpaar Igudesman und Joo regelmäßig eine virtuose Comedy-Show auf der Konzertbühne.

Über den grandiosen Selbstdarsteller Knüpfer, dem es nie in den Sinn kommt, dass er auch albern wirken könnte, gelingt es den Regisseuren Lilian Franck und Robert Cibis, den Zuschauer in die ganz spezielle Welt des perfekten Klangs zu entführen und ihn dort zu bannen. Was der Piano-Stimmer zu seinen Pianisten sagt, trifft auch auf ihn selbst zu: „...statt ‚neurotisch’ würde ich sagen: ‚spezialisiert’.“ Die großartige und sehr unterhaltsame Dokumentation wurde im August 2009 als Beste Dokumentation bei der renommierten Kritikerwoche von Locarno ausgezeichnet.

5.9.10

Venedig 2010 Das Akkordeon / Jafar Panahi


Friedlicher Kurzfilm aus dem iranischen Gefängnis Jafar Panahis

Venedig. Der bewegendste Moment des bisherigen Festivals von Venedig galt einem Abwesenden. Selten haben ein paar Minuten Film so viel Aufregung erzeugt - auch emotional. „Das Akkordeon“ heißt der Kurzfilm des lange inhaftierten iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der trotz seiner international mit Solidaritätsadressen erkämpften und gefeierten Haftentlassung das Land nicht verlassen darf und aktuell auf sein Gerichtsverfahren wartet. Die Vorgeschichte bewegte die Filmgemeinschaft seit langem, Panahi war einer der vielen Iraner, die nach den letzten Wahlen und den Protesten der Bevölkerung verhaftet wurden. Die Gründe blieben unklar, er war in Einzelhaft, hörte absurde Vorwürfe. Solidarische Aufrufe gab es von Filmfestivals, dem internationalen Kritikerverband FIPRESCI und vielen Prominenten. Noch in Cannes brach Juliette Binoche auf einer Pressekonferenz in Tränen aus, als sie über die Haft Panahis sprach. Der Regisseur erhielt vor zehn Jahren in Venedig den Goldenen Löwen für „Der Kreis“, den schweren Weg mehrerer Frauen, die aus dem Gefängnis entlassen wurden. „Offside“, die Geschichte der weiblichen Fußballfans, die ein Spiel nur in Sicherheitsverwahrung miterleben können, gewann 2006 den Silbernen Bären in Berlin. Panahi zeigte engagiert, aber auch sehr sensibel vor allem die Situation der Frauen im Iran.

„Das Akkordeon“ ist wieder eine dieser nur scheinbar einfachen Geschichten, die leicht als Kinderfilm durchgehen und mit denen Abbas Kiarostami („Wo ist das Haus meines Freundes?“) berühmt wurde. Auch Panahi faszinierte schon mit einer „Kindergeschichte“ namens "Der weiße Ballon". Nun sind es zwei Geschwister, die als Straßenmusiker durch die Stadt gehen. Der größere Bruder spielt hervorragend Akkordeon, das Mädchen schlägt die Trommel und sammelt mit einer Blechdose Geld. Plötzlich erschreckt sie, bindet sich hektisch ein Kopftuch um und rennt zurück zum Bruder: „Eine Moschee!“ Sie haben aus versehen vor einem Gotteshaus gespielt, ein Sakrileg, und schon ist ein Mullah dabei, dem Bruder das Akkordeon wegzunehmen. Die Verzweiflung ist groß und als die Kinder den ebenfalls armen Mann später sehr kläglich das Akkordeon spielen sehen, greift der Junge zu einem Stein. Doch das Mädchen begleitet erst den Mann mit der Trommel, dann übernimmt der Junge das Instrument und der Mann die Bettelbüchse. In neuer Harmonie geht das Trio aus Kunst und Kontrolle weiter.

Die Interpretation ist naheliegend, aber mit einer sehr kultivierten Bescheidenheit, mit einer Friedfertigkeit, die man im Westen Christus andichtet, hält sich Panahi von einer Deutung des in Guerilla-Manier, vorbei an staatlicher Zensur produzierten Kurzfilms zurück. Er wolle niemanden anklagen, nur eine Geschichte erzählen. Ebenso zurückhaltend geht er mit seinem Verfahren und der internationalen Solidarität um. Man kann aber auch eine Vorsicht vermuten, auf keinen Fall die üblichen Fronten zwischen Ost und West, Islam und Heidentum aufzubauen.