31.7.09

Tropa de Elite


Brasilien 2007 (Tropa de Elite) Regie: José Padilha mit Wagner Moura, André Ramiro, Caio Junqueira, Milhem Cortaz 115 Min. FSK ab 18

„Ehrlichkeit gibt es nicht. Gehen ehrliche Polizisten in die Slums, geht die Scheiße erst richtig los!“ Der Ton ist mit diesem Off-Kommentar gesetzt. Die paramilitärische BOPE-Truppe (Batalhão de Operações Policiais Especiais) dringt mit ihren schwarzen Uniformen in die Favelas von Rio De Janeiro ein, um die Drogenhändler zu bekämpfen. Die Situation ist dank der undurchschaubaren Korruptions-Landschaft kompliziert genug. Die Polizei ist hauptsächlich damit beschäftigt, sich gegenseitig Schutzgelder abzuluchsen. Jetzt - wir schreiben das Jahr 1997 - kommt auch noch der Papst zu Besuch und möchte unbedingt bei einem befreundeten Bischoff in der Nähe von Slums übernachten. Damit er nicht durch die allgegenwärtigen Schießereien gestört wird, müssen die Soldaten von BOPE im Rahmen der „Operation Heiligkeit“ die Favelas durchkämen und alle Waffen einsammeln. Ein wahnsinniges Himmelfahrts-Kommando. Mitten drin steckt der junge Capitão Nascimento (Wagner Moura). Er wird bald Vater und immer öfter packen ihn im Einsatz Angstattacken. Deshalb schaut sich der frustrierte Aussteiger unter zwei idealistischen Neulingen einen Nachfolger für aus.

Das ist der grobe Rahmen dieses heftigen und düsteren Einblicks in die Kriegs- und Krisen-Gebieten der brasilianischen Großstadt Rio. Die Geschichte eines gefallenen Engels, von der Verführung durch Gewalt und Macht, könnte von Scorsese sein und würde dann in New York spielen. Aber diese Favelas sind doch mehr brutale Realität als brutale Filmwelt. Es ist unglaublich absurd, wie sich die Polizisten gegenseitig beim Abkassieren beklauen. Wie man den zuständigen Kollegen selbst für ein Urlaubsformular bestechen muss. Wie Ersatzteile der Polizeiwagen unter der Hand verkauft werden. Und wie man Nächtens Leichen verlagert, damit ein anderer Bezirk die schmutzige Arbeit erledigen muss.

Parallel flicht der Regisseur José Padilha seine philosophische Ausgangsbasis ein: Der dunkelhäutige André Matias (André Ramiro), einer der Kandidaten für den BOPE, studiert nebenbei Jura. Michel Foucaults „Überwachen und Strafen“ führt zu heftigen Diskussionen über Polizei-Korruption und -Gewalt. Ein deutlicher Denkanstoß, denn Padilha glorifiziert keineswegs diese Spezialtruppe, die foltert, selbstherrlich richtet, mordet und schon in der Ausbildung faschistische Züge zeigt. Das Totenkopf-Logo, das auch vom Erzähler Nascimento mit so viel Stolz getragen wird, weckt Erinnerungen an die SS. Ein Trick des Films ist es, die Perspektive des zwiespältigen Gesetzeshüters einzunehmen. Er verachtet die Reichen, die Studenten, die Kiffer und die naiven Helfer von NGOs. Es scheint, nur BOPE kann noch für Ordnung sorgen. Und auch wenn die Ausbildungsroutine der Neulinge nach fast neunzig sehr intensiven Minuten dramaturgisch nicht ganz geschickt platziert wurde, auch wenn das Gerede im Off zu Wiederholungen neigt, erweist sich das teuflische Geschick mit welcher der Seelenfänger Nascimento das Wesen seines Nachfolgers deformiert, als ungemein reizvoll. Es gibt einige sehr wilde Schießereien in den ungemein dicht bevölkerten Slums, aber es passiert auch eine Menge in den zentralen Figuren. So scheitert der werdende Familienvater und erweist sich bei Druck als rücksichtsloser, egoistischer Macho.

Interessant gelöst ist die Synchronisation, die nur Nascimentos Gedanken übersetzt und die Handlung mit Untertiteln versorgt. (Diese fallen allerdings einige Male in unlesbarem Weiß auf Weiß zu billig aus.)

„Tropa de Elite“ gewann übrigens im Februar 2008 den Goldenen Bären der Berlinale und kommt erst jetzt in die Kinos. Man muss sich schon Gedanken über die gerade wieder so erfolgreiche deutsche Kinolandschaft machen, wenn gute Filme nach so einer Auszeichnung und nach einem sensationellen Kassenerfolg in Brasilien extrem spät in die Kinos kommen.

28.7.09

Immer wenn er Pillen nahm DVD


USA 1967

„Tankwart Stanley Beamish war der Einzige im Land. Stanley, ein zarter und schwacher Gnom, die Pille machte ihn zum Phantom. Er konnte wie ein Adler fliegen und jeden Bösewicht besiegen. Denn seine große Stunde kam - immer wenn er Pillen nahm." So reimt es schön rumpelig im nach Pink Panther-Manier gezeichneten Vorspann der Kult-Serie, die 1970 im ZDF mit insgesamt 13 Folgen lief. Dieser herrliche Studioklamauk aus den USA erreichte sagenhafte Zuschauerzahlen und der deutsche Titel wurde zur Redewendung.

Nun gibt es alle 17 Folgen der frühen Superhelden-Parodie (als damalige Antwort auf Batman) auf zwei DVDs. Stanley Beamish, die allerletzte Rettung des Geheimdienstes, macht immer wieder den Flattermann, wenn nicht die Pillenwirkung gerade mitten im Flug abläuft. Das Original irritiert etwas mit nervigen, nur hier eingespielten Lachern, dafür wartet die Synchro mit schön altmodischen Worten wie „stiekum“ auf. Und man kann beim wahnsinnigen Messer-Killer der zweiten Folge die Zensur der Synchronisation nachhören: Denn selbst im Original namens „Mr. Terrific“ mordete der Messerwerfer schon im Grunewald auf Deutsch. Produziert wurde der Doping-Klassiker vom Horror-Routinier Jack Arnold („Tarantula“).

Erzähl mir was vom Regen


Frankreich 2008 (Parlez-moi de la pluie) Regie: Agnès Jaoui mit Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri, Pascale Arbillot, Florence Loiret, Jamel Debbouze 110 Min.

Die erfolgreiche feministische Autorin Agathe Villanova (Agnès Jaoui) will in die Politik. Ihr Wahlkreis ist ihr alter Heimatort und so gibt es in Südfrankreich ein Wiedersehen mit der Schwester Florence (Pascale Arbillot). Aber auch der abgehalfterte Fernsehregisseur Michel (Jean-Pierre Bacri) taucht auf - er will einen Bericht über die Kandidatin drehen, wobei sein engagierter Assistent Karim (Jamel Debbouze) auch Sohn der nordafrikanischen Haushälterin von Agathe und Florence ist.

Zusammengefasst, also verkürzt, geht es um Masken, die fallen, um den Gegensatz von Agathes politischen Phrasen und ihrem tatsächlichen Verhalten etwa gegenüber Karims Mutter. Für die erfolgreiche Frau aus Paris ist ihr Handy der beste Freund, sie schaut eher aufs Display als ihrem Gegenüber in die Augen. Auch der verlogene Regisseur Michel interessiert sich nie wirklich, freut sich kaum verhohlen, dass sein pubertierender Sohn nach kürzester Zeit wieder von ihm weg will. So hat er Zeit, für seine Affäre mit der unglücklichen Florence. Im Reigen der Personen sucht nur Karim ein ehrliches Porträt. Der Kellner im Hauptberuf stellt bei den Interviews bohrend direkte Fragen. Doch der Profi Michel sabotiert mit seiner schlampigen Arbeitshaltung das Engagement des jungen Kollegen. Während eine Herde Schafe wunderbar im Chor blökt als Antwort auf die politischen Aussagen Agathes, verharrt die Kamera ohne Batterien.

„Erzähl mir was vom Regen“ ist aber ist immer mehr als dieser reine Ablauf. Da sind die auffällig ausgewählten Bildkompositionen, die überdramatisierende, scheinbar unpassende Musik von Händel, Schubert, Vivaldi, Nina Simone oder George Brassens (aus dessen Chansons der Titel stammt). Es ist ein eigentümlicher Reigen von Menschen, die man mitten im Leben und doch distanziert durch das Brennglas der Kunst betrachtet. Agathe und Michel finden sich einmal im amüsierten Spiel mit Ameisen, die sie leicht hin und her schieben können. Agathe wird gespielt von der erfolgreichen, nicht feministischen, aber sehr eigenwilligen Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Agnès Jaoui. Von ihr stammt die grandiose Komödie „Lust auf Anderes“ (2000), für die sie den Europäischen Filmpreis für das beste Buch erhielt. Ebenso 2004 für „Schau mich an!“. Den überforderten Regisseur Michel gibt ihr Lebenspartner, Schauspieler und Ko-Autor Jean-Pierre Bacri (Hauptrolle in „Lust auf Anderes“, „Das Leben ist ein Chanson“ 1997). Eine sehr persönliche Geschichte also auf jeden Fall und ein leichtes Sommerfilmchen auf keinen Fall.

27.7.09

Mitte Ende August


BRD 2008 (Mitte Ende August) Regie: Sebastian Schipper mit Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke, Gert Voss 93 Min.

Die gemeinsame Wohnung - ein großer Schritt. Das eigene Haus - ein Abenteuer. Vor allem für diese beiden Vertreter der Generation, die es der Werbung immer noch nicht glaubt, dass Miete zahlen furchtbar spießig sein soll. Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) sitzen giggelnd beim Notar, die halbwegs schicken Klamotten sehen mehr nach Verkleidung als nach würdigem Moment aus. Die eigentliche Party geht dann auch erst draußen los, bei Häuschen im Grünen. Es gilt einen Sommer zu erobern, sich vier Wände und ein Dach und noch eine Etage anzueignen, dabei aber das eigentliche Projekt „Beziehung“ nicht aus den Augen zu verlieren.

Das erste Aufwachen noch in der Stadt, das die Kamera von Frank Blau wie mit vom Schlaf verklebten Augenliedern zeigt. Entspannter, unverstellter Alltag beim gemeinsamen Zähneputzen, eine Liebeserklärung, die unter die Gürtellinie geht. Das ist voll im Leben, das glaubt man auch der Marie Bäumer, die, wenn man nicht gesehen hat, wie „Der alte Affe Angst“ ihr im Nacken saß, als zu schön oder zu albern („Der Schuh des Manitu“) fürs Kino verkannt wird. Nun erschrickt man mitfühlend, als Thomas ohne viel nachzudenken einen Vorschlaghammer in die Wand versenkt und die Pole dieser Verbindung deutlich werden. Der Mann ist unreifer, verrückter. Die Frau muss manchmal Mutter spielen, sich für beide zusammenreißen. Und sehnt schon eine Ruhe herbei: „Vielleicht ist irgendwann die Zeit gekommen, wo wir nicht mehr immer überall hinlaufen müssen, um zu wissen, wie es da ist.“

Wieder spontan lädt Thomas seinen älteren Bruder Friedrich (André Hennicke) ins Haus ein. Eigentlich wollte man doch unter sich bleiben. Aber der Friedrich hat Job und Frau und Haus verloren, nun gut, soll er halt kommen. Dann aber auch Hannas Patenkind Augustine (Anna Brüggemann). Und Mitte, Ende August, wenn der Sommer so richtig heiß ist und die Nächte nicht viel Schlaf zulassen, wird die Beziehungs-Chemie durch die beiden neuen Elemente auf eine schwere Probe gestellt.

Jetzt, wenn man mittendrin ist im sommerlichen Abenteuer eines jungen Paares, wenn man den ersten Joint mit ihnen geraucht hat, wenn die vier beim Lagerfeuer vor dem Haus Ideals „Blaue Augen“ gesungen und bei Selbstversuch mit Tetrapack-Rotwein sich fast blind getrunken haben, dürfen dann auch die Erläuterungen und Anmerkungen zur Vorlage folgen: Die Versuchsanordnung stammt von Goethe, merken tut es nicht mal unbedingt der, der die „Wahlverwandtschaften“ kennt. Beim Alten aus Weimar treten in feinst geschliffener Sprache die Anziehungs- und Abstoßungs-Kräfte der Beziehungselemente kristallklar aus dem Drama eines adeligen Paares hervor und die Umgestaltungen des Landsitzes spiegeln die Entwicklungen. Die moderne Variante des jungen Regisseurs aus Hannover wirkt wie beiläufig aus der Hand gefilmt, ist in den vorgeführten Gefühlen jedoch ungeheuer präzise und mitreißend. Der See spielt in beiden seine dramatische Rolle, das Ende ist bei Schipper eher erreicht, aber offen. Nach „Ein Freund von mir“ (2006) und
„Absolute Giganten“ (1999) gelang Sebastian Schipper ein leichtes, kluges, reifes und packendes Meisterwerk des Gefühlsaustausches und der Beziehungsenttäuschung. Die starke, schwere Musik von Vic Chesnutt setzt dem Kunststück ein i-Tüpfelchen auf.

Selbst ist die Braut


USA 2009 (The Proposal) Regie: Anne Fletcher mit Ryan Reynolds, Sandra Bullock, Malin Akerman 108 Min. FSK o.A.

Jetzt an Doris Day zu erinnern, ist vielleicht weit hergeholt, aber Sandra Bullock - auch allseits beliebt und erfolgreich - entwickelt vor allem in Komödien eine Überzeugungskraft, die selbst schwächere Filme tragen kann. „Selbst ist die Braut“ heißt ihr neues Projekt, in dem sie sich erneut selbst eher tollpatschig produziert, und der in den USA sehr gut Kasse machte.

Man nennt sie, Es“, „The Witch“ (Hexe) und Satans Gespielin. Margaret Tate (Sandra Bullock) ist als Verlags-Chefin allseits unbeliebt und gefürchtet. Dieser Teufel trägt nicht Prada, aber ein ebenso tödlich kaltes Lächeln wie Meryl Streep.  Das Helferlein im Vorzimmer bei Margaret ist männlich, ansonsten legt aber auch Andrew Paxton (Ryan Reynolds) jedes persönliche Bedürfnis zur Seite, um seiner Herrin behilflich zu sein. Das geht so weit, dass der junge Mann genau die gleiche Vanille-Kaffee-Mischung wie sie trinkt, damit er Ersatz hat, falls mal eine verschüttet wird. Für das sehr, sehr eifriges Sekretärchen brechen jedoch bald andere Zeiten an. Denn Workaholic Margaret hat irgendwie vergessen, dass sie immer noch Kanadierin ist und keine Aufenthaltsgenehmigung hat. Diese Kleinigkeit droht plötzlich mit unwiderruflichem Rauswurf aus den USA. Nun soll Andrew für eine Scheinehe herhalten. Doch er wollte sich die Hochzeit eigentlich für die Richtige aufsparen und der scharfe Hund von der Einwanderungsbehörde will keineswegs beide Augen zudrücken...

Die Knallharte, die Gnadenlose, die verwöhnte Zicke muss jetzt tatsächlich auf die Knie, um ihn zur Heirat zu bewegen. Hier lässt sich auskosten, wie Sandra Bullock immer wieder in der Lage ist, sich selber auf den Arm zu nehmen. Auch Ryan Reynolds punktet, wenn sein Andrew die Oberhand bekommt und dies grinsend genießt und sie mit Kosenamen überschwemmt.

Auf einer erzwungenen Reise zu seiner Familie nach Alaska muss sie ihre Koffer selber tragen und erkennen, dass ihr Bürogehilfe hier eine Art Kennedy darstellt. Seiner Familie gehört alles im Dorf und in der Umgebung. Die schmerzlichere Erkenntnis für die harte Frau, die alleine aufwuchs, sind die zahlreichen Familienbande des zukünftigen Schein-Ehepartners. Die vorgetäuschte Beziehung trifft auf ein vielfältiges, mal nerviges, mal rührendes, mal schwieriges, mal hilfreiches Leben. Nun könnte der Film pur kitschig werden, doch nicht allein beim von der Familie erzwungenen ersten Kuss passiert etwas Unerwartetes.

„Selbst ist die Braut“ und Sandra Bullock sehr komisch! Wie die Zicke Margaret den Familien-Köter vor einem Adler rettet und dann, als der Adler ihr Mobiltelefon schnappt, versucht, Hund gegen Handy zu tauschen, stellt einen Slapstick-Leckerbissen dar. Noch sicherer inszenierte Anne Fletcher ("27 Dresses") die vor-romantischen Kabbeleien des zukünftigen Paares und auch die Beziehungen zwischen allen Beteiligten. Nicht alles gelang, auch diese Film-Braut bleibt amerikanisch prüde, wenn es um Körperlichkeit und Nacktheit geht - das ist nicht komisch, nicht mal albern. Bei all dem muss dieses Konzept selbstverständlich einige Sentimentalitäten und rührige Vorlagen zum Mitfühlen und -Bangen einbauen. Doch auch das gelingt, vor allem Dank Sandra Bullock, der man die einfach begründete Charakterwende gerne abnimmt: Es gibt doch echte Gefühle im markt-geschneiderten Romantik-Spaß...

Fanboys


USA 2008 (Fanboys) Regie: Kyle Newman mit Sam Huntington, Christopher Marquette, Dan Fogler, Jay Baruchel, Kristen Bell 93 Min. FSK: ab 12

Das Meer sehen! Das war der letzte Wunsch der todkranken Martin (Til Schweiger) und Rudi (Jan Josef Liefers) in „Knockin’ on Heaven’s Door“. In „Bucket List“ (Das Beste kommt zum Schluss) hat der ebenfalls krebskranke Carter (Morgan Freeman) eine letzte Liste von Sachen, die er noch erleben möchte: Rom, Hong Kong, den Louvre und die Chinesische Mauer sehen. Fallschirmspringen, Tränen lachen... Das Sehen der „Episode 1“ von „Star Wars“ steht nicht auf dieser Liste und würde auch unpassend banal wirken.

Genau dies setzt aber der Film „Fanboys“ in diese Formel ein, die immer wieder zu rührseligen, aber auch tiefsinnigen Filmen führte. Diesmal sind es vier „Star Wars“-Fans, die lange vor der Premiere den Teil 1 sehen wollen, der ja 1998, 15 lange Warte-Jahre nach den Teilen 4-6 erschien. Linus ist an Krebs erkrankt, wird die Premiere wahrscheinlich nicht mehr erleben, deshalb wollen die ehemaligen Freunde in die Skywalker Ranch einbrechen, das legendäre Studio von Star Wars-Guru George Lucas, wo der fertige Film liegt. Die Reise wird eine ziemliche Pleite, weil die „Fanboys“ zwar alles über die Film-Trilogie wissen, aber nichts, absolut gar nichts vom Leben. Nur Eric hat sich von den Träumen eines Comic-Zeichners verabschiedet und ganz erwachsen einen Job im Autohaus des Vaters übernommen. Das hirnrissige Abenteuer soll auch Eric und Linus wieder zusammenbringen.

„Fanboys“ langweilen unendlich mit den üblichen „Abenteuern“ infantiler Amerikaner. Diesem Stereotyp einer schwer erklärlichen Serie von Erfolgfilmen wurde die „Persönlichkeit“ von Film-Fans übergezogen, doch wer nicht selber Ewigkeiten über irgendwelche Details in „Star Wars“ diskutieren kann, wird die Figuren und den Film nicht verstehen. Die „Helden“ balgen sich mit „Star Trek“-Fans, das muss scheinbar so sein, und der krebskranke Linus sprintet quicklebendig nahezu die ganze Zeit beschwerdefrei durch die Handlung. Selbst die Cameo-Auftritte von Carrie Fisher (Prinzessin Leia), , William Shatner (Kirk) sowie Kevin Smith und Jason Mewes („Clerks“) wirken unlustig wie lustlos. Am Ende beweisen die „Fanboys“ ihr wahres Fantum damit, dass sie alle alles über Star Wars wissen, aber vor allem noch Jungfrauen sind! Genau so muss man feststellen, der Film hat keine Ahnung vom Leben (und Sterben). Die Belanglosigkeiten, die übrigbleiben, langweilen oder ärgern.

22.7.09

Salami Aleikum


BRD 2008 (Salami Aleikum) Regie: Ali Samadi Ahadi mit Wolfgang Stumph, Anna Böger, Navid Akhavan, Proschat Madani 106 Min. FSK o.A.

Was passiert, wenn der verstört strickende Sohn eines persischen Schlachters aus Köln auf die durch Doping mutierte Kugelstoßerin aus dem Osten trifft? Oder noch schlimmer: Auf ihre fremden- und Wessi-feindlichen Eltern? Komödie und Liebe brechen heftigst Hand in Hand aus, der Film steht Kopf und der Spaß ist garantiert. Mit den unwahrscheinlichsten Zutaten legt Ali Samadi Ahadi mit „Salami Aleikum“ einen humoristischen Volltreffer hin.

Wenn Mohsen Taheri (Navid Akhavan) Probleme hat, strickt er. Und da der junge Kölner persischer Abstammung viele Probleme hat, ist seine Strickwurst sehr lang und aufschlussreich. Sie könnte davon erzählen, dass Mohsen nicht in die Fußstapfen des Vaters treten will und auf keinen Fall Tiere schlachten will. Irgendwie lässt das alles den unreifen Mann auf die Finte eines Gauners reinfallen, der ihm in Polen „re-importierte“ Schafe anbietet. In einer furchterregenden Stadt im Nahen Osten der ehemaligen DDR strandet Mohsen mit defektem Kleintransporter und überlebt nur so gerade seine Angst vor den scheinbar allgegenwärtigen Neonazis. Doch die wirkliche Überraschung ist eine Frau, die ihn ganz wortwörtlich auf Händen trägt, die hünenhafte Mechanikerin Ana Bergheim (Anna Böger) mit ihren ausgesprochen ungastlichen Eltern, die vom Beruf Gastwirte sind. Das alles kann nur noch konfuser werden, wenn nun noch Mohsens persische Eltern anrücken...

Das kurz zusammen geraffte, im Film mit exzellentem Timing inszenierte Chaos wird erst richtig gut durch die wilde Vielfalt an Stilen, die sich Regisseur Ali Samadi Ahadi traut: „Salami Aleikum“ hat den Multikulti-Wortwitz von „Türkisch für Anfänger“, um direkt danach in eine Bollywood-Tanzeinlage mit Grillhähnchen, die im Hintergrund in die Schenkel klatschen, überzugehen. Ein Schenkelklatscher ist Mohsens Vater mit seiner Uniform aus den Schahzeiten und ein sehr exakt spielender Wolfgang Stumph legt darauf seine DDR-Uniform an. Im Zentrum umgarnt ein persisches Liedchen das sehr ungleiche Paar aus dem kleinen, ängstlichen Mohsen und der rabiaten Kugelstoßer-Frau, die innerlich schwer verletzt ist. Beide Elternpaare sind ebenso herrlich wie dieses ungleiche Herz der Komödie.

Dass zwischen den in Farbe und Bildgestaltung gelungen verfremdeten Aufnahmen echte und ernste Geschichten aus dem Osten aus dem Iran liegen, dass sich der Humor klug aus mehrfach gewendeten Vorurteilen speist, transportiert die treffsichere Komödie ganz unauffällig auf ihren fliegenden Teppichen mit. Schließlich geht es bei allen Menschen letztendlich immer um das Gleiche: Essen, Liebe und Strickwaren.

Kleine Tricks


Polen 2007 (Sztuczki) Regie und Buch Andrzej Jakimowski mit Damian Ul, Ewelina Walendziak, Rafal Guzniczak, Tomasz Sapryk, Iwona Fornalczyk, Joanna Liszowska 96 Min. FSK o.A.

Wie sehr kann man dem Glück nachhelfen? Das fragt der kleine Stefek (Damian Ul) seine fast erwachsene Schwester Elka (Ewelina Walendziak). Der wunderbar leichte und verspielte Sommer-Film antwortet: Das geht nicht ... oder vielleicht doch.

Auf dem Bahnhof eines kleinen polnischen Städtchens meint Elka in einem umsteigenden Fahrgast (Tomasz Sapryk) den gemeinsamen Vater zu erkennen, der vor vielen Jahren die Mutter für eine andere verlies. Nun setzt sich Stefek in den Kopf, Schicksal zu spielen, damit der vermeintliche Vater zurückkehrt und bleibt. Mal streut der Junge Münzen auf die Gleise, damit der Rangierer sie aufsammelt und der Zug, in den die Zielperson täglich zur Arbeit umsteigt,  länger steht. Der nächste Münzwurf geht fast böse schief, um dann doch sein Ziel zu erreichen.

Es sind keine Lausbubenstreiche, eher eigenwillige Versuche, zu verstehen, wie so alles funktioniert in dem Dorf. „Kleine Tricks“ erzählt in der Tradition des Ost-Kinos trocken und komisch vom polnischen Dorfleben in bräunlichen Farben. Völlig undramatisch, ohne in Pessimismus zu verfallen. Dabei spielt Regisseur Andrzej Jakimowski ebenso schelmisch wie sein kleiner Held mit Zufall und Schicksal. Die gutherzige Elka legt einen frischen Hamburger neben den Papierkorb, damit der stöbernde Obdachlose ihn findet. Zwar scheint es nicht zu klappen, weil ein Hundehalter den Leckerbissen an seinen Vierbeiner verfüttern will, doch dann passiert noch etwas Unerwartetes und die milde Gabe findet ihr Ziel - mit einer kleinen, bösen Pointe. Der Zufall möglicherweise? Kieslowski vielleicht? Denn bei Zügen und Münzen am Bahnhof steckt ganz deutlich der verstorbene polnische Regiemeister Krzysztof Kieslowski drin, wenn in kleinen, scheinbar belanglosen Alltagsszenen Schicksal und Zufall durchkonjugiert werden.

Elka, die für Stefek Mutter und Vater ist, hofft derweil auf einen besseren Job, lernt erfolgreich Italienisch - zum Erstaunen ihrer Kolleginnen in der Küche eines Tanzcafés. Sie flirtet harmlos mit dem Autobastler Jerzy (Rafal Guzniczak) und schaut mit großen, stillen Augen ins Leben. Während ihr beim Warten auf das Vorstellungsgespräch die Augen zufallen, erlaubt die langsam dahin treibende Handlung, dass man die Augen öffnet für die Schönheiten der zerfallenden Mietshäuser. Und entdeckt, dass sich hinter der unprätentiösen Fassade ein grandioser, wunderbarer Film versteckt.

Die Versuche den eigenen Vater mit kleinen Tricks und kleinen Wundern nach Hause zu bekommen, haben ganz viel eigenen Charme. Als wenn Jim Jarmusch ein Pole wäre und mit Kieslowski gut Wodka getrunken hätte. Das raffinierte Spiel mit dem Zufall macht mehr Spaß als all die vielen Multimillionen-Dollar-Clous Hollywoods und hat eine sehr entspannende Moral: Man kann es mit Glück versuchen, man kann es mit kleinen Tricks versuchen, das Leben für sich geradezubiegen. Letztendlich gehen alle Versuche schief und trotzdem wird alles gut.

19.7.09

Edge of Love


GB 2008 (The Edge of Love) Regie: John Maybury mit Cillian Murphy, Keira Knightley, Matthew Rhys, Sienna Miller 110 Min.

Mit spannender Besetzung (Cillian Murphy, Keira Knightley, Sienna Miller) verfilmte John Maybury nach dem eindrucksvollen Francis Bacon-Porträt „Love is the Devil“ nun erneut eine englische Künstler-Biographie. Der walisische Dichter Dylan Thomas spielt in „Edge of Love“ allerdings nicht eine ähnlich zentrale Rolle. Die unterschiedlichen Beziehungen von vier Menschen, die nur bürgerlich gesehen zwei Paare bilden, verändern sich in den Vierziger Jahren unter dem Terror des Zweiten Weltkrieges. Die biographisch verbürgte Episode eines eifersüchtigen Ehemannes, der Dylan Thomas mit Maschinengewehr und Handgranate angreift, bildet darin den Aufhänger.

Das Quiz-Wissen, dass der Pop-Barde Bob Dylan eigentlich Robert Zimmermann hieß und er sich nach dem walisischen Dichter Dylan Thomas nannte, wird für viele die größte Annäherung an den genialen Poeten bedeuten. Thomas (1914-1953) hatte selbst ein großes Interesse am Film, das dieser dem Dichter allerdings nicht dankte. Dies ist teils verständlich, weil bei aller Begeisterung für den einzigartigen Stil, seine schwer verständlichen Verse die völlige Aufmerksamkeit des Lesers oder Zuhörers verlangen. Doch Dylan Thomas schrieb auch „Rebecca's Daughters“, ein Drehbuch in Romanform, das 1992 mit Peter O’Toole verfilmt wurde. Und er wird sogar als Regisseur für die zwölfminütige Doku „These Are the Men“ geführt, die 1943 die faschistischen Kriegstreiber vorstellte. Allerdings hatte der Dichter selbst die Antwort auf eitles Erfolgsstreben, das die in Dylans Heimatstadt Swansea spielende Komödie „Twin Town“ spöttisch einblendet: „Ambition is Critical“.


Aber, um am Anfang anzufangen: „The Edge of Love“ trumpft gleich in den ersten Bildern mit einer schillernden Keira Knightley auf. Sie spielt die glamouröse Sängerin Vera Phillips, die im Dienste des Vaterlandes nun in den Londoner Untergrund-Tunneln, die als Luftschutzbunker dienen, die Stimmung hochhält. Eines Abends trifft Vera in einer Bar auf ihre Jugendliebe aus walisischen Zeiten, Dylan Thomas (Matthew Rhys), nun Trinker, Poet, Frauenheld und notorisch pleite. Das Wiedersehen wiederholt sich, eifersüchtig beobachtet von Dylans irischer Ehefrau Caitlin MacNamara (Sienna Miller), die auch Mutter seines Sohnes ist. Doch dann freunden sich die beiden Frauen an, eine offene, intensive Freundschaft auf der Basis einer Warnung: Lass die Finger von meinem Mann. Während die deutschen Bomben im „Blitz“ auf London fallen, ergibt sich Vera der Werbung des Captain William Killick (Cillian Murphy). Kurz vor dessen Abreise an die griechische Front heiraten sie, die Worte „Ich liebe dich“ traut sie sich jedoch nicht, verspricht sie für den Fall seiner Rückkehr.

Zurück in Wales, kümmern sich die beiden Frauen um ihre Kinder, auch ist Vera nun Mutter. Dylan und Caitlin zerfleischen sich durch die Affären, die beiden sich gegenseitig antun. Man friert und versinkt einsam in den eigenen Ängsten, Unsicherheiten, Zweifeln. Während Vera in der Trennung ihre Liebe zu William findet, findet er nach seiner Rückkehr nicht die Frau wieder, die er heiratete, die er liebte. Innerlich zerfressen von den Grauen des Krieges, reagiert er verbittert auf Vera und alle anderen, die nicht an der Front gekämpft haben. Vor allem Dylan, der völlig betrunken ausgemustert wurde, vereinigt in sich diese Verletzung und den Auslöser schmerzlicher Eifersucht. Zudem finanzierte Vera in Williams Abwesenheit den darbenden Poeten und dessen Sauferei mit dem Ersparten ihres Ehemannes. Eines abends kommt es zum dramatischen Ausbruch, bei dem William das dünnwandige Haus von Dylan mit seinem Maschinengewehr durchlöchert....

„The Edge of Love“ ist kein einfaches Drama, keine singuläre Verfehlung, kein simpler Konflikt. Es ist eine Zerfasserung von Gefühlen, Hoffnungen und Freuden, die im Bombenregen noch aufblitzten, aber später in Wales fern wie aus einem anderen Leben erscheinen. Hier sind die Familien nur fadenscheinige Fassaden im kühlen Wind. Lange scheint es, als sei darin Dylan Thomas, der selbstverliebte Lebemann, der wie ein kleiner Junge einer verflossenen Liebe nachhängt, eher eine Randfigur. Doch im Gerichtsverfahren gegen William wird die Jugendliebe von Thomas wieder eine Rolle spielen, man könnte das alles nur als eine Episode in dieser langen Geschichte sehen. Doch die Struktur von Regisseur Maybury lässt bewusst viele Geschichten zwischen den Figuren laufen ohne sich nur auf eine einzige zu fixieren. Weder auf eine Geschichte noch auf eine Liebe.

Ästhetisch enthebt Maybury sowohl Gesichter als auch einzelne Szenen immer wieder der grauen Kriegsrealität. Überstrahlte Farben einer Liebesnacht werden weich gezeichnet und gebrochen im Spiegelkabinett der Schranktüren. Der Titel des Films taucht immer mal wieder als Schriftzug auf Gardinen und anderen Stellen im Film auf. Ebenso erklingen ein paar Original-Sätze von Dylan Thomas, ein paar Zeilen seiner Poesie.

Dass die Liebe von Dylan Thomas zum Film bislang keine populäre Erwiderung fand, könnte sich mit „The Edge of Love“, mit dieser amouröse Episode aus seinem Leben ändern, die einerseits Literaten interessieren sollte, aber auch all jene fesseln kann, die bei Leben, Liebe und Film mehr als Standard-Formeln und klassische Dramaturgie erwarten. Und bald wird eine britische Produktion mit dem Titel „Dylan“ nachsetzen, die teilweise auf Dylans Erinnerungen "Under Milk Wood" (Unter dem Milchwald) basiert, sich allerdings noch in Produktion befindet. Doch all diese Filme haben mit dem stärksten Pfund auch das größte Problem: Sie werden gemessen an der gewaltigen Macht der Worte des Dichters, mit denen auch der Film endet:

Not for the proud man apart
From the raging moon I write
On these spindrift pages
Not for the towering dead
With their nightingales and psalms
But for the lovers, their arms
Round the griefs of the ages.

Hangover


USA 2009 (Hangover) Regie: Todd Phillips mit Bradley Cooper, Ed Helms, Zach Galifianakis 100 Min.

„Roadtrip“ schreit der reichlich unreife Alan (Zach Galifianakis)! Er steht in dem edlen Limousinen-Cabrio, lässt sich den Highway-Wind durch den zauseligen Bart wehen. Und tatsächlich scheint der Trip von vier eher schlechten als rechten Freunden nach Las Vegas nur eine weitere, etwas ältere, aber keineswegs reifere Variante von Roadtrip- und American Pie-Filmen zu werden. Circa eine halbe Stunde lang hält sich diese Befürchtung bei lahmer Entwicklung. Doch dann fällt dem Film etwas ein, indem er zwölf Stunden vergisst und den Morgen nach der Junggesellenparty als gigantisches Chaos präsentiert.

Da haben die Jungs nicht nur Huhn, Aufblasfrau und -Schweinchen in der Suite, sondern auch noch einen Tiger im Bad. Von den vier enormen Katern in den Köpfen ganz zu schweigen. Zwar liegt keine Leiche in der Wanne wie in "Very Bad Things", aber dem Zahnarzt Stu (Ed Helms) fehlt ein Zahn, ein Baby quiekt in der Garderobe und das Auto, das sie beim Valet-Parking zurück  bekommen, ist ein Polizeiwagen. Den brauchen die drei auch dringend, denn irgendwann fällt ihnen auf, dass ausgerechnet der Bräutigam Doug (Justin Bartha) fehlt. Nur seine Matratze findet sich auf dem Kopf von Cäsars Statue hoch oben auf dem Fries von Cesars Palace.

Die Party-Tiere haben ein paar Pillen geschluckt, ohne zu Risiken und Nebenwirkungen ihren Arzt oder illegalen Apotheker zu befragen. So müssen sie Quittungen und Sonstiges in ihren Hosentaschen checken, um rauszubekommen, was passiert ist. Zu den weiteren Überraschungen zählen eine Heirat und ein nackter Japaner im Kofferraum. Recht flott lösen Überraschungen und Tiefschläge einander ab, letztere gibt es unter anderem von Ex-Boxer Mike Tyson.

Dieser „Hangover“ (engl. für „Kater“) erinnert an die kleinen Rätselgeschichten in der Art: „Liegt ein Toter in einer Telefonzelle …“ Da die Autoren Jon Lucas und Scott Moore ein reichlich umfangreiches Schlachtfeld unerklärlicher Spuren präsentieren, bleibt dem Rest des Films ein recht unterhaltsames Maß an schrägen Situationen und Überraschungen. Selbstverständlich unterbrochen von den obligatorischen Anrufen bei den Liebsten daheim.

Vor allem Zahnarzt Stu steht völlig unter dem Pantoffel und muss seiner herrischen Freundin vorspiegeln, er sei auf einem kulturell hochwertigen Wein-Trip in Napa Valley. Ihm wird nicht nur ein Zahn gezogen, er wird die größte Entwicklung erleben. Denn darum geht es neben dem sehr humorigen Aufklären der zwölf verlorenen Stunden vor allem: Die Animositäten und Aggressionen auf der Hinfahrt, die unterschiedlichen Vorstellungen von Spaß und Freundschaft sind bald vergessen. Ohne dass es zu offensichtlich herausgestellt wird, schweißt das Wochenende die vier unterschiedliche Typen zusammen. Diese Männergeschichte von echter Freundschaft hat man schon mal psychologisch sorgfältiger gesehen, aber der Spaß bleibt bei der flotten Story mit den witzigen Dialogen und glaubwürdigen Schauspielern nicht auf der Strecke.

16.7.09

Unter Bauern - Premiere in Locarno


Locarno/Düsseldorf. Westfalen liegt am Fuße der Alpen. Zumindest bei der Weltpremiere des lang erwarteten Films „Unter Bauern“ auf der Piazza Grande beim 62. Internationalen Filmfestival von Locarno (5. bis 15. August). Es ist die Verfilmung der Erinnerungen von Marga Spiegel. Unter dem Titel „Retter in der Nacht“ erzählte die Tante von Paul Spiegel, dem verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden, von ihrer Flucht vor den Nazis. Um der drohenden Deportation zu entgehen, verließ sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter 1943 ihren damaligen Wohnort Ahlen/ Westfalen und floh aufs Land, wo sie von Bauernfamilien versteckt wurden und so den Krieg überlebten. Die Namen ihrer Retter sind heute in Yad Vashem, der Gedenkstätte des Staates Israel, verewigt.

Veronica Ferres, Armin Rohde, Margarita Broich, Lia Hoensbroech und Martin Horn spielen die Hauptrollen in der Produktion der Kölner Pandora und der Dortmunder 3L Filmproduktion. Gedreht wurde das von der Filmstiftung NRW geförderte historische Drama unter anderem in Billerbeck, Dülmen und Oer-Erkenschwick.

Neben „Unter Bauern“ werden noch zwei weitere Filme ihre Premiere auf der Piazza Grande feiern, „Same same but different“ von Detlev Buck, und „Die zwei Pferde des Dschingis Khan“ von Byambasuren Davaa („Die Geschichte vom weinenden Kamel“). Auch im Wettbewerb zeugen zwei deutsch-internationale Koproduktionen von der gewohnt starken Präsenz der nördlichen Nachbarn im Tessin. Im Rahmenprogramm wird „Manga Impact“, eine große Retrospektive zum Thema Manga und Anime für Aufsehen sorgen. (ghj)

12.7.09

Birdwatchers - Das Land der roten Menschen


Brasilien, Italien 2008 (Birdwatchers - La Terra Degli Uomini Rossi) Regie: Marco Bechis mit Abrísio da Silva Pedro, Alicélia Batista Cabreira, Ambrósio Vilhalva 108 Min.

Ein Kanu voller Touristen treibt zwischen dicht bewaldeten Ufern im brasilianischen Staat Mato Grosso do Sul. Als plötzlich Eingeborene im Gebüsch auftauchen, werden die Fotoapparate gezückt. Dann fliegen Pfeile, die „Birdwatchers“ (die Vogelgucker) ergreifen panisch die Flucht. Kurz darauf werden die gar nicht mehr so exotischen Ureinwohner für diese Showeinlage von der Chefin des Reiseunternehmens ausgezahlt. Die Eröffnungsszene führt eine Souveränität der Guarani-Kaiowa-Indianer vor, die nicht wirklich vorhanden ist: Denn danach kehren sie zu einem schmalen Streifen zwischen fruchtbarem Acker und Straße zurück. Ihr einstiges, nun enteignetes Land dürfen sie nicht überqueren, obwohl sie am Fluss hinter dem Wald Wasser holen müssen. Und die Selbstmörder von den Bäumen abhängen müssen, die das triste Leben im Reservat nicht mehr ertragen haben. Irgendwann reicht es dem Anführer Nadio, er nimmt sich die Plastikplane, die seiner Familie das Dach über dem Kopf ist und siedelt mit Unterstützung des Schamanen nach altem Brauch an einer menschwürdigeren Stelle. Damit beginnt ein Krieg zwischen den Indianern und dem Großgrundbesitzer, der nicht weit entfernt in seiner Luxusvilla lebt. Mit staatlicher und illegaler Gewalt, mit Luftangriffen durch hochgiftige Pflanzenschutzmittel und nächtlichen Mördertrupps versucht der weiße Brasilianer den Status Quo zu verteidigen.

Gleichzeitig lernen sich Osvaldo, der junge Lehrling des Schamanen, und eine rebellische Tochter des Großgrundbesitzers kennen. Abseits der Frontlinie entwickelt sich eine schöne Romanze, die beide Welten mit Neugierde zusammenführt und die Feindbilder sanft und spaßig entzerrt. Doch letztlich hat diese Liebe keine Zukunft.

Es ist nicht die Geschichte, die Dritte-Welt-Kreise und den „Birdwatchers“ des Unrechts viel Material liefert, die den grandiosen Film von Marco Bechis so sehenswert macht. Auch die Verlogenheit der Gutmenschen, die entblößt wird, ist nicht das Stärkste der italienisch-brasilianischen Koproduktion, die 2008 in Venedig lief. Naturverbundenheit, die eigene Welt der Indianer, ja sogar deren religiöse Sphäre vermitteln nicht Erklärungen sondern sehr eindrucksvolle Bilder. Flugaufnahmen der roten Erde, das Eintauchen in die Wälder und den Fluss vermitteln eine Kraft, die trotz der hoffnungslosen Situation wirkt.

Harry Potter und der Halbblutprinz


USA 2009 (Harry Potter And The Half-Blood Prince) Regie: David Yates mit Daniel Radcliffe, Emma Watson, Rupert Grint, Jim Broadbent, Tom Felton, Helena Bonham Carter 153 Min. FSK ab 12

Harry Potter und seine Freunde von der Zauberschule sind im sechsten Teil der Geschichte nun Teenager, die mit der Liebe auch die Eifersucht erstmals erleben. Ginny probiert mit dem Falschen rum, bevor sie sich zu Harry (Daniel Radcliffe) traut. Ron Weasley (Rupert Grint) lässt sich von der Falschen umschwärmen, was Hermione Granger (Emma Watson), die ihn wirklich liebt, schwer trifft. Aber sie alle leben immer noch in einem Kinderbuch ohne Aids, Drogen oder Wirtschaftskrise. Das Böse ist in der Form von Voldemort und seinen Todessern zwar vorhanden, bleibt jedoch weitestgehend märchenhaft. Auch wenn es große Teile des Films dunkel färbt, auch wenn die Bedrohung sogar in der Muggelwelt für Zerstörung sorgt. Die zentrale Geschichte vom Kampf zwischen Gut und Böse unterbrechen immer wieder Humoreinlagen, meist auf Kosten von Ron, den diesmal ein Liebestrank verwirrt. Wenn sich vorherige Potter-Teile durchaus als Spiegel der Welt außerhalb des Kinos interpretieren ließen, sieht man hier nur kurz einen Sack über den Kopf eines Gefangenen wie in Guantanamo. Ansonsten beschäftigen sich die Zauberlehrlinge eher mit hausgemachten Problemen. Die Idee von J.K. Rowling, dass die Leser und Zuschauer von „Harry Potter“ im Laufe der Romanfolge mit dem Helden mitwachsen, geht nicht ganz auf.

Nur Doping gibt es beim traditionellen Quidditch-Spiel, und Betrug bei Schulprüfungen. Wenigstens eine Ahnung vom wahren Leben und ein Morallektion, die sich als Thema durch den Film zieht. Darf ich mit einem Zaubertrank den Sieg sichern? Darf ich mit einem Spickzettel zur Prüfung? Und es wie ist, der Verführung von Macht zu verfallen, spielt der Film an drei Figuren durch: Der neue, Promi-geile Lehrer Horace Slughorn (Jim Broadbent), der desorientierte Schüler Draco Malfoy (Tom Felton) und schließlich Harry Potter selbst. Hier sind Entscheidungen zu fällen, hier zeichnet die Geschichte wenigstens im Ansatz einen spannenden inneren Konflikt. Potter durchspielt allerdings diese Verführung nur oberflächlich. Er muss schließlich reiner Held sein, denn trotz allen Erfolges bleibt „Harry Potter“ Trivialliteratur mit den dazugehörigen flachen Figuren.

Handwerklich gelang der sechste Potter-Film eindrucksvoll: Licht, Bild und Trick machen was aus den Millionen, die ihnen zur Verfügung stehen. Die große finale Actionszene begibt sich in die Abgründe des Horrorfilms, Kämpfe sind ansonsten angenehm selten. Was nicht heißt, dass nicht dauernd mit den Zauberstäbchen herumgewedelt wird - dies ist schließlich ein Potter-Film. Das wirkt für Ungläubige oft albern, die große Schlussszene hat was von einem Rockkonzert aus den Zeiten, als das Publikum noch Feuerzeuge statt Handys schwenkte.

Sehr auffällig ist die Schwächung des Films durch die Synchronisation: Alan Rickman kann im Original mit seiner Stimme ein ganzes Kino erstarren lassen. Da sein Gesicht dabei bedrohlich regungslos bleibt, fällt dieser Effekt bei der deutschen Stimme weg, so dass die durchaus wichtige Figur Professor Severus Snape nicht wirkungsvoll sein kann. Ron quiekt meist herum und selbst Draco klingt erschreckend dünn.

Selbstverständlich ist „HP6“ eine Gelddruckmaschine und ein überdimensionierter Trailer für die beiden nächsten und letzten Harry Potter-Filme in 2010 und 2011. Wenn man an die nicht enden wollenden Enden des letzten Buches denkt, wird einem etwas Bange, denn der jetzige Film-Teil dauert schon über zweieinhalb Stunden. Wenig für die Fans, die alles umgesetzt sehen wollen, aber sehr viel für einen unabhängig davon nur mäßig interessanten Film. Aber wahrscheinlich wedeln nach so einem Urteil tausende Potter-Infizierte so wild mit ihren Merchandise-Zauberstäben, dass man sich schon aus Mitleid in irgendwas verwandelt und verschwindet.

Killshot


USA 2007 (Killshot) Regie: John Madden mit Mickey Rourke, Diane Lane, Thomas Jane, Rosario Dawson, Lois Smith
95 Min. FSK ab 16

Die Stimme ist gut: Alt, kratzend rau. Die hat eine Menge mitgemacht. Da passt Mickey Rourkes Biografie zu seiner Figur des müden Auftragsmörders Armand Degas. Die Sätze sind Klassiker des Killer-Thriller-Genres: Man muss immer aufpassen, man darf sich nie ablenken lassen! Was dann passiert, zeigt der Vorspann stilvoll in Zeitlupe. Armand führt mit seinen beiden Brüdern einen Auftrag im Krankenhaus aus, sein kleiner „Baby Brother“ schaut einer Krankenschwester, die zur falschen Zeit am falschen Ort ist, zu lange in die Augen. Armand muss die Zeugin deshalb erschießen, trifft aber den kleinen Bruder tödlich.

Wie nun dieser desillusionierte Killer im schwarzen Anzug, schwarzen Mantel, mit Lederhandschuhen, dunkler Sonnenbrille und langem Zopf seinen letzten Job mit etwas „Anstand“ - wie es die perverse Logik dieser Filme behauptet - durchführen und dann mit einem Cadillac für immer verschwinden will, ist schnell erzählt. Selbstverständlich geht etwas schief, sonst gäbe es keinen Film. Armand, der wegen seiner indianischen Abstammung auch Blackbird genannt wird, zieht sich in das Reservat seiner verstorbenen Großmutter zurück und wird dort nicht wirklich Ruhe finden. Er trifft auf den kleinen Drecksack Richie Nix (Joseph Gordon-Levitt), der Leute terrorisiert, und sieht in ihm die Gelegenheit, etwas für seinen kleinen Bruder gut zu machen. „Du erinnerst mich an meinen kleinen Bruder, der war auch dämlich.“

Nach seinem Comeback „The Wrestler“ sieht man Mickey Rourke wieder wie in vielen früheren Rollen als einen coolen Killer, der mittlerweile frustriert mit dem Leben abgeschlossen hat. Dieser Blackbird ist jedoch tatsächlich eine frühere Rolle, der Film entstand vor „The Wrestler“.

„Killshot“ ist ein Film, der seltsam zwischen Action-Schrott aus der Videothek und ambitioniertem Thriller mit gutem Schauspiel in der Schwebe hängt. Der Regisseur ist immerhin John Madden, der seine letzten Filme in einer ganz anderen Ecke der Filmlandschaften angesiedelt hatte: „Der Beweis - Liebe zwischen Genie und Wahnsinn“ (2005) mit Gwyneth Paltrow und Anthony Hopkins, „Corellis Mandoline“ (2001) mit Nicolas Cage und Penélope Cruz, „Shakespeare in Love“ (1998) mit Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow sowie „Ihre Majestät Mrs. Brown“ (1997) mit Judi Dench waren richtig gutes Arthouse.

„Killshot“ mit Mickey Rourke und Diane Lane wird sehr schnell sehr brutal, aber erzählt auch ebenso zügig seine Action-Story. Auf der einen Seite gibt es einen schießwütigen Idioten und einen alten Killer, der vielleicht nicht mehr töten will, aber keinen anderen Ausweg weiß. Auf seiner Flucht mit erschreckend vielen verbrannten Brücken bringt er regelmäßig Frauen um, die sein Gesicht gesehen haben - erstaunlich, dass sie beim Anblick von Rourkes zerschlagener und zigfach operierter Visage nicht direkt gestorben sind!

Auf der anderen Seite sind die Opfer interessanter, der Stahlarbeiter Wayne Colson (Thomas Jane), der gefeuert wurde und im ungeliebten Anzug ausgerechnet in der Immobilien-Agentur auftaucht, als Armand und Nix ziemlich grob erpresstes Geld abholen wollen. Dort arbeitet auch seine Frau Carmen (Diane Lane), mit der er aber in Trennung lebt. Die Konfrontation mit den Killern gerät zur Paarberatung mit viel Schießpulver und auch einigen Leichen.

Positiv könnte man sagen, dass Rourke neben Darren Aronofsky bei „The Wrestler“ nun noch einem guten Regisseur geholfen hat, eine breitere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dabei ist zwar früh zu sehen, dass Armand als ruhebedürftiger Killer einen Rest an Gerechtigkeitsgefühl endlich ausleben will, doch so richtig funktioniert diese Entwicklung nicht. Liegt es am Drehbuch oder ist Rourke vielleicht doch der falsche Schauspieler für solche Rollen? Hier laufen ihm wie schon erwähnt Diane Lane und Thomas Jane mit ihrer Beziehungsgeschichte den Rang und die Aufmerksamkeit ab.

8.7.09

Manga Impact in Locarno

Manga Impact - The World of Japanese Animation.

Die japanischen Gattungen der Bildkunst Manga und Anime bilden ein eigenständiges Universum, das auch im Westen mittlerweile den Mainstream fasziniert, vor allem zuletzt mit den Erfolgen von Altmeister Hayao Miyazaki (Das wandelnde Schloss, Chihiros Reise ins Zauberland, Prinzessin Mononoke). Trotzdem bleiben Ideenwelten, Ästhetik und auch Begrifflichkeiten fremd, angefangen mit der immer wieder missglückten Unterscheidung zwischen Manga (Comic) und Anime (Zeichentrickfilm).
Das Internationale Filmfestival von Locarno (5.-15.8.2009) realisiert zusammen mit dem „Museo Nazionale del Cinema“ in Turin eine Retrospektive und eine Ausstellung rund um Animes und den Mangas, die ihnen zugrunde liegen. „Manga Impact - The World of Japanese Animation“ wird Geschichte, Genres und Stile der boomenden Filmgattung vorstellen und die Vorläufer in erzählerischer und grafischer Hinsicht aufzeigen. Das umfassende und anspruchsvolle Vorhaben startete mit der Website www.mangaimpact.com. Das Filmfestival von Locarno zeigt nun in seiner Retrospektive lange wie kurze Anime von den ersten kurzen Animationsfilmen Japans bis zu heutige Trendsettern, sowie Episoden aus TV-Serien. Anschließend eröffnet die Ausstellung in Turin (16.9.2009 - 10.1.2010) mit Comic-Tafeln, Storyboards für Filme, Zeitschriften, Publikationen, Illustrationen und davon abgeleitete Objekte wie Spielzeug, Puppen, Gesellschaftsspiele und Videogames. Die begleitende Publikation enthält geht sowohl auf die Texte als auch die Zeichnungen ein.
Begleitend gibt es im offiziellen Programm die Premiere des „Animationsfilm Musashi: The Dream of the Last Samurai“. Der berühmte japanische Animé-Regisseur Mamoru Oshii (Ghost in the Shell, The Sky Crawlers) schrieb das Drehbuch des Films von Mizuho Nishikubo, der seit dem 13. Juni 2009 in den japanischen Kinos läuft. (ghj)

www.mangaimpact.com

La Misma Luna


USA, Mexiko 2007 (La Misma Luna) Regie: Patricia Riggen mit Adrian Alonso, Kate Del Castillo, Eugenio Derbez, Maya Zapata, Carmen Salinas 106 Min.

Das Leben als illegaler Einwanderer ist schön und süß! So zeigt es jedenfalls die mexikanisch-amerikanische Koproduktion „La Misma Luna“ - vor allem klebrig süß! Die fesche, junge Rosario (Kate Del Castillo) arbeitet im sonnigen Kalifornien. Zwar jongliert sie mehrere Jobs, aber das ist ja auch bei uns der neue Trend. Schließlich will sie das Geld zusammenbekommen, um ihren Sohn, den neunjährigen Carlitos (Adrian Alonso), aus Mexiko nach Los Angeles zu holen. Mit Hilfe eines Anwalts, nicht so illegal und gefährlich, wie sie selbst die Grenze überquerte. Als aber Carlitos kranke Großmutter stirbt, geht der kleine Junge auf große Reise. Fünf Tage hat er Zeit bis zum nächsten Anruf der Mutter.

„La Misma Luna“ verlegt sich von Anfang an auf das rührselige Erzählen, will direkt ein Maximum an Emotionen aus dem Publikum herausdrücken. Dabei ist alles überdeutlich: Die tollen Schuhe, die Mutter schickte, gegenüber den schäbigen vom Freund - aber der hat seine Mutter hier. Das rührt schnell und langweilt mit der Eindeutigkeit ebenso rasch.

Auf der Reise begegnen dem überaus sympathischen Kerlchen Schicksalsschläge und glückliche Fügungen, bedrohliche Begegnungen und märchenhafte Rettungen. Zuerst verstecken ihn ein paar dämliche, geldgierige amerikanische Studenten, die naiv im Menschenschmuggel-Geschäft mitmischen wollen, in ihrem Auto. Und auch beim nächsten „Helfer“ ist schon in der ersten Einstellung klar, dass er unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig ist. Schon wartet der folgende üble Mensch auf seinen Einsatz, doch bevor Carlito im Auto des Zuhälters landet, taucht termingerecht einer der Engel auf, die das Drehbuch (Ligiah Villalobos) ausgewogen auffährt. Dabei ist der Film derart mit Schicksalsschlägen beschäftigt, dass er sich nicht um seine Figuren kümmern kann. Die leiden bei aller sozialer Ungerechtigkeit und Ausbeutung vor allem unter der fröhlichen, etwas sozialkritischen Folklore im Soundtrack (Los Tigres del Norte), der den Film ansonsten mit tonnenweise Geigenkitsch übergießt.

Alles ist klar und sonnenüberflutet. Weit und breit keine „Landschaft im Nebel“, bei der Theo Angelopoulos aus der gleichen Geschichte zwischen Griechenland und West-Deutschland Poesie machte. Alles wird gut. Und vor allem ist es nie so brutal wie zuletzt in „Crossing Over“ oder wie im wirklichen Flüchtlingsleben. Der Kleine hat aber auch ein Gesicht, das Filmen Oscars beschafft. Alle haben ihn lieb und er spielt seinen Charme vollends aus, als er mit einem Griesgram reist und jobbt. Aber selbst der muss Carlito lieb haben.

7.7.09

Mary Poppins Jubiläumsedition DVD


Regie: Robert Stevenson

Disneys bezauberndes Märchen „Mary Poppins“ schrieb Filmgeschichte, nicht nur weil es 1964 mit 5 Oscars ausgezeichnet wurde. Julie Andrews spielt darin Mary Poppins, das außergewöhnlichste Kindermädchen der Welt. Mit einem Lachen wischt sie alle Kindersorgen weg und nimmt ihre Zöglinge mit auf die wundersamsten Ausflüge. Jedoch kann Mary Poppins nur bleiben, bis der Wind sich dreht…

Zum 45. Jahrestag des Erscheinens von Mary Poppins bringen die Walt Disney Studios eine „45 Jahre Jubiläums Edition“ heraus, die über das übliche Wiederverwerten hinaus geht: Auf zwei DVDs findet sich nicht nur der beliebte Klassiker mit Audiokommentaren von Julie Andrews und vielen anderen Beteiligten. Vor allem die neu hinzugefügte, 48 minütige Dokumentation „Mary Poppins: Vom Papier auf die Bühne“ ergänzt das besonders reichhaltige Bonusmaterial.

Da Ali G - Brüno Edition


Regie: James Bobin / Scott Preston

Darsteller: Sacha Baron Cohen

Hier lag die Wurzeln alles Bösen oder Blöden: Mit der „Ali G Show“ wurde Sacha Baron Cohen vor mehr als 15 Jahren zur Comedy-Größe. In diesem Show-Format tauchten die Figuren des österreichischen Schwulen Brüno, des britischen Homeboy Ali G und des kasachischen Reporters Borat erstmals auf. Zum Filmstart von „Brüno“ verpackte man 180 Minuten mit den alten Episoden neu, pappte den schrillen Brüno aufs Cover und ab das hintersinnige Vergnügen. Hier ist die Show „Funkyzeit“ im Original zu sehen, aus der Brüno zu Beginn des aktuellen Kino-Filmes fliegt. Und hier klärt er wichtige Fragen: Ist Jesus wirklich cooler als Justin Timberlake? Wie erklärt man gehörlosen Kindern Safer Sex? Warum wollen ihn Alabamas Football-Fans nicht als Cheerleader sehen? Und warum tragen böse Menschen immer Schnurrbärte?
Das gleiche Prinzip von naiv scheinender Provokation und Entblößung radikal anders denkender kommt als Leih- oder Kauf-DVD, in Deutsch oder Englisch und mit ein paar Bonus-Clips daher.

6.7.09

Brüno


USA 2009 (Brüno) Regie: Dan Mazer mit Sacha Baron Cohen, Gustaf Hammarsten, Clifford Banagale, Bono, Elton John, Snoop Dogg, Sting 83 Min.

Revenge of the Ümlaut

Das satirische Gesamtkunstwerk Sacha Baron Cohen geht in seinem dritten Kinofilm nach „Ali G in da House“ und „Borat“ wieder dahin, wo es weh tut. Das Fremdschämen konkurriert heftig mit dem Lachmuskelkater, Provokation beißt sich mit Slapstick. Sacha Baron Cohen bleibt ein Unikat und sein Humor lässt sich schwer einordnen. Ist es die pure Lust am Entblößen - seiner Genitalien und der Vorurteile seiner Opfer - oder steckt ein humanistischer Plan hinter der frechen Nummernrevue?

Der Wiener TV-Star Brüno, nach eigener Aussage der größte österreichische Star seit Hitler, macht sich nach einem selbst verschuldeten Karriereknick auf den Weg nach L.A., um dort ein Superstar zu werden. Die Suche nach Ruhm führt ihn zu zwei amerikanischen Dummchen, die ernsthaft professionell beraten sollen, welcher Guten Sache man sich am Besten für seine Karriere annimmt: Klimakrise, ausgestorbene Tiere oder doch „Dafor“ (sic!)? Ihre sich vor Unwissenheit windenden Sätze sind ebenso atemberaubend wie Brünos folgender Versuch, Frieden in Mittelerde zu schaffen. Das ist das Gebiet zwischen Israel und dem Land von „König Obama“, dort wo der Humus regiert! In einer weiteren unfassbaren Szene singt Brüno ein bescheuertes Friedenslied zwischen einem israelischen Politiker und einem Vertreter der Palästinenser, wobei den völlig perplexen Herren vor lauter Staunen nichts anderes bleibt, als mitzumachen. Das ist vielleicht die erstaunlichste Erkenntnis des Films, interessanter als die mutigen, aber billigen Provokationen, die auch ein Pocher mal in einer Sternstunde hinbekommt: Was machen diese Menschen alles mit, wenn nur eine Kamera dabei ist!? Und falls sie es tatsächlich wegen der berühmten 15 Minuten Berühmtheit machen, wird dieser Film sogar fast rund, denn darum geht es ja auch Brüno!

Nach einem Abstecher nach Nairobi taucht die hinternwackelnde Provokation mit einem schwarzen Adoptivkind in Los Angeles auf. Das wird im Karton geliefert. Inhuman? Sind doch Luftlöcher drin! Der süße Kleine dient nun als Provokateur in einer Talkshow voller schwarzer Zuschauer, sorry: Afroamerikaner. Brüno erzählt ihnen, dass auch im „Land Afrika“ viele Afroamerikaner leben.

Problematisch bleibt vor allem die Handlung, die um die Sketche herum gestrickt wird. Richtig entblößend waren schon die Nummern aus der „Ali G-Show“. Weniger dicht mussten zwangsläufig die aus diesem Ruhm entstandenen Filme werden: „Ali G in da House“, am rundesten noch „Borat“ und nun „Brüno“, die Satire-Odyssee durch die Medienwelt, auf der Cohen auch viele Facetten der Homophobie aufsammelt. Denn ein exaltiertes Schwulsein ist zweites Thema des Films und Garant für heftige Gegenreaktionen. Brüno stößt vor ins Herz der Dunkelheit (und das ist jetzt keine Zote!) wenn im Finale die ultra-beschränkten Fans eines ultrabrutalen Kampfspektakels erst auf Heterosexualität eingeschworen und dann mit einem schwulen Knutschgemenge konfrontiert werden, fliegen Stühle statt Fäuste. Alles wird bis zum sprechenden Penis fast ohne Zensurbalken gezeigt.

Aber weshalb ist „Brüno“ nicht so komisch wie „Borat“? Das Konzept blieb das Gleiche: Cohen tritt als etwas seltsamer Vertreter der Medienwelt auf und interviewt unwissende Opfer. Einem christlichen Schwulen-Bekehrer erzählt er nebenbei, Gott hätte diesem perfekte Lippen für einen Blow-Job geschenkt, Kampf-Lehrer attackiert er mit Riesen-Dildos, knallharte Militär-Ausbilder werden für ihre sanfte Haut belobigt. Bei einem männlichen Medium sucht Brüno Rat und als dieser Kontakt mit Milly von Milly Vanilli aufgenommen hat, bläst Brüno dem falschen Schlagerstar pantomimisch einen - in allen Details. Spätestens jetzt wird sich der Wahrsager gut überlegen, noch einmal mit dem Jenseits in Kontakt zu treten.

Die Kreation von Brüno ist gelungen: Man nimmt Cohen durchgehend den Brüno ab. Aber man fragt sich dauernd „Das darf doch nicht wahr sein?“ Und da nicht wie bei „Borat“ der Kameramann öfters mit in die Handlung einbezogen wird, begleitet die Frage „Inszenierung oder wahrhaft unglaubliche Intoleranz?“ den Spaß. Die Medien bekommen ebenso ihr Fett weg, wie Mütter, die ihre kleinen Kinder für ein Casting problemlos kreuzigen lassen. In der Schluss-Parodie eines Live-Aid-Songs machen tatsächlich Bono, Sting und sogar Elton John mit. Was tut man nicht alles für den Ruhm!

Kommissar Bellamy


Frankreich 2009 (Bellamy) Regie: Claude Chabrol mit Gérard Depardieu, Clovis Cornillac, Jacques Gamblin, Marie Bunel 110 Min.

Traue keinem Chabrol …

Ein Krimi von Claude Chabrol ist nichts Besonderes - so was macht der französische Regisseur schon seit mehr als 50 Jahren, „Kommissar Bellamy“ ist sein 58. Kinofilm. Ein Chabrol mit Depardieu, das ist hingegen ein Primeur. Aber vor allem weiß der alte Herr mit dem verschmitzten Lächeln wieder zu überraschen! Chabrol, der im Februar mit einer „Berlinale Kamera“ geehrt wurde, spielt ebenso mit dem Genre wie mit den Zuschauern.

Gérard Depardieu verkörpert mit viel Witz den Kommissar Paul Bellamy, Chabrols Hommage an Kommissar Maigret. Der Pariser Kriminalist ziert sich beim Urlaub in Südfrankreich erst etwas, bevor er sich mit seinem untrüglichen Spürsinn an einen lokalen Mordfall macht. Lieber beschäftigt er sich mit Kreuzworträtseln, es ist ja gar nicht sein Fall, auch wenn die örtliche Polizei hoffnungslos überfordert ist. Leicht und sehr sommerlich informiert sich Bellamy hier und da, noch dem ihm der Industrielle Noël Gentil (Jacques Gamblin), der in die Schlagzeilen geraten ist, auf- und heimsucht. Vor dem Abendessen wird dem Rätsel um eine doppelte und eine verschwundene Identität nachgegangen, erst in den letzten Minuten zeigt uns der Alt-Meister mit einer gemeinen Finte, wie sehr er das Spiel mit dem Kino noch beherrscht: „Die Idee zum Film entstand aus der Lust, eine Hommage an Simenon zu kreieren – zumal ich finde, dass Gérard Depardieu ein ausgesprochener Simenon-Charakter ist. Außerdem hatte ich den Wunsch, Georges Brassens meine Referenz zu erweisen“, meinte der 79-Jährige. „Es hat mir außerordentlichen Spaß bereitet, auf diesen beiden Registern zu spielen, dem sichtbaren und dem unsichtbaren, die die Erzählung gliedern.“

Es ist nicht nur die surreale Szene eines Anwalts, der sein Plädoyer als Brassens-Chanson schmettert, die „Kommissar Bellamy“ ungewöhnlich macht. Jede Figur steht neben sich oder zumindest neben den Erwartungen an sie. Und genau weiß man nie, wo man beim gemütlichen Kommissar und beim verspielten Krimi eigentlich dran ist. Geht es wirklich um den Mord ohne Leiche und um den seltsam geständigen Verdächtigen Noël Gentil? Ist dessen skurrile Geschichte um einen Doppelgänger, der als Obdachloser lebt, wahr oder eine ziemlich schwache Ausflucht des Industriellen der Bellamy so anhänglich um Aufklärung bittet? Selbstverständlich ist die auch immer wieder beißende Gesellschaftskritik von Chabrol dabei, der diesmal die feine Gesellschaft von Nimes vorführt, wenn Verdächtiger und Ermittler bei der gleichen Prostituierten Schlange stehen. Ganz unerwartet gesellt sich zu den üblichen Verdächtigen eine sehr persönliche und emotionale Geschichte Bellamys. Hier landet Chabrol seinen größten Coup: Die scheinbar beiläufige Anwesenheit von Jacques, dem jüngerer Halbbruder des Kommissars, rührt tief an dessen Gefühl, die manchmal ungeduldige Fürsorge für den kriminellen Alkohol- und Spielsüchtigen ist das Herz des nur scheinbar zu luftigen und sommerlichen Krimi-Spiels.

5.7.09

Skandalöser Juryentscheid beim Förderpreis Deutscher Film


München. Ärgerlich und keineswegs förderlich verlief die Entscheidung um den mit 60.000 Euro dotierten „Förderpreis Deutscher Film“. Fünf Werke junger Filmemacher waren nominiert und machten sich Hoffnungen auf Geld und Ehre. Die Bekanntgabe des Jury-Entscheids am 1. Juli wurde dann zum Skandal, bei dem der Nachwuchsfilm im Streit der Etablierten unter die Räder kam. Bundesweit wurde berichtet, dass die dreiköpfige Kommission aus Oscar-Regisseurin Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“), Produzent Uli Aselman („Die Musterknaben“) und Schauspieler Maximilian Brückner („Sophie Scholl“) das undurchsichtige Nominierungsverfahren des Deutschen Förderpreises kritisierte und deshalb keine Preise für Regie und Drehbuch verteilen wollte: „Die zur Preisfindung vorgelegte, beschränkte Auswahl sei nicht repräsentativ für den jungen deutschen Film, der seine Qualität vielfach bewiesen hat.“ Dann gab es allerdings doch Preise für zwei Darsteller, Elisa Schlott für ihre Leistung in "Draußen am See" und Max Kidd für seine Rolle in dem Spielfilm von Wolfgang Groos "Hangtime – Kein leichtes Spiel".

„Besser nicht nominiert, als pauschal niedergemacht!“
Einer der Betroffenen ist der aus Aachen stammende Produzent Peter Kreutz, dessen Köln Firma „Aquafilm“ die „Diamantenhochzeit“ plante und produzierte. Kurz nach Fertigstellung wurde die größtenteils im Aachener Jakobsviertel und mit Förderung der Filmstiftung gedrehte Komödie „Diamantenhochzeit“ gleich dreifach für den Förderpreis nominiert. Sowohl der Regisseur Michael Kupczyk als auch der Hauptdarsteller Jörg Pohl und der aus Aachen stammende Drehbuchautor Georg Piller machten sich Hoffnung, so bekannten Preisträgern wie Sönke Wortmann ("Allein unter Frauen"), Hans-Christian Schmid ("23") oder Marcus H. Rosenmüller ("Wer früher stirbt, ist länger tot") nachzufolgen. Die rasante Komödie um eine Hochzeit, eine Leiche und einen Diamanten-Deal feierte beim Filmfest München ihre Premiere und kam beim Publikum gut an. Doch dann gab es das vernichtende Urteil der Jury, die einen Streit mit dem Festival auf dem Rücken der Filmemacher austrägt. Ebenfalls betroffen sind die Filme „Draußen am See“ (Regie: Felix Fuchssteiner), „Blindlings“ (Wolfgang Weigl) und „Armee der Stille - La Isla Bonita" (Roland Lang).

Caroline Link, die nach ihrem Oscar-Gewinn für „Nirgendwo in Afrika“ zu den arrivierten Filmemachern gehört, mit dem Erfolgs-Regisseur Dominik Graf zusammenlebt und auch nach sieben Jahren Babypause ihren nächsten Film gut finanziert bekam, gestand, sie habe mit einem eigenen schon einmal erlebt, dass kein Preis vergeben wurde. Umso mehr verwundert derart unsensibles Vorgehen, welches die Arbeit vieler, an den Filmen beteiligter Kreativer abkanzelt. Aber die Filmemacher um Peter Kreutz haben sich nicht unterkriegen lassen: Sie reagierten auf den Tiefschlag, indem sie noch auf dem Filmfest ihre eigenen Plakate mit cleveren Sprüchen erweiterten. Da heißt es beispielsweise in Anspielung auf die abgehobene Chef-Jurorin: Dieser Film läuft „Nirgendwo in Afrika“! Aber dafür Anfang 2010 bei uns in den Kinos.