31.8.07

Bomben-Einschlag in Venedig


Apropos Bombe: An die absurden Sicherheitskontrollen vor dem Kino hat man sich schon gewöhnt. Dass ein vergessenes Berlusconi-Gesetz die Internet-Nutzung mit diktatorischer Kontrolle belegt, regt auch niemanden auf. Doch die gewaltige, mehrere Meter hohe Abrisskugel in der zertrümmerten Fassade des Festivalpalastes beeindruckt jeden. Deutlicher kann ein Festival einen Neubau nicht einfordern, und die Entwürfe wurden gestern auch vorgestellt. Bleibt nur die Frage, ob es sich noch lohnt, in ein paar Jahren mit dem Bau zu beginnen. Die Klimakatastrophe kommt bestimmt und bei den Sturzregen der letzten Tage sah man schon das halbe Festival wegschwimmen - im Casino war es genauso nass wie draußen.

Moral und Kaffee-Tabs in Venedig

Clooney in “Michael Clayton”, De Palma im Irak

Ist es glaubwürdig, wenn man einen aufrechten Anwalt spielt und gleichzeitig Kaffee verkauft? Bei George Clooney schon: Sein Lächeln vereinnahmt Anspruch und Glamourmagazin gleichermaßen, auf sein Gesicht lassen sich Anti-Kriegs- und Anti-Bush-Kämpfer ebenso projizieren wie Charmeur und Frauenheld. Neben "Michael Clayton", dem Einblick in die innere Verfassung us-amerikanischer (Rechts-) Moral, versucht der Spannungs-Spezialist Brian De Palma mit ungewöhnlichen Mitteln die moralischen Massaker der amerikanischen Soldaten im Irak aufzuzeigen. Mit enormer Wirkung - zumindest in den letzten Minuten.
 
Am Ende der Woche war die Pressevorstellung erstmals richtig voll: George Clooney spielt die Hauptrolle in "Michael Clayton" und angesichts einer schon in Cannes allgegenwärtigen Medienkampagne, wundert man sich, dass der US-Star nicht lächelnd durch die Reihen ging und den löslichen Kaffee ausschenkte, den es jetzt auch in Pads gibt. Lange wurde spekuliert, wie und mit wem er denn von seinem Sommersitz am Comer See nach Venedig kommt. Wen es interessiert: Durch die Luft mit dem Hubschrauber.
 
Doch es gibt keinen Grund zu lästern. Wieder einmal wählte Produzent, Autor und Regisseur Clooney ein äußerst anspruchsvolles, gutes und engagiertes Projekt für einen Schauspieleinsatz: Als Anwalt mit Polizeivergangenheit ist "Michael Clayton" der Mann für hoffnungslose Fälle, für Spezialeinsätze. Als die gut geölte Kanzlei seines Chefs (Produzent und Justiz-Spezialist Sydney Pollack) mit der Hundertschaft, die am Milliarden-Fall arbeitet, in Panik gerät, muss Michael aushelfen. Allerdings droht der manisch-depressive Kollege Arthur nicht nur auszurasten, er scheint auch zur Gegenseite zu wechseln. Detailliert und elegant führt der auf ungewöhnliche Weise spannende Film von Tony Gilroy die wirtschaftlichen und persönlichen Hintergründe eines Vorgangs auf, der so oder ähnlich täglich mehrfach auf den Wirtschaftsseiten übersehen wird: Ein Nahrungsmittelkonzern brachte seine krebserzeugenden Produkte wissentlich in die Haushalte. Während der Problemlöser Michael mit seinen eigenen Spielschulden, mit seiner Scheidung und dem drogensüchtigen Bruder nicht fertig wird, entgleitet ihm auch dieser Auftrag. Mit der Eleganz und Effizienz eines Killers tritt er an, doch müde Augen verraten die innere Leere.
 
Besonders eine Volte der Montage überrascht bei "Michael Clayton" aufs reizvollste und schlägt wie eine Bombe ein. So etwas erwartete man selbstverständlich von Brian De Palmas Irakkriegs-Film "Redacted" (Zensiert). Teils Mediensatire mit geschwärzten Zeilen und Opfer-Augen, teils erschütternde Anklage, folgt der einstige Hitchcock-Epigone einem Trupp amerikanischer Soldaten in der Stadt Samara. Unter ihnen der angehende Regisseur Sally, der mit dem Sold sein Filmstudium finanzieren will. Eine andere Perspektive der vorgeblichen Dokumentsammlung bringt ein französisches TV-Team ein, dazu gibt es Internet-Blogs und -Filme. Unbedarftheit und Menschverachtung gegen über den "Sand-Niggern", die von den jungen Soldaten respektlos kontrolliert werden, übertreffen sich in atemberaubender Weise. Lüsterne Leibesvisitationen an Schülerinnen sind an der Tagesordnung und im Suff beschließt man, ein Mädchen in deren Haus zu vergewaltigen. Nach dem Verbrechen, bei dem fast die ganze Familie ermordet wird, verbrennt man die Leiche des Opfers. Wegsehen ist die am wenigsten widerwärtige Wahl, die in der Truppe getroffen wird. "Just watch and do nothing" (Nur zusehen und nichts tun), dementsprechend auch ein Kernsatz, den der Film seinem Publikum schmerzlich ins Gewissen schreibt. Doch nicht die Montage verschiedener, scheindokumentarischer Perspektiven, erst die Folge von Originalfotos ermordeter und verstümmelter Iraker zu Puccinis Tosca-Hit "E lucevan le stelle" ließ einen Kinosaal erschüttert und schweigend zurück.

30.8.07

Venedig leistet "Abbitte"

Mit Kunst und Krieg zur Eröffnung

Venedig. Mit der gelungenen Literaturverfilmung "Abbitte" (Atonement) nach Ian McEwan geben die "64. Internationalen Filmfestspiele Venedigs" (29.8.-8.9.2007) gleich zur Eröffnung ein gewaltiges Thema vor: Die Grauen des Kriegs spielen eine zentrale Rolle. In der raffiniert konstruierten Liebesgeschichte und im ganzen Festival, wie der charismatische Direktor Marco Müller in einem seiner programmatischen Interviews erklärte. Zumindest bei der Wahl des Eröffnungsfilms kann man ihm bereits zustimmen.

Mit viel Glamour und cineastischem Gehalt startete Mittwochabend die "Mostra internazionale d'arte cinematografica", die mehr Hollywood als je zuvor und dadurch auch mehr Stars an den Lido bringt. Bislang tummeln sich die Darsteller von "Abbitte" Keira Knightley, James McAvoy, Vanessa Redgrave, die Regisseure Zhang Yimou, Catherine Breillat, Alejandro González Iñárritu, Paul Verhoeven und Kenneth Branagh sowie die Schauspieler Tony Leung, Joan Chen, Michael Caine, Jude Law und Rutger Hauer in Venedig.

"Abbitte", der erfolgreichste Roman des Britten Ian McEwan, wurde weltweit über drei Millionen Mal verkauft und in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Den Leser beschäftigt angesichts der Verfilmung die spannende Frage, wie Regisseur Joe Wrights mit dem Happy End umgeht. Denn im Roman spielt die Autorin Briony mit genau dieser Erwartung und lässt das Schicksal der Liebenden Cecilia (Kiera Knightly) und Robbie im Dunklen. Durch eine arrogante Dummheit von Briony, der eingebildeten, 13-jährigen Schwester von Cecilia, wird Robbie in die Grauen des 2. Weltkrieges geworfen. Die raffiniert selbstreflexive Geschichte erzählt die Ereignisse aus drei Perspektiven samt Überschneidungen. Auch der Film spielt mit seiner Konstruiertheit, nimmt Brionys Schreibmaschinen-Tippen in die Filmmusik auf, lässt es sie später selber als minimale Melodie am spielen und setzt dieses Motiv immer wieder ein. So wird der Sommertag des Jahres 1935, für den Robbie im blutigen Schlachten und Briony als Krankenschwester büßen werden, zum Anfang des ersten und letzten Romans eben dieser Briony.

Trotz der kunstfertigen Konstruktion blieb ist "Abbitte" eine bewegende Liebesgeschichte, auch wenn, wie es Claudia Voigt in einem Kommentar schreibt McEwan "mit der Sehnsucht seiner Leser nach einem romantischen Happyend spielt, wie nur ein großer Schriftsteller das kann, denn das ungetrübte Glück, von dem man träumt, wenn man von einem Happyend träumt, gibt es so eben nur in der Literatur (oder im Kino)." Nun, Regisseur Wright macht seine Sache richtig gut: Sein Film berührt und inspiriert im gleichen Maße. Kiera Knightly beeindruckte schon in Wrights Austen-Verfilmung "Sinn und Sinnlichkeit",  sie ist fast perfekt für Rolle der eleganten, lebensfrohen jungen Frau. Kiera hat höchstens etwas zu viel Eleganz und zuwenig Sinnlichkeit. James McAvoy, der Darsteller des Robbie, bringt ein gutes Gesicht mit, in dem Melancholie und Schmerz um den Mund spielen.

Die britische Produktion zeigt die Grauen des Krieges in Frankreich eher mild, fast poetisch. Eine enorm aufwändige Fahrt durch die auf Schiffe nach England wartenden Soldaten im Strandbad Dünkirchen betont die Absurdität des Geschehens. Ganz ernst wird es in Venedig erst in einigen Tagen, wenn Brian De Palma ("Mission: Impossible") in "Redacted" von der Vergewaltigung und Ermordung eines 14-jährigen Mädchens durch US-Soldaten im Irak berichtet. Auch Paul Haggis beschäftigt sich im Kriegsheimkehrer-Drama "In the Valley of Elah" mit dem Irak-Krieg. Er schickt ein Elternpaar, auf die Suche nach seinem Sohn, der dabei verschollen ist. Wem das alles zu grausam ist, geht in einen Italo-Western der Retrospektive oder einfach über die Straße vor dem Festivalpalast an den Strand.

Venedig - Lust auf Kino, Vorsicht im Kino


Venedig. "Kino, das die Augen reinigt! Die Schlacken der visuellen Überflutung wegspült und Film wieder ins Bewusstsein dringen lässt." So sehen die Wunschfilme von Venedigs Festivaldirektor Marco Müller aus, der angekündigt hat, dieses Festival bald zu verlassen. Lange Flüge über dünnes, kalt-blaues Eis, die Monotonie fast menschenleerer Schneelandschaften in dem Eskimo-Drama "Far North" erfüllen vielleicht diese Reinigungsfunktion. Aber egal ob in der Tundra, im japanisch besetzten Shanghai oder im gestylten Appartement des Erfolgsautors Andrew Wyke (Michael Caine): In den ersten zwei Mostra-Tagen ging es oft dramatisch um Männer und Frauen, wobei von einer Sorte immer einer zuviel da war.

Vor zwei Jahren bekam der aus Taiwan stammende Regisseur Ang Lee für seinen amerikanischen "Brokeback Mountain" den Goldenen Löwen. Jetzt verfilmte er wieder eine Kurzgeschichte mit erotischer Triebkraft. "Se, jie (Lust, Caution)" erzählt im Titel auf chinesisch und Englisch von der Lust und der Vorsicht. Schwer zu balancieren für die junge Agentin Wong Chai Chi. 1942 während der japanischen Besetzung großer Teile Chinas, erleben wir in Shanghai den inneren Kreis aus Ehefrauen der Majonetten-Regierung. Beim Mahjong-Spiel belauern sie sich hinterhältig, doch was wirklich hinter den Fassenden der fein geschminkten Gesichter vor sich geht, enthüllt erst eine Rückblende. Bereits vier Jahre vorher suchte Frau Mak den Kontakt der mächtigen Frau Yee. Frau Mak ist in Wahrheit die Studentin Wong Chai Chi, die mit Kollegen einer Laien-Theater- und Laien-Widerstandstruppe den Verräter Yee umbringen will. Dabei schwärmte das Mädchen eigentlich nur für den jungen Anführer der Truppe. Die Studenten geben sich als Geschäftleute aus, ruinieren sich mit zu teurem Lebensstil, aber haben Erfolg: Wong Chai Chi wird Freundin der Frau Yee und fast die Geliebte des Kollaborateurs. Doch dann fliehen die Yees nach Shanghai und erst Jahre später wird Chai Chi erneut vom Widerstand kontaktiert. Jetzt geht der extrem vorsichtige, auch mit Folter beauftragte Sicherheitschef Yee auf das Verhältnis ein, doch vor allem Chai Chi verfällt ihm sexuell.

Faszinierend rekonstruierte und gemalte Sets lassen das Shanghai und vor allem ein irritierend flach bebautes Hongkong der Vierziger Jahre aufleben. Die Geschichte von der Gefahr, seinen Unterdrücker zu lieben, ist nicht wirklich neu und wie schon bei "Brokeback Mountain" wurde die intensive Kurzgeschichte - hier von der populären chinesischen Autorin Eileen Chang - zu sehr ausgeweitet. Ko-Autor Lees war erneut sein langjähriger Produzent James Schamus. Erst auf dem Höhepunkt des Gefühlkonflikts Wong Chai Chis, die den jungen Widerständler liebt, aber den Feind ins Bett gehen muss (und dieser Lust verfällt), packt die Geschichte wirklich. Eindringlich sind dabei vor allem die sehr offenen Liebesszenen voller Gewalt und Intensität, von denen Ang Lee ("Sinn und Sinnlichkeit", "Eissturm") erzählt, sie hätten - mit ganz intimem Team hinter der Kamera - nur einen halben Tag arbeiten können, danach wären alle völlig ausgelaugt gewesen.

Eine britische Schauspiel-Show liefern Michael Caine und Jude Law, die bereits 2004 im Remake von "Alfie" zusammenspielten, in "Sleuth" vom Shakespeare-Mimen Kenneth Branagh: Der erfolgreiche Autor Andrew Wyke (Michael Caine) bekommt in seinem stylisch-futuristischen Anwesen Besuch vom Milo Tindle (Jude Law), arbeitsloser Schauspieler und Liebhaber seiner Frau. In einem Duell über drei Runden tasten sich die Konkurrenten ab, spielen mit einander und schließlich auch mit Pistolen. Reizvoll aber nicht unbedingt überzeugend - vielleicht weil die Frau, um die es geht, niemals im Film auftauchen wird?

Die irritierende Rückkehr des Liebhabers als ruppiger Polizist mit Schnurrbart und ebenso prolligem Akzent ist nicht das einzige Deja Vu dieses Films. Branaghs "Sleuth" ist ein Remake des gleichnamigen Films aus dem Jahre 1972. Damals brachte Altmeister Joseph L. Mankiewicz das Anthony Shaffers Stück von der Bühne auf die Leinwand. Den jungen Liebhaber spielte der damals der 39-jährige Caine! Jude Law wurde im Jahr des Originals geboren. Die Bühnen- und Leinwand-Legende Laurence Olivier gab einst den berühmten Autor. Eigentlich überraschend, dass sich Regisseur Kenneth Branagh, in seinen vielfältigen (Shakespeare-) Aktivitäten ein Nachfolger Oliviers, nicht selber als Wyke besetzt hat. Zumindest dabei hielt er sich zurück, stilistisch fällt er wieder mit einigen Manierismen auf.

Ganz ohne solche kommt Asif Kapadia in dem erfrischend klaren Eis-Drama "Far North" aus, das außer Konkurrenz in Venedig läuft: Zwei Eskimo-Frauen - unter anderem Michelle Yeoh, die in Ang Lees "Crouching Tiger, Hidden Dragon" spielte - meiden in der Einsamkeit des Nordens jeden menschlichen Kontakt, da die russische Soldateska, die hier alles terrorisiert, bereits ihre ganze Familie niedermetzelte. Als sie einen flüchtenden Soldaten aufnehmen, entwickelt sich ein Dreiecksdrama mit sehr überraschendem Ausgang. Die von einer starken Ursprünglichkeit lebende Cinematographie überzeugt und reinigt tatsächlich die Augen für mehr löwenstarke Filme.

27.8.07

Hallam Foe


Großbritannien 2007 (Hallam Foe) Regie: David Mackenzie mit Jamie Bell, Sophia Myles, Claire Forlani, Ciarán Hinds 96 Min.
 
Endlich gibt es noch mal was zu sehen im Kino. Und zu hören. Und zu erleben. Aber vor allem: Sehen. Denn unseren jungen schottischen Helden Hallam Foe (Jamie Bell aus "Billy Elliot") würde man als Spanner bezeichnen, wäre in diesem märchenhaften, verrückten, poetischen und verspielten Film von David Mackenzie ("Young Adam") nicht alles anders.
 
Hallam ist zwar ein provokanter Teenager, aber so recht will er auch nicht raus aus dem Nest von Vaters altem Schloss. Der Junge führt einen originellen Kleinkrieg gegen die sexy Stiefmutter, die vermeintliche Mörderin seiner vor zwei Jahren ertrunkenen Mutter. Ansonsten hockt er in seinem Baumhaus und beobachtet mit dem Fernglas Menschen, bevorzugt Paare. Bis Schwiegermama Verity in den Gegenangriff geht, Hallam verführt und ihn bloßstellt. Beleidigt verzieht sich der verwöhnte Knabe in die Großstadt Glasgow und macht das Gleiche wie vorher: In einem Uhrenturm ein Nest suchen, über die Dächer klettern und Menschen beobachten. Vor allem die ebenso unabhängige wie einsame Hotelmanagerin Kate (Sophia Myles) fesselt ihn, sieht sie doch seiner Mutter zum Verwechseln ähnlich. Hallam muss sich nun ins Leben stürzen und eine Stelle im Hotel annehmen.
 
Hier ist die Geschichte längs heftig ödipal, der nett skurrile Hallam entwickelt sich zu einem gefährlichen Monster und man ist weiterhin ständig überrascht, wohin sich die Handlung nun wendet! Auch wenn sich Hallams erste Schritte ins eigene Leben ziemlich dramatisch entwickelt, behält der Film doch seinen leichten, verspielten Ton. So ein origineller Typ wie dieser Dieb der Blicke über den Dächern von Edinburgh wird sorgsam mit sehr reizvollen Bildern ausgestattet. Die Musik schwingt zwischen Morrisey und Franz Ferdinand, was dem bei der Berlinale umjubelten Wohlfühl-Werk den Silbernen Bären für die beste Filmmusik einbrachte.
 
"Hallam Foe" ist psychologisch ebenso wie kriminalistisch spannend. Denn angesichts eines Unglücksbootes mit zerschlagenem Rumpf und eines jahrelangen Verhältnisses des Vaters mit Verity ist ein Mord nicht undenkbar. Kates Ähnlichkeit zu Hallams Mutter führt zu einem wunderbaren ödipalen Vertigo und zu einer atemberaubend hemmungslosen Beziehung zwischen Glück und Wahnsinn. Dass die anfängliche Trennung von Zuhause mit dem Zerstören der Sim-Card besiegelt wird, ist nur eine von zahllosen Kleinigkeiten, die Mackenzies Geschichte so spaßig und besonders unterhaltsam machen. David Bell, der Star von "Billy Elliot" überzeugt ungemein in einer fast erwachsenen Rolle. Ein rundum überzeugendes Filmvergnügen!

Lizenz zum Heiraten


USA 2007 (License to Wed) Regie: Ken Kwapis mit Robin Williams, Mandy Moore, John Krasinski 91 Min. FSK: ab 6
 
Nachdem sich harmlose Kerlchen in Hollywoodkomödien vermehrt mit gemeingefährlichen Schwiegervätern oder Analytikern auseinander setzen mussten, wird jetzt ein Pastor zum Psychopathen, der alles tut, um ein heiratswilliges Liebespaar auseinander zu reißen.
 
Obwohl Ben nicht übermäßig selbstsicher ist, liebt Sadie ihn und nimmt seinen Heiratsantrag freudestrahlend an. Die Zeremonie soll den Segen von Lieblingspastor Frank (Robin Williams) erhalten. Dessen Fürbitten könnten auch aus einer Comedian-Nummer stammen, sein unkonventioneller Religionsunterricht wirkt glatt sympathisch. Doch dann werden Ben und Sadie von ihm zum Hochzeits-Vorbereitungskurs mit rigiden Moralvorschriften zwangsverpflichtet. Kein Sex bis zur Hochzeit, das Zuspätkommen beim Gottesdienst wird mit einem Choral mittlerer Lautstärke bestraft.
 
Das Sexualleben soll nun mit Pastor Frank im Schlafzimmer besprochen werden, wobei - nicht besonders komisch - plötzlich unbekannte Vorlieben hervorkommen. Es gibt Gesellschaftsspiele, die selbst engste Familienbande zerreißen würden. Vom Besuch bei der Gynäkologie nehmen Sadie und Ben zwei schreiende, sabbernde, furzenden Babypuppen mit blauer Ersatzflüssigkeit mit, um die Elternschaft zu simulieren. Hier landet die schräge Komödie fast auf dem Territorium des Horrorfilms. Und schließlich muss Sadie mit verbundenen Augen Auto fahren, während Ben ihr panisch Anweisungen gibt.
 
In der gemäßigten Komödie veralbern immer wieder nette Leute einander und eine intakte, wenn auch ziemlich leblose Beziehung wird mit absurden Situationen vor konstruierte Probleme gestellt. Die Verhaltensweisen der Versuchskaninchen des Pastors gehorchen eher einer gewissen Ratlosigkeit der Drehbuchautoren als echten menschlichen Reaktionen. Da ist der heftige Humor der "Schwiegervater"-Filme so weit weg wie der nächste freie Hochzeitstermin in der Lieblingskirche.

26.8.07

Die letzte Legion


USA, Großbritannien, Frankreich 2007 (The Last Legion) Regie: Doug Lefler mit Colin Firth, Sir Ben Kingsley, Aishwarya Rai 102 Min. FSK: ab 12
 
Ein gewagter Schwertstreich: Im untergehenden alten Rom wird die glänzende Waffe erstmals gezogen, um am Ende des eher blassen Historienfilms in einem englischen Felsen auf König Arthur zu warten. Versteinerte Fan-Gesichter lesen vielleicht noch den Schriftzug "Es Calibur" - oder suchten vorher schon das Schild "Exit" über dem Ausgang...
 
Jahrhunderte vor den Touristen mit den Sandalen eroberten Vandalen und Goten Rom. 460 nach der Zeitenwende siedelt dieser historisches Schwertfilm das Ende des weströmischen Reiches an: Kurz nach seiner Krönung muss Romulus Augustus, der 12-jährige letzte Kaiser (unverwechselbar: Thomas Sangster aus "Love Actually"), mit ansehen, wie Goten seine Eltern ermorden. Nur durch trickreiche Fürsprache des Hauslehrers und Magiers Ambrosius (Ben Kingsley) überlebt der Junge, wird aber nach Capri verbannt. (Nein, keine Getränkefabrik, eine sonnige Insel im Mittelmeer.)
 
Doch eine Handvoll Haudegen unter Führung von Romulus' Leibgardisten Aurelius (Colin Firth) und actionreich verziert mit einer byzantinischen Amazone (Aishwarya Rai) befreit den Thronfolger. Nebenbei findet Ambrosinus das Schwert Cäsars und dann fliehen sie alle ins nahe liegende Großbritannien, zur letzten loyalen Legion Roms. Auch hier gibt es viel Gelegenheit zum Hauen, Stechen und Abschlachten. Bis sich Ambrosinus als Merlin enttarnt und Cäsars Schwert nahe Camelot einbetoniert wird.
 
Bekannte britische Schauspieler wie Colin Firth zeigen, dass es einem Charakterdarsteller leicht fällt, solche einfachen Action-Rollen prägnant zu spielen. Man könnte auch sagen: Das Drehbuch gibt ihnen nicht viel zu tun. Allerdings müssen sie auch Peinlichkeiten durchstehen, wie die unausweichliche Durchhalterede vor der letzten Schlacht. Doch da spürt man schon Erleichterung, weil die behäbige Entwicklung, das einfaltslose Rennen und Hauen bald ein Ende finden muss. Während durch Romulus Augustus ein jugendlicher Protagonist Identifikationsfigur für ein jüngeres Publikum sein könnte, wirkt die blutige Handlung mit drastisch dargestellten Morden gerade für dieses nicht geeignet. Ansonsten bietet der Film nichts, was den Puls schneller schlagen ließe.

28 Weeks Later


Großbritannien, USA 2007 (28 Weeks Later) Regie: Juan Carlos Fresnadillo mit Jeremy Renner, Robert Carlyle, Rose Byrne 100 Min. FSK: k.J.
 
2003 war "28 Days Later" von Danny Boyle: Eine Wiedergeburt des Zombiefilms mit ganz eigener Ästhetik und britischen Background. 4 Jahre später übernahm der Mexikaner Juan Carlos Fresnadillo ("Intacto") das Konzept und steigerte in "28 Weeks Later" die Intensität. Die ebenso blutige wie spannende und familien-psychologisch gewitzte Endzeit-Action vergisst dabei nicht ihr politisches Deckmäntelchen.
 
Nur kurz eine anscheinend friedliche Exposition voll unterdrückter Angst. Dann beißt das Virus zu, reagiert schneller als je zuvor und ebenso heftig bricht das Gemetzel los. Bei der Flucht lässt Don Harris (Robert Carlyle) seine Frau im Stich.
 
Was sich bei Doyle als beeindruckende und beängstigende Stimmung aufbaute, huscht diesmal in ein paar Text-Einblendungen dahin: Nur ein paar Wochen dauert es, bis England beim Widerausbruch des Zombie-Viruses von der Außenwelt abgeschlossen und entvölkert ist. Die Menschen haben sich entweder selbst aufgefressen oder sind verhungert.
 
Jetzt soll unter allgegenwärtiger Präsenz der US-Armee der gemeine Brite in der Londoner Sicherheitszone "District One" wieder angesiedelt werden. Und erstmals sind auch Kinder bei den Neuankömmlingen. Don Harris, mittlerweile eine Art Hausmeister, sieht Sohn Andy (Mackintosh Muggleton) und Tochter Tammy (Imogen Poots) wieder. Beim unerlaubten Ausflug der beiden in die menschenleere Quarantäne-Zone beginnt die Spannung einem die Kehle zuzuschnüren. Mit der Schicksalshärte griechischer Mythen schreitet die Handlung fort. Die Kinder finden tatsächlich ihre todgeglaubte Mutter im alten Haus der Familie. Don bekommt mit einer lebendigen aber völlig verstörten personalisierten Anklage zu tun. Ein Todeskuss überträgt den Virus auf den Reumütigen. Den Virus, den sie trägt, aber der nicht bei ihr ausbricht.
 
Mit diesem Drama aus Liebe, Schuld und unabsichtlicher Rache bricht der Film in extreme Brutalität auf. Der Virus ist wieder da - und er hat einen Generalschlüssel für "District One"! Auf der Gegenseite versucht eine junge Militär-Medizinerin die Kinder zu retten. In gnadenlosen Szenen pfercht das Militär die Zivilisten zusammen und lässt das Virus die Schutzbefohlenen zerfleischen. Den Rest erledigen Scharfschützen und hier sind die mordenden Soldaten grausamer als die blutsabbernden Menschfresser. Keiner von beiden wird stoppen, bis alle tot sind. Ein einzelner Soldat mit Gewissen schlägt sich auf die Seite der überlebenden Zivilisten und es formt sich ein Trüppchen, das zwischen Zombies und zynischen US-Militärs überleben will...
 
Selten zeigte das Problem unzuverlässiger Väter ein hässlicheres Gesicht als Dons Blutlust. Auf der Gegenseite erschrecken Bilder von Napalm-Angriffen, die nicht von ungefähr an die amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam erinnern. "28 Weeks Later" überzeugt mit sehr spannenden Momenten, einer gelungenen Farbdramaturgie, mit raffiniertem Spiel aus Pausen und Schreckmomenten. Dazu heftigster Splatter, der jeden Gedanken an eine Jugendfreigabe wie im Hubschrauber-Mixer zerfetzt.
 
Der Zombiefilm ist mit "28 Weeks Later" nicht netter oder blutarmer geworden. Aber er hat nach den dummen Remakes der letzten Jahre wieder den gesellschaftskritischen Biss der Originale von Romero und Co.

Venedig 64, 75, 2007

Die "Mostra" feiert Jubiläum
  
Die "Mostra internazionale d'arte cinematografica", die älteste Dame unter den Filmfestivals, legt noch einmal etwas Farbe auf die brüchigen Gebäude am Lido Venedigs und feiert ihr 75-Jähriges: Vom 6. - 21.8.1932 fanden in Venedig die ersten Filmfestspiele überhaupt statt. Im Jahr 2007, diesem Jubiläums-Jahr der großen Festivals, übertrumpft diese 75 locker die 60. Ausgabe von Cannes und die 60 Jahre Locarnos. Kritiker der freundlich "mondän" genannten Festivalmeile auf dem "Lido di Venezia" meinen, das würde man auch der Substanz der Gebäude anmerken. Ein Evergreen der Mäkelnden, der angesichts des architektonisch hochmodernen Oktober-Festivals von Rom und dessen üppigen Etats mittlerweile zur handfesten Konkurrenz wurde.
 
Die "64. Mostra" (29.8.-8.9.2007) startet schon am Dienstag inoffiziell mit der Open Air-Vorstellung von "Gli uomini che mascalzoni..." (Regie: Mario Camerini, mit Vittorio De Sica), eines Films des ersten Festivals von 1932. Das ist dann auch fast alles, was die Lagunenstadt vom Festival sieht, denn der offizielle Rest findet auf der vorgelagerten Insel namens Lido statt.
 
Der "Venezia 64" genannte Wettbewerb um den Goldenen Löwen läuft von der Menge der Stars in diesem Jahr sogar Cannes den Rang ab: Keira Knightley eröffnet am Mittwochabend den Star-Reigen in der Romanverfilmung von "Abbitte", Ian McEwans Version von "Schuld und Sühne". Michael Caine und Jude Law stehen sich in dem britischen Kammerspiel-Remake "Sleuth" von Kenneth Branagh gegenüber. Brad Pitt, Casey Affleck und Sam Shepard duellieren sich im amerikanischen Western "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford". Owen Wilson, Adrien Brody und Anjelica Huston sind die Highlights in Wes Andersons ("Die Royal Tenenbaums") mit Spannung erwarteten "The Darjeeling Limited". George Clooney, Tilda Swinton, Sydney Pollack sind bei der schmutzigen Justizgeschichte "Michael Clayton" von Tony Gilroy dabei. Dazu kommen noch der Cannes-Sieger von 2006 Ken Loach; Peter Greenaway, der Rembrandts Nachtwache in "Nightwatching" als Krimi wiederbelebt oder der Altmeister Eric Rohmer mit seinem Liebesmärchen "Les Amours d'Astrée et Céladon". Rohmer war beim ersten Festival von Venedig übrigens schon 12 Jahre alt!
       
22 Filme im Wettbewerb, nur 60 Langfilme im Hauptprogramm - die "Mostra " demonstriert auf dem von Touristen weitgehend verlassenen, spätsommerlichen Lido eine konsequente Konzentration auf ausgewählte Filme. Bei jedem der anderen großen Festivals wird mehr gerannt, gestresst, verpasst. Und zur Feier des 75-Jährigen wählte Festivaldirektor Marco Müller ausnahmslos Regisseure und Regisseurinnen in die Internationale Jury, die vom Chinesen Zhang Yimou ("House of the Flying Daggers") geleitet wird.
 
Die ersten der Goldenen Löwen stehen schon fest, die Ehrenpreise: Bernardo Bertolucci ("1900", "Der letzte Tango von Paris") erhält den Preis zum 75. Jubiläums des Festivals. Tim Burton ("Nightmare before Christmas") wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ehren werden auch dem genialen deutschen Multitalent Alexander Kluge zuteil, der am 6.9.1932, exakt am gleichen Tag wie das Festival das Licht der Welt erblickte und diese seitdem faszinierend analytisch durchleuchtet: Kluge wird im Rahmen des Festivals fünf neue, thematisch gestaltete Programme am Lido präsentieren. Eröffnet wird die Reihe mit der Aufführung von Programm Nr. 1 "Mein Jahrhundert, mein Tier!".
 
Im Wettbewerb sind zwei deutsch-internationale Koproduktionen von Ken Loach ("It's a free world") und Peter Greenaway ("Nightwatching") vertreten. Der deutsch-schweizer Dokumentarfilm "Staub" von Hartmut Bitomsky wurde in die Nebensektion "Horizonte" eingeladen. Im Parallelprogramm "Venice Days" läuft "Freischwimmer" von Andreas Kleinert, der mit Förderung der Filmstiftung NRW u.a. in Köln und Monschau gedreht wurde. Auch Juliette Binoche stand in Köln vor der Kamera - nun ist "Disengagement", der aktuelle Film des israelischen Regisseurs Amos Gitai in Venedig als einer von vier "NRW-Förderungen" zu sehen.
 
Auf den ersten Blick wirkt die deutsche Präsenz im Vergleich zu 1932 nicht überwältigend. Erstaunlich zumal, dass man sich nach 75 Jahren noch an alle drei Titel erinnert: "Der Kongreß tanzt", Leni Riefenstahls Regiedebüt "Das blaue Licht" und das Lesbendrama "Mädchen in Uniform". Diese Nachhaltigkeit wünscht man auch möglichst vielen Filmen von "Venezia 64".

22.8.07

Die letzte Legion


USA, Großbritannien, Frankreich 2007 (The Last Legion) Regie: Doug Lefler mit Colin Firth, Sir Ben Kingsley, Aishwarya Rai 102 Min. FSK: ab 12
 
Ein gewagter Schwertstreich: Im untergehenden alten Rom wird die glänzende Waffe erstmals gezogen, um am Ende des eher blassen Historienfilms in einem englischen Felsen auf König Arthur zu warten. Versteinerte Fan-Gesichter lesen vielleicht noch den Schriftzug "Es Calibur" - oder suchten vorher schon das Schild "Exit" über dem Ausgang...
 
Jahrhunderte vor den Touristen mit den Sandalen eroberten Vandalen und Goten Rom. 460 nach der Zeitenwende siedelt dieser historisches Schwertfilm das Ende des weströmischen Reiches an: Kurz nach seiner Krönung muss Romulus Augustus, der 12-jährige letzte Kaiser (unverwechselbar: Thomas Sangster aus "Love Actually"), mit ansehen, wie Goten seine Eltern ermorden. Nur durch trickreiche Fürsprache des Hauslehrers und Magiers Ambrosius (Ben Kingsley) überlebt der Junge, wird aber nach Capri verbannt. (Nein, keine Getränkefabrik, eine sonnige Insel im Mittelmeer.)
 
Doch eine Handvoll Haudegen unter Führung von Romulus' Leibgardisten Aurelius (Colin Firth) und actionreich verziert mit einer byzantinischen Amazone (Aishwarya Rai) befreit den Thronfolger. Nebenbei findet Ambrosinus das Schwert Cäsars und dann fliehen sie alle ins nahe liegende Großbritannien, zur letzten loyalen Legion Roms. Auch hier gibt es viel Gelegenheit zum Hauen, Stechen und Abschlachten. Bis sich Ambrosinus als Merlin enttarnt und Cäsars Schwert nahe Camelot einbetoniert wird.
 
Bekannte britische Schauspieler wie Colin Firth zeigen, dass es einem Charakterdarsteller leicht fällt, solche einfachen Action-Rollen prägnant zu spielen. Man könnte auch sagen: Das Drehbuch gibt ihnen nicht viel zu tun. Allerdings müssen sie auch Peinlichkeiten durchstehen, wie die unausweichliche Durchhalterede vor der letzten Schlacht. Doch da spürt man schon Erleichterung, weil die behäbige Entwicklung, das einfaltslose Rennen und Hauen bald ein Ende finden muss. Während durch Romulus Augustus ein jugendlicher Protagonist Identifikationsfigur für ein jüngeres Publikum sein könnte, wirkt die blutige Handlung mit drastisch dargestellten Morden gerade für dieses nicht geeignet. Ansonsten bietet der Film nichts, was den Puls schneller schlagen ließe.

21.8.07

Tuyas Hochzeit


China 2006 (Tuya de hun shi) Regie: Quanan Wang Drehbuch: Wei Lu, Quanan Wang mit Nan Yu, Bater, Sen'ge, Zhaya, Baolier 96 Min.
 
In der Folge von "Urga" oder "Die Geschichte vom weinenden Kamel" gerät das traditionelle Leben der mongolischen Hirten auch in "Tuyas Hochzeit" unter die Räder der Veränderungen in Wirtschaft und Natur. Tuya (Yu Nan) hütet in der weitläufigen Steppe Schafe, sie versorgt den Mann Baolier (Peng Hongxian) und zwei Kinder. Baolier verletzte sich bleibend bei Bau eines neuen Brunnen, nun muss Tuya täglich weite Wege für das Wasser reiten und auch die ferne Quelle versiegt. Da Tuya es nicht mehr schafft, muss ein neuer Mann her. Baolier stimmt in die Scheidung ein, aber der Neue soll auch ihn im Haushalt belassen und nicht in ein Heim abschieben. Von den vielen, meist alten Bewerbern stimmt keiner zu. Nur der unglückliche Nachbar Shenge, selbst von seiner Frau verlassen, bleibt. Er steht mal hilfreich zur Seite, mal muss er besoffen in der Steppe aufgelesen werden.
 
Eine schöne, anrührende Geschichte, die Einblick in den Wandel einer naturverbundenen Lebensweise gewährt, Sympathien für die Figuren gewinnt und gut unterhält. So ein reizvoller Film mitten aus dem Mainstream internationaler Wohlfühlproduktionen kommt international im Arthaus-Kino an. Das weiß man, weil es nicht der erste Film dieser Art, vor diesem Hintergrund ist. So erhielt "Tuyas Hochzeit" im Februar bei der Berlinale einen Goldenen Bär, der die Artenvielfalt der Mongolei bereichern wird.

Sind wir endlich fertig?


USA 2007 (Are We Done Yet?) Regie: Steve Carr mit Ice Cube, Nia Long, John C. McGinley 92 Min. FSK: ab 6
 
Der einst heftige Rapper Ice Cube setzt sich nach einer Reihe von Action-Filmen endgültig zur Ruhe. In Fortsetzung der Familien-Komödie "Sind wir schon da?" sucht seine alberne Filmfigur Nick Persons nun ein Heim für die wachsende Familie. Das Anwesen auf dem Land erweist sich allerdings als endloser Quell für humoristische Zusammenbrüche - in der Bausubstanz und der Psyche Nicks.
 
Endloser Slapstick der kindgerechten Art kann nicht überspielen, dass Ice Cube kein Komödiant ist. Ob es zum Schauspieler langt, bleibt fraglich. Völlig vermessen scheint es allerdings, eine Cary Grant-Rolle nachzuspielen. Doch niemand im Zielpublikum wird sich an "Nur meiner Frau zuliebe" aus dem Jahre 1940 erinnern. So bleiben angestaubte, lahme Scherze, eine sehr vorhersehbare Handlung und vor allem ein Gegenspieler, der Ice Cube dauernd die Show stiehlt: John C. McGinley gibt die konstante Nervensäge und den mehrfach schizophrenen Makler, Elektriker, Baby-Flüsterer, Ordnungsamts-Beamten Chuck. Doch braucht der Film wie das Haus eine komplette Demontage samt sorgsamem Neuaufbau.

20.8.07

Beim ersten Mal

Beim ersten Mal
 
USA 2007 (Knocked Up) Regie: Judd Apatow mit Seth Rogen, Katherine Heigl, Paul Rudd 129 Min. FSK: ab 12
 
Ein cinephiler Psychologe wird demnächst die Lebensphasen des Menschen nach Filmgenres benennen: Nach der Teletubbie-Periode folgt die Bambi- oder Eisbär-Zeit. Dann kommt das Disney-Stadium und irgendwann auch die schlimme Phase von "American Pie", so eine Art infantiler Pubertät. Für einige endet die Entwicklung hier, das heißt, sie schauen sich in einem endlosen Retardieren den Rest des Lebens nur noch Filme mit dem Niveau von "American Pie" an. Als Entwicklungshilfe holt nun "Beim ersten Mal" junge Menschen aus dieser verzweifelten Situation ab, um sie vorsichtig den Realitäten des Lebens anzunähern.
 
Dass Regisseur Judd Apatow zuvor die "zotige wie unterhaltsame Sexkomödie" namens "Jungfrau (40), ledig, sucht..." drehte, ist nicht zu überhören oder zu übersehen. Millionen werden auch dank des Trailers mit entsprechenden Erwartungen ins Kino strömen und rund um den "Helden" Ben (Seth Rogen) nur grobe Idioten sehen, die den ganzen Tag an Sex denken und ziemlich grob drüber reden, aber trotzdem keine Ahnung haben. Ein infantiler Haufen von Riesenbabies, die keine Ahnung vom Leben haben oder wie man neues Leben zeugt. Oder besser: Wie man und frau nicht schwanger werden. Deshalb "passiert es" Ben in einer besoffenen, kondomlosen Sex-Nacht mit der erfolgreichen TV-Moderatorin Alison Scott (Katherine Heigl) direkt beim ersten Mal. Alison ist schwanger und will sich eigentlich überhaupt nicht an das Wesen in ihrem Bett erinnern. Der hat nicht nur kein Telefon, sondern auch keinen Job und vor allem keinen Plan. Außer dem, mit vier anderen kiffenden Versagern in seiner WG eine Website zu nackten Film-Frauen aufzubauen.
 
So wird die Suche nach einem guten Gynäkologen begleitet von der Suche nach Nacktszenen auf dem Großbildschirm. Obwohl Mann und Frau hier eindeutig von anderen Planeten stammen, versuchen sie doch, die Verantwortung für das Kind gemeinsam zu leben. Aber Alison stellt sich bald eine wichtige Frage: Ist ein großes Kind der ideale Partner, um ein Kind mit ihm zu haben?
 
"Beim ersten Mal" zeigt eine seltsame Kombination von mäßig zotigem Humor, von Albernem wie Geschmacklosem mit einer sehr vorsichtigen Annäherung an einige Fakten des Lebens da draußen: Fortpflanzung, Verantwortung, Kommunikation und Partnerschaft. Dabei nähert sich die Klamotte verdächtig diesen Independent- oder den französischen Filmen an, die sich so ganz abseits vom Kino-Mainstream mit dem richtigen Leben beschäftigen. Allerdings ist auch hier alles relativ: Man muss immer bedenken, dies ist amerikanischer Humor, der es schon peinlich und damit witzig findet, wenn man jemand auf Toilette sitzen sieht. Oder einen detailliert mit allem Werkzeug begleiteten Besuch beim Gynäkologen. Aber diese Komödie, die versucht erwachsen zu werden, gelangt tatsächlich zu Erkenntnissen und wird immer weniger komisch - was für dieses Genre tatsächlich das erste Mal ist!

15.8.07

Zusammen ist man weniger allein


Frankreich 2007 (Ensemble, c' est tout) Regie: Claude Berri mit Audrey Tautou, Guillaume Canet, Laurent Stocker 97 Min. FSK: o.A.
 
Nein, es ist keine neue "Amelie", doch diese Verfilmung des sehr beliebten, gleichnamigen Romans von Anna Gavalda ist daraufhin angelegt, dass am Ende alle glücklich das Kino verlassen. Routinier Claude Berri inszeniert die bekannten französischen Darsteller gekonnt und die Gefühle spielend. Was heißt "Feel-Good-Movie" auf Französisch?
 
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein ... so fangen viele Besprechungen an. Doch diesmal darf es ruhig wieder so sein, zu charmant sind die Figuren, die sich in einer großen Belle-Etage-Wohnung zusammenraufen werden. Da ist vor allem die 27-jährige "Fachfrau für Oberflächen", Camille Fauque (Audrey Tautou). Die stille Putzfrau haust in einer kleinen Kammer, bis sie ihren Nachbarn Philibert (Laurent Stocker) mit einer ihrer kleinen herzlichen Ausbrüche zum Essen einlädt. Der stotternde, blaublütige Sonderling ist noch verdatterter als sonst, aber auch dankbar und berührt. So trägt er die zierliche Frau eigenhändig in seine riesige Wohnung, als diese krank daniederliegt. Camille bleibt fortan dort, sehr zum Ärger des dritten Mitbewohners Franck (Guillaume Canet). Der ruppige Koch hat was gegen Frauen, sollten sie länger als eine Nacht bleiben wollen. Doch als seine Großmutter Paulette (Françoise Bertin), bei der er aufwuchs, zusammenbricht, beginnen die Gegensätze sich mehr und mehr anzuziehen...
 
Erst knallen die Eigenbrödler aufeinander, vor allem der Frauenverbraucher Franck zeigt sich von der ekligsten Seite, um Camille aus der Wohnung zu treiben. Dann teilen sie sich ein Zimmer, später das Bett. Aber Camille macht danach direkt klar: "Wir werden uns doch jetzt nicht verlieben! Wir trinken, wir schlafen miteinander, aber wir verlieben uns nicht!" Trotzdem darf das Publikum versichert sein, dass Audrey Tautou das romantische Herz des Films spielen darf.
 
Vier ganz eigene Charaktere, alle haben ihre Träume und ihre Traumata. Doch zusammen, als Freunde, heben sich die Probleme mit schöner Leichtigkeit auf ... ganz wie im richtigen Film-Leben. Vor allem das Comédie-Française-Mitglied Laurent Stocker spielt die Wandlung vom unsicheren Postkartenverkäufer Philibert mit zu schwerem Erbe exzellent aus. Über Camille kommt der Stotterer zu einer Theatertruppe, das (Kino-) Publikum genießt seine herrlich exaltierten Sprechübungen und beim großen Auftritt wird das Glück komplett. Kurz bevor sich auch die anderen Geschichten in Wohlgefallen auflösen, wird noch etwas Traurigkeit ausgestreut, doch wie es im Leben so ist, folgt bald die nächste Freude.

14.8.07

Fantastic Four - Rise of the Silver Surfer


USA 2007 (Fantastic Four - Rise of the Silver Surfer) Regie: Tim Story, Drehbuch: Mark Frost, Don Payne mit Ioan Gruffudd, Jessica Alba, Chris Evans, Michael Chiklis, Julian McMahon 92 Min. FSK: ab 12
 
Nachdem sich der Traum vieler Comic-Fans und das von Produzent Bernd Eichinger jahrzehntelang verfolgte Lieblingsprojekt "Fantastic Four" beim ersten Teil als eine der größten Enttäuschungen der Filmgeschichte entpuppte, hofften die Kenner der Bildergeschichten auf die charismatische Figur "Silver Surfer". Doch vergebens, der Kult-Comic kommt weiterhin als reizloses Kinderfilmchen auf die Leinwand.
 
Wie ein Komet rast er aus dem All auf die Erde zu und kündigt sich durch eine Klimakatastrophe an: Der komplett verchromte Silver Surfer gleitet auf seinem ultraschnellen Surfbrett als Vorbote totaler Planetenvernichtung durch die Galaxien. Derweil sind die vier Action-Helden, die Fantastic Four, mit Feierlichkeiten beschäftigt. Mr. Fantastic (Ioan Gruffudd) und das Invisible Woman (Jessica Alba) planen Heirat und ein ruhigeres Leben zu zweit. Das führt zu ein paar internen Problemen, da Ben Grimm mit steinerner Miene und Johnny Storm nach der Trauung das Ende des Quartetts befürchten.
 
Eine Promi-Heirat - will das ein Fan von Superhelden sehen? Nachdem viel Zeit mit dem peinlichen Nachbau von Boulevard-"Glamour" vergeudet wurde, gehen die gar nicht so Fantastischen Vier endlich die Rettung der Erde an. Aber die ersten Auswirkungen des neuen Gegners zeigen wieder den kindgerechten Slapstick, der selbst Teenager aus dem Kino treibt: Da tauscht die menschliche Fackel ihre Super-Eigenschaften mit Invisible Woman und all das Grandiose dieser Superhelden verflacht in Klamauk.
 
Neben den simplen Scherzen enttäuschen auch die Action-Einlagen, die maximal Standardniveau erreichen, niemals in die Sphären des Sensationellen abheben. Da kann Silver Surfer noch so hoch in die Stratosphäre düsen. So glänzt und gefällt der Chrom-Supergegner vor allem mit seinem Schweigen ... eine Wohltat im Umfeld lauter Plattitüden.

Rush Hour 3


USA 2007 (Rush Hour 3) Regie: Brett Ratner mit Jackie Chan, Chris Tucker, Max von Sydow 90 Min. FSK: ab 12
 
Die altbekannte Formel vom Hongkong-Polizisten und dem schwarzen Cop aus L.A., die sich im wahrsten Sinne des Wortes zusammenraufen müssen, wurde auch im dritten Aufguss keinen Hauch verändert. Nur den Spielplatz für Jackie Chans konservativ akrobatische Action wählte man neu: Diesmal jagen Lee (Chan) und Carter (Chris Tucker) in Paris asiatische Bösewichte, was zumindest die Scherze etwas aufmöbelt.
 
Nachdem der chinesische Botschafter im Beisein von Lee fast erschossen wird, bringt eine Verfolgungsjagd durch Los Angeles die alten "Buddys" Lee und Carter wieder zusammen. Der Attentäter erweist sich als Lees Bruder und die Suche nach dem legendären Triadenbosses Shy Shen führt die simple Handlung nach Paris. Dort bietet sich als regionale Attraktion nicht nur der Eiffelturm für Jackie Chans typische Turnereien an, die der alternde Action-Star angeblich immer noch persönlich ohne Stuntmen ausführt. Auch transatlantische Vorurteile kostet "Rush Hour 3" genüsslich aus. Wobei neben den Scherzchen, die auf bekannteste Franzosen-Klischees basieren oder der jugendfreien Übersetzung von sehr derben Ausdrücken, auch cineastischer Humor aufblitzt: Roman Polanski rächt sich als Kommissar von Paris eigenhändig an den amerikanischen Gästen für die Ungerechtigkeiten der USA. Ein Amerika-feindlicher Taxifahrer (Yvan Attal) erfährt Bekehrung zum finalen Rettungsschuss, zum richtigen Cowboy. Doch das sind nur wenige Momente in einer ermüdend unoriginellen Wiederholung...

9.8.07

Überraschungsparty Locarno


Locarno. Er ist noch mal ein Jahrzehnt älter als dieses Festival, doch sein neuester Film gehört zum mutigsten und wildesten des 60. Filmfestivals von Locarno (1.-11.8.2007): Sir Anthony Hopkins präsentierte mit dem verwirrenden Film-im-Film-Spiel "Slipstream" seine zweite Kinoregie. (Zuvor huldigte der geborene Waliser seinem genialen Landsmann Dylan Thomas und verlegte Tschechows "Onkel Wanja" für "August" nach Wales.) Der zwar oft verwirrende, aber immer faszinierende Film-im-Film zeigt Hopkins als Hollywood-Autor Felix Bonhoeffer, der sich in seinem eigenen Skript verirrt und dann noch von einem wahnsinnigen Produzenten (John Turturro) als Drehbuchdoktor für den mörderischen Plot engagiert wird. Das äußerst prominente besetzte Filmrätsel karikiert und zitiert die Filmwelt. Hopkins reale Lebensgefährtin und Produzentin Stella Arroyave spielt eben diese Rolle auch im Film.
 
Der ungemein angenehme kultivierte und intelligente Anthony Hopkins hatte bei der Premiere seines Films in "Old Europe" sichtlich Spaß, gab auf eine dumme Journalistenfrage aus dem Stegreif den Deppen, spielte auch sonst die Doppelrolle von Star und Künstler locker mit. "Slipstream" entstand noch seinem eigenen Buch, das er als "intellektuelle Herausforderung" für sich selbst schrieb, dazu komponierte er auch die Musik zu diesem Film, der stark an die besten von David Lynch erinnert.
 
Der eigentliche David Lynch, noch so ein Multi-Talent, war übrigens auch zu sehen: In der Dokumentation "Lynch" eines Team eigener, junger Mitarbeiter. Bemerkenswert dabei, wie sehr der Schöpfer schrägster und beängstigender Filmlabyrinthe ein Handwerker ist: Dauernd hämmert, sägt, malt oder dreht er irgendwas!
 
Im hochwertigen Wettbewerb Locarnos, dessen Sieger heute Abend prämiert werden, begeisterte "Freigesprochen", eine starke Horvath-Verfilmung von Peter Payer aus Österreich. Inspiriert vom Drama "Der jüngste Tag" verursacht der Weichensteller Thomas Hudetz (Frank Giering) wegen eines spielerischen Kusses der jungen Anna (Lavinia Wilson) ein Zugunglück. Die schicksalhafte Auseinandersetzung von Leidenschaft und Verantwortung des 70 Jahre alten Stoffes erweist sich als ergreifend aktuell.
 
"Früher oder später", der deutsche Mädchenfilm der Münchnerin Ulrike von Ribbeck, enttäuschte in Inszenierung und in der klischeehaften Geschichte der 14-Jährigen Nora, die mit ihrem verträumten Schwärmen einem älteren Nachbarn den Kopf verdreht. Bemerkenswert dabei nur die Hauptdarstellerin Lola Klamroth, die Tochter Peter Lohmeyers, der auch ihren Filmvater spielt. Schon mit "Wunder von Bern" reiste der Fußballfan Lohmeyer mit seinem (Film-) Sohn ins Tessin. War etwa das traditionelle Locarneser Fußballspiel von Filmstars gegen Verleiher der eigentliche Grund, dass (man) "Früher oder später" nach Locarno kam?
 
Zu den Favoriten im Rennen um den Goldenen Leoparden gehört das spanische Drama "Ladrones" von Jaime Marques, in welchem der grandiose Jungstar Juan José Ballesta ("Planta 4", "7 Jungfrauen") als Sohn einer Taschendiebin in den Metros Madrids gegen seine Diebes-Triebe ankämpft. Doch schicksalhaft findet ein Mädchen aus besseren Verhältnissen gerade nur über die verbotene Lust zu ihm. Mit großer Musik und Mut zu viel Gefühl lässt "Ladrones" sogar an "Außer Atem" mit einem jungen Belmondo denken.
 
Auf der Piazza war "Nichts als Gespenster" von Martin Gypkens als Mitternachtsfilm leider falsch angesetzt. Die partiell eindrucksvollen, mit August Diehl, Jessica Schwarz und Fritzi Haberlandt sehr gut besetzten Episoden nach dem gleichnamigen Erzählband von Judith Hermann beeindruckten zwar durch reizvolle Farbdramaturgie vom Antonioni-Rot des Grand Canyon bis zum Schwarzgrau einer kalten Liebe in Hamburg. Doch nicht alle 8000 Zuschauer hielten aufmerksam durch. Vielleicht fehlte ihnen auch der Zusammenhang der Episoden. Dass Locarno trotz Zugaben an den Mainstream auf der Piazza auch bei der 60. Ausgabe als mutiges, junges Festival gelten darf, belegt unter anderem "Ai no yokan", der neue Masahiro Kobayashi im Wettbewerb: Wie in gnadenloser Wiederholung scheinbar völlig identischer Alltagsszenen der Vater einer ermordeten Schülerin und die Mutter der Täterin zueinander finden, zeigt einen anderen, auch faszinierenden Pol der Kinowelt, die sich auch im 60. Jahr lebendig in Locarno drehte.

7.8.07

Mimzy - Meine Freundin aus der Zukunft


USA 2007 (The Last Mimzy) Regie: Robert Shaye mit Rhiannon Leigh Wryn, Chris O'Neil, Rainn Wilson 96 Min. FSK: ab 6
 
Am Strand finden die Geschwister Noah und Emma einen mysteriösen Behälter, der neben unerklärlichen Dingen auch einen Stoffhasen freigibt. Sie halten ihren aufregenden Schatz vor den Eltern geheim und erleben bald seltsame Veränderungen. Die Fähigkeiten der Kinder nehmen rasant zu, die beiden sehen und hören besser, springen weiter, denken schneller. Noah lässt durch Ton-Dressur Spinnen hoch belastbare Brücken bauen, Emma kann Gedanken lesen. Die Lösung: Das Mimzy genannte Tier erweist sich als außerirdischer Gesandter, der die Menschheit der Zukunft retten soll.
 
Erst schweben Dinge, dann die Kinder selber. Emma geht kindlich verspielt mit den wundersamen Gegenständen um, der ältere Bruder experimentiert und sorgt für einen großflächigen Stromausfall. Hier gerät die Geschichte dank der übermächtigen Saubermänner von Homeland Security auf die "E.T."-Schiene. Die Eltern lassen das Unbekannte nicht zu, der Staat reagiert panisch und nimmt alles fest, was sich bewegt. Doch das schweißt die Familie zusammen, ein vom Buddhismus angefixter Lehrer findet über Noahs Mandala-Zeichnungen den Schlüssel zu seinen Träumen und alles wird gut.
 
Mit viel Fabulierlust hat sich ein Studioboss als Regisseur der Science Fiction-Kurzgeschichte von Lewis Padgett, die bereits 1943 erschien, angenommen. Vor allem viele optisch reizvolle Tricks machen die fantastische Geschichte für Kinder faszinierend.

Angel - Ein Leben wie im Traum


Frankreich, Großbritannien, Belgien 2007 (Angel) Regie: François Ozon mit Romola Garai, Lucy Russell, Michael Fassbender 119 Min. FSK: ab 6
 
Was für ein Film! Welch grandioser Kitsch, der sich in der Hand eines Meisters zum wunderbaren Melodram wandelt. Die unglaubliche Lebensgeschichte der aus armen Verhältnissen zur Starautorin aufsteigenden Angel Deverell ist ein Filmkunststück und gleichzeitig Hommage an Douglas Sirk, Fassbinder und die anderen Großen des Melodrams.
 
Es ist unerträglich, dieses ungebildete aber dafür mächtig eingebildete Gör Angel Deverell (Romola Garai). Ähnlich wie die kleine Schwester in Ian McEwans "Abbitte" fühlt sie sich zur großen Literatur berufen. Alles andere, etwa der schwer schuftenden Mutter im Haushalt helfen, ist deshalb unter ihrer Würde. Doch dann erfüllt sich der Traum der kleinen Spinnerin: Ein Verleger in London druckt ihren unausgegorenen, infantilen Kitschroman und das Stückchen schlimmster Trivialliteratur wird zum Bestseller. Die Frau des Verlegers (Charlotte Rampling, Ozons Star aus "Swimming Pool") reagiert schockiert angesichts so viel besserwisserischer Dummheit.
 
Nun ergießen sich die Kitsch-Fantasien Angels ins richtige Leben. Sie kauft sich ein Märchenschloss und den Mann dazu, einen Maler aus verarmter Familie der Freundin. Die Mutter wird aus ihrem Dorfladen weggerissen und vereinsamt fortan im Luxus-Gemäuer. Ganze Handwerkerscharen überziehen das Haus mit üppiger Geschmacklosigkeit. Als Haustier kommt nur die edelste Hundrasse in Frage, wie leicht so ein Wesen austauschbar ist, zeigt sich erst später erschreckend.
 
Auf der Höhe des Erfolgs beginnt schon der dramatische Niedergang. Der Krieg raubt Angel den Mann und passt generell nicht ins Konzept der Träumerin, die meint: "Das Reale interessiert mich nicht, nur das Schöne." Der Eskapismus wandelt sich zum Wahnsinn, als Angel endlich einen Antikriegs-Roman schreibt, laufen ihr die Leserinnen davon. Das Ende ist bitter und grau.
 
Anfangs nach den Titeln in rosa kann man Angel kaum ertragen, so überzogen ist dieser Kostüm gewordene Kitschroman. Doch Ozon gelingt es, die Figur, die ebenso trivial wie ihre Geschichten ist, tragisch zu machen. Dieser Wandel ist das Kunststück in dem von Ausstattungs- und Kamera-Kunst nur so überlaufenden Film. Die Adaption eines Trivialromans der Schriftstellerin Elizabeth Taylor (1912 - 1975) aus dem Jahre 1957 wächst so über sich hinaus.
 
Um Francois Ozon reißen sich die großen Festivals: In Cannes liefen der Frauen-Thriller "Swimming Pool" und der ruhige "Die Zeit, die bleibt". In Venedig gab es "5x2", in Berlin die Fassbinder-Bearbeitung "Tropfen auf heiße Steine" und den Singfilm "8 Frauen". Bemerkenswert am französischen Wunderkind ist, dass bei einem gleich bleibenden Hang zum Kitsch doch immer wieder neue Ansätze und Stile gefunden werden. Ozons Kreativität zeigt sich wiedererkennbar immer wieder anders.

6.8.07

Dixie Chicks - Shut up and sing


USA 2007 (Dixie Chicks - Shut up and sing) Regie: Barbara Kopple, Cecilia Peck 87 Min.
 
Die "Dixie Chicks", mit einschläferndem Country nicht unbedingt die aufregendste Band der Welt, hatten ihre 15 Minuten Ruhm, als sie 2003 in London eher zufällig sagten, sie würden sich für Präsident George Bush schämen. Dieser unerwartete Ausbruch gesunden Menschenverstandes hatte bei den drei netten US-Musikerinnen nichts mit politischem Bewusstsein zu tun, daher geht es im Rest des Films vor allem um das Image der "Chicks" und wie es sich windet und wandelt. Die Mädels ernten Hass-Tiraden von Nationalisten, aber anstatt stolz darauf zu sein, sorgen sie sich um den CD-Verkauf.
 
Das Ganze sieht sich vor allem bei den nicht besonders intelligenten Medien-Schachzügen extrem peinlich an und hat die Substanz irgendeiner hohlen Boulevard-Geschichte. Die werden allerdings bei "Leute heute" und ähnlichem TV-Durchfall in wenigen Sekunden abgehandelt und nicht zu einer "Dokumentation" aufgeblasen. Aber eigentlich gibt der Film nur den Geist der Country-Mehrheit wieder: Unbedarft und ziemlich einfältig.
 
Dabei drehte Regisseurin Barbara Kopple auch die wenigstens mittelmäßige Woody Allen-Doku "Wild Man Blues", vermied aber schon damals, genau wie bei "A Conversation With Gregory Peck", den Porträtierten zu nahe zu treten. Und schon gar nicht kritisch!
 
Spätestens als nach 30 Minuten nur noch ein "Making Off" mit rührenden Geschichtchen um die Kinder der Chicks zu sehen ist, kann sich das Werbefilmchen nicht mehr verstecken. So was sollte es gratis zur CD geben, oder die CD gratis zum Film, oder zum Popcorn...

Reine Geschmacksache


BRD 2007 (Reine Geschmacksache) Regie: Ingo Rasper mit Edgar Selge, Florian Bartholomäi, Franziska Walser, Roman Knizka ca. 90 Min.
 
Nein, das ist keine Geschmacksache! Außer man mag es bescheiden, sieht auch im Kino lieber übersichtliche TV-Bilder, einfache Geschichten, bescheidene Darstellerleistungen... Beim Familienfilmchen mit dem halbwegs bekannten TV-Gesicht Edgar Selge (Tatort) spricht nur eines für's Kino: Man kann nicht so schnell umschalten!
 
Der autoverliebte Modevertreter Wolfi Zenker (Edgar Selge) verliert seinen Führerschein gerade als die neue Kollektion gegen einen Konkurrenten an die "Frau ab 40" gebracht werden muss. So zwingt der Haustyrann seinen Sohn Karsten (Florian Bartholomäi), den Urlaub mit zwei Freundinnen abzubrechen und für Papa Chauffeur zu spielen. Trotzdem entwickelt sich die übersichtliche Geschichte zur erwarteten Katastrophe, der Umsatz bricht ein, Frau Zenker zieht angesichts der finanziellen Misere aus und Karsten kommt zu seiner eigenen Überraschung damit raus, dass er schwul ist. Im bescheidenen Szenario hält als erste Liebe ausgerechnet Zenkers Konkurrent her...
 
Das grob konstruierte, schwache TV-Filmchen scheitert schon in dem Moment, wo Zenker als reine Witzfigur aufgebaut wird - da kann man auch den Vater-Sohn-Konflikt nicht ernst nehmen. Beim diesjährigen Max-Ophüls-Festival erhielt Florian Bartholomäi trotzdem einen Darstellerpreis.

5.8.07

Ich glaub', ich lieb' meine Frau


USA 2007 (I Think I Love My Wife) Regie: Chris Rock mit Eliza Coupe, Cassandra Freeman, Chris Rock 94 Min. FSK: ab 6
 
Chris Rock, einer dieser Darsteller, die sich mit albernem Grimassieren in dummen Komödien überbieten, kontrolliert diesmal als Regisseur die eigenen Gesichtzüge. Wohltuend! Denn er wirkt als erfolgreicher Banker Richard Cooper angenehm ernst. Sogar richtig ernst, weil er von seiner Ehe ohne Sex völlig frustriert ist. Ok, die Geschichte des braven Ehemannes, der zuhause keinen Sex mehr hat und nach einer mäßigen Verführung durch eine sehr aufregende Freundin immer noch braver Ehemann ist, diese Geschichte geriet keineswegs tiefsinnig. Einsichten über menschliche Abgründe sind hier nicht zu erwarten. Doch erspart uns Rock die üblichen Klischees: Die verführerische Nikki (Kerry Washington) ist eine sehr menschliche gute Freundin. Zwar auch eine verführerische Freundin, doch keineswegs auf ihre äußeren Reize reduziertes Sex-Klischee. Trotz einiger Spielchen wird sie reifen und sich entwickeln, sogar mehr noch als die brave und letztendlich langweilige Hauptfigur Richard.
 
So überzeugt diese Komödie durch das, was sie nicht ist: Der grobe Humor beschränkt sich auf einen drastischen Viagra-Alptraum. Dazu überrascht bei einem Mainstream-Clown wie Rock dosierte Kritik an einer Welt, in der Erfolg noch von der Hautfarbe weiß bestimmt wird. Allerdings ist der Rest dramaturgisch eine Nullnummer, die wenig Massen-Wirkung zeitigen wird.

Evan Allmächtig


USA 2007 (Evan Almighty) Regie: Tom Shadyac mit Steve Carell, Morgan Freeman, Lauren Graham 95 Min. FSK: ab 6
 
Der Verlierer aus "Bruce Allmächtig", der neidische, intrigante Nachrichtenmann Evan Baxter bekommt einen eigenen Film. Erinnern Sie sich an ihn? Nicht? Diese ziemlich unkomische Komödie können Sie auch gleich wieder vergessen...
 
Evan Baxter (Steve Carell) erinnert eher an einen Clown, als an einen Politiker, der gerade in den US-Kongress gewählt wurde. Aber das soll wohl schon komisch sein. Jedenfalls findet sich nach dem Einzug der Familie Baxter in einen neuen Prachtbau eine Menge Holz und Zimmermanns-Werkzeug vor der Tür. Noch zwischen Zweifel und Raserei schwankend, muss der unlockere Anzugträger Evan mit einem sehr coolen Gott (Morgan Freeman) zurecht kommen. Dieser erteilt apodiktisch den Auftrag, eine Arche zu bauen und der Rest des Films wird nun den Tricktechnikern überlassen: Immer mehr Tiere folgen paarweise dem widerspenstigen Evan Baxter, sein Bart- und Haupthaar wächst haltlos, als auch noch eine Kutte aus heiterem Himmel fällt, ist der Noah-Look perfekt. Unter den Politikern und Lobbyisten kommt der Neuling Evan damit allerdings nicht gut an. Seine Familie verlässt ihn, die Polizei will die Baustelle des gigantischen Holzschiffes räumen.
 
Doch am Ende behält der Spinner Recht, eine durch korrupten Landraub verursachte Mini-Flut überschwemmt das Villen-Tal. Nachdem Tiere und Computertrickser für übertrieben viel Geld Kunststücke machten, bildet ein apokalyptisches Szenario den Höhepunkt: Die seltsam begrenzte Flutwelle rast durch Washington und spült korrupte Politiker weg. Gott kann man also nicht nur das Seelenheil, sondern auch Solidarabgabe, Wehretat und den Straßenbau überlassen. Dass ist dann wieder so reaktionär und antidemokratisch, dass man sich einen Rohrbruch im Vorführraum wünscht.
 
Was bei Jim Carrey unerträglich albern wäre, geriet hier unerträglich unkomisch. Die völlig anachronistische Geschichte von "Evan Allmächtig" beginnt mit einem Materialismus, der einen schon in den ersten Minuten ins innere Exil treibt. Dann wird eine schreiend naive Moral konstruiert, die völlig im Gegensatz zur aufgebauschten Geschichte steht: Jemand, der wie Evan die Welt verändern will, solle erst einmal beten. Und dann mit einer einfachen, Hilfsbereitschaft vor der eigenen Tür anfangen. "One Act of Random Kindness at a time", abgekürzt "ARK", also Arche, heißt das auf Englisch. Dieses "seid nett zueinander" wird wohl nicht erfüllt, wenn wir jetzt alle riesige Archen bauen...
 
Handwerklich ist "Evan Allmächtig" nicht komisch, dafür gläubig. Was in den USA vielleicht im "Bible Belt" Kinos füllt, wird hier wohl gnadenlos floppen. Die Figuren stammen nicht aus dem Leben, stehen verloren in der Handlung rum. Die "Sidekicks", die komischen Randfiguren, wirken nur peinlich. Das Ganze ist a-komisch, a-sexuell, a-lebendig.

1.8.07

Von Frau zu Frau


USA 2007 (Because I Said So) Regie: Michael Lehmann mit Diane Keaton, Mandy Moore, Gabriel Macht 101 Min.
FSK: o.A.
 
"Das können die Amis", muss selbst die romantik-resistente Kritik zugeben, wenn wieder einmal nach exzellent getimten und gespielten Nichtigkeiten das einsame Herz am rechten Fleck gelandet ist: Die gefühlsreiche Frauen-Komödie um "Stadtneurotikerin" Diane Keaton und ihre Filmtochter Mandy Moore trifft geschmackssicher den richtigen Ton.
 
Mit dem grausamen Rhythmus der biologischen Uhr folgt eine Hochzeitsszene der nächsten: Erst feiert die ältere Psychologen-Schwester Maggie (Lauren Graham), dann auch die wilde Mae (Piper Perabo), und immer sorgen sich die  Wilder-Frauen um die jeweils aktuelle Affäre von Millie (Mandy Moore). Doch dann hat Sorgenkind Millie ihre erste Hochzeit - als Chefin des Catering-Service ... Passend zu diesem Hohn macht sich auch der Schwarm der Stunde dumm-dreist an eine Angestellte ran.
 
Irgendwann reicht es der überfürsorglichen Mutter Daphne Wilder (Diane Keaton), Millie soll schließlich nicht so einsam enden wie sie. Flugs ist eine kilometerlange Kontaktanzeige geschaltet, die mühsame Auswahl (mit einer gemein "herrlichen" Montagesequenz) findet selbstverständlich den Richtigen - für die Tochter. Als Gegensatz zum perfekten, langweilig erfolg- und auch sonst eklig reichen Architekten Jason guckt auch noch der sympathische Barmusiker Johnny vorbei, das Klischee eines Bohemien. Spätestens hier ist nur noch fraglich, welchen Schwiegerpapa Daphne am Ende abbekommen wird. Doch ausnahmsweise macht das gar nichts, zu nett werden die Widrigkeiten des Einander-Findens und die sympathischen Macken dieser Mutter-Tochter-Beziehung ausgespielt...
 
Das Autorenteam Karen Leigh Hopkins und Jessie Nelson ("Seite an Seite") konzentrierte sich gekonnt auf das Potential ihrer vier Frauenfiguren: Geistreiche Dialoge zu den gerade passenden Dessous über die Generationsgrenzen hinweg sind nur der Aperitif zu einer atemberaubend komischen und dichten Massageszene. Während Millie wegen einem der falschen Männer einen Heulkrampf bekommt, ringt Daphne mit der koreanischen Masseuse und sollte mal für Sekunden ein Gag fehlen, springen die anderen beiden Schwestern ein. Untertitelte Kommentare der Koreanerinnen zu Daphnes Verstocktheit geben den Lachmuskeln den Rest.
 
Diane Keaton ("Manhattan") ist als erstickend fürsorgliche Glucke in Geschmacksrichtungen von liebevoll bis hysterisch der Fond des Films. Mandy Moore ("American Dreamz", "Scrubs") spielt die süße Verlorenheit Millies treffend aus. Wenn ein Split-Screen die sorgsame Zubereitung eines einsamen Abends von Mutter und Tochter fast synchron nebeneinander stellt, überzeugt der Film mit perfekter Anrichtung eines bewährten Rezepts. Dabei darf man ausnahmsweise nur Nuancen verändern, eine edle Bild-Glasur auftragen und als krönende Cocktail-Kirsche, als i- und Höhepunkt mit einem Happy-End das ganze Vergnügen abrunden.