30.12.09

Triff die Elisabeths!

Frankreich, 2008 (La Première Étoile) Regie: Lucien Jean-Baptiste mit Lucien Jean-Baptiste, Anne Consigny, Firmine Richard, Jimmy Woha-Woha 90 Min. FSK o.A.

„Keine Versprechen mehr - versprochen!“ Bis der Familienvater Jean-Gabriel Elisabeth (Lucien Jean-Baptiste) es zu dieser Erkenntnis bringt, muss er eine komödiantische Schlitterpartie bewältigen, oder um das Bild noch mehr zu bemühen: eine Ski-Schaukel mit viel Berg- und Tal-Fahrten erleben. Ohne Geld träumt Jean-Gabriel immer noch von den nächsten großen Chancen, während seine Frau im Supermarkt Essen klaut. Eine seiner Launen die er im freundlichen Überschwang aus Liebe zu seinen drei Kindern äußert, hört sich an, wie ein schlechter Witz. Die Elisabeths fahren in den Skiurlaub. Die Kosten hat er selbstverständlich nicht überdacht, und 2000 Euro sind erst richtig viel Geld, wenn man keines hat. Hinzu kommt der Clou dieser gelungenen Komödie: Die Elisabeths sind bis auf Mama eine französische schwarze Familie. Und wie lautet einer der erstaunten und rassistischen Kommentare: „Le ski c’est pas pour le Bronzés“ - Es gibt keine schwarzen Skifahrer!

Jean-Gabriel wird angesichts der neuen Probleme ganz blass und seine Frau meint, dies sei ein leeres Versprechen zu viel, er solle das nun alleine durchziehen. Die Rettung naht in Form seiner Freunde, angefangen beim jovialen Wirt, der Jean-Gabriel ebenso mit einem Croissant unterstützt, wie mit einer Unterkunft in den Bergen. Dass immer betont wird, auch ja sehr pfleglich mit der Hütte oder mit dem tiefer gelegten, quietschbunten und frisierten Wagen des Freundes Jojo umzugehen, macht auf dem Feld der Komödie schnell klar, wie schlecht es den Leihgaben ergehen wird. Schon bei der Anfahrt im Stile einer Rally Monte Carlo bleibt die Unterboden-Beleuchtung auf der Strecke. Die Großmutter kommt da mit ihren Freundinnen zur Erkenntnis, dass es jetzt an der Zeit sei, zu beten UND zu singen. Aber auch sie muss mit, um den Finanzplan halbwegs zu erfüllen.

Wenn dann die Oma auf die Skier steigt, wird es schon mal sehr albern, aber Regisseur und Hauptdarsteller Lucien Jean-Baptiste trifft jeden Ton genau und das Ensemble aus lustigen und nachdenklichen Szenen ist wohl abgewogen. Keine Klamotte, sondern eine flotte Komödie, die (im Original) gekonnt mit dem Schwarz-Weiß der französischen Sprache spielt. So gewinnt der Film sein Publikum ebenso wie die Familie Elisabeth die staunenden Menschen der weißen Pracht. Selbstverständlich haben fünf Schwarze im Schnee auch etwas mit Rassismus zu tun. Mit vielen kleinen bissigen Bemerkungen nicht verkrampft, aber doch bewusst. Skifahren sei für Weiße, heißt es immer wieder. Frankreich sei doch auch für Weiße, lautet eine der schlagfertigen Antworten.

Besonders schön spielt das alte Vermieter-Paar die Vorbehalte durch, die sich bei näherem Kennenlernen in Wohlgefallen auflösen, wie Schnee im Föhnwind. Wenn der kleine Ludo von diesen bekehrten Vermietern fast adoptiert wird, wenn der 15-jährige Yann sein Ski-Haserl findet und Jean-Gabriel für seine erwachsene Tat mit der Wiederkehr seiner Frau belohnt wird, ist das sehr bewegend und rührend. Ein nuancierter Schwarz-Weiß-Film mit großem Wohlfühl-Potential. So ist der Publikumspreis auf dem Filmfestival Hamburg gut zu verstehen.

Lieber verliebt


USA 2009 (The Rebound) Regie: Bart Freundlich mit Catherine Zeta-Jones, Justin Bartha, Kelly Gould, Andrew Cherry, Art Garfunkel 95 Min. FSK ab 6

Ein verliebter Jüngling opfert sich als Punching Ball in einem Frauenzentrum und eine junge 40-jährige Mutter zieht nach der Trennung vom untreuen Ehemann mit ihren beiden Kindern in die große Stadt New York, um in der Männerdomäne Sport-Fernsehen Karriere zu machen. Das könnte jetzt ein feministisches Manifest über Geschlechter-Rollen sein. Doch abgesehen von ein paar originellen Momenten irgendwie wirkt das Ganze eher wie ein Schminktipp für Frau Zeta-Jones: Zeigen Sie sich mal wieder einfach und bescheiden.

Sandy (Catherine Zeta-Jones) ist für einie Filmminuten glückliche Mutter, bis sie am Ende eines lustigen Familienvideos das Fremdgehen ihres Mannes erblickt. Verletzt und wütend zieht sie mit den beiden Kindern aus der behüteten Vorstadt in den großen, bösen Moloch New York, in dem an jeder Ecke Exhibitionisten und Blumenbeet-Pinkler rumstehen. Schnell steuert die Romantische Komödie mit Sandy auf den unglücklich verliebten Aram Finkelstein (Justin Bartha) zu, einem lieben Kerlchen, das seiner verflossenen französischen Freundin mit frankophonen Filmklassikern nachtrauert.

Aram sind Menschen sind wichtiger als die Karriere, deswegen wird er Sandys Supernanny, während er eigentlich einen klassischen Superjob haben könnte. So spielt und spaßt Aram mit den Kindern, kocht der aufstrebenden Sportspezialistin das späte Abendessen und erweist sich auch in der Freizeit als niveau- und reizvolle Begleitung. Dem Glück könnte nichts mehr im Wege stehen, wären da nicht die 15 Jahre Altersunterschied zwischen Sandy und Aram.

Der Frauenfilm „Lieber verliebt“ will mit hohem Produktionsaufwand und netten New York-Bildern recht konventionell etwas nur scheinbar Unkonventionelles vorführen. Der Rollentausch - er bei einem Frauencenter und als Kindermädchen, sie in der Männerdomäne Sportagentur - bleibt allerdings Kulisse und Lieferant für die paar gelungenen Szenen. Ein Knaller ist der scheue Aram in der Selbstverteidigungsklasse für Frauen, wenn er als vermeintlicher Angreifer durchgeprügelt wird. Dabei sollte auch er mal lernen, sich endlich zu verteidigten oder nur für sein Recht einzutreten. Ansonsten liefert der Name des Regisseurs Bart Freundlich eine Steilvorlage zum Kalauern: Die freundliche Geschichte hat einen ziemlichen Bart und auch ein paar Längen.

Vor allem fällt auf, wie schwach die auf unprätentiös und einfach geschminkte Zeta-Jones spielen kann. Als schwache Frau, die ihre Wut und ihre Stimme erst langsam entdecken muss, ist sie eine Fehlbesetzung. Was ebenfalls eher unangenehm auffällt: Das Zotige der populären Jugend-Lacher im Kielsog von „American Pie“ scheint auch auf andere Komödien abzufärben. Für einen Film ab 6 wird (im Original) ziemlich deutlich über Sex geredet und einige Ekel-Momente passen auch nicht recht in das Wohlfühl-Genre Romantische Komödie.

22.12.09

„Vorschau“ in den Niederlanden


In der Weihnachtszeit 2009 lohnt es sich besonders, jenseits der Grenze der Kinozeit voraus zu sein. Große Filme laufen dort viel eher und im Original: Die intelligente Romantische Komödie für Erwachsene mit Meryl Streep, Alec Baldwin und Steve Martin „Wenn Liebe so einfach wäre (It's Complicated) startet in Deutsch erst am 21. Januar. Der Slapstick „Old Dogs“ mit John Travolta und Robin Williams als Oldies ist bereits eine Woche früher dran. Das mit Spannung erwartete Kriegs-Drama „Brothers“ von Jim Sheridan („Mein linker Fuss“, „Im Namen des Vaters“, „In Amerika“) hat gar noch keinen Kinostart in Deutschland. Liegt es am Afghanistan-Thema, dass wir Darsteller wie Jake Gyllenhaal, Natalie Portman und Tobey Maguire vielleicht nicht erleben dürfen?        
(Alle Filme Heerlen, H5, „It's Complicated“ auch Heerlen, Royal)

Bright Star


Großbritannien, Australien, Frankreich 2009 (Bright Star) Regie: Jane Campion mit Darsteller Abbie Cornish, Ben Whishaw, Paul Schneider, Kerry Fox  119 Min. FSK ab 6

Die satte Pracht englischer Kultur-Landschaften. Lila Felder. Ein heftig rot-weißes Kleid mit dem die Schneiderin Fanny Brawn (Abbie Cornish) anfangs auftritt; später gedeckte Farben, wenn Fanny ihre ersten Lektionen in Sachen Poesie gelernt hat.

Jane Campion, die für „Das Piano“ als erste Frau eine Goldene Palme in Cannes erhielt, kehrt sechs Jahre nach ihrem Frauen-Thriller „In the Cut“ (mit Meg Ryan) wieder auf die Leinwand zurück. In „Bright Star“ erzählt Campion ruhig und intensiv von der kurzen, letzten Liebe des englischen Poeten John Keats (1795-1821) mit einer jungen Nachbarin im Jahre 1818. „Bright Star“ - benannt nach einem Gedicht von Keats - ist auch der erste Kostümfilm von Campion nach „The Portrait of a Lady“ aus 1996 und die neuseeländische Regisseurin schwelgt in den Stoffen, den Farben, den Stimmungen. Das Verhältnis der Schneiderin Fanny Brawne zum Poeten Keats ist ein undramatisches. Campion gelingt es ohne das übliche Drama um Stände und Aussteuer, zwei Stunden lang zu fesseln. Dass Fanny den zu armen Poeten nicht heiraten konnte und dass Keats im Alter von 25 starb, muss reichen, um die Herzen zu rühren, während den Augen und Ohren immens geschmeichelt wird.

Selbstverständlich muss man vermuten, dass Campion versucht, die Poesie Keats zu übernehmen. Aber man sieht es dem Film nicht an - ganz positiv gesehen. Für einen Film über die Liebe eines Poeten wird erfreulich wenig gesprochen, es wird nicht dauernd krampfhaft über Literatur geschwafelt, es werden keine poetischen Ergüsse am Fließband abgesondert. Fein, sensibel ist der Einsatz der Verse von Keats und fein sind auch die Mittel des Films gesetzt. „In Anlehnung an Keats' Lyrik als eine flanierend-anmutige Reflexion über Kunst, Liebe und Schönheit“, so beschreibt der Film-Dienst den Stil treffend.

Kleine Gesten drücken die Liebe zwischen Keats und Fanny Brawn aus, kleine Details bestimmen die Stimmungen. Die Australierin Abbie Cornish spielt die Fanny unaufdringlich, trotzdem verdrängt ihre Präsenz fast den zierlichen Poeten. Ein leichter Liebestraum eher als eine heiße Affäre. Alles wirkt stimmig und echt, man wundert sich über den kulturellen Reichtum auf dem Land im England dieser Zeit. Man erfährt allerdings auch, dass die Familie Brawn ohne einen Ernährer öfters die Anwesen wechselt, um Miete zu sparen.

In einer von vielen grandiosen Szenen weht der Wind Fanny sanft aufs Bett, die Vorhänge scheinen sie umzupusten, dann hebt das Lüftchen ihr langes Kleid wie von innen hoch - so fühlt sich die Leichtigkeit der Liebe an und so kann sie tatsächlich auch im Kino aussehen.

21.12.09

Soul Kitchen


BRD 2009 (Soul Kitchen) Regie: Fatih Akin mit Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu, Birol Ünel, Anna Bederke, Monica Bleibtreu 100 Min. FSK ab 12

Essen für die Seele gibt es im Hamburger Szene-Lokal „Soul Kitchen“ und Kino für die Seele verschenkt Fatih Akin mit dem gleichnamigen Film. Der internationale Shootingstar unter den deutschen Regisseuren zeigt, dass er auch die hohe Kunst der Komödie beherrscht. „Soul Kitchen“ macht Spaß, Lust lustig und Hunger auf Mehr.

„Soul Kitchen“ im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg ist einer dieser Kneipen, wo man die Stammgäste abends eigentlich mit dem Mobiliar wegräumen könnte. Der Laden läuft so lala, aber Kneipenbesitzer Zinos (Adam Bousdoukos) ist wie die meisten Dauergäste zufrieden. Dann zieht seine Freundin Nadine alleine nach Shanghai und Zinos überhebt sich an der eigenen Ungeduld. Der Bandscheibenvorfall zwingt ihn, den exzentrischen Koch Shayn (Birol Ünel) zu engagieren, dessen delikate Kreationen den herben Geschmack der Hamburger - Wiener Schnitzel, Frikadelle, Pizza - auf eine harte Probe stellen. Zudem mischt auch noch Zinos’ krimineller Bruder Ilias (Moritz Bleibtreu) als Freigänger die Szene auf. Zuerst steht er nur megacool dumm rum und himmelt die wirklich coole Kellnerin Lucie (Anna Bederke) an. Dann verzockt er mit seiner Spielsucht den ganzen geliebten Laden seines Bruders an den eklig blonden Spekulanten Thomas Neumann (Wotan Wilke Möhring).

Während „La Paloma“ in vielen Varianten auf der Tonspur segelt, legt Film-DJ Fatih Akin klasse Szenen auf die Platte. Zur geilen Abschiedsfete gibt es Süßes mit Aphrodisiaka - wer hier nicht lacht, gehört extra flachgelegt. Selbst Frau Schuster vom Finanzamt wird da ganz locker. Adam Bousdoukos („Kurz und schmerzlos“), Moritz Bleibtreu („Im Juli“) und Birol Ünel („Gegen die Wand“) sind Stammgäste in Akins Filmen. Bousdoukos zudem Freund, Restaurantbesitzer und so auch Koautor dieser tollen Geschichte.

Bleibtreu beginnt als Abziehbild des nutzlosen Mackers, aber verliert sein Herz an die knallharte Kellnerin Lucia mit ihrer Uma Thurman-Frisur. Wie er sich jetzt als Kellner und DJ bemüht und zum klasse Bruder wird, hat echt Stil. Birol Ünel hat den sowieso und diesmal eine tolle komische Rolle als Koch. Die verstorbene Monika Bleibtreu ist noch einmal als resolute Oma neben ihrem echten Sohn Moritz zu sehen. Zu den vielen liebevoll eingestreuten Details, gehört auch ein Auftritt von Jan Fedder, der in seinem Großstadtrevier auf der Polizeiwache Dienst tut.

Dieses „Soul Kitchen“ hat Schwung, Humor und ganz viel Herz. Im Chaos entwickelt sich wahre Freundschaft, die Kellner sind auch als Musiker großartig, genau so gut wie das Essen schließlich sind Bilder, Musik und Orte mit Geschichte. Der ehemalige Karstadt, in dem Fatih Akin seine erste LP gekauft hat, fungiert als cooler Club. Die Stadt wandelt sich rasant und der echte Hamburger Jung Akin wollte die Chance ergreifen, seine wilden Jahre noch einmal festzuhalten. Nicht nur das ist gelungen bei diesem Film, mit den Menschen, der Stimmung und der Musik, für die man sich begeistert.

Fame (2009)


USA 2009 (Fame) Regie: Kevin Tancharoen mit Darsteller Naturi Naughton, Kay Panabaker, Anna Maria Perez de Tagle, Kelsey Grammer, Charles S. Dutton 105 Min. FSK o.A.

„Fame“ war 1980 ein richtig guter Film, er war von Alan Parker, der unter anderem auch noch „The Commitments“ und „Birdy“ gemacht hat, und gewann zwei Oscars. Seitdem gab es „Fame“ als Fernsehserie, mehrfach als Parodie und als Plagiat gar inflationär. Der Schnaps-Idee, ganz schnell ganz groß rauszukommen ohne irgendwas zu können oder zu lernen, verbreitet sich unter Einfluss der Casting-Shows ungetrübt von Verstand oder Erfahrung immer weiter. So sieht denn auch das Remake „Fame“ dreißig Jahre später aus: Ein zusammenhangloses Hetzen durch die Studienjahre einiger Musikschüler. Verantwortlich für das Stückwerk ist der 24-jährige Anfänger Kevin Tancharoen. Er hat den Regiestuhl überraschenderweise nicht bei einer Casting-Show gewonnen, sondern war Tournee-Choreograph für Britney Spears.

Am Tag der Aufnahmeprüfung hüpfen viele unbekannte Gesichter und Namen durch die Musik- und Schauspielschule „New York School of Performing Arts“. Das Drehbuch konjugiert die Milieus und Tanzstile. Aufpassen braucht hier keiner, denn niemand, vor allem nicht der Film, kümmert sich um diese Kids. Es gibt den Tänzer Kevin, der stark werden, und die Schauspielerin Jenny, die locker werden muss. Als Farbtupfer der sehr weißen Schule fungieren ethnische Vorbehalte bei Klavierspielerin Denise und dem klischeehaft wütenden Rapper Malik.

Im Sauseschritt geht es durch vier Schuljahre, für Entwicklung blieb den Drehbuchautoren keine Zeit. Das ach so spontane Jammen in der Kantine funktioniert allein als Parodie, trotz viel Geld reicht es dem Film nur für ein paar nette Musik-Nummern, die alle nicht vom Hocker reißen. Die Kamera wackelt mehr als vor dreißig Jahren und im Gegensatz zum Casting-Schrott ist „Fame“ wenigstens sorgfältig in Ausleuchtung und Montage. Aber all die „tollen Songs“ und Stimmungen wirken nur verkrampft und behauptet.

Neben zu vielen talentfreien Beteiligten, die es in der echten Welt nie auf solch eine Schule schaffen würden, macht das Grundkonzept diesen Film unerträglich: „Fame“ zeigt sich ermüdend jugendfrei. Brave Kinderchen, die noch nie besoffen waren, produzieren so viel Schlagerschmalz, dass der Hausmeister dauernd wischen musste, hätte man ihn nicht aus dem Film geschmissen. Denn in diesem Film gibt es keine wirklichen Probleme und die zwangsläufige Paarbildung führt zu Beziehungen wie aus der Nachmittagsserie.

Am Ende des Tages - um auch amerikanisiert zu schreiben - sieht das alles aus wie ein Casting-Show-Film und - Überraschung - die blonde Tänzerin Kherington Payne war tatsächlich Finalistin des Dance-Castings „So You Think You Can Dance“. Auch wenn einige schon vermuten, hier sollte „High School Musical, Teil 4“ gezeigt werden - selbst die überzogene Schlussnummer bleibt ohne Drama oder besondere Bedeutung. Hat hier niemand das Original gesehen oder irgendeinen guten Film? Dieses Remake ist schlimmer als die schlimmsten Befürchtungen. Sein Titel sollte „Shame“ lauten: Schande.

20.12.09

Interview Fatih Akin zu „Soul Kitchen“


Venedig. Im Jahre 2004 einen „Goldenen Bären“ für „Gegen die Wand“. 2007 „Bestes Drehbuch“ in Cannes für „Auf der anderen Seite“. Und nun mit "Soul Kitchen" im September den Großen Preis der Jury in Venedig. Nur wenige Regisseure konnten auf den drei großen Filmfestivals absahnen. Der Hamburger Fatih Akin hat diesen „Grand Slam“ schon mit 36 Jahren erledigt. Im vergangenen Jahr erhielt der international bejubelte deutschen Filmemacher die „Karlsmedaille für Europäische Medien“ in Aachen. Nach einer ausgelassenen Premierenparty, bei der Akin selbst am Plattenteller stand und sein Gefühl für Soul bewies, interviewten ihn Maria Giovanna Vagenas und Günter H. Jekubzik.

Fatih Akin erzählt in seinem sechsten Spielfilm „Soul Kitchen“ die prall mit Humor und Lebenslust aufgeladene Geschichte eines Hamburgers griechischer Abstammung (Adam Bousdoukos), der sein cooles Szene-Lokal retten will, während ihn seine Freundin verlässt und sein Bruder (Moritz Bleibtreu) den Laden verzockt.

Wann hattest Du die Idee zu „Soul Kitchen“?
Im Frühjahr 2003 hatte ich gerade den Schnitt von „Gegen die Wand“ beendet und war pleite. Daher benötigte ich dringend ein neues Projekt. Ich habe also eine erste Fassung von „Soul Kitchen“ geschrieben, weil ich dachte, dass ich diesen Film leicht und schnell realisieren könnte. Was das Thema betrifft, habe ich mich von einem Ort inspirieren lassen, den ich sehr gut kannte: Das Restaurant meines besten Freundes Adam Bousdoukos (Koautor und Hauptdarsteller), ein Ort, der fast wie ein Zuhause für mich war und an dem wir sehr oft Partys gefeiert haben. Ich wollte in Hamburg, in meiner Stadt, mit Video drehen und das Ganze im Handumdrehen fertig stellen.

„Soul Kitchen“ ist Deine erste Komödie...
Nachdem ich so viele ernste Filme gedreht habe, denen ich meine Bekanntheit verdanke, habe ich mir gesagt, dass ich nicht mein ganzes Leben lang mit einem einzigen Kinogenre in Verbindung gebracht werden möchte.

Ist „Soul Kitchen“ tatsächlich vom Adam Bousdoukos’ wirklichen Leben inspiriert?
Adam ist neun Jahre lang Restaurantbesitzer gewesen. Meine Freunde und ich waren seine Stammkunden. Sein Restaurant war so etwas wie ein Treffen der Bohemiens mit einem ganz bunt gemischten Publikum; es gab Musiker, Freaks, Arbeiter, Künstler und Studenten. Ich ging oft mit meiner Frau und meinem Sohn dorthin essen; ich brauche Dir nicht zu sagen, dass ich nach dem Essen nie gleich arbeiten konnte und immer ein paar Stunden brauchte um wieder arbeiten zu können, weil das Essen schwer war...

Das Drehbuch, das auf den ersten Blick so leicht und geistreich wirkt, ist bei näherem Hinsehen sehr komplex. Wie hast Du mit Adam diese Komödie geschrieben?
Alle Charaktere und Situationen des Films waren gewissermaßen schon da, sie waren ein Teil unseres Lebens. Die Geschichte von Zinos’ Bruder, zum Beispiel, ist die wahre Geschichte eines Freundes, der im Gefängnis gelandet war, weil er mit Marihuana gedealt hatte, und eine Arbeit finden müsste, um während des Tages aus dem Gefängnis herauskommen. Ich war von der Idee sehr angetan, ihn irgendwie in unser Projekt einzubeziehen, so habe ich seine Geschichte in das Drehbuch mit einbezogen. Mein Freund hat mich nur darum gebeten, sie ein bisschen zu verändern. Im Film sitzt daher der Bruder des Protagonisten wegen Spielschulden im Gefängnis. So kann dessen Mutter den Film anschauen ohne zu merken, dass er damit gemeint ist!

Welche Regisseure haben Dich bei der Entstehung dieses Filmes beeinflusst?
Unter den Zeitgenossen würde ich Woody Allen, die Coen-Brüder und Jim Jarmusch erwähnen, wenn man die Vergangenheit betrachtet dann Ernst Lubitsch und Billy Wilder und, selbstverständlich, Buster Keaton und Chaplin. Ich habe versucht mich von all diesen unterschiedlichen Typen von Humor inspirieren zu lassen und sie miteinander vermischt, obwohl es mir bewusst war, dass ich damit das Risiko einging, mich mit einem zusammenhanglosen Flickwerk wieder zu finden.

Während der Vorbereitungen zu diesem Film hast Du spezielle Recherchen über Gastronomie und die Speisen unternommen?
Auch in diesem Fall habe ich Anleihen bei anderen Filmen genommen: „Eat, drink, man, woman“ von Ang Lee ist für mich diesbezüglich ausschlaggebend gewesen; wie auch „Big Night“ von Stanley Tucci, ein eine hervorragende Komödie über zwei Brüder, die Restaurantbesitzer sind. Die Art und Weise, wie in „Soul Kitchen“ Pasta zubereitet wird, habe ich wortwörtlich von Big Night abgeschaut! (lacht) Sagen wir lieber, dass ich damit eine Art von Hommage an Stanley Tucci machen wollte!
 
Musik ist ein wichtiges Element in Soul Kitchen. Im Film gibt es viel Soul Music, aber auch Rembetiko und deutsche Schlager; die vielseitige Zusammenstellung gibt die ethnische Vielfalt der Charaktere sowie Deine Musikleidenschaft sehr gut wieder. Wie kam der Soundtrack zustande?
Meine Idee war, einen Soundtrack zu schaffen, der die Atmosphäre der Stadt reflektiert. So wie ich es zuvor für „Crossing the Bridge“ und Istanbul getan hatte. Hamburg ist eine echte Soul-City - mit den besten Soul-Clubs der Welt außerhalb der Vereinigten Staaten. Bis vor ein paar Jahren gab es noch zwei legendäre Clubs in der Stadt: den „Mojo Club“ und „Soul Kitchen“ eben. Jedes Wochenende wurden Soul-Partys veranstaltet. Selbstverständlich gibt es in Hamburg auch viel elektronische Musik mit einigen berühmten DJs, die in die USA eingeladen werden und eine sehr gute Rock-Szene.

16.12.09

Wo die Wilden Kerle wohnen


USA 2009 (Where the wild things are) Regie: Spike Jonze mit Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo 101 Min.  FSK ab 6

Wut ist im Film meist Antrieb für harte Kerle. Oder manchmal für Komödien. Aber Wut im Kinderfilm? Das Multi-Talent Spike Jonze erzählt eine verrückte, kluge, sehr verständige, aber auch spaßige und mutige Geschichte eines sehr wütenden Jungen.

Wieder bleibt Max (Max Records) alleine. Erst spielt die ältere Schwester lieber mit den großen Jungs. In seiner verzweifelten Wut zettelt Max eine Schnellballschlacht an, setzt dann das Zimmer der Schwester unter Wasser und zerstört ihr mit viel Liebe gemachtes Geschenk. Dann flirtet die alleinerziehende Mutter (Catherine Keener) mit einem neuen Mann. Max beginnt zu schreien, steigt auf den Tisch und beißt seine Mutter ziemlich heftig. Panisch und erschreckt rennt er in der Nacht weg, strauchelt im Löwen-Pyjama durch Büsche und sticht mit einem Kahn in See. Irgendwann wird Max wach und entdeckt eine abenteuerliche Insel mit riesigen Fabelwesen. So als ob sich die modischen „Uglydolls“ mit den Teddybären gepaart und Wachstumsbeschleuniger genascht hätten. Sie haben Löwenmähnen und Vogelfüße. Unter ihnen ist auch so ein Wütender, der immer Sachen kaputt macht. Als jemand der beisst, ist Max hier gut aufgehoben, denn hier essen sie gleich jeden auf.

Auch Max steht auf dem Speiseplan, kann sich aber mit einer Geschichte retten und wird König der wilden Kerle. Die Freude ist groß, dem Neuanfang liegt ein Zauber inne. Max macht den Clown, Geschichten-Erzähler und Freund. Sie bauen zusammen etwas auf, schlafen alle in einem großen Haufen, wie jubelnde Fußball-Spieler ihn ansonsten auftürmen. Doch die alten Streitpunkte brechen wieder auf, eine große Schlacht bringt nur wenig Spaß und einige neue Verletzungen. Nichts hilft bei verletzten Gefühlen, Max ist wieder ein verlorener kleiner Junge zwischen zu großen Emotionen.

„Wo die Wilden Kerle wohnen“, die Verfilmung von Maurice Sendaks Kinderbuch, ist trotz der vielen Grobiane ein ungemein zärtlicher, in kleinen Gesten und Momenten oft rührender Film. Vieles wirkt spielerisch in diesem gleichermaßen leichten und psychologisch exakten Meisterwerk: Die Handkamera wie bei Amateuren, aber nahe an dem Empfinden von Max. Die nette, kindisch wirkende Mädchenmusik von „Karen O and the Kids“ bringt die Wildheit von Max auf den Soundtrack. Die Lehre der Wilden Tiere lautet klug einfach: Mit diesen Riesen ist es wie mit den unkontrollierbaren großen Gefühlen - sie können Freunde sein, aber auch zerstörerisch.

Regisseur und Autor Spike Jonze inszenierte nicht nur, er gestaltete so wunderbar verrückte Filme wie „Being John Malkovich“ (1999) und „Adaptation.“ (2002), vor allem aber auch viele Musik-Videos für Björg, REM, Chemical Brothers und andere.

Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte


BRD 2009 Regie: Birgit Schulz 94 Min. FSK: ab 12

Sie vertreten drei extreme Positionen in der heutigen Bundesrepublik: Hans-Christian Ströbele bezieht engagiert Stellung, etwa gegen den Afghanistan-Krieg, und wird als einziger Grüner über ein Direktmandat in den Bundestag gewählt. Otto Schily wechselte von links nach grün und dann zur SPD, wurde als Innenminister mit seinem „Otto-Katalog“ berüchtigt. Als Minister beschränkte er die Freiheitsrechte radikal, die er früher als Anwalt verteidigte. Horst Mahler vollzog eine noch extremere Wende: Zuerst verteidigte er bevorzugt Linke, dann wurde er wegen einer Demonstration gegen den Springer-Verlag angeklagt und verhalf später Baader zur Flucht. Nach Verurteilung und Haft wechselte Mahler im Jahr 2000 in die NPD, überholte diese sogar rechtsradikal und verbreitet seitdem die absurdesten Geschichtsverdrehungen.

Und nun geht eine Dokumentation in die gemeinsame Zeit der drei Anwälte zurück, als sie die Außerparlamentarische Opposition in den 70ern verteidigten. Regisseurin Birgit Schulz verfolgt mit ihren Entwicklungen parallel die Geschichte der Bundesrepublik. Als Schlüsselszene dient das Foto, das Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Horst Mahler in einem Prozess gegen Mahler zeigt. Zwei junge Anwälte verteidigen einen bekannten Kollegen. Dies eines der vielen Fotodokumente, für deren Betrachtung man im Film mehr Zeit bräuchte. Es spricht nicht unbedingt für die Interviews mit den drei Protagonisten, hintergründig im Gerichtssaal aufgenommen, dass solche Originaldokumente stärker wirken als die Rückbetrachtungen der arrivierten Herren. Der eitle Politprofi Schily liefert bedächtig Grundsätzliches und immer mal wieder Betroffenheit angesichts der Tode seiner Mandanten in der Haft. Ströble bleibt gradlinig, auch wenn der Hemdkragen nicht richtig sitzt. Mahler darf sich präsentieren, über Hegel schwafeln und bleibt hinter freundlicher Fassade ein unfassbares Rätsel. Die ganze Dokumentation ist ein höchst spannender und origineller Blick auf dramatische Zeiten deutscher Geschichte.

15.12.09

Stille Hochzeit - Zum Teufel mit Stalin


Rumänien, Frankreich, Luxemburg 2008 (Nunta Muta) Regie: Horatiu Malaele mit Meda Andreea Victor, Alexandru Potocean, Valentin Teodosiu 87 Min. FSK: ab 12

Tod und Hochzeit und wieder Tod ganz nah beieinander. Komödie, Tragödie, Polit- oder Historien-Film? Die rumänische „Stille Hochzeit“ zeigt ein Dorf, überbordend mit Leben, Lust, Streit und Gelächter. Ein Dorf, das nicht mehr existiert. Die Grobheiten des ländlichen, osteuropäischen Alltags und die Poesie einer vergangenen (Kino-) Epoche. Schwer einzuordnen, aber ein grandioses und schönes Stück Kino.

Soll man anfangen im Heute, in dem alles besser sein soll? Oder in der Vergangenheit unter der Fuchtel der Sowjet-Armee, dem „schlimmen“ Gestern, das allerdings in Farbe gezeigt wird? Damals strotzte das Dorf nur so vor prallem Leben und deftigen Typen. Mittendrin liegen und lieben sich Mara (Meda Andreea Victor) und Iancu (Alexandru Potocean) im Feld. Das wird von einem Liliputaner sowie einem kleinen Jungen beobachtet und nach der Heimkehr auch handgreiflich kommentiert. Doch alles wird nicht so heiß gegessen, wie es diskutiert wird. Bald kommt auch schon die nächste Aufregung um die Ecke oder die vier linientreuen Kommunisten marschieren albern durchs Dorf.

Es ist das Jahr 1953 in Rumänien, einige gehorchen freudig dem großen russischen Bruder, andere sind schon enteignet worden, aber die meisten trinken tapfer weiter in der einen Kneipe mit der einen Prostituierten. All diese „deftigen Typen“ sind nicht einfach Kopien ihrer folkloristischen Vorgänger aus vielen Filmen und Geschichten. Der aufbrausende Kneipen-Streit, in dem die Väter der Liebenden immer wieder aufeinander losstürmen und von den genauso lauten Nachbarn auseinander gehalten werden, ist zur liebevollen Parodie übertrieben. Ein freundlicher Spaß, denn ein paar Minuten später werden die Streithähne als Schwiegereltern miteinander saufen: Donnerstag soll Hochzeit sein.

Also schlachtet man eifrig, lieb sich noch ein wenig und schon legt die Roma-Band zünftig los. Doch ein Russe verdirbt den Spaß. Der Standort-Kommandant gibt bierernst und gnadenlos bekannt, dass Stalin in der letzten Nacht verstorben sei und alle sozialistischen Brüdervölker sieben Tage lang trauern würden. Keine Feste, keine Hochzeiten und keine Begräbnisse. Und wie kommt Stalin unter die Erde? Uups - selbstverständlich auch keine Witze. Dieser hätte dem Ortsvorsteher fast das Leben gekostet.

Dass der strenge Soldat vorher die verrückte Schöne, die Feen gleich durch den Wald lief, vergewaltigte und tötete, ist eine bittere Note, die jedoch schnell wieder mit schelmischen Streich der bauernschlauen Dörfler überspielt wird. Hochzeit verboten? Dann umwickeln wir die Stuhlbeine und Gläser mit Leinen, nehmen das Besteck weg und feiern eine stille Hochzeit. Mit stummen Reden, lautlosem Klatschen, ganz stiller Post und einem Magenknurren beim Essen, dass wie Donnerhall klingt. Ein grandioser Höhepunkt des feinen, poetischen Humors. Dem im Lauf des Lebens wieder ein tragisches Ereignis folgen wird ...

In „Stille Hochzeit“ gewinnen Lachen, Hoffnung und Poesie in der ausufernden Fülle dieses bäuerlichen Lebens. Auch wenn der letzte Witz ein bitterer ist: Wo einst Dorf war, hat der Kommunismus eine brutal hässliche Fabrik hingesetzt. Die der Kapitalismus jetzt wiederum abreißen will, um ein neues Dorf zu bauen, einen Freizeitpark!

14.12.09

Avatar


USA 2009 (Avatar) Regie: James Cameron mit Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver 161 Min. FSK: ab 12

Mit „Titanic“, dem erfolgreichsten Hollywood-Film bislang, hat James Cameron eine eindrucksvolle Marke im Filmgeschäft gesetzt. Aber „Avatar“ ist ein großer Film, ein einzigartiger Film und tatsächlich das außergewöhnliche Kinoereignis am Ende des Jahres, des Jahrzehnts und am Anfang eines Kinojahrhunderts, das 3D sein soll.

Der Autor, Produzent und Regisseur Cameron erzählt wieder eine übersichtliche Geschichte, die in fantastischen Bildern eine ökologische Utopie ausbreitet: Der querschnittsgelähmte Soldat Jake Sully (Sam Worthington) wird im 22. Jahrhundert für seinen verstorbenen Bruder zum Planeten Pandora geflogen. Mit seinen verwandten Gehirnströmen, soll er in den Körper eines einheimischen Na’vi schlüpfen, das sind drei Meter große, menschähnliche Wesen mit blauer Haut. Die Na’vi wehren sich mit Pfeil und Bogen gegen die hochindustrielle, ultra-moderne Ausbeutung ihres Planeten. Jake sollte eigentlich mit ihnen verhandeln, verliebt sich aber in Neytiri (Zoe Saldana), Tochter der geistigen Anführerin der Na’vi. Nachdem die Menschen brutal und grausam den heiligen Wald der Bevölkerung zerstört haben, kämpft Jake auf Seiten der Wesen, die im Einklang mit der Natur leben.

Die Na’vi sind fantastische Geschöpfe in vieler Hinsicht. Die animalischen Maserungen auf der blauen Haut und auch die Gesichtszüge verraten tierische Aufwallungen, die wir zivilisierten Wesen uns selten eingestehen. Sie sind drei Meter groß, gewaltig, kräftig und gütig. Vor allem leben sie in Harmonie mit der Natur, ja mehr noch: sind tatsächlich verwachsen mit ihr, mit einem leisen Britzeln verflechten sich die Fasern der Na’vi-Schwänze mit den Fühlern ihrer Reittiere oder den gezähmten Flugsauriern. Auch mit Lianen eines magischen Waldes verbinden sich die Na’vi, um Stimmen ihrer Ahnen zu hören. All das ergibt ganz organisch Camerons Poesie einer universalen Harmonie. Viele kleine Momente von Verständigung und Erkennen sind Varianten der 1989 atemberaubenden Tiefsee-Begegnungen und Manifestation freundlicher Außerirdischer in „The Abyss“.

„Avatar“ geht nicht nur mit der Natur, sondern auch mit dem 3D-Format sehr sorgfältig um: Von Anfang an erzeugt er Wirkung durch Größe, durch Tiefe und durch raffinierte Staffelung. Das Labyrinth des Waldes, kleine fliegende Luft-Quallen, gewaltige Flugsaurier, das Funkeln der blauen Haut füllen die Bilder eindrucksvoll. Camerons Unterwasser-Erfahrungen bei seinen monatelangen High-Tech-Tauchaktionen - auf der Suche nach der Titanic, der Bismarck und der fantastischen Meeres-Welt des Mittelozeanischen Rückens für einen Imax-Film - sind nicht nur zu sehen, sondern sogar in der freien Bewegung in allen Dimensionen zu spüren. Besonders die schwebenden Berge, die den Inseln im chinesischen Meer ähneln, auf denen James Bonds „Der Mann mit dem goldenen Colt“ gedreht wurde. Das 3D von „Avatar“ ist übrigens nicht nur einfach dreidimensional. Es ist das 3D, das sich Cameron selber entwickelte, um seine Visionen möglich zu machen. Ohne Rücksicht auf Geld und Zeit (die im Filmgeschäft vor allem Geld kostet). Diese kompromisslose Art, seine Ziele durchzusetzen, ist seit „Titanic“ legendär, wo er den Etat gnadenlos überzog.

Cameron liefert in seinem Film selber ein schönes Bild für die Erweiterung der (Erlebnis-) Möglichkeiten durch Technik: Die männliche Hauptfigur Jake ist ein gebrochener Kämpfer, ein Soldat im Rollstuhl. Die Verbindung mit einem Na’vi-Avatar gibt ihm nicht nur seine Beine zurück, er kann mit dem neuen Superkörper mehr erleben als zuvor als Nur-Mensch. Bei dieser faszinierenden Animation sind nicht allein die Fantasie-Wesen sehr lebendig, Cameron schafft sogar eine viel größere Identifikation, als wenn wir wirklich Amazonas-Indianer oder andere bedrohte Völker aus Afrika, Asien und Südamerika sehen würden. Man sieht mehr. Genau wie beim Grund-Satz des Verstehens, den Jake langsam erlernen muss: I see you. Nicht nur „Ich sehe dich“, sondern auch „Ich erkenne dich tief in deinem Wesen“. Was selbstverständlich mit seiner Lehrerin Neytiri auch zu dem biblischen Erkennen führt.

Die Mischung aus Realfilm und Animation, die Realaufnahmen der Figuren in eine andere Welt entführt, wurde ganz nebenbei auch gut gespielt. Sigourney Weaver, die mit Cameron „Aliens“ drehte, ist diesmal selber ein Alien auf dem Planeten der blauen Wesen. Neben den Avatar-Stars sieht man Michelle Rodriguez („Girlfight“) als Hubschrauber-Pilotin und Giovanni Ribisi als rücksichtslosen Selfridge, Boss und Abgesandter der kapitalistischen Ausbeutung.

„Avatar“ ist ein ökologisches, ein mächtiges Manifest gegen die Rodung des Regenwaldes und die Zerstörung großer Teile unserer Umwelt. Es ist rührend, wie die Na’vi ihre Welt als ein Netzwerk begreifen, in dem alles miteinander verbunden ist. Selbst Tiere, die einen unvorsichtigen Besucher des Waldes anfallen, sind zu betrauern, wenn sie im (unnötigen) Kampf sterben. Gaia, Mutter, Natur - egal wie man es nennt, es sieht und fühlt sich so an, dass man sofort hin- oder gleich noch mal in diese Filmwelt will. Erst in einer Wiedergeburtszeremonie gerät dieser schöne Pantheismus zu kitschig.

Hier grüßt „Matrix“ wieder, die Avatar-Idee wird mit allen Gefahren ausgeführt wie schon in „Tron“. Die Ästhetik der Na’vi-Welt erinnert sehr stark an „Myst“, einen Klassiker des anspruchsvollen Computer-Adventures. Die romantische Mischehe klingt nach Pocahontas, der Indianer-Prinzessin, die sich in den weißen Eroberer John Smith verliebte. Details sind wiedererkennbar, die Na’vi reiten und kriegs-schreien wie Indianer, die Physiognomie ist afrikanisch. Es gibt bei diesem großen „Avatar“-Abenteuer selbstverständlich vieles wiederzusehen und (für den Kritiker) anzuführen, denn angeblich gibt es ja nichts Neues auf dieser Welt. Aber Cameron kommt jedoch mit „Avatar“ dem Gefühl, eine ganz neue Welt zu betreten, sehr sehr nahe.

9.12.09

Tatort DVD-Boxen


Hunderte Morde wurden im Tatort aufgeklärt, Karrieren begannen und wurden gnädig in Nebenrollen verlängert. Klar, dass die ARD diese Krimi-Bibliothek auch auf DVD auswertet. In mehreren Wellen (O-Ton Pressetext) purzeln die Tatorte in die Läden. Und in mehreren Boxen. Die „Tatort Box: Leipzig“ und die „Tatort Box: München“ gehen mit jeweils 3 DVDs an den Start. Die „Tatort Box: Odenthal“ (mit 4 DVDs) dreht sich jedoch nicht um eine Stadt sondern um eine Kommissarin. Die Knallharte bekam ebenso eine eigene Box wie Schimanski und Stoever/Brockmöller. Letzterer liegt ein Klingelton bei. Scherz beiseite - Manfred Krug sollte man eher als ungemein lässigen und swingenden Kommissar erinnern, denn als Telekom-Werbemännchen. Weshalb die „Stoever/Brockmöller“-Box keine Hamburg-Box ist, weshalb Kommissare vier Titel in der Box haben und Städte nur drei, sollte eine eigene Tatort-Folge herausfinden. Die Qualität der Einzelfolgen mit guten Extras bleibt unerschütterlich. Bei dieser „Welle“ etwa mit dem sehr düsteren Einzeltitel „Engelchen flieg“ (Hartmut Griesmayr, 1998) und bei der nächsten Welle (7.1.2010) das „Reifezeugnis“ von Wolfgang Petersen („Das Boot“, „Troja“). Hier Klaus Schwarzkopf zu erwähnen, ehrt die Presseabteilung, aber Nastassja Kinski steigert den Verkauf doch vielleicht mehr.

Das Orangenmädchen


Norwegen, Deutschland, Spanien 2009 (Appelsinpiken) mit Annie Dahr Nygaard, Mikkel Bratt Silset, Harald Thompson Rosenstrøm, Rebekka Karijord, Emilie K. Beck 80 Min. FSK ab 6

„Sofies Welt“ von Josten Gaarder brachte es fertig, gleichzeitig das Denken und die Kassen durchzurütteln. Ein philosophisches Buch, das zum Bestseller wurde. Auch in der Verfilmung von Gaarders Roman „Das Orangenmädchen“ blitzen ein paar große Fragen wie Sternschnuppen auf: „Was ist Zeit?“; die Dauer des Lebens; der Moment und die Ewigkeit; wieso können achtzig Minuten Film so lang (-weilig) sein?

„Das Orangenmädchen“ erzählt gleich zwei Liebes-Geschichten, ohne zu überzeugen oder mitzureißen. Der 16-jährige Georg ist Sternengucker, deshalb ist sein Teleskop auch im Ski-Urlaub mit dabei. Während die anderen Teenager in Norden Norwegens wild flirten und scherzen, wartet Georg zurückgezogen auf einen Kometen. Aber auch die Briefe seines früh verstorbenen Vaters beschäftigen den Jungen. Er bekam sie zum Geburtstag und nun folgt er, nach ersten Protesten, gespannt der Erzählung, wie sein Vater das Orangenmädchen fand und liebte.

Das große Kunststück dieses Films ist, trotz guter Anlagen überhaupt nicht zu packen. Weder heiße Liebesnächte in Sevilla noch romantisches Stern-Schnuppen-Gucken im Winterwunderland kann nur annähernd begeistern. Dazu gesellen sich grobe Fehler. Die negativen Gefühle des Jungen zu seinem Vater bleiben unverständlich. Die späte Entdeckung der Identität des Orangenmädchens ist unglaubwürdig. So bleibt von diesem Film nur die Erinnerung an ein grandioses Buch über das Sternegucken und viel mehr: „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch!

8.12.09

Der Solist


USA 2009 (The Soloist) Regie: Joe Wright mit Jamie Foxx, Robert Downey jr., Catherine Keener 117 Min. FSK ab 12

Der berühmte Cellist Yo-Yo Ma spielt in einer von ihm selbst produzierten Filmserie zu Bachs Cello-Suiten irgendwann mitten im Verkehr auf der Straße. Ein schöner Kunst-Trick, das Brausen des Verkehrs vor der Klarheit der Töne entweichen zu lassen. Auf der Straße spielt auch jemand, der mit dem Cello-Star an der renommierten Julliard School in New York studierte: Nathanial Ayers, einst Wunderkind und auf diesem angesehenen Musikkonservatorium, lebt obdachlos auf den Straßen von Los Angeles. Dort findet ihn der bekannte Kolumnist Steven Lopez und was folgte, ist gleichzeitig dieser Film und die Geschichte dieses Films. Ayers wurde über die Kolumne von Lopez berühmt - und Lopez mit der Kolumne über Ayers. Neben der rührenden Story, zeigt sich dieser mehrschichtige Film wenig eindeutig und stringent, und das spricht für ihn.

Nach dem Buch von Steve Lopez komprimierte und dramatisierte die Autorin Susannah Grant die wahre Geschichte: Aus der zufälligen Begegnung von Lopez (Robert Downey jr.) und Nathaniel Ayers (Jamie Foxx) entwickelt sich eine Obsession des Zeitungsjournalisten: Nathaniel ist für Steve Lopez erst nur eine Kolumne, dann eine Auszeichnung und ein Buchvertrag, aber längst schon ein Freund, ein schwieriger. Der einzige vielleicht? Ayers schiebt den Einkaufswagen mit seinem Besitz durch die Stadt, spielt in den Unterführungen und Parks Beethoven auf einer Geige mit zwei Seiten. Als eine Leserin ihm ein Cello schenkt, ist der zerlumpte Obdachlose ebenso verzückt wie sein Zuhörer Lopez. Sein liebstes Publikum, die mit ihren Flügeln klatschenden Tauben in den Straßentunneln der Stadt, heben in dieser Szene sogar zu einem grandiosen Bilderflug in den siebten Himmel ab. In Rückblenden muss man dagegen die quälenden Irritationen mitempfinden, die bei Nathaniel seine Schizophrenie ankündigen. Er verlässt die Musikschule und seine Wohnung, um fortan auf der Straße zu leben.

„Der Solist“ ist in seiner Montage eher Jazz als Hollywood. Er springt in Bild und Ton sehr erfrischend umher. Die übliche Übervorsicht, den Zuschauer ja nicht zu verwirren oder zu überfordern, kam hier ganz schnell unter die Räder. Beethovens Dritte Sinfonie wird zum synästhetischen Farbenspiel, der Formenreichtum dieses Films ist zu vielfältig, um 1:1-Interpretionen abliefern zu können. Vor allem wird die rührende Geschichte immer durch das Erleben des gebrochenen Charakters Steve Lopez gebrochen. Irgendwann läuft im Hintergrund „Mr. Bojangles“ und der noch gar nicht so alte Journalist Lopez kommt einem schnell so vor, wie der Sänger im Lied, der bis ans tragische Ende nur die eine Sache beherrscht, die aber meisterlich. Diese Ebene muss sein, damit man sich nicht naiv in das Sozialdrama reinhängt und glaubt man wäre dabei, könne mitfühlen oder gar helfen. Lopez Frau und Chefin fasst das Bewegende der Kunst von Ayers einmal zusammen: Diese Musik sei "grace", Gnade. Und es ist auch eine Gnade, diesen Film zu sehen. Einen Film über Musik, über die Stadt Los Angeles und die Menschen dieser Stadt.

7.12.09

Zombieland


USA 2009 (Zombieland) Regie: Ruben Fleischer mit Jesse Eisenberg, Woody Harrelson, Emma Stone, Abigail Breslin 88 Min.

Der Titel verklausuliert es nicht und der Film hält dieses Versprechen: „Zombieland“ ist ein Roadtrip durch eine USA voller Zombies und heute wäre es ein schockierender und das Kinopublikum wohl zutiefst irritierender Film, wenn die „Untoten“ nicht extrem makaber und „unmenschlich“ ins endgültige Jenseits befördert würden. Da ist jeder platzende Kopf ein Lacher und die Kamera gibt sich größte Mühe, die Matscherei von allen möglichen Seiten einzufangen. Dazu scheint es Haltungs-Noten für besonders lässiges Gehabe beim Zombie-Klatschen zu geben: Eine bei voller Fahrt beiläufig geöffnete Autotüre erhöht den Body-Count und steigert das Grölen im Publikum. Wahrscheinlich funktionieren einige Videospiele ebenso.

Ein großes Problem bekommen alle ernsten Rezensenten des Films damit, dass diese Serien-Tötung von Toten eine gänzlich unbedarfte Komödie ist. Eine Komödie, die auch ziemlich gut funktioniert. Der Stubenhocker Columbus (Jesse Eisenberg) überlebte die Zombie-Invasion ausgerechnet wegen der Eigenschaften, die ihn zum einsamen Eigenbrödler und Computer-Heini machten. Auf dem Weg nach Kalifornien kommt Jungfrau Columbus mit dem groben Raufbold und Super-Macho Tallahassee (Woody Harrelson) zusammen. Eine unmögliche Paarung und somit die perfekte Grundlage eines Buddy-Movies. Schwung bekommt die Reise in ausgestorbene Gegenden und Städte voller lebendiger Toter durch ein Schwestern-Paar, das die Jungs immer wieder beraubt und dumm aussehen lässt. Das Ganze mit guten Darstellern sowie witzigen Dialogen garniert und schon haben wir das Dilemma für die anspruchsvolle und moralische Filmkritik. Das lässt sich auch kaum auflösen und so soll ein letzter Gedanke Bill Murray gelten, dessen grandioser Auftritt als Zombie ihn wahrscheinlich ein Leben lang wie ein Geist verfolgen wird.

Ninja Assassin


USA 2009 (Ninja Assassin) Regie: James Mcteigue mit Rain, Rick Yune, Naomie Harris, Ben Miles, Sho Kosugi 99 Min. FSK: keine Jugendfreigabe

Wenn als Produzenten Joel Silver, Andy Wachowski und Larry Wachowski dabei sind, geht man selbst nach dem Flop "Speed Racer" mit Resten von Hoffnung ins Kino. Die Leute haben immerhin „Matrix“ gemacht. Ok, auch „Matrix 2+3“. Stimmt. Doch die Martial Arts-Geschichte „Ninja Assassin“ mit einem asiatischen Pop-Star (Rain) sowie einem Klopp-Star (Sho Kosugi) setzt sich weitgehend billig produziert zwischen alle Stühle. Dass der Film zudem noch fast ganz auf  Berliner Straßen und in Berliner Studios gedreht ist, fügt eine Prise Fremdschämen zum Frust.

Was sind Ninja? Schwert-schlitzende Schlitzaugen, die so schnell säbeln, dass man nachher nur die blutige Sauerei auf dem Boden hat, ohne die Verantwortlichen schnappen und zum Aufwischen verdonnern zu können. Dafür zeigt „Ninja Assassin“ umso mehr die Ergebnisse: Hier rollen nicht nur Köpfe, hier liegt zwischen Arm dran und Arm ab nicht mal ein Filmschnitt - digitale Technik ist so toll! Zuerst geraten ein paar halbstarke Killer in den filmischen Fleischwolf dieser überflüssigen Metzgerei. Dann jagt eine Kommissarin die unsichtbaren und legendären Ninja. Sie und ihr Kollege verbreiten sofort die gewaltige Ausstrahlung uninteressanter TV-Kommissare, man erhofft und fürchtet also gleichzeitig die nächste Action-Sequenz. Die kommt auch, weil unter allen schwarzen Schlitzern, deren Ethos irgendwie auf das Niveau von privaten Söldnern runtergekommen ist, auch ein Guter steckt. Schade, dass man die irgendwie nicht unterscheiden kann. Deshalb zieht sich der Pop-Star Rain in seiner Rolle als Raizo auch öfters aus, um den knackigen Oberkörper mit den vielen Narben zu zeigen. Weshalb er gegen seinen alten Clan kämpft, zeigen Rückblenden in der Tradition von Kung Fu-Fighting. Nur hier ist der Meister Lord Ozunu (Kampf- und Klopp-Legende Sho Kosugi) ein ganz übler Kerl. Dazwischen funken die Spezialisten von Europol, die immer zu spät kommen und als Hackfleisch-Grundlage für die dann endlich mal sorgfältiger choreografierten Finalkämpfe dienen. Bei diesen wenigen aufwändig gestylten Szenen wird auch wieder eifrig mit digitalem Blut gemalt. Was würden wir ohne diese Computertechnik im Kino bloß machen und sehen? Mittelmäßige Action und ganz schwaches Schauspiel machen die Enttäuschung größer als man befürchtet hatte.

Küss den Frosch


USA 2009 (The Princess and the Frog) Regie: Ron Clements, John Musker 98 Min.

Eine alte Kunstform wird aus verstaubten Archiven hervorgekramt und blüht erneut zu einem prächtigen Vergnügen für das Kinderkino auf. Zu feiern ist hier nicht die klassische 2D-Animation, die bei Disney eine sehr schöne Wiedergeburt erlebt, sondern der New Orleans-Jazz, der diesen Zeichentrickspaß zu einem wunderbaren Stück Musikgeschichte auch für Erwachsene macht.

Nachdem ein neues Disney-Logo die ganz alte Mickey Mouse wieder ans Ruder lässt, erzählt die neueste Bildergeschichte aus dem erfolgreichsten Zeichentrickstudio der Filmgeschichte selbstverständlich ein Märchen - erst einmal. Denn die Begeisterung über den Froschkönig, welche die verwöhnte blonde Göre Lotto in ihrem Prinzessinnen-Kleidchen völlig umhaut, lässt ihre dunkelhäutige Freundin Tiana gänzlich kalt. Sie ist die Tochter der Näherin und wird am Abend in einer schönen Fahrt aus dem New Orleans der Reichen in ihre ärmliche Hütte zurück kehren müssen. Es ist ein bittersüßer Traum, diese Stadt in den Zwanziger Jahren und vor allem vor der Flut zu sehen. Die nächsten Jahre arbeitet das Mädchen extrem hart mit gleich zwei Jobs, um den Traum eines eigenen Restaurants zu verwirklichen. Da bleibt keine Zeit zum Tanzen und für die Liebe, selbst als der indische Prinz Naveen nach New Orleans kommt, um Lottis Märchen-Traum zu verwirklichen, macht Tiana das Catering. Allerdings hat ein düsterer Voodoo-Priester längst seine knochigen Finger im Spiel. Sein böser Zauber macht Naveen und Tiana zu Fröschen. Ihre Odyssee durch die Sümpfe des Mississippi hilft beiden zu verstehen, was sie wirklich wollen.

Soweit die Geschichte vom Prinz und Schenkelmann, die tatsächlich ziemlich Disney ist. Bei der Umsetzung begeistert vor allem die Qualität und die vielfältige Lebendigkeit der Szenen: Tianas Soul Kitchen sehen wir als stilisierte Traumsequenz in beige und braun, der jazz-verrückte Prinz stürzt sich in den bunten Mardi Gras, den so herrlich unchristlichen und exzessiven Karneval von New Orleans. Die Verführung des Voodoo-Zaubers zeigt sich als Daumenkino beim Kartenlegen. Bei den Showeinlagen bläst das Krokodil Louis - einer der vielen Wegbegleiter des Frosch-Paares - als begnadeter Trompeter im abschreckenden Kroko-Dress uns fetzige Sounds um die Ohren. Ja, dieser Kinderfilm entpuppt sich als Jazz-Revival (Musik: Randy Newman), das genial den kleinen Kinobesuchern New Orleans-Jazz (Woody Allen wäre erfreut), ein Cajun-Ballett aus Glühwürmchen oder seligen Gospel vorstellt. Noch toller als die vielen netten Figuren und Ideen sind diese großartigen Shownummern - eine besser als die andere. Als Leitmotiv für das Feuerwerk von Musik und Bewegung - fast wie einst bei Disneys „Fantasia“ - fungiert eine überzeugende Geschichte. Gegen den Trend wurde dieser Disney nicht in 3D, nicht mal auffällig digital animiert, dafür mit Sorgfalt. Man kann sich bei Karneval, Romantik und Spaß über den moralischen Lehrsatz „Was wir wollen und was wir brauchen ist nicht egal“ lustig machen, doch schon die Stones schlugen daraus musikalisch Funken und wenn es dann heißt „Du musst nur tiefer in dir graben, da liegt ein Schatz vergraben“ stimmen sowohl Buddhisten als auch Psychoanalytiker freudig mit ein.

4.12.09

Die magischen Daumenkinos des Volker Gerling

Großes Kino im kleinen Format

Aachen. Magie und Wahrheit in 36 Bildern. Der „Daumenkinograph“ Volker Gerling fängt mit seinen kleinen Kunstwerken das Herz der Menschen ein. Die Form Daumenkino wirkt antiquiert, waren das nicht die kleinen Strichmännchen-Geschichten auf den Ecken von Büchern und Heften? Eine Vorstufe des echten Kinos? Dem ehemaligen Kameramann Volker Gerling gelingt es mit zauberhaften Daumenkino-Porträts und seinen Geschichten, mehr zu faszinieren als die meisten Multimillionen-Dollar-Produktionen. Am Samstagabend (5.12.2009, 20.30 Uhr) kann man ihn einmalig in Aachen erleben.

Die Geschichte des Daumenkinographen begann 2003 mit einer mehrmonatigen Wanderung Gerlings nach Basel. Der Berliner hatte seine Kamera dabei und war offen für Begegnungen und Geschichten. Zum Beispiel die des alten Mannes mit der Kappe, der in seinem Garten werkelte, Gerling einlud und ihn gar nicht wieder gehen lassen wollte. Kein Wunder, seine Frau war vor einer Weile gestorben. Am Ende des Gesprächs fragte der Zuhörer, ob er den alten Mann fotografieren dürfe. Ja, kein Problem. Und jetzt ereignet sich der magische Moment, der die Essenz der Gerlingschen Daumenkinos ausmacht: Die Menschen positionieren sich vor dem Objektiv, es klickt … und es klickt und es klickt noch einmal. Genau 36 mal, ein ganzer Fotofilm wird im Schnelldurchgang belichtet. Die überraschten Menschen zeigen spätestens beim dritten Klick ihre Irritation, verlieren die übliche Fotohaltung und am Ende sieht man sie echt und offen, meistens lachend in die Kamera blicken.

Zahllose Daumenkinos mit Menschen, deren Geschichten ihn berührten, hat Gerling im Laufe der Jahre auf mehreren Wanderungen erstellt, die Feuilletons der großen Tageszeitungen feierten den Zauber dieser scheinbar einfachen Kunst. Auf den Reisen - eine wurde vom Goethe-Institut in Auftrag gegeben - hat Gerling mit einem Bauchladen sein eigenes Daumenkino-Museum dabei und führt die kleinen Kunstwerke immer wieder vor. Vor großem Publikum überträgt eine Kamera die Bilder, wobei der packende und bewegende Vortrag eine weitere Qualität des fotografischen Menschenfängers ist. Wer Gerling schon mal erleben durfte, er war bereits zweimal im Last Exit, kann sich auf alte Bekannte, aber auch ein paar neue Daumenkinos mit neuen Geschichten von einer Wanderung im Norden Deutschlands freuen. Dabei entstand an der Ostsee ein Liebesfilm-Daumenkino an einem Fischstand. Es gibt nach sechs Jahren auch ein Wiedersehen mit und ein neues Daumenkino von Ariana, dem Mädchen mit den Sommersprossen. Der ungewöhnliche Spielort der Szenekneipe in der Krakaustraße ist übrigens eine Qualitäts-Empfehlung: Ehemalige Kleinkünstler wie Rene Marik und Rainald Grebe waren auch regelmäßig zu Gast im Exit, jetzt füllen die großen Hallen des Landes.

1.12.09

Wenn Ärzte töten - Über Wahn und Ethik in der Medizin


BRD 2009 Regie: Hannes Karnick, Wolfgang Richter 90 Min.

Robert Jay Lifton wurde berühmt durch seine Gespräche mit Opfern und Tätern der NS-Herrschaft, aus denen das Buch „Ärzte im Dritten Reich“ entstand, das 1988 erschien. Vor allem dass Ärzte, die sich mit dem Hippokratischen Eid verpflichtet haben, Leben zu retten, zu Massenmördern und Folterern werden, beschäftigte den Wissenschaftler. Der Film lässt den Wegbereiter der Psychohistory ausführlich in seinem Büro zu Wort kommen. Nur selten unterbrochen von den Interviewern (in furchtbar deutschem Englisch) und Füllbildern eines zufälligen Küstenstreifens. Da Robert Jay Lifton kein besonders charismatischer Sprecher ist, fällt es schwer, den sehr interessanten Einsichten zu folgen.

Saw VI


Kanada 2009 (Saw VI) Regie Kevin Greutert mit Tobin Bell, Costas Mandylor, Betsy Russell 90 Min. FSK keine Jugendfreigabe

Wer sagt denn, das die nicht jugendfreie sadistische Sauerei „Saw“ nur die niedersten Instinkte befriedigt und nur eine erschreckende Mutprobe für die Besucher darstellt? Das beginnt der sechste Teil doch tatsächlich mit einem Shakespeare-Zitat: Wie einst beim „Kaufmann von Venedig“ müssen zwei Bänker für ihre unverschämten Kreditforderungen und ihre Immobilien-Schwindel büßen, indem sie mit ihrem eigenen Fleisch bezahlen. Im Geiste von „Saw“ müssen sie es sich selbst aus dem Körper schneiden, der spendabelste darf weiter leben. Danach ist dann ein Krankenversicherer dran, der Leute wegen trickreicher Klauseln sterben lässt. Das ist aber alles nur noch primitive Rache ohne weitere Gefühle oder Gnade. Schauspielerisch sind die banalen Dialogszenen zwischen den Foltern ebenso billig wie das Drehbuch von Marcus Dunstan und Patrick Melton insgesamt. Das einzig positive an dieser äußerst unangenehmen Erscheinung des Kinogeschäftes ist, dass die Zuschauerzahlen abnehmen: Immer weniger wollen sich diese Qualen noch antun.

Whatever Works - Liebe sich wer kann


USA 2009 (Whatever Works) Regie: Woody Allen mit Evan Rachel Wood, Larry David, Ed Begley jr., Patricia Clarkson, Henry Cavill 92 Min.

Woody Allen ist nach Ausflügen in europäische Gefilde mit seinem 40. Film wieder in New York gelandet und die Stadt tut seinem bitter-süßem Humor spürbar gut. So ist „ Whatever Works“ kein Wohlfühl-Film. „Wenn Sie sich wohlfühlen wollen, lassen Sie sich eine Fußmassage geben“, lässt Allen seine zynische Hauptfigur Boris Yellnikoff in die Kamera sprechen. Doch gerade der größte Lebensverächter, der seit einem „missglückten“ Selbstmordversuch humpelt, ist vor Überraschungen nicht gefeit.

Der alte Misanthrop Boris Yellnikoff will nichts anderes als von der Welt in Ruhe gelassen werden. Er hatte längst mit dem Leben abgeschlossen, zeigt sich lächelnd arrogant, voller Verachtung für den Großteil der Menschheit. Nachdem seine Ehe mit der schönen, klugen, reichen und verliebten Frau zu perfekt war, zog er sich in eine billige Wohnung nach Downtown zurück. Dort rechnet er wortreich und kunstvoll mit den Zeitungen ab, mit den Kirchen, eigentlich mit allem und allen. Der geniale Quantenmechaniker, der „fast für den Nobelpreis nominiert“ wurde, gibt Kindern Schachunterricht gegen Geld, wobei die durchgehend dämlichen Kleinen zumindest beleidigt werden, wenn sie nicht gar das Schachbrett an den Kopf bekommen. Das Genie Boris ist mit vielem gesegnet, nur nicht mit Charme.

So könnte das schöne Leben von Boris weitergehen, wäre nicht irgendwann Melody in sein Leben gestolpert. Die ziemlich einfältige, sehr junge Ausreißerin vom Mississippi wird widerwillig für eine Nacht aufgenommen. Aus ein paar Tagen wird ein Monat, die Absteige von Boris sieht immer besser aus und dann verliebt sich Melody sogar in den alten Mann, der eher als ihr Opa, denn als ihr Vater durchgeht. Boris interessiert das alles nicht, doch immerhin wird das Mädchen in seinen Augen immer schöner: Auf einer Skala von 1-10 entwickelt sie sich von einer 5, gebadet vielleicht 6, zu einer 10 und dann heiraten sie schließlich. Getreu dem Motto: Whatever Works - Jeder, wie er lustig ist!

Das alles ist reichlich kurios und mit guten Schauspielern sehr schön witzig präsentiert. Doch jetzt legt das Skript des 74-jährigen Woody Allen, das 30 Jahre verschollen war, erst richtig los: Melodys Mutter taucht auf, wandelt sich rasant von einer reaktionären Hinterwäldlerin zu einer New Yorker Aktfotografin, die mit Leo, seinem Freund und den Freunden seines Freundes ins Bett geht, genüsslich Heisenbergs Unschärfe-Relation auf Sex zu dritt überträgt. Woody Allen stellt nun wirklich alles auf den Kopf nur der alte Misanthrop Boris bleibt sich treu und allein. Bis er zum zweiten Mal aus dem Fenster springt....

Der alte Allen trumpft mit „Whatever works“ verrückt und frech auf, legt wieder ein Meisterstückchen hin. Die Scherze und Sätze sind vielleicht nicht ganz so geschliffen. Da klopft Beethovens Fünfte tatsächlich als Schicksal an die Tür und ein hoher IQ wird mit einem tief eingeschnittenen Kleid gepaart. Viagra-Scherze und Pygmalion-Verweise dürfen nicht ausbleiben, auch wenn Dummchen Melody nichts versteht. Doch vor allem und trotz aller Ankündigungen ist „Whatever works“ der freundlichste und gütigste Woody Allen seit langem. Allen und Boris, für beide gilt: Ein liebenswerter (und genialer) Misanthrop.