30.10.07

Jagdhunde


BRD 2006 (Jagdhunde) Regie: Ann-Kristin Reyels mit Constantin von Jascheroff, Josef Hader, Luise Berndt 88 Min. FSK: ab 6
 
Während deutsche Regisseure gleich reihenweise gutes Handwerk in den USA beweisen, überraschen heimische Produkte mit wirklich guten Bildern, Darstellern und Geschichten: Der 16-jährige Lars will raus aus der Einöde eines kleinen Dorfes in der Uckermarck, weg vom frustrieren Vater und vom Weihnachtsfest, das nicht fröhlich zu werden scheint. Doch den Zug nach Berlin verpasst er für die gehörlose Marie, die er am Bahnhof trifft. Damit bricht der Junge die Fronten zwischen den Alteingesessenen und den Neuen - Lars und sein Vater - auf. Zu Besuch kommt dann nicht nur die Geliebte des Vaters, auch die Ex schneit herein. Im stetig wachsenden Chaos entwickelt sich eine ganz leise und poetische Liebesgeschichte zwischen Lars und Marie.
 
Nicht so sehr, die sicher erzählte Geschichte mit den tollen Darstellern überzeugt in erster Linie. Es sind von der ersten Einstellung die atemberaubenden Bilder eines Dorfes in Schnelllandschaft. Regisseurin Ann-Kristin Reyels ließ sich von ihnen verführen, kreiert eine sehr schöne Stimmung und verliert dabei nicht den Faden der emotionalen Entwicklung. Unbedingt sehenswert.

Nach 7 Tagen - Ausgeflittert


USA 2007 (The Heartbreak Kid) Regie: Peter Farrelly, Bobby Farrelly mit Ben Stiller, Michelle Monaghan, Malin Akerman 116 Min. FSK: ab 12
 
Bevor man/frau beim Titel "Nach 7 Tagen - Ausgeflittert" denkt: "Romantische Komödie", sollte man auf die Regisseure schauen, und das steht Farrelly. Die Macher von "Alle lieben Mary" halten sich auch hier nicht zurück, doch der Film wirkt, als hätten sie ihren zügellosen, unverschämten Humor in Lizenz verkauft und sich frühzeitig zur Ruhe gesetzt.
 
Auf der Hochzeit seiner Ex ist Single Eddie (Ben Stiller) noch der Riesen-Trottel, doch ein paar Tage später läuft ihm schon die Traumfrau über den Weg und auch noch hinterher. Die Meeresbiologin Lisa ist es! Als sie nach ein paar Wochen jobmäßig aus den USA nach Rotterdam versetzt werden soll, scheint Heirat die einzige Rettung der Zweisamkeit zu sein. Fröhlich geht es in die Flitterwochen nach Mexiko, doch schon auf der Fahrt entdeckt Eddie unbekannte Seiten seiner neuen Frau: Lisa erweist sich als Karaoke-Maschine ohne Aus-Schalter. Die Penetranz des mitgesungenen Besten von gestern, vorgestern und aller Zeiten wird sich auf der sehr, sehr langen Autofahrt ein (später) erster komödiantischer Volltreffer des Films.
 
Wie es sich für dieses Genre seit ein paar Jahren gehört, geht es nicht ohne Körperflüssigkeiten oder Absonderliches ab - so erzeugt man Lacher halt einfacher als mit guter Inszenierung. Dank heftigem Koksen und ruinierter Nase läuft Lisa beim ersten Raststätten-Stopp der Apfelsaft wieder aus dem Riecher raus. Was sich eher in der Kategorie Antiwitz verbuchen lässt. Später in der Honey Moon-Suite erweist sich Lisa im Bett als Bestie, für die Missionarsstellung ein Fremdwort ist.
 
Doch neben solchen Humoreinlagen, den gnadenlosen Attacken einer schrecklichen Mariachi-Band und zwei hinterhältigen Kids, die Eddie verfolgen, gibt es ein wenig mehr Handlung. Noch auf der Hochzeitsreise verliebt sich der von Lisa total abgeschreckte Eddie nämlich in die nette, kumpelhafte Miranda (Michelle Monaghan). Weshalb diese jetzt die bessere Frau sein soll, bequemt der Film sich nicht klarzumachen. Er behauptet es nur, so wie auch andere, wichtige Elemente sehr nachlässig konstruiert wurden.
 
Zum Ende verläuft "7 Tage" furchtbar konventionell, in der Trivialität der Handlung sogar in der Nähe von Vorabend-Serien anzusiedeln. Das Remake von "Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht" aus dem Jahre 1972 ist eine doppelte, gar dreifache Enttäuschung: Von den Farrelly-Brüdern erwartet man eindeutig mehr Pep, Frechheiten und Tempo. Wie bei "Mary" als der Schoß-Hund gegrillt und das exquisite Haargel verköstigt wurde! Damals war Ben Stiller auch dabei und fast alles was er danach ablieferte, war frecher, wilder als dieses Kommödchen. Den Namen Farrelly wird man nicht mehr als Warnung verwenden brauchen.

Bis zum Ellenbogen


BRD 2006 (Bis zum Ellenbogen) Regie: Justus von Dohnányi mit Stefan Kurt, Jan Josef Liefers, Justus von Dohnányi 85 Min. FSK ab 12
 
Von Schweizer Höhen flacht sich dieses deutsche Sommer-Road-Movie bis auf Meeresniveau bei Sylt ab. Schauspielerische und dramaturgische Improvisationen machen den Film von Justus von Dohnányi interessant, aber nur streckenweise gut.
 
In voller Alpen-Abfahrt rammt der aggressive Mountainbike-Rüpel Achim (Jan Josef Liefers) den verträumten Wanderer Willi (Stefan Kurt). Es wird nicht das letzte Mal sein, dass der arrogante Schnösel und der Hartz 4-Empfänger aneinander geraten. Trotzdem quartiert der liebe, naive Sven (Regisseur und Autor Justus von Dohnányi) die beiden Angeschlagenen in seiner Almhütte ein. Achim schafft es nicht mehr ins Tal, muss das Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2006 im flackernden Fernseher verfolgen. Sven, der Bankangestellte aus Sylt, trauert um seine ertrunkene Frau. Willi kehrt hemmungslos den Schmarotzer mit sozialer Kampfagenda heraus. Doch irgendwie verstehen sich die drei und es werden ein paar nette Sommertage ... bis Sven absurd-tragisch verunglückt.
 
Willi fühlt sich schuldig und Achim, der in der Firma des Schwiegervaters große Geldprobleme hat, sieht in Svens Privatbank auf der Nordseeinsel eine Chance. Man muss den Sven nur heil nach Sylt bringen. So packen sie ihn in den Ski-Dachträger und machen sich auf den Weg, der gesäumt sein wird von Fußballspielen. Die Partie der Schweiz soll zum Beispiel den Grenzübertritt erleichtern, meint der Checker Achim. Doch Verlierertyp Willi vergeigt es fast, aber auf herrliche Art und Weise. Praktisch auch, dass in diesen Feier-Tagen niemand eine Schnapsleiche von einer echten unterscheiden kann, wenn sie nur deutschnational geschminkt ist.
 
Für diesen erfrischend lockeren Film trommelte Schauspieler Justus von Dohnányi letzten Sommer seine Kumpels Stefan Kurt und Jan Josef Liefers zusammen und ließ sie auf Basis seines Drehbuchs auch immer wieder kräftig improvisieren. Diese Freiheiten stehen auf der positiven Seite der Komödie, die mit dem verwesenden Sven immer mal wieder einen Abzweig in den schwarzen Humor versucht: Da werden Zähne mit Heißkleber repariert, die Rülps- und Furzgeräusche der Leichengase sollen auch ein paar Lacher herbeizwingen. An deutschen Landschaften im Sommermärchen erfreut sich das Auge, wenngleich der titelgebende Ellenbogen bei Sylt, in dem Sven sich seine Seebestattung wünschte, am Ende dann irgendwie wirkungslos bleibt. So verläuft der ruhige Rhythmus der nie sentimentalen Komödie mal reizvoll, mal träge. Ästhetisch und dramaturgisch fällt der Film-Fluss auseinander, ein weißes Rauschen in der Bank sieht zwar gut aus, passt aber überhaupt nicht an dieser Stelle. Mit Sympathie für das Nicht-Perfekte lässt sich die nur streckenweise gelungene Komödie aber durchaus genießen.

25.10.07

TV Kritik: Johanna sucht das Glück (ZDF)


Fünf Jahre sind vergangen seit dem überwältigenden Erfolg von "Der Tag, der in der Handtasche verschwand", der bewegenden Dokumentation über Frau Mauerhoff, der alten Dame mit Alzheimer. Nun zeigte der neue Film von Marion Kainz, "Johanna sucht das Glück", mit einem jungen Porträt die gleichen Qualitäten: Die 15-jährige Johanna verabschiedet sich schrittweise von Zuhause. Die Mutter lässt den neuen Freund einziehen, bekommt noch ein Kind. Da will Johanna zur Freundin Manu, sie hätte ja Recht auf das Kindergeld - meint sie.
Man muss oft herzlich lachen über die Unbedarftheit, erfreut sich an ihrer Lebensenergie, wenn Johanna nach dem Schulabbruch nur jubelt: "Ich bin frei!" Aber sie erstaunt auch mit frühen Weisheiten, über das Leben, ihre eigene Situation. Das Schwanken zwischen den Emotionen und den möglichen Wegen nimmt der Film in seinem Rhythmus auf: Schnelle Wechsel zwischen Ruhe und Raves, Gesprächen und wortlosen Gefühlsmomenten. (Die Dramaturgie gestaltete der aus Aachen stammende Georg Maas mit.) Soll Johanna ein soziales Jahr machen oder zur Artistenschule? Aber wenn sie nicht zur Schule geht, läuft ohne Abschluss gar nichts ...
Die einfühlsame Dokumentation einer jungen Frau zwischen Unsicherheit und Trotz besticht durch eine enorme Vertrautheit mit der Porträtierten. Genau wie beim "Tag, der in der Handtasche verschwand", der übrigens am Sonntag, dem 28.10.2007 um 0.40h, im BR wiederholt wird. "Johanna sucht das Glück" ist am Sonntag dem 28.10.2007 um 21.15h auf 3 Sat noch einmal zu sehen.

60 Jahre film-dienst


26 x Wahrheit und Durchblick pro Jahr
  
Als der "Filmdienst der Jugend" im Oktober 1947 das Licht der Welt erblickte, wird keiner der Initiatoren vermutet haben, dass dieses Heftchen 60 Jahre später als eine der wenigen seriösen Publikation zum Film in Deutschland gefeiert wird. Man merkt dem film-dienst das Alter nicht an, da er stets auf der Höhe der immer wieder neuen Filme und Themen blieb. Alle zwei Wochen finden sich sämtliche Neustarts, Video- und DVD-Premieren in dem Heft. Und im Gegensatz zu anderen, lauten Cinema-Magazinen bestimmt hier nicht der Werbeetat eines noch lauteren Films Umfang und Schärfe der Berichterstattung.
 
1949 wurde der film-dienst offizielles Organ der "Katholischen Filmkommission", was ihm von Außenseitern immer den Vorwurf einbrachte, nur als klerikaler Sicht zu rezensieren. Doch allein bei explizit kirchlichen Themen wie "Die Letzte Versuchung Christi" von Scorsese liefen die filmkritischen gesammelt auf, ansonsten herrschte im Denken und auch in der Auswahl der Mitarbeiter eine Freiheit, die sich der freie Markt in Abhängigkeit von Anzeigen nicht leisten konnte. Die Zeitläufte erzwangen schließlich doch Zugeständnisse: 1990 wurde die konzentrierte Sammlung von Kritiken und nichts als Kritiken - schwarzweiß und im handlichen DIN A5-Format - umgestellt auf das Magazin-Format von heute mit Festivalberichten, Porträts, einer weiten Spannweite der Themen von Spezifischem wie Filmmusik bis zu Randerscheinungen wie "Film und Internet". Da das federführende Bistum Köln das "Katholische Institut für Medien" (KIM) wegsparen wollte, musste dem film-dienst und der Schwester-Redaktion von "Funkkorrespondenz" eine neue Heimat gefunden werden. Von Köln ging es nach Bonn zum Verlag Deutsche Zeitung, der auch den "Rheinischen Merkur" herausgibt.
 
Mittlerweile zeigt sich der film-dienst als Herz einer ganzen Medien-Phalanx: Der Online-Dienst www.film-dienst.de bietet Abonnenten ideale Recherche-Möglichkeiten zu allen Aspekten des Films. Das "Lexikon des Internationalen Films" ist auf Basis der zweiwöchentlichen Filmbesprechungen mit vielen zig-tausend Kurzkritiken DAS Standardwerk zu allen Filmen, die jemals in Deutschland auf Leinwand, TV, Video oder DVD liefen. Mehrere DVD-Editionen leuchten aktuelle und historische Meisterwerke heraus. Die "Edition Filmmusik" kümmert sich verdienstvoll um all die überhörten deutschen Film-Komponisten. Im Internet sind die verschiedenen Produkte und auch ein Probeheft zu bestellen. Immer wieder gibt es spannende Themenhefte - etwa zu "Jazz und Film" oder bei der aktuellen, prallen Jubiläumsausgabe "Licht". Man darf dem unkorrumpierten Blick auf Licht und Schatten des Films noch viele Jahrzehnte wünschen.
 
(Günter H. Jekubzik ist Freier Mitarbeiter des film-dienst)

23.10.07

Halloween


USA 2007 (Halloween) Regie: Rob Zombie mit Malcolm McDowell, Brad Dourif, Tyler Mane, Daeg Faerch, Sheri Moon Zombie 110 Min. FSK       ab 18
 
Heute braucht man niemandem mehr zu erklären, was die seltsamen Kürbisse und die Verkleidungen in diesem amerikanischen Horrorfilm für eine Bedeutung haben. Halloween hat Deutschland in den letzten Jahren heftig amerikanisiert. Der verwandte Feiertag Allerheiligen gerät dagegen eher in Vergessenheit. Das "Halloween"-Remake von Rob Zombie ("The Devil's Rejects", "Haus der 1000 Leichen") macht aber vor allem einen in 30 Jahren veränderten Umgang mit Gewalt deutlich.
 
Carpenters "Halloween" aus dem Jahre 1978 stellte einen bemerkenswerten Moment der Filmgeschichte dar: Konsequente Horror-Spannung und Michael Myers als kaum zu stoppender Mörder, der in den kommenden Folgen eine übersinnliche Aura bekam, sorgten für den enormen Kassenerfolg einer Low-Budget-Produktion und starteten Jamie Lee Curtis' Karriere. Aus dem dahin randständigen Teen Slasher-Genre erwuchs eine unübersichtliche Reihe vermummter und vernarbter Kino-Serienmörder.
 
Das Remake von Carpenters Klassiker, der acht Fortsetzungen erlebte, bringt den Stoff nach fast 30 Jahren tatsächlich auf eine neue Ebene: Ganz im Trend von Filmen über Amokläufer an Schulen werden soziologische Erklärungen eingebaut - was die Fans des Genres nicht interessieren dürfte. Noch weniger die Fans der gerade mit ihrer Simplizität überzeugenden Halloween-Filme und schon gar nicht die Anhänger des Brutalo-Filmer Rob Zombie.
 
Wir sehen den zehnjährigen Michael Myers bei einem asozialen, brutalen Stiefvater, hänselnden Mitschülern und einer lotterhaften Schwester. Deswegen setzt er eine Clownsmaske auf und mordet erst Tiere, dann seine Peiniger. In der Halloween-Nacht löscht er fast seine ganze Familie aus. Nur die kleine Schwester überlebt, aber als Michael Jahrzehnte später aus seiner Sicherheitsverwahrung flieht, kehrt er wegen ihr an den Tatort zurück.
 
30 Jahre weiter ist Gewaltdarstellung extremer geworden - auch dank vieler Filme in sich gegenseitig übertreffender Nachfolge von "Halloween". Selbst die Soundeffekte sind aggressiver und effektiver, das Zustechen des Messers geht schon akustisch ins Mark. Vielleicht eine Antwort auf all die Frauen im Publikum, die dauernd wegschauen. Die sexuelle Freiheit der im Fokus stehenden Teenager hat sich hingegen zurück entwickelt - was in einem von Repression bestimmten US-Gesellschaftsklima nicht verwundert.
 
Das Einzige, was man dem extrem schwer erträglichen Blutrausch abgewinnen könnte, ist die eigene Ästhetik der filmenden Musikers  Zombie ("White Zombies"), der dank düsteren Lichteffekten und zitternder Kamera eigentlich auf die ganze andere Sauerei verzichten könnte. Spannend sind so vor allem die intensiven Gespräche Michaels mit seinem Psychiater (Malcolm McDowell). Eindrucksvoll gefilmt wurde das Spiel mit den Masken, die für diese Art von Schlachterfilmen typisch sind. Doch vor allem in der zweiten Hälfte bleiben nur die Grundidee sowie die simple und doch ungemein eingängige Synthesizer-Melodie übrig.

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford


USA 2007 (The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Frank) Regie: Andrew Dominik mit Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard 156 Min. FSK: ab 12
 
Chronik einer angekündigten Erschießung
 
Jesse James ist 34 Jahre, hat 17 Morde hinter sich, aber das Geschäft mit der Räuberei läuft nicht mehr so richtig. Die Western-Geschichte schreibt das Jahr 1881, Jesses älterer Bruder Frank zieht sich nach einem letzten Zugüberfall zurück. Nun muss der extrem misstrauische und selbst im Schlaf wachsame Jesse (Brad Pitt) mit neuen, ihm unbekannten Leuten losziehen. Einer von ihnen, Jesses größter Fan Robert Frank, wird später sein Mörder sein.
 
Dies sind die Fakten. Alles andere ist pure Filmkunst, ein ausgebreiteter Genuss an Bildern, Tönen, Texten, Stimmungen und ungemein intensiven Figuren. Es sind nicht die aufregenden Überfälle sondern die Zeiten und Räume dazwischen, die sich in diesen zweieinhalb Stunden weiter Westernwelt nahezu entspannt ausbreiten. Da ist das ruhige Familienleben, das Jesse als braver Bürger unter falschem Namen führt. Die Gespräche am Lagerfeuer. Die langen Ritte, um die Gang wieder zusammen zu bringen. Oder, um ausführlich mit einem möglichen Verräter zu speisen und zu trinken, dann eine Weile mit ihm raus zu reiten, um erst dann, nach quälenden Minuten voller Angst den nun schon fast erlösenden Schuss abzufeuern.
 
Im Zentrum steht der Psychopath Jesse James, vor dessen unberechenbarer Gewalt alle zittern. Doch der Film zeigt ihn auch in depressiven Phasen bis hin zum melancholischen Blick an seinen baldigen Mörder. Kunstvoll indirekt über einen Spiegel, denn Robert Ford schießt selbstverständlich in den Rücken. Da hat Jesse nach dem langen Abschiedsgedicht schon die Pistolen abgelegt, fast philosophisch abgeschlossen.
 
Der Epilog ist dann wieder ganz modern in seiner höhnischen Verachtung des kurzen Ruhms. Nick Cave (dem man bei kaum einem Filmfestival entkommt) darf in einer dreckigen Kneipe die Ballade vom feigen Mörder schrammeln, bevor Robert Ford selbst durch ein noch elenderes Abbild seiner selbst niedergeschossen wird.
 
Vergleiche zwischen Literatur und Film bringen eigentlich nur Uni-Seminare weiter. Doch bei diesem elegischen Meisterwerk muss man auf einen seelenverwandten Text um einen anderen Outlaw-Helden verweisen: "Die gesammelten Werke von Billy the Kid", ein knapper Roman von Michael Ondaatje ("Der englische Patient") evoziert mehr Licht-Bilder, als es altersschwache Kinoprojektoren schaffen. Und jetzt begeistert ein Film mit derart literarischen Off-Texten (Drehbuch: Andrew Dominik, Buchvorlage: Ron Hansen), dass man ihn anhalten, zurückblättern und noch mal lesen möchte!
 
Ein neuer Spätwestern, aber keineswegs ein echter Männerfilm. Der Ausritt in diese dichten, schwer beschreibbaren Atmosphären ist ein packendes Psychogramm mit Cowboyhut und Colt.
 

19.10.07

Depardieus Zaubertrank


Aubel. Falls Sie in den nächsten Tagen kurz hinter der belgischen Grenze Gerard Depardieu begegnen und Sie sich entspannt mit dem als explosiv und launisch verschrienen Filmstar unterhalten wollen - reden sie über Wein! Das Vergnügen, einen Kenner und Genießer beim weinseligen Schwärmen zu erleben, hatten zwei Dutzend Menschen gestern im wallonischen Dörfchen Aubel, wo der lokale Weinhändler Marc Stassen die edlen Tröpfchen des Winzers im Nebenberuf anbot.
 
Eine französische Produktion dreht zurzeit den Jugendfilm "Die Kinder von Timpelbach" in Hergenrath und deshalb dreht sich dort alles um den großen französischen Star Gerard Depardieu. Der will verständlicherweise in Ruhe arbeiten, ordnet "Close Set" an, will keine Zaungäste sehen. Aber gestern gönnte er sich einen Ausflug ins idyllische Aubel am Rande des Val Dieu. Marc Stassen lockte bereits zum zweiten Male in diesem Jahr eine Leinwand-Legende in seinen Weinladen. Im Mai stellte der Komödiant und Reben-Kultivator Pierre Richard seinen Chateau Bel Eveque und seinen Cuvee Cardinal vor. Der große Blonde mit dem guten Geschmack pflegt die Reben ebenso wie das Reden.
 
Wie ernst es den französischen Mimen mit der Weinkultur ist, bewies gestern Depardieu. "Ja, ich sehe mich als Artisan", sagte er ohne zu zögern und man muss das kompliziert als "Künstler der Traubenveredlung" übersetzen. In den Achtzigern fing er an, sich Weingüter zuzulegen. Edle Lagen, die im Jahr von 3.000 bis 9.000 Flaschen hergeben. Mit Verantwortung, denn "zu so einer Parzelle gehören auch Menschen, manchmal eine ganze Dorfgemeinschaft!" Fast eine Stunde lang fachsimpelt der Schauspieler, der hier ganz "Viticulteur" ist, über Rebsorten, die Pflege alter Stöcke, die Weinindustrie und die kleinen, feinen Weine. Der Filmkritiker unter all diesen Weinliebhabern erinnert sich aber auch an den alten, knorrigen Bordeaux-Winzer, der mit noch hochröterem Gesicht als berufbedingt üblich, in der Wein-Doku "Mondovino" den erbitterten Widerstand seines Dorfes gegen den Großinvestor Depardieu ankündigte, der meinte, sich überall groß einkaufen zu können.
 
10 Weine in der Auswahl von Marc Stassen tragen Depardieus Namen und teilweise auch sein Porträt. Wobei - ist das nicht wieder der Schauspieler? Tatsächlich, da gibt es einen "Cuvee de Bergerac" passend zur Paraderolle des "Cyrano de Bergerac". Und Weinnamen, die auch Filmtitel sein könnten. Passend zum Schauspiel liegt der Weinhandel von Marc Stassen in einem alten Theater mitten im Ortskern Aubels. Und dass Marcs Bruder Ben mit seinem Brüsseler nWave-Studio weltweit als einer der führenden Filmemacher in Sachen 3D-Animation gilt, ist eigentlich zuviel der Verbindungen zwischen Wein und Filmwelt.
 
Doch das alles hält den Gourmet nicht vom Schwärmen ab. "Die Frauen seinen für die Weinkultur sehr wichtig", meint er, "er "zählt darauf was die Frauen in Sachen Geschmack sagen!" Und erkundigt sich gleich darauf, wie denn die Kühe hier in der Gegend hießen. Nicht mit Vornamen, aber die Sorte kenne er wohl und sie munde ihm vorzüglich. Da gibt es doch auch einen guten Cidre von hier, welche Äpfel nimmt man denn dazu? Irgendwann ist der Star völlig verschwunden, die bäuerlichen Züge hinter der - zugegeben - großen Nase passen wunderbar zum ehrlich gelebten und auch fachlich interessierten Genussmenschen. Am Ende hatte wirklich jeder seine Autogramme und die Entspanntheit des Stars überzeugte die Fans, sich doch dem Wein und den Häppchen zuzuwenden. Wie schön kann das Leben in Aubel sein - selbst für einen Weltstar.

17.10.07

Enttarnt


USA 2007 (Breach) Regie: Billy Ray mit Chris Cooper, Ryan Phillippe, Laura Linney 110 Min. FSK: ab 12
 
"Das geheime Leben des August Hanning". Will jemand diesen Film sehen? Auch wenn Armin Mueller-Stahl den ehemaligen Bundesnachrichtendienst-Präsidenten spielen würde? Zweifelhaft. Anders in den USA: Matt Damon spielte in "Der gute Hirte" von Robert DeNiro die Rolle eines frühen leitenden Mitarbeiters der CIA. Und nun die Geschichte von Robert Hanssen, des größten Verräters in den Reihen des FBI, der 2001 aufsehenerregend aufflog. "Enttarnt" nähert sich dieser Figur über einen neuen Angestellten. Eric O'Neill (Ryan Phillippe) wird Assistent des altgedienten FBI-Agenten Robert Hanssen (Chris Cooper). Der schroffe Senior lässt den ehrgeizigen Mitarbeiter bei jeder Gelegenheit auflaufen, ein Bürodrama bahnt sich an. Doch O'Neill arbeitet verdeckt, als Spion unter Spionen ist er die Speerspitze einer ganzen Abteilung, die den Verräter Hanssen überführen soll. Dieser liefert seit Jahren Geheimnisse und Agenten an die Russen aus. Obwohl er erzkonservativ, tief religiös und sehr moralisch ist...
 
Der intensive Charme der staubtrockenen Bürokratie. Die detaillierte Beobachtung der Person Hanssens, das immer persönlichere Verhältnis des Seniors und seines jungen Verräters, der irgendwann die Stelle eines Sohnes einnimmt. Mit ruhigen Piano-Klängen zeigt sich das nationale Geheimdienst-Desaster als spannendes Kammerspiel. Man kann endlich mal in Ruhe das Können von Chris Cooper goutieren, der letztens in "The Kingdom" als FBI-Agent in Saudi-Arabien aktiv war. Prinzipiell ist es ja auch gut, hinter die Kulissen der Geheimdienste zu blicken. Doch bei allem Entsetzen über die Menschenverachtung dieser Vereine, wirken diese Filme am Ende eher romantisierend als aufrüttelnd.

Invasion


USA 2007 (The Invasion) Regie: Oliver Hirschbiegel mit Nicole Kidman, Daniel Craig, Jeremy Northam 99 Min. FSK: ab 12
 
Ein ganz normaler Morgen in der Großstadt: Jeder starrt vor sich hin. Niemand interessiert sich für den anderen. Wie Roboter gehen die Menschen ihrer Wege. Ein normaler Morgen? Oder sind doch gefühlslose Außerirdische in die Hüllen der Menschen geschlüpft? Diese nahe liegende Vorstellung wurde nun zum vierten Male für das Kino verfilmt, wobei der gesellschaftspolitische Hintergrund um Nuancen variiert wird: Bei Don Siegels "Invasion of the Body Snatchers" ("Die Dämonischen", 1956) bestimmten McCarthy, Kommunistenhatz und Denunziation die Stimmung. Die Nixon-Ära und Watergate waren für Philip Kaufmans "Die Körperfresser kommen" 1978 prägend. In Abel Ferraras "Body Snatchers" war 1993 der erste Irak-Krieg zu spüren, jetzt hat die Invasion der gefühlslosen Körperklauer auf den Fernsehschirmen im Hintergrund eine direkte Folge: Die US-Truppen ziehen aus dem Irak ab!
 
Es beginnt mit dem Absturz eines Space-Shuttle: Die Sporen auf den Trümmern infizieren immer mehr Menschen in den USA. Im Schlaf verpuppen sie sich, wachen als kalte Imitate der vorherigen Körper-Eigner auf und haben nur das Ziel, noch mehr Menschen zu gefühlslosen Dahinvegetierern zu verwandeln. Psychiaterin Carol (Nicole Kidman) bemerkt in ihrer Praxis und auf den Straßen früh dieses seltsame Verhalten. Nicht nur ihr Ex-Mann Tucker (Jeremy Northam) zeigt sich völlig gefühllos, "wie vom anderen Stern". Zusammen mit ihrem Kollegen und Geliebten (Daniel Craig) kommt Carol dem Virus bald auf die Spur. Doch inzwischen ist ihr Sohn in der Hand der Körperfresser und im fast vollständig eroberten New York gibt es nur eine Tarnung: Egal was passiert, keine Regung zeigen.
 
Gleichzeitig ist auch eine Invasion junger deutscher Regisseure in Hollywood festzustellen: Fast wöchentlich gibt es nun US-Debüts heimischen Talents mit Hollywoodstars: Nicole Kidman wagt das Experiment mit Oliver Hirschbiegel, Mennan Yapo gab mit Sandra Bullock ein "Vorahnung" seines Könnens. Robert Schwentke hob mit Jodie Foster und "Flightplan" ab. Viele andere kommen mit ihren US-Start gar nicht erst ins Kino: Katja von Garnier mit "Blood and Chocolate", in dem Katja Rieman an der Seite von Olivier Martinez spielt. Und hat jemand jemals "The I Inside" von Roland Suso Richter ("14 Tage lebenslänglich") gesehen? Vom Trash-Filmer Dr. Uwe Boll ("Postal", "Schwerter des Königs") wollen wir eigentlich nicht reden, der ist auf Video und DVD ganz gut aufgehoben.
 
Der ehemalige "Tatort"- und "Rex"-Regisseur Oliver Hirschbiegel, hat sich mit "Das Experiment" und "Der Untergang" in die erste Kinoreihe vorgearbeitet. Dieses Remake realisierte er erfreulich routiniert und sicher. Die "Invasion" enthält einige heftige und auch Schockmomente. Doch das Gleichgewicht zwischen den Horror-Genreelementen und dem guten Spiel erweist sich als ausbalanciert, macht den bekannten Film-Stoff noch einmal interessant. Nicole Kidman beeindruckt als ruhelose Löwenmutter, ohne zur Kampfmaschine a la Jovovich zu mutieren. Besonders schön gespielt ist, wie befremdend Gefühlskälte sein kann. Ohne das Ende vorwegzunehmen ist doch bemerkenswert, wie diesmal der finale Widerhaken ausgearbeitet wurde: Nicht als Möglichkeit einer Wiederkehr der Körperfresser, sondern als Gedanke, ob die gefühllose nicht doch die bessere Welt gewesen wäre. In dieser fand zumindest der Irak-Krieg ein Ende.

14.10.07

Gefahr und Begierde


USA, China, Taiwan 2007 (Se, jie / Lust, Caution) Regie: Ang Lee mit Tony Leung Chiu-wai, Wei Tang, Joan Chen 159 Min. FSK: ab 16
 
Mit "Gefahr und Begierde" gewann der Taiwanese Ang Lee zum zweiten Male nach 2005 ("Brokeback Mountain") den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig. Mit seinem neuesten Film kehrte der ebenso meisterliche wie vielseitige Regisseur mit  in heimatliche Gefilde zurück: Die tragische Geschichte einer chinesischen Widerstandskämpferin unter japanischer Okkupation bietet edles Historienkino mit gefährlichen Leidenschaften.
 
Vorsicht: Lust! könnte auch der Titel des Films lauten, der auf einer Kurzgeschichte der populären chinesischen Autorin Eileen Chang basiert. Er erzählt von der Lust und der Vorsicht. Schwer zu balancieren für die junge Agentin Wong Chai Chi. 1942 während der japanischen Besetzung großer Teile Chinas, erleben wir in Shanghai den inneren Kreis aus Ehefrauen der Majonetten-Regierung. Beim Mahjong-Spiel belauern sie sich hinterhältig, doch was wirklich hinter den Fassenden der fein geschminkten Gesichter vor sich geht, enthüllt erst eine Rückblende: Bereits vier Jahre vorher suchte Frau Mak den Kontakt der mächtigen Frau Yee. Frau Mak ist in Wahrheit die Studentin Wong Chai Chi, die mit Kollegen einer Laien-Theater- und Laien-Widerstandstruppe den Verräter Yee umbringen will. Dabei schwärmte das Mädchen eigentlich nur für den jungen Anführer der Truppe. Die Studenten geben sich als Geschäftleute aus, ruinieren sich mit zu teurem Lebensstil, aber haben Erfolg: Wong Chai Chi wird Freundin der Frau Yee und fast die Geliebte des Kollaborateurs. Doch dann fliehen die Yees nach Shanghai und erst Jahre später wird Chai Chi erneut vom Widerstand kontaktiert. Jetzt geht der extrem vorsichtige, auch mit Folter beauftragte Sicherheitschef Yee auf das Verhältnis ein, doch die Verführerin Chai Chi verfällt ihm sexuell.
 
Faszinierend rekonstruierte und gemalte Sets lassen Shanghai und vor allem ein irritierend flach bebautes Hongkong der Vierziger Jahre aufleben. (Auch der Preis für die Beste Kamera ging an dieses Drama und seinen Kameramann Rodrigo Prieto.) Die Geschichte von der Gefahr, seinen Unterdrücker zu lieben, ist nicht wirklich neu und wie schon bei "Brokeback Mountain" wurde die intensive Kurzgeschichte mit erotischer Triebkraft - hier von der populären chinesischen Autorin Eileen Chang - episch ausgeweitet. Ko-Autor Lees war erneut sein langjähriger Produzent James Schamus. Erst auf dem Höhepunkt des Gefühlkonflikts Wong Chai Chis, die den jungen Widerständler liebt, aber den Feind ins Bett gehen muss (und dieser Lust verfällt), packt die Geschichte wirklich. Eindringlich sind dabei vor allem die sehr offenen Liebesszenen voller Gewalt und Intensität, von denen Ang Lee ("Sinn und Sinnlichkeit", "Eissturm") erzählt, sie hätten - mit ganz intimem Team hinter der Kamera - nur einen halben Tag arbeiten können, danach wären alle völlig ausgelaugt gewesen.

10.10.07

Pornorama oder Die Bekenntnisse der mannstollen Näherin Rita Brauchts


BRD 2007 Regie: Marc Rothemund mit Benno Fürmann, Tom Schilling, Karoline Herfurth 94 Min. FSK: ab 12

Diese Schmuddelfilm-Klamotte, die ebenso verklemmt und kleingeistig ist, wie die Vorbilder aus den 60ern, firmiert meist unter "Der neue Film von Marc Rothemund", des völlig überschätzten "Sophie Scholl"-Regisseurs. Nach dem schwer erträglichen "Genuss" dieser vorgeblichen "Romantischen Komödie" (nix romantisch, überhaupt nicht komisch), kann gewiss sein, dass danach kein Film mehr "der neue von Marc Rothemund" heißen wird...

Der junge Polizisten-Anwärter Bennie möchte lieber auf der anderen Seite bei den 68er-Demonstranten stehen. Einer hübschen Aktivistin gegenüber gibt es sich als Filmhochschüler aus und da passt es, dass der klamme Bruder einen der gerade erfolgreichen Sex-Filmchen drehen will. Doch vor allem der italienische Busenstar erweist sich als Problem. Enorme Peinlichkeit für alle Beteiligten!

Operation: Kingdom


USA 2007 (The Kingdom) Regie: Peter Berg mit Jamie Foxx, Jennifer Garner, Jason Bateman, Chris Cooper 110 Min.
 
Ein Film traut sich dort hinzugehen, wo die amerikanische Politik zu viele reiche Freunde sah: Unter anderem Michael Moore hat in "Fahrenheit 9/11" dargelegt, dass viele Verbindungen der Attentäter von "9/11" nach Saudi-Arabien weisen. Nicht nach Afghanistan, nicht in den Irak oder in den Iran!
 
Nun brechen vier FBI-Spezialisten nach einem schrecklichen Attentat nach Saudi Arabien auf, um im Trümmerfeld einer Basis der US-Armee, die seltsamerweise hauptsächlich von lieben, unschuldigen Kindern bevölkert wird, nach Spuren zu suchen. Ein Politikum und eine Provokation für die stolzen Saudis, die zur Begrüßung eifrig an Auto- und Splitterbomben basteln. Gegen alle Widerstände boxen und schießen sich die vier Amerikaner mit einem arabischen Freund den Weg frei.
 
Was klingt wie Karl May ist vor allem durch avancierte Gestaltung mehr als das übliche Rache- und Rettungs-Klischee, bei dem Rambo nicht mal den Tiefpunkt setzte. Zwar fährt "Operation: Kingdom" auf fiese Art die Familienschiene, ist nationalistisch und überheblich. Doch es gibt auch ein Mehr an Personenzeichnung auf beiden Seiten. Packende Figuren, exzellent gespielt von Jamie Foxx, Jennifer Garner und Co auf der amerikanischen Seite. Etwas weniger nuanciert bei den Saudis.
 
Der vor allem ästhetisch bemerkenswerte Film erzählt im raffiniert animierten Vorspann schon mehr, als die meisten Focus- oder sonst wie Hintergrund-Artikel: Genug Informationen, ästhetisch avanciert präsentiert, um darüber gleich mehrere Studienarbeiten von Politik zu Filmanalyse zu füllen. Da wandelt sich eine Säulendarstellung des nationalen Ölverbrauchs der USA in einen Zwillings-Turm, in den dann ein Passagierflugzeug stürzt! Meinungen, Gehirnströme und Widerstand provozierend. Nicht die schlechteste Wirkung eines Films. Wobei das bitter-böse Ende nachhaltig haften bleibt ...

Die Vorahnung


USA 2007 (Premonition) Regie: Mennan Yapo mit Sandra Bullock, Julian McMahon, Nia Long, Amber Valletta 97 Min.
 
Wie übersetzt man eigentlich "Self-fulfilling prophecy"? "Selbsterfüllende Prophezeiung" klingt holperig, aber es geht bei beiden Begriffen um eine Vorausdeutung, die sich nur realisiert, weil sie überhaupt ausgesprochen wurde. Beispiele reichen von Ödipus mit dem orakelten Vatermord bis "Star Wars" mit Anakins verzweifeltem Streben, seine geliebte Padme zu retten, und "Matrix" mit dem Oracle-Spruch für Neo. Alles Vorhersagen, die sich nur erfüllen, weil man sie gemacht hat, oder weil man versucht, sie zu verhindern.
 
Es dauert eine Weile, bis Linda Hanson (Sandra Bullock) versteht, dass sie Visionen der Zukunft hat: Mal wacht sie neben ihrem Mann auf, dann ist er am nächsten Tag tödlich verunglückt, um am Morgen wieder unter der Dusche zu stehen. Eine klügere Frau hätte vielleicht viel früher angefangen, auf den Kalender zu schauen, doch irgendwann verstehen Zuschauer und Linda, dass hier die Chronologie durcheinander geraten ist. Nicht weil der Film des türkisch-deutschen Nachwuchs-Regisseurs Mennan Yapo ("Lautlos") interessanter wirken will, als er eigentlich ist. (Oder weil der Film vom Schneidetisch gefallen ist.) Linda weiß, was passieren wird und hat die Chance, innerhalb einer Woche die Zukunft zu verändern. Mit allen Gefahren der "Self-fulfilling prophecy"! Anständig, aber nicht durchgehend überzeugend, setzte Yapo (eigentlich: Yapıcıo
ğlu) die einfache Filmidee um. Spiel und Kamera überzeugen, dem Buch hätten mehr Logik und Nachdenken gut getan.

Klopka - Die Falle


Serbien, BRD, Ungarn 2006 (Klopka) Regie: Srdan Golubovic mit Nebojsa Glogovac, Natasa Ninkovic, Miki Manojlovic 102 Min. FSK: ab 12
 
Wie weit geht ein Vater, um seinen todkranken Sohn zu retten, dessen notwendige Herzoperation nicht von der Krankenversicherung getragen wird? Diese Frage beantwortete Barbet Schroeder in "Desperate Measures" mit einem exzellenten Thriller und Michael Keaton. Auch Denzel Washington nahm als "John Q" von Nick Cassavetes ein ganzes Krankenhaus als Geisel, um seinem Sohn ein neues Herz zu erkämpfen. Und nun Nebojsa Glogovac. Wer? Richtig, ein weitgehend unbekannter serbischer Schauspieler gibt den Bauingenieur Mladen, der von einem Unbekannten (Miki Manojlovic aus "Irina Palm") ein teuflisches Angebot erhält: Das Leben eines Mannes, ohne den die Welt ein Stückchen besser wäre, gegen das Leben seines sterbenden, achtjährigen Sohnes.
Ohne Starpower und mit einem realistischeren Maß an Gewalt, erschreckt "Klopka" mit der Brutalität einer Zweiklassen-Gesellschaft und ihrer Menschen. Im deprimierenden Grau Belgrads zeigt sich, was die Gesellschaft aus einem guten Menschen machen kann. Durch die Erzählform des Geständnisses eines reuigen Mörders wird aus dem einfach und sicher inszenierten Film ein großes, erschütterndes Schulddrama.

8.10.07

Sicko


USA 2007 (Sicko) Regie: Michael Moore 120 Min.
 
Der Star in Sachen Film-Propaganda ist seit seiner Goldenen Palme für "Fahrenheit 911" eindeutig Michael Moore. Wer nun seine neueste Agit-Dok "Sicko" gesehen hat, fiebert schmerzlich jeder neuen Gesundheitsreform entgegen. Wenn Gesundheit ein Geschäft wird, wenn Ärzte bei Krankenversicherungen Prämien fürs "Sparen" bekommen, dann freuen sich die Wirtschafts-Liberalen. Die über Spitzfindigkeiten in Verträgen "Eingesparten" sterben zu Tausenden in den USA - jedes Jahr. Wer sich dort keine Krankenversicherung leisten kann - es sollen 50 Millionen sein - ist arm dran. Doch wer auf die kommerziellen Versicherer vertraut, dem geht es erst richtig schlecht. Michael Moore zeigt mit bitterem Spott, wie 70-Jährige für ihre Medikamente arbeiten müssen. Wie ein Ehepaar bei der Tochter einziehen muss, weil Krebs und Herzanfälle die Ersparnisse aufzehrten. Und wie immer wieder die Interviewten sterben, weil absurde Gründe die rettende Behandlung ablehnen. Dabei verdienen diese Konzerne ähnlich gut wie die Pharmaindustrie. Nur das Gesundheitssystem ist pleite.
 
Moore ist längst nicht mehr so spritzig und unterhaltsam wie bei "Bowling for Columbine" oder bei "Fahrenheit 911", mit dem er Bush und die Filmästheten auf die Palme trieb. Der regellose Dokumentarist argumentiert haarsträubend und so simpel, dass es jeder der adressierten US-Amerikaner verstehen kann. Aber man fragt sich, weshalb erst so jemand herkommen muss, um diesen Wahnsinn anzuklagen. (Der Spielfilm "John Q" von Nick Cassavetes und mit Denzel Washington war wohl zu schlecht gemacht, um Wirkung zu haben.) Tatsächlich sollte man jede Gesellschaft danach beurteilen, wie sie mit den schwächsten umgeht. Man wundert sich, dass nur die amerikanische Zollbehörde - wegen eines nicht angemeldeten und dramaturgisch aberwitzig genialen Kuba-Trips - heftige Geschütze gegen den Filmemacher auffährt.

Heimatklänge - vom Juchzen und andern Gesängen


CH/BRD 2007
Regie: Stefan Schwietert
mit: Erika Stucky, Noldi Alder, Christian Zehnder
Kamera: Pio Corradi
Ton: Dieter Meyer
Montage: Stephan Krumbiegel, Calle Overweg
Mischung: Jörg Höhne
Ton Design: Oswald Schwander
Filmmusik: Knut Jensen
Länge: 81 Min.
Schweizerdeutsches Original mit UT
Verleih: Ventura
Kinostart: 11.10.2007

Wie exotisch schon die Weltmusik von Nebenan sein kann, zeigt Stefan Schwietert in seiner - nach "Accordion Tribe", "Acordeón del diablo" und "A Tickle in the Heart" - neuerlich mit ungewöhnlichem Sujet überraschenden und fesselnden Dokumentation über drei Avantgarde-Jodler.

"Dö Dudel Dö ist zweites Futur bei Sonnenaufgang," so hieß es in Loriots "Jodelschule". Und man muss vielleicht so weit in die Verballhornung des Jodelns absinken, um klarzumachen, welch ungewöhnliche Einblicke Stefan Schwietert vermittelt: Die "Heimatklänge" schaffen es schon mit den ersten Bildern der Musiktradition des Jodelns eine Anmut zu geben, die nur noch staunen lässt. Dabei bewegt der Film sich allerdings noch auf bekanntem Terrain, zeigt Alpengipfel im Panorama-Schwenk. Dann beginnt mit ungewöhnlichen Tönen eine musikalische Entdeckungsreise vom Urgrund dieser Tradition bis zu experimentellen Höhen. Da wird überm Gletscher mit der Stimme jazzig improvisiert. Ein Tango tanzt erstaunlich harmonisch mit den Guturallauten. Das wilde Ausprobieren der Stimme erinnert an den Experimentalmusiker Fred Frith ("Step Across the Border"). Plötzlich erklingt Jodeln als äußert spannende, auf andere Art mitreißende Musik.

Als Protagonisten treiben drei bemerkenswerte Künstler diese Entwicklung voran: Erika Stucky, Noldi Alder, Christian Zehnder.

Der Basler Christian Zehnder, ein bekehrter Saulus, fand Jodeln "scheiße". Doch nach heftiger Abwehr brachte ihn die Suche nach eigener Identität in der Weltmusik zurück zu den musikalischen Urgründen. Mit dem Akkordeon und modifizierten Alphörnerm testet er aus, "wie die Schweiz tönt", ahmt einen Zug nach, wechselt immer wieder in den Oberton-Gesang. Zu den Aufnahmen seiner Konzerte, laufen seltsam unpassende, grobkörnige Bilder der Schweiz, die sich gegen übliche Postkarten-Klischees stellen.

Noldi Alder stammt aus der bekannten Appenzeller Volksmusikerdynastie Alder, reiste bereits als Junge reiste er mit seinem Vater und seinen Brüdern durch die Welt, um zum traditionellen Tanz aufzuspielen. Nach einem Studium der klassischen Musik führt er das Bekannte in ungehörte Bereiche. Das berührende Treffen mit seinem Vater, der die Fort-Entwicklung der nächsten Generation sichtlich stolz betrachtet, bringt alt und neu nicht nur musikalisch zusammen. Die Bilder traditioneller Chöre treffen im Ton auf moderne Klänge. Das Appenzell vermittelt Eindrücke von der alten Funktion dieses Gesangs bei der Verständigung in unwegsamer Berglandschaft. Das mag auf den ersten Blick nicht so cool wie beim Flamenco sein, doch mit der Ruhe dieses Films entdeckt man ähnliche Intensitäten.

In einer Person vereinigt die wilde, ungezähmte Künstlerin Erika Stucky neue und alte Welt. Ihre freie Kindheit verbrachte Stucky in Kalifornen, bevor es ins nicht nur von Bergen eingeengte Wallis ging. Der Berufswunsch Hula-Hula-Tänzerin stieß hier auf Unverständnis, doch in immer wieder überraschenden Gesangs-Variationen zeigt sich, dass dieser kreative Geist nicht zu bremsen war. Eine Walliser Lori Anderson sprengt jede Festlegung.

Wie überzeugend diese Doku ankommt, zeigen die erstrangigen Auszeichnungen des C.I.C.A.E. Preises im "Forum" der Berlinale 2007 und des Publikumspreises beim renommierten Schweizer Dok-Festival in Nyon 2007. Stefan Schwieterts "Heimatklänge" fügen sich nahtlos in die Schweizer Tradition, besonders kreative Musiker ins rechte Filmlicht zu setzen. Wenn Christian Zehnder zum Treffen mit mongolischen Musikern reist, lernt man die Weltmusik von nebenan aus einer fernen Perspektive endgültig schätzen. Dieser musikalische Ausflug erweitert Horizont und Klangspektrum. Sehr passend zur Befreiung vom Schubkasten-Denken der Genres lautet der Schlußspruch: "Wir können frei sein .... Wenn wir wüssten, wie frei wir sein können, würden wir einfach platzen!"

Gegenüber


BRD 2007 Regie: Jan Bonny mit: Matthias Brandt, Wotan Wilke Möhring, Victoria Trauttmansdorff 96 Min.

"Gegenüber", der vermeintlich "kleine Film" von Nachwuchsregisseur Jan Bonny überrascht mit einem großen, gewaltig erschütternden Drama.

Die Beziehung von Georg Hoffmann (Matthias Brandt) und Anne (Victoria Trauttmansdorff) wirkt nach mehr als zwanzig Jahren Ehe leicht angespannt. Die Lehrerin ist emotional gebrechlich, der ruhige und beliebte Polizist behandelt sie übermäßig vorsichtig. Georg ist Favorit für eine anstehende Beförderung zum Kommissar, aber so bescheiden, dass er selbst den eindeutig unfähigen, jüngeren Kollegen Michael (Wotan Wilke Möhring) vorschlägt. Zuhause erzählt der stille Mann nichts vom fast heldenhaften Einsatz, bei dem er Michaels Leben rettete. Zuhause schleicht Georg um Anne herum, immer krampfhaft bemüht, sie nicht aufzuregen, es ihr recht zu machen...

Solche Dramen kennt man, auch aus dem Kino reichlich. Doch dann bricht ein äußerst heftiges Psycho-Drama auf, das niemanden im Saal unberührt lässt. Hier sollte man eine Warnung vor dem Weiterlesen einbauen: Der Schock über alles, was sich hinter der Fassade einer nicht glücklichen, aber normalen Ehe abspielt, ist eindringlicher, wenn man vorher nichts ahnt. Es geht nicht nur um die eingeschlafene Sexualität. Oder die Leere, nachdem die Kinder aus dem Haus sind. Nein, ganz gegen die Erwartungen schlägt Anne ihren Mann regelmäßig mit unfassbarer Brutalität blutig und blau. Ihre psychotische Verachtung paart sich gewaltsam mit seiner unendlichen Erniedrigung. Und das ist kein sexuelles (Vor-)Spiel, das ist einfach nur nackte, verzweifelte Gewalt, erschütternd, schwer fassbar. Mit diesem Schock geht der Film in weitere Runden seiner Handlung, erklärt und entwickelt das Drama äußerst stimmig. Jetzt fügen sich die beklemmenden Familientreffs bei Annes völlig unsensiblem und rücksichtslosem Vater in eine psychologische Zwangsfolge von verletzenden Aktionen. Jetzt versteht man die erstickend verhaltene Stimmung, die Probleme der beiden Kinder, die immer alles gewusst haben und nie drüber reden konnten. Wobei all diese Szenen keineswegs die Distanz einer solchen Analyse haben, sondern voller Leben stecken. Leben in seiner grausameren Form! Exzellent auf sehr starke, entscheidende Szenen konzentriert.

"Gegenüber" ist der erste Kinospielfilm vom 1979 in Düsseldorf geborenen Jan Bonny, der an der Kölner Kunsthochschule für Medien studierte. Bis zum offenen Ende folgen Schlag auf Schlag gelungene Szenen, die verzweifelte Verstrickung in ungesunde Abhängigkeiten kann vielleicht zerrissen werden, der erschreckte Blick hinter die Fassade einer ganz normalen Ehe wirkt jedenfalls nach. Ein Muss für alle, die Gefühlskino nicht als Flucht vor hässlichen, aber echten Gefühlen sehen.

2.10.07

Geliebte Jane


USA, GB 2007 (Becoming Jane) Regie: Julian Jarrold mit Anne Hathaway, James McAvoy, Julie Walters 121 Min. FSK: o.A.
 
Die auch als Kinovorlage für Filme wie "Sinn und Sinnlichkeit" und "Stolz und Vorurteil" äußerst beliebte Autorin Jane Austen (1775 - 1817) ist diesmal Heldin einer Biografie, die sich die Freiheit nimmt, Werk und Leben deutlich erkennbar miteinander zu verschmelzen. Abgesehen von dieser reizvolle Grundidee verläuft der Rest des Films ist wie erwartet: Nett kostümiert, gespielt und musikalisch begleitet. Anne Hathaway verkörpert die empfindsame Autorin, die als Tochter eines armen Landpfarrers zu einer einträchtigen Hochzeit gedrängt wird. Dabei ersehnt sie sich wie all ihre Figuren eine Gefühlsverbindung. Doch im Gegensatz zu ihren Romanheldinnen ist Jane Austen kein Happy End vergönnt.

1.10.07

Ratatouille


USA 2007 (Ratatouille) Regie: Brad Bird 111 Min. FSK: o.A.
 
Diese Ratte ist sensationell: Remy kann lesen und versteht selbst die Krone der menschlichen Entwicklung: TV-Koch-Shows! Im Gegensatz zu seinen Artgenossen begnügt sich Remy nicht mit den gefundenen Fressens-Resten, die einem das Leben so vorwirft. Sein guter Riecher führt ihn zu besonderen Genüssen, auch wenn er dafür den Gefahren der Küche einer schießwütigen alten Dame trotzen muss. Sehr zum Missfallen des Vaters! Tatsächlich fliegt bald das ganze Ratten-Rudel auf, wobei das Schicksal Remy ausgerechnet nach Paris spült, genau vor das Restaurant seines verstorbenen Koch-Idols Gusteau. Der verstorbene Meisterkoch erscheint ihm als Geist und motiviert den kleinen Nager, ganz Großes zu leisten.
 
Remy rettet zuerst eine verschüttete Suppe, die der ungeschickte Küchenjunge Linguini recht geschmacklos nachgefüllt hat. Als die von feiner Rattenhand veredelte Vorspeise zum Erfolg wird, verständigt sich die Ratte mit dem untalentierten Kerl, um vereint die verlorenen Michelin-Sterne wieder vom Gourmet-Himmel zu holen.
 
Wir sind zwar im Trickfilm, doch Ratten sprechen auch hier nur den Kommentar. Die Verständigung mit Linguini gestaltet sich also schwierig. Aber es gibt eine Lösung: Wie eine Marionette dirigiert Remy verborgen unter der hohen, leicht durchsichtigen Kochmütze seinen menschlichen Gehilfen durch Ziehen an den Haaren. Das gibt ein witziges Tänzchen aus Schlägen und Bissen, bis sie ihre Zusammenarbeit konditioniert haben. Sehr spaßig dabei Linguinis Übungen mit verschlossenen Augen, eine grandiose Nummer, die mit dem blinden Schneiden des Gemüses veredelt wird. Und es erweist sich als besonders guter Einfall der Filmemacher, dass der lange Lulatsch sich immer besonders tief herunter beugen muss, damit Remy gut an den Gewürzen und Gerichten riechen kann. Denn keiner darf erfahren, wer dem plötzlich zum Koch beförderten Küchenjungen den guten Geschmack souffliert und dass überhaupt eine Ratte in der Küche ist.
 
Rattenscharf ist dieser Film gerade nicht, eher erwachsen für einen Zeichentrick. Klar ist Remy ein sympathischer Charakter, dessen Streben noch Veredlung man mitfühlend verfolgt. Sein aufrechter Gang ist nicht nur menschelnd, er hält so auch die Vorderpfoten zum Essen sauber. Neben viel Bewegung im Hintergrund bei rasanten "Kamerafahrten" sehen wir in dem achten digitalen Zeichentrick der Erfolgsschmiede Pixar auch erneut den Übergang zu den Menschen als Haupt-Figuren wie es Regisseur Brad Bird schon im Superhelden-Abenteuer "The Incredibles - Die Unglaublichen" praktizierte: Eine resolute Lara Croft der Küche vermittelt Linguini die Regeln guten Kochens und Küssens. Dem sehr kleinen und sehr garstigen Küchenchef ist die Heimtücke ins Gesicht gezeichnet, da braucht es gar nicht das Wissen um Gusteaus veruntreutes Erbe. Einen würdigen Nachfolger für die klassischen Disney-Bösewichte stellt der Restaurant-Kritiker Anton Ego mit seiner tödlichen Schreibmaschine dar. Nachdem ein einfaches Ratatouille den verbitterten Gourmet wunderbarst in die glückliche Kindheit zurückversetzte, wird auch er ganz milde. Wenn es in diesen Wochen also sanftere Filmkritiken gibt, mag das auch an ein paar klugen Gedanken zur Kritik am Ende des Films liegen.

Superbad


USA 2007 (Superbad) Regie: Greg Mottola mit Michael Cera, Jonah Hill, Seth Rogen 113 Min. FSK: ab 16
 
Danke für die Vorlage, liebe Produzenten! Euer Film "Superbad" ist tatsächlich super schlecht! Dazu auch super dämlich, super pubertär und super super nervig! Aber er basiert ja auch auf dem Drehbuch zweier 13-Jähriger, da darf man nicht so viel erwarten. Nur etwa 116 Mio. Dollar, die der Film bislang in den USA eingespielt hat! Was erzählt uns das über die Reife der Unterhaltungsindustrie und ihrer Kunden?
 
Der dicke Seth und sein Freund Evan stehen kurz vor dem Abschluss der Highschool und wollen endlich auch mal eine Frau abbekommen. Um auf einer angesagten Fete zu landen, müssen sie eine Menge Alkohol besorgen, was für Jugendliche in den puritanischen USA immer ein besonderer Spaß ist.
 
"Superbad" will erzählen, dass sich Jugend nur um Sex und Saufen dreht. Ok, eine Freundschaft gibt es auch, mit einem Typen, der auf dem Gebiet von Sex und Saufen ein ebensolcher Versager ist. Die x-te Teenie-Zote aus Amiland geht nicht mal mehr als verklemmt anzüglich durch, sie ist einfach platt, eigentlich: äußerst platt anzüglich und überhaupt nicht komisch.

Planet Terror


USA 2007 (Grindhouse: Planet Terror) Regie: Robert Rodriguez mit Naveen Andrews, Freddy Rodriguez, Rose McGowan, Marley Shelton 90 Min.
 
Mit einer äußerst blutigen Bruchlandung auf dem Planet Horror "bereichert" der Nachmacher Robert Rodriguez das Kino mit noch mehr Zombies, Leichen und Zerstückelungen. 14 Jahre nach der Low Budget-Überraschung "El Mariachi" muss man feststellen, dass hier jemand durchaus gut inszenieren kann, aber keine Inspiration zeigt, aus dem Kreislauf der Genre-Remakes auszusteigen.
 
Nachdem irgendein bio-chemisches Experiment finsterer Genossen schief geht, verseucht grüner Nebel die ganze Gegend und verwandelt alle in fleischfressende Zombies. Im Krankenhaus werden reihenweise schrecklich verstümmelte Leichen eingeliefert, die es allerdings kurz darauf wieder auf den eigenen Beinen verlassen - sofern die noch am Körper sind. Man mordet und fleddert ohne Rücksicht. Klar, wenn selbst der persönliche Umgang etwa eines Ärzte-Paares nicht besonders freundlich ist.
 
"Planet Terror" war Teil des recht erfolglosen "Grindhouse"-Projektes: Rodriguez und Quentin Tarantino imitierten das Schundprogramm eines Billigkinos. Eine Doppelvorstellung mit herunter genudelten Streifen ("Death Proof" / "Planet Terror"), Filmrissen, Trailer für noch schrottigere Filme und sogar mit einem komplett fehlenden Akt. Außerhalb der USA versucht man nun "Grindhouse" als zwei eigenständige Teile zu verkaufen und wertet damit die unappetitlichen, mit zuviel Geld gedrehten Billigfilme unnötig auf. Bemerkenswert an diesem Werk von Robert Rodriguez ist höchstens eine hier sehr zynische und makabre Detailfreudigkeit, mit Ideen, die man am neutralsten mit Kopfschütteln abhandelt. Eine Maschinengewehrprothese für ein abgerissenes Bein mag hier als Beispiel genügen. Bruce Willis hat einen Kurzauftritt, bevor er zu den Zombies wechselt. Und auch als Zuschauer möchte man möglichst schnell von dieser Bildfläche verschwinden.