29.12.08

Die Reise des chinesischen Trommlers


Hongkong, Taiwan, BRD 2007 (Zhan Gu / The Drummer) Regie: Kenneth Bi mit Jaycee Chan, Tony Leung, Angelica Lee, Roy Cheung 118 Min. FSK: ab 12

Hong Kong-Action, die nachdenklich macht? Ein Musikfilm, der über Leichen geht? „Die Reise des chinesischen Trommlers“ ist eine reiche Erfahrung, eine eindrucksvolle Bilderreise und eine Geschichte, die in viele Richtungen weiter wirkt.

Der junge Sid (Jaycee Chan, der Sohn von Jackie Chan) ist ein ignoranter junger Schnösel, der sich selbst zu wichtig nimmt. Als er mit der Geliebten eines Gangsterbosses ins Bett geht, führt dies zwangläufig zu großen Problemen, weil Sid nicht kapiert, mit welchen gnadenlosen Verbrechern er sich angelegt hat. Sids Vater Kwan (Tony Leung), selbst ein Unterwelt-Boss, kann das Leben des Sohns nur retten, in dem er ihn verschwinden lässt. Im taiwanesischen Exil langweilt sich Junior zuerst und versucht weiter, Blödsinn zu machen. Doch dann entdeckt er in den Bergen eine Gruppe von Zen-Trommlern. Zwar meint der begeisterte Schlagzeuger, hier könnte er direkt landen, doch in der Gegenwart der anderen Schüler ist der coole Sid nur noch ein Clown: Unkonzentriert, fahrig, ohne Disziplin. Statt zu trommeln, muss er erst Wasser holen und Steine durch die Gegend schleppen. Langsam respektiert er die Demut, wird ein anderer Mensch. Doch in Hong Kong wird die Situation für seinen Vater gefährlich...

„Die Reise des chinesischen Trommlers“ bietet eindrucksvolle Musik(er), Landschaften, Lebensweisheit und Spannung. Aber die Familiengeschichte ist nicht nur esoterisches Wohlfühlkino. Mit vielen Parallel-Montagen spielt man auch ein wenig „Der Pate“ des Hong Kong-Kinos. Denn die Qualitäten dieses rundum gelungenen Films liegen nicht allein in den einzelnen Elementen, die sich so schön plakativ bezeichnen lassen. Wie harmonisch Regisseur und Autor Kenneth Bi dies alles miteinander kombiniert, ist ganz besondere Kunst. Die Mischungen aus modernem Leben und spirituellen Traditionen, aus Gangstermilieu und Abgeschiedenheit von der Welt, von Hong Kong und den grünen Bergen Taiwans sind einzigartig und höchst sehenswert.

Kenneth Bi arbeitet mit großer Musik, sehr schönen Bildern und mutigen Montagen, die mehr den inneren Gefühlswelten als der äußeren Dramaturgie folgen. Das unkontrollierte und das kontrollierende Schlagen ziehen sich als Metapher durch den ganzen Film. Wunderbar und witzig ist das erste Trommelduell des arroganten Knaben mit der jüngsten Schülerin, auf die er ein Auge geworfen hat. Sid kann zwar „trommeln wie verrückt“, um den Verlust seiner Mutter zu überspielen, aber er zerbricht direkt seinen Schlagstock. Wie dieses unbeherrschte Handeln der vollen Konzentration gegenüber steht, ist nur eines der Bilder, in denen der Film tatsächlich (Geistes-) Haltung vermitteln und nahe legen kann.

Bonjour Tristesse DVD


USA 1957

Regie: Otto Preminger

„Bonjour Tristesse“ ist einer der bekanntesten Filme von Otto Preminger (1906-86). Der in Wien geborene Jude Preminger arbeitete zuerst am Theater, bevor er 1931 seinen ersten Film drehte. 1936 wanderte er in die USA aus. Von der Mitte der Vierziger bis Anfang der Sechziger galt er als einer der bedeutendsten Regisseure der Welt. Danach schwand sein Ansehen, obwohl er immer noch Filme machte. Neben einigen Höhepunkten der Filmgeschichte verdanken wir Preminger die Entdeckung von Jean Seberg als Johanna von Orleans in „Saint Jean“ und als gefährliche Tochter in „Bonjour Tristesse“ nach dem Roman von Francoise Sagan, der drei Jahre vor dem Film erschien.
Seberg spielt darin die Hauptrolle der jungen Frau, die auf extreme Weise das Verhältnis des geliebten Vaters Raymond (David Niven) zu seiner neuen Geliebten Anne (Deborah Kerr) sabotiert. Neben der unvergleichlichen Stimmung des Films bleibt der Wechsel von farbigen und Schwarz-Weiß-Szenen in Erinnerung. Wobei die Tristesse der Gegenwart im Grau der farbenfrohen Vergangenheit gegenüber steht. Derartige Kunstfertigkeit veranlasste den DVD-Vertrieb zur Warnung, dies sei kein technischer Fehler!

Kurzer Prozess - Righteous Kill


USA 2008 (Righteous Kill) Regie: Jon Avnet mit Al Pacino, Robert De Niro, 50 Cent 100 Min. FSK: ab 16

Doppeltes Copchen

Al DeNiro und Robert Pacino. In ihrer Einzigartigkeit gleichen sie sich, wie ein Ei dem anderen. Beiden haben sich die Straßen und Gassen des kriminellen Molochs New York mittlerweile tief ins Gesicht gefaltet. Beide kennen das Verbrechen in und auswendig, als Paten, Cops, Unterwelt-Bosse, Casino-Chefs, Mafia-Legenden und als edle Ritter des Gesetzes. Und sie verkörpern die Rollen mittlerweile derart vertraut, dass sie wahrscheinlich auch im richtigen Leben mit der billigsten Dienstmarken-Fälschung jeden ohne Gegenwehr verhaften könnten. Nun fesseln sie noch einmal gemeinsam auf der Leinwand, nachdem ihr Aufeinandertreffen in Michael Manns „Heat“ 1995 zur explosivsten Leinwandchemie der Filmgeschichte führte.

In „Heat“ jagte Al Pacino als erfolgreicher Detective Vincent Hanna das kriminelle Mastermind Neil McCauley, dem Robert De Niro Seele und Härte verlieh. Nun steht das Doppelpack der Megastars auf der gleichen Seite der recht durchlässigen Grenze zwischen Recht und Unrecht. Turk (Al Pacino) und Rooster (Robert De Niro) sind seid Ewigkeiten knallharte, aber rechtschaffene Polizisten in New York. Bis Rooster das Gesetz in die eigenen Hände nimmt: Als ein übler Typ, der seine Frau schlägt und die Stieftochter vergewaltigt hat, freigesprochen wird, verstecken die Cops eine Mord-Waffe in dessen Wohnung. Im Ergebnis landet der Verbrecher doch für Jahre im Knast - wenn auch wegen eines Fehlurteils.

Nach dieser Grenzüberschreitung häufen sich die Morde an Kriminellen, bei denen immer ein Zettel mit ein paar Schüttelreimen gefunden wird. Nicht besonders intelligent, dieser Serienmörder, aber erst einmal hinterlässt er keine Spur. Durch die Vielzahl der Fälle müssen Turk und Rooster mit zwei jüngeren Polizisten zusammenarbeiten. Die vermuten bald, einer aus den eigenen Reihen könnte der Täter sein. Denn er weiß viel über die Opfer, die ihn nahe an sich ran gelassen haben. Rooster wehrt die Theorie vehement ab, doch er selbst ist sehr verdächtig. Schon beim Baseball-Spiel der Kinder rastet er regelmäßig aus. Zudem hat er diesen gewalttätigen Sex mit einer Kollegin - bedenklich, bedenklich, dieser lustvolle Spaß.

Eigentlich ist sowieso seit den ersten Bildern alles klar, denn da gesteht Rooster die Morde an den Verbrechern in eine Kamera. Doch Cops und Kumpels halten immer zusammen, so ist auch dieser Thriller von Jon Avnet ein raffiniertes Spiel mit den Erwartungen. Avnets thematische Spannweite reicht vom Frauenfilm „Fried Green Tomatoes“ aus 1991 bis zum letzten Pacino-Film „88 Minutes“ aus 2007. Dieser „Kurze Prozess“ nun ist letztendlich und vor allem im Ende ein echter Männerfilm. Mit Männerfreundschaft, Männerfeindschaft und viel Adrenalin. Dass der eigentliche Gangster vom HipHop-Superstar 50 Cent gespielt wird, bleibt dabei Nebensache. Bemerkenswert, weil so jemand wie 50 Cent gerne mal das ganze Marketing eines durchschnittlichen Filmchens tragen muss. Hier, beim „doppelten Copchen“ Al-De-Niro ist er nur Leichtgewicht. Den nicht besonders originellen Film tragen allein die beiden New York-Veteranen. Sie kann man sich immer wieder gut ansehen. Nicht viel mehr bietet „Kurzer Prozess - Righteous Kill“, aber auch nicht weniger.

Bonjour Sagan


Frankreich 2008 (Sagan) Regie: Diane Kurys mit Sylvie Testud, Pierre Palmade, Jeanne Balibar, Lionel Abelanski, Guillaume Gallienne, Denis Podalydès 120 Min. FSK: ab 12

War Kafka wirklich so kränklich und vom Unglück verfolgt? Oder folgt das Bild des Dichters nur dem Klischee vom leidenden Künstler? Filmische Künstler-Biographien folgen nur zu gern diesem Muster vom „La vie en rose“ der Edith Piaf bis zu Salma Hayeks „Frida“ (Kahlo) - letztere wohl eher dem schmerzensreichen Original entsprechend. Es geht bei dieser Kritik nicht um die Erbsenzählerei, was denn „wahr“ und verbrieft sei. Auffällig ist allein, dass der Fokus auf die Schwere des Lebens all diese verfilmten Leben so austauschbar macht.

Wie schon beim „Vie en rose“ der Edith Piaf blickt (Françoise) „Sagan“ vom einsamen Alter zurück auf ein wildes, eigenwilliges Leben: Françoise Quoirez (1935-2004) veröffentlicht 1954 knapp 18-jährig unter dem Pseudonym Sagan wie selbstverständlich ihren ersten Roman „Bonjour Tristesse“, der sofort weltweit zu einem Erfolg wird. Auch dies tangiert die resolute junge Frau (eindrucksvoll verkörpert von Sylvie Testud) nicht weiter. Literaturpreise nimmt sie ebenso beiläufig entgegen wie die Zuneigung mehrerer Männer. Françoise Sagan, die aus einer wohlhabenden Pariser Familie stammt, lebt eigenwillig, unabhängig und vom Glück verwöhnt. Mit einem neuen Sportwagen und zwei frischen Freunden düst sie an die Küste, gewinnt Unsummen im Casino und kauft noch am gleichen Morgen mit dem Geld ein Landhaus, das von nun an ihr Heim sein soll. Dort versammelt sie sehnsüchtig Freunde, Kriecher, Bewunderer, Kritiker ohne Einfühlungsvermögen. Geradezu abhängig hüllt sie sich in die Harmonie dieses Kreises. Kritik an ihrer Arbeit führt - im Film - direkt zum tragischen Autounfall der damals 21-Jährigen, der ihre Gesundheit fortan belasten wird. Der Rest ihres Lebens ist bestimmt von der Sucht nach Menschen, die ihr Liebe und Aufmerksamkeit schenken, von Morphium und Koks als Droge gegen Schmerzen und Einsamkeit.

Dabei bleibt Sagan frech und forsch, eigenwillig und konsequent. Immer suchend baut sie mit Freundeskreisen eine Welt um sich herum, die in sich eine Revolution gegen die bürgerlichen Regeln und Rahmen darstellt: Im Kinderzimmer steht ein richtiges Pferd, der schwule Vater von Sagans Sohn küsst seinen Liebhaber und keinen kümmert es. Und dann ist da noch die Ruhelosigkeit: Als ihr mittlerweile erwachsener und fast vergessener Sohn nach langer Zeit mal wieder vorbeikommt, haut sie ab nach New York ohne ihn zu sehen. Mit der Concorde, es kann nicht schnell genug gehen: „Manchmal spürt man das Verlangen zu fliehen, einfach auszureißen, sich irgendwo zu verlieren. Aber manchmal geht man auch verloren, ohne es zu wollen, zufällig, durch einen Exzess.“

Regisseurin Diane Kurys („Das Liebesdrama von Venedig“) reiht aus der Biografie der Schriftstellerin Françoise Sagan verstreute Episoden aneinander, die dem lückenhaften Erinnern der heruntergekommenen Autorin entsprechen könnten. Die Episoden der Einsamkeit, mit Zeitenblendungen durch Fernsehberichte vom Algerienkonflikt oder den 68-er Unruhen in Paris halbwegs verortet, ergeben einen pessimistischen Blick aufs Leben. Sagan bleibt zeitlebens hilfesuchend und letztendlich verloren. Mit Koks und Wodka ruiniert sie auch ihre Kreativität. Ihr Wunsch nach Freiheit bleibt gefangen in der Drogen- und Liebessucht. Die ergibt dann das Beste des Films, die klugen, kompromisslosen Äußerungen im Off, die den Film im Trailer so spannend machen. Beispiel: „Warum können die Leute nicht loslassen, wenn die Liebe weg ist?“

Ihre Romane „Lieben Sie Brahms?“ (1959) oder „Brennender Sommer“ (1985) wurde immer wieder verfilmt, am bekanntesten ist „Bonjour Tristesse“, der Film von Otto Preminger. Jean Seberg spielt darin die Hauptrolle der jungen Frau, die auf extreme Weise das Verhältnis des geliebten Vaters Raymond (David Niven) zu seiner neuen Geliebten Anne (Deborah Kerr) sabotiert. Wobei die junge Seberg ebenso eindrucksvoll auf der Leinwand wirkte, wie nun die Sagan-Darstellerin Sylvie Testud, die man seit „Jenseits der Stille“ zwischen Frankreich und Deutschland in vielen Filmen wie „Karnaval“, „Maries Lied“ oder „La vie en rose“ sah.

22.12.08

So finster die Nacht


Schweden 2008 (Låt den rätte komma in) Regie: Tomas Alfredson mit Kåre Hedebrant, Lina Leandersson, Per Ragnar 114 Min. FSK: ab 16

Droben im Norden Europa kann es in den langen Nächten schon mal passieren, dass man sich mit einer Vampirin anfreundet. Die Kinder gehen im Dunkeln zur Schule und das winterliche Taglicht hat auch kein langes Leben. So geschieht es dem schmächtigen zwölfjährigen Oskar in Kopenhagen. Die gleichaltrige Nachbarin, die er abends auf dem Spielplatz trifft, ist seltsam. Aber er mag sie trotzdem. Auch weil sie ihm beibringt, sich zu wehren. Die Mordserie in der Gegend steht erst einmal nur für die Zuschauer in direktem Zusammenhang, denn Elis Vater versucht müde und ungeschickt, frisches Blut für das Vampirmädchen zu finden. Und da müssen halt auch einige Nachbarn dran glauben.

Bis auf wenige heftige Szenen ist „So finster die Nacht“ eher ein ganz toller Jugendfilm als ein vor allem spannender Vampirfilm. Doch die Mischung macht das kleine schwedische Meisterstück zu etwas ganz Besonderem. Man verfolgt die schwierige Freundschaft zwischen Oskar und Eli ebenso mit viel Mitgefühl, wie man die Ausbreitung der dürstenden Vampire im Wohnkomplex mit Humor und leichtem Schaudern erlebt. Sorgfältigst in Figuren und Szenenzeichnung begeistert der Film, der in kein Genre passt. Vor allem die ohne große Effekte faszinierenden Bilder, wie beim ersten Mord im verschneiten Birkenwäldchen, dem selbst der störende weiße Königspudel keinen Farbtupfer gibt, weisen „So finster die Nacht“ als Perle im Europäischen Kinoalltag aus.

Australia


Australien, USA 2008 (Australia) Regie: Baz Luhrmann mit Nicole Kidman, Hugh Jackman, David Wenham 166 Min.

Ganz knapp und ganz schön spannend reitet kurz vor Toresschluss der großartigste Film des Jahres ins Ziel: „Australia“ ist ein postmodernes „Vom Winde verweht“ - Epische Breitwandkino, ganz großer Film aber auch große Oper. Nach seinem wilden "William Shakespeare's Romeo and Juliet" und dem überbordenden Musical "Moulin Rouge" bespielt Baz Luhrmann nun ganz Australien als Bühne. Seine Stars sind - neben der unfassbaren, einzigartigen Landschaft - Nicole Kidman, Hugh Jackman und als Entdeckung der zwölfjährige Brandon Walters.

Schon die Ankunft von Lady Sarah Ashley (Nicole Kidman) ist ein großer Auftritt auf der Bühne, zu der Luhrmann den Hafen von Darwin macht. Sarah flog kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges resolut von England rüber, um ihren untreuen Mann heimzuholen. Der liegt allerdings schon tot auf der heruntergekommenen Farm Faraway Downs, der betrügerische Verwalter (David Wenham) wird mit einem gezielten Peitschenhieb gefeuert und nun muss die Lady sehen, wie sie die riesige Viehherde zum Hafen bekommt. Doch zum Glück und zum Augenschmaus für die Ladies ist da der knackige Viehtreiber Drover (Hugh Jackman): Rau und ungehobelt bietet er der eingebildeten Dame viel Reibungsfläche auf dem klassischen Viehtreck quer durch Australien.

Am Ziel könnte schon nach gut neunzig Minuten Happy End sein. „Australia“ ist im ersten Teil ein großes Abenteuer und im zweiten das größere, eine Familie zu finden. Denn der wahre Star des Films ist das „Halbblut“ Nullah, kein Held, kein großer Magier, ein kleiner Junge, der nicht weiß, was er kann. Vor den Behörden, die bis in die Siebziger Mischlingskinder den Eltern raubten und grausam kasernierten, versteckt sich das Kind auf Faraway Downs. Nullah ist zudem der Erzähler der großartigen Geschichte „Australia“, was dem Land und seinen eigentlichen Bewohnern die gegebene Ehre erweist.

Für 130 Mio. Dollar und mit extremen neun Monaten Drehzeit erfüllte sich Baz Luhrmann seinen Wunsch, ein australisches „Vom Winde verweht“ zu drehen. Als altmodisches Epos angelegt, ist sein großes Drama voller Romantik, Abenteuer, Komik und auch Mystik selbstverständlich schneller als der alte Klassiker. Reichlich Top Shots, die (künstlichen) Farben des Himmels, das ist auch Kitsch, aber großartiger. Während er sich mit dem Windrad von „Moulin Rouge“ selbst kommentiert, wird das Leitmotiv aus dem Musical „Der Zauberer von Oz“, der Song „Somewhere over the Rainbow“, mit der Regenbogenschlange plötzlich zu einem Stück Aborigine-Mythologie. Aber der Regisseur einer tollen „Boheme“ muss ja begeistert sein von einer Kultur, die mit einem Lied durch Wüste findet.

Dem offenen Rassismus aus „Vom Winde verweht“ werden hier schon in den ersten zehn Minuten zwei große Einsätze für das Gemeinsame entgegen gesetzt. Lange bevor ein Multikulti-Treck quer durchs Land zieht und endgültig klar wird, dass dies grandiose Abenteuer immer ein Plädoyer für das Zusammenleben ist.

Nicole Kidman ist nach „Moulin Rouge“ und einem gerade wieder reaktivierten Chanel-Werbespot Luhrmans Star. Ihre Lady ist Zicke, mutige Heldin mit großem Herzen, die den Regen und im Regen liebt, ist kleines Mädchen und die schönste Frau in dieser Welt. Hugh Jackman gibt perfekt den richtigen, bärtigen Held, dem auch mal ein paar Tränchen über die sonnengegerbten Wangen rollen. Seine erste Liebeserklärung bei Lagerfeuer-Romantik unterm Flaschenbaum (!) lautet, er wolle mit niemand anderem mehr trinken. Nach einem kräftigen Schluck können sie dann auch ihre Leidenschaften nicht mehr zurückhalten.

Und damit sind sie wieder beieinander, die großen Vier von „Moulin Rouge“: Truth, Beauty, Freedom, and above all things, Love. Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Die Schönheit der Landschaften. Die Freiheit des Einzelnen, denn „Australia“ ist auch ein Film über das Gehenlassen. Und: Die Liebe, die hier alle Grenzen überschreitet. Denn „wenn du keine Liebe im Herzen hast, hast du nichts, keine Träume und keine Geschichte.“ Und dies ist eine gute Geschichte, eine der besten!

21.12.08

Buddenbrooks


BRD 2008 (Buddenbrooks) Regie: Dr. Heinrich Breloer mit Armin Mueller-Stahl, Iris Berben, Jessica Schwarz 151 Min. FSK: ab 6

Ein Drama, diese Mann-Verfilmung. Eine Familien-Katastrophe, oder eher eine konzeptuelle Katastrophe: Ideenarmes, steifes Abfilmen von Kulissen, Kostümen und Köpfen führt zu einer gefühlten Länge von sechs Stunden ödestem, falsch verstandenen Kultur-Kino. Ein starkes Argument, lieber den Roman von Thomas Mann zu lesen!

Patriarch Armin Mueller-Stahl führt Mitte des 19. Jahrhunderts in Lübeck ein florierendes Unternehmen. Mit Handel ist seine Familie zu Wohlstand und Ansehen gekommen. So trägt seine Frau Iris Berben auch immer schöne steife Kostüme und sie wohnen in einem tollen alten Haus mit vielen Angestellten, die eifrig durchs Bild wuseln. Doch die drei Kinder von Armin Mueller-Stahl werden Probleme machen und den Laden im Laufe der nächsten Jahrzehnte richtig runterwirtschaften.
Jessica Schwarz verliebt sich lieber und stimmt nur zickig den von Papa arrangierten Hochzeiten zu, die das Geschäft fördernd sollen. August Diehl lebt lieber in der Welt der Künste als wie ein Beamter hinter dem Schreibtisch abzustumpfen. Und Mark Waschke will als ältester Sohn von Armin Mueller-Stahl das Unternehmen erben und fortführen, ist aber nicht besonders glücklich dabei...

Moment mal, spielen sie nicht eigentlich Rollen? Mueller-Stahl, die Berben und alle anderen zu bekannten Gesichter? Wenn man sich ganz stark konzentriert und die Augen zusammenkneift, dann kann man sich vorstellen, dass da jemand anderes stehen sollte. Aber das funktioniert so gut wie nie. Man schaut ihnen immer zu, wie sie brav Literatur verfilmen.

Es gibt viele Literaturverfilmungen, die sich krampfhaft vom Original-Hintergrund lösen wollen, etwa Hamlet zu einem Wirtschaftboss machen (Regie Michael Almereyda) oder Romeo und Julia in New York mit Pistolen spielen lassen (Baz Luhrmann). Alles nur, um den starken Kern eines Werkes nach vorne zu bringen.

Breloer, der erfolgreiche TV-Regisseur von Doku-Dramen wie "Todesspiel" und "Die Manns - Ein Jahrhundertroman", „dokumentiert“ die Zeit und die Orte der Buddenbrooks möglichst genau. Was vielleicht dem Lübecker Tourismus dienen mag, nicht dem Film. Zwar raffte Breloer die Familien-Geschichte zusammen, konzentriert das Geschehen auf entscheidende Handlungsmomente, betont die wirtschaftlichen Aspekte, aber das Ergebnis aufwändiger Arbeiten von einiger Größe (über 16 Mio. Euro!) bleibt erschreckend uninteressant. Nur bei einigen Ausreißern aus dem „realistischen“ Einerlei schreckt man zeitweise aus der Kinodämmerung auf: Schrille Figuren wie den Hamburger Banker mit der furchtbaren Lache fallen völlig raus, leben aber mehr als die sonstigen staubtrockenen Figuren. Selbst der alkoholkranke, anfangs aufbegehrende Lebemann Christian von August Diehl wird zum vorüber ziehenden Schatten.

Das ist schon ein Kunststück: In den letzten Jahren mit mehreren hunderten Filmen vom verschrobenen Experiment bis zum Hollywood-Serienprodukt hat kein Film den Rezensenten so gelangweilt wie diese „Buddenbrooks“!

Wenn man sich dann noch die Extra-Minuten der von vornherein eingeplanten und mitfinanzierten zweiteiligen TV-Version hinzudenkt, wird einem um die Quote ganz bange. Doch vielleicht ist das tragische Ende der „Buddenbrooks“ ja auch der Untergang solcher „Amphibien-Filme“, die schizophren für Kino und TV-Zweiteiler produziert werden, und von daher nie so gut wie ein richtiger Kino- oder ein richtiger TV-Film sein können.

16.12.08

Novemberkind


BRD 2008 (Novemberkind) Regie: Christian Schwochow mit Anna Maria Mühe, Ulrich Matthes, Christine Schorn 98 Min. FSK: ab 12

Man kann über die Fernsehbeteiligung an Kinofilmen schimpfen und diskutieren. Man kann wie Volker Schlöndorff bezweifeln, dass TV-Mehrteiler in der Kinokurzfassung wirklich sorgfältig gemacht werden. Aber auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung haben sich die Sender tatsächlich verdient gemacht. „Novemberkind“ ist wieder ein Beispiel für exzellentes Kino, das diesmal vom SWR als Abschlussfilm der Filmakademie Baden-Württemberg finanziert wurde.

Die lebenslustige Inga (Anna Maria Mühe) ist Antiquarin in Malchow, Mecklenburg-Vorpommern. Spielt Karten mit den Großeltern, die sie aufzogen, und vermisst ihre Freundin, die in den Westen zog. Eines Tages steht der etwas wirre Literaturprofessor Robert (Ulrich Matthes) vor ihr, stellt Fragen und streut kleine Hinweise aus. Er meint Ingas Mutter Anne (Anna Maria Mühe) gekannt zu haben, doch die soll schon vor vielen Jahren ertrunken sein. Roberts Geschichte erweist sich als wahr, alle Menschen um Inga haben ihr verschwiegen, dass ihre Mutter mit einem desertierten Sowjet-Soldaten aus der DDR floh und ihre Tochter zurückließ. Ingas Leben bricht zusammen. Um ihre Fragen zu klären, verlässt sie Malchow mit Robert und ihrer alten MZ, um per Motorrad plus Beiwagen nach ihrer Mutter zu suchen.

Christian Schwochow gelang mit dieser leisen Ost-West-Geschichte ein tolles Debüt. Die Verstrickungen und unmenschlichen Zwänge im DDR-Regime, die moralischen Abgründe der West-Kapitalisten führen zu einem Drama, das ganz undramatisch entdeckt wird. Schwochow erlaubt sich mit der exzellenten Kamera von Frank Lamm sehr entspannte, stimmungsvolle Aufnahmen der Gegend und intensive Zeichnungen der Menschen. Die Musik (Daniel Sus) ist ebenso zurückhaltend wie die Erzählung. Grandios in der Mutter-Tochter-Doppelrolle brilliert Anna Maria Mühe, die Tochter des schwierigen Ost-Künstlerpaares Ulrich Mühe and Jenny Gröllmann. Anna Maria Mühe sorgt für die emotionale Verankerung der Zuschauer in der Geschichte, etwa in den bewegenden Momenten der Leugnung, wenn nahe Menschen sie erkennen und doch so tun, als sähen sie nicht. Ulrich Matthes („Der neunte Tag“) spielt einen zwiespältigen Part, als Autor oder als Beobachter, als Erfinder oder Antreiber der Story. „Novemberkind“ - ein exzellenter Film, jetzt im Kino und irgendwann sicherlich nach Mitternacht im Fernsehen.

O'Horten


Norwegen, BRD, Frankreich 2007 (O'Horten) Regie: Bent Hamer mit Bård Owe, Espen Skjønberg, Ghita Nørby 89 Min. FSK: o.A.

Ein Abschied als skurrile Odyssee: Der norwegische Lokführer Odd Horten (fabelhaft: Bård Owe), ein stoischer Kapitän mit noch mehr Ruhe gebender Pfeife, muss nach seiner letzten Dienstfahrt ein absurdes Ritual seiner Kollegen über sich ergehen lassen. Das Absingen der Lokführer-Hymne und das Erraten von Lok-Geräuschen auf Schallplatte sind bereits atemberaubend absurd. Als dann der alte Mann über ein Gerüst fliehen will und in einer fremden Wohnung von einem kleinen Jungen zum Gutenachtgeschichten-Erzählen festgehalten wird, als er im Kinderbett einschläft, beginnt eine noch wunderlichere Reise durch Oslo.

Bent Hamer drehte bereits die wunderbar verrückte Küchen-Studie Kitchen Stories (2003) und dann mit Matt Dillon die Bukowski-Geschichte „Factotum“ (2005). „O'Horten“ ist erneut eine Perle der Erzählkunst. Es ist schwer zu beschreiben, wie gleichmütig und doch neugierig erstaunt der äußerst liebenswerte Horten die verrücktesten Situationen mitmacht. Dabei ergibt sich in einem Pfeifenladen mal grandioser Slapstick a la Jacques Tati, dann hüllt Melancholie die Begegnung mit einem verrückten Erfinder ein. Dass eine blinde Nachtfahrt durch die verschneite Stadt wie selbstverständlich fast ohne größere Schäden verläuft, betont das Traumhafte von Hortens Erlebnissen. Doch die Folge von grandiosen Szenen ist keine Nummernrevue, Horten geht seinen Weg, erfüllt am Ende todesmutig den Mädchentraum seiner alten Mutter und verlässt dieses Märchen wieder durch den Eisenbahntunnel, den er schon zu Beginn befuhr. Horten ist in einem etwas weniger seltsamen Leben angekommen, aber man braucht sich keine Sorgen um diesen Mann zu machen, zu sehr sprüht er regungslos vor Lust auf Leben.

Ein Geheimnis


Frankreich 2007 (Un secret) Regie: Claude Miller mit Cécile de France, Patrick Bruel, Ludivine Sagnier, Julie Depardieu, Mathieu Amalric 105 Min.

Kein Geheimnis sind die Deportationen französischer Juden durch deutsche Soldaten während der Besatzung. Eine besonders sensibel und psychologisch spannend erzählte Geschichte über die Folgen eines dieser Verbrechen vermittelt „Ein Geheimnis“. Und dazu im Kern des historischen Sturms ein ungewöhnliches Drama von Liebe und Eifersucht.

Der junge François ist ein Tagträumer. Er fantasiert sich einen Bruder herbei, der alles kann, was der schwächliche, achtjährige Knabe nicht vermag: Den Sprung vom Fünfmeter-Brett ins Schwimmbad, die Turnübungen am Reck. Es ist das Jahr 1955 in Paris. Tania und Maxime (Cécile de France und Patrick Bruel), die Eltern von François, sind ausgesprochen sportlich und schön. Bei den Nazis wären sie glatt als Muster-Arier durchgegangen, doch sie sind Juden. Und Jahre später, als François die Träume vom Bruder und die Missachtung im Blick des Vaters zu sehr quälen, klärt ihn die Nachbarin über die Vergangenheit auf. Damit eröffnet sich ein Abgrund mit all den Toten, den Ermordeten aus seiner Familie, den Freunden der Eltern und vor allem mit dem Bruder, von dem François nie wusste.

Regisseur Claude Miller bearbeitete (zusammen mit Natalie Carter) und verfilmte Philippe Grimberts autobiographischen Roman "Un secret / Ein Geheimnis" mit drei Zeitebenen, die elegant ineinander fließen (Schnitt: Véronique Lange), so wie sie sich in den Menschen gegenseitig bedingen. Dabei wirkt die farbige Vergangenheit präsenter als das „aktuelle“ Leben von François, das nur noch ein grauer Schatten zu sein scheint.

Die Geschichte der Grimberts beginnt bei einer Hochzeit mit fataler Begegnung 1936. Noch bei der Geburt von Maximes ersten Sohn Simon ist das Treffen von Hitler und Mussolini nur eine Zeitungsnotiz. Später, als unter der Besatzung und Kollaboration aus der Rue Rabelais die Petain-Straße wurde, weigert sich Maxime, den Judenstern zu tragen. Es sei ein Stern für die schwachen und er sei stark. Er bezeichnet sich gar als antisemitischer Jude, der nicht glaubt, dass die Franzosen ihren jüdischen Landsleuten etwas antun würden. Ihm gelingt auch die Flucht in die freie Zone Frankreichs, doch die schwelende Eifersucht seiner Frau führt zu einem tragischen Medea-Moment, das die Geschichte dieser Familie für immer prägen wird.

Eine folgenschwere Liebesgeschichte wird erzählt über Blicke, die für einen Bruchteil von Sekunden zu lang verharren, oder sich zu rasch abwenden. So dezent setzt der Film auch seine anderen Akzente, fügt minimale Verzögerungen für die großen emotionalen Momente ein. „Ein Geheimnis“ verzeichnet die unlösbare Verbindung von Vergangenem und Gegenwart in genauen und intensiven Details. Die verwobenen Bilder prägen sich ein, ohne einzulullen. So soll irritieren, dass unter den immer wieder dokumentarisch in die Handlung geschnittenen Zeitbildern ausgerechnet der Körperkult von Leni Riefenstahl in den Olympia-Träumen von Maxime aufblitzt.

„Ein Geheimnis“ ist prominent besetzt mit den Superstars Cécile de France und Patrick Bruel, mit „der Tochter“ Julie Depardieu und dem immer wieder begeisternden Mathieu Amalric („Schmetterling und Taucherglocke“). Die Musik schrieb der Komponist vom verstorbenen Polen Kieslowski, Zbigniew Preisner („Drei Farben: Blau“).

Wild Child


USA 2008 (Wild Child) Regie: Nick Moore mit Emma Roberts, Natasha Richardson, Shirley Henderson 98 Min. FSK: o.A.

Als es die verzogene Göre in Los Angeles zu weit treibt, schickt sie der Vater auf ein englisches Internat. Die 16-jährige Poppy findet dort alles furchtbar, ihr glänzender Glitterauftritt steht krass im Gegensatz zu den Schuluniformen der anderen. Poppy will nur eines - schnell weg. Doch je trotziger sie auftritt, umso mehr Freundinnen findet sie. Sogar die Schulmannschaft im Lacrosse möbelt die ignorante Amerikanerin auf. Doch als sie endlich akzeptiert ist und sich angepasst hat, droht eine Intrige sie von der Schule zu werfen.

„Wild Child“ ist ein braves Besserungsfilmchen für aufmüpfige Teenager - doch wirklich aufmüpfige Teenager werden sich diesen Film nicht ansehen. Er ist in der Handlung eher trivial, nicht besonders originell, aber wenigstens anständig inszeniert. Die anfangs wilde, später rührende Story bietet einen Mix aus richtigen und Abziehfiguren. Julia Roberts' Nichte Emma beeindruckt darin als Hauptdarstellerin nicht besonders. Mehr Substanz hat etwa Natasha Richardson als Direktorin. Doch für junge Mädchen wird „Wild Child“ bis zur großen Solidaritätsszene für etwas Spaß und reichlich Wohlgefühl sorgen.

15.12.08

Lakeview Terrace


USA 2008 (Regie:    Neil LaBute) mit Samuel L. Jackson, Kerry Washington, Patrick Wilson 111 Min. FSK: ab 12

Der San-Andreas-Graben durchzieht Kalifornien von Nord nach Süd und sorgt für Spannungen in der Erdkruste, sowie in Folge immer wieder für Erdbeben. Andere Verwerfungen - die in der amerikanischen Gesellschaft - sorgen ebenfalls für Spannungen an der Westküste der USA, das zeigen Filme wie „Crash“ oder Altmans „Short Cuts“ auf exzellente Weise. Nicht in die Kiste „Meisterwerke“ gehört „Lakeview Terrace“, aber dank einiger Klasse bei Schauspiel und Skript gerät das Nachbarschaftsdrama nicht zu schnell auf die Schiene trivialer Gewalt (-filme).

Lisa und Chris Mattson (Kerry Washington, Patrick Wilson), ein frisch vermähltes und verliebtes Paar ziehen in ihr neues Luxushaus im wohlhabenden Viertel Lakeview Terrace in der Nähe von Los Angeles. Die Freude an den eigenen vier Wänden, dem Pool und dem großartigen Ausblick wird schnell vom Nachbarn Abel Turner (Samuel L. Jackson) gestört. Der irritiert mit kleinen Gemeinheiten und grellen Sicherheitsscheinwerfern in der Nacht. Dass Lisa eine Schwarze und Chris weiß ist, kann eigentlich nicht der Grund für die Vorbehalte sein, auch Abel hat schwarze Haut. Der wohlhabende Yuppie Chris kann sich gegen den vor Gewalt und Selbstbewusstsein strotzenden Polizisten Abel nicht mal im nachbarlichen Gespräch durchsetzen. Eine Demütigung, die Abel sichtlich auskostet. Zudem hat er immer das letzte Wort: „Sie können ja die Polizei rufen. Ich weiß, wer gerade Dienst hat“. Es beginnt ein raffiniertes psychologisches Spiel namens Nachbarschaftskrieg, wobei der Provokateur sich selbst oft nicht im Griff hat. Ein Spiel mit tödlichem Ausgang.

In „Lakeview Terrace“ kommt eine Vielzahl von Konflikten und Spannungen zusammen: Schwarz und Weiß, Mann und Frau, reich und Polizei-Einkommen, liberal und moralisch, entspannt und engstirnig, hoffnungsvoll und frustriert
Demokraten und Konservative. Diese Bruchlinien verlaufen nicht nur längs der Grundstücksgrenzen. Auch Lisa und Chris treibt es auseinander. Ihr Vater hat ihnen ein Haus gekauft, respektiert aber nicht den Schwiegersohn.

Während auf der gegenüber liegenden Seite des Tales einer der kalifornischen Waldbrände wütet, könnte der Nachbarschaftsstreit in einen billigen Actionfilm ausarten oder nach Nachmittags-TV aussehen. Nur die ordentlich aufgebaute Geschichte und Samuel L. Jackson als beängstigend guter Darsteller machen „Lakeview Terrace“ ansehbar. Zwischen Psychopath und bedauernswertem Opfer ist Abel kein Hüter seines Nachbarn, und wenn man den Namen biblisch und bildlich sieht, scheint Abel diesmal der Täter zu sein. Diese Ambivalenz bleibt bis zum Ende, das nach einem kurzen Actionfinale nur vermeintlich brutale Selbstjustiz vollzieht. Wenn man wirklich die Möglichkeiten und verpassten Chancen abwägt, ergibt sich ein bitterer, ungerechter Sch(l)uss.

10.12.08

The Women - Von großen und kleinen Affären


USA 2008 (The Women) Regie: Diane English mit Meg Ryan, Annette Bening, Eva Mendes, Debra Messing, Jada Pinkett Smith, Bette Midler, Candice Bergen 114 Min. FSK o.A.

Noch ein Remake, aber diesmal so unnötig wie der gesamte Kram in den Shopping-Taschen einer frustrierten Frau. Womit wir bei den Klischees wären, und die bietet der Film im Übermaß. Er besteht eigentlich nur aus Klischees. Und da die auch nicht besonders überzeugend spielen, kann man das Filmchen ebenso vergessen wie die Modekapriolen vom vergangenen Jahr.

Von George Cukors noch immer aktuellen Original „The Women“ (Die Frauen) aus dem Jahre 1939 wurde die Idee übernommen, dass im gesamten Film kein Mann zu sehen ist. Und die Figuren, die Handlung sowie viele Szenen. Trotzdem ist das Original ein Spaß, ein Genuss mit Biss und Weisheiten. Das Remake ist ... nichts.

Mary (1939: Norma Shearer / 2008: Meg Ryan) erfährt vom Betrug ihres Götter-Gatten Stephen. Der wurde von der „femme fatale“ Crystal (raffiniert: Joan Crawford / simpel: Eva Mendes) verführt. Doch mit Hilfe der Freundinnen nimmt Mary nach etwas Jammern den Kampf um das eigenen Leben auf. Von Mary bis Crystal sind alle Figuren völlig überzeichnet, aber lassen darin den Kern von Wahrheit vermissen, der bei Cukor die überzogene Oberflächlichkeit der Modewelt ausglich. Marys Workaholic-Freundin etwa ist heutzutage so arrogant, dass es sie gar nicht interessiert, ob ihre Gemeinheiten ankommen. Frauen, weit über den Rand des Nervenzusammenbruchs. Oder: „Sex and the City“ auf uninteressant gedreht. Zu betrauern ist auch der Niedergang von Meg Ryan, die nicht nur eine verlorene Gattin spielt, sondern immer in der Rolle verloren bleibt und mit ihren nun albernen Manierismen und den furchtbar aufgeblasenen Lippen keinen Moment interessiert.

9.12.08

Transsiberian


GB, BRD, Spanien 2007 (Transsiberian) Regie: Brad Anderson mit Woody Harrelson, Emily Mortimer, Kate Mara, Ben Kingsley 111 Min. FSK: ab 16

"The Machinist" von Brad Anderson war eine Sensation: Ein extremes Psychogramm mit einem extremen Christian „American Psycho“ Bale  in der extremen Hauptrolle. Nun spielt der Maschinist gar nicht mit, oder man sieht nicht, wie er die Transsibirische Eisenbahn befeuert. Was die Geschichte von zwei amerikanischen Touristen antreibt, ist etwas ganz anderes, immer wieder als Genre oder Klischee Bekanntes. Doch die Bilder und vor allem das Schauspiel von Emily Mortimer und Ben Kingsley machen die Fahrt interessant.

Roy und Jessie, ein amerikanisches Paar, fährt nach erfolgreicher Missionsarbeit in China mit der „Transsibirischen“ in Richtung Westen. Auf dem Weg nach Moskau hören sie zuerst ahnungsvolle Geschichten von Korruption und Verbrechen. Dann teilen sie das Abteil mit dem jüngeren Pärchen Abby und Carlos. Der Latino ist ganz platt der unsympathische Tunichtgut und Verführer. Es ist nicht viel von ihm zu erwarten, oder genauer: alles Üble kommt in Folge von ihm. Er spielt mit dem Pärchen und sie lassen sich fragwürdig leicht verführen. Jessie, die einstige Trinkerin, die nun für eine Freikirche missionierte, ist zerrissen zwischen „chica mala“ und bravem Mädchen. Die interessante Frau spürt immer noch eine Unruhe, obwohl sie jetzt mit dem Langeweiler Jessie zusammen lebt. Als der den Zug nach einer Pause verpasst, als sich Carlos als Drogenschmuggler und Vergewaltiger zeigt, beginnt ein Drama, das mit Toten und einem großen Zusammenstoß endet.

Maschinist Brad Anderson sorgt für eine planmäßige Fahrt auf bekannten Genregleisen. Eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen, spannende faltige und urige Gesichter lockern den Thriller auf, der auch ein Härtetest für eine problematische Beziehung wird. Inszenatorisch wird die Stimmung im Zug aufgenommen, aber es gelingen nur ein paar besondere Momente, etwa wenn Carlos in einer verlassenen Kirche den verwitterten Ikonen gleicht. Harrelson gibt einen Langeweiler, den man schon nach wenigen Minuten nicht mehr sehen will. So werden Jessies Abwege verständlich. Emily Mortimer fasziniert hingegen als gebrochene Figur. Als Fotografin schaut sie genauer hin, wie Blicke überhaupt eine gute Rolle spielen. Mortimer kann mit ihrer Mimik immer wieder fesseln. Man fragt sich, ob sie nicht unterfordert war. Zumindest Ben Kingsley als zwielichtiger russischer Kommissar hält ihr stand.

Der Tag an dem die Erde stillstand


USA 2008 (The Day the Earth Stood Still) Regie: Scott Derrickson mit Keanu Reeves, Jennifer Connelly, Kathy Bates 103 Min. FSK: ab 12

"Wieso dieses Remake?" ... wird niemand fragen! Der Science Fiction „Der Tag an dem die Erde stillstand“
über den verantwortungslosen Umgang der Menschen mit ihrer Erde kommt nach über 55 Jahren mit perfektem Timing ins Kino. Auch weil die mit einfachen Emotionen und großen Effekten bewegende Story um den "Alien" Keanu Reeves in Frage stellt, ob es noch kurz vor 12 oder schon zu spät ist.

Erst taucht dieses Objekt in der Tiefe des Alls auf und dann geht alles ganz schnell. Nur Minuten bleiben Politikern, Militärs und Wissenschaftler, sich auf einen katastrophalen Einschlag mitten in Manhattan vorzubereiten. Die Bevölkerung gibt man direkt verloren, der Präsident taucht unter und niemals wieder auf. Das ähnelt alles den Geschichten und Filmen über Invasionen vom Mars und anderswo. Doch die kleinen Details, wie Menschen miteinander umgehen, wie Regierungen sich um ihre Bevölkerungen kümmern, gewinnen angesichts der späteren außerirdischen Gretchenfrage reizvoll an Bedeutung. Anfangs, nachdem statt des Einschlages eine riesige, leuchtende Kugel im Central Park New Yorks landet, steht die Frage zentral, wie wir mit Fremden umgehen.

Hier qualifiziert sich die Wissenschaftlerin Dr. Helen Benson (Jennifer Connelly) als Hauptfigur der Geschichte: Während alle anderen sich erschreckt auf den Boden werfen oder erstmal schießen, bevor sie Fragen stellen (große amerikanische Tradition!), geht Helen auf den Fremden zu, reicht ihm die Hand. Klaatu nennt sich der Botschafter in Menschengestalt. Oder besser: in Gestalt von Keanu Reeves, der ja in seinen Rollen irgendwo zwischen Erlöser und Außerirdisch, oder zumindest Abgehoben schwebt. Klaatu kommt wie ein Kind auf unsere Welt, lernt schnell und wächst mächtig. Der US-Regierung (böse: Kathy Bates), die ihn als Forschungsobjekt zerschnibbeln und dann foltern will, entflieht er mit Hilfe von Helen. Die rätselt zwar über die Absichten des seltsamen Botschafters, begleitet ihn aber auf seiner Reise. Tatsächlich will Klaatu die Erde retten, aber nicht mit, sondern vor den Menschen. Ein riesiger Roboter wartet auf den Befehl zur Zerstörung der Menschheit und ihrer perversen Schöpfungen. Nur Helen und ihr kleiner Stiefsohn Jacob Benson (Jaden Smith) könnten den radikalen Umweltretter noch bewegen, den Menschen die Fähigkeit zum Lernen und zur Veränderung zuzutrauen...

„Der Tag an dem die Erde stillstand“ fühlt sich als rührendes Zukunftsmärchen sehr gegenwärtig an! Noch mehr als die Umweltverschmutzung und der Raubbau werden in der us-zentristischen Perspektive die beschränkten Politiker und Militärs vorgeführt. Sie verhalten sich genauso kindisch wie das trotzige Kind Jacob, das auch erst mal den Fremden erschießen will. Helen Benson hingegen lebt bis in die nicht gezeigte Biografie hinein, Vertrauen, Offenheit und ein sehr großes Herz vor. Connelly hält mit dieser Figur sogar neben Keanu Reeves, der minimalistischen Matrix für große Bedeutungen, stand. Dass der im Computer designte Gigant Gort und all die gewaltigen Effekten des teuren Films mit den kleinsten menschlichen Regungen harmonieren, macht den Film gelungen. Und lässt zumindest für den Fortbestand guter Blockbuster hoffen. Das mit der echten Erde ist leider keine einfache Hollywood-Geschichte mit eingebautem Happy End.

2.12.08

Vicky Cristina Barcelona


USA 2008 (Vicky Cristina Barcelona) Regie: Woody Allen mit Scarlett Johansson, Penélope Cruz, Javier Bardem 96 Min. FSK: ab 6

Allen Unkenrufen und auch "Casandras Traum" zum Trotz kann Woody Allen es doch noch. Man sagte ihm schon nach, er würde wieder in Spanien drehen, nur um dort lokale Produktionsgelder abzuschöpfen. Doch Barcelona hat den filmischen Exil-New Yorker derart inspiriert, dass es die Stadt völlig verdient, in den Titel der ebenso lustvollen wie hintersinnigen Liebes-Komödie "Vicky Cristina Barcelona" aufgenommen zu werden.

Ihr Leben ist ebenso geregelt wie die baldige Hochzeit: Vicky (Rebecca Hall) hat den richtigen Mann, der täglich zur Arbeit geht und gut Geld nach Hause bringt. Vor der Hochzeit mit dem New Yorker Geschäftsmann will sie noch einmal mit der Freundin Cristina (Scarlett Johansson) brav einen Ausflug nach Barcelona zu genießen. Doch dann der große Auftritt von Antonio (Javier Bardem)! Der Latin Lover und Künstler fragt die jungen Frauen im Restaurant unverfroren und eindeutig, ob sie das Wochenende mit ihm verbringen wollen. Cristina ist gerade zwischen zwei Beziehungen und hätte nichts dagegen, während sich Vicky pikiert und steif an ein wenig Alkohol festhält.

Es kommt, wie es kommen muss und doch ganz anders: Cristina ist völlig besoffen bald aus dem Rennen und Antonio interessiert sich plötzlich sehr zurückhaltend für Vicky. Das hinterlässt Spuren und eine zweifelnde Verlobte. Wie all diese Verwirrten ihre Gefühle zu verstecken glauben und doch unübersehbar zeigen, ist eines der großen Vergnügen an diesem Woody Allen. Ein anderes der Genuss, mit dem er nicht nur seine Figuren, sondern auch immer wieder die Zuschauer in die Irre führt. Denn während Vicky halbwegs heimlich nach Antonio schmachtet und Gewissensbisse pflegt, geht Cristina schnell zum Angriff über und schnappt sich den unglücklich verliebten Spanier. Sie zieht glücklich verliebt zu ihm ins traumhafte Atelier und alles läuft so gut wie eine Zwischenlösung sein kann, bis Antonias wahnsinnige Liebe in Form von María Elena (Penélope Cruz) über alles hereinbricht. Nun knistern die Kinopolster vor Erotik, die Fetzen fliegen vor Leidenschaft ebenso wie die Messer. Die blasse Cristina, der vormalige Vamp, tut einem in diesem aufschäumenden Bermuda-Beziehungsdreieck plötzlich richtig Leid und Vicky weiß gar nicht mehr, wo ihr der Kopf steht.

„Vicky Cristina Barcelona“ - zeigt überraschend gut und spritzig Leidenschaften und Lachen,  Liebe und Leiden. All diese pursten Zutaten eines menschlichen und komischen Beziehungsdramas bringt Woody Allen auf den Punkt und die Leinwand. Bardem und Cruz als wahnsinnige Lover sind atemberaubend gut. Gänzlich entgegengesetzte Vorstellungen von Liebe beweisen die Weisheit, diese Dinge nie begreifen zu können. New York bekommt in Person eines furchtbar langweiligen Zukünftigen viele Spitzen des beleidigten New Yorkers Allen ab. Mit Scarlett Johansson als Salz in der scharf kochenden Liebessuppe lotet der Altmeister der intellektuellen Komödie noch einmal reizend und durchaus mit ernstem Hintersinn Varianten von Liebe und Sexualität aus.

Quarantäne


USA 2008 (Quarantine) Regie: John Erick Dowdle mit Johnathon Schaech, Jennifer Carpenter, Joey King 89 Min. FSK: ab 16

Weshalb die Spanier immer wieder wirklich gute und vor allem originelle Horrorfilme produzieren, bleibt ein spannendes Rätsel. Weshalb in einem ganz normalen Wohnhaus ein Virus ausbricht, blieb im Original mit dem Titel "[Rec]" auch lange ein Geheimnis. Das amerikanische Remake kam vor allem schnell, kaum ein Jahr nach der spanischen Vorlage. Dafür geht es gröber und offensichtlicher zu Werke. Doch wer das kleine, aber äußerst effektive, raffinierte und heftige Horror-Gesellenstück von Jaume Balagueró und Paco Plaza verpasste, sich von heftigen Schrecken nicht abschrecken lässt, wird sich gerne in diese "Quarantäne" begeben.

Der Anfang riskiert es, Zuschauer zu verlieren: Absichtlich flach kommt der TV-Bericht über den Dienst einer Feuerwehrstaffel nachts und live aus einer Feuerwache in San Francisco. Die zotige Führung durch Garage, Kantine und Hinterzimmer langweilt nicht nur die Moderatorin. Als dann der lang erwartete Einsatz kommt, kann sie es kaum erwarten. In einem mehrstöckigen Wohnhaus habe eine alte Frau in ihrem Appartement geschrien. Nach Aufbrechen der Tür irritiert die verstörte Dame im blutigen Nachthemd - ein paar Momente. Dann fällt sie rasend einen Polizisten an und die Zombie-Fütterung kann beginnen. Denn Hilfe kommt nicht mehr, das Haus wurde wegen biologischer Kontaminierung verschlossen und steht unter Bewachung von Scharfschützen. Und in den unübersichtlichen Winkeln greift die Epidemie heftig um sich. Die Bedrohung steigert sich schnell, bis nur noch Flackerlicht, Wackelkamera, Blair Witch-Effekte und Panik übrig bleiben. Das wirkt sehr simpel, ist aber schrecklich effektiv. Bis zum vollen Einsatz der subjektiven Kamera - als Waffe gegen die Zombies.

"Quarantäne" wirkt in allen Belangen wie eine Billigversion von "[Rec]", ist offensichtlicher und nicht so schreckhaft. Und dies obwohl die meisten Szenen identisch nachgedreht wurden. Weshalb das Original "[Rec]" keine Jugendfreigabe erhielt und das Remake schon ab 16 zu genießen ist, bleibt auch ein Rätsel. Zumindest die amerikanische Originalversion ist nicht weniger blutig oder brutal. Vielleicht nicht so raffiniert im Erschrecken. Oder die Einschnitte für den deutschen Markt haben wieder für eine Verstümmelung des Originalwerkes gesorgt.

Madagascar 2


USA 2008 (Madagascar: Escape 2 Africa) Regie: Eric Darnell, Tom McGrath 90 Min. FSK: o.A.

DreamWorks' Wildes Tierleben - das war 2005 eine Sensation in Sachen Zeichentrick-Humor und ein Kassenhit zudem. Nun startet das tierische Quartett aus Löwe Alex, Zebra Marty, Giraffe Melman und Nilpferd Gloria zu einer weiteren Bruchlandung - und sie haben den überdrehten Spaß noch immer im Blut oder in der Farbe der Computer-Animation. Geschickt vermeiden sie Wiederholungen und lassen doch all den beliebten üblichen Verdächtigen und den Affen Zucker geben. Bis zu den unglaublich suspekten Pinguinen.

Wie ein großes, mehrteiliges Kino-Epos verdient auch "Madagascar" sein "Prequel", das erzählt "Was vorher geschah ...": Die dramatische Kindheit von Alex nämlich! Der Star des Zoos von New York hinterließ seine ersten Pfotenabdrucke im afrikanischen Savannen-Sand. Unter den wachsamen Augen seines Vaters, des Königs der Löwen. Wachsam, aber auch skeptisch. Denn die ballettartigen Tanzschritte des niedlichen Juniors irritierten den liebevollen Kraft-Papa schon etwas. Doch als dieser mal wieder unlustig seinen Rang verteidigen musste, lockten Wildräuber den kleinen Alex aus dem Reservat und nach einer abenteuerlichen Reise landete er unter den Menschen der Ostküsten-Metropole.

Nach diesem mutigen Sprung direkt in die Action-Handlung fasst "Madagascar 2" rasant zusammen was danach und was beim letzten Mal passierte. Beim Kritiker macht sich angesichts dieser Erzähl-Ökonomie Erleichterung breit - denn mit Wiederholungen füllen andere Fortsetzungen gerne mal den ganzen Film. Diese Erfolgsfolge ist jedoch so frisch, sie könnte auch "Serengeti 1" heißen.

Spätestens wenn die durchgeknallten Lemuren auf Madagascar mit ihrem wahnsinnigen Grinsen in die Kamera blicken und die mysteriösen Pinguine das Ruder eines Flugzeuges übernehmen, ist das herrliche Humorgefühl wieder da. Hier werden Tiere nicht nur so vermenschlicht, dass man ihnen statt Futter gleich reihenweise Oscar-Trophäen zuwerfen möchte. Die überdrehten Charaktere drehen die Evolution gleich noch eine Stufe weiter, die Spaß-Evolution vor allem.

Mittels einer Riesen-Flitsche startet der Jumbo mit dem Löwen Alex, Zebra Marty, Giraffe Melman und dem Nilpferd Gloria von Madagascar in Richtung Heimat, in Richtung New York. Doch da die zu Recht recht arroganten Pinguine in der Steuerkanzel mit anderen Dingen beschäftigt sind, gibt es eine Bruchlandung irgendwo in Afrika. Gelegenheit für die Zoo-Helden, ihre Wurzeln auszugraben, oder „Roots“ wie Marty in einem der vielen gesungenen und eingeflochtenen Medienzitate treffend erwähnt. Alex tanzt sich mutig zum König der Löwen, Gloria und Melman finden überraschend ihre Liebe, während Marty sich selbst findet - in ein paar hundert identischen Zebras.

Die Mimik der Haupthelden überzeugt wieder einmal, ansonsten streben die Zeichnungen gar nicht nach der Perfektion vom Konkurrenten Pixar. Umwerfend sind allerdings die verrückten Nebenfiguren. Der überkandidelte Lemurenkönig Julien (im Original gesprochen von „Borat“ Sacha Baron Cohen) und noch schärfer die Pinguintruppe, die diesmal mit einer Horde Schimpansen in die verrücktesten Situationen gerät.

26.11.08

Haus Bellomont DVD


Winkler Film

Regie:     Terence Davies

Terence Davies ("Distant Voices, Still Lives") gehört zu den begnadeten Filmkünstlern, die schon fast vergessen waren, bevor die DVDs aufkamen. So ist die Suche nach seinen Filmen oft noch erschütternder als die wundervollen Bild-Ton-Wort-Kompositionen des sensiblen Bildungsmenschen selbst. Passend zu seiner aktuellen Dokumentation „Of Time and the City“ und einer umfassenden Hommage beim Festival von Thessaloniki erscheint nun „Haus Bellomont“, eine prominent besetzte Literaturverfilmung aus dem Jahre 2000.
Nach dem Roman „The House of Mirth“ von Edith Wharton erspürt dieser faszinierend stilisierte Historienfilm den Niedergang der New Yorker Gesellschaftsdame Lily Bart (Gillian "Scully" Anderson). Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebt sie die junge Frau den Adelskreisen, auf deren Wohlwollen sie aber mangels Mittel angewiesen ist. Durchaus eigenwillig auch in der Wahl ihrer männlichen Bekanntschaften, kommt es nicht zu den arrangierten Vernunftsehen. Allein außerhalb der Gesellschaft stehend, schwinden Lebensfreude und Gesundheit. Zu ungeschickt im Gesellschaftskampf, scheitert Lily schließlich daran, dass sie zu gut, zu ehrlich, zu aufrecht und stolz ist.
Ebenso geschliffen wie die Wortgefechte zwischen Lily und ihrer unerfüllten Liebe sind die edlen Bilder von Terence Davies. Erlesene Filmkunst, die zudem tief bewegt. Neben der unabdingbaren Originalversion reizt bei den Extras besonders der Audiokommentar.

Death Race


USA 2008 (Death Race) Regie: Paul W.S. Anderson mit Jason Statham, Joan Allen, Ian McShane 105 Min. FSK: ab 16

Jährlich bringt der Autoverkehr in Deutschland rund 5000 Menschen um. Das macht in Europa zig Tausende und den noch auto-wilderen Rest der Welt gar nicht erst mitgedacht... Das bedeutet, die paar Tote beim dem mörderischen Autorennen „Death Race“ sind eigentlich ein paradiesischer Zustand. Wären da nicht die sehr drastischen Darstellungen der „Unfälle“ in diesem auf jeden Fall lauten Action-Film ...

„Lauf um dein Leben“ hieß es einige Male im Kino. Nun muss Jensen Ames (Jason Statham) bei einem zynischen „Todesspiel“ mitmachen. Wegen angeblichem Mord an seiner Frau landet der dreifache Speedway-Champion im Knast der eisernen Lady Hennessey (Joan Allen). Die verdient sich mit der Live-Aussendung eines heftig motorisierten Knastrennens richtig viel dazu und Jensen soll die Quote hochhalten. Der vermutet schnell, dass Hennessey auch hinter dem Mord an seiner Frau steckt. Doch erst muss der Neuzugang die üblichen Prügeleien im sehr rauen Zellentrakt überstehen. Dann geht es ins Rennen mit Schusswaffen, Granaten, Streusplittern und vielen anderen Gemeinheiten. Mord gehört hier zum Reglement.

Das Remake von "Frankensteins Todesrennen", einem Corman-Film aus dem Jahre 1975, fährt im Original extrem brutale Morde auf, die zudem sehr sadistisch präsentiert werden. Eine Innenstadt-Radweg ist da nichts gegen. Bei der Vollgas-Action bleibt nichts übrig von dem kritischen Charakter eines „Running Man“ oder von Menges „Todesspiel“.

Statham ist wie gewohnt cool und extrem hart, die Qualität der Raserei entspricht den Erwartungen des Zielpublikums. Auf der Positiv-Seite entscheiden sich die Duelle nicht alle durch endloses Kopfeinhauen, hier wird der Kopf auch zum Denken gebraucht. Und mit Solidarität kommt Jensen schließlich besser ans Ziel als mit von oben angestachelter Konkurrenz.

25.11.08

It's a free world


UK, Italien, BRD, Spanien, Polen 2007 (It's a free world) Regie: Ken Loach mit Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek, Joe Sifflet 92 Min.

Zurzeit blättern selbst Wirtschaftsteile der rechten Zeitungen beim guten alten Kapitalismus-Kritiker Marx nach. Da müsste auch Ken Loach zu neuen Ehren kommen, kämpfte er doch seit Jahrzehnten in seinen Filmen für die Rechte des kleinen Arbeiters und gegen die Auswüchse des Kapitals. Nun also der im Moment höhnisch wirkende Titel "It's a free world" - es ist eine freie Welt ... für das Kapital und die nimmersatten Spekulanten. Wie unfrei allerdings Gewinnmaximierung macht, erlebt darin eine mutige Unternehmerin. Leider ist "It's a free world", der neue Film vom Cannes-Sieger, eine eher stumpfe Waffe gegen Ausbeutung und Globalisierung.

Die resolute und schlagfertige Angie weiß, wie hart das Angestelltenleben ist. Gerade warb sie noch im Osten Europas für eine Personalvermittlung billige Arbeitskräfte an, jetzt braucht sie selbst einen neuen Job. Sie wurde gefeuert, weil ihr ein Vorgesetzter an die Wäsche wollte. Doch Angie macht sich mit ihrer Freundin Rose im Hinterzimmer einer Londoner Kneipe selbständig. Mit viel Energie vermitteln sie in ihrer eigenen Agentur osteuropäische Arbeitskräfte für ziemlich miese Jobs. Angie könnte ein Engel sein, auch wenn sie auf ihrem Motorrad mit den wehenden blonden Haaren höllisch gut aussieht. Ihre neuen Kunden himmeln sie meist an - die Bedingungen sind klar, Angie und Rose achten darauf, dass alle korrekte Papiere haben. Auf einem emotionalen Höhepunkt kümmert sich Angie ganz persönlich um eine iranische Familie, holt sie vor der Kälte nach drinnen, besorgt dem Vater einen Job und allen eine Unterkunft. Dankbare Kinderaugen strahlen die Frau aus dem Westen an. Auch die Beziehung zu Karol aus Polen tut dem Herzen gut.

Aber der Druck im Geschäft ist groß. Arbeiter beschweren sich, Firmen verlangen mehr und zahlen weniger. Dazu bewältigt Angie auch ganz alleine die Erziehung ihres Sohnes. Angie wird hart, Rose und Karol wenden sich von ihr ab. Und irgendwann, als zu wenig Wohnwagen für ihr Menschenmaterial da ist, ruft sie die Polizei, um illegale Einwanderer aus ein paar Wohnwagen verhaften zu lassen. Unter ihnen die iranische Familie. Und wieder blicken sie große Kinderaugen an ... Aus Angie ist ein eiskalter Engel geworden. Nur ihr Vater, ein alter Sozialist, ruft eine Erinnerung an schwer erkämpfte Rechte zu - ungehört.

Ken Loach ist auch so ein alter Sozialist. Seine Erinnerungen an Rechte und menschlichen Anstand wie "Riff-Raff", "Land and Freedom“, "Carla’s Song", "My Name is Joe" oder "Sweet Sixteen" kommen oft mit Humor daher, packen und rühren. Für "The Wind that Shakes the Barley" erhielt er die Goldene Palme in Cannes. Paul Laverty schrieb wie damals auch nun das Drehbuch, aber diese moralische Lehrstunde über den menschenverachtenden Handel mit Arbeitskräften aus Osteuropa enttäuscht. Sie wählt ausnahmsweise nicht den Blick der Opfer. Das hätte man schon zu oft gesehen, meinte Loach. Doch das von der Filmstiftung NRW geförderte Thesenspiel bleibt leider zu leblos.

New York für Anfänger


USA 2008 (How to Lose Friends & Alienate People) Regie: Robert B. Weide mit Simon Pegg, Kirsten Dunst, Danny Huston 111 Min. FSK: o.A.

Vergessen Sie den komischen Titel. Wir ersetzen ihn mit dem wesentlich treffenderen Originaltitel "How to Lose Friends & Alienate People"  -Wie man Freunde verliert und Menschen verschreckt. Oder mit: "Simon Peggs umwerfender Humor strandet in Hollywood". Simon Pegg drückte als Regisseur, Autor und Darsteller verschiedensten Filmen seinen Stempel auf und erfrischte Genres. Bei "Shaun of the Dead" wurde die erste Todesursache im Zombiefilm das Todlachen. Pegg als perfekter Polizist sorgte in der englischen Provinz von "Hot Fuzz" für Action und Ablacher. Und auch in den Disziplinen von romantischer Komödie und Marathonstrecken überzeugte der Brite bei "Run Fat Boy Run". Nun wagt er den Sprung über den Teich und entgeht einer Bauchlandung nur so gerade: Er tritt bei "New York für Anfänger" einfach in zu wenige Fettnäpfchen...

Celebrity-Autor Sidney Young (Simon Pegg) ist in London eher berüchtigt als berühmt. Seine Texte im intellektuellen Heftchen halten mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, dementsprechend erfolglos ist er. Doch dann kommt der Anruf aus New York: Ausgerechnet Herausgeber Harding (Jeff Bridges), den Sidney übel veralberte, will ihn für sein Hochglanz-Magazin "Sharps" haben. Der Engländer in New York ist völlig geschmacklos, hat einen exzellenten Radar für Fettnäpfchen, schockiert mit zottigem Humor und merkt es nicht. Herrlich, wie er mit seinem Antanzen den Dancefloor leert und dann zuerst mal einen Transvestiten abschleppt. Am nächsten Morgen kollidiert sein Riesen-Ego mit einem kleinen Job. Die coolen Partys sind eine einzige Schleim-Schlacht, alle heucheln und hökern. Wahres Talent ist nicht gefragt. Doch ausgerechnet in die größte "Poserin" Sophie Maes (Megan Fox) verliebt sich Sidney und übersieht die nette Kollegin Alison Olsen (Kirsten Dunst).

Hier beginnt die klassische Dramaturgie solcher Filme: Sidney verrät sich eine Weile, wird auch so ein oberflächlicher Opportunist, nimmt sich die nur schönen Frauen und nicht die richtigen. Ab hier gibt es keine Überraschung mehr in der Geschichte. Ein gebremster Simon Pegg ergibt sich der üblichen Formel von Filmen wie "Vanity Fair". Nur als Trost ist das letzte Fettnäpfchen ein richtig dickes und das Happy End ein süßes.

Insgesamt gewinnt der Charme der Ingredienzien doch über die Formel: Kirsten Dunst spielt überzeugend wieder das große Herz. Es ist eine der vielen schönen Ideen des Skripts, dass sie immer an der Bar sitzt und der Drink schon auf ihren Poeten-Freund wartet. Ihrer Lieblichkeit tut der raue Humor von Simon Pegg richtig gut. Auch wenn dieser nicht so genial, spritzig, schnell und treffend funktioniert wie in Peggs früheren Filmen. Es gibt noch eine ähnlich schwarz-böse Hundenummer wie in "Verliebt in Mary", wieder eine ultra-coole Rolle für Jeff Bridges ("Big Lebowski") als Herausgeber, und der Klassiker "Dolce Vita" von Fellini wird als Zitat nicht einfach so vor die Säue geworfen. Immerhin spielte Mastroianni ja auch einen jungen Reporter der in die Metropole Rom landen will und dabei baden geht. Allerdings wird jetzt nicht noch das Bad der Egberg mit dem von Megan Fox verglichen.

18.11.08

Palermo Shooting


BRD 2008 (Palermo Shooting) Regie: Wim Wenders mit Campino, Giovanna Mezzogiorno, Dennis Hopper 108 Min. FSK: ab 12

Nach vielen gefeierten und verrissenen, nach mutigen und unverstandenen Filmen aus Amerika kam der verlorene Sohn Wim Wenders zurück nach Düsseldorf um seinen neuen Kinofilm „Palermo Shooting“ zu drehen. Die Hauptrolle spielt Campino, der Düsseldorfer Frontmann der Toten Hosen. Auch die weiteren Rollen sind mit Dennis Hopper, Lou Reed, Patti Smith, Udo Samel, Inga Busch und Jana Pallaske auf den ersten Blick gut besetzt. Allerdings geht es auch sehr bedeutungsschwer um den Blick - wie so oft bei Wenders. Campino spielt einen jungen Fotografen, der in einer Lebenskrise steckt und sich auf eine Reise von Düsseldorf bis Süditalien begibt.

Der Bild-Künstler, der keine Bilder mehr hat ... das war schon in "Alice in den Städten", reizvoll autobiografisch und vielleicht prophetisch. Denn Rüdiger Vogler kam damals aus den USA zurück, um in der Heimat mit Hilfe eines kindlichen Blickes sein Bilder wieder zu finden.

Der Düsseldorfer Fotograf Finn (Campino) ist das Abziehbild des Starfotografen als Überflieger. Zum Abheben reicht aber längst nicht mehr nur der Erfolg, auch immer kräftigere Dosen Drogen müssen her. Nachdem ihn der Tod in einer zu schnellen Kurve fast erwischt hat, will Finn sein Leben fliehen und nimmt einen Auftrag in Palermo an. Nur, um sich dort bald abzusetzen und durch die Stadt zu streunen. Allerdings schlagen immer wieder mysteriöse Pfeile um ihn ein, denen er nur knapp entwischt. Mit Hilfe seiner Kamera schießt Finn zurück und versucht den Heckenschützen auf die Spur zu kommen. Außer den oben aufgereihten Promis, darunter auch bekannte Fotografen und Fotografinnen, trifft Finn eine junge italienische Restauratorin, deren Wandgemälde einen Schlüssel zum Rätsel um Finn enthält.

Wim Wenders bewahrt sich das Beste bis zum Schluss auf - vorher zeigen die Bilder um die Bildersuche nicht viel Begeisterndes. Erst im finalen Zwiegespräch des sinnsuchenden Fotografen mit dem Tod (Dennis Hopper) erträgt man sogar die furchtbaren Plattitüden über Leben und Fotografie - dank Hopper. Zuvor war der uneinheitliche „Palermo Shooting“ mit dem ungeeigneten Rocksänger Campino in der Hauptrolle ziemlich tote Hose: Er spielt den frustrieren Düsseldorfer Fotografen wenig überzeuged. Was als Idee ganz reizvoll klingt, bleibt im Film zwischen Traumbildern und Stadtimpressionen ohne wirkliches Leben.

Der Mann, der niemals lebte


USA 2008 (Body of Lies) Regie: Ridley Scott mit Russell Crowe, Leonardo DiCaprio, Mark Strong 128 Min. FSK: ab 16

Heißt es eigentlich "Anti-Terrorkrieg" oder "Antiterror-Krieg"? Das hängt vom Film ab. "Syriana", "Three Kings" und andere Hollywood-Produktionen überraschten in den letzten Jahren mit einer ausgesprochen kritischen Haltung gegenüber der US-Außenpolitik, vor allem angesichts deren Kriegen gegen im Irak und in Afghanistan.

Nun stürzte sich auch Ridley Scott wieder in die Kampfhandlungen. Scott, der ehemalige Werbefilmer, der mit "Blade Runner" und anderen Kinolegenden immer wieder sehr schwache Filme vergessen lässt. Scott, der schon mit "Black Hawk Down" Abscheu eher für den Kriegsfilm als für den Krieg erzeugte.

Der Film, der niemals packte, erzählt vom CIA-Agenten Roger Ferris, der einen dieser Super-Bösewichte von Al-Qaida oder einem anderen Terroristen-Verein versucht zu finden. Zwischen Folter, Verrat und Verfolgungsjagden folgt Ferris der Spur nach Jordanien, gewinnt dort das Vertrauen des manipulativen und folternden Geheimdienst-Chefs. Bei allen Winkelzügen ist dem Nahost-Agenten allerdings sein fanatischer CIA-Vorgesetzter Ed Hoffman (Russell Crowe) voraus. Zur Entspannung und als erhöhter menschlicher Einsatz für das Finale lernt Ferris eine jordanische Krankenschwester kennen und erlebt eine Romanze unter den erschwerten Bedingungen der Gräben, die US-Politik konstant in die Welt pflügt.

Nach einer Stunde unübersichtlicher und uninteressanter Terroristen-Hatz präsentiert Ferris den raffinierten Plan, zum Schein eine eigene Terroristen-Gruppe aufzubauen, bis diese von den richtigen kontaktiert wird. Das ist unfreiwillig Satire, sind doch viele Terroristen wie Osama Bin Laden von den USA ausgebildet worden. Und auch hier werden die Bomben gerne mal vom CIA selber gezündet.

Ridley Scott inszeniert in "Der Mann, der niemals lebte" vor allem mit Bildern technischer Überlegenheit noch einmal die US-Großmannssucht, die Vision gottgleich die Welt zu kontrollieren. Immer wieder die Blicke von Drohnen oder Beobachtungssatelliten auf das Geschehen. Dabei erzählt der Film unreflektiert das Märchen einer weltweiten Bedrohung, die Bush brauchte, um an der Macht zu bleiben. Scott kann Filme hervorragend konstruieren, drehen, schneiden - und dabei den größten Mist erzählen.

Der ehemalige Werbefilmer macht nun weiter Werbung für die Angst, für eine blinde Gefolgschaft in einem "Krieg gegen den Terrorismus". Nach 90 Minuten fällt ein politischer Satz über die "intriganten Bürokraten, die tausende Kilometer entfernt Entscheidungen treffen und nicht wissen, welche Folgen das im Nahen Osten hat". Doch dann geht die Action auch gleich richtig los. Mit der Entführung von Ferris' Krankenschwester...

"Der Mann, der niemals lebte" hat nicht mal in den USA besonders viele Leute interessiert. Auf dem handwerklichen Sektor ist DiCaprio für die Bewegung zuständig, seine Mit- oder Gegenspieler bieten den jeweiligen Darstellern viel spannendere Aufgaben. Russell Crowe spielt einen Familienvater, der mal so nebenbei zwischen dem Füttern seiner Kinder und dem Pinkeln per Handy weltweit irgendeinen Terrorismus bekämpft. Scott verwirrt mit Bilderflut, die allerdings nicht mehr so rasant ist wie früher. Das Ziel ist weiterhin, dass man irgendwann das Denken aufgibt und dem Film alles oder gar nichts mehr glaubt.

11.11.08

Bloody Sunday (Wiederaufführung)


GB 2002 (Bloody Sunday) Regie: Paul Greengrass mit James Nesbitt, Allan Gildea, Gerard Crossan 107 Min.

Unter dem Namen "Bloody Sunday" ist ein Massaker an friedlichen Demonstranten 1972 in London-Derry in die Geschichte eingegangen. Regisseur Paul Greengrass ("United 93", zwei "Bourne"-Filme) rührt nach dem Kochbuch des kämpferischen Films eine Anklage gegen die Mörder in britischer Uniform an. Ein paar Personen werden stellvertretend für die Parteien, für die Gemäßigten und die Scharfmacher auf beiden Seiten vorgestellt, die IRA darf nicht fehlen.

Wie die notwendigen Stichworte bleiben auch die Figuren papiertrocken. Der protestantische Führer der Bürgerrechtsbewegung Ivan Cooper versucht, zu beruhigen. Ein jugendlicher Unruhestifter will nicht wieder ins Gefängnis. Der Belagerungs- und Kriegszustand wird anhand von Schlachtplänen deutlich. Die aufgeregte Handkamera will ganz nahe dabei sein. Das ist Schulfernsehen mit den notwendigen Schlagworten, ausgewogen und ohne Leben. Aber all diese falsche Bemühtheit kann die Wirkung des Unfassbaren nicht verhindern, wenn die furchtbare Hinrichtung durch die Soldaten unter Schreien und Weinen der Frauen stattfindet. Wie anders wirkte da doch "Im Namen des Vaters", ein alter Berlinale-Sieger von Jim Sheridan, der jetzt als Produzent mitwirkte. Und auch der gleichnamige U2-Song ist viel emotionaler. Trotzdem erhielt "Bloody Sunday" völlig unverdient den Goldenen Bären der Berlinale 2002.

Der Brief für den König


Niederlande, BRD 2008 (De brief voor de koning) Regie: Pieter Verhoeff mit Yannick van de Velde, Quinten Schram, Uwe Ochsenknecht 111 Min. FSK: ab 6

Kaum zu glauben, dass der niederländische Jugendfilm „Briefe an den König“ zu großen Teilen in Nordrhein-Westfalen gedreht wurde. Die aufwändig inszenierte Rittergeschichte sieht vor allem in den Landschaftsbildern fast aus wie das Neuseeland vom "Herrn der Ringe". Die Geschichte vom Knappen Tiuri, der sich ritterlich von einer Handlungsstation zur nächsten schlägt, fiel dagegen zu konventionell aus.

Knapp vorm Ritterschlag setzt Knappe Tiuri seine Karriere aufs Spiel, weil er einem Hilfesuchenden zur Seite steht. Der gibt ihm einen Brief und einen Ring, womit Tiuri mitten in einem großen Abenteuer ist. Denn schon verfolgen ihn die Roten Ritter. Durch Wälder und Flüsse, über Berge und Festungsmauern setzt der Junge alles daran, den Brief zum guten König zu bringen. Dabei trotzt er Räubern, falschen Freunden und überzeugt mit Edelmut.

Die Verfilmung des niederländischen Fantasy-Bestsellers kann mit dem Jungmimen Yannick van de Velde überzeugen, der anfangs zu brav wirkt aber tatsächlich die Wandlung zum aufrechten Ritter miterleben lässt. Originell beim Original ist, Uwe Ochsenknecht niederländisch synchronisiert zu hören. Für die deutschen Produktionsgelder treten auch noch Rüdiger Vogler als weiser König und Lars Rudolph als schleimiger Schurke Slupor auf. Doch wenn die Längen der zu gestreckten Handlung auf die Details blicken lassen, auf ein paar kaum bevölkerte Burgkulissen, fällt auf wie spärlich die Massenszenen ausfielen. Dafür sind die Landschaftsaufnahmen umso eindrucksvoller.

Zufällig verheiratet


GB 2008 (The Accidental Husband) Regie: Griffin Dunne mit Uma Thurman, Colin Firth, Jeffrey Dean Morgan 90 Min. FSK: o.A.

Sie ist jung, schön und weiß nicht was sie will. Oder doch: Einen Mann, der in ihren Plan passt. Und den hat die erfolgreiche Radiomoderatorin Dr. Emma Lloyd (Uma Thurman) in ihrem Verlobten und Verleger Richard (Colin Firth). Selbstsicher berät sie ihre Hörerinnen wie gute Freundinnen: Sie sollen sich ihre Männer gut und lange ansehen. Liebe, Leidenschaft, Romantik und all der Kram sei vergänglich. Einen beständigen, reifen, stabilen Mann, so einen könne man heiraten. Meint sie. Bis ein New Yorker Feuerwehrmann daherkommt, bei dem nicht nur die Küsse stimmen.

Den Rat, auf Beständigkeit zu achten, gibt Dr. Emma auch der Verlobten von Patrick (Jeffrey Dean Morgan), die daraufhin die Hochzeit absagt. Denn der Feuerwehrmann ist impulsiv, unberechenbar, immer für eine Überraschung gut. Also angeblich kein Heiratsmaterial. Patrick ist geknickt und sauer. Deshalb sorgt ein befreundeter Computerspezialist dafür, dass Dr. Emma Lloyd laut ihren frisch gehackten Daten bereits verheiratet ist - und das auch noch mit Patrick. Das Ganze kommt auf dem Höhepunkt der Hochzeitsvorbereitungen raus und sorgt für das nötige Chaos. Emma will die Sache schnell aufklären, lässt sich in Patricks Stammkneipe auf ein Saufduell ein und wacht in Patricks Bett auf. Ohne zu wissen, was geschehen ist.

Man konnte sie als zu selbstsichere Besserwisserin nicht mögen, diese Dr. Emma Lloyd. Und so ist es ab jetzt halbwegs reizvoll, wie sie die Fassung verliert. Uma Thurman ("Kill Bill") traut sich als Produzentin und Hauptdarstellerin eine entscheidende Rolle im Komödienfach zu und ist vor allem damit hoffnungslos überfordert. Die Dialoge wollen spritzig sein, zünden aber nicht immer. Völlig peinlich wird die Synchronisation, wenn mitten in New York aufgesetzt und falsch über Podolski und Bayern München geredet wird. Erstens wird wohl kein Feuerwehrmann in New York irgendwas für "Soccer" übrig haben und ein junger Bankdrücker mit Sprachstörung ist längst kein internationaler Star wie Beckham. Damit ist der Preis für die dämlichste Synchronisation des Jahres vergeben.

Doch "Zufällig verheiratet" ist eine Romantische Komödie und hat auf diesem Terrain noch genügend zu bieten. Jeffrey Dean Morgan, der Darsteller des Patrick, kommt natürlich ungehobelt daher, hat etwas Sexappeal von Javier Bardem im Blick und ist ein Volltreffer der Besetzungsliste. Auch wenn die Handlung extrem vorhersehbar bleibt, die witzlosen Auftritte von Sam Shepard und Isabella Rossellini eine Verschwendung von Talent darstellen, funktioniert der Film wunderbar, wenn der Feuerwehrmann nicht nur den Schlüssel zum Herzen sondern auch für den Aufzug und einen extra langen Kuss hat.

So viele Jahre liebe ich dich


Fr 2007 (Il y a longtemps que je t'aime) Regie: Philippe Claudel mit Kristin Scott Thomas, Elsa Zylberstein Frédéric Pierrot, Serge Hazanavicius 115 Min.

Ihr verschlossener Blick macht gleich bei der Ankunft klar, dass die Strafe jetzt erst beginnt. Juliette (Kristin Scott Thomas, die "englische Patientin") wird von ihrer jüngeren Schwester am Bahnhof von Nancy abgeholt und aufgenommen. Müde, verstört, irritiert begeht und befühlt sie das Haus von Lea (Elsa Zylberstein) und deren Familie. Es ist eine echte "Benetton"-Familie, so nennen die Franzosen Patchwork-Familien: Zusammen mit ihrem Mann Luc hat Lea zwei vietnamesische Mädchen adoptiert. Die stellen prompt und frech die ehrlichen Fragen: "Warum haben wir 'Tata' noch nicht gesehen?" Sie war auf einer Reise, einer langen Reise. "Wie lange wird sie bleiben?" Darauf nur Juliettes stilles, nachdenkliches Gesicht. Sie muss sich einmal pro Woche bei der Polizei melden. Skurrile Momente mit einem sympathisch zerstreuten Offizier. In den 15 Jahren der Haft hatte Lea ihre Schwester nicht besucht, ihr nie Briefe geschrieben. Die Eltern verboten es, sagten Juliette lebe nicht mehr...

Nun arbeitet Lea ihr schlechtes Gewissen ab, obwohl ihr Mann Juliette nicht im Haus haben will. Doch der Gast gibt der Familie viel, kümmert sich um Leas stummen Schwiegervater, die kleinen Mädchen scharen sich um sie. Die ruppigen Umgehensweisen, die kantige Mimik der Entlassenen werden weicher. Ihre farblose Kleidung, das Büßergewand, wird von lebendigeren Stoffen abgelöst. Die Schwestern reden viel miteinander. Nur über den Grund der Haft sprechen sie nie. Sie haben nur noch sich. Der Vater ist mittlerweile an Krebs gestorben, die Mutter lebt dement im Altenheim. Erinnerung ist immer ein Thema und Juliette meint, "Manchmal ist es besser, nicht zu wissen."

Unaufdringlich gelingen dem stillen Meisterwerk Bilder, die tiefe Gefühlswelten widerspiegeln. Die zurückhaltende Musik mit ihren E-Gitarren-Improvisionen lässt lange auf sich warten. Alle Zeit bleibt den Emotionen auf dem Gesicht der Kristin Scott Thomas. Sie spielt zweisprachig mit sehr gutem Französisch eine zweisprachige Frau. Mit sehr ruhiger Intensität öffnet sich ihre Juliette. Scheinbar passiert nicht viel, doch der einfühlsame Film bleibt enorm spannend. Nicht wegen des Wartens auf einen Rückfall, eine Katastrophe. Der Film bleibt seiner Hauptfigur treu auf dem langen Weg in ein Leben außerhalb des Gefängnisses und in der Schuld. In diesem ruhigen Umfeld kann ein einfaches Danke unter Schwestern enorm rührend sein.

Das Finale ist eines ganz anderer Art. Auf dem Weg dahin wird einem noch etwas "Schuld und Sühne" von Dostojewski mitgegeben. Doch nach einer erschütternde Erkenntnis bleibt das Ende offen: "Wie kann man darüber urteilen?"

1968 Tunnel Rats


BRD, Kanada 2008 (1968 Tunnel Rats) Regie: Uwe Boll mit Erik Eidem, Nate Parker, Brandon Fobbs 96 Min., FSK: ab 16

Ein blindwütiges Huhn findet auch mal einen grobkörnigen Genrefilm, den man sich ansehen kann ... nur mit dieser Hoffnung kann man noch in Filme von Dr. Uwe Boll gehen. Uwe Boll, der vielleicht nicht unbedingt der schlechteste Regisseur aller Zeiten ist, aber von den ganz Schlechten ist er der Beständigste! Boll haut momentan im Jahr mehrere Action-Machwerke raus und in jedem davon Hunderte von Schurken um. Immer billig, aber das mal mit fast keinem Geld und mal mit erschreckend vielen Millionen („Schwerter des Königs - Dungeon Siege“). Anfang der Neuziger nahm man den energischen Ausdruck von „Ich will auch Filme machen“ noch mit gewissen Sympathien war: „German Fried Movie“, „Barschel - Mord in Genf?“ und „Das erste Semester“ waren aber nur der Beginn eines filmischen „Amoklauf“s.

Für "1968 Tunnel Rats" verfilmte er ausnahmsweise kein Videospiel, sondern beschäftigt sich - wohl ganz ernsthaft gemeint - mit dem Abschlachten während des Vietnamkrieges: Irgendwo im noch nicht entlaubten Urwald hocken amerikanische Soldaten und warten auf ihren Einsatz. Unter ihnen buddeln sich die vietnamesischen Widerstandskämpfer durch ihr legendäres Tunnelsystem, das einst das ganze Land verband. Lange Zeit ist dann die Musik das Dramatischste im Film während endloses Gerede der Soldaten unpassend wie aus anderen Filmen geklaut wirkt. Lahme Laberitis statt Klaustrophobie. Dazu wird immer mal wieder etwas unheimlich durchs Laub geschwenkt und gezeigt, wie viele tolle Requisiten man besorgt hat.
Spät geht es endlich mit den Figuren in das Tunnelsystem auf mehreren Ebenen. Die US-Soldaten werden schnell dezimiert, ein raffiniertes Versteckspiel beherrscht diese realistische Variante von Horror. Zum Irren im Dunkeln gibt es etwas Metzgerei im Stile von "Saw" und keine Gnade für Figuren oder Publikum.
Ein paar Wochen nach der treffenden und zynischen Vietnamfilm-Parodie "Tropical Thunder" bietet Boll nur ein billiges Kriegsfilmchen mit sehr unbekannten Darstellern. "Tunnel Rats" sagt "Ich kann das auch, was die großen Jungs können." Dazu entzündet man ein kleines Abschiedsfeuerwerk im Stile von "Apocalypse Now". Nachher wird kaum jemand Abscheu vor Kriegsfilmen oder vor dem Krieg haben. Das finale und hoffnungslose gemeinsame Buddeln einer geschundenen Vietnamesin und eines US-Soldaten wirkt als Völkerverständigung nur lächerlich.

10.11.08

Delicatessen (Wiederaufführung)


Frankreich 1990 (Delicatessen) , Regie: Jean-Pierre Jeunet, Marc Caro mit Marie-Laure Dougnac, Karin Viard, Dominique Pinon, Jean-Claude Dreyfus 99 Min., FSK: ab 16

Der Kino-Leckerbissen des Jahres 1900 war eindeutig "Delikatessen". Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro, zwei französische Comiczeichner schufen mit einem heruntergekommenen Mietshaus und deren skurrilen Einwohnern dieses ebenso witzige wie poetische Meisterwerk. In der düster-bizarren Zukunftswelt sind Körner die Währung und Fleisch ist Mangelware. So lädt sich die verschworene Hausgemeinschaft immer mal wieder einen neuen Mieter zum Essen ein. Aber in Notzeiten wird auch die Großmutter verspeist. Das geregelte Leben der Bewohner mit den wunderbaren Spleens ändert sich, als die Tochter des Metzgers ihr Herz an das nächste Opfer, einen Zirkusclown, verliert. Alle Figuren sind herrlich übertrieben, die Kamera tut das ihrige zur Verzeichnung hinzu. Farben und Bauten passen perfekt zur Stimmung und die Montage schafft einen Rhythmus, der von der quietschenden Bettfeder ausgehend, das ganze verrückte Haus mitschwingen lässt.

33 Szenen aus dem Leben


BRD, Polen 2008 (33 Sceny z zycia) Regie: Malgosia Szumowska mit Julia Jentsch, Peter Gantzler, Andrzej Hudziak 96 Min.

Die 33 Gesichter der Julia Jentsch

Die Künstlerin Julia (Julia Jentsch) steht vor einer Collage aus Einzelszenen. Einige Meter breit ist das Wandbild. Eindrucksvoll und neugierig machend. Ein schönes Bild für dieses eindrucksvolle, starke und tief berührende Drama, das aus angeblich 33 Szenen bestehen soll.

Ein abendliches Fest in der großen, polnischen Künstler-Familie steht am Anfang. Man lacht, nimmt sich laut auf den Arm und fühlt sich sichtbar wohl in dieser schönen Gemeinschaft. Doch beim mehrfachen Abschied klingt schon eine Erkrankung bei Julias Mutter an. Julia rennt dem Auto ihres Mannes hinterher, im Blick die Verständnislosigkeit eines Kindes, das die Trauer nicht mit dem Gedanken baldigen Wiedersehens überspielen kann.

Dann beginnt das Schicksal grausam mit Julia zu spielen. Die Mutter erkrankt an Krebs. Zusammen mit Vater und Schwester verausgabt sich die Künstlerin bei der Pflege. Erschöpfender als das nächtelange Wachen am Krankenbett ist die Anstrengung, immer weiter Hoffnung und gute Laune zu an den Tag zu legen. Schon hier zeigt sich, dass Melodramatisches den „33 Szenen“ sehr fern liegt. Unnachahmlich balanciert die Polin Malgosia Szumowska Tragik und Humor. Kleinste Details funktionieren wunderbar im Fluss der Emotionen. Ein perfekter Aufbau, der besten Komödien zugrunde liegt, dient hier einem Mitfühlen und Miterleben, wie man es so unaufdringlich und einfühlsam selten im Kino erlebt. Wenn die sehr eigenwillige Tür des Aufzuges im Krankenhaus anfangs für kleine Lacher sorgt, schafft es diese Beiläufigkeit später, Tränen hervorzurufen.

Im weiteren Verlauf der Handlung erlebt man den Tod von Julias Vaters, das Ende ihrer Künstlerkarriere und die Trennung von ihrem Mann. Und weiterhin keine Spur von „zuviel“, weiterhin stimmt jeder Ton, jede emotionale Note. Es ist grausam und verständlich, dass ein schwacher Ehemann, der selten da ist und oft das Falsche sagt, in Frage gestellt wird. Ebenso dass Julia bei diesen heftigen Attacken des Schicksals Halt und Schutz sucht, somit ein Freund und Künstlerkollege in den Fokus rückt. Zwar sagt dieser ziemlich oft "Ich weiß nicht", aber er ist mit seiner unerschütterlichen Ruhe immer da. So sind die „33 Szenen“ Familien- und Krankengeschichte, ein Beziehungsdrama, die Geschichte des Erwachsenwerdens einer Frau und ein wunderschönes Porträt dieser.

Julia Jentsch gibt sehr beeindruckend und in schönen mimischen Nuancen die Julia. Die „33 Szenen aus dem Leben“ der Malgosia Szumowska („Leben in mir“) haben teilweise autobiographischen Hintergrund für die Regisseurin und Autorin, die in einem Jahr hintereinander beide Eltern verlor. Bei der Geburt ihres Kindes macht sie sich grundlegende Gedanken über das Leben an sich. Das Ergebnis ist dieser außerordentliche Film, der ideell und finanziell von der Filmstiftung NRW gefördert wurde. In Locarno ging sehr verdient der Spezialpreis der Jury für den zweitbesten Film an die favorisierten "33 Szenen aus dem Leben".

4.11.08

Der große Japaner - Dainipponjin (DVD)


Rapid Eye Movies

Regie: Hitoshi Matsumoto

Ein seltsamer Typ mit langen Haaren und Halstuch wird im Bus zu den Vorzügen seines Regenschirms interviewt. Später sitzt Daisato wie ein Sozialfall in seiner unordentlichen Wohnung, dauernd fliegen Steine ins Fenster. Hinter der Fassade des Sonderlings steckt ein ungeliebter Superheld, der mit seinem Roller zum Einsatz fährt. Erst nach 20 Minuten wächst die Kauz dank heftigster Stromstösse zum haushohen Giganten, dann geht es gegen das Schlingenmonster, das Springmonster und andere kuriose Gestalten. Die gigantischen Kämpfe wirken zeitweise so als ob ein alter japanischer Godzilla-Film eine ganze Monty Python-Truppe verschluckt hat. Da wird die Riesen-Unterhose endlich mal vor (!) der Verwandlung aufgespannt. Eine unglaubliche Lachnummer mit persönlichem Touch, denn das Publikum ist von Daisato gar nicht mehr begeistert, die kleine Tochter völlig entfremdet. Zwischen den Gesprächen mit der Managerin über Werbe-Tattoos verschwindet Daisatos Vater aus dem Alterheim und selber zum dementen Superiesen.
Die seltsame Komödie vom japanischen Star Hitoshi Matsumoto wird von einer sehr informativen und kenntnisreichen Kommentarspur begleitet.

Camarón - Als Flamenco Legende wurde DVD


Spanien 2005

Er gilt als einer der größten Flamenco-Musiker aller Zeiten, eine Legende und ein Erneuerer, der bis heute Bands wie "Estopa" begeistert ("Como Camerón"): Camarón de la Isla wurde in eine Familie aus Flamencomusikern hineingeboren, sein Talent beeindruckt alle und in den späten 60ern kommt Camarón mit Paco de Lucia zusammen.
Die schwierige Karriere des eigenwilligen und drogensüchtigen Menschen zeigt der renommierte Regisseur Jaime Chavarri in elegant eingebauten Rückblenden eines todkranken Mannes: Schon der erste Auftritt mit "Soy Gitano" (Ich bin Zigeuner) beim Einzug in die Stadt ist so ein Gänsehaut-Moment, von dem es noch viele geben wird. Die Kindheit in Armut, das lustvolle aber lieblose Leben mit einer reichen Förderin, schließlich Entzug und Lungenkrankheit bis zum zu frühen Tod 1992. Mitreißende und geniale Flamenco-Variationen, gute Darsteller und eine hervorragende Inszenierung machen dieses Porträt sehenswert.

3.11.08

James Bond 007: Ein Quantum Trost


Großbritannien 2008 (Quantum of Solace) Regie: Marc Forster mit Daniel Craig, Olga Kurylenko, Mathieu Amalric 120 Min. FSK: ab 12

Soviel vorweg: Man kann Bond weiterhin wieder ernst nehmen. Auch wenn sich erste Wiederholungen einschleichen, ist der Geheimagent in seinem 22. Kinoauftrag und in dieser Fortsetzung von "Casino Royale" erneut nicht nur eine gehetzte, sondern auch getriebene Figur mit spannenden psychologischen Abgründen. Zwischen Verführer und Frauen-Versteher ein brutaler Rächer, ein berechnender Kämpfer. Und er sieht immer noch ebenso gut aus wie der beeindruckende, extrem schnelle Bildersturm vom Schweizer Regisseur Marc Forster ("Drachenläufer").

Neu bei diesem kantigeren und körperlicherem Bond ist vor allem, dass nun ein "Was bisher geschah" nötig ist: Vor allem die Rache am Mörder seiner Liebe Vesper treibt ihn durch den zweiten Film mit dem so ganz anderen Bond-Darsteller Daniel Craig. Und die Frage, ob Vesper für ihn starb oder ihn verriet. Da wird es nebensächlich, dass nicht die Welt sondern nur die Wasserversorgung in Bolivien und wegen des nach Lateinamerika transferierten Domino-Effektes die Stabilität der Region gefährdet ist. Dass die Gefühlslage des knallharten Agenten mit dem weichen Kern durcheinander geriet, ist das einzig Klare in dieser Geschichte. Ansonsten sind die Zusammenhänge in der feindlichen Organisation Quantum unübersichtlich wie die zwar brillant gefilmten, aber verwirrend rasant geschnittenen Action-Szenen. Dominic Greene, genial gefährlich von Mathieu Amalric ("Schmetterling und Taucherglocke") gespielt, gibt sich als Umweltschützer aus, stürzt aber reihenweise Regime und sichert sich die Wasserreserven ganzer Regionen. Dabei machen alle großen Regierungen bereitwillig mit. Einem wieder auf eigene Faust kämpfenden Bond behilflich ist Greenes Geliebte Camille (Olga Kurylenko), die ihren persönlichen Racheplan verfolgt.

Auch wenn 007 noch nicht weiß, wie dieser Drink mit Gin eigentlich heißt, sind rasante Renner- und Schießereien zu Wasser, zu Lande und in der Luft als Spiel ohne Ländergrenzen Standard. Der Bond-Klassiker "Goldfinger" wird mit einer weiteren Frauenleiche zitiert, aber wichtiger ist, dass Bond sein Herz für die findet, die er sonst immer nur vernascht. Passend dazu die mal mütterliche, mal kumpelhafte Beziehung zu seinem Boss M (Julie Dench). Eine weitere Beziehungsgeschichte, bei der sich alles um Vertrauen dreht. Vertrauen und Trost - das bewegt "Ein Quantum Trost", wenn man die teilweise wieder standardisierten Action-Elemente weg denkt, die Forster mit faszinierenden Parallelmontagen veredelt, etwa mit einer Bregenzer Tosca-Aufführung. Dieser Bond bleibt in seinem Rasen, Wüten, Rennen und Schießen körperlicher als es der Smoking-Träger Pierce Brosnan war. Die erste Verfolgungsjagd zu Fuß über die Balkone und Dächer von Siena entspricht der Eröffnung von "Casino Royal". Ein raffinierter Seiltrick, ein Zirkusakt mit tödlichen Folgen, hat vielleicht die Virtuosität asiatischer Kampffilme. Wenn man es denn nur erkennen und genießen könnte. Immer wieder sind die Schnitte sehr rasant. Man verpasst sogar nicht unwichtige Details, etwas ob M jetzt getroffen wurde oder fliehen konnte. Das ist nicht so überwältigend wie bei der "Bourne-Trilogie" und irgendwie schade, denn Forsters Bilder und die Psychologie der Figuren haben eigentlich mehr zu bieten. Vor allem aber ein Schmerz für den es vorerst keinen Trost gibt - da muss erst Bond Nr. 23 kommen.

Waltz with Bashir


Israel, Frankreich, BRD 2008 (Vals im Bashir) Regie: Ari Folman mit Ron Ben-Yishai, Ronny Dayag, Ari Folman 87 Min.

Ein Zeichentrickfilm als Dokumentation? Das erscheint dem nüchternen Verstand als Unmöglichkeit oder als Scherz im Abspann eines Pixar-Zeichentrickfilms. Doch in „Waltz with Bashir“ zeigt sich in dunklen Zeichnungen ein Grauen aus den Kriegen im Libanon, das  wohlmöglich in dieser Kunstform erträglicher daherkommt. Auf jeden Fall verstecken die Täter und Zeugen des Massakers in den Palästinenser-Lagern Sabrah und Shatila ihre Aussagen hinter den Farbschichten. Eine Methode, die sicherlich nicht zufällig auch bei der israelischen Dokumentation „Z32“ angewandt wird.

Ein ehemaliger israelischer Soldat sucht seine Erinnerung an einen Kriegseinsatz, der zwanzig Jahre zurück liegt. Das war die Situation des Autors, Regisseurs und Produzenten Ari Folman. Und das ist auch die Situation einer Figur in seinem autobiographischen Film „Waltz with Bashir“. Mit den Träumen von jagenden Bluthunden und Soldaten, die im Wasser treiben, wendet sich ein Soldat darin an seinen Freund Ari. Zusammen suchen sie nach dem Ursprung der surrealen Bilder. Grundlage des Traumas sind die verdrängten Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Jahre 1982. Mit Unterstützung der israelischen Armee unter der Führung des späteren Premierministers Sharon wurden am Rande der libanesischen Metropole Beirut 3000 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder von christlichen Falangisten ermordet. Die Aufgabe der Soldaten bestand darin, die Wehrlosen nicht fliehen zu lassen und ansonsten wegzuschauen. In einer gewagten Aussage des Psychologen von Ari, dem Ari im Film, wird ein häufig und heftig bekämpfter Bezug zum Holocaust gelegt: Die israelischen Soldaten würden einen blinden Fleck in ihrer Erinnerung haben, weil sie es nicht ertragen, dass ihr eigenes Verhalten dem der deutschen SS in Auschwitz zu ähnlich sei.

Der irre Drive des Films und der gezeigten Umstände entsteht durch die quer zu den Bildern laufenden, zeitgenössischen Popsongs, die ausgelassene westliche Lebensstimmung der frühen Achtziger und dazu die brutalen Kriegsbilder. Ein aberwitziger Mix, der die Absurdität des Krieges erschreckend deutlich macht.

„Waltz with Bashir“ basiert auf realen Interviews mit realen Kameraden des Regisseurs und kommt doch als Widersprüchlichkeit einer „animierten Dokumentation“ daher. Die Zeichnungen wirken auf den ersten Blick kantig und rau, fast holzschnittartig. Doch trotz des ungewöhnlichen Stiles und der ästhetischen Merkwürdigkeiten erschüttert „Waltz with Bashir“ tief. Am stärksten allerdings, als am Ende die Animation für Realbilder der Opfer und ihrer klagenden Angehörigen Platz macht.