28.4.10

Sin Nombre


Mexiko, USA 2009 (Sin Nombre) Regie: Cary Joji Fukunaga mit Paulina Gaitan, Edgar Flores, Kristyan Ferrer, Tenoch Huerta Mejía 96 Min. FSK ab 16

Mit einem Zug von Immigranten aus Lateinamerika in die USA kommt ein großes und gewaltiges Drama - stark und erschreckend wie der brasilianische „City of God“, wie der mexikanische Neo-Klassiker „Amores Perros“. Mit ebenso traumhaften wie exakten Bildern erzählt „Sin Nombre“ sein Drama. Es ist ein großes Drama um Freundschaft und Liebe, um den vermeintlichen Schutz einer brutalen Gang, der sich als verräterisch und gnadenlos erweist.

Ein lächelnder Mann, am ganzen Körper, sogar im ganzen Gesicht tätowiert, mit seinem Baby im Arm - ein Bild, das sich einprägt. Vor allem weil Lil’ Mago (Tenoch Huerta Mejía) ein Anführer von „Mara Salvatrucha“ ist. Diese ursprünglich salvadorianischen Gangs haben ihre Wurzeln in Los Angeles, verbreiteten sich aber in ganz Latein- und Zentralamerika. Der ambivalente Auftritt vom lokalen Paten Lil’ Mago, der ein paar Straßenzüge im mexikanischen Tapachula beherrscht, vibriert vor Spannung, weil der Mann gleichzeitig ein brutaler Killer ist. Einen Moment später lässt er den Gefangenen einer gegnerischen Gang vom Kind Smiley erschießen. Das Baby hält er immer noch auf dem Arm.

„Sin Nombre“ erzählt die Geschichte von El Casper (Edgar Flores), einem Mitglied der Gang von Lil’ Mago. El Casper kümmert sich um die „Erziehung“ des kleinen Jungen Smiley (Kristyan Ferrer) zu einem Bandenmitglied. Das Aufnahmeritual - lange 13 Sekunden brutaler Prügel - hat Smiley mit einem Lächeln überstanden. Aber El Casper vernachlässigt seine Verbrecherjobs, weil er zu viel Zeit mit seiner Liebe Martha Marlene verbringt, was auch ihm die Prügelstrafe einbringt. Nachdem Martha Marlene von Lil’ Mago bei einem Vergewaltigungsversuch umgebracht wurde, erschlägt El Caspar seinen Boss, als der beim Ausrauben von durchreisenden Immigranten die junge Sayra (Paulina Gaitan) aus Honduras quält. Der Mann mit der tätowierten Träne ist jetzt ein Vogelfreier, eigentlich schon tot. Er reist mit Sayra und einem Zug voller blinder Passagiere gen Norden, Richtung USA, und wird von den Gangs verfolgt. Sein Mörder soll ausgerechnet Smiley sein.

„Sin Nombre“ ist ein großartiges, mächtiges Drama, das sich satt und schnell entwickelt. Der Fluss des Films ist immer wieder sagenhaft: Von einem ruhigen Dahinrollen durch die Landschaft mit dem vom Zug, der so ganz anders, so viel ehrlicher als in „Megacities“ wirkt, steigert sich die Szene über ein raffiniertes Ausweichen der Grenzkontrollen zu einer heftigen Schießerei zwischen den Gangs. Doch bei aller erstaunlicher Filmkunst von Cary Joji Fukunaga, einem Amerikaner mit schwedischen und japanischen Wurzeln, prägen sich die Figuren und Schicksale am stärksten ein: Smiley, der kleine Killer. Erschreckend, beängstigend. Das Mitleid, das man mit dem stillen Jungen hatte, als er die brutale Prügel aushielt, wandelt sich bald. Man versteht eigentlich nicht, wieso er seinen Mentor El Casper verrät, doch der Kleine geht so entschlossen seinen Weg, dass man begreifen muss, was die Gang solch einem Kind bedeutet. So viel, dass er über Leichen geht. Die Gangs als Hort und Familienersatz sind ebenso Realität wie der ununterbrochene Zug von Flüchtlingen in Richtung Norden. Solche Geschichten können nicht gut ausgehen. Selbst wenn es jemand in die USA schafft, schmeckt dieser Erfolg furchtbar bitter.

Fly me to the moon 3D


B 2008 (Fly me to the moon) Regie: Ben Stassen, 80 Min.

Dass vor ein paar Jahren Gerard Depardieu im Wallonischen Dörfchen Aubel seine Weine persönlich beim Weinhändler Marc Stassen vorstellte, war kein Zufall, denn Marcs Bruder Ben gehört zu den großen Kreativen der Filmwelt. Nun läuft Ben Stassens nette 3D-Animation „Fly me to the moon“, der erste abendfüllende, komplett in 3D animierte Film, mehr als zwei Jahre nach der Premiere in Lüttich im Dürener Comet.

Die Geschichte von drei lustigen Fliegen-Teenagern, die 1969 bei der ersten Mond-Mission Huckepack mit dabei sind, lehnt sich deutlich sichtbar an ähnliche Disney- und Pixar-Filme an. Es ist der bekannte Spaß mit kleinen, sympathischen Helden, die für Action und Humor sorgen. Das Erstaunliche bei diesem Meilenstein der 3D-Animation ist, dass der von 60 Animations-Künstlern in Brüssel realisierte „Fly me to the moon“ nach 20 Mio. Dollar aussieht, aber längst nicht so viel gekostet hat. Dies überzeugte auch ein amerikanisches Studio, den Film gleich in 1500 USA-Kinos zu zeigen.

Das ist typisch für den Animations-Pionier und -Spezialisten Ben Stassen. Zu seiner erstaunlichen Erfolgsliste gehören nicht nur die Markführerschaft bei den „Rides“, die in Vergnügungsparks von zig Millionen Menschen erlebt wurden, auch der animierte Kurzfilm „Haunted Castle“ (2001), der von der IMDB mit einem Einspielergebnis von fast 14 Mio. Dollar als zweiterfolgreichster Kurzfilm geführt wird, stammt von Stassen, der in Brüssel das Animations-Studio nWave gründete. „Around the World in 50 Years 3D“, die animierte Weltreise einer Schildkröte steht für 2010 als Premiere auf dem Programm.

Mit dir an meiner Seite


USA 2010 (The Last Song) Regie: Julie Anne Robinson mit Miley Cyrus, Greg Kinnear, Bobby Coleman, Liam Hemsworth 107 Min. FSK ab 6

Miley Cyrus ist „Hannah Montana“, ist ein Retorten-Phänomen, ein lebendiges, alterndes Kunstobjekt des Disney-Konzerns. Nach ihrer TV-Serie platziert man die Marke Cyrus nun in diesem typischen Hollywood-Monster, diesem Frankenstein der Drehbuch-Leichenfledderei. Ihre Figur Ronnie behängte man mit zerrütteter Familie, verschüttetem Piano-Talent und einem Urlaubsflirt. Das könnte aus dem richtigen Leben stammen, allein „Leben“ wirkt in dieser Retorte wie ein verbotenes Schimpfwort. In einer Welt, in der das rebellische Töchterchen am eigenen (!) Strand des Vaters Schildkröten-Eier vor Waschbären schützen kann, dürften keine wirklich großen Probleme vorliegen. Erst bei den Geldbörsen der ins Kino strömenden Teenager hat „Mit dir an meiner Seite“, das Marketing-Vehikel für Miley Cyrus, etwas mit der Realität zu tun.

Allerdings stammen Roman-Vorlage und Drehbuch auch von Nicholas Sparks („Message in a Bottle“, „Das Lächeln der Sterne“), der schamlos ebenso übersüßen Kitsch wie eine heftige Melodramatik benutzt, die nur für den Tränen-Effekt mal eben Ronnies Vater an Krebs sterben lässt. Auch das könnte man zu einem ernsthaft interessanten Film machen, wenn nicht die Kamera die ganze Zeit immer wieder den unnötigen Ballast in Form der Hauptdarstellerin Miley Cyrus fokussieren müsste. Und wer nicht den „Hannah Montana“-Virus eingeimpft bekam, staunt mächtig, wie so eine untalentierte junge Frau eine Hauptrolle in einem nicht billigen Film bekam.

27.4.10

Verrückt nach Steve


USA, 2009 (All About Steve) Regie: Phil Traill mit Sandra Bullock, Thomas Haden Church, Bradley Cooper 99 Min. FSK: ab 6

„Verrückt nach Steve“ brachte Sandra Bullock eine „Goldenen Himbeere“ ein. Die Schauspielerin und Produzentin bewies Humor und Selbstbewusstsein, indem sie sich den Preis für die peinlichste Darstellerleistung des Jahres persönlich abholte. Um direkt danach den Oscar für „Blind Side“ zu erhalten. Doch ist es wirklich so furchtbar, was Bullock als sehr intelligente und ebenso naive Mary Horowitz hinlegt? Auch wenn diese Rolle ziemlich albern angelegt wurde, macht Bullock trotzdem Sympathiepunkte.

Mary Horowitz (Sandra Bullock) könnte als Erfinderin einer effektiven Männerabwehr in die Filmgeschichte eingehen: Einige ihrer geliebten mehrsilbigen Fremdworte reichen aus, um ihrem „Date“ Steve (Bradley Cooper) jede Lust auszutreiben. Dabei brauchte die Autorin von Kreuzworträtseln dringend mal einen Mann. So dringend, dass die Ü40-Frau, die immer noch bei ihren Eltern lebt, direkt vor der Haustür im Auto über Steve herfällt. Aber - siehe oben - Intelligenz scheint für einige Männer ein Anti-Potenzmittel zu sein. Außerdem ist Mary nur partiell intelligent. Dass Steve mit einer Ausflucht abhaut, begreift sie nicht. Stattdessen reist sie dem Kameramann hinterher, um ihn an den Schauplätzen absurd-dramatischer Boulevard-Nachrichten aufzulauern.

Ein sanfter Hauch Medienkritik, viel überdrehter Klamauk, einige nett gespielte Deppen in den Nebenrollen - „Verrückt nach Steve“ ist keineswegs schlechter als das meiste, was so unter der Flagge „Humor“ aus den USA herüberweht. Selbstverständlich ist es überhaupt nicht mehr zeitgemäß, wie Bullock sich als hochintelligentes Naivchen lächerlich macht. Wenn man diesen Part noch als süß oder niedlich bezeichnet und als durchaus konsequent peinlich gespielt, dann landet man gleich mit in der Schublade längst überkommener Frauen-Veralberungen in der Erbfolge von Doris Day. Das kann man schlecht finden, aber schlecht gespielt hat Sandra Bullock diese unwichtige Albernheit nun wirklich nicht.

26.4.10

I Love You Phillip Morris


USA 2009 (I Love You Phillip Morris) Regie: Glenn Ficarra, John Requa mit Ewan McGregor, Jim Carrey, Leslie Mann 97 Min. FSK: ab 16

Schon die Kombination vom meist blödelnden Komödianten Jim Carrey und dem extrem vielseitigen Charakterschauspieler Ewan McGregor überrascht. Dass beide ein schwules Pärchen in der oft überdrehten und unausgewogenen Liebes-Komödie „I Love You Phillip Morris“ spielen, irritiert, sollte aber kein Problem sein. Wie der Film mit seiner an sich reizvollen Geschichte umgeht, ist allerdings ein großes Problem: Unentschieden zwischen Farce und großem Gefühl, lässt sich „Phillip Morris“ nur als Nummern-Revue mögen.

Strahlemann Steven Russell (ein unübersehbar alt gewordener Jim Carrey) lebt als Muster eines weißhäutigen, gläubigen Protestanten die perfekte Kirchengänger- und Karriere-Ehe. Bis zum endlosen Nachtgebet und dem gemeinsamen Keksebacken mit der naiven Gattin. Da muss erst ein anderes Auto volle Kanne in seines reinknallen, bevor er sich entscheidet, mit seinem Schwulsein rauszukommen. Das dann aber ebenso heftig wie der Schnitt auf einen grotesk überzogenen Akt. Fortan lebt er schwul in Saus und Braus, wobei vor allem das luxuriöse Leben ihm immer wieder Probleme macht, denn: „Schwul sein ist teuer!“

Steven liebt nun Männer und lebt als Betrüger. Was ihn zwangsläufig ins Gefängnis bringt, wo bei der Einführungsrunde mindestens zwanzigfach erwähnt wird, dass hier Schwanzlutschen die Währung darstellt. Hier lernt er Phillip Morris (Ewan McGregor) kennen und verliebt sich auf den ersten Blick in den schüchternen Mithäftling. Auch im Knast kann Steven sein Talent zum Betrügen, Tricksen und Schachern trefflich anwenden, um fortan Phillip zu beschützen und mit den süßesten Überraschungen zu verwöhnen. Sich als Anwalt auszugeben, um sich erst selbst und dann auch Phillip frühzeitig aus dem Knast zu bekommen, ist eine leichte Übung für den verrückten Ausbrecher-König und notorischen Betrüger. Doch an die Luxus-Villa, die im Handumdrehen ergaunert ist, wird irgendwann die Polizei anklopfen, trotz des Versprechens an Phillip, von nun an ehrlich zu bleiben…

Schon beim ersten Treffen des großen Liebespaares Phillip und Steven ist der Unterschied zwischen dem grandiosen Schauspieler und dem Klamauk-Star frappant. Dies und das Nebeneinander von oft absurdem Humor und Ansätzen zu großer Liebesgeschichte macht diesen Film so schwierig. Nicht, dass hier zwei männliche Stars gemeinsam (sehr harmlos) im Bett gezeigt werden, irritiert. Der durchgehende Eindruck, Carrey und McGregor spielen die ganze Zeit nur einen Gag für eine TV-Show oder parodieren „Brokeback Mountain“, irritiert vor allem. Hinzu kommt, dass „I love you …“ kaum Entwicklung zeigt, sondern nur meist überzogene Stationen.

Diesem Film ist nichts heilig: Nicht, dass Steven seine erste große Liebe an AIDS verliert und er auch selbst an der Immunschwäche-Krankheit stirbt. (Wenn auch nur als letzte große Volte seiner Betrüger-Karriere.) Sogar ein Selbstmordversuch gerät zur eher peinlichen als tragischen Lachnummer. Letztendlich kann man so „Phillip Morris“ selbst nicht ernst nehmen. Was ein Grund gewesen sein mag, dass der Film sowohl in den USA als auch in Deutschland nur genau so holperig wie er inszeniert wurde, in den Verleih kam. Die monatelange Verspätung einer Schwulenfeindlichkeit oder der Feigheit des Filmgeschäfts anzulasten, würde ihm zuviel Gutes tun….

Zu scharf, um wahr zu sein


USA 2010 (She's Out Of My League) Regie: Jim Field Smith mit Jay Baruchel, Alice Eve, T.J. Miller 104 Min. FSK ab 12

Wenn Sie eine echte Nr. 1 sind, würden Sie dann in Filme gehen, die Null-Nummern sind? Auf keinen Fall! Leider ist das Leben nicht so einfach und leider präsentiert uns das Kino viel zu viele Null-Nummern, in die immer noch Leute rein rennen. Gleichermaßen einfach startet „Zu scharf, um wahr zu sein“: Kirk (Jay Baruchel) ist ein netter Kerl, ein zu netter Kerl. Der Wachmann vom Flughafen ist aber auch etwas tollpatschig, manchmal peinlich, also höchstens eine 5 (in den Augen seiner besten Freunde). Trotzdem kommt er nach einigen Zufällen mit der attraktiven Molly (Alice Eve) zusammen, die in den Augen des Films und aller Männer, die sich in ihm nach ihr umdrehen, eine echte 10 ist. 10 oder „Ten“ das bedeutet im amerikanischen Notensystem eindeutig Nr. 1 und auch ein schön spöttischer Blake Edwards-Film mit dem vom Podest gestoßenen Postergirl Bo Derek hieß 1978 so: „Zehn - Die Traumfrau“.

Nun ist der sympathische Verlierer Kirk aber auch lustig. Er bringt Molly zum Lachen und versucht erst gar nicht, sie zu beeindrucken oder sie auf ein Podest zu setzen. Dazu erweist sie sich nicht nur als blond und in Zeitlupe teuer angezogen. Sie formuliert auch noch zusammenhängende, korrekte Sätze. So reden die beiden miteinander, reden sogar über Persönliches, auch wenn ihn sein rotes Jackett beim ersten Date wie ein Kellner aussehen lässt. Kirk wirkt ziemlich linkisch und der Film muss ihn immer wieder in pubertäre Situationen stürzen, doch er verhält sich sehr erwachsen. Für Äußerlichkeiten wie Ranglisten von 1 bis 10 sind seine dämlichen und notgeilen Freunde zuständig. Doch letztlich endet auch das Regie-Debüt vom Engländer Jim Field Smith zu oft beim Niveau von „American Pie“: Statt einem romantischen Finale gibt es eine Kindergeburtstags-Rauferei.

„Zu scharf“ klammert sich an seine simple Grundidee, nicht besonders scharf oder überraschend. Die sich ziehende Lauflänge wurde mit etwas grobem Humor angefüllt. Dabei ist die ganze Sache nicht ohne und man macht es sich zu leicht, wenn man die Attraktivitäts-Skala als oberflächlich abtut. Denn es gibt sie doch, die Klassen, die sich nach Einkommen, Bildung und Aussehen passend paaren. Dabei legt sich dieser Film - wie die meisten, die eine Geschichte vom hässlichen Entchen variieren - selbst rein: Kirk sieht im Laufe des Films deutlich gepflegter und "besser" aus. In einem Maße, das nicht auffallen, aber unbewusst durchaus wirken soll.

Nicht zufällig arbeitet Hollywood seit Jahrzehnten an einer derartigen Standardisierung des Geschmacks mit. Als DIN-Norm für Attraktivität, bei der sich das Verlieben wie bei einer Formel verhält. Alle Konsumenten sollen nicht nur die Barbie- und Ken-Varianten gut finden, sie sollen auch exakt auf den gleichen "Geschmack" bei Filmen reduziert werden. Praktische Blockbuster-Monotonie statt kreativer Freiheit und Vielfalt.

Baarìa


Italien 2009 (Baarìa) Regie: Giuseppe Tornatore mit Francesco Scianna, Margareth Madè, Raoul Bova 151 Min. FSK: ab 6

Guiseppe Tornatore machte einst „Cinema Paradiso“. Sein neuer kleiner Held Peppino (Francesco Scianna) hebt in „Baarìa“ schon in den ersten fünf Minuten ab. Unterstützt durch die Musik von Ennio Morricone. Ein Film, der mit den Mitteln des großen Kinos klotzt. Und abstürzt, weil er zu viel will.

Peppinos Vater ist der bärenstarke und raffinierte Cicco (Gaetano Aronica), der sich nichts vom reichen Grundbesitzer gefallen lässt. Hier beginnt der Kampf von Arbeit gegen Kapital, wobei Kapital in Sizilien aus einer guten Waffe und der Abwesenheit von Moral besteht. „Baarìa“ nennt sich das sizilianische Dorf, in dem der Filmemacher Tornatore groß geworden ist, im lokalen Dialekt. „Baarìa“ ist sizilianisch in Geschichte, Figuren, Schauspiel und in Sprache - so sehr, dass auch die Italiener zeitweise Untertitel brauchen. Und in Sizilien muss es eine Geschichte von Armut und Hunger sein. So arbeitet Peppino schon als kleiner Knirps beim Schafhirten. Die Eltern bekommen drei Laib Käse dafür. Später wird er in den Straßen Milch verkaufen, ganz frisch von der Kuh, die er an einer Leine mitführt.

Es sind die dreißiger Jahre. Das Volk macht Scherze über die Faschisten, ebenso wie es sich über die Mafia lustig macht. Zwar werden immer mal wieder „Subversive“ abgeführt, aber der Film geht milde mit den Verbrechern um. Nie kocht die Wut gegen die heimlichen Herrscher Siziliens und ihre Morde hoch. Selbstverständlich eint die Familie über mehrere Generationen hinweg die Leidenschaft für das Kino. Und auch die große Liebe darf nicht fehlen. Sie beschränkt sich erst eine Liebe auf die Briefe des mittellosen Peppino zu Mannina (Margareth Madè). Bis er das Haus der Schwiegereltern besetzt und es so zur Hochzeit kommt.

Immer wieder taucht Tornatore in große Szenen ein, immer wieder sehen wir die Straßen um die Kirche und das Haus von Peppino. Die Zeitsprünge mit dem immergleichen Trick, bei dem ein Gesicht altert, wirken beim dritten Mal schon fade. Es gibt auch immer wieder nette Momente, etwa wenn aus dem Fallschirm der amerikanischen Befreier nach einem Schnitt sehr viel Kinderbekleidung wird.

„Baarìa“ erzählt ein wenig auch die Geschichte der Kommunistischen Partei Italiens, bei der man für die politische Karriere einen warmen Mantel brauchte: Ohne einen Besuch im kontrollierenden Moskau ging nichts. Doch große Themen wie eine illegale Landnahme, die bei den Tavianis episches Gewicht bekommen hätten, laufen hier nebenher mit. Auch die Konzentration auf ein ewiges Duell zwischen Ausbeutern und Arbeitern wie in Bertoluccis „1900“ kristallisiert sich nicht heraus. Über Demonstrationen der Linken, die zu Toten in den Städten führten, berichtet der Film vom Hörensagen. Nur selten darf das steinige, so brutale und so eindrucksvolle Sizilien selbst in seiner Großartigkeit ins Bild. „Baarìa“ war sicher eine sehr aufwendige Studioproduktion, aber halt nur eine Studioproduktion.

Garniert mit viel sizilianischer Tradition und absurd kurzen und peinlichen Szenen mit Monica Bellucci mag „Baarìa“ ein italienisches Thema sein, aber keine Sensation, die über die Landesgrenzen hinaus begeistern wird. Erst in den letzten 15 Minuten purzeln die großen Szenen wieder in den Film: Da ist der Hohn eines blinden, aber selbstverständlich korrupten Stadtplaners, der die Farce um eine blinde Wählerin abschließt. Poetisch mit doppeltem Boden erweist sich Peppinos Leben nur als Traum eines kleinen Jungen, der doch Jahrzehnte später genau in der Welt erwacht, deren Entstehen sein Traum erzählte.

20.4.10

Here & There


Serbien, Deutschland, USA 2009 (Tamo I Ovde) Regie: Darko Lungulov mit David Thornton, Mirjana Karanovic, Branislav Trifunovic 84 Min.

Frustriert in „Fucking New York City“ - Robert (David Thornton) ist ein 52-jähriger Saxophonist, der schon lange nicht mehr gespielt hat, aber noch immer wie ein Musiker aussieht. Weißes Hemd auf schwarzer Anzughose, ein weißbärtiger Typ mit wilden Haaren. Doch nur seine Frisur ist noch aufstrebend. Robert kann nicht mehr spielen, fühlt sich depressiv. Er fliegt aus seiner Wohnung raus und zieht bei einer alten Freundin (Thorntons Frau Cyndi Lauper) ein, die ihn aber auch nur kurz aushält. In seiner allgemeinen Ratlosigkeit nimmt er das Angebot seines Umzugunternehmers an: Der junge Serbe Branko (Branislav Trifunovic) gibt ihm 5000 Dollar, wenn Robert nach Belgrad fliegt, um Brankos Freundin Ivana zu heiraten, damit diese in die USA einreisen kann.

Belgrad bedeutet erstmal im Taxi warten, bevor der Fahrer eine Partie Schach auf der Motorhaube beendet hat. Während der Fahrt muss sich der Amerikaner dann als Kriegsverbrecher beschimpfen lassen. Beschwingt vom Balkan-Polka ergeben sich dem Griesgram dort gemütliche Sight-Seeing-Touren, die auch die zerbombten Häuser der letzten Friedensmission der UN zeigen. Mit seinem Missmut ist Robert bei den Serben gut aufgehoben, die sich als überlegen auf dem Gebiet der Frustriertheit erweisen. Robert kommt bei Brankos Mutter Olga unter. Dank der bald aufkeimenden Zuneigung sieht die Welt besser aus und funktioniert sogar der Aufzug wieder.

Nicht nur Olga, die mit ihren Balkon-Pflanzen spricht und will, dass Robert ihnen etwas vorspielt, muss man gern haben. Der ganze Film ist ein einziger Sympathie-Träger, trotz oder vor allem wegen des grummelnden Roberts. Ohne großen Aufwand, mit viel Handkamera vor Ort gedreht, ergibt sich ein verspieltes Schlurfen, das exakt die Stimmung des Films ausmacht. Robert ist ein „Durchhänger“ wie John Lurie und Tom Waits früher bei Jim Jarmusch. Und irgendwie entspricht das Grau Belgrads, entsprechen die schwarz-weißen Klamotten Roberts dem Schwarz-Weiß von „Down by Law“.

Vorsicht Sehnsucht


Frankreich, Italien 2009 (Les Herbes Folles) Regie: Alain Resnais mit Sabine Azéma, André Dussollier, Anne Consigny 103 Min. FSK ab 12

Wäre der Regisseur von „Vorsicht Sehnsucht“ ein Filmstudent oder ein Debütant der Filmszene, man sollte ihn beglückwünschen zum Mut, solch eine herrlich verrückte, verspielt und versponnene Geschichte abzuliefern. Und wenn der Regisseur eine gerade noch 85-jährige Legende der europäischen Filmgeschichte ist? Einer, der sowohl 1955 mit „Schatten und Nebel“ eine bis heute noch tief erschütternde Dokumentation über die Schrecken der Konzentrationslager gedreht hat. Und dann 1960 mit „Letztes Jahr in Marienbad“ der Filmgeschichte ein surreales Rätsel aufgegeben hat, an dem sich immer noch Filmseminare abkämpfen. Zwischendurch einen Doppelfilm mit 16 Enden („Smoking / No Smoking“, 1993) und einen herrlichen Vollplayback-Film über das Problem, die richtige Wohnung zu finden („Das Leben ist ein Chanson, 1997). Noch 2006 erhielt Resnais für „Herzen“ den Silbernen Löwen in Venedig. Wenn dieses Urgestein des europäischen Films nun wieder eine junge Verrücktheit abliefert, was fängt man damit an? Man sollte ihn umso mehr beglückwünschen und sich das ebenso eigen- wie einzigartige Filmvergnügen „Vorsicht Sehnsucht“ unbedingt gönnen!

„Vorsicht Sehnsucht“ erzählt irgendwo eine recht einfache Geschichte: Marguerite (Sabine Azéma), Zahnärztin und passionierte Fliegerin in fortgeschrittenem Alter besucht ein Schuhgeschäft. Das ist bei Resnais mit seiner vertrauten Hauptdarstellerin Sabine Azéma bereits einige Filmminuten wert, aber erst danach gerät die Handlung ins Rollen, als ihr die Handtasche gestohlen wird. Der auch schon etwas reifere Georges Palet (André Dussollier) findet in Folge Marguerites Geldbörse und verliebt sich heftig in ihr Passfoto. Nun brechen in die gesetzten bürgerlichen Kreise der beiden pubertäre Leidenschaften ein. Schon der erste Anruf gerät reichlich schräg, weil ... Nein - eine richtige Begründung gibt es für die meisten seltsamen Wendungen des Films nicht. Man kann ihn sich anschauen und staunen. Die auf ein Gerüst reduzierte Handlung ginge weiter, indem Georges seine Leidenschaft äußert, aber sie dann ebenso heftig in Hass und Verachtung wechseln lässt. Ein Polizist verfolgt den vermeintlichen Stalker. Nach einigen Besuchen und Besuchs-Versuchen steigen Georges und Marguerite in ihren Flieger - mit tragischen Folgen.

Gerade einem Film wie „Vorsicht Sehnsucht“ wird man mit den üblichen Besprechungs-Kriterien nicht gerecht. Geriet doch die Form bei der sehr freien Verfilmung des Romans „L’Incident“ von Christian Gailly viel wichtiger als die Handlung. Dauernd gehen die Kamera oder der Off-Kommentar eigene Wege. Damit ist Resnais ziemlich altmodisch und in einer von Handlungs-Korsagen beherrschten Kinozeit richtig avantgardistisch. Kongenial aktiert die Resnais-Familie mit Azéma und Dussollier das Spiel an der Grenze zur Albernheit aus. Und selten erzeugte ein Film eine derartige Mischung aus Vergnügen und Verwirrung auf den Gesichtern.

19.4.10

Young Victoria


USA, Großbritannien 2009 (The Young Victoria) Regie: Jean-Marc Vallée mit Emily Blunt, Rupert Friend, Miranda Richardson, Jim Broadbent 104 Min. FSK: o.A.

Die „Großen“ dieser Welt als Privatpersonen. Das war immer Stoff für bunte und goldene Blätter. Aber leider auch - meist als „Untergang“ jeden Anspruchs - für das Kino. Was man schon immer über Königinnen und Prinzessinnen wissen wollte, haben „The Queen“ (mit Helen Mirren) von Stephen Frears und „Marie Antoinette“ (Kirsten Dunst) von Sofia Coppola auf unterschiedlichste Weise bloßgelegt. Schön anzusehen war auch „Elisabeth“ von Shekhar Kapur mit Cate Blanchett. Also braucht man noch einen Königinnen-Film so wenig wie die Monarchie an sich. „Young Victoria“ kann leider überhaupt nicht vom Gegenteil überzeugen.

Als Königin hat man es echt schwer - falls jemand über diesen Beruf nachdenkt, lieber Abi machen und was Anständiges lernen. Die junge Victoria (Emily Blunt) ist noch keine 18 und deshalb noch nicht „thron-reif“. Sie darf  in ihrem Kensington-Palast nicht alleine die Treppen runter gehen, steht unter der Fuchtel ihrer Mutter, der Herzogin von Kent (Miranda Richardson), die wiederum von ihrem Buchhalter und Liebhaber Sir John Conroy (Mark Strong) beeinflusst wird. Denn wenn Victoria dem Druck nachgäbe, würde die Mutter als Stellvertreterin alle Macht erhalten. Victorias Onkel, König William IV (großartig: Jim Broadbent), kränkelt zwar, doch hält er sich mit Zetern und Schimpfen lange genug am Leben, damit seine geliebte Nichte und nicht die verhasste Schwester die Macht übernimmt. Als Victoria im Jahr 1837 endlich auf einem zu hohen Thron gekrönt wird, erweist sie sich als erstaunlich souverän. Mit etwas Aufregung und viel Begeisterung übernimmt sie die Amtsgeschäfte. Dramatisch wird es nur, als wegen eines Streits um Hofdamen die Regierung abtritt.

So weit das Intrigen-Arsenal - die Abteilung „Herz“ sieht auch nicht viel übersichtlicher aus: Zwar gibt es eine Seelenverwandtschaft mit dem deutschen Cousin Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (Rupert Friend), doch der agiert ja im Auftrage des Königs Leopold von Belgien (Thomas Kretschmann). Aber irgendwann machen Vicky und Albert doch ernst. Zur von den Porträts eher bekannten, melancholischen Queen des strengen Victorianischen Zeitalters wird die aufgeweckte, selbstbewusste Frau erst als Albert zu früh stirbt. Im Off hört man zwischendurch ihre Gedanken und am Ende eine Lobeshymne, die völlig überzogen wohl von Monty Python eingesprochen wurde.

Ermüdend erweist sich das ganze Material des Films, der unentschlossen und uninteressant zwischen Königs-Chronik und persönlichem Erleben laviert und mit dicker Musiksoße übergossen wurde. Die nette, aber niemals zündende Romantik zwischen Victoria und Albert kann den getragenen Kostümschinken auch nicht retten. Selbst diese Beleidigung zieht nicht vollends, denn immerhin erhielt Sandy Powell einen Oscar für Beste Kostüme. Aber auch die wären vom Flohmarkt weggefunden sicher inspirierter gewesen als diese BBC-Langeweile.

13.4.10

Coco Chanel & Igor Stravinsky


Frankreich 2009 (Coco Chanel & Igor Stravinsky) Regie: Jan Kounen mit Anna Mouglalis, Mads Mikkelsen, Elena Morozova 132 Min. FSK ab 6

Schon der Beginn dieses Meisterwerks über die leidenschaftliche Affäre zweier großer Kreativer ist atemberaubend: Die Premiere des Balletts „Le sacre du printemps“ im Pariser Théâtre des Champs-Elysées am 29. Mai 1913. Die sensationell neue Musik von Igor Stravinsky schockt das Publikum. Während ein Teil der Premierengäste rebelliert, aufsteht, stört und schließlich die Polizei einschreitet, hüpft die Tänzerin des zu opfernden Mädchens ängstlich weiter auf den unerhörten Tonfolgen. Der nach außen regungslose Russe Stravinsky (Mads Mikkelsen) rennt aufgeregt hinter die Bühne, erleidet das Debakel. Die berühmte und reiche Modedesignerin Coco Chanel (Anna Mouglalis) beobachtet den Aufruhr der Schwanensee-Abonnenten genau. Ihr Gesicht zeigt sich kühl bis einen Hauch amüsiert. Kounen zeigt diesen Aufruhr bemerkenswert ausführlich. Man stellt nicht nur einen Einschnitt der Musikgeschichte fest, man fühlt förmlich den Schock der Zuhörer.

Ein paar Jahre später findet sich Stravinsky mit Frau und vier Kindern als Flüchtling der russischen Revolution verarmt in Paris. Chanel bietet ihnen Unterkunft in ihrem opulenten Landhaus an. Wobei „anbieten“ nicht das richtige Wort für diese eindrucksvolle Frau ist, die wie selbstverständlich macht, was sie will, und die Erfüllung ihrer Wünsche als Normalzustand ansieht. Mit monoton tiefer Stimme (im Original) geht sie resolut ihren Weg, nimmt sich schließlich den Komponisten direkt am Klavier, während dessen kränkelnde Frau Catherine Stravinsky (Elena Morozova) beim Verstummen des Instruments weiß, was jetzt passiert.

Der in Frankreich arbeitende Niederländer Jan Kounen („39,90“, „Blueberry“, „Dobermann“) machte aus Chris Greenhalghs Roman "Coco & Igor" ein faszinierendes Doppelporträt zweier genial kreativer Menschen, eine ungewöhnliche und schließlich tragische Liebesgeschichte sowie einen außerordentlichen Kunstgenuss. Die Räume der Coco Chanel Raume sind jeder für sich ein neuer Jugendstil-Augenschmaus in strengem und verspieltem Schwarzweiß. Es ist nett anzusehen, wie Catherine Stravinsky als Gegenpol im Frauenbild mit farbigen Deckchen versucht, ihr Familienleben einzurichten. Coco ist derweil besessen von der Suche nach dem eigenen Parfum. Und zeigt auch in ihrer Unterwäsche, was sie will: Mit nur einem Klick fallt die letzte Hülle, die vorher noch mühsam entschnürt werden musste.

Dabei gelingen Kounen in seinem satten, klaren, perfekten Meisterwerk selbst die kleinsten Nuancen. Ein dunkler Gang führt Stravinsky in die andere Welt von Coco. Ins schwarze Schlafzimmer hat sich die Trauer um Cocos große Liebe Boy ebenso eingefressen wie in ihr Herz. Doch die neue Leidenschaft legt ihr auch wieder weiße Kleider an. Eine faszinierende Eleganz steckt in allen Poren des Films, aber vor allem in einer unfassbaren Anna Mouglalis („Mammuth“, „Gainsbourg (Vie héroïque)“, „J'ai toujours rêvé d'être un gangster“). Ihr spannendes Gesicht macht das unabhängige Leben der Coco sinnlich. Und glaubhaft, dass diese Frau kein schlechte Gewissen kennt, das sie einschränken könnte. Diese Unabhängigkeit verlangt sie auch von Stravinsky, doch als der sie nicht als gleichrangige Künstlerin akzeptiert, kommt es zum schmerzhaften Bruch, der zu einem ganz brutalen Schnitt ins einsame Alter ohne diese Liebe führt.

Wie der Film spricht auch Mads Mikkelsen („Adams Äpfel“) nicht viel, schaut dafür um so intensiver hinter seinem Schnauzer aus russischer Tiefe hervor. Nach „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ mit Audrey Tautou ist „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ nicht nur Fortsetzung, sondern das echte Porträt einer bemerkenswerten Frau und einer Zeit, von der viel verloren gegangen ist:  Ästhetik, Freizügigkeit und Emanzipation.

Cop out


USA 2010 (Cop out) Regie: Kevin Smith mit Bruce Willis, Tracy Morgan, Adam Brody, Kevin Pollak 107 Min. FSK ab 16

Om-Asch, om-asch …. der schwarze Polizist Paul Hodges (Tracy Morgan) wiederholt es oft genug, damit man weiß, was dieser Film sein soll. „Eine Hommage“ übersetzt sein Partner Jimmy Monroe (Bruce Willis) freundlich in die Kamera. Eine Hommage an die Buddy-Action-Komödien im Stile von „Beverly Hills Cop“ oder „Lethal Weapon“. Allerdings bleibt auch dieses Konzept den Film über schwer verständlich. Wollte hier Kevin Smith hier nur mal einen Film mit Bruce Willis machen, egal wie dämlich das Ergebnis wird?

Kevin Smith machte erstmals einen Film, bei dem er nicht selbst das Buch geschrieben hat - leider. Außer einer persönlichen Handschrift vermisst man auch die „regulars“, die üblichen Darsteller etwa von Jay und Silent Bob (Smith selber), oder Matt Damon und Ben Affleck.

Der Coole und der Lächerliche sind im Einsatz gegen das Verbrechen das sich nicht zwischen lächerlich-cool und cool-gefährlich entscheiden kann. Die Polizisten Paul Hodges und Jimmy Monroe verhalten sich zu ihrem siebten Dienstjubiläum tatsächlich wie ein altes Ehepaar. Dazu streitet sich Hodges privat mit dem neuen Stiefvater seiner Tochter, wer für deren absurd teure Hochzeit 50.000 $ hinlegen darf. Da der übereifrige Cop gerade suspendiert wurde, hängt alles an einer extrem seltenen Baseball-Sammelkarte, die selbstverständlich bei einem Überfall geraubt wird. Für die Karte soll Hodges dem Drogenboss einen gestohlenen Mercedes zurückholen, und im Kofferraum findet sich eine Frau, die es ab jetzt auch noch zu schützen gilt. Neben dem bösen mexikanischen Gangster hat diese Filmformel noch eine Quasselstrippe und einen Witzbold im Gepäck.

Eine seltsame Paarung, bei der weder der Film noch Willis etwas gewinnen. Die „Buddies“ verhalten sich meist wie kleine Kinder, und unter denen muss man vielleicht auch das Zielpublikum suchen. Auf der Meta-Ebene führt Bruce Willis als erfahrener Cop-Darsteller die ebenso mit dem Genre vertrauten Zuschauer durch einen Film mit unerfahrenen Partnern und Darstellern. Hodges zeigt sich immer wieder genervt von Typen, die nicht nach den Regeln der Cop-Action spielen. So braucht man nicht die ganze Zeit selber den Kopf zu schütteln. Willis erledigt auch diesen Job für uns. Er gibt seinen entspannt lächelnden, überlegenden Blick, spielt er den Bad Cop, manchmal auch den „Robocop“ und zitiert sich sogar selbst. Harold Faltermeyer, ein Hans Zimmer-Zögling, liefert wie in „Beverly Hills-Cop“ billige 80s-Musik. Seann William Scott macht die Joe Pesci-Kopie.

Kaum zu glauben: Dieser Film ist von Kevin Smith! Vom Schöpfer grandioser, tiefgängier Komödien wie „Jay and Silent Bob Strike Back“ (2001), „Dogma“ (1999), „Chasing Amy“ (1997) und „Clerks“ (1994). Dazu ist „Cop Out“ nicht so ein Na-Ja-Film von Smith, es ist ein ganz mageres, schwaches Filmchen. Höchstens das wilde Zitieren von Polizeifilmen sieht ihm ähnlich. Ein Genie geht vor die Polizeihunde. Letztlich muss man feststellen: Nicht Om-Asch an das Genre, sondern am Arsch ist das Genre hier.

12.4.10

Das Bildnis des Dorian Gray


Großbritannien 2009 (Dorian Gray) Regie: Oliver Parker mit Ben Barnes, Colin Firth, Ben Chaplin, Rebecca Hall 112 Min.

Wenn die zu häufigen Verfilmungen von Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ sich doch nur verhielten wie die Hauptfigur. Wenn sie wie Dorian Gray immer gleich blieben, könnte man noch halbwegs zufrieden sein. Auch wenn der wahre Genuss, das vom exzessiven und unmoralischen Leben gealterte und entstellte Gesicht des Porträts, das auf dem Speicher versteckt ist, der wirklich spannende Film wäre. Doch alle diese harmlosen Literaturverfilmungen bleiben selbst mehr als hundert Jahre nach Veröffentlichung von Wildes einzigem Roman hinter der Vorlage zurück. Sie sind alle eben nicht Wild(e).

Der junge Dorian Gray (Ben Barnes) kommt Ende des 19. Jahrhunderts nach London, um ein reiches Erbe anzutreten. Die brave bürgerliche Gesellschaft nimmt ihn gern in ihre öden Kulturzirkel auf, der schwule Maler Basil Hallward (Ben Chaplin) setzt seine Faszination vom schönen Gray in ein grandioses Porträt um. Eine Bemerkung des zynischen Lebemannes Lord Henry Wotton (Colin Firth) bei der ersten Betrachtung des Bildes führt zu einer teuflischen Veränderung. Für den Erhalt seiner Jugend würde man doch alles geben wollen... und von nun an altert nicht Dorian Gray, sondern nur sein Bildnis. Die Chancen seiner Jugend nutzt Gray immer mehr zu einer libertinären und hedonistischen Lebensführung. Nachdem er sich angesichts der Schauspielerin Sybil Vane (Rachel Hurd-Wood) noch verliebt wähnte, vernascht er dank sanfter Provokation durch Wotton fortan nur noch Männer und Frauen, um sie ohne Skrupel fallen zu lassen. Sybil suchte in Folge dieser Enttäuschung den Tod. Aber Gray mordet auch selbst und sein Porträt wandelt sich durch sein Leben in ein furchtbares, knurrendes Monster. Denn sein wahres Gesicht - gar lächerlich anzusehen in diesen Film - versteckt er auf dem Speicher. Ausgerechnet dort, wo er als Kind geschlagen wurde.

Die Mischung aus Teenie-Horror und Weltliteratur gibt sich grauslich, bleibt aber im Kern behäbig und brav. Ein äußerst unpassender Ansatz für einen Roman, der die Möglichkeiten des Lebens über die Grenzen bürgerlicher Konventionen hinaus austestet. So bleiben die essentiellen Fragen verloren in einer Deko, die nicht zeitgemäß ist. Um das (junge) Publikum zu erreichen, mixte man eine deftige Portion Teenie-Horror ist den Stoff. Wenn Gray verzweifelt ausruft, „meine Seele verfault, sie stinkt“, dann müssen in diesem Film Maden und Fliegen her. Gray verwandelt sich in ein Monster, das besser zum „Herr der Ringe“ als zu Oscar Wilde passt. Mit mäßigem Erfolg, wie befremdetes Lachen in einer Sneak-Premiere zeigte. Allerdings fragt man sich auch erstaunt, ob der Reiz eines hedonistischen Lebens heute überhaupt noch gefühlt werden kann, wenn bei einem Kuss zwischen Männern schon prüde verlegen gelacht wird.

„Das Bildnis des Dorian Gray“ leidet ebenso unter einem schwachen Hauptdarsteller. Wieder einmal überspielt Colin Firth („A single man“) seine Kollegen. Die spitze Sätze Wildes kommen von seinem Lord Wotton in der schärfsten Form: „Wer glücklich ist, ist nicht gut. Wer gut ist, ist selten glücklich.“ Dabei war es immerhin Oliver Parker, der Regie führte. Was besser klingt, als es ist: Von „Othello“ (1995) bis zu „Die Girls von St. Trinian“ (2007) spezialisierte sich Parker auf Literaturverfilmungen. Dabei war bereits zweimal Oscar Wilde das Opfer: Die Bühnenstücke „Ernst sein ist alles“ (2002) und „Ein perfekter Ehemann“ (1999) können im Theater bissiger sein als in solch ambitionierten Literaturverfilmungen.

6.4.10

Ghost in the Shell 2 - Innocence (Blu-Ray)


Regie: Mamoru Oshii

Universum Film (Kauf-Blu-Ray)

Animation

„Ghost in the Shell 2 - Innocence“ gehört zum Augenfutter, bei dem es sich lohnt, jetzt auch jedes Detail dieser fantastischen Welten in bester Blu-Ray-Qualität zu sehen: Das japanische Science Fiction-Anime von Mamoru Oshii („Ghost in the Shell“) spielt im Jahr 2032. Androiden und Cyborgs haben Menschen weitgehend ersetzt. Der Cyborg-Cop Batou verfolgt eine Mord- und Selbstmordserie, die von weiblichen Lust-Robotern begangen wird. Bei den Recherchen wird Batou von seiner ehemaligen Partnerin Major unterstützt, die vor drei Jahren ihren physischen Körper verloren hat und nur noch als „Geist“ existiert.
Wieder schwirrt Geist und Seele durch eine maschinelle und digitalisierte Welt. Die futuristischen Maschinen bieten faszinierende Projektionsflächen für philosophische Ideen vom romantischen Entwurf des mechanischen Menschen Olimpia in E.T.A Hoffmanns „Der Sandmann“ bis zum „Blade Runner“ nach den Ideen von Philip K. Dick. Durchmischt wird dies mit schön viel Nostalgie bei den Autos und der Musik. Oshii präsentiert im unabhängigen Nachfolger weniger Action und mehr wahnsinnige Visionen als im ersten Teil, dem modernen Klassiker „Ghost in the Shell“.
Das Bonusmaterial fällt mit ca. 45 Minuten reichhaltig aus: Dabei sind Audiokommentar und Interview von Mamoru Oshii.

Sobibor, 14. Oktober 1943 / Ein Lebender geht vorbei (DVD)


Regie: Claude Lanzmann

absolut MEDIEN (Kauf-DVD ab 9.4.2010)

Geschichts-Dokument

Der französische Claude Lanzmann war in den letzten Monaten in der Diskussion - allerdings etwas verdreht wegen einer Randbemerkung seiner Biographie und weil Linke in Hamburg mit Gewalt die Vorführung seines Films "Warum Israel" verhinderten. Wie gut, dass absolut MEDIEN nach dem epochalen „Shoah“ weiter die essentialen Arbeiten Lanzmanns veröffentlicht: Aus den 350 Stunden Material für die Holocaust-Dokumentation entstanden die beiden Filme „Sobibor, 14. Oktober 1943“ (2001) und „Ein Lebender geht vorbei“ (1997). Der erste erzählt von einem Häftlings-Aufstand im Lager Sobibor. „Ein Lebender geht vorbei“ berichtet von Maurice Rossel, einem Offizier der Schweizer Armee, der als einziger Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz je im Lager Auschwitz empfangen worden war. 1944 reiste er auch nach Theresienstadt und fiel auf die Täuschungsmanöver der SS herein, wie sein damals verfasster, offizieller Bericht über das „Vorzeigelager“ beweist.
Die Filme erscheinen in Originalfassung mit deutschen Untertiteln und Digipack mit reichem Booklet.

5.4.10

Nothing Personal ****


Niederlande, Irland 2009 (Nothing Personal) Regie: Urszula Antoniak mit Lotte Verbeek, Stephen Rea 85 Min. FSK ab 6

Vogelfrei bewegt sich Anne (Lotte Verbeek) durch die westirische Küstengegend Connemara. Die verschlossene Frau deponierte ihr Leben in den Niederlanden auf dem Sperrmüll, um mit Zelt und Rucksack durch die Natur zu ziehen und möglichst wenig mit Menschen in Kontakt zu sein. Die rote Haare und die Sommersprossen fügen sich komplementär ins wuchernde Grün ein, das scheint zu passen. Doch irgendwann nähert sich Anne - vorsichtig, wie ein wildes Tier - einem abgelegenen Haus an einer Bucht. Zuerst durchstöbert sie die Räume, dann beschnüffelt sie das Bett und legt sich nackt hinein, reibt ihren Körper an jedem Zentimeter Stoff und geht wieder. Erst später kommt es zu einer Begegnung mit dem ebenso einsiedlerischen Bewohner Martin (Stephen Rea). Unter Vorsatz der Unnahbarkeit und Anonymität einigen sich beide nach anfänglichen Schwierigkeiten auf ein Nebeneinander. Anne macht die Haushälterin für den mit Büchern und Musik beschäftigten, älteren Mann und erhält dafür zu Essen.

„Nothing Personal“ - nichts Persönliches, kein Name, keine Geschichte soll zwischen den beiden Einzelgängern stehen. Doch auf Annes grob unhöfliches Verhalten antwortet Martin mit einer geduldigen Domestizierung, so dass beide doch irgendwann zusammen an einem Tisch essen. Das Gebot, nicht zu fragen, weckt besondere Neugierde und die beiden starten ein Spiel: Für eine raus gerutschte persönliche Frage muss der Gesetzesbrecher zur Strafe singen...

Der Erstling der aus Polen stammenden Niederländerin Urszula Antoniak schwelgt in eindringlichen Farben und Bildern, sowie in einer prätentiösen Unnahbarkeit, deren Ursache verborgen bleibt. Tief melancholische Lieder von Patsy Clines „Crazy“ (...for crying, crazy for feeling so lonely) bis zu Schuberts „Winterreise“ passen hervorragend zu diesem intensiven Experiment in Unabhängigkeit. Zwei Menschen, die wie Inseln einsam sein wollen, scheitern auf berührende Weise. Allerdings anders, positiver als Sandrine Bonnaire in Agnes Vardas „Vogelfrei“. „Nothing Personal“ erhielt in 2009 Locarno gleich fünf Preise, unter anderem den hoch verdienten Darstellerpreis für Lotte Verbeek.

A Single Man


USA 2009 (A Single Man) Regie: Tom Ford mit Colin Firth, Julianne Moore, Matthew Goode 99 Min.

Sehr sorgfältig wird am Morgen des 30. November 1962 in Los Angeles in einer erstaunlichen Metamorphose aus einem beliebigen Mann der 58-jährige britische Literaturprofessor George (Colin Firth). Ausgewählte Kleidung, edle Uhr, die Krawatte mit Windsor-Knoten sitzt. George braucht diesen Halt, weil der Tod seiner großen Liebe ihm das Herz gebrochen und den Lebenssinn geraubt hat. So soll der 30. November 1962 ein besonderer Tag werden, die peniblen Vorbereitungen umfassen auch einige Abschiedsbriefe, denn George will sich am Abend umbringen. Dieser Tag ist deshalb ein Fluss von Erinnerungen und letzten Begegnungen. Und letzten Momenten vor allem: Der Abschiedskuss seiner Liebe Jim vor dessen tödlichen Autounfall. Das Glück von 16 Jahren  gemeinsamen Lebens. Der Abschied, der auch nachher kein richtiger sein durfte, denn als Schwuler (in den Sechzigern) durfte George nicht beim Begräbnis seines Mannes dabei sein. Jim Familie untersagte dies.

Gefasst, mit seiner britischen Reserviertheit, aus der die wahren Gefühle nur ganz selten hervorbrechen, begeht George seinen letzten Arbeitstag an einer Universität in Los Angeles, trifft einen jungen Stricher, isst mit seiner besten Freundin Charlotte (genial: Julianne Moore) zu Abend und geht mit einem aufdringlichen Studenten einen Trinken. Zu Hause wartet mit den Abschiedsbriefen eine Pistole…

Was von diesen 24 Stunden gezeigt wird, gehörte letztes Jahr in Venedig zu den besten Filmmomenten: Der Abend mit Charlotte, geprägt von einer Seelenverwandtschaft und gefährdet von verletzten Abhängigkeiten. Die lustvolle Nacht mit dem jungen Studenten, das Baden im Meer und im Glück. Der angekündigte Tod sorgt bei allem noch für ein paar Überraschungen.

Der erste Film von Tom Ford, der seiner erfolgreichen Arbeit als berühmter Modedesigner (unter anderem für Gucci) etwas Gehaltvolles entgegen setzen wollte, schuf auf Anhieb ein äußerst sinnliches und extrem berührendes Meisterstück. Auf Basis von Christopher Isherwoods 1964 erschienenem Roman „A Single Man“ erzählt Ford in Bildern betörender Schönheit. Die edlen Materialien des sanften Flusses der Erinnerungen reichen von den Stoffen und Accessoires der morgendlichen George-Werdungs-Zeremonie über den schicken mit Holzfurnier ausgestatteten 220S, mit dem der Kulturmensch formvollendet zur Arbeit fährt. Die Literatur und die Musikstücke des Films werden gekrönt von dem exquisiten Schauspiel von Colin Firth und Julianne Moore.

Der Brite Firth - nächste Woche im „Bildnis des Dorian Gray“ der einzige Lichtblick - gibt einen tief verletzten Zyniker, der kurz vor dem Freitod an gebrochenem Herzen die Freude am Leben wieder findet. Seine Stimme (im Original) sonor brechend ist nur eines von vielen Geschenken dieses stilistisch und emotional extrem starken Films.

Die 4. Revolution - Energy Autonomy


BRD 2010 (Die 4. Revolution - Energy Autonomy) Regie: Carl-A. Fechner 82 Min. FSK: o.A.

„Die 4. Revolution“ ist ein Anti-„Koyaanisqatsi“: Der unglaubliche elektrische Energieverbrauch für bunte Beleuchtung (hauptsächlich in den USA) sieht ebenso schön aus wie die Landschaften mit Solar- und Wind-Anlagen für regenerative Energien. Carl-A. Fechner dokumentiert mit hochwertigen Aufnahmen die enorme Begeisterung einer Handvoll Fürsprecher rund um die Welt. Unter ihnen auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, der auf Al Gore macht und dafür Englisch bei Oettinger gelernt hat. Deutsch findet er allerdings deutliche Worte, etwa zur „Unterwerfung der Politik unter die Interessen der Energie-Wirtschaft“. Gegen diese Macht auch der Meinungs-Mache stellt der Film seine Zukunftsperspektiven. Besonders das Beispiel einer Energie-autonomen Gemeinde in Dänemark ist eindrucksvoll. Weiterhin gibt es Elektrofahrzeuge, die sich in erhoffter Zusammenarbeit mit den Stromerzeugern intelligent zu günstigen Zeiten aufladen und sogar als Batterien für das ganze Stromnetz funktionieren. Mit einem Elektro-Sportwagen von Tesla schmückt sich ein deutscher Unternehmer, der einige Weltrekorde in Sachen Energiesparen bricht. Diese Reihe von Visionären und Träumern macht Hoffnung und gute Laune.

4.4.10

Zeit des Zorns


BRD, Iran 2010 (Shekarchi / The Hunter) Regie: Rafi Pitts mit Rafi Pitts, Mitra Hajjar, Ali Nicksaulat, Hassan Ghalenoi, Manoochehr Rahimi 100 Min.

Ali Alavi (Rafi Pitts) bittet in der Fabrik, in der er als Wachmann arbeitet, um eine Tagesschicht. Aber er hat „eine Vorgeschichte“, da solle er froh sein, überhaupt Arbeit zu finden, auch wenn er so seine Frau und seine sechsjährige Tochter kaum sehen kann. Die Vorgeschichte ist eine politische Verurteilung. Ali Alavi sagt nichts weiter, arbeitet, fährt auf den überfüllten Straßen,  Teherans, durch den immer gleichen Tunnel in die Natur, jagt in den Wäldern, um wieder zu arbeiten und zu schweigen. Bis nach einer der Demonstrationen gegen die Regierung seine Frau und Tochter nicht mehr nach Hause kommen. Man lässt ihn bei der Polizei lange warten, verhört ihn zuerst streng, bevor er erfährt, seine Frau sei als „Rebellin“ erschossen worden. Der gleichzeitige Tod seiner Tochter wird erst Tage später zugegeben, obwohl Ali Alavi schon die Blutflecken am Ort der Tat gefunden hatte.

Es ist die Zeit der Wahlen im Iran. Im Radio hört man die politischen Parolen, vor dem Fenster die Demonstrationen. Weiterhin still und verschlossen bringt Ali Alavi die Katze zur Schwiegermutter, ohne von den Todesfällen zu erzählen. Dann platziert er sich auf einem Hügel hoch über der Stadtautobahn und erschießt zwei Polizisten in einem Polizeiwagen. Nun nicht der Film auf erstaunliche Weise an Fahrt auf. Die Hubschrauber, die man schon vorher sah, scheinen Alis Wagen zu verfolgen. In einer amerikanisch rasanten Verfolgungsjagd im Nebel verunglückt Ali und flieht humpelnd in den Wald. Dort, in seinem eigenen Jagdgebiet ist er nun der Gejagte. Zwei Polizisten stellen ihn, sind aber nicht in der Lage den Weg zurück zu finden. Da die beiden Beamten wegen ihrer unterschiedlichen Haltung zu Militär und Polizei zerstritten sind, ergibt sich eine gespannte Notgemeinschaft...

Iranische Filmemacher äußern sich überraschend deutlich im aktuellen politischen Emanzipationsprozess des Landes. In Hana Makhmalbafs „Green Days“ (2009) oder „No one knows about Persian cats“ von Bahman Ghobadi („Zeit der trunkenen Pferde“, „Turtle can fly“) endet der Wunsch nach mehr Freiheit immer tragisch. So verwunderte es kaum, dass Jafar Panahi („Der Kreis“, „Offside“) im Februar nicht zur Berlinale ausreisen durfte. Die langsame Chronik eines Amoklaufs als Aufschrei gegen die Unterdrückung des Individuums durch Staat und Institutionen zu sehen, bietet sich als einfache Interpretation für „Zeit des Zorns“ an. Doch der Film von Rafi Pitts („Zemestan – It‘s Winter“, „Sanam“) ist ein sehr komplexes Meisterwerk, das gekonnt viele Bedeutungsebenen und Filmstile verbindet.

„Zeit des Zorns“ könnte als Thriller Bestand haben, ist ästhetisch ein faszinierender Arthaus-Film und hochgradig sowie sehr aktuell politisch. Rafi Pitts vermittelt die tiefe Verletzung, die Ali durch den brutalen Polizeieinsatz erlitten hat, vor allem auch als (ungeplanter Ersatz-) Hauptdarsteller in einem unglaublich erduldenden Schweigen. Zu dieser Haltung passen die ruhigen Bilder des Films. Der Autotunnel, der nach der Durchfahrt von Alis Ami-Schlitten auch leer noch lange im Bild bleibt. Die Musik von Thom Yorke bis zu Arvo Pärt vermittelt Internationalität ebenso wie die Stadtautobahnen, die so auch LA durchziehen.

Kampf der Titanen (2010)


USA, GB 2010 (Clash Of The Titans) Regie: Louis Leterrier mit Sam Worthington, Mads Mikkelsen, Alexa Davalos, Ralph Fiennes, Liam Neeson, Danny Huston 106 Min. FSK: ab 12

Nach dem Kinderfilm „Percy Jackson“ verirrte sich nun ein anderer Bastard der Götter und der Filmgeschichte wieder auf die Leinwand. Das Remake vom „Kampf der Titanen“ ist banales und überflüssiges Popcorn-Kino. Allerdings ist Aufpassen angesagt: Während die meisten ihren Popcorn-Container noch nicht platziert haben, wurde schon die titanische und göttliche Familiengeschichte von Held Perseus abgerissen.

Nun erlebt der vermeintliche Waise Perseus (Sam Worthington), dass die Krieger von Argon eine Art gemäßigten Atheismus ausrufen, indem sie Götter- oder Götzenbilder stürzen. Allerdings fällt es schwer, nicht an Götter zu glauben, wenn diese prompt mit einem Gemetzel antworten. Perseus verliert dabei auch seine Pflegeeltern und am Hof der Argonauten hat Hades einen düsteren Auftritt: Er wird durch sein ganz spezielles Monster Kraken die Stadt zerstören lassen, wenn diese nicht die Königstochter Andromeda opfert. Nebenbei enttarnt Hades noch den verdatterten Perseus als Sohn des Zeus. Nun hat der junge Halbgott nur noch wenig Zeit, um mit ein paar Gefährten hässliche Hexen zu befragen, die noch hässlichere Medusa zu köpfen und dann das Monster zu besiegen. Also ein simples Adventure oder Computerspiel.

Falls sich jemand fragt, weshalb die Geschichte denn mit Riesenskorpionen, einer gigantischen Mischung aus Alien und Godzilla sowie anderen Monstern aufgeblasen werden muss, ist die Antwort einfach: Die Monster und die Effekte sind die Geschichte. Um etwas anderes geht es überhaupt nicht bei dieser Produktion. Das Remake des gleichnamigen Films von Desmond Davis aus dem Jahre 1981 (mit Laurence Olivier als Zeus!) erfüllt die minimalen Erwartungen an so ein albernes, oberflächliches Spektakel ganz gut. Doch was soll das konfuse und unlogische Gerede über den Glauben, was die Überlänge und was 3D? Dieser Film braucht 3D noch weniger als die Menschheit Götter. Vielleicht bringen Überlänge und 3D einen doppelten Zuschlag an der Kasse - aber dann sollte man sich diese Popcorn-Packung für Zuhause aufbewahren. Derart flaches Kino wird durch schlechte 3D-Effekte auch nicht aufgewertet.

(Der 1981er „Clash“ war hingegen, auch wenn er noch nicht sooo alt ist, durch den genialen Effekt-Techniker Ray Harryhausen mit dessen reizvollen Tricks ein Relikt aus viel älterer Zeit.)

Zwar nimmt sich der Film selbst furchtbar ernst und die wenigen Scherzchen fallen echt erbärmlich aus. Aber unfreiwillig kommt einige Komik ins Schauspiel: Die Darsteller, die sich für sicher viel Geld hier lächerlich (lustig?) machen, sind eindrucksvoll: Ralph Fiennes und Liam Neeson sehen sich als dumm-glänzendes Bruderpaar vom Olymp tatsächlich zum Verwechseln ähnlich. Wie irgendwie alle hinter den Zottelbärten der alten Griechen. Nur Percy fällt mit seinem militärischen Kurzhaarschnitt und dem olive-grünen Army-T-Shirt aus dem Rahmen. Ein anderes Gesicht fasziniert wirklich hinter den Klebemasken: Mads Mikkelsen. Ein Insider-Scherz ist die mechanische Eule, die auf das Original aus dem Jahre 1981 verweist. Aber die Kämpfer lassen sie ungenutzt in der Kiste liegen.

Extrem spaßig ist das Sammeln von sicher so nicht beabsichtigten „Zitaten“: Die Füße der gestürzten Zeus-Statue erinnern ebenso an „Lost“ wie der schwarze Nebel aus dem sich Hades materialisiert. Entmaterialisiert werden Götter genau wie die Besatzung der „Enterprise“ beim Beamen. Percys Leuchtschwert kann einfach nicht ernst gemeint sein - wie eigentlich der ganze Film. Vielleicht ist es ja auch nur ein überlanger Trailer für irgendeine TV-Serie.