31.8.10

Zwischen uns das Paradies


BRD, Bosnien-Herzegowina, Österreich, Kroatien 2010 (Na Putu) Regie: Jasmila Zbanic mit Zrinka Cvitesic, Leon Lucev, Ermin Bravo 100 Min. FSK ab 6

Mit ihrem Erstling „Esma Geheimnis“ gewann Jasmila Zbanic 2007 den Goldenen Bären. Das Drama war bestimmt von den Folgen der Jugoslawien-Kriege. Auch in „Zwischen uns das Paradies“ sind in Bosnien und Herzegowina immer noch Krieg und Vertreibung zu spüren. Wir erleben zuerst ein junges, modernes, verliebtes Paar. Luna ist Stuardess und Amar sitzt im Tower. Als er auch noch bei der Arbeit viel trinkt, suspendiert man ihn für sechs Monate und schickt ihn zur Entziehung. Zufällig trifft er einen anderen ehemaligen Soldaten, mit der er gekämpft hat. Bahrija trägt nun langen Bart, seine Frau ist verschleiert, „wie ein Ninja“ und sie leben als konservative Wahhabiten. Unter deren Einfluss wandelt sich der lebenslustige Amar in einen bitteren Moralapostel, verachtet das Leben Lunas und ihrer bosnischen Familie. Obwohl sie ein Kind bekommen wollten, es sogar trotz der Fruchtbarkeits-Schwäche Amars mit künstlicher Befruchtung probierten, bricht ihre Liebe durch seine radikale Veränderung auseinander. Aus dem exzessiven Party-Gänger und leidenschaftlichen Liebhaber wird ein enthaltsamer, verklemmt keuscher und bitterer Moralapostel.

Eine erschreckende Schilderung vom Wandel eines Menschen - und Teilen der Gesellschaft. Amar meint, die Moslems müssten viele Kinder zeugen, weil Allah es gebietet und weil man gegen den serbischen Feind die Überzahl gewinnen müsse. Der aus ihrer Heimat vertriebene Bosnier vermengt in Sarajewo so Islamismus und Nationalismus auf besonders perfide Weise. In der Kirche Bahrijas wird Moral gepredigt und Frauen der Schleier aufgezwungen, doch er selbst heiratet in Vielehe die 12-jährige Stieftochter seiner Frau.

Jasmila Zbanic wurde 1974 in Sarajevo geboren. Sie besuchte dort die Akademie für darstellende Kunst. 1997 gründete sie in Sarajevo die Künstlervereinigung und spätere Filmproduktion Deblokada, mit der sie zehn Kurz- und Dokumentarfilme sowie Kunstvideos realisierte. Nun zeigt sie erneut an einem dramatischen Einzelschicksal, wie heftig und weitgehend die Verwerfungen der Jugoslawien-Kriege sind. Aus Nachbarn, aus Menschen einer homogenen Gemeinschaft macht man Extremisten, indem man sie nach Religion aussortiert. Albträume verfolgen Luna wie alte Horrorfilme mit Aliens, aber diese Monster sind real und heutig. Einmal läuft der Hass Lunas ins Leere, als sie bei dem Haus ihrer ermordeten Mutter, das von Serben okkupiert wurde, ein unschuldiges kleines Mädchen vorfindet.

„Zwischen uns das Paradies“ ist ein bewegender und überzeugender Film, weil er Klischees und einfache Etiketten vermeidet, stattdessen die erschreckende gesellschaftliche Frontenbildung aus den einzelnen Menschen heraus nachvollziehbar macht.

Männertrip


USA 2010 (Get Him To The Greek) Regie:    Nicholas Stoller mit Jonah Hill, Russell Brand, Sean Combs, Elisabeth Moss 109 Min. FSK ab 12

Ein neuer Ableger aus dem Universum der Judd Apatow-Komödien spaßt mit einem Flug- und Road-Trip auf dem Weg zu einem Rockkonzert herum. Dieser ist wesentlich mehr Trip als Road, weil der abgehalfterte und drogenverseuchte Rockstar Aldous Snow den braven Musik-Manager Aaron Green zu heftigen Exzessen verführt. Auf der Judd Apatow-Skala zwischen groben Zoten („American Pie“) und Ansätzen menschenwürdiger Komödien bietet „Männertrip“ ein mittelprächtiges Vergnügen.

Aaron Green (Jonah Hill) ist viel mehr braver Fan als cooler Fuzzie aus dem Music Business. Er passt irgendwie nicht so richtig ins Musikgeschäft. Aber vielleicht könnte seine Idee das darbende Plattenlabel retten: Der auch nicht besonders erfolgreiche und von einem herrlich flott dargebrachten „Skandal“ angeknackste britische Rocker Aldous Snow (Russell Brand) soll mit einem Revival-Konzert sowohl seine Karriere als auch die des Platten-Ladens wieder in Schwung bringen. Aarons Boss, der irgendwie immer in Gangsta-Attitüden verfällt, verdonnert den Angestellten umgehend dazu, den Rockstar von London nach Los Angeles zu begleiten. Eine Odyssee zwischen den Polen Mama und Mega-Kick beginnt.

Schon in London werden Aarons Hinweise, man müsse ja pünktlich beim Flieger sein, mit einer sehr alkoholisierten Nacht beantwortet. Irgendwann kommt der staunende Angestellte auch einem der Groupies näher. Kein Problem, die Freundin zuhause hatte doch gerade die Beziehung beendet - oder? In der zweiten Nacht soll es nur ein Glas echten Absinth geben. Die zwangsläufige orgiastische Montagefolge hat beim Drehen und Schneiden bestimmt genau so viel Spaß gemacht wie beim Zuschauen. Aaron informiert dabei seine Freundin durch einen unabsichtlichen Handyanruf aus der Hosentasche live über seine Eskapaden.

Als Entwicklung beschert der Film seinen Figuren immer mehr Drogen und eine volle Dröhnung wilden Lebens. Dabei wirkt es bereits lustig, wenn der Apatow-Zögling Jonah Hill rundlich durch einen TV-Sender rennt und verzweifelt irgendjemand sucht, der Snows Lied-Text noch kennt. Russell Brand variiert kaum den verpeilten Musiker, der durchgehend bescheuerte Sachen lallt. Zwischendurch gibt es noch Besuche bei Snows britisch steifer Mutter, dem viel bekloppterem Vater und bei der Ex. Beide Buddies haben ihre Beziehung zu klären. Daraus machen andere Filme eine Selbstfindung, vielleicht mit Läuterung. Doch dieser „Männertrip“ ist hauptsächlich Karikatur und Farce - wenn auch keine gute. Spaß macht er trotzdem immer mal wieder, meist wenn er völlig sinnfrei in das typische Apatow-Feeling eintaucht. So war es bisher recht selten, dass ein Buddy-Movie die beiden männlichen Buddies am Ende zu einem zahmen Dreier ins Bett verfrachtet. Doch das ist noch nicht das wahre Ende, auch dieser zeitweise wild zottige Film ist eigentlich schrecklich brav: Er will doch nur albern...

30.8.10

Venedig 2010 Schwarzer Schwan auf Venedigs (Film-)=?ISO-8859-1?B?S2Fu5Gxlbg==?=


Venedig. „Wenn die Schwäne Trauer tragen“ - so könnte das Motto für den Eröffnungsfilms „Black Swan“ von Darren Aronofsky lauten. Der Psychothriller dreht sich um eine Aufführung von „Schwanensee“ in New York und ist mit Natalie Portman, Vincent Cassel, Barbara Hershey und Winona Ryder prominent besetzt. Da mit Aronofsky auch der Gewinner des Goldenen Löwen von 2008 für „The Wrestler“ nach Venedig zurückkehrt, kann man für 67. Filmfestspiele der Biennale (1. bis 11. September) ankündigen: Wenn die Gondeln Promis tragen.

Laut wird es gleich zu Beginn, wenn Roberto Rodriguez seine „Machete“ als Mitternachts-Eröffnungsfilm schwingt und er mit seinem alten Kumpel, dem Jury-Präsidenten Quentin Tarantino, die „Fanboys“ unter den Cineasten elektrisiert. „Machete“ war einst nur ein völlig überzogener Trailer in dem Double-Feature „Grindhouse“ von Rodriguez und Tarantino. Jetzt wird der Action-Film viel Blut in die Lagune spülen.

Große Erwartungen knüpfen sich an den Auftritt von Tom Tykwer im Wettbewerb der 67. Internationale Filmfestspiele, der lässig mit „Venezia 67“ abgekürzt wird. Tykwers „Drei“ wird einer von insgesamt 24 Startern im Rennen um den Goldenen Löwen sein. Die Tragikomödie, die von der Filmstiftung NRW gefördert wurde, ist nach „Lola rennt“ und „Der Krieger und die Kaiserin“ der dritte Film Tykwers in der Lagunenstadt. In „Drei“ erzählt der gebürtige Wuppertaler eine Berliner Dreiecksgeschichte über „Liebe, Moral und Geschlechter im spätmodernen Deutschland der gemischten Gefühle“. Die Hauptrollen spielen Sophie Rois, Devid Striesow und Sebastian Schipper.

„Post Mortem“ von Pablo Larraín und  „Die Einsamkeit der Primzahlen“ (The Solitude Of Prime Numbers) von Saverio Costanzo haben dank deutscher Koproduzenten ebenfalls ein „D“ im Festivalkatalog stehen. „Die Einsamkeit der Primzahlen“ erzählt, basierend auf dem gleichnamigen Erfolgsroman von Paolo Giordano, die poetisch-kraftvolle Geschichte einer großen, unvollendeten Liebe zwischen zwei Menschen, die sich ganz nahe sind, die jedoch - auf dem schmalen Grat zwischen Erfüllung und Nicht-Erfüllbarkeit - immer durch eine Winzigkeit getrennt zu bleiben scheinen. Wie Primzahlenzwillinge. Isabella Rossellini spielt neben Alba Rohrwacher und Luca Marinelli eine Hauptrolle. Es kündigt sich keine zahlreiche, aber reizvolle deutsche Präsenz an, die hauptsächlich über Koproduktionen Anteil am venezianischen Kinogeschehen hat.

Der vor zwei Jahren in Aachen mit der Karlsmedaille für Europäische Medien ausgezeichnete Abdellatif Kechiche („Couscous mit Fisch“) bringt den Kostümfilm "Venus Noir" an den Start, ein Wiedersehen mit Fatih Akin, der gleichzeitig die Karlsmedaille erhielt, ist höchstwahrscheinlich. Akin, im letzten Jahr Gewinner des Spezialpreises der Jury mit „Soul Kitchen“, gibt 2010 den Präsidenten der Jury des „Luigi De Laurentiis Venice Award“ für den besten Debütfilm.  In Konkurrenz steht Kechiche mit sechs US-Produktionen, unter anderem von Sofia Coppola („Somewhere“ mit Stephen Dorff und Benicio Del Toro) und Julian Schnabel („Miral“ mit Willem Dafoe und Vanessa Redgrave). Dustin Hoffman tritt in „Barney's Version“ von Richard J. Lewis auf.

Spannend bleibt das Erscheinen des iranischen Filmemachers Jafar Panahi („Offside“, „Der Kreis“), der lange in Teheran inhaftiert war und für dessen Freiheit sich die Filmgemeinschaft immer wieder eingesetzt hat. Am 1. September soll sein neustes Werk, der Kurzfilm „The Accordion“ im Rahmen des Projekts „Then And Now, Beyond Borders and Differences“ die Nebensektion „Giornate degli Autori“ eröffnen. Das Projekt behandelt den Artikel 18 der Erklärung der Menschenrechte: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.“

Mitten in der Aufgeregtheit des Festivalgeländes thront auf dem Lido weiterhin wie die Kaaba in Mekka eine riesige Baustelle: Bis 2012 wird am neuen Festivalpalast gebastelt - wahrscheinlich hat die Mafia hier keinen Einfluss, sonst wären die paar Kubikmeter Beton schneller vergossen worden. Doch das entspannteste der großen drei Filmfestivals - Cannes, Venedig, Berlin - kann durchaus etwas Stress vertragen bis das vorherrschende Fachpublikum den Kanal voll hat. Denn die „Mostra del cinema“, also die Kino-Schau, konzentriert sich auf vergleichsweise wenige gute Filme, setzt auf Qualität statt Quantität.

25.8.10

Der kleine Nick


Frankreich, Belgien 2009 (Le Petit Nicolas) Regie: Laurent Tirard mit Maxime Godart, Valérie Lemercier, Kad Merad, Sandrine Kiberlain 91 Min. FSK o.A.

Die Umsetzung eines Zeichentricks zum Film ist immer heikel: Beim klassischen Zeichen-Trickfilm geht gerne mal der spezielle Rhythmus der Einzelbilder verloren. Bleibt das Stakkato einzelner Szenen, wirkt es als Film holperig, siehe „Asterix & Obelix“. Macht man aus den Zeichnungen einen Realfilm mit Schauspielern aus Fleisch und Blut, gehen fast immer die ganz eigenen Charaktere aus der Feder der Künstler verloren. Ebenfalls: siehe „Asterix“, wo Depardieu droht, das Bild vom wahren Obelix zu verdrängen. Gelungene Gratwanderungen sind selten, „Sin City“ gehört vielleicht dazu.

Nun also „Der kleine Nick“. Ein kleine, ganz einfache Figur, der von seinem französischen Schöpfer Jean-Jacques Sempé (in Zusammenarbeit mit dem Asterix-Autor René Goscinny) mit minimalen Strichen nicht nur so viel Leben eingehaucht wurde, dass sie weit über Frankreich hinaus geliebt wird. In den kleinen Geschichten der Kinderbuchserie entstand auch ein ganz eigenes Universum, bestimmt von der nur scheinbar simplen Weltsicht des Grundschülers Nick. Denn in der Naivität des Kindes steckt reife Weisheit, die Sempé auch in seinen anderen Zeichengeschichten auf wunderbare Weise vermittelt.

Der kleine Maxime Godart ist in der Realverfilmung als Nick mit seinen großen Augen und dem staunenden Gesicht sympathisch und so präsent, dass man gar nicht lange vergleichen will. Aber vor allem ziehen die Geschichten einen sofort in den Bann glücklichen Lächelns und Lachens. Neben vielen anderen Episoden hat Nick ein großes, durchgehendes Problem: Es gibt unübersehbare Anzeichen dafür, dass er bald sein Zimmer mit einem kleinen Bruder teilen muss: Der Vater trägt den Müll raus und ist besonders nett zur Mutter. Aus herrlich präsentierten Wissensbröckchen machen sich die Freunde klar, dass ältere Geschwister dann wie Hänsel & Gretel im Wald ausgesetzt werden. Der Sonntagsspaziergang wird von nun an zur existenziellen Bedrohung. Irgendwann beschließt der speziell für diesen Notfall gegründete Geheimbund, einen Auftrags-Gangster einzuschalten. Nur wo bekommt Nick die notwendigen 500 Franc her?

Einige werden vielleicht nur ihrem gezeichneten Nick treu bleiben, doch man muss auch diese Figuren und Geschichten lieben. Zu den kleinen Comic-Strips und Gags kommt eine schöne durchgehende. Im Retro-Look eines Paris der Fünfziger Jahre schüttelt der französische Film mit großer Leichtigkeit einen Satz hervorragender Schauspieler aus dem Ärmel: Kad Merad, der Darsteller des Briefträgers aus „Willkommen bei den Sch’tis“, ist Nicks Vater. Sandrine Kiberlain, die „Mademoiselle Chambon“ aus der vergangenen Kino-Woche ist wieder Lehrerin, diesmal wunderschön komödiantisch verdattert. Die große Aufmerksamkeit für kleine Details ist überall spürbar, ein Gastauftritt des Monsieur Mathieu aus „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ erweitert das Nick-Universum in den reichen Bereich besonders gelungener Kinderfilme aus Frankreich. Bei den Kindern treffen die Charaktere ins Schwarze: Der Dicke verbindet jede Frage mit Essen, ein anderer mit dem Gaunertum, das er als Erwachsener betreiben will.

„Der kleine Nick“ beglückt mit sehr warmherzigen Momenten und mit anderen, in denen der Sempé aufblitzt. Es gibt sogar ein wenig Action, wenn Nicks Mutter bei der Fahrstunde einen Rolls mit Außerirdischem am Steuer überholt. Aber vor allem gibt es den unschätzbaren naiv-klugen, immer liebevollen Blick auf eine Welt, die wir alle wiedererkennen.

24.8.10

The Expendables


USA 2010 (The Expendables) Regie: Sylvester Stallone mit Sylvester Stallone, Jason Statham, Jet Li 104 Min. FSK    ab 18

Wenn so jemand wie Sylvester Stallone, dessen Repertoire gerade mal die nicht sehr artfremden Typen „Rocky“ und „Rambo“ umfasst, noch einen weiteren verspäteten wie unnötigen Film dreht, um Steuerschulden zu begleichen, ist das dann satisfaktionsfähig oder kritikwürdig? „The Expendables“ ist exakt so überflüssig wie der englische Titel meint, dazu mehr als abschreckend, geradezu widerlich brutal.

Stallone hat als Regisseur und Hauptdarsteller eine Menge Wracks mit beschränktem schauspielerischen Talent (Dolph Lundgren!) zusammengebracht, in der Hoffnung, dass diese Tonnen von Anabolika unter altersfaltiger Haut noch genügend Rest-Fans für einen Kinoerfolg aktivieren. Diese Männer - meist im besten Rentenalter herkömmlicher Rechnung - zeigen sich mehr schlecht als recht bei Sportübungen, die heutzutage schon bei wesentlich jüngeren albern aussehen. Sie spielen amerikanische Söldner, die einen südamerikanischen Inseldiktator umbringen sollen. Die „Expendables“ als Kriegsverbrecher zu bezeichnen, ist eine grobe Untertreibung - ein Großteil der „Unterhaltung“ ist hemmungsloses, unverhülltes und sehr brutales Morden, an dem sich die Inszenierung berauscht. Der Rest wirkt wesentlich billiger, der Alterren-Rock von CCR, schwere Motorräder, Totenkopf-Tattoos, dazu interne Probleme mit einem Verräter in der Mietmörder-Truppe. Die Gegner in den Kulissen des Pappmache-Dörfchens haben die Charakter-Tiefe der Bauchredner-Puppe „Achmed the Dead Terrorist“ von Jeff Dunham: „I kill you“. Zwischendurch prügeln sich die Alpha-Tierchen auf dem Sportplatz und die Musik richtet dazu in den Gehörgängen ein Massaker an.

Der menschenverachtende „The Expendables“ ist kein harmloser Spaß mit ein paar alten Recken, er ist üble Verrohung, eine Selbstverstümmelung von Toleranzgrenzen gegenüber Gewalt, für die man auch noch zahlen muss. Dabei bietet das klägliche Filmchen keinen Spaß, weil die extrem hässlich verzerrten Muskelmassen völlig ironiefrei agieren, und selbst aus Sicht von Action-Fans gelangen die Metzeleien nur mäßig. Da muss man sich als Kritiker an Kurzauftritten von Schwarzenegger und Bruce Willis festhalten. Der Governator tritt für einen lahmen Gag aus messianischem Licht hervor: „Der will Präsident werden“. Die Realität zeigt allerdings gerade dieser Tage, wie Außenpolitik aussieht, wenn amerikanische Privatarmeen damit beauftragt werden.

23.8.10

Ich & Orson Welles


USA, Großbritannien 2008 (Me And Orson Welles) Regie: Richard Linklater mit Zac Efron, Christian McKay, Claire Danes, Ben Chaplin 114 Min.

Einer der besten Filme über das Theater überhaupt - das meinte Robert Ebert zu „Ich & Orson Welles“. Da kann man nur mit großer Begeisterung zustimmen und sich zudem über die Geschichte eines frechen jungen Mannes freuen, der sich in die Broadway-Szene der Dreißiger stürzt und 1937 an der Seite des legendären Orson Welles in einer epochalen Inszenierung von „Julius Cäsar“ spielt. Zusammen mit Tim Robbins’ „Cradle Will Rock“  (1999) ergibt sich ein tolles Schauspiel über die ersten Theater-Jahre von Welles.

Schon das Blättern durch ein paar Schallplatten in einem New Yorker Musikgeschäft, ein paar Klänge von Gershwin, und wir sind mitten in einer vibrierenden Zeit für kulturliebende Menschen. Der 17-jährige Richard Samuels (Zac Efron) sollte eigentlich in der Literaturklasse Shakespeare durchnehmen, aber es zieht ihn zum Broadway und vor dem Mercury-Theatre wird er aus dem Stehgreif vom egomanischen Regisseur Orson Welles für die Rolle des Lucius in „Julius Cäsar“ engagiert. Die Gelegenheit, „von Orson Welles’ Spucke getroffen zu werden, kein Geld zu bekommen, aber wenn man ihm nie widerspricht, vielleicht einmal groß Karriere zu machen“.

Nun lässt Richard Linklater („Before sunrise“, „Before sunset“) - nach einem Roman von Robert Kaplow - vor und auf der Bühne durch die Kamera von Dick Pope äußert lebendig miterleben, wie chaotisch und genial eine Aufführung Gestalt gewinnt, von der man tatsächlich, wie von Welles behauptet, auch fünfzig Jahre später noch sprach. Die nachgespielten Szenen aus der Inszenierung - in faschistischen Uniformen vor extrem reduzierter Kulisse - geben einen Eindruck von Modernität und Wirkung dieses Welleschen Kunststücks.

Mittendrin, wie „Wilhelm Meister Lehrjahre“ ins New York der Dreißiger Jahre versetzt, staunt erstaunlich frech der junge Richard, der einem Orson Welles widerspricht, der schon vor dem Radiodrama „Krieg der Welten“ und Film-Legenden wie „Citizen Kane“ ein „Großer“ war.

Gleichzeitig versteigt sich der Romantiker Richard sogar darin, die von allen begehrte Theater-Sekretärin Sonja Jones (Claire Danes) zu erobern. Doch die hofft auf eine Verabredung mit dem mächtigen Produzenten David O. Selznick und geht dafür mit jedem Mittler ins Bett. Bis zur bitteren Schlussnote von Richards Karriere erleben wir, wie hinter den Kulissen der hehren Kunst ebenso hintergangen und gemeuchelt wird, wie vorne in Shakespeares Rom.

Die wundervolle Geschichte über die Leidenschaft des Schauspielens und die, große Kunst zu schaffen, lässt das Wunderkind Welles in Fleisch und Blut aufleben. Christian McKay, der den Tyrannen der Mercury-Truppe bereits auf der Bühne spielte, gibt ihn in „Ich & Orson Welles“ als egozentrisches und chaotisches Genie, nicht unbedingt sympathisch mit seinen andauernden Affären. Wenngleich die Frechheit immer siegt, denn welch ein Gesetz verbietet einem, in einem Krankenwagen an allen Staus New Yorks vorbei zu fahren? Und noch im rauschenden Applaus der Premiere schweifen seine Gedanken ab zum nächsten großen Projekt...

18.8.10

Women Without Men


BRD, Österreich, Frankreich 2009 (Zanan bedoone mardan ) Regie: Shirin Neshat, Shoja Azari mit Pegah Ferydoni, Arita Shahrzad, Shabnam Toloui 100 Min. FSK ab 12

„Women without Men“ ist ein sehr poetischer Un-Wohlfühlfilm, der den Beginn der iranischen Militärdiktatur unter dem Schah im Jahre 1953 in vier exemplarischen Frauenschicksalen nacherzählt - die Aktualität der Parabel ist unübersehbar. Schon der Selbstmord einer Frau in den ersten Szenen ist von grausamer Schönheit. Die vier Leidensgenossinnen werden zwangsverheiratet, vergewaltigt, ausgestoßen und finden sich in einem magischen Garten außerhalb Teherans wieder, nahe dem Anwesen einer verwitweten Offiziersgattin. Die Landschaft spiegelt die Seelen der Frauen wieder, wirkt bedrohlich, aber auch heilsam. Wie das stark symbolische Ende, als das Militär das Anwesen übernimmt und die kulturbeflissene Gesellschaft schweigt, lassen sich die Schicksale einfach interpretieren. Vorherrschend sind ästhetisierte Stimmungsbilder. Shirin Neshat erhielt 2009 den Silbernen Löwen beim Filmfestival von Venedig.

Männer im Wasser


Schweden, BRD 2008 (Allt Flyter) Regie: Måns Herngren mit Jonas Inde, Amanda Davin, Andreas Rothlin-Svensson, Jimmy Lindström 102 Min. FSK o.A.

Der Autor muss gestehen, dass Synchronschwimmen für ihn bislang nicht unter Sport rangierte, eher unter Comedy, unfreiwillige Comedy. Die feucht-fröhliche Komödie „Männer im Wasser“ aus Schweden überzeugte zwar immer noch nicht, das Knapp-über-Wasser-Grinsen als olympisch zu akzeptieren, machte aber auf jeden Fall eine Menge Spaß.

Zuerst war es ein Partygag beim Junggesellenabschied, doch das Video entwickelte sich bereits auf der Hochzeit zum Hit: Ein paar Kumpels, die sich vom Hallenhockey kennen, äfften in Badeanzügen und Tüll die Albernheiten der Synchronschwimmerinnen nach. Eine alkoholisierte, tolle Travestie, die prompt ein hoch dotiertes Angebot zur Wiederholung erhält. Nun sammeln die nicht mehr ganz knackigen oder fitten Jungs ein paar Nasenklammern vom Beckenboden auf, kaufen sich unter beständigem Schwulen-Verdacht Badeanzüge („es ist ein Geschenk“) und gehen als einzige männliche Synchronschwimmer Schwedens bald den Kampf gegen Diskriminierung an. Dabei war Synchronschwimmen vor über 100 Jahren nur für Männer zugelassen und durchaus ernstzunehmen. Anfangs geschieht das alles noch mit dem Ziel, sich endlich wieder ein Halle für das geliebte Hockey leisten zu können. Irgendwann gefällt den verhinderten Torschützen das Ringelreihen im Wasser derart, dass sie in Berlin den Weltpokal holen wollen. Es ist also nur noch zu klären, ob alle eine Pediküre machen müssen - schließlich hat man ja dauernd die Füße der Mannschaftskollegen im Gesicht

Antreiber bei all diesen Aktionen ist der arbeitslose, getrennt lebende Journalist Fredrik (Jonas Inde). Er ist ebenso frustriert wie kompetitiv, sogar beim Kicker mit der Tochter will er vor allem nur gewinnen. Unsympathisch verbissen verfolgt er seinen Egotrip, bei dem das Team nur die zweite Rolle spielt. Eigentlich ist er noch viel zu unreif, um sich um seine 16-jährige Tochter Sara (Amanda Davin) zu kümmern. Doch gerade das ist jetzt angesagt, weil die Mutter einen Job England angenommen hat.

Regisseur Måns Herngren gelang es, eine ganze Menge Themen völlig entspannt in diese tolle, herzliche Geschichte zu integrieren. Dabei gibt es immer wieder grandiose Lachnummern, wie der Wettbewerb im Luftanhalten mit der sehr erwachsenen Tochter und dem verzweifelt strampelnden Vater Fredrik. Symbolisch äußerst treffend auch das langsame Absinken von Frederik, der sich einfach nicht treiben lassen kann. Das führt zu aberwitzigen Begegnungen mit den Tauchern, die ihre Trainingshalle mitbenutzen. Die Synchronschwimmer bekommen die obere Hälfte des Wassers! In der Trainingsphase üben zwei Automechaniker die Stellungen auf ihren Rollbrettern. Formationen, die übrigens Molekülstrukturen von Aufputschmittel nachbilden - ein komplexer Doping-Kommentar.

„Ganz oder gar nicht“ mit den strippenden Arbeitslosen aus England wäre die Referenz ins Sachen Wohlfühl-Komödie, könnte aber auch Leitspruch für Frederik sein. Bis zum Finale, denn er hat inzwischen mitbekommen, dass es im Leben wichtigere Dinge als das Gewinnen gibt. Der Film schließt sich an und ist dabei nicht so verlogen wie die meisten Hollywood Filme.

17.8.10

Die Legende von Aang


USA 2010 (The Last Airbender) Regie: M. Night Shyamalan mit Noah Ringer (Aang), Dev Patel (Prinz Zuko), Nicola Peltz (Katara), Jackson Rathbone 103 Min. FSK ab 6

Immer hatte M. Night Shyamalan noch eine dicke Überraschung für die letzten Minuten in der Hinterhand, das war sein Markenzeichen seit „The Sixth Sense“. Nun legt er mit der Verfilmung einer Zeichentrickserie die größte Überraschung seiner Karriere hin - und es ist eine böse: Vor allem, wenn man die Ideen und die Bildkraft von M. Night Shyamalan schätzt, kann dieser ihm fremde Stoff nur enttäuschen. Die Fans der Avatar-Serie werden wohl auch kritisch auf viele Verkürzungen reagieren.

Die Trickfilmserie „Avatar – Der Herr der Elemente“ wurde mit der Simplizität eines „Herrn der Ringe“ zum relativen TV-Erfolg. In drei Staffeln bekämpfen sich vier Völker, die jeweils einem Element zugeordnet sind. Zivilisationskritisch ist wohl gemeint, dass die dampfende und qualmende Feuernation alle anderen Völker unterjocht hat. Für Frieden kann nur der legendäre Avatar sorgen, doch der junge und letzte Spross der Luftnomaden war 100 Jahre im Eis eingelagert und muss erst die Kräfte der anderen Gruppen erlernen, bevor er seine Bestimmung erfüllen kann.

Dieses Epos aus kleinen Trickfilm-Episödchen lief am Wochenende noch mal über mehrere Stunden im Fernsehen. M. Night Shyamalan will eine Realfilm-Trilogie draus machen. Doch schon der erste Teil, „Die Legende von Aang“, macht klar, dass es ein holperiges Zusammenraffen wird. Der mythisch überladene Abenteuerfilm wirkt wie eine Kette von Trick- und Action-Sequenzen mit vielen Namen und Gruppierungen, die man sich als Nicht-Fan gerade so zusammenreimen kann. Dabei bildet gerade die Magie der Völker einen kritischen Knackpunkt: Jedes Volk beherrscht sein Element, schmeißt mit Feuer, Wasser, Erde oder Luftstößen um sich. Doch die leicht albernen Tai-Chi-Verbiegungen, die für diese Kunststückchen nötig sind, haben - von unbekannten Darstellern verkörpert - nicht unbedingt eine eigene Magie. Da ist man denn froh, dass digitale Tricks das Gezappel schnell mit fliegenden Wassermassen überdecken.

Apropos fliegend: Hat mal jemand im Michael Ende-Museum nachgeschaut, ob Fuchur, der fliegende Zottel-Drache, letztlich entwendet wurde?

16.8.10

Das letzte Schweigen


BRD 2010 Regie: Baran bo Odar mit Ulrich Thomsen, Wotan Wilke Möhring, Katrin Saß, Burghart Klaußner, Sebastian Blomberg, Karoline Eichhorn 114 Min.

Manchmal kann man im Film etwas lernen: Bei diesem zum Beispiel den kleinen aber feinen Unterschied zwischen einer Geschichte mit  starken Bildern und starken Bilder, die ganz alleine schon eine Geschichte erzählen. „Das letzte Schweigen“ beginnt mit eindrucksvollen Bildern eines sommerlich flirrenden Getreidefeldes aus der Luftperspektive. Vorher sah man aus der gleichen gottgleichen Perspektive ein altes rotes Auto aus einer Garage fahren. Das Auto ist alt, weil sich alles vor 23 Jahren abspielt - sieht aber trotzdem toll aus!

Im Kornfeld wird bald ein junges Mädchen vergewaltigt und ermordet. Wir kennen den Täter, doch erst als sich 23 Jahre später die Tat beinahe identisch wiederholt, greift die Polizei den nie geklärten Fall wieder auf. Wobei „die Polizei“ sehr differenziert vorgeht: Der einstige, gerade pensionierte Kommissar (Burghart Klaußner) beginnt ein Verhältnis mit der Mutter des damaligen Opfers. Der aktuelle, David (Sebastian Blomberg) verhält sich seltsamer als „Monk“. Fast heulend vor der irritierten Mutter stehend, fragt er sie, ob der Verlustschmerz jemals aufhören würde - er habe vor kurzen seine Frau an Krebs verloren. Sein Vorgesetzter blickt dagegen überhaupt nichts, macht aber eifrig Karriere. Und ein Zeuge von damals wird aus seinem perfekten Leben mit seinen zwei Kindern gerissen...

Also schon mal gute Bilder und gebrochene Charaktere auf der Habenseite. Dazu ist die Verfilmung des Romans „Das Schweigen“ von Jan Costin Wagner mit Sebastian Blomberg, Ulrich Thomsen, Wotan Wilke Möhring, Burghart Klaußner und Katrin Sass ziemlich gut besetzt. Aber letztlich dekorieren die Bilder nur einen sehr gut besetzten, aber konventionellen Krimi, dem irgendwann die Substanz der Geschichte ausgeht, der keine der gut angelegten Figuren zu ganz großer Dramatik führt.

Dabei wagte der in der Schweiz geborene Regisseur und Drehbuchautor Baran Bo Odar einen großen Schritt: Mit seinem täglichen „Tatort“ ist Deutschland zwar einig Krimiland - jedoch nur im Fernsehen. „Das letzte Schweigen“ traut sich auf die ganz große Leinwand und passt dort auch über lange Strecken hin. Am Ende war es jedoch nur der übliche Verdächtige mit Art einer Gesellenstück Hannibal Lectors. Nicht unspannend, aber auch kein wirklich großer Kino-Krimi.

Briefe an Julia


USA 2010 (Letters To Juliet) Regie: Gary Winick mit Amanda Seyfried, Vanessa Redgrave, Gael García Bernal, Christopher Egan 105 Min. FSK: o.A.

Bei den vorgezogenen Flitterwochen in der Toskana denkt Victor (Gael García Bernal) nur an sein Geschäft, das sich um Essen und Trinken dreht. Völlig verzückt vernachlässigt er seine Frau noch mehr als vorher. Abgeschnitten von vorehelicher Romantik findet Sophie (Amanda Seyfried) in Verona unter dem vermeintlichen Balkon Julias eine Gruppe Italienerinnen, die Briefe von unglücklich verliebten Frauen beantworten. Hinter einem Stein entdeckt die New Yorker Journalistin, die gerne über wahre Liebe schreibt, einen vor fünfzig Jahren übersehenen Brief. Auf Sophies Antwort hin reist die Seniorin Claire (Vanessa Redgrave) aus England an, um doch noch Lorenzo, die Liebe ihres Lebens zu finden - nachdem ihr falscher Ehegatte freundlicherweise kürzlich verschieden ist. Nun gibt es in der Gegend sehr viele Lorenzo Bartolinis und die Film-Suche entwickelt sich zu einen Werbevideo des italienischen Fremdenverkehrsverbandes, übergossen mit einer schwer erträglichen Musiksoße. Die wälzt sich auch in die Gehörgänge, wenn Gefühle angesagt sind - also sehr oft in diesem Film. Denn Claires Enkel Charlie (Christopher Egan), der die alte Dame begleitet, ist gar nicht so Romantik-imprägniert wie er immer tut. Wie es weiter geht, kapiert sogar die Brandschutz-Tapete im Kino, da gibt sich der Film nicht die geringste Mühe, irgendwas Ungewöhnliches zu erzählen. Dreimal verpassen sich schließlich die Liebenden, aber dann kommt der Film endlich zu seinem Ende und es dauert hoffentlich auch 50 Jahre, bis jemand wieder so ein Drehbuch findet und aufgesetzten Italo-Schmalz verzapft.

Nur der Italo-Pop steigert sich unglaublicherweise zu noch schlimmeren englischen Liedchen, in denen irgendwann immer wieder Juliet vorkommt. Die großartige Erkenntnis von Sophie ist: Man sollte auch zusammen sein und gemeinsam was machen wollen, wenn man zusammen ist. Dafür könnte es allerdings einen Nobelpreis für Philosophie geben - oder einen Job bei Dr. Sommer von der Bravo. „Briefe an Julia“ ist so eine Wohlfühl-Romanze von der es jedes Jahr mehrere Ausgaben gibt. Wie beim Wein schlechte und gute. Dies ist eher Salatessig.

Salt


USA 2010 (Salt) Regie: Phillip Noyce mit Angelina Jolie, Liev Schreiber, Chiwetel Ejiofor, Daniel Olbrychski 100 Min. FSK: ab 16

“Salz auf unserer Haut” hieß einmal ein mäßiger Film nach einem kurzzeitig erfolgreichen Roman. Es ging vor allem um Sex, schwitzigen Sex, deshalb das Salz auf der Haut. Bei der Geheimagentin, die Evelyn Salt heißt, also Salz auf Englisch, ist niemals irgendwo Schweiß oder Salz auf der Haut zu vermuten. In dem Action-Film „Salt“ vom ehrenwerten Routinier Phillip Noyce („Dead Calm“, 1989) geht es zwar nicht um etwas Sexuelles, aber wenn man/frau ein ganzes Kollektiv kommunistischer Konterrevolutionäre aus dem Weg räumt und nebenbei die Welt rettet, dann könnte das doch auch für Frau Salt oder Frau Jolie oder Fräulein Croft anstrengend sein. Sie muss ja nicht gleich im Bruce Willis-Stil ihre Dessous durchschwitzen, aber ein Perlchen auf der Oberlippe oder der Stirn vielleicht? Nix da, Salt kämpft sich durch wie bundesdeutsche Öko-Straßen im Winter: Salzfrei! Eine Kampfmaschine auf Autopilot gestellt, ganz wie der Film selbst. Das wird dann keine gute Action und macht nebenbei auch nicht schön, all diese Power und Gewalt.

Das ist nicht nur ein Faustschlag ins Gesicht: „Salt“ beginnt mit heftigen Folterszenen in Nordkorea. Doch die Evelyn Salt (Angelina Jolie) beharrt schreiend und wimmernd, sie sei keine Agentin. Bis der CIA ihre Angestellte per Gefangenenaustausch rausholt. Macht er sonst nicht, doch Salts deutscher Freund Mike Krause (August Diehl) hat wohl in den USA so viel Theater veranstaltet, dass die Geheimagenten nicht anders konnten. Jetzt freut sich Salt auf einen Bürojob und das Abendessen mit Herrn Krause, da erklärt ihr der russische Überläufer Orlov (Daniel Olbrychski) im Verhör, dass sie selbst eine russische Spionin sei und von Kindesbeinen drauf programmiert, ihren Auftrag auszuführen. Der lautet, einfach mal den US-Präsidenten umbringen. Nach dieser Aussage verschwindet Orlov mitten aus dem CIA-Hauptquartier und auch Salt lässt sich nicht länger aufhalten, weil ja Herr Krause mit dem Abendessen zu Hause wartet.

Mit Feuerlöscher und ein paar Putzmitteln bastelt sich die Frau von heute eine Panzerfaust, dann geht es nach viel Rennen und Schießen zum fröhlichen LKW-Hüpfen im fließenden Verkehr. So wie ansonsten Schwarzenegger und Bond. Aber wie unkaputtbar Salt ist, zeigten ja schon die Folterszenen am Anfang. Die atemlose Action lässt nie Zeit zur Entwicklung der Personen, aber Salt ist ja auch keine Person, sondern eine veritable Kampfmaschine. Die Grundidee stammt von „Der Manchurian Kandidat“ und damit sich auch jeder erinnert, spielt Liev Schreiber, der im schwachen Remake Frank Sinatra ersetzte, den Chef von Salt. August Diehl macht übrigens Franka Potentes Action-Karriere nach: Romantischer Kurzauftritt und dann schnell umbringen lassen.

„Salt“ hat scheinbar alles, was man so im Kinosommer zum Popcorn braucht. Auch wieder eines dieser Enden, das Fortsetzung schreit, wenn sich die Spur von Salt wie die von Jason Bourne in einem Fluss auflöst. In den USA hat sich das Publikum allerdings dagegen entschieden. Mal sehen, ob die deutschen Zuschauer noch etwas Salz in diese Wunde streuen können  

13.8.10

Locarno Vater-Komplex


Locarno. Spannend wird es Samstagabend, wenn die Goldenen Leoparden der 63. Internationalen Filmfestspiele Locarnos nach zehn ereignisreichen Tagen mit 250 Filmen vergeben werden. Wer siegt im Wettbewerb? Wer erhält den Publikumspreis? Und: Bleibt es trocken auf der Piazza Grande? Nicht nur für die Lubitsch-Retro hieß es Donnerstag beim Open Air mit vielen gelben Regencapes „(Nass) Sein oder nicht (nass) sein“. Auch die Premiere des deutschen Krimis „Das letzte Schweigen“ verteidigte den Sommer hauptsächlich auf der imposanten Riesenleinwand. Dass Regen der guten Stimmung wenig anhaben konnte, beweist wie gelungen die erste Ausgabe vom neuen Festival-Direktor Oliver Père war.

Mit seinem täglichen „Tatort“ ist Deutschland einig Krimiland - im Fernsehen. Nun wagte sich der in der Schweiz geborene Regisseur und Drehbuchautor Baran Bo Odar mit „Das letzte Schweigen“ auf die ganz große Leinwand. Was in Locarno nicht nur Phrase ist. Passend sind dazu eindrucksvolle Bilder eines sommerlich flirrenden Getreidefeldes aus der Luftperspektive. Dort wird bald ein junges Mädchen vergewaltigt und ermordet. Wir kennen den Täter, doch erst als sich 23 Jahre später die Tat beinahe identisch wiederholt, greift die Polizei den nie geklärten Fall wieder auf. Die Verfilmung des Romans „Das Schweigen“ von Jan Costin Wagner liefert gute Bilder und gebrochene Charaktere. Der einstige Kommissar (Burghart Klaußner) beginnt ein Verhältnis mit der Mutter des damaligen Opfers. Der aktuelle (Sebastian Blomberg) kommt gerade aus der Psychiatrie und verhält sich seltsamer als „Monk“. Und ein Zeuge von damals wird aus seinem perfekten Leben gerissen...

„Das letzte Schweigen“, der nächsten Donnerstag in unseren Kinos anläuft, trumpft mit großen Bildern auf, letztlich dekorieren sie aber nur einen sehr gut besetzten, aber konventionellen Krimi. Wirklich auf die Kraft der Bilder vertraute beispielsweise „Womb“ des ungarischen Film-Künstlers Benedek Fliegauf, einer der Favoriten im Wettbewerb: Die Kinderliebe zwischen den sommersprossigen Rebecca und Tommy könnte an einem abgelegenen Stranddorf weitergehen, als Rebecca (Eva Green) nach 12 Jahren zurückkehrt. Das macht der erste Blick klar. Aber ein tragisches Unglück reißt Tommy (Matt Smith) aus dem Leben. Rebecca zögert nicht lange, einen Klon ihrer großen Liebe zu gebären und aufzuziehen. Die Reaktion der Mitmenschen treibt das ungewöhnliche Paar weiter hinaus in die Isolation, in ein einsames Strandhaus. Tommy wächst wieder zum jungen Mann heran, doch irgendwann taucht seine Großmutter auf und Rebecca muss Fragen beantworten.

Mit „Tejút“ lieferte Fliegauf 2007 noch ein Kunstvideo ab. Sein großes gestalterisches Vermögen macht aus der atemberaubenden Geschichte von „Womb“ (Bauch) ein bewegendes Meisterwerk, das seine ethische Problematik ganz nebenbei transportiert. Der Beginn des Festivals war geprägt von einer Häufung derartiger ödipaler Themen, doch kennzeichnender als dieser Vater-Komplex von Festivalleiter Père waren seine Entdeckungen und die mutigen Ansetzungen.

Wenn ein abgefahrener Reifen als Hauptdarsteller der ebenso film-philosophischen wie trashigen Komödie „Rubber“ von Quentin Dupieux die Piazza amüsieren darf und der markante französische Porno-Darsteller François Sagat gleich in zwei Filmen („LA Zombie“, „Homme au bain“) neben Stars wie Chiara Mastroianni auftritt, zeugt das von Mut. Dabei hat der 39-jährige Père nicht nur Spaß an Zombie-Streifen für alte und junge „Fanboys“, als echter Cineast brachte er dem Locarno-Publikum auch Klassiker wie Ernst Lubtisch, der alle begeisterte, oder etwas Neues des 1933 geborenen Jean-Marie Straub nahe.

So lud das 63. Festival Locarnos zum Entdecken und Sich-überraschen-lassen ein. Der Wettbewerbs-Liebling „Periferic“ (Regie: Bogdan George Aperti) stand für die gnadenlose Darstellung erschreckender Zustände in rumänischen Filmen der letzten Jahre. Freundlicher stellt ein anderer rumänischer Wettbewerbs-Film das harte Flüchtlings-Thema mit humoristischem Charme dar: „Morgen“ heißt der Film und „Morgen“ sagt der gemütliche Wachmann dem alten Türken immer, „Morgen“ geht es über die Grenze nach Ungarn. Zumindest für Locarno kann man sicher sein, dass das „Morgen“ unter dem neuen Festivalleiter Oliver Père ein Gutes sein wird.

11.8.10

Mademoiselle Chambon


Frankreich 2009 (Mademoiselle Chambon) Regie: Stéphane Brizé mit Vincent Lindon, Sandrine Kiberlain 101 Min. FSK: o.A.

Nachdem er seinen Job in der Grundschul-Klasse des Sohnes vorstellte, bittet die neue Lehrerin Veronique Chambon (Sandrine Kiberlain) den Handwerker Jean (Vincent Lindon), bei sich ein Fenster auszuwechseln. Der verheiratete Familienvater, ein handfester Mann, nimmt den Job an und wird von der etwas vergeistigten Lehrerin, die sich eher unpraktisch in der Welt der Dinge bewegt, mit großen Augen bestaunt. Jean und Mademoiselle Chambon schauen sich auffällig lange nicht in die Augen, gerade in dieser ganz natürlich langsamen Annäherung, in der Zurückhaltung, ist der stille Liebesfilm sehr schön und spannend. Dazu mit Sandrine Kiberlain, die auch als französischer Schauspielstar fragil und unscheinbar wirkt, und einem wortkargen Vincent Lindon hervorragend besetzt.

Regiseur Stéphane Brizé, der mit dem reizvollen Tango-Film „Man muss mich nicht lieben“ 2005 auffiel, konzentriert sich im Außergewöhnlichen einer Affäre auf die gewöhnlichen Regungen einfacher Menschen. „Mademoiselle Chambon“ zeigt ein stilles Drama in leisen Tönen. Dabei spielt wieder die Musik eine große Rolle, letztlich ist es das Violinenstück „Valse Triste“ des Franz von Vecsey, das Jean und Veronique zusammenbringt.

8th Wonderland


Frankreich 2008 (8th Wonderland) Regie: Nicolas Alberny , Jean Mach mit Matthew Géczy, Robert William Bradford, Eloïssa Florez 98 Min. FSK ab 12

Die Etats einiger Computerfirmen übersteigen längst die von Staaten. Facebook hat mehr Mitglieder als es Einwohner in den meisten Ländern gibt. Da liegt das erste virtuelle Land wirklich nicht weit weg: 8th Wonderland ist eine wachsende Internet-Gemeinschaft, die in die Weltpolitik eingreift.

So hängen plötzlich Automaten in jeder Kirche des Vatikans und spenden Kondome mit Hostien-Geschmack. Eine andere nette Aktion ist die Entführung des - jährlich „begnadigten“ - Truthahns vom US-Präsidenten, um auf die Todesstrafe ohne Begnadigung bei Menschen hinzuweisen. Oder die Entführung von drei Superstars des Fußballs, die unter vorgehaltenen Waffen in Sweat Shops mit kleinen Kindern für einen Hungerlohn Sportschuhe von „Ad’Air“ nähen müssen.

Die Aktionen und Reaktionen werden in einem vielsprachigen Strom vermeintlicher Fernsehbilder mit relativ wenig Spielhandlung präsentiert. Dazwischen viel plakatives Gerede in einem Chatroom, der schon heute so veraltet wirkt, wie ein Computerfilm aus den 80er Jahren. Andere subversive Aktionen wie die sabotierte Übersetzung eines Präsidententreffs mit dem Zickenkriegs der First Ladys verlaufen auf dem Niveau von Pennälerscherzen. Trotzdem verhindert 8th Wonderland einen schmutzigen Deal mit Atomkraftwerken. Radikal wird es, wenn der G8-Gipfel erfährt, das jeweils ein Familienmitglied der Präsidenten mit Aids infiziert wird. Die Mittel gegen Aids steigen sofort weltweit auf ein vernünftiges Niveau. Aber die etablierten Geheimdienste haben auch einen neuen Feind.

Organisationen wie Greenpeace, Attac oder Sea Shepherd sind mit ihren Aktionen zwar nicht virtuell aber sehr präsent. Bis auf die Grundidee von „8th Wonderland“, das politische Handeln im Internet zu koordinieren, hat der Film nicht viel utopische Kraft. Dabei würde solch ein Chat schon mit fünf Teilnehmern nicht mehr funktionieren. So ist es nicht besonders interessant, diesen virtuellen Robin Hoods zuzusehen. Am Ende gibt es Klagen gegen zwei TV-Sender, weil diese „allzu debile“ Programme ausstrahlten und so die Gesundheit von Millionen Menschen schädigten. Eine problematische Forderung, denn auch vieles in diesem Film beleidigt die Intelligenz.

Mahler auf der Couch


BRD, Österreich 2010 (Mahler auf der Couch) Regie: Percy Adlon, Felix Adlon mit Johannes Silberschneider, Barbara Romaner, Karl Markovics, Eva Mattes, Lena Stolze 105 Min. FSK ab 12

Es ist historisch verbürgt, dass der Komponist Gustav Mahler (1860 - 1911) im Sommer 1910 Hilfe beim Psychoanalytiker Sigmund Freud suchte, weil seine jüngere Ehefrau Alma eine Affäre mit dem Architekten Walter Gropius hatte. Leider ist nicht die weitere Männersammlung der Alma Mahler - mit unter anderem dem Dichter Franz Werfel und dem Maler Oskar Kokoschka - Thema dieses historischen Prominenten-Treffs, sondern die belastete Psyche Mahlers, der sich in Amsterdam widerwillig auf Freuds Couch legt, um zu entdecken, dass er die kreativen Talente seine Frau Alma völlig unterdrückt hat. Daran scheitert die Ehe und das war es eigentlich schon.

Percy Adlon macht daraus, erstmals zusammen mit seinem Sohn Felix Adlon, ein altbackenes, überladenes Stück Kino, das am 7. Juli pünktlich zu Mahlers 150. Geburtstag mit biografischen Info-Häppchen aufs Bildungsbürgertum losgelassen wurde. Überstrahlte Bilder, überfrachtete Dialoge - der Film wird den Staub nie los, den die Kostüm und Ausstattung dick aufgetragen haben.

Renn, wenn du kannst


BRD 2009 Regie: Dietrich Brüggemann mit Robert Gwisdek, Anna Brüggemann, Jacob Matschenz 112 Min.

„Renn, wenn du kannst“ von Dietrich Brüggemann zeigt Robert Gwisdek, Anna Brüggemann und Jacob Matschenz in einer Jules und Jim-Geschichte. Die spielt allerdings im Ruhrgebiet und Ben (Robert Gwisdek) sitzt im Rollstuhl. Die junge Cellistin Annika (Anna Brüggemann) liegt nach vielen schönen Momenten zu dritt irgendwann zwischen Ben und seinem Zivi Christian (Jacob Matschenz) und kann sich nicht entscheiden.

Seit Jahren beobachtete Ben eine Cellistin auf dem Fahrrad vom Balkon des Hochhauses aus, jetzt flattert nicht nur seine fertige Magisterarbeit nach einem Windstoß durch die halbe Stadt, auch schnappt sein neuer Zivi Christian ihm Annika weg. Spätestens dann darf man schlechte Laune bekommen. Und der querschnittsgelähmte Ben wurde schon immer ein freches Ekel und auch noch zynisch, wenn ihn etwas berührte. Jetzt knutschen Christian und Annika im Wohnzimmer, während er im Bett liegt und das Fernsehen auf jedem Kanal Paarungen zeigt. Da ist es wieder mal Zeit für Ben, mit seinem riesigen Cadillac Bonneville (mit Handgas) durch die Nacht zu cruisen.

Trotzdem werden die drei Freunde, hängen auf der Hollywood-Schaukel ab, arbeiten an Annikas Lampenfieber und irgendwann auch an Bens Liebesleid. Dietrich Brüggemann sagte zu seinem ebenso romantischen wie bitter-süßen Film, in dem seine Schwester Anna die Hauptrolle spielt: „Ich wollte der Frage nachgehen, ob man durch die Kraft der Ideen seine physischen Beschränkungen überwinden kann – eine Frage, die eng mit der Natur des Kinos verknüpft ist.“

Sensationell freche Dialoge, eine mutige Geschichte, die ohne falsche Rücksicht mit dem „Behindi“ umgeht, der Charme des Ruhrpotts und tolle Darsteller machen „Renn, wenn du kannst“ zu einem der Hingucker für dieses Kinojahr.

London Nights - Unmade Beds


Großbritannien 2008 (Unmade Beds) Regie: Alexis Dos Santos mit Déborah François, Fernando Tielve, Michiel Huisman 97 Min. FSK    ab 12

„Es gibt Menschen, die schlafen ihr ganzes Leben im selben Bett.“ Das kann Axl (Fernando Tielve) nicht verstehen, der in 20 Betten und auf einem Sofa wach wurde, seit er von Madrid nach London kam, um seinen Vater zu suchen. Süß und witzig, wie der Junge am nächsten Morgen nie mehr irgendwas weiß, vor allem nicht, wie er in das jeweilige Bett gekommen ist und wer da neben ihm liegt.

Neben ihm, in dem sehr lebendig besetzten Haus, in dem Axl schließlich länger bleibt, wohnt die melancholisch verträumte Vera (Déborah François). Sie ist überzeugt, ihr ganzes Glück einst in einem Hecken-Labyrinth aufgebraucht zu haben und seitdem bei jedem Abzweig im Leben die falsche Richtung zu wählen. Trotzdem gibt sie nicht auf und verbringt eine Nacht mit dem charmanten Typen, der behauptet, das Gepäck am Flughafen zu durchleuchten. Doch Geschichte des Röntgen-Mannes ist sicher ebenso erfunden wie ihre. Und ebenso verrückt romantisch wie die Idee, sich keine Telefonnummern zu verraten und das nächste Treffen nur recht vage zu vereinbaren. Zwischendurch macht Vera Fotos von benutzten („unmade“) Hotelbetten und schleppt die in gescheiterten Beziehungen abgenutzten Matratzen in den Keller. Zu ihren anderen verrückten Ideen gehört es, beim Job in der Bücherei die Bände schelmisch ins falsche Regal einsortieren, damit die Kunden mal etwas Unerwartetes entdecken. In diesem Sinne überrascht auch „London Nights - Unmade Beds“, das Meisterwerk des vom Mainstream abseitigen Kinos.

Wenn Axl nicht unerkannt mit seinem Vater, der Immobilienmakler ist, Wohnungen besichtigt, folgt er Tagträumen und nachts verwandelt man sich - für einen Videoclip - in Tiere. Abend geht diese in ihren Wünschen und Sehnsüchten verlorene Generation passenderweise zu Live-Konzerten in den „Lost & Found“-Club (der sich als einziger Ort des Films nicht in London, sondern in Nottingham befindet).

Es geht diesem kreativen Haufen junger Menschen um Orientierung in Sachen Freundschaft, Liebe und auch sexuell. Dabei ist alles außergewöhnlich. Das Sich-treiben-lassen bestimmt den Fluss und die Stimmung des Films, der passend dazu schön sprunghaft montiert wurde. Er arbeitet mit Unschärfen, Off-Kommentaren und Fotos, um das Lebensgefühl Axls in London möglichst gut nachvollziehbar zu machen. Die Bilder sind nicht "perfekt" kadriert und auch schon mal grobkörnig. Sehr gute Darsteller machen dies Gefühl glaubhaft, ein super Soundtrack (von Black Moustaches dreckigem „Hot Monkey Hot Ass“ bis zu Tindersticks’ melancholischen „Cherry blossoms“) vertont es. Nicht nur wegen vieler traumartiger Zustände ist dieser Film ein Traum.

9.8.10

Das A-Team


USA 2010 (The A-Team) Regie: Joe Carnahan mit Liam Neeson, Bradley Cooper, Jessica Biel, Quinton "Rampage" Jackson, Sharlto Copley 118 Min-

Damals in der Achtzigern war die Welt noch in Ordnung: Das A-Team war so was wie Supernanny für kriminelle Jugendbanden, Restaurant-Tester Rach für mexikanische Drogenküchen und martialische Variante des Schuldenberaters Peter Zwegat für betrogene brave Leute. Eine Handvoll fahnenflüchtiger Vietnam-Veteranen spielte Räuber und Gendarm mit der Militärpolizei oder half zwischendurch aus, wenn die drei Engel von Charly beim Friseur waren. Mit einer Bastelabteilung wie bei MacGyver ließ es Hannibal mit seinen Jungs immer kräftig krachen und am Ende machte ein lahmer Scherz klar: Dies ist nicht das wahre Leben, dies ist amerikanisches Fernsehen.

Nun auch zu dieser Schrott-Serie ein Film. Und wieder diese Prequel-Unsitte - hört sich an wie eine Krankheit, ist ähnlich unangenehm und zeigt, dass den Autoren nichts Neues mehr einfällt. Deshalb erfinden sie die Vorgeschichte von Fernsehfiguren neu. Allerdings liegt diesmal die Vorgeschichte in der Zukunft der eigentlichen Story: Die neuen Veteranen haben wohl im Irak für Ordnung gesorgt, bevor sie reingelegt und in den Knast geworfen wurden.

Die nette wöchentliche, 45-minütige Dosis Gewalt, Militarismus und Selbstjustiz aus den 80ern wächst sich mit der Verfilmung aus zu einem Overkill an Zerstörung und einer Materialschlacht, bei der nicht nur der Frankfurter Bankendistrikt sondern auch der Hamburger Westen (ein Frachter) massiv Schaden nimmt. Wenn Hannibal (Liam Neeson) sagt „Overkill is underrated“ ist das programmatisch: Machen wir lieber alles etwas größer und lauter - dann merkt vielleicht keiner, das nix dahinter steckt.

Diesmal geht um Geld, weil Verbrecher mit Dollar-Druckplatten Schindluder treiben wollen. Dabei könnten sie niemals so inflationär viel Geld drucken, wie der US-Staat selbst, aber das ist ein anderes Thema. Face, der perfekte Organisator und Verführer, der selbst im Knast eine Sonnenbank und mindestens eine Geliebte hat, findet in seiner Ex (Jessica Biel) , die bei der Militärpolizei arbeitet, eine reizende Gegnerin und Verbündete. Ansonsten irritiert der glatte Actionablauf nirgendwo mit persönlicher Tiefe. Nur der heutzutage gar nicht mehr mit schwerem Schmuck behängte BA entwickelt sich - von einem Ghandi-Leser zum Mörder.

Alle Neudarsteller enttäuschen im Vergleich zum Original-Team mit George Peppard („Frühstück bei Tiffany“), Dirk Benedict („Kampfstern Galactica“), Dwight Schultz („Raumschiff Enterprise: Das Nächste Jahrhundert“) und Mr. T („Rocky III“). Nur der Boss John Hannibal Smith kann manchmal in der Interpretation von Liam Neeson punkten. Die Rollenverteilung blieb gleich: Der einfache Soldat ist ein guter Kerl, der Geheimdienstler vom CIA ein arroganter, verlogener Schnösel, der zu viele Hollywood-Filme gesehen hat. Nur die Militärpolizei soll nun Biel-sexy sein.

Zumindest eine ausführliche Flugszene mit einem Panzer erfreut mit großer lauter Unterhaltung. Das Wiedersehen von Face mit seiner alten Liebe in einer Fotozelle steht als witzige Szene recht einsam dar. Die bekannten Kebbeleien zwischen dem wahnsinnigen Piloten Murdock und BA, dem Riesen mit panischer Flugangst, riechen nach Pflichtübung wie Hannibal nach Zigarren. Nach diesem Film fühlt man sich gleich mehrfach betrogen - nicht allein, weil die Welt nicht mehr wie 80er-TV aussieht.

6.8.10

Locarno - Im Alter von Ellen


Ellen Colmar, die französische Stewardess in deutschen Diensten, nervt schon beim Zusehen. Vom Düsseldorfer (dank Filmförderung der Filmstiftung NRW) und Frankfurter Flughäfen geht es in die Welt, die sie nie wirklich sieht. Die seltsame Beziehung mit einem mürrischen, unwilligen Österreicher zerbricht an dessen Untreue. Nachdem irgendwo in Afrika ein Gepard den Start verzögerte und nach zehn Jahren im Job steigt Ellen kurz vor einem „Lift off“ in Frankfurt aus, rennt panisch über die Startbahn und landet entlassen in einem Limbo der Flugbegleiter-Hotels: Von der betrunkenen Anmache in der Flughafen-Bar bis zu exzessiven Partys im haltlosen Schwebezustand bleibt Ellen ein Sicherheitsrisiko vor allem für sich selbst. Die „im Alter von Ellen“ ungewöhnliche Orientierungslosigkeit führt sie zu einer Gruppe von jungen Tierrechts-Aktivisten (mit Julia Hummer als dogmatische Anführerin im strengen Look), die ihre Nacktheit in einer Aktion gegen das Fleisch-Essen einsetzen. Doch wenn das Geflügel eines Tiertransportes „befreit“ wird, die Hühner auf Kies-Hügeln herumirren und sich der Fuchs freut, wenn weiße Mäuse orientierungslos auf der Straße überfahren werden, dann ist das kalt servierter Idealismus. Kann man/frau sich finden, wenn die eigenen Interessen zurückgestellt werden und man sich für etwas anderes einsetzt? Ellen sucht weiter, reist zu militanten Tierschützern in Afrika und verschwindet schließlich im Dunst. Vielleicht findet sie dort „Gorillas im Nebel“, aber das ist eher unwahrscheinlich, den die etablierten Kämpfer warnten: „Naivität ist gefährlich hier draußen!“

Pia Marais montiert anfangs das unruhige Leben der Ellen flott, versucht die beklemmende und dann panische Situation fühlbar zu machen: Ein betäubter Zustand in schnellen Schnitten, immer wieder gibt es gute Bilder für diese Verlorenheit. Der jüngere Karl, den sie später treffen wird, urteilt hart: „Du flatterst völlig verpeilt durch die Gegend.“ Auffällig trägt sie ein in Papier eingewickeltes Paket mit sich herum, eigentlich hat sie mehrere Päckchen zu tragen. Auch ihr Arzt will ihr dringend ein Untersuchungsergebnis mitteilen. Aber ihr Gepäck wird zunehmend leichter.

Pia Marais gelang ein streckenweise reizvoller, aber auch verkopfter Film. Wie in den „Unerzogenen“ geht es auch in Marais’ zweitem Spielfilm nebenbei um die Kinder der Hippies. Mit einer untergründig spürbaren Sehnsucht nach dieser gelebten Revolution verbindet sich eine skeptische Distanz zum gescheiterten 68er-Experiment. Auch für Ellen gibt es keine Antworten, die Hoffnung bleibt und statt sich abzufinden, sucht sie wieder. Das ist kein Happy End, aber es geht zumindest weiter.

Locarno 2010 - Jungbrunnen


Locarno. Nicht nur das Lachen bei der fast durchgängig laufen Retrospektive von den Komödien von Ernst Lubitsch hält jung, auch der neue Festivaldirektor Olivier Père scheint frische Akzente zu setzen: Die ersten beiden Piazza-Filme nähren die Hoffnung, dass in Zukunft weniger Gefälliges und auch mal Herausforderndes bei der 63. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals von Locarno (4.-14.8.) zu sehen sein wird.

Zur Eröffnung entführte Regisseur Benoit Jacquot mit seinem französisch-deutsch produzierten, historischen Drama „Au fond des bois“ die 5000 Zuschauer des Open Air-Kinos Piazza Grande in dunkle Bereiche der Leidenschaften. Wie und ob der unansehnliche Streuner Timothée die behütete Tochter des Arztes im Jahr 1865 tatsächlich „magnetisierte“ und dann missbrauchte, bleibt rätselhaft. Denn schließlich folgt sie ihm in die besinnungslose Wildheit, bis das gepflegte weiße Kleid die Farben der rauen Landschaft angenommen hat. Und irgendwann gewinnt das Opfer nicht nur sexuell die Oberhand. Vor allem durch die Hauptdarstellerin Isild Le Besco, die auch als Regisseurin einen Film in Locarno hat, gelang „Au fond des bois“ packend. Ob gotteslästerliche Passagen die Schuld am sintflutartigen Regen des nächsten Tag hatten, bleibt ungeklärt.

Auch „Kóngavegur“ der wilde, chaotische und anarchische Spaß von Valdís Oskarsdottir aus Island erfüllte die Sehnsucht eines Festivals nach immer neuen Eindrücken aus allen Ecken der Welt. Daniel Brühl darf Zaungast sein bei dieser mit viel Lust an Zerstörung in einem abgelegenen Trailer-Park situierten Komödie. Gestern Abend erhielt die Doku-Fiktion „Hugo Koblet – Pédaleur de charme“ des Regisseurs Daniel Von Aarburg ein Heimspiel, denn die Siege des später tragisch verunglückten Züricher Ausnahme-Radrennfahrers Hugo Koblet“ beim Giro d’Italia 1950 und bei der Tour de France 1951 haben für Schweizer immer noch den gleichen Rang wie das „Wunder von Bern“ für die Deutschen. Schon vor der Premiere tauchten immer mehr Hobby-Radfahrer mit den Retro-Trikots von Koblets Cilo-Team in der Stadt auf.

Der deutsche Film-Patriotismus konnte sich an der Weltpremiere von „Im Alter von Ellen“ im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden reiben: Ellen Colmar, die französische Stewardess in deutschen Diensten, nervt schon beim Zusehen. Vom Düsseldorfer (dank Filmförderung der Filmstiftung NRW) und Frankfurter Flughäfen geht es in die Welt, die sie nie wirklich sieht. Nach zehn Jahren im Job steigt die Flugbegleiterin Ellen kurz vor einem „Lift off“ in Frankfurt aus, rennt panisch über die Startbahn und landet entlassen im Limbo der Flugbegleiter-Hotels: Von der betrunkenen Anmache in der Flughafen-Bar bis zu exzessiven Partys im haltlosen Schwebezustand bleibt Ellen ein Sicherheitsrisiko vor allem für sich selbst. Die „im Alter von Ellen“ ungewöhnliche Orientierungslosigkeit führt sie zu einer Gruppe von jungen Tierrechts-Aktivisten. Doch wenn das Geflügel eines Tiertransportes „befreit“ wird, die Hühner auf Kies-Hügeln herumirren und sich der Fuchs freut, dann ist das kalt servierter Idealismus. Ellen sucht weiter, reist zu militanten Tierschützern in Afrika und verschwindet schließlich im Dunst. Vielleicht findet sie dort „Gorillas im Nebel“, aber das ist eher unwahrscheinlich, den die etablierten Kämpfer warnten: „Naivität ist gefährlich hier draußen!“ Pia Marais („Die Unerzogenen“) gelang ein streckenweise reizvoller, aber auch verkopfter Film. Für Ellen gibt es keine Antworten, aber es geht zumindest weiter.

Große Gefühle und heftige Rührung rief bislang ein akustischer Abschied hervor: Vor dem ersten Film des Festival hörte man zum letzten Male und deutlich angeschlagen „La Voce“, die Stimme Luigi Faloppas, des Ansagers der Locarno-Filme für über dreißig Jahre. Kurios, das gerade bei einem Filmfestival ein Unsichtbarer so geliebt wurde.

3.8.10

Locarno 2010 Eröffnung der Leoparden-Jagd


Locarno. Heute Abend wird beim „63. Festival del film Locarno“ die Leoparden-Jagd eröffnet. Zum Auftakt platziert der neue künstlerische Leiter Olivier Père im Open Air-Kino der Piazza Grande mit der französisch-deutschen Koproduktion „Au fond des bois“ von Benoit Jacquot eine historische Geschichte aus Südfrankreich des 19. Jahrhundert um einen Vagabunden und eine Frau, die ihm auf unerklärliche Weise hörig wurde. Bis zur Preisverleihung am 14. August werden unter den 280 gezeigten Filmen deutsche Produktionen auf der Piazza, im Wettbewerb um die Edelmetall-Leoparden und vor allen in der umfassenden Retrospektive zum Komödien-Regisseur Ernst Lubitsch (1892-1947) eine große Rolle spielen.

Neben dem Wettbewerb, der sich nach der Neuausrichtung durch Olivier Père wieder verstärkt den jüngeren Filmemachern öffnet, feiert das Festival in der Südschweiz auch Prominente der internationalen Filmkunst: Die französische Schauspielerin (und Marcello-Tochter) Chiara Mastroianni wird am 6. August auf der Piazza Grande den „Excellence Award“ erhalten. Dem amerikanischen Darsteller John C. Reilly, der in Filmen von Paul Thomas Anderson („Boogie Nights“, „Magnolia“) und Martin Scorsese („Gangs of New York“) mitwirkte, ist eine Hommage gewidmet. Sein neuester Film „Cyrus“, die Komödie über Liebe und Familie im zeitgenössischen Los Angeles von Jay und Mark Duplass, erlebt seine Europa-Premiere auf der Piazza Grande. Die junge Regisseurin Maren Ade („Alle anderen“) wird in der Jury der Nebensektion „Cineasti del presente“ mitwirken.

Seine Weltpremiere erlebt im Wettbewerb „Im Alter von Ellen“, eine Produktion der Kölner Pandora in Zusammenarbeit mit WDR und Arte. In ihrem Film erzählt Pia Marais („Die Unerzogenen“) die Geschichte der Flugbegleiterin Ellen, die nach der Trennung von ihrem Freund in einen Strudel von Ereignissen gerät, der sie am Ende bis nach Afrika führt. Gespielt wird die Titelheldin von der französischen Schauspielerin Jeanne Balibar. In weiteren Rollen sind Eva Löbau, Stefan Stern, Georg Friedrich, Julia Hummer, und Alexander Scheer zu sehen. Das von der Filmstiftung NRW geförderte Drama entstand im Sommer 2009 unter anderem in Köln, Düsseldorf, Duisburg und Weeze, weitere Drehorte waren Frankfurt und Südafrika.

Burg¬hart Klaußner („Das weiße Band“), der für seine Rolle in „Der Mann von der Bot¬schaft“ in Locarno einen Leoparden gewann, wird mit „Das letzte Schweigen“, dem Debüt von Regisseur und Drehbuchautor Baran Bo Odar, wieder an den Lago Maggiore zurückkehren. Die Verfilmung des Romans „Das Schweigen“ von Jan Costin Wagner ist mit Ulrich Thomsen, Wotan Wilke Möhring, den beiden Deutschen Filmpreisgewinnern Burghart Klaußner und Katrin Sass sowie Sebastian Blomberg prominent besetzt.

Zwei besonders blutige Koproduktionen aus deutschen Landen - „Rammbock“ und „LA Zombie“ - werden in der Retrospektive mit besonders viel Humor aufgewogen: Fast alle erhaltenen Filme von und mit dem legendären Ernst Lubitsch werden in den nächsten Tagen in Locarno zu sehen sein. Eine gute Basis für ein großes Film-Fest.

2.8.10

Mother (2009)


Südkorea 2009 (Madeo) Regie: Bong Joon-ho mit Kim Hye-ja, Won Bin, Gu Jin 129 Min. FSK: ab 12

Als ihr geistig behinderter Sohn verdächtigt wird, eine Schülerin ermordet zu haben, nimmt seine Mutter auf eigene Faust Ermittlungen auf. Was sie entdeckt ist überraschend, düster und schockierend. Dank extremer Mutterliebe zeigen in diesem spannenden und überraschenden Film immer wieder neue Abgründe.

Schon bei „The Host“ begeisterte Regisseur Bong Joon Ho mit einer raffinierten und vielschichtigen Horrorgeschichte. Auch „Mother” belegt die bestechenden Produktivität des Film-Landes Süd-Korea. (Die englischen Titel machen sehr deutlich, dass die Filme auf einen internationalen Markt zielen, und das wohl sehr erfolgreich.) Bong Joon Ho erzählt eine ungewöhnliche Geschichte in einem klassischen Thriller-Rahmen, edelst gefilmt und immer wieder aufrüttelnd mit heftigen Überraschungen. Dass koreanische Filme nicht zimperlich mit schreckhaften und selbst hartgesottenen Zuschauern umgehen, ist bekannt, und so erlaubt sich auch diese Mutter aller koreanischen Hitchcock-Parodien (mit einem sicherlich koreanischen Handy als MacGuffin) kleine Attacken auf das Nervenkostüm der Zuschauer. „Mother“ ist ein richtiger Krimi, ein kleiner Hauch von Miss Marple, aber diese Mutter ist angetrieben von einer extremen Fürsorge für ihren geistig behinderten Jungen.

Kleine Wunder in Athen


Griechenland, BRD 2009 (Akadimia Platonos) Regie: Filippos Tsitos mit Antonis Kafetzopoulos, Anastasis Kozdine, Titika Saringouli, Maria Zorba 107 Min. FSK o.A.
    
Wenn es jemand verdient, mit dem auf einen alten, wortkargen griechischen Volksstamm zurückgehenden Adjektiv „lakonisch“ geadelt zu werden, dann ist es dieser mittelalte Grieche Stavros (Antonis Kafetzopoulos): In seinem Laden an einer sehr stillen Kreuzung im Athener Stadtviertel Acadimia Platonos verkauft er nie was, aber auch auf keinen Fall seinen Laden. Mit ebenso schweigsamen Kumpels aus den anderen Eckläden spielt er Fußball auf der Kreuzung. Vorher und nachher wird die Weltlage in knappen Sätzen auf Plastikstühlen vor dem Laden kommentiert. Ansonsten pflegt Stavros seine nach einem Schlaganfall verwirrte Mutter, mit der er über dem Laden lebt. Und immer wieder zieht es ihn zu seiner Ex-Frau, die sich schon vor Jahren von ihm getrennt hat. Dort sitzt er vor der Tür und manchmal hört sie ihm auf eine Zigarettelänge zu.

Dieses geregelte Leben, dessen Schwermut sich längst ins Gesicht von Stavros eingeschrieben hat, gerät aus den Fugen als Chinesen eine Näherei aufmachen und albanische Handwerker den Laden umbauen. Für die Fremdenfeindlichkeit von Stavros und seinen Kumpeln ist der Hund von gegenüber ein sicherer Indikator: Patriot schlägt immer an, wenn ein Albaner vorbei geht. Umso größer ist der Schock als Stavros’ Mutter eines Tages in einem der Arbeiter ihren verlorenen Sohn wiedererkennt. Sollten sie und Stavros tatsächlich albanische Flüchtlinge sein? Die Kumpels nehmen Abstand und wie zum Hohn wird auf ihrem Bolzplatz, den die Stadtverwaltung unverständlicherweise als Kreuzung ansieht, ein „interkulturelles Denkmal“ errichtet. Da hilft es auch nicht, dass der Albaner, der immer öfters in der Wohnung von Stavros ist, die gleichen alten Rock-Platten liebt...

Die Weisheit ist längst weggezogen aus dem Viertel Acadimia Platonos, das nach Platons Akademie benannt wurde. Doch die Hoffnung ist noch da, dass Stavros trotz aller inneren Kämpfe sich vielleicht doch anständig gegenüber dem möglichen Bruder verhalten könnte. Immerhin geht er mit der Mutter, die nach dem Schlaganfall plötzlich albanisch spricht und dem Fremden zu einem albanischen Liederabend, bei dem er der Fremde ist.

Regisseur Filippos Tsitos, 1966 Athen geboren, zog 1991 nach Berlin und studierte an der dffb Regie. Mit „My Sweet Home“ war der Deutsch-Grieche 2001 im Wettbewerb der Berlinale. Auch damals eine recht stationäre Geschichte, nur klimatechnisch wegen Berlin nach drinnen verlegt. Allerdings funktionierte nichts von dem, was jetzt so wunderbar leicht ineinander greift. Lakonisch und komisch, rührend und tiefsinnig gelang Tsitos eine kleine Geschichte mit großem Herzen. Ganz wie beim Finnen Kaurismäki, aber der ist ja erwiesener Ehren-Lakoniker.

Kindsköpfe


USA 2010 (Grown Ups) Regie: Dennis Dugan mit Adam Sandler, Kevin James, Chris Rock, David Spade, Rob Schneider 102 Min. FSK: ab 12

Hier ist er, der endgültige Lackmus-Test, dass Pinkeln im Schwimmbad peinliche dunkelblaue Wasser-Flecken macht. Wem diese Art Humor nicht schmeckt, kann hier schon abschalten. Allerdings schafft es Adam Sandler, als Hauptdarsteller, Ko-Autor und Ko-Produzent einer weiteren Happy Madison-Produktion mit seiner Truppe aus einer Menge Blödsinn tatsächlich einen melancholischen Mehrwert zu generieren.

„Grow up!“ rufen sich die fünf Kumpels zu und die Aufforderung, endlich erwachsen zu werden, ist sehr angebracht. 30 Jahre nach einem erfolgreichen Basketball-Spiel an der Schule treffen sich die Freunde mit ihren Familien zum Begräbnis ihres geliebten Trainers wieder. Es wird ein 4th of July-Wochenende am historischen Haus am See, denn hier haben zum Entsetzen der Kinder die Fernseher hinten noch eine Röhre dran.

Vor allem der gutherzige Hollywood-Produzent Lenny Feder (Adam Sandler), verheiratet mit der egoistischen Modedesignerin Roxanne (Salma Hayek), auch Workaholic-Drachenlady genannt, trägt eine tiefe Sehnsucht nach der eigenen Jugend mit sich. Am See soll sie sich in seinen verwöhnten und völlig digital verseuchten Kids verwirklichen, aber zuerst wissen die Kinder nicht, was sie ohne Videospiele und Handys machen sollen.

Unausweichlich wird hier auch Lebensbilanz gezogen, Midlife-Crisis und Beziehungs-Müdigkeiten blitzen auf, doch die fünf Minuten Gruppen-Geständnis und sein paar Gramm Lebensweisheiten hebt der Film sich für ganz spät auf. Zuerst wird herumgealbert und irgendwann kann man nur noch staunen über derart bekloppten Blödsinn. Die pubertären Scherze scheinen anfangs dem Prinzip zu folgen, dass Figuren und Themen mit dem Zielpublikum altern, aber sich vor allem nicht weiter entwickeln. Da wird munter mit Muttermilch rumgespritzt und das von der Prostata bedrängte Urinieren ereignet sich auch exhibitionistisch peinlich. Der geruhsame Fünfer-Blick auf den See wird prompt aufregend, wenn ausgerechnet der kleinste Kumpel Rob (Rob Schneider) zwei scharfe Töchter mit Modellmaßen auffährt.

Ganz wundersam wandelt sich dieser „american fun“ zu einem Fest der Freundschaft, das sich mal nicht verlogen anfühlt. Zuerst kann man sich humormäßig hemmungslos in die Jugendzeit zurückbewegen, dieses Wochenende frei Schnauze gerät dann auch zum Jungbrunnen für das Sexualleben der Paare. Das Glück zwischen Familien und Freunden ist so vollkommen, dass Lenny zwar auch im wiederholten Finale noch einmal die Jugend aufleben lassen kann, aber dort nur sozial der Sieger zu sein braucht.

Adam Sandler gelang zusammen mit seinen Kumpels, seinen „regulars“, die immer wieder in seinen Film auftauchen, wieder einmal der Zaubertrick seiner Karriere: Über zügel- und schamlosen Humor vermittelt er immer mal wieder humanistische Werte und anrührenden Tiefgang. Dabei stehen Sandler sein vertrauter Regisseur Dennis Dugan („Big Daddy“) und eine ganze Handvoll guter Komödianten (ein jubelnder Gastauftritt von Steve Buscemi sei besonders vermerkt) zur Verfügung, die sich diesmal nicht nur lächerlich machen.

Kiss & Kill


USA 2010 (Killers) Regie: Robert Luketic mit Ashton Kutcher, Katherine Heigl, Tom Selleck , Catherine O'Hara 101 Min. FSK: ab 12

Rosenkrieg kommt später. Doch schon der einfache Beziehungsk(r)ampf mit aggressiv ausgelebten Unsicherheiten und Missverständnissen erinnert oft an das waffenstarrende Duett von Penthesilea und Achill. Kein Wunder, dass man in der Kunst die emotionalen Kontrahenten gerne mit Waffen ausstattet und in der neueren Unterhaltung zu gegnerischen Spionen oder Auftragsmördern macht. Die Moderne dieser tödlichen Duette begann mit Jack Nicholson und Kathleen Turner in John Hustons „Die Ehre der Prizzis“. Bei „Mr. & Mrs. Smith“ wurde größeres Kaliber aufgefahren, vom Starfaktor her mit dem Pitt/Jolie und von der Lautstärke. Eine Billig-Kopie lieferten kürzlich Tom Cruise und wie hieß sie noch in „Knight & Day“. Und nun das Sonderangebot vom Discounter: „Kiss & Kill“, im Regal direkt neben „Wisch & Weg“ und „Limo & Cola“.

In Nizza trifft der Auftragsmörder Spencer (Ashton Kutcher) nicht sein nächstes Opfer zwischen die Augen sondern in Jen Kornfeldt (Katherine Heigl) die Liebe seines Lebens. Trotz ihrer eigenwilligen Eltern und der Einwände von Spencers Boss fährt das frische Paar in den Hafen der Ehe ein und zieht in eine überfreundliche amerikanische Vorstadt. Ungelenkt, aber überglücklich stürzt sich Spencer in das bürgerliche Leben bis drei Jahre später die ganze Nachbarschaft nur noch aus Killern besteht, ähnlich wie bei den Alien-Invasions-Geschichten der Fünfziger. Der Killer im Ruhestand muss weiter den Familien-Trottel spielen, während er nebenbei haufenweise Kollegen erledigt. Gerade als er seiner Frau Jen die Wahrheit offenbart kommt ihnen eine Schwangerschaft in die Quere und Spencer darf sich unter erschwerten Bedingungen als Beschützer beweisen...

Unter erschwerten Bedingungen muss auch der Zuschauer dieser romantischen Action-Komödie folgen: Die fehlbesetzte Katherine Heigl („Die nackte Wahrheit“) soll ein unsicheres, verletztes, chaotisches Mädchen spielen, außerdem viel schreien und kreischen. Ashton Kutcher („Ey Mann - Wo is' mein Auto!?“) fühlt sich als Killer sichtbar nicht wohl in seiner Haut. Schon in den ersten „Mein Schwiegervater und Ich“-Szenen läuft ihm Tom Selleck den Rang ab. Zwar ist die psychologische Grundkonstellation mit der Eifersucht des Schwiegervaters gut getroffen, ansonsten passen aber nur die ungewöhnlich offenherzigen, manchmal sogar witzigen Dialoge. Die Action-Einlagen gerieten dagegen so aufregend wie beim A-Team vor 20 Jahren.

1.8.10

Themba


BRD, Südafrika 2010 (Themba) Regie: Stefanie Sycholt mit Junior Singo, Patrick Mofokeng, Emmanuel Soginase 108 Min.

Einen völlig verspäteten, angeblichen Fußball-Film als „Punktlandung nach der WM 2010“ zu bezeichnen, ist ziemlich ungeschickt vom Verleih. Schlimmer allerdings, einen an sich ernstgemeinten Film zum Thema Aids in Südafrika mit einem fürchterlich (schau-) spielenden Jens Lehmann zu bewerben. Denn die Geschichte vom jungen Themba - nach dem Roman „Themba” von Lutz van Dijk - erzählt hauptsächlich viel von seinem erschreckenden familiären und sozialen Umfeld sowie vom mörderischen Verschweigen von Aids. Aber im nur gut gemeinten Film geriet zuviel durcheinander.

Wussten Sie, dass Menschen in Südafrika weit für ihr Wasser laufen müssen? Dass Aids viele Familien völlig zerstört? Dass Armut auch vor schön gefilmter Landschaft schlimm sein muss? Schon nach der ersten halben Stunde ist man aufgeklärt, spart man sich Artikel der Bundeszentrale für Politische Bildung, die mit solchen Schlagzeilen aufmachen: „In Südafrika sind achtzehn Prozent der Einwohner mit dem HI-Virus infiziert, jährlich sterben mehrere hunderttausend Menschen an Aids. Trotzdem geht die Jugend leichtfertig mit dem Thema um. Ein Erziehungsprogramm soll helfen.“ (Claudia Isabel Rittel)

Nun, „Themba“ scheint eindeutig in das „Erziehungsprogramm“ zu gehören. Nichts Spielerisches steckt in diesem Spiel-Film, der doch gerade von einem jungen Fußball-Spieler handelt.

Als Junge wehrt sich Themba gegen den neuen Mann im Haus der alleinerziehenden Mutter. Als diese auf der Farm entlassen wird (Problem 1), muss sie zur Arbeit nach Kapstadt (Problem 2) und lässt die Sohn und jüngere Tochter bei dem alkoholkranken und HIV-positiven Luthando (Problem 3+4) zurück. Trotzdem träumt Themba zusammen mit seinem besten Freund, dessen Mutter an Aids starb (Problem 5), vom Erfolg als Fußball-Star. Obwohl Themba sehr talentiert ist, muss er ohne Schuhe (Problem 6) und mit einem Ball aus Plastiktüten spielen (Problem 7). Dann erleben wir, wie Themba ein paar Jahre später von Luthando vergewaltigt und auch HIV-positiv wird, mit der Schwester flieht, die Aids-kranke Mutter in Kapstadt aus der Gosse rettet und dank finanzieller Unterstützung von Jens Lehmann (großes Problem) ein ziemlich reicher Fußball-Profi wird. Jetzt noch ein emotionales Geständnis nach dem schwach inszenierten Fußball-Finale und der Film kann im Sammelhefter für nur gut gemeinte Problemfilme landen.

Mit „Life, Above All“, der Verfilmung eines Romans von Allan Stratton, kommt übrigens im November ein viel besserer Film von Oliver Schmitz, auch für Jugendliche und auch zu genau dem gleichen Thema - nicht Fußball, sondern: Aids - in unsere Kinos.

Freche Mädchen 2


BRD 2009 Regie: Ute Wieland mit Emilia Schüle, Selina Shirin Müller, Henriette Nagel 97 Min. FSK o.A.

Als das rosa Barbie-Imitat Vanessa an der Schule auftaucht, fangen die Jungs an zu sabbern und die Mädels sorgen sich. Vor allem Mila (Emilia Schüle) traut ihrem Freund Markus alles zu, wenn sie zur Chorfreizeit auf eine Alm zieht und er auf dem Pferdehof die Fohlen und Vanessas kleine Geschwister überwacht. Weil Hanna mit ihrer Karriere beschäftigt ist und sich Kati nicht zwischen zwei Jungs entscheiden kann, ist auch die Freundschaft der Mädchen bedroht.

So übersichtlich wurde die Fortsetzung des recht erfolgreichen „Freche Mädchen“ ausgestaltet. In Pastellfarben gestylt und wild geschnitten, was wohl modern sein soll, geht es recht brav daher zwischen Alpen-Komödie und Teenie-Dramen. Frech ist dieser Mädchenfilm nun wirklich nicht, selbst ein Kuss ist bei der chaotischen Schulaufführung im Finale zu entdecken. Modern höchstens das unvorstellbare Drama, keine (Handy-) Verbindung zu haben (UN-Truppen, bitte kommen!).

Trotzdem ist alles genau so schön überzogen, dass die Mädels aus dem Zielpublikum über ihre eigenen kleinen Dramen mitlachen können. Mila kann endlich ihre Gefühle offenbaren, womit der Lerninhalt rührend abgehakt ist. Die Unterstützung einer Menge von routinierten großen Schauspielern und Comedians liefert zumindest das Vergnügen, Armin Rohde als Mathelehrer Rumpelstilzchen falsch singen zu sehen.

Das A-Team


USA 2010 (The A-Team) Regie: Joe Carnahan mit Liam Neeson, Bradley Cooper, Jessica Biel, Quinton "Rampage" Jackson, Sharlto Copley 118 Min-

Damals in der Achtzigern war die Welt noch in Ordnung: Das A-Team war so was wie Supernanny für kriminelle Jugendbanden, Restaurant-Tester Rach für mexikanische Drogenküchen und martialische Variante des Schuldenberaters Peter Zwegat für betrogene brave Leute. Eine Handvoll fahnenflüchtiger Vietnam-Veteranen spielte Räuber und Gendarm mit der Militärpolizei oder half zwischendurch aus, wenn die drei Engel von Charly beim Friseur waren. Mit einer Bastelabteilung wie bei MacGyver ließ es Hannibal mit seinen Jungs immer kräftig krachen und am Ende machte ein lahmer Scherz klar: Dies ist nicht das wahre Leben, dies ist amerikanisches Fernsehen.

Nun auch zu dieser Schrott-Serie ein Film. Und wieder diese Prequel-Unsitte - hört sich an wie eine Krankheit, ist ähnlich unangenehm und zeigt, dass den Autoren nichts Neues mehr einfällt. Deshalb erfinden sie die Vorgeschichte von Fernsehfiguren neu. Allerdings liegt diesmal die Vorgeschichte in der Zukunft der eigentlichen Story: Die neuen Veteranen haben wohl im Irak für Ordnung gesorgt, bevor sie reingelegt und in den Knast geworfen wurden.

Die nette wöchentliche, 45-minütige Dosis Gewalt, Militarismus und Gerechtigkeit samt Selbstjustiz aus den 80ern wächst sich mit der Verfilmung aus zu einem Overkill an Zerstörung und einer Materialschlacht, bei der nicht nur der Frankfurter Bankendistrikt sondern auch der Hamburger Westen (ein Frachter) massiv Schaden nimmt. Wenn Hannibal (Liam Neeson) sagt „Overkill is underrated“ ist das programmatisch: Machen wir lieber alles etwas größer und lauter - dann merkt vielleicht keiner, das nix dahinter steckt.

Diesmal geht um Geld, weil Verbrecher mit Dollar-Druckplatten Schindluder treiben wollen. Dabei könnten sie niemals so inflationär viel Geld drucken, wie der US-Staat selbst, aber das ist ein anderes Thema. Face, der perfekte Organisator und Verführer, der selbst im Knast eine Sonnenbank und mindestens eine Geliebte hat, findet in seiner Ex (Jessica Biel) , die bei der Militärpolizei arbeitet, eine reizende Gegnerin und Verbündete. Ansonsten irritiert der glatte Actionablauf nirgendwo mit persönlicher Tiefe. Nur der heutzutage gar nicht mehr mit schwerem Schmuck behängte BA entwickelt sich - von einem Ghandi-Leser zum Mörder.

Alle Neudarsteller enttäuschen im Vergleich zum Original-Team mit George Peppard („Frühstück bei Tiffany“), Dirk Benedict („Kampfstern Galactica“), Dwight Schultz („Raumschiff Enterprise: Das Nächste Jahrhundert“) und Mr. T („Rocky III“). Nur der Boss John Hannibal Smith kann manchmal in der Interpretation von Liam Neeson punkten. Die Rollenverteilung blieb gleich: Der einfache Soldat ist ein guter Kerl, der Geheimdienstler vom CIA ein arroganter, verlogener Schnösel, der zu viele Hollywood-Filme gesehen hat. Nur die Militärpolizei soll nun Biel-sexy sein.

Zumindest eine ausführliche Flugszene mit einem Panzer erfreut mit großer lauter Unterhaltung. Das Wiedersehen von Face mit seiner alten Liebe in einer Fotozelle steht als witzige Szene recht einsam dar. Die bekannten Kebbeleien zwischen dem wahnsinnigen Piloten Murdock und BA, dem Riesen mit panischer Flugangst, riechen nach Pflichtübung wie Hannibal nach Zigarren. Nach diesem Film fühlt man sich gleich mehrfach betrogen - nicht allein, weil die Welt nicht mehr wie 80er-TV aussieht.