26.11.07

The Hunting Party


Bosnien, Kroatien, USA 2007 (The Hunting Party) Regie: Richard Shepard mit Richard Gere, Terrence Howard 96 Min.
 
In "The Hunting Party" (Die Jagdgesellschaft) spielt Richard Gere den Kriegs-Journalisten Simon Hunt, der einen serbischen Kriegsverbrecher jagt. Es ist die alte Geschichte des zynischen Reporters, dessen harter Panzer schließlich doch durch eine persönliche Begegnung gebrochen wird. Nachdem seine schwangere bosnische Freundin bei einem Massaker der Serben vergewaltigt und umgebracht wurde, bricht Hunt vor laufender Kamera zusammen, verliert den Star-Job und sinkt in den folgenden Jahren immer tiefer. Doch nun ist er auf der Spur des meistgesuchten Kriegsverbrechers und einer großen Geschichte.
 
Eine große Geschichte ist der Film von Richard Shepard nicht, deshalb läuft er auch nur in der oft anspruchslosen Nachtschiene. Man sollte sich nur eines merken und deshalb machte Richard Gere wohl auch gerne mit: Drei orientierungslose Journalisten finden den Kriegsverbrecher, den NATO, UN-Truppen und Geheimdienste angeblich jahrelang suchen, innerhalb von zwei Tagen! Nicht erst, als die CIA in einer absurden Drehbuchfinte die Ergreifung des Massenmörders verhindert, merkt man, dass hier was nicht stimmt. Im Film und in der korrupten Realität.

Der Mann von der Botschaft


BRD, Georgien 2006 (Der Mann von der Botschaft) Regie: Dito Tsintsadze mit Burghart Klaußner, Lika Martinova; Marika Giorgobiani, Irm Hermann 100 Min.
 
Unerhört, unglaublich: Da nimmt ein deutscher Botschaftsangehöriger in der georgischen Hauptstadt Tbilisi einfach ein zwölfjähriges Mädchen von der Straße mit in seine Wohnung. Was so unerlaubt klingt, entwickelt sich ganz natürlich. Der einsame Herbert Neumann hilft dem Kind - das übrigens seltsam androgyn auftritt. Die Bettlerin, Diebin nähert sich vorsichtig an und schließlich finden sich zwei Menschen ganz freundschaftlich unter völlig unmöglichen Umständen....
 
"Der Mann von der Botschaft" von Dito Tsintsadze erhielt 2006 in Locarno den Darstellerpreis. Genauer: Burghart Klaussner ("Die fetten Jahre sind vorbei", "Requiem") ist der einsame, verschlossene Mann von der (deutschen) Botschaft im georgischen Tiflis, der sich mit seltsamer Naivität eines Straßenkindes annimmt. Die ruhige Psychostudie wurde von Tatfilm in Köln produziert und von der Filmstiftung NRW gefördert.

Nichts als Gespenster


BRD 2007 (Nichts als Gespenster) Regie: Martin Gypkens mit Maria Simon, August Diehl, Brigitte Hobmeier, Janek Rieke 115 Min. FSK: o.A.
 
"Nichts als Gespenster" von Martin Gypkens ist ein partiell eindrucksvoller, mit August Diehl, Jessica Schwarz und Fritzi Haberlandt sehr gut besetzter Episodenfilm nach dem gleichnamigen Erzählband von Judith Hermann. Die Bilder beeindruckten durch reizvolle Farbdramaturgie vom Antonioni-Rot des Grand Canyon bis zum Schwarzgrau einer kalten Liebe in Hamburg. Und einen sehr schönen Jazz-Score. Einige Momente bleiben in der Erinnerung, Schnappschüsse aus Venedig, der Karibik, vom Grand Canyon, aus Island. Ganz ohne oder nur mit verlorenen Menschen. Doch das Ganze überzeugte auf den ersten Blick nicht. Vielleicht fehlte der Zusammenhang der Episoden um junge Deutsche, die vor ihren Leeren entweder in die Ferne oder in die falsche Beziehung fliehen.
 

Playtime


Fr 1967 (Playtime) Regie Jacques Tati 82 Min. FSK: 6
 
Die wunderbar restaurierte Fassung von "Play Time" aus dem Jahre 1967 ist ein Fest für Augen und Herzen. Der umwerfend komische, erstaunlich hellsichtige Parodie "Moderner Zeiten" wirft Tatis Hulot und eine Gruppe amerikanischer Touristinnen in ein hypermodernes Paris der späten Sechziger. Dass sich die Figuren immer wieder die Nase an den vorherrschenden Glasfronten und -türen einrennen, ist symptomatisch für das Missverhältnis zwischen Mensch und Fortschritt. Mit unerschütterlicher Neugierde und Freundlichkeit entdeckt der Pfeifenraucher Hulot trotzdem die Besonderheiten moderner Sitzmöbel, erlebt eine völlig chaotische Restauranteröffnung und kommt einer sympathischen Amerikanerin näher. Dass Tati einen völlig verstopften Kreisverkehr zur Rush Hour nicht in aggressive Stimmung umkippen lässt, sondern ihn zu einer amüsanten Karussellfahrt verzaubert, zeigt die wunderbare Fantasie dieses verehrten und geliebten Filmemachers.
 
Viele Details, etwa dass im Reisebüro die ganze Welt von der gleichen Hochhausarchitektur beherrscht wird, erstaunen durch die Hellsichtigkeit dieser 60er-Weltsicht. Dass sich bei aller Tücken der Objekt ein freundlicher, hilfsbereiter Mensch durch die extrem eckige und kantige Welt schlägt, macht den verstorbenen Tati so liebenswert und hält seine Meisterwerke "Mon oncle", "Die Ferien des M. Hulot", "Traffic" und "Jour de Fete" ewig frisch. In seinem unwiderstehlichen Optimismus ähnelt Tati dem Türsteher in "Play Time", der nachdem die Glastüre längst zu Bruch gegangen ist, noch immer den schweren, bronzenen Türgriff ohne Anhang auf und zu schwenkt, um den schönen Schein zu wahren.

Gone Baby Gone


USA 2007 (Gone Baby Gone) Regie: Ben Affleck mit Casey Affleck, Michelle Monaghan, Morgan Freeman 114 Min. FSK: ab 16
 
Die erste Regie von Schauspiel-Star Ben Affleck begeistert und beschäftigt nachhaltig mit geballtem emotionalem und moralischem Gehalt. Vom Drama eines verschwundenen Kindes, sehr ähnlich zum Boulevard-Thema "Madeleine", bis zum delikat nachgefühlten Dilemma des Finales eine in vieler Hinsicht gelungene Detektivgeschichte, nach der nun wirklich jeder Ben Affleck sehr ernst nehmen sollte!
 
Am Anfang steht die Suche nach der vierjährigen Amanda, die vor mehreren Tagen verschwand. Die Tante und der Onkel des Kindes beauftragen den sehr jung wirkenden Privatdetektiv Patrick Kenzie (Bens jüngerer Bruder Casey Affleck) und seine Freundin Angie (Michelle Monaghan). Durch seine Beziehungen zu den Menschen des Viertels kann Patrick hinter die Kulissen blicken, bekommt schnell heraus, dass Amandas Mutter in üblen Drogenkreisen verkehrt und das Kind bei einem verunglückten Drogendeal verschwand. Bei der katastrophalen Übergabe des Drogengeldes beginnt allerdings der schmutzige Teil der Geschichte...
 
Nur Anfangs dreht sich der Krimi um ein vermisstes Kind. Die Übergabe des Lösegeldes - oft das Finale eines Films - erfolgt hier kurz vor Halbzeit. Danach folgen wir den moralischen Instanzen Patrick und Angie in Abgründe des Umgangs mit Kindern. Dass allerdings auch die beiden in die Irre gehen, dass etwas die beiden trennen wird, unterscheidet dieses hoch spannende Meisterwerk von den üblich simplen Schemata. Deswegen, kann, nein: muss man nach diesem Film unweigerlich noch lange diskutieren und nachdenken.
 
Entsprechend sind die wichtigen Figuren ambivalent angelegt, halten immer eine Überraschung in petto. Angefangen bei Patrick, den man nicht unterschätzen sollte, weil er durchaus seinen Mann steht, wenn es darauf ankommt. Casey Affleck erweist sich nach seiner "Feigling-Rolle" in "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" nach dem Wüsten-Solo in "Gerry" endgültig als grandioser Schauspieler. Casey sollte nun nicht mehr als der "kleine Bruder" gesehen werden.
 
Ebenso wenig kann man Ben Affleck noch unterschätzen, man sollte die Bennifer-Episode mit Jennifer Lopez endgültig abhaken. Neben oberflächlichen Rollen in Hollywood-Produktionen stand er schon immer gerne für Parodien seiner selbst zur Verfügung, trat für anspruchsvolle Rollen in Independent-Produktionen wie "Chasing Amy" an. Das sensationelle Drehbuch für "Good Will Hunting", das er mit seinem damaligen Kumpel Matt Damon schrieb, sei nicht vergessen. Das Thema Freundschaft zieht sich seitdem durch die Karriere Afflecks. Diesmal stammt die Vorlage von Dennis Lehane, der schon den Roman zum sensationell guten "Mystic River" lieferte. "Gone Baby Gone" findet in der Inszenierung Ben Afflecks, in der Hauptrolle Casey Afflecks, in den anderen Rollen, in der spannenden Dramaturgie, im sorgfältigen Umgang mit einem moralisch diffizilen Thema dann seine Vollendung für die Leinwand.

21.11.07

Mr. Brooks


USA 2007 (Mr. Brooks) Regie: Bruce A. Evans mit Kevin Costner, Demi Moore, William Hurt 120 Min.
 
Ein vielfältig überraschendes Comeback von Regisseur Bruce A. Evans und gleich drei Hauptdarstellern sorgt für eine raffiniert spannende Variante von "Dr. Jekyll und Mr. Hyde".
 
Als ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft, ja als "Mann des Jahres", verstrahlt Evan Brooks (Kevin Costner) aus jeder Pore Seriosität. Auf der Heimfahrt vom Abend zu seinen Ehren wirkt Brooks plötzlich irritiert auf seine Frau neben ihm. Kein Wunder - dem Mann sitzt ein heimtückisches Alter Ego (William Hurt) im Nacken, ein hämisches Teufelchen, dass nur er sieht. Und das ihm Verführerisches einflüstert: Sollen wir nicht noch einmal morden? Nur noch einmal? Vielleicht dieses nette Pärchen aus der Tanzschule?
 
Auch das Publikum braucht eine Weile, die brave, bürgerliche Fassade von Mr. Brooks zu durchschauen. Zu verstehen, weshalb er im Keller - wie Batman - die ganze Reihe identischer Anzüge versteckt. Weshalb er so penibel sein Werkzeug für den Ausflug zusammenpackt. Kein Wunder, denn Brooks versteckte diese Seite lange vor sich selber. Der Mordsüchtige ging zu den Anonymen Alkoholikern, was eine Weile half. Doch jetzt ist die dunkle Seite wieder da, und sie wurde tatsächlich sehr vermisst. Das fühlt man geradezu, wenn nach einem meisterhaft ausgeführten Doppelmord die Wellen der Lust durch Brooks wogen. Wieder so ein Moment, wo der Film packt und überrascht.
 
Doch bei seiner Inszenierung, bei dem Arrangieren der Opfer für die Polizei, macht Brooks einen Fehler, wird vom benachbarten Spanner fotografiert. Der junge Mann geht nicht zur Polizei, sondern erpresst den Mörder: Er wolle auch töten, Brooks möge ihn gefälligst in die Lehre nehmen.
 
Dass sich der spannende und immer wieder mit Unerwartetem auftrumpfende "Mr. Brooks" nicht mit diesem Strang zufrieden gibt, hebt ihn endgültig auf das Niveau des unbedingt Sehenswerten. Da gibt es noch Demi Moore, die als raue Polizistin mit weicher Seite bei ihren Scheidungsproblemen, endlich mal wieder ein gute Rolle hat. Und da gibt es auch noch die Tochter von Mr. Brooks, die scheinbar dessen Sucht geerbt hat...
 
Wie Moore trumpft auch Kevin Costner in einer dankbaren Rolle auf. Sie lässt enorm viele Facetten zu, vom liebenden Vater bis zum von Mordlust Getriebenen. William Hurt geht völlig im bösen Einflüsterer von Brooks auf, scheint zu genießen, dass er mal nicht den weinerlichen Gefühlsmenschen spielen muss. Dazu stimmen auch noch Inszenierung, Timing und Styling. Zeitweise denkt man sogar an "Fight Club", so gut passt das Styling zur verschrobenen und gespaltenen Persönlichkeit von Mr. Brooks. Man muss sich ernsthaft fragen, weshalb Bruce A. Evans in den 15 Jahren nach "Kuffs" mit Christian Slater nichts inszeniert hat. Ob dieser Film sehenswert ist, bleibt jedoch völlig außer Frage.

19.11.07

Machtlos


USA, Südafrika 2007 (Rendition) Regie: Gavin Hood mit Jake Gyllenhaal, Reese Witherspoon, Alan Arkin 120 Min.
 
"Rendition" lautet der Originaltitel dieses Films und verweist direkt auf den Kern seines Themas: "Extraordinary rendition" - außergewöhnliche Verurteilung, so harmlos kommt der Begriff daher, der Menschenrechte mit einem bürokratischen Federstrich außer Kraft setzt. Eine politische Absurdität, mag man denken, bis man den Gefolterten schreien hört! Erschütternd, packend, nüchtern analysiert und raffiniert erzählt. "Machtlos" mag so ein Film gegenüber tausendfach schreiendem Unrecht sein, doch er gibt sich mutig und engagiert.
 
Langsam mag man es glauben, dass Hollywood ein Hort linker Umstürzler ist: Schon wieder so ein Film, der die Bush-Politik mit dem hirnrissigen "Krieg gegen den Terror" bloßstellt. Oder liegt es daran, dass jeder mit einem Funken Verstand erkennt, wer die eigentlichen Brandstifter sind? "Machtlos" macht äußerst komprimiert an einem Fall Zusammenhänge klar und stellt durch Verschachtelung der Zeiten die Frage, wo der Anfang von Gewalt und Gegengewalt eigentlich liegt.
 
Am Anfang und am Ende des Films explodiert die gleiche Bombe eines Selbstmordattentäters - schon dieser Zirkelschluss stellt ein Fanal dar. Nichts wird sich ändern! Obwohl der junge CIA-Analytiker Freeman (Jake Gyllenhaal) energisch versucht, den Fall - sein erster - aufzuklären. Denn Freeman war vor Ort, ein Kollege starb in seinen Armen. Nun verfolgt der engagierte Freiheitskämpfer im Staatsdienst erschrocken, wie ein lokaler Polizeichef den einzigen Verdächtigen Anwar El-Ibrahimi (Omar Metwally aus "München") foltern lässt. Es sind die gleichen Methoden mit denen schon die spanische Inquisition "Erfolg" hatte: Wenn man einen Menschen nur lange genug quält, gibt es alles zu. Der Chemiker Anwar El-Ibrahimi, gut verdienender amerikanischer Staatsbürger, wurde während eines Fluges von Ägypten in die USA entführt. Seine Frau (Reese Witherspoon) bleibt ohne Nachricht zurück, die Behörden leugnen und verschweigen, bis eine Kreditkarten-Rechnung vom Einkauf über den Wolken beweist, dass er im Flieger saß! Doch die Nachforschungen eines befreundeten Staatsdieners stoßen auf Schweigen. Auf mehr als Schweigen, denn die über alles informierte Politikerin (Meryl Streep) opfert zynisch und kalt Menschen (-rechte) für ihr Verständnis von "Freiheit". Derweil spielt sich in dem nordafrikanischen Land des Anschlags ein Liebesdrama ab, an dem auch der folternde Polizeichef beteiligt ist...
 
Im Gegensatz zu Redfords Redefilm "Von Löwen und Lämmern" oder Winterbottoms sehr an dokumentarischer Wahrheit haftendem "Road to Guantanamo" treibt hier Handlung die Erkenntnis voran. Die Erkenntnis schuldhafter Verantwortungslosigkeit. Ein klug packender Film, wie ein Schrei in der großen Unterhaltungs- und Ablenkungsmaschine Kino.

13.11.07

King of California


USA 2007 (King of California) Regie: Michael Cahill mit Michael Douglas, Evan Rachel Wood, Allisyn Ashley Arm 93 Min. FSK: ab 12
 
Was wäre das Kino ohne seine Spinner. Nicht die vor und hinter der Kamera, die Regisseure, Schauspieler und Produzenten sind diesmal gemeint, sondern die Figuren, die erschreckend heftig aus der Normalität ausbrechen. Die angepasste Bürgerlichkeit um und in einem hält erschreckt den Atem an. Doch wenn diese aus dem gesellschaftlichen Konsens Verrückten dann doch wieder die Wahrheit finden, wenn sie abseits der alltäglichen Tretmühle den klaren Blick im wirren Gesicht bewahren, jubelt die Seele der kleinen und großen Rebellen in jedem.
 
Das war so beim "König der Fischer", als Robin Williams den Gral mitten in New York fand. Das war auch bei "Harold und Maude" und als Jack Nicholson das "Kuckucksnest" unsicher machte. Nun wird Michael Douglas zum kalifornischen Don Quixote und was man dem alten, reichen Herrn auch immer an biederem Image anheften wollte, darf man hier schnell vergessen.
 
Mirandas (Evan Rachel Wood) Vorfreude auf die Rückkehr des Vaters ist sehr gemischt: Zwar hat sie ihn vermisst, aber eigentlich ging es der 17-Jährigen alleine besser, in der Zeit als Papa Charlie in der Psychiatrie saß. In ihren Erinnerungen ist er der liebevolle Spinner, der wundervolle Sachen für sie machte. Aber auch der kompromisslose Eigenbrödler, der dem Kind das Leben in der Schule und sonst wo sehr schwer machte. Die Mutter verließ beide und so lernte Miranda früh, alleine zurecht zu kommen. Das Mädchen unterschrieb Entschuldigungen wie Fahrerlaubnisse, verdiente Geld und legte die Behörden rein.
 
Nun gibt Charlie zuhause wieder richtig Gas - mit einem Plan, die permanente Finanzkrise der Familie zu lösen. Die Suche nach einem Goldschatz aus spanischen Tagen Kaliforniens sieht aber stark nach einem neuen Schub manisch-depressiver Psychose aus. Doch Miranda macht mit und so beginnt über Golfplätze, Highways und Supermärkte eine ungewöhnliche Reise durch Kalifornien. Letztendlich liegt der geheime Fundort genau unter dem Lager eines Baumarktes. Eine ganz besonders verrückte Aktion ist jetzt vonnöten...
 
Mit einer etwas schrägen Perspektive lässt sich die Poesie des Alltags entdecken - und davon hat "King of California" reichlich. Sei es ein Bass-Solo auf der Veranda, bei dem Charlie mit den Motten jammt oder Mirandas Traum von einer Geschirrspülmaschine. Dieser ebenso einfühlsame wie komödiantische Film packt sofort mit seinen schrägen Figuren und ihrem rätselhaften Verhalten. Aber trotz irrer Nahaufnahmen des wirr bärtigen Gesichts von Douglas als moderner Don Quixote verrät der äußerst sehenswerte Film seine Figuren nie. Das schwierige, aber innige Verhältnis von Vater und Tochter ist ebenso mit Respekt und Liebe gezeichnet, wie die verrückten Aktionen Charlies. Als Sonderbonus dieses schönen Filmtrips ist die Zersiedelung Kaliforniens zu betrauern, ein guter Gegenfilm zur Weinreise "Sideways".

American Gangster


USA 2007 (American Gangster) Regie: Ridley Scott mit Denzel Washington, Russell Crowe, Chiwetel Ejiofor 157 Min. FSK: ab 16
 
Der Pate stand Pate
 
Selten wurde ein Projekt mit ewig langem Vorlauf derart exzellent auf den Punkt gelandet. Ridley Scott macht aus dem Leben des schwarzen Drogen-Paten Frank Lucas mit Hilfe eines wieder mal genialen Denzel Washington ein packendes Gangster-Epos.
 
Gleich in den zwei ersten Szenen nimmt Denzel Washington den Film und das Publikum für sich ein. Ohne ein Wort zu sagen. Dieser Ausnahmeschauspieler wird auch den über lange Strecken undramatischen, epischen Handlungsverlauf tragen. Denzel ist der freundliche, zurückhaltende Familienmensch und Wohltäter von Harlem, Frank Lucas. Aber Lucas ist auch der jähzornige, brutale Killer, der jede Dummheit in seiner Umgebung gnadenlos abstraft.
 
Seine Karriere als Drogen-Boss beginnt, als Frank Lucas das Territorium seines Paten und verbrecherischen Ziehvaters übernimmt. Samt dessen Theorie, man müsse die Ware direkt bei der Quelle holen. So fliegt Lucas eigens nach Thailand, wo sich die US-Soldaten vom Vietnamkrieg erholen und den Horror mit Drogen erträglich machen. Im Dschungel bestellt er gleich hunderte Kilo Heroin und lässt sie mit Militärmaschinen in den heimkehrenden Särgen einschmuggeln. So kann er sein "Blue Magic" unverschnitten zum halben Preis anbieten.
 
Auf der anderen Seite steht der einfache und ehrliche Polizist Richie Roberts. So ehrlich, dass er aus dem Polizeidienst geekelt wird, denn schmutziges Geld - eine Millionen aus dem Kofferraum eines verlassenen Autos - behält man oder man verteilt es unter Kollegen, aber man gibt es auf keinen Fall offiziell an. Ritchie lieferte es ab und sich damit der Verachtung aller Kollegen aus. Als Chef einer geheimen Spezialeinheit wirkt er nun wie ein Amateur im dicken Drogengeschäft. Aber unermüdlich arbeitet er sich an die Großen der Szene ran, die sich mehr und mehr wie alberne Showstars aufführen, affige Klamotten anziehen und sich als unverwundbar empfinden. Nur Frank hält bis auf einen Moment der Schwäche das Cover eines einfachen Mannes.
 
Genauso großartig wie seine Mimik ist der Gang von Denzel Washington - dieses tänzelnde Schreiten macht ihm keiner nach. Dieser "American Gangster" schreitet gleichfalls enorm sicher und stetig voran: Schon allein die Abläufe des Drogenhandels sind hochspannend inszeniert. Als sich dann die Schlinge um den Hals von Frank zuzieht, setzt Ridley Scott ein paar große Momente der Gangster-Genres drauf. Die Verweise zum "Paten" sind unübersehbar. Während eines Gottesdienstes vollzieht sich Franks Karriere-Wende in weiß-rot, Blut spritzt auf reinstes Kokain.
 
Wenn sich dann die Gegner von über zwei Stunden großer Gangster-Saga endlich gegenüber stehen, tauschen sie wieder nur Blicke aus. Beim folgenden Rededuell notiert man die beiden schon mal auf dem Tipp-Zettel für die nächsten Darsteller-Oscars.

6.11.07

Der Glücksbringer


USA 2007 (Good Luck Chuck) Regie: Mark Helfrich mit Dane Cook, Jessica Alba, Dan Fogler 96 Min. FSK ab 12

Schöne Idee: Der Zahnarzt Charlie beglückt jede Frau, mit der er schläft. Nicht unbedingt beim Akt selber, den die Damen recht schnell abhandeln. Doch danach treffen sie garantiert den Mann ihres Lebens. Als sich diese Kuriosität herum spricht und sogar im Internet beurkundet wird, füllt sich Charlies Wartezimmer noch attraktiver blond als die Praxisräume des Schönheits-Chirurgen Stu nebenan.

Schöne Idee, eigentlich... Wenn der Standup-Komiker Dane Cook in der Rolle des Charlie so richtig gequält-verdattert aus der Wäsche kucken könnte und wenn das Drehbuch sich nur etwas Mühe gegeben hätte. So wie bei Komödien von Billy Wilder oder Blake Edwards etwa. So wie früher halt.

So nimmt man eher leicht angeheitert zur Kenntnis, dass Charlie ein großes Problem hat, als er sich in die tollpatschige Tierpflegerin Cam verliebt. Sie mag ihn auch, stolpert noch häufiger als sonst und eigentlich könnten sie, denn sie wollen ja beide. Doch Charlie ist plötzlich klar: Wenn er mit Cam ins Bett geht, wird der nächste Mann, den sie trifft, der Richtige und der Glückliche sein. Auf jeden Fall wird es nicht Charlie sein.

Das nervige Theater, das Charlie veranstaltet, als es aus Versehen doch passiert ist, steht symptomatisch für ein Drehbuch, das eine gute Idee hatte und ansonsten anscheinend nur sagt, nun macht doch mal was. Irgendwas. Für heftigeren Humor ist Charlies sexistischer Ärzte-Freund Stu (Dan Fogler aus "Balls of Fury") zuständig, aber selbst diese Masche verpufft zwischen brav und rüpelhaft. Nur das "Fantastische Vier"-Viertel Jessica Alba überzeugt komödiantisch als tollpatschig und resolutes Objekt der Sehnsucht.

Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada


USA 2005 (The Three Burials of Melquiades Estrada) Regie: Tommy Lee Jones mit Tommy Lee Jones, Barry Pepper, Julio Cedillo Dwight Yoakam 121 Min. OmU

Eine sensationelle Überraschung und wieder eine Erneuerung des Western ist das Kinoregie-Debüt des bekannten Schauspielers Tommy Lee Jones ("Men in Black"). Der formal altmodische Western "The Three Burials of Melquiades Estrada" (Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada) zeigt Jones selbst als einen texanischen, hispanophilen Cowboy Pete Perkins, der die Leiche seines Freundes Mel in die mexikanische Heimat transportieren will. Bei dem langen Sühne-Ritt durch eindrucksvolle Landschaften des Rio Grande hat er ausgerechnet den Mörder Mels, einen brutalen Grenzschützer, gewaltsam ins Schlepptau genommen. Im Jahre 2005 erhielt Tommy Lee Jones in Cannes den Preis für den Besten Darsteller und der Film den Drehbuchpreis. Jones dankte seinem Regisseur Jones - der "beste mit dem ich jemals zusammen gearbeitet habe"!

Der Bruch


DDR/BRD 1988, Regie: Frank Beyer, 118 Min.
 
Monate vor dem Zusammenbruch des SED-Staates und dem Abbruch der Mauer zeigte sich die Ost-West-Koproduktion einer Einbruchsgeschichte, angesiedelt im Aufbruchsjahr '45, als beste deutsche Komödie, weit vor allen Gummibärchen oder Ottifanten. Die leidige Verspätung von einem Jahr gab dem Film zu all seinen anderen Qualitäten noch den Reiz des Vergleichs damaliger und heutiger Umbruchszeiten.
 
"Der Bruch" ist einerseits die Zeit des Wandels, in der alles möglich war. Reiche wurden arm, Arme reich. Ein flüchtender Dieb wird gestellt und ist im Handumdrehen auf der Seite des Gesetzes. Zum anderen ist es auch der (Ein-) Bruch, den drei, von Götz George, Otto Sander und Rolf Hoppe gespielte Gauner, getreu nach den Regeln des Genres durchführen. Neben der Schauspielkunst (teilweise West-Reimport), der perfekten Ausstattung (DDR-Standard) sind vor allem die Texte des ostdeutschen Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase (internationale Spitze) zu genießen. Hier folgt noch während des letzten Lachers ein neuer, fein geschliffener Wortwitz. Eine großartige Komödie, eine Geschichte mit Räubern und Gendarmen, viel Zeitkolorit und natürlich auch Frauen, die alles verderben können.

Abbitte


Großbritannien 2007 (Atonement) Regie: Joe Wright mit Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai 123 Min. FSK ab 12
 
"Abbitte", der erfolgreichste Roman des Britten Ian McEwan, wurde weltweit über drei Millionen Mal verkauft und in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Den Leser beschäftigt angesichts der Verfilmung die spannende Frage, wie Regisseur Joe Wrights mit dem Happy End umgeht. Denn im Roman spielt die Autorin Briony mit genau dieser Erwartung und lässt das Schicksal der Liebenden Cecilia (Kiera Knightly) und Robbie (James McAvoy) im Dunklen.
 
Es ist ein Tag wie aus dem Bilderbuch einer vergangenen Epoche und eines überkommenen Standes. An diesem flirrend heißen Sommertag des Jahres 1935 herrscht Aufregung am Landsitz in Surrey. Die 13-jährige Briony (Saoirse Ronan) erwartet sehnsüchtig den Besuch des erwachsenen Bruders, ihre ältere Schwester Cecilia weiß nicht, wie sie mit Robbie umgehen soll. Der Sohn der Haushälterin und Protegé des Vaters war immer Freund, intellektuelle Herausforderung und Seelenverwandter. Doch jetzt ist da mehr. In einer zentralen Szene am üppigen Brunnen im Garten zerbricht ein Krug, Cecilia taucht spärlich bekleidet nach den Scherben. Aus einiger Entfernung interpretiert die unreife Briony die Szene falsch...
 
Durch eine arrogante Dummheit von Briony, der eingebildeten, 13-jährigen Schwester von Cecilia, wird Robbie in die Grauen des 2. Weltkrieges geworfen. Die raffiniert selbstreflexive Geschichte des Romans erzählt die Ereignisse aus drei Perspektiven samt Überschneidungen. Auch der Film spielt mit seiner Konstruiertheit, nimmt Brionys Schreibmaschinen-Tippen in die Filmmusik auf, lässt es sie später selber als minimale Melodie anspielen und setzt dieses Motiv immer wieder ein. So wird der Sommertag des Jahres 1935, für den Robbie im blutigen Schlachten und Briony als Krankenschwester büßen werden, zum Anfang des ersten und letzten Romans eben dieser Briony.
 
Trotz der kunstfertigen Konstruktion blieb ist "Abbitte" eine bewegende Liebesgeschichte. Regisseur Wright macht seine Sache richtig gut: Sein Film berührt und inspiriert im gleichen Maße. Kiera Knightly beeindruckte schon in Wrights Austen-Verfilmung "Sinn und Sinnlichkeit", sie ist fast perfekt für Rolle der eleganten, lebensfrohen jungen Frau. Kiera hat höchstens etwas zu viel Eleganz und zuwenig Sinnlichkeit. James McAvoy, der Darsteller des Robbie, bringt ein gutes Gesicht mit, in dem Melancholie und Schmerz um den Mund spielen.
 
Die britische Produktion zeigt die Grauen des Krieges in Frankreich im Vergleich zum Roman eher mild, fast poetisch. Eine enorm aufwändige Fahrt durch die auf Schiffe nach England wartenden Soldaten im Strandbad Dünkirchen betont die Absurdität des Geschehens. Doch wirklich eindrucksvoll ist "Abbitte" in der Konzentration auf die Figuren und ihre Abhängigkeiten.

5.11.07

Die Bettlektüre


GB/NL/Fr 1996 (The Pillow Book) Regie Peter Greenaway, 123 Min.

Wer schreibt, der bleibt!

Die Feder ist mächtiger als das Schwert - wie Kunst mit ihren betörenden Mitteln die Macht besiegt, zeigt der Intellektuelle unter den Künstlerregisseuren: Peter Greenaway. Mit der gleichen avantgardistischen Bildtechnik die er mit "Prosperos Bücher" einführte, erzählt er eine Geschichte, die allein schon Appetit auf Kino macht.

Der Pinsel streicht akzentuiert mit roter Farbe über das asiatische Kindergesicht. Geheimnisvolle Schriftzeichen bilden den Geburtstagsgruß des Kalligraphen für seine Tochter Nagiko. Mit den gleichen Worten beschrieb der Schöpfer seine Tonfiguren und hauchte ihnen mit einer Signatur im Nacken Leben ein. Diese Prägung wird Nagiko nie abwaschen können. Sexualität bleibt für die schöne Frau immer mit Schrift auf Haut verbunden. Erst sucht sie Erfüllung bei den besten Kalligraphen der Welt, dann - nachdem die ruhelos nach Liebe Suchende den Übersetzer Jerome traf - verziert sie selbst Körper mit wunderschönen Zeichen und Geschichten.

Um ihren Stoff zu verkaufen, bietet Jerome dem mächtigen Verleger auf bemalter Haut das "Erste Gedicht" eines Zyklus erotischer Poesie an. Doch der Mann, der Bücher verkauft, ist der gleiche, der schon Nagikos Vater mißbrauchte. Dies unmoralische Monster verehrt und verzehrt die Schönheit, eine Katastrophe folgt unweigerlich ...

"Die Bettlektüre" vom Maler, Denken und Filmemacher Peter Greenaway ist das Schönste und Klügste, was weit und breit zu sehen ist. Eine wahnsinnige Geschichte von Leidenschaft und Schrift, die unter die Haut geht! Stilleben schweben in Harmonie. Auf verschiedenen Ebenen breitet Greenaway die Schönheiten und Geheimnisse der Schriften aus. Das Auge gleitet zwischen den Bildern, die sich mit Leichtigkeit der Linearität des Erzählkinos entledigen. "Die Bettlektüre" von Nagiko bildet das 1000 Jahre alte "Kopfkissen-" und Tagebuch einer Hofdame. Es durchwebt und verziert die heutige Story.

Die Entstehung eines Buches wird zum Krimi - das Geheimnis des Buchmachers. Handwerkliche Traditionen wie das Herstellen von Pergament aus Häuten bereichern das Universum dieses Film ebenso wie Gedanken zu modernen Geschäftspraktiken. Und wie "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" teilt auch "Die Bettlektüre" einen brutalen Hieb an die herrschende (Kultur-) Politik aus: Wer sich wunderte, was ein Wagen mit Fleischabfällen vor dem Verlegerhaus zu suchen hat, erfährt später, wie Autoren ausgenommen werden - im körperlichsten Sinne des Wortes. Trotzdem hat "Die Bettlektüre" nichts mehr von den schockierenden Blutszenen, die "Das Baby von Macon" kontrastierten. Eine rituelle Hinrichtung wird im Bild nur angedeutet und gestisch stilisiert.

Auch hier also eine Zurücknahme der barocken Bildpanoramen früherer "Greenaways". Ganz bewußt ließ der Meister die Traditionen japanischer Malerei und Cinematographie in die Arbeit des bewährten Kameramannes Sacha Vierny einfließen. Die Reduktion tut gut: Noch immer quellen die Bilder über vor Schönheit und Ideen. Aber das Gleichgewicht mit der emotionalen Story ist wiederhergestellt. Man kann sich erneut uneingeschränkt für Greenaway begeistern!

Günter H. Jekubzik

Interview mit Peter Greenaway zu DAS WUNDER VON MACON

Zur Vorstellung seines neuen Film "Das Wunder von Macon" gastierte der britische Regisseur Peter Greenaway in Köln. Im Hotel "Wasserturm", das trefflich einem Motiv aus Greenaway-Filmen entspricht, sprach unser Mitarbeiter Günter H. Jekubzik mit dem intellektuellen Macher von immer wieder provozierenden Werken.
 
Gibt es ein historisches Ereignis, das Ihnen zur Grundlage für "Das Wunder von Macon" diente?
Es gibt mehrere zentrale Themen. Das Wichtigste war für mich ein Diskurs über die gegenwärtige Ausbeutung von Kindern. Das im heutigen Journalismus extrem aktuelle Thema hat mich aber nicht als Drama unserer Zeit interessiert, ich wollte es mit der vielleicht größten Ausbeutung eines Kindes in der Mythologie der westlichen Gesellschaft, mit der Geburt Christi, verbinden. Mich interessiert aber die filmische Sprache ebenso wie der Inhalt.
 
Auffällig an "Das Wunder von Macon" ist ein Publikum im Film, das wie bei "Rocky Horror Show"-Vorführungen immer wieder versucht, sich ins Geschehen zu integrieren.
Damit thematisiere ich das Verhältnis des Publikums zur Leinwand. Ich zeige in einer sehr opernhaften Darstellung das im 15.Jahrhundert spielende Stück 'Das Wunder von Macon' und in einer zweiten Ebene die Zuschauer im Theater des 17.Jahrhunderts. Dahinter steht der Gedanke, daß sich das Kinopublikum mit dem Theaterpublikum des Film vergleicht.
 
Die erschreckende Katastrophe des Films, die vielfache Vergewaltigung der Schauspielerin, ereignet sich genau in dem Moment, in dem Illusion und Realität der Bühne zusammenfallen. Welche Rolle spielt der junge Cosimo Medici, der diese Strafe empfahl, als Zuschauer?
Cosimo repräsentiert uns. "Das Wunder von Macon" ist ein religiöses Melodrama, daß in seine und damit auch in unsere Richtung gespielt wird.
Er bleibt am Rande der Ereignisse bis er den Figuren des Stückes die Strafe einflüstert.
Cosimo ist ein religiöser katholischer Novize, dem moralische Regeln gelehrt wurden, die er aber nicht wirklich versteht. Er repräsentiert auch das Zusammenspiel von Kirche und Staat, um jemanden zu zerstören, die es wagte, das Establishment anzugehen.
 
Die Schwester des Babys, die sich als jungfräuliche Mutter ausgibt, wird vom Bischof bekämpf und letztendlich grausam bestraft. Ist "Das Wunder von Macon" ein anti-katholischer Film?
Ich denke, es wäre sehr einfach einen solchen zu machen. Es gibt viele Möglichkeiten, die katholische Kirche anzugreifen. "Wunder von Macon" ist nicht nur wörtlich zu nehmen, es soll nicht allein um die katholische Kirche gehen. Anstelle des Katholizismus, ließe sich auch Kommunismus oder Kapitalismus setzen. Es soll vorgeführt werden, wie diese reagieren, wenn sie von außen angegriffen werden.
Denn es sind eigentlich die Kirchen, die für Wunder zuständig sind. Und hier kommt ein Mädchen, wohlgemerkt, nicht mal ein Mann, die versucht der Kirche etwas von ihren Bereichen wegzunehmen. Sie muß in einer Art katholischen Schauprozeß, in dem jeder beteiligt ist und jeder die Schuld hat, bestraft und erniedrigt werden. Viele vergleichen die Szene mit den institutionalisierten Vergewaltigungen moslemischer Frauen im ehemaligen Jugoslawien.
Obwohl ich metaphorische Hinweise zu anderen Gesellschaften mache, muß es im 17. Jahrhundert die katholische Kirche sein, die damals nicht nur das Leben der Menschen organisierte, sondern auch ihre Gedanken, Vorstellungen. Die römisch-katholische Kirche hat einen schrecklichen Ruf wegen ihrer Haltung gegenüber Frauen. Selbst noch vor einigen Wochen gab es wieder eine päpstliche Enzyklica gegen Empfängnisverhütung und das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Das geht schon seit zweitausend Jahren so. Obwohl ich einen historischen Film gemacht habe, mit vielen Gedanken über Repräsentation und Haltung gegenüber Religion, erscheint mir "Das Wunder von Macon" auch sehr zeitgemäß, aktuell.
 
Gibt es nicht noch einen aktuellen Aspekt, der uns zeigt, welch grausame Katastrophen sich ereignen können, wenn wir Realität und Fiction nicht mehr unterscheiden?
Sehr richtig, der Film weist hoffentlich dauernd drauf hin, wie manipulativ Film an sich ist. Mit all diesen vielen Dekors und Details, mit der Handlung und dem Licht kann ich das Publikum von einer Illusion überzeugen. Aber ich kann es auch zurücktreten lassen, ihm sagen, sieh her das ist nur künstlich, wie kannst du an eine Vergewaltigung einer Schauspielerin auf der Bühne glauben?
Es gibt zwei Dinge, an die ich nie glauben konnte. Das eine ist der Tod, weil man weiß, ein Schauspieler wird niemals umgebracht, das andere ist der Geschlechtsverkehr, ich sage nicht Sex, ich sage nicht mal mehr 'Liebe', denn im letzten Jahrzehnt enthält wirklich jeder Film Geschlechtsverkehr. Ich habe versucht diese beiden Dinge bis an den Rand des Möglichen zu verschieben. Ihr wollt Tod? Okay ich gebe euch richtigen Tod! Ihr wollt Geschlechtsverkehr? Okay, ich gebe ihn euch - um zu zeigen wie schrecklich das Kino diese beiden Dinge für seine Manipulationszwecke ausnutzt.
 
Ist die Lust, den Tod zu sehen, nicht auch Grund für all die Snuff-Movies und Realtity-TV Erscheinungen?
Der Tod ist die neue Herausforderung geworden. Sex kontrollieren wir im 20.Jahrhundert zu einem hohen Grad, aber wir haben keine Kontrolle über den Tod, das ist trotz aller medizinischer Fortschritte unmöglich geblieben.
Ich will an diese Phänomene erinnern. Es scheint mir außergewöhnlich, daß im Kino so oft der Tod behandelt wird. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Wir werden so lange tot sein, weshalb imitieren wir diesen Zustand schon vorher, weshalb interessiert uns das so sehr, wenn der Tod auf der Bühne oder der Leinwand gespielt wird?
 
Während der Vegewaltigungsszene fällt der Gegensatz zwischen den grausamen Aktionen, die durchgehen zu hören sind, und einer Schönheit der Bilder, einer Eleganz der Kamerabewegungen auf. Auch in "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" wurde die Ermordung des Liebhabers so widersprüchlich inszeniert?
Es wäre sehr einfach für mich, den ganzen Film in einer rattenverseuchten dunklen Seitengasse einer mittelalterlichen Stadt spielen zu lassen. Weshalb sollen alle gewalttätigen Ereignisse auf dunklen Seitengassen in Jugoslawien stattfinden. Sie können sich ebenso vor dem Rothschildpalast im Zentrum New Yorks oder im Buckingham Palace ereignen. Wir machen uns oft vor, das diese tödlichen Ereignisse nie in Verbindung mit Macht und Geld stattfinden. Zudem versuchen wir, den Tod zu ritualisieren, ihn zu organisieren und damit zu verhüllen. Wir geben dem Tod einen schönen Geruch, wir kleiden den Leichnam in schöne Gewänder, wie schminken das Gesicht, wie Lenins Gesicht im Mausoleum auf dem roten Platz, wir machen uns vor, daß der Tod nicht stattfindet.
Alle meine Filme zeigen im Prinzip, daß die Welt ein reicher Ort mit tausenden interessanter Gegenstände und einem Sinn für Freude ist, der vor der Menschheit hauptsächlich kaputt gemacht wird. Das denken wir weitgehend alle - im Zusammenhang von Umweltverschmutzung oder Überbevölkerung.
 
Die Handlung von "Baby" spielt im 15. und im 17.Jahrhundert. Hätten Sie die Handlung auch in ein heutiges Theater verlegen können?
Das hätte ich machen können, aber ich wollte mich mit einem Langzeitblick mit dem christlichen Mythos des Kindes beschäftigen, der bekanntesten Ausbeutung eines jungfräulich geborenen Kindes. Ich bin kein Dokumentarist und will Fiktion machen. In einem historischen Film kann ich - wie in einem Science Fiction - innerhalb der Grenzen unseres historischen Wissen alles neu schöpfen. Ich gestalte die Umstände so, daß sie genau meinen Ideen entsprechen. Wenn ich die erste Szene in einem deutschen Krankenhaus des Jahres 1993 placiert hätte, hätte ich mich um Hebammen und Gynäkologen und das Gesundheitssystem und die Archtektur von Krankenhäusern kümmern müssen. Aber in diesem Film hat mich das alles nicht interessiert. Deshalb habe ich es in der Vergangenheit angesiedelt.
Die Straußberg Universität hat mich gerade gebeten, "Das Wunder von Macon" als Theaterstück aufzuführen. Es ist eine interessante Herausforderung. Ich kann kein echtes Baby auf der Bühne einsetzen, ich kann keine Kuh auf der Bühne abschlachten und wo plaziere ich das Publikum innerhalb des Stückes.
 
Ist nicht für die Schauspieler ein sehr gefährliches Projekt, in einem Stück mitzuspielen, daß den die tödliche Verquickung von Rolle und Realität behandelt?
Das kann sein. Wir werden sehen, wie es ausgeht.
 
Weshalb verläßt die Figur des Kantor das Stück ohne Verletzungen? Wenn das Stück eine Metapher über das Erzeugen von Illusionen ist, entspräche der Kantor dem Regisseur eines Films und der Regisseur läßt nach weit verbreiteter Auffassung immer etwas von seiner Figur in seinem Werk.
Ich bin derjenige, der alles organisiert, der alle Figuren leitet. Es ist auch sehr bedeutungsvoll, daß der Kantor dem Baby seine Stimme gibt bzw. daß ich dem Baby meine Stimme leihe. Das Baby stellt eine Form der Unschuld dar, ein Kind, das als Macht enden wird. In der Mitte des Films bewirkt das Kind das einzige wirkliche Wunder, den Angriff der Kuh im Stall.
Doch wenn das Spiel zu Ende ist, kommt der Bühnendirektor nach vorne, klatscht in die Hände und das Drama löst sich auf. Alles fällt auseinander, das Publikum, das vom Kinopublikum als Zuschauer gesehen wurde, zeigt sich als eine weitere Gruppe von Schauspielern und Schauspielerinnen. Damit können sie als das Kinopublikum sich identifizieren und vielleicht sind hinter Ihnen weitere Zuschauer, zurück bis zu Gott. Wir werden alle beobachtet, ich bin überrascht, daß hier keine Überwachungskamera ist.
Aber wir werden auch eine Welt von Zuschauern, zu diesem Zeitpunkt sitzen Millionen Menschen passiv und manipuliert vor dem Fernseher oder vor der Kinoleinwand. Und es werden immer mehr. Aber während wir zusehen, werden wir auch gesehen. Wir sind eine Welt der beobachteten Zuschauer, das ist ein Teil der Parabel dieses Films.
 
Wie waren die Reaktionen auf "Das Wunder von Macon" in anderen Ländern?
Der Film wurde sehr hart angegriffen in Cannes und in England. Es ist ein sehr verstörender Film, nicht allein wegen seines Themas, denn es ist auch ein Film, der zeigt, wie Film funktioniert und wie er manipulieren kann. Und das können einige Leute nicht ertragen. So war es allerdings auch mit "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber", der jetzt als eines der wichtigsten Werke des britischen Films der letzten zehn Jahre angesehen wird. "Baby" ist im Moment unter den zehn bestbesuchten Filmen Londons. Ich denke, der Film ist provokativ und er fordert heraus, doch wenn die Leute anfangen, über seine Themen nachzudenken, werden sie herausfinden, wie überzeugend, interessant und sogar unterhaltsam diese Themen präsentiert werden.
 
Gibt es nationale Unterschiede in der Rezeption ihrer Filme?
In Deutschland hatte erstmals der "Koch" einen gewissen Erfolg. Die anderen Filme wurden zwar gezeigt, aber "Der Kontrakt des Zeichners hatte  in Italien und und Frankreich die größten Erfolge.
 
Müssen Sie für das Fernsehen arbeiten, um ihre Kinofilme zu finanzieren?
Nein, ich interessiere mich für die Herstellung von Bildern jeder Art: Ich male noch immer, ich werde im nächsten Jahr eine Oper in Amsterdam inszenieren, ich mache einige CD-Roms und habe mehrere TV-Projekte. Wenn es eine Gelegenheit gibt, spannende visuelle Dinge zu tun, ergreife ich sie gerne.
 
Was machen Sie mit CD-Rom, etwas in der Art ihre Ausstellungen in Rotterdam und Wien?
Im nächsten Jahr habe ich eine Ausstellung in Genf mit dem Titel "Stairs". Wir machen eine CD-Rom über die Geschichte der Treppenhäuser in der europäischen Malerei und Kunst. Parallel zu meinem nächsten, weitgehend aus Japan finanzierter Spielfilm "Aubergensfeld" ensteht eine CD-Rom, die eine Menge mehr Informationen enthält, alle Hintergründe, Recherchen und anderes, was nicht im Film auftauchen wird. Auch zu meinem nächsten Channel 4 TV-Projekt "100 Things to represent the World" - 100 Kurzfilme von einer Minute, die zur besten Sendezeit hundert Abende lang gezeigt werden - entsteht es eine CD-Rom geben.
 
Haben Spiegel eine besondere Bedeutung für Ihre Filmarbeit?
Ich bewundere Borghes sehr. Zwei Bilder, die ich mit Borghes verbinde, sind das Labyrinth und der Spiegel, gewissermaßen sind sie das gleiche Phänomen. Jedes Kunstwerk ist immer ein Spiegel für den Künstler, in dem er sich selber sieht. Seine Leidenschaften, seine Wünsche, Träume oder Qualen und Alpträume. Derart ist der Spiegel eine Metapher. Natürlich sind sie aus der Sicht der Kamera sehr aufregende Gegenstände zum Spielen, wie es zum Beispiel Orson Welles im Finale von "Lady from Shanghai" (Touch of evil?) gemacht hat.
 
Werden Sie bei Ihren nächsten Film "Augsbergenfeld" wieder mit hochauflösenden elektronischen Kameras (HDTV) arbeiten?
"Augsbergenfeld" wird in Schwarz-Weiß, Monochrom und Farbe aufgenommen, denn eines der Themen des Films ist die These, daß es die 'Vergangenheit' nicht gibt, daß sie nur von Historikern rekonstruiert wurde. Ich werde mit dieser Farb-Codierung verschiedene Perspektiven benutzen und die Bedeutung von Szenen sehr einfach betonen können.
HDTV habe ich nicht nur für Prospero, sondern auch für die TV-Produktionen "M is for Mozart" und "Darwin" eingesetzt. Mit "Das Wunder von Macon" bin ich technisch einige Schritte zurück gegangen, um mich auf andere Aspekte zu konzentrieren.
 
Sind nach "Das Wunder von Macon" weitere Projekt mit der Filmstiftung NRW geplant? Dort sagte man, es würden insgesamt drei Filme mit ihnen gedreht.
Wer hat Ihnen das gesagt? Ich würde es gerne machen, "Augsbergenfeld" hat einen deutschen Titel, es geht um ein Ereignis des Dreißigjährigen Krieges, eine Schlacht - besser zwei Schlachten, die 1628 an einem Tag an der Grenze zwischen Westfalen und den Niederlanden stattfanden. Das wäre eine gute Basis für die Finanzierung durch die Filmstiftung NRW.
Mit dem deutschen Produzenten Thomas Klinger plane ich ein HDTV-Remake meines Films aus dem Jahr 1978 "The Falls", der jetzt auch als Roman erschienen ist. Der Verlag Rogner und Bernard, der auch das Buch "Das Wunder von Macon" veröffentlicht hat, wird ihn wahrscheinlich ins Deutsche übersetzen lassen.
 
Wissen Sie, daß ihr Nachwort in dem Buch "Das Wunder von Macon" stark verändert wurde?
Das Script wurde ursprünglich für die Produzenten geschrieben und nicht für die Veröffentlichung verändert.
 
Sie haben für die Filmmusik diesmal nicht mit Michael Nyman zusammengearbeitet?
Für "Das Wunder von Macon" habe ich sechs Komponisten des frühen 17.Jahrhunderts gewählt, da ich musikalisch in die Epoche der Handlung zurückgehen wollte, ohne die ursprüngliche Musik modern zu filtern. Die Musik dieser Periode fasziniert mich, sie taucht in verschiedensten Formen auf. Diese Breite hätte mir ein Komponist nicht geben können.
 
Gibt es da nicht einen Widerspruch zu Ihrem Verständnis der Bilder, die ja keine wirkliche Vergangenheit abbilden, sondern nur Entwürfe von Vergangenheit schaffen?
Das stimmt, aber ein umgekehrter Vorwürf hätte dann den "Kontrakt des Zeichners" treffen müssen. Dort gab es zeitgemäße Kostüme, Umgebungen und Verhalten, weshalb habe ich dort keine zeitgemäße Musik eingesetzt?
Im Barock setzte die katholische Kirche natürlich auch die besten Komponisten und die beste Musik ein, um mit diesem stark emotionalen Mittel für den Glauben zu werben. So ist es auch ein Kommentar zum propagandistischen Einsatz von Musik.

Peter Greenaway - Links


Die ersten drei Spielfilme

Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber

Das Wunder von Macon (Kritik)

Das Wunder von Macon (Dreharbeiten)

Interview Greenaway zu Das Wunder von Macon

Die Bettlektüre

Das Kino ist tot - Masterclass in Thessaloniki 2004