29.5.07

Golden Door


Italien/Frankreich 2006 (Nuovomondo) Regie: Emanuele Crialese mit Charlotte Gainsbourg, Vincenzo Amato, Aurora Quattrocchi 118 Min. FSK: ab 6

Archaische Geschichten, raue Sitten in steiniger Landschaft, grandiose Gesichter - so sieht man Sizilien im "Chaos" der Tavianis oder im "Cinema Paradiso" von Giuseppe Tornatore und weiß, es ist nur aus der Ferne schön. Zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg wanderten 5 Millionen Süditaliener, meist Bauern und Landbevölkerung, nach Amerika aus und dezimierten damit ihre Heimat um mehr als in Drittel der Menschen. Dem Weg von Sizilien nach New York folgt Regisseur Emanuele Crialese, der selbst von der dortigen Filmschule in seine italienische Heimat zurückkehrte.

Salvatore Mancuso (Vincenzo Amato) verkauft sein Vieh für ein paar Klamotten und wandert mit seiner Mutter sowie mit seinen zwei Söhnen aus. Wobei das Wandern durchaus wörtlich genommen werden kann, man spürt und riecht über die erdigen Farben den Boden Siziliens, dem so schwer etwas abzugewinnen ist. Doch "Golden Door" ist kein klassisches Auswanderer-Drama, ist erdig und poetisch zugleich.

Die geheimnisvolle Engländerin Lucy (Charlotte Gainsbourg) besteigt ebenfalls das Schiff. Eine blasse, noble Gestalt unter all den sonnengegerbten Erdmenschen. Im Tangorhythmus streifen sie und die Mancusos bei den seltenen Freigängen an Deck umeinander. In einem der vielen surrealen und magischen Momente tauchen Salvatore und Lucy wie neugeboren aus einem milchigen Meer, paddeln den Träumen der Neuen Welt hinterher - in Form einer Möhre groß wie ein Kanu.

Crialese sieht die Überquerung des Ozeans als Metamorphose auf Hoher See, bei der die Mancusos sich von Land- in Stadtmenschen verwandeln. Es folgen die menschenunwürdigen Untersuchungen und Tests am Immigranten-Portal Ellis Island. Die Enttäuschungen bei den arrangierten Hochzeiten, den Frauenschauen, die verzweifelte Not ausnutzen. Und die Frage, wer darf rein in die USA und wer wird deportiert: Der dumm wirkende Sohn? Die immer störrische Mutter?

"Golden Door" mit dem in der Originalversion satten, saftigen Dialekt, der sogar italienisch untertitelt werden musste, ist erst der dritte Film des 1965 in Rom geborenen Crialese. Mit seinem Debüt "Once we were Strangers" war er nach seinem Filmstudio in New York 1998 im Wettbewerb von Sundance. Dann kehrte er in seine Heimat Italien zurück, drehte "Lampedusa" (Respiro, 2002), in dem er sich mit seinen italienischen Wurzeln auseinandersetzt. Das poetische Meisterwerk erhielt 2002 den Großen Preis der Semaine de la Critique sowie den Preis der Jungen Filmkritik in Cannes.

Die Reise in die Neue Welt - "Nuovomondo" heißt der Originaltitel - beeindruckt mit grandiosen, starken Bildern. Von den Berglandschaften Siziliens bis zur Skyline New Yorks, die völlig verwirrt: Wie bekommt man die Tiere bloß in die 20.Etage? Und immer wieder ganz einzigartige und eindringliche Szenen: Eine Menschenmenge teilt sich reglos, das Schiff legt ab, die da unten bleiben hier, das große Wasser fließt zwischen sie. Dann Fotos mit riesigen Hühnern, Zwiebeln und Geldstücken, die einfache Bauern und Bergbewohner nach Amerika locken. Und die geniale Schlussszene - statt einer Auflösung noch mal die milchige See der Wiedergeburt mit all den ziellos treibenden Armen, Bedürftigen. Nina Simon singt "Sinner Man". Die Filmgeschichte hat eine Perle mehr.

Unbesiegbar


USA 2006 (Invincible) Regie: Ericson Core mit Mark Wahlberg, Greg Kinnear, Elizabeth Banks 104 Min. FSK: ab 6
 
Arbeitslosigkeit, Kriegsfolgen und der lokale Sportverein verliert dauernd - die Stimmung ist ganz unten in einer Kneipe der gebeutelten Industriestadt Philadelphia anfangs der 70er. Inmitten dieser Wirtschafts-Krise erfüllt sich der Traum eines jeden professionellen Sportschau-Sehers: Es besser machen dürfen als die trüben Tassen da auf dem Rasen. Für alle demoralisierten Männer nimmt der ehemalige Lehrer und von seiner Frau verlassene Vince Papale (Mark Wahlberg) an einem Probetraining teil. Als Quereinsteiger, der mehr Einsatz zeigt, bekommt er schnell Ärger mit den etablierten Profis. Doch das knackige Muskelpaket boxt sich durch, joggt endlos dort, wo "Rocky" die Treppen rauf stürmte. Weil zuhause nicht nur niemand, sondern auch nichts ist: Seine Frau hat die Wohnung beim Weggehen komplett ausgeräumt!
 
Der bescheidene, stille Vince entwickelt sich zum Hoffnungsträger all der Armen, Verzweifelten, der Kumpels, die vor der Fabrik um ihren Job streiken. In der grandiosen Wendepunkt-Szene kehrt der Junge aus dem Viertel zu seinen Kumpels auf dem Bolzplatz zurück, um im strömenden Regen und pathetischem Matsch "einfach zu spielen".
 
"Unbesiegbar" erzählt eine herrlich einfach gestrickte Geschichte, für die Ex-Straßenjunge und -Popstar Mark Wahlberg die ideale Besetzung ist. Derart stimmig kann das schematisch konstruierte Sportfilmchen sogar stellenweise überzeugen. Obwohl alles ziemlich glatt abläuft. Vince ist eigentlich nur ein guter Typ - dass die Frau weglief, hatte bestimmt nichts mit ihm zu tun. "Unbesiegbar" erzählt halt eine "wahre" Geschichte, eine Sportlegende, die nicht zu kritisch beäugt werden darf.
 
Die Standard-Moral dabei: Gib niemals auf, auch wenn alles den Bach runtergeht. Immer eine Dauerkarte des lokalen Vereins kaufen - statt zu streiken, die bessere Partei zu wählen oder sonst wie selbst aktiv zu werden. Den Rest gibt einem dieser fehlplazierte Film mit unendlich viel speziellem Sportgequatsche für Football-Fans. Von denen es in deutschen Kinos nicht so viele gibt. (Aber das wissen die amerikanischen Produzenten leider nicht, deshalb stopfen sie mit dem Kram unsere Leinwände voll.)

Zodiac - Die Spur des Killers


 
USA 2007 (Zodiac) Regie: David Fincher mit Jake Gyllenhaal, Mark Ruffalo, Anthony Edwards 157 Min.
FSK: ab 16
 
Die Serienproduktion von Serienmördern im seriellen Kino führt meistens zu Tod durch Langeweile: "Ich weiß was du letzten Sommer und den davor gesehen hast". David Fincher, der Regisseur von "Seven", "Fight Club" und "Panic Room" verspricht mehr und vor allem etwas anderes. So geriet auch die Premiere von "Zodiac" in Cannes zum Erfolg und Ritterschlag für den amerikanischen Regisseur: Nach 150 Minuten Jagd auf einen Serienkiller, die ganz eigen gestaltet war, fiel sogar der Name Scorsese in den Besprechungen. Fincher wechselt vom Thriller zu den persönlichen Obsessionen eines Zeitungskarikaturisten (Jack Gyllenhaal). Dazu ein perfektionistischer Retrostil, der die Jahrzehnte aufleben lässt, in denen Zodiac in Kalifornien mordete und die Polizei mit Briefen und Rätseln narrte.
 
Zodiac nannte sich ein amerikanischer Serienmörder, dessen Fall für enormes Aufsehen in den Medien sorgte. In verschlüsselten Nachrichten bekannte er sich zu 13 Morden, vermutet werden Dutzende weitere. Zwischen Dezember 1968 und Oktober 1969 tötete er im Raum San Francisco nachweislich fünf Menschen, wurde aber nie gefasst. Der reale Robert Graysmith schrieb über die Nachforschungen, auf diesen zwei Büchern basiert der Film "Zodiac".
 
David Fincher wählt für "Zodiac" nicht die Perspektive des psychopathischen Killers sondern des besessenen Jägers: Als der erste, in seltsamen Runen verfasste Brief von Zodiac in der Redaktion des "San Francisco Chronicle" ankommt, steht der Karikaturist Robert Graysmith (Jake Gyyllenhaal) fasziniert am Rande. Der Starreporter Paul Avery (Robert Downey Jr.) wird auf den Fall angesetzt. Wie hypnotisiert schleicht sich der stille Zeichner in den Sog aus Gräueltaten und Rätselspiel.
 
Zwar steht ein Mord am Anfang, weitere folgen. Zwar ermittelt die lokale Polizei, die Spezialisten aus der Stadt kommen bald hinzu. Doch über die mehr als zweieinhalb Stunden Film, die über zwanzig Jahre Mörderjagd erzählen, verlagert sich der Fokus. Die Spannung steigt, obwohl es immer weniger interessiert, wer der Mörder ist. Es gibt ja irgendwann auch keine neuen Opfer. Selbst in der Erzählzeit des Films gerät der Täter in Vergessenheit.
 
Die Frage seiner Frau, weshalb er immer weiter nach Zodiac sucht, kann Robert Graysmith nicht ausreichend beantworten. Dabei bestimmte schon ihr erstes Treffen die Fixierung auf den Fall Zodiac. In der Redaktion wurde er kaum wahr- und schon gar nicht ernst genommen. Das Familienleben wirkt wie eine Episode. Zwangsläufig begeistert sich dann auch sein ältester Sohn für die bluttriefenden Akten, auch seine jüngeren Kinder müssen verstört die Recherche-Lektüre mitmachen.
 
Jake Gyllenhaal, der Shooting-Star aus "Donnie Darko" und "The Day After Tomorrow" erweist sich al perfekte Besetzung für den scheuen, fast autistischen Eigenbrödler Robert Graysmith. Der immer wieder drogenabhängige und trotzdem geniale Robert Downey Jr. lässt seinen Reporter mit ganz großem Stil den alkoholisierten Bach runter gehen.
 
Sorgt Fincher am Anfang noch mit auffälligen Aufnahmen, mit fliegender Kamera, mit schnellen Montagen des Postweges von Zodiacs Nachrichten, für Atmosphäre, so konzentriert "Zodiac" sich zunehmend auf Robert Graysmith. Alle weiteren Ermittler setzen sich zur Ruhe, werden Randfiguren, auch wenn der ermittelnde Kommissar als Vorlage für Eastwoods "Dirty Harry" dient. Der weitere Verlauf des Falles ist am Ende gar nur noch auf den Schrifttafeln des Films nachzulesen.
 
Fincher unterläuft damit Erwartungen des Genres: Solche Obsessionen führen meist dazu, dass der Täter gestellt wird - am besten im hoch spannenden Finale. "Das Schweigen der Lämmer" variierte hier etwas, indem zwei Serienmörder im Spiel waren. Nun kann man vom populären Zodiac-Fall wissen, dass der Täter nie gefasst wurde, die Morde bis heute nicht aufgeklärt sind. Doch Fincher zieht einen trotzdem in die verbissene Suche mit hinein - ein dickes Lob für die packende Dramaturgie in einem atmosphärisch dichten Anti-Genrefilm!

28.5.07

Nachhaltig beeindruckend - Cannes 2007

Der Erfolg des stillen Einfühlens
 
Cannes. Die Goldene Palme des 60. Festival de Cannes (16.-27. Mai) erhielt der frühe Favorit "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" des rumänischen Regisseurs Cristian Mungiu. Für den deutsch-türkischen Wettbewerbsfilm "Auf der anderen Seite" konnte Fatih Akin hocherfreut den Drehbuchpreis entgegen nehmen. Der Preisregen am Sonntagabend bildete den würdigen Abschluss eines Jubiläumsfestivals, das Cineasten begeisterte.
 
 
Nachhaltig beeindruckend
 
Ein unbekannter, ein früher Favorit und jetzt allgemein geschätzter Cannes-Sieger: "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", dem dritten Film des Rumänen Cristian Mungiu, gelang eine Art Start-Ziel-Sieg, was bei einem Filmfestival weitaus schwieriger zu realisieren ist, als beim Sport. Wenn ein Film am ersten Festivaltag läuft und die Eindrücke von 21 Konkurrenten im Wettbewerb überdauert, ist das allein schon Beweis einer besonderen Kraft: "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" erzählt mit realistischem Stil und nahe an seinen Figuren von zwei jungen Frauen, die sich zum Ende des Kommunismus für eine illegale Abtreibung in einem schäbigen Hotel einfinden. Das Geld ist zusammengekratzt, doch der "Engelmacher" will die Zwangslage ausnutzen, verlangt körperliche Gegenleistungen der Frauen...
 
Der erst kurz vor dem Festival mit geringen Mitteln fertig gestellte Film beschränkt sich, nur von einem Tag zu erzählen. Die konzentrierten Emotionen lassen nicht unberührt, überzeugten Publikum und Jury einhellig. "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" wurde unter anderem vom Fernsehsender Arte koproduziert, der sich in Cannes wieder als wichtige Kraft für die europäische Filmkunst erwies.
 
 
Tod, Verlust, Trauer
Als bester Regisseur wurde der amerikanische Maler, Schauspieler und Filmemacher Julian Schnabel für "Le scaphandre et le papillon" prämiert. Der "Große Preis des Festivals" ging an die japanische Regisseurin Naomi Kawase und ihren "Mogari No Mori" (Der Trauerwald), der eine junge Frau, die ihr Kind verloren hat, und einen alten Mann, der über das Ableben seiner Frau nicht hinwegkommt, zusammenführt.
 
Auch die Preise für die besten Schauspieler spiegeln den nicht besonders heiteren Grundton des Wettbewerbes wider: Sie gingen an den Russen Konstantin Lavronenko für seine stoische Darstellung eines betrogenen Mannes in "Izgnanie" ("Die Verbannung") und die Südkoreanerin Jeon Do Yeon, deren Figur in "Secret Sunshine" über den Schmerz zweier verstorbener Menschen den Verstand verliert. Einen Spezialpreis zum 60. Geburtstag des Festivals gab es für den Amerikaner Gus Van Sant, der mit "Elefant" 2003 die Goldene Palme gewann und in diesem Jahr mit dem Skater-(Alb)Traum "Paranoid Park" begeisterte.
 
NRW wieder ausgezeichnet
Die rege Aufmerksamkeit, die "Auf der anderen Seite" von Fatih Akin in Cannes erlebte, schlug sich in zwei wichtigen Preisen nieder: Der Autor und Regisseur erhielt den Preis für das Beste Drehbuch und den der Ökumenischen Jury. Letztere blickt vor allem auf inhaltliche Werte und fand, der Film reflektiere "sehr einfühlsam die schmerzliche Komplexität des Verlustes von Koordinaten und Beziehungen und zeigt dabei Wege der Annäherung zwischen den Kulturen auf." "Auf der anderen Seite" erzählt die Geschichte von sechs Menschen zwischen der Türkei und Deutschland, deren Schicksale ineinander verwoben sind, wobei erst der Tod ihre Lebenswege zusammenführt.
 
Der ebenso leidenschaftliche wie selbstbewusste Wahl-Hamburger verlieh seiner Begeisterung Ausdruck: "Ich habe immer davon geträumt, hier im Wettbewerb zu sein. Es ist hart, es ist verrückt, aber man wird davon abhängig. Ich kann es kaum erwarten, wieder dabei zu sein - in zwei oder drei Jahren."
 
Auch ein anderer "NRW-Film" fiel positiv auf: In der Sektion "Quinzaine des Réalisateurs" erhielt "Gegenüber", der Debütfilm des Kölners Jan Bonny, eine "Lobende Erwähnung". Das Kinodrama über Gewalt in der Ehe und eine unheilvolle Paarbeziehung auf dem Grat zwischen Familiennormalität und Familienhölle wurde in Essen gedreht und von Bettina Brokemper (Heimatfilm, Köln) produziert.
 
Mit dem 39-jährigen Rumänen und dem 33-jährigen Fatih Akin wurden relativ junge Filmemacher eines frischen Wettbewerbs ausgezeichnet. In anderen Jahren führte Cannes auch schon mal reichlich Legenden der Filmgeschichte vor. Doch vor allem die lauten, marktschreierischen Effekte waren im filmischen Auge des Bildersturms von Cannes 2007 angenehm selten. Während der Markt immer mehr auf den großen Knall baut, richtet ausgezeichnete Filmkunst zurzeit den einfühlsamen Blick ruhig auf nahe stehende Individuen.

25.5.07

Im Rausch von Cannes 2007


Cannes. Die 2007er Abfüllung mit Bildern, Themen und Highlights war ein außerordentlich guter Jahrgang. Der so harmlos "Filmfestival" genannte Gigant, der eine unersättliche Unterhaltungsmaschinerie jeden Tag mit zahlreichen Mega-Events füttert, inszenierte sogar die Feiern zur 60.Ausgabe mit Augenmaß und großer Achtung vor den filmischen Kunstwerken, um die es eigentlich gehen sollte. Dabei liefen an einem Gala-Abend mehr Top-Prominente auf, als sich die Berlinale für ein ganzes Festival wünschen kann.
 
Cannes 2007 war auch filmisch ein hervorragendes Festival, die Papierform der großen Namen hat sich während der bisherigen acht Festivaltage in vielen bewegenden, engagierten, ästhetisch wie dramaturgisch avancierten und wenigen komischen Momenten realisiert. Die Internationale Jury unter der Regie des Briten Stephen Frears ("The Queen") kann eigentlich nicht viel falsch machen. Außer Tarantino eine Goldene Palme zu geben ...
 
Jurys stehen immer vor dem Äpfel und Birnen-Problem: Wie lässt sich der iranische, persönlich-politische Zeichentrick "Persepolis" mit dem amerikanischen Serienmörder-Thriller "Zodiac" vergleichen oder mit den für wenig Geld inszenierten französischen "Chansons d'Amour"? Mehr als in vergangenen Jahren ist die Begeisterung einhellig, doch die Fachbeobachter bejubeln Verschiedenes. Seit der ersten Festivalwoche hält sich das rumänische Abtreibungs- und Politdrama "4 Months, 3 Weeks and 2 Days" von Cristian Mungiu in der Spitze der Punktelisten. Die Coen-Brüder schlossen auf und ihr "No Country for old men" wurde Favorit, weil er den Spaß an typisch schrägen Verbrechern und Gemetzeln zur einer mythischen Ebene und einer pessimistischen Sicht auf die eben noch amüsante Gewalt führt.
 
Cannes-Sieger Gus van Sant fand in der Skater-Welt von "Paranoid Park" wieder einzigartige Bilder für Jugendliche in Extremsituationen. Ebenso unvergleichlich das unfassbar ruhige Liebesdrama "Stellet Licht" von Carlos Reygadas, in dem mexikanische Mennoniten im altertümlichen plattdeutschen Dialekt wie in Zeitlupe erstaunliche Lösungen für Gefühlskonflikte finden. Die neuen Filme von Kim Ki-Duk ("Breath") oder Ulrich Seidl ("Import Export") sind eindeutig nicht ihre besten, doch wer weiß, wie vertraut die sehr gemischte Jury mit dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk oder dem mauretanischen Regisseur Abderrahmane Sissako mit den jeweiligen Werken sind. Man darf aber hoffen, dass dummes Teenager-Geschwätz über Minuten, ein bauchfreier Lapdance als reizloser Höhepunkt und Serienmorde mit Lust an drastischer Darstellung kein Gefallen fanden. "Death Proof", von Quentin Tarantino als "Hommage" anspruchsloser Unterhaltung gedreht, im Wettbewerb von Cannes, ist vergleichbar mit Fußballbildchen in der Sixtinischen Kapelle.
 
Wie immer spielten die Frauen in Cannes meist nur eine dekorative Rolle: Wenn drei Regisseurinnen im Wettbewerb 21 Männern gegenüberstehen, und das auch noch den Schnitt der sechzig Ausgaben hebt, stimmt etwas nicht. Wenn man dann noch erlebt, dass ein einfühlsames, witziges, offen persönliches Meisterwerk wie "Actrices", die zweite Regie der Schauspielerin Valeria Bruni-Tedeschi, in einer Nebensektion landet, darf man laut "Unrecht" rufen.
 
Die deutschen Filme von Volker Schlöndorff ("Ulzhan"), Jan Bonny ("Gegenüber") und Robert Thalheim ("Am Ende kommen Touristen") fanden Aufmerksamkeit, aber vor allem die Begeisterung bei der Premiere von Fatih Akins "Auf der anderen Seite" überraschte selbst die Hoffnungen der Fatih-Freunde. Das von der Filmstiftung NRW geförderte Drama verwebt die Schicksale von sechs Menschen, wobei erst der Tod ihre Lebenswege zusammenführt. Großer Applaus machte "Auf der anderen Seite" zu einem heimlichen Favoriten und zeigte, dass dieser mutige und exzellente Regisseur nun auch auf der internationalen Bühne anerkannt ist. Und das will was heißen im Rausch des hochprozentigen Cannes 2007.

21.5.07

Die schönen Biester

Cannes. Das Traumpaar des Hollywood-Films nahm gestern die Bühne
Cannes für sich ein: Angelina Jolie und Brad Pitt waren mit jeweils
eigenen Projekten an der Cote d'Azur. Die Filme dieses Tages hingegen
gaben sich nach dem Jubiläums-Feuerwerk verkatert und leuchteten ganz
schön viel Hässlichkeit aus den Menschen heraus.

„A mighty heart" erzählt die wahre Geschichte der französischen
Journalistin Mariane Pearl (Angelina Jolie), deren amerikanischer Mann
Danny in Pakistan entführt und schließlich hingerichtet wird. Mit
eindrucksvoller Stärke steuert die Hochschwangere die Nachforschungen
bis zum markerschütternden Schmerzensschrei im Moment der Todesnachricht.

Bei Regisseur Michael Winterbottom, der bislang mühelos zwei
außerordentliche Filme pro Jahr hinlegte, ist „A mighty heart" die erste
Enttäuschung. Es braucht gar nicht den Vergleich zu „Road to Guantanamo"
um die politische Nichtigkeit dieser handwerklich anständigen Arbeit zu
bemerken. Da sitzen in Karachi lauter nette Leute am Krisentisch, gleich
drei Geheimdienste verstehen sich problemlos, alle werden Freunde, auch
die pakistanischen Polizisten, die zwischendurch mal Verdächtige foltern
dürfen. Nur am Ende weist Mariane tapfer darauf hin, dass während der
Entführung auch 10 Pakistani durch religiöse Gewalt starben.
Wahrscheinlich erlag der politische Winterbottom dieser
außerordentlichen Frau und ihrem biographischen Buch zu diesen Ereignissen.

Der Österreicher Ulrich Seidl hält in „Import Export" die Kamera auf
niederste Regionen des Allzumenschlichen und zuckt keinen Moment weg:
Eine Ukrainerin flieht der Armut des Daseins einer staatlichen
Krankschwester in die Sexindustrie und dann nach Österreich. Im Gegenzug
möchte man einen jungen Ex-Wachmann und Arbeitslosen am liebsten aus
allen Gemeinschaften exportieren, so dreckig verhält er sich gegenüber
Freundin und eigentlich jedem. Seidl, der bisher in fragwürdigen
Dokumentationen erbärmliche Menschen vorführte, gibt sich jetzt etwas
fiktionaler, ist weniger authentisch, langweilig, aber immer noch schwer
erträglich voyeuristisch.

Das Gegenteil gelingt – ebenfalls im Wettbewerb – Cannes-Sieger Gus van
Sant („Elephant") im ästhetischen Traum „Paranoid Park". Rund um eine
atemberaubende Skateboard-Arena drehen sich Handlungsschleifen und die
betörende Kamera Christopher Doyles um den Schüler Alex, der einen
horrenden Unfall verarbeiten muss. Hier kann das Grauen nur feine Spuren
in das jugendliche Gesicht zeichnen. Wie die Coens und andere im
60.Cannes-Jahr bringt auch Gus van Sant seine Erzählkunst auf eine neue
Ebene.

20.5.07

Chacun son cinema

33 mal 3 Minuten Einleitung, Erwartung, Höhepunkt und Ausklang … das
kann doch nicht funktionieren. Doch, und wie: Die Jubiläums-Kompilation
„Chacun son cinema" reiht nahezu ausnahmslos eine Filmperle an die
nächste, begeistert, rührt, amüsiert und erweist sich als perfektes
Geburtstagsgeschenk an alle Cineasten.

60 Jahre Cannes war der Anlass, Kino das Thema. Und zwei Stunden lang
können große, staunende Augen auf und vor der Leinwand nicht genug
bekommen von den magischen Momenten. Dabei rührt „Chacun son cinema" an
Kino-Erinnerungen, eine Melodie von Angelopoulos, ein Blick von
Mastroianni, das Ende von „Romeo und Julia". Chabrol lässt etwa das
Kennenlernen seiner Eltern bei Fred Astaire und Ginger Rodgers, das Kino
als Versteck des kleinen Halbjuden, die wachsende Kinoliebe erleben und
schließlich die Mutter im Kino sehen, wie Chabrol seinen ersten Oscar
neben Astaire und Rodger in Händen hält. Alles in drei Minuten wohlgemerkt!

Über fast alle der 33 Meisterwerke könnte man schwärmen, bemerken, dass
Mastroianni eine ganz besonderen Platz in der Erinnerung hat und dass
gleich zwei Regisseure (Alejandro Gonzalez Iñarritu, Chen Kaige) das
unfassbare Erlebnis Film mit dem Extrem eines blinden Kinofans spürbar
machen. Trauer um den Niedergang des Kinos spürt man in mehreren
Episoden, knallhart und extrem sagt es nur David Cronenberg, der sich
selbst beim Selbstmord des letzten Juden der Welt im letzten Kino der
Welt live überträgt.

Lars von Trier zerschmettert den Kopf eines störenden Zuschauers,
Wenders zeigt Kinder-Gesichter des Krieges, Moretti schwelgt auf seine
witzig leidenschaftliche Art in eigenen Kino-Erinnerungen, in seinem
„Tagebuch eines Kinogehers". Wong Kar Wai taucht ein in Kinoerotik,
Egoyan verbindet per modernem Blackberry-Handy zwei Säle und lässt die
„Jeanne d'Arc" von Artaud in seinem „Schätzer" verbrennen.

Aber allen ist gemeinsam: Sie konzentrieren die Kinogemeinschaft der
großen Gefühle auf eine Gemeinschaft des großen Kinogefühls. Und dafür
gibt es wohl keinen besseren Ort auf der Welt als Cannes.

Sicko, Michael Moore

Man könnte es Propaganda nennen. Aber wer Michael Moores "Sicko" gesehen
hat, fiebert schmerzlich jeder neuen Gesundheitsreform entgegen. Wenn
Gesundheit ein Geschäft wird, wenn Ärzte bei Krankenversicherungen
Prämien fürs "Sparen" bekommen, dann freuen sich die
Wirtschafts-Liberalen und die mit Spitzfindigkeiten in Verträgen
"Eingesparten" sterben zu tausenden in den USA - jedes Jahr. Wer sich
dort keine Krankenversicherung leisten kann, es sollen 50 Millionen
sein, ist arm dran. Doch wer auf die kommerziellen Versicherer vertraut,
dem geht es richtig schlecht. Michael Moore zeigt mit bitterem Spott,
wie 70-Jährige für ihre Medikamente arbeiten müssen. Wie ein Ehepaar bei
der Tochter einziehen muss, weil Krebs und Herzanfälle die Ersparnisse
aufzehrten. Und wie immer wieder die Interviewten sterben müssen, weil
absurde Gründe die rettende Behandlung ablehnen. Dabei verdienen diese
Konzerne ähnlich gut wie die Pharmaindustrie. Nur das Gesundheitssystem
ist pleite.

Auf dem Höhepunkt der Moore'schen Naivität fährt er mit schwer kranken,
im Stich gelassenen 9/11-Helfern nach Cuba, wo die medizinische Andacht,
die sie erstmals nach Jahren erfahren, Tränen fließen lässt. Auch dass
ein Inhalator, der in den USA 120 Dollar kostet, dort für 5 Cent zu
haben ist, haut auf und vor der Leinwand um. Immer wieder gab es bei der
Cannes-Presse Szenenapplaus, wenn sich etwas gesunder Menschverstand in
Turnschuhe sowie Übergröße unter einer Basketball-Kappe an unglaublichen
Schweinereien, für alle offensichtliche Bestechungen und gnadenlosen
Praktiken reibt.

Mit herzlichem Mitgefühl freuen sich Kanadier, Franzosen und Engländer
vor Moores Kamera über ihre staatlich finanzierten und stattlichen
Behandlungen auf hohem Niveau. 125 Dollar gibt Cuba für die Gesundheit
jeden Einwohners jährlich aus. 6000 sind es in den USA, wobei die
Kommunisten hier das schönere Krankenhaus und die netteren Ärzte hatten.
Die längere Lebenserwartung in hoch entwickelten Ländern wie Ecuador
vermeldet Moore - den Anteil der Gesundheitskosten am Staatshaushalt
nicht. Der Cannes-Gewinner ist längst nicht mehr so spritzig und
unterhaltsam wie bei "Bowling for Columbine" oder bei "Fahrenheit 911",
mit dem er Bush und die Filmästheten auf die Palme trieb. Der regellose
Dokumentarist argumentiert haarsträubend und so simpel, dass es jeder
der adressierten US-Amerikaner verstehen kann. Aber man fragt sich,
weshalb erst so jemand herkommen muss, um diesen Wahnsinn anzuklagen.
(Der Spielfilm "John Q" von Nick Cassavetes und mit Denzel Washington
war wohl zu schlecht gemacht.) Tatsächlich sollte man jede Gesellschaft
danach beurteilen, wie sie mit den schwächsten umgeht. Siehe Hartz 4 und
Gesundheitsreform.

Man wundert sich, dass nur die amerikanische Zollbehörde - wegen des
nicht angemeldeten Cuba-Trips - heftige Geschütze gegen den Filmemacher
auffährt. Wer in Grishams "Das Urteil" von der Macht der
Zigarettenindustrie gelesen hat, ahnt, was bei der Gesundheitsindustrie
jetzt los sein wird.

18.5.07

Lebendige Magie

Unvergessliche Filmgeschichte und –Geschichten. Die besten Filmemacher der Welt. Magische Orte und Momente. Cannes macht am Sonntag einen Moment Pause, um auf sich selbst zu blicken. Auf den Mythos, an dem gleichzeitig eifrig und leidenschaftlich weitergeschrieben wird: „Chacun son cinema“ heißt die Kompilation von 33 berühmten Regisseuren, die jeder einen dreiminütigen Kurzfilm drehten. Derweil erlebt der Film im Wettbewerb mit David Finchers „Zodiac“ packende und mit dem Russen Andrei Zviaguintsev packend andere Geschichten.

Cannes, das sind die Namen, die Stars, der Sternenstaub, für den Menschen stundenlang anstehen, um einen guten Platz zu haben bei den allabendlichen Defilees über den Roten Teppich, der hier eine rote Treppe ist. Für die anderen glänzt Cannes wegen der anderen Namen, der Namen von Filmemachern mit ihren ganz eigenen Handschriften, den Autoren. Da wartet man auf den neuen Wong Kar-Wai oder einem weiteren Tarantino schon mal ein paar Jahre und plötzlich, hier in Cannes, scheinen sie alle das lang erwartete Geschenk unterm Arm zu haben. Und für noch ein paar andere geht es um die Abermillionen, mit denen Film im Keller des Filmpalastes ge- und verkauft wird. Der Glanz von bunter Action aus aller Welt riecht hier eher billig nach Plastik.

Vor Finchers „Zodiac“ zweifelte man kurz: Ist der Regisseur von „Seven“ und „Fight Club“ Cannes-Material? Also ein Autor mit eigener Handschrift? Nach 150 Minuten Jagd auf einen Serienkiller, die so ganz eigen gestaltet war, fiel sogar der Name Scorsese in den Besprechungen. Ein Ritterschlag für den Amerikaner. Er wandelte den Thriller in persönliche Obsessionen eines Zeitungskarikaturisten (Jack Gyllenhaal). Dazu ein perfektionistischer Retrostil, der die Jahrzehnte aufleben lässt, in denen Zodiac in Kalifornien mordete und die Polizei mit Briefen und Rätseln narrte.

 

Der Russe Andrei Zviaguintsev gewann mit „The Return“ den Golden Löwen von Venedig, ist knapp über vierzig und filmt, als wenn kein Körnchen im Bild verändert werden könnte. Dazu passte die griechische Geschichte des Bildhauers, der sein Kunstwerk nur freilegen muss. Die Steppenlandschaften, die britisch oder belgisch wirkenden Industriestraßen, die Gebäude wie von Tarkowsky … „Izgnanie“ (Die Verbannung) ist aus einem Guss, biblisch, höchst intensiv. Das Drama fesselt mit den intensiven Emotionen ursprünglich wirkender Figuren – da kann man ruhig eine Weile warten, bis die Tragödie zweier Brüder und einer vom falschen Mann Schwangeren offen liegt.

 

Das alles erlebt man in den zu üppigen roten Sesseln des Grand Theatre Lumiere. Und könnte in einem Moment der Ruhe sinnieren, welche Palmen-Sieger hier in früheren Jahren vor Aufregung geschwitzt, vor Freude geweint haben. Es ist das Grandiose an Cannes, lebendige Geschichte zu sein. Die „Preluden“ vor dem Wettbewerb zeigen diese Reflektion, kurze Begegnungen aus der Filmgeschichte mit Menschen vor und auf der Leinwand. Von Fellini, David Lean oder Buster Keaton. Und all das soll „Chacun son cinema“ am Sonntagabend mit einem sensationellen Auflauf an Prominenz feiern: Theo Angelopoulos, Manoel De Oliveira, Atom Egoyan, Aki Kaurismaki, Takeshi Kitano, Nanni Moretti, Roman Polanski, Lars Von Trier und Wim Wenders gehören zu den 33 Regisseuren, die jeweils in drei Minuten den Stand ihres Kinos reflektieren. Diese Regel bedeutete keineswegs eine Einschränkung: Wenders flmte im Congo und David Cronenberg in den Toiletten!

 

16.5.07

My Blueberry Nights, Wong Kar-Wai

In the Mood für Blaubeer-Küsse

Vom kalifornischen Venice Beach gehen die Erinnerungen zurück nach Coney
Island, an die Ostküste. Fast ein Jahr ist es nun her, dass Elisabeth
(Norah Jones) sich verzweifelt im Cafe Kluych nach ihrem Freund
erkundigte. Der englische Chef Jeremy (Jude Law) erinnert sich gut an
Leute, nur nie an ihre Namen, immer nur an ihr Essen. Wie die verlorene
Frau, die nicht allein sein will, bald Abend für Abend zum Reden kommt
und ihren Blueberry Pie, ihren Blaubeer-Kuchen mit Vanille-Eis essen
wird, bleibt ihm unvergesslich …

Das Ritual erlaubt ihnen eine ganz langsame Annäherung, lässt Trauer
verfließen und die Bilder der Überwachungskamera statt alter Geschichten
erzählen. Warme, gelb-grüne Töne passen zur rauchigen Stimme Elizabeths.
Bald fällt sie an seiner Seite in Schlaf. Ein Rest Eis verführt zum
wunderbaren, dem Schlaf und schönen Lippen geraubten Kuss. Dazwischen
geschnittenes Zusammenschmelzen von Beeren, Sahne und Eis macht die
reine Berührung hoch erotisch.

Der Moment kurz vor der Liebe ausgedehnt über ein ganzes Leben, oder
zumindest einen schönen langen Film, mit möglichst vielen kulinarischen
Szenen … das ist Wong Kar-Wai, das ist „In the mood for love". Nur
diesmal sind es nicht dampfende Nudelküchen, in denen sich erst Blicke,
dann Sehnsüchte und Säume wunderbarer Stoffe streifen. Der in
Kunstkino-Kreisen hoch verehrte Regisseur aus Hong Kong drehte erstmals
in Englisch. So wird Elizabeth NY nach langer Beziehung verlassen, vom
Imbiss ihrer verlorenen Liebe gen Westen aufbrechen – von einer Kneipe
zum nächsten Restaurant. Weil sie nicht schlafen kann, macht sie gleich
zwei Jobs, bis jemand sowohl in ihrem Tag- als auch im Nacht-Leben
auftaucht.

Im Rahmen dieser besonderen Begegnung zwischen Elizabeth und Jeremy
erzählt „My Blueberry Nights" von anderen Leidenschaften auf dem Weg der
Reisenden. Auch wenn der Film vor allem in dem New Yorker Cafe die
großen und kleinen Gefühle in ganz große traumhafte Kinomomente
umwandelt, zeigen auch die anderen gefühlvollen Geschichten schönes
Kino, mit heftigen Leidenschaften, saufenden und heulenden Männern,
denen verzweifelte Liebe das Genick bricht.

Ein ganzes Buch voller Geschichten erzählt eine Vase mit Schlüsseln, die
Jeremy von unglücklich Verliebten zum Aufbewahren hinterlassen wurden.
Er glaubt daran, dass Türen nicht für immer geschlossen bleiben. Und
seine Mutter lehrte ihm, wenn er mal verloren ginge, einfach stehen zu
bleiben und zu warten. Das erschwert seine Suche nach Elizabeth, die
längst immer wieder anders heißt, ihrem „Freund" Postkarten schickt,
aber vielleicht auch woanders Blaubeer-Kuchen isst.

Norah Jones, die als Jazz-Country-Sängerin ähnlich meinte: "Come Away
with Me", hat nicht die Eleganz von Gong Li, der Göttin aus Wong
Kar-Wais asiatischen Filmen. Das fällt besonders auf, wenn Rachel Weisz
in einer kleineren Rolle ähnlich cool stilisiert wird. Doch der
Seitenwechsel tut Wong Kar-Wai gut: Man erfreut sich an vielen bekannten
Stilen, erlebt aber auch ganz neu dynamische Montagen, etwas schnellere
Zeitlupen. Das gilt für Bild und Ton, den kreisenden Melodien von „Mood"
gesellen sich Jones-Akkorde hinzu. Die bewegendsten Momente dieses
wunderbaren Films treffen mit kurzem Flamenco-Klatschen oder mit einer
Version (Nina Simone?) von Neil Youngs „Harvest Moon" auf: Because I am
still in love with you …

Cannes-Kino hebt ab

Cannes. Noch bedeckt eine Schutzfolie den Roten Teppich, ein paar Ecken
des schon recht alten Betonbunkers namens "Palais des Festivals" werden
übertüncht. Am Tag vor Wong Kar-Wais "My Bleuberry Nights", dem
Eröffnungsfilm der 60. Internationalen Filmfestspiele von Cannes (16. -
27. Mai 2007) hat man noch Zeit zum Bummeln und Quatschen. Und als ob es
um EINE Entscheidung ginge, schwebt eine Frage im Raum: Wird Cannes die
60. so sensationell wie das Programm erhoffen lässt: David Fincher
("Seven"), die Coen-Brüder (Cannes-Sieger mit "Barton Fink", Kim Ki-Duk
("Samaria"), Gus van Sant (Goldene Palme mit "Elephant"), der Maler und
Regisseur Julian Schnabel, Quentin Tarantino (palmiert mit "Palm
Fiction"), Fatih Akin (Bären-Sieger mit "Gegen die Wand"), der elegische
Russe Sokurov und der ausufernde Emir Kusturica (Palme mit
"Underground"). Das war jetzt nicht die Gala-Gästeliste für die
Jubiläumsfeier zur 60.Ausgabe des Filmfestivals von Cannes. Die
moderiert am 20. Mai Alain Delon, der nach 15 Jahren wieder die Treppen
zum Palast emporgejubelt werden wird. Das ist ein nicht ganz normaler
Cannes-Wettbewerb, der extrem neugierig macht. Das größte Filmfestival
der Welt übertrifft sich wieder einmal selbst.

Wer wird denn gleich in die Luft gehen

Aber bevor die Filme - oft als Weltpremiere - gelaufen sind, sollte man
Bodenhaftung bewahren. Was nicht alle machen: Das sehr schöne
Plakatmotiv zum 60. zeigt berühmte Schauspieler und Regisseure freudig
schwebend. Zusammen mit der Agentur Magnum entwickelte man die Idee, die
Kultserie "Jump" des Fotografen Philippe Halsman aufleben zu lassen.
Schon 2006 sprangen 100 Künstler in Cannes vor der Kamera herum und sind
jetzt in reizvoll grafisch gruppierten Ensembles - etwa mit Almodovar,
Binoche, Cruz und Bruce Willis - auf vielen Postern zu sehen.

Frauen dürfen selbstverständlich auch abheben, obwohl sie
traditionsgemäß bei den Filmemachern im Wettbewerb seltene Blüten sind:
Nur drei Damen stehen 21 Herren gegenüber. Dafür darf dann das deutsche
Schauspiel-Nichts Diane Krüger die Eröffnungszeremonie leiten.
Spannender ist da schon der neue Wong Kar-Wai, der erste in Englisch
gedrehte Film des eigensinnigen Perfektionisten aus Hongkong: Die
Sängerin Norah Jones („Come away with me") spielt darin Elizabeth, die
nach einer harten Trennung quer durch die USA reist, um die wahre Tiefe
von Einsamkeit und Leere zu erfahren. Ihren Weg als wandernde Kellnerin
kreuzen andere sehnende Figuren, gespielt von schönen Menschen wie Jude
Law und Rachel Weisz.

Der Moment kurz vor der Liebe ausgedehnt über ein ganzes Leben, oder
zumindest einen schönen langen Film, mit möglichst vielen kulinarischen
Szenen … das ist Wong Kar-Wai, das ist „In the mood for love". Nur
diesmal sind es nicht dampfende Nudelküchen, in denen sich erst Blicke,
dann Sehnsüchte und Säume wunderbarer Stoffe streifen.

Die Jazz-Country-Sängerin Norah Jones hat nicht die Eleganz von Gong Li,
der Göttin aus Wong Kar-Wais asiatischen Filmen. Doch der Seitenwechsel
tut Wong Kar-Wai gut: Man erfreut sich an vielen bekannten Stilen,
erlebt aber auch ganz neu dynamische Montagen, etwas schnellere
Zeitlupen. Das gilt für Bild und Ton, den kreisenden Melodien von „Mood"
gesellen sich Jones-Akkorde hinzu.

"My Blueberry Nights" ist endlich mal ein richtiger Eröffnungsfilm -
nicht eine Werbeveranstaltung für Hollywood (2006: "DaVinci Code") oder
zu oft für einer eher großen als guten französischen Film. Man könnte
Wong Kar-Wai auch schon die Goldene Palme geben für sein großartiges
Gefühlskino mit den wunderbaren Bildern.

Nach den Eröffnungsfeierlichkeiten sollte man sich wappnen, denn schon
Donnerstag nimmt David Fincher, der Regisseur von "Seven", "Fight Club"
und "Panic Room" die Aufmerksamkeit mit einer bösen Geschichte in
Beschlag: "Zodiac" erzählt von einem echten Serienkiller, der mit
verschlüsselten Botschaften narrte und bis heute nicht gefasst ist.

Man fragt sich wirklich besorgt, wie eine so heterogene Jury, die mit
dem sozialkritischen Briten Stephen Frears, dem türkischen
Schriftsteller Orhan Pamuk, der Hongkong-Schauspielerin Maggie Cheung,
der französischen Darstellerlegende Michel Piccoli und der jungen
kanadischen Schauspielerin Sarah Polley besetzt ist, da zu einem Urteil
finden soll.

Letztes Jahr war Fatih Akin übrigens in der internationalen Jury, jetzt
läuft sein neuer Film "Auf der anderen Seite" im Wettbewerb. Er wurde
mitfinanziert aus Mitteln der Filmstiftung NRW, die sich im letzten Jahr
mit der Förderung von Ken Loachs "The Wind that shakes the Barley" ein
Blättchen von der Goldenen Palme verdiente. Insgesamt sind drei
"NRW-Filme" an der Croisette zu sehen: Fatih Akins deutsch-türkische
Koproduktion im Wettbewerb, Roy Anderssons ("Songs from the Second
Floor") "You The Living" in der Reihe "Un Certain Regard" und Jan Bonnys
Debütfilm "Gegenüber" bei den jugendlicheren "Quinzaine des
Réalisateurs". wurde „Gegenüber" Ende letzten Jahres komplett in Essen
gedreht. Deutscher Produzent der burlesken Komödie über die
Unwägbarkeiten des menschlichen Daseins ist die Thermidor
Filmproduktion/Köln.

Cannes 2007 fiebert

Cannes-Kino macht Freudensprünge

Von Günter H. Jekubzik

Cannes. Noch bedeckt eine Schutzfolie den Roten Teppich, ein paar Ecken
des schon recht alten Betonbunkers namens "Palais des Festivals" werden
übertüncht. Am Tag vor Wong Kar-Wais "My Bleuberry Nights", dem
Eröffnungsfilm der 60. Internationalen Filmfestspiele von Cannes (16. -
27. Mai 2007) hat man noch Zeit zum Bummeln und Quatschen. Und als ob es
um EINE Entscheidung ginge, schwebt eine Frage im Raum: Wird Cannes die
60. so sensationell wie das Programm erhoffen lässt: David Fincher
("Seven"), die Coen-Brüder (Cannes-Sieger mit "Barton Fink", Kim Ki-Duk
("Samaria"), Gus van Sant (Goldene Palme mit "Elephant"), der Maler und
Regisseur Julian Schnabel, Quentin Tarantino (palmiert mit "Palm
Fiction"), Fatih Akin (Bären-Sieger mit "Gegen die Wand"), der elegische
Russe Sokurov und der ausufernde Emir Kusturica (Palme mit
"Underground"). Das war jetzt nicht die Gala-Gästeliste für die
Jubiläumsfeier zur 60.Ausgabe des Filmfestivals von Cannes. Die
moderiert am 20. Mai Alain Delon, der nach 15 Jahren wieder die Treppen
zum Palast emporgejubelt werden wird. Das ist ein nicht ganz normaler
Cannes-Wettbewerb, der extrem neugierig macht. Das größte Filmfestival
der Welt übertrifft sich wieder einmal selbst.

Wer wird denn gleich in die Luft gehen

Aber bevor die Filme - oft als Weltpremiere - gelaufen sind, sollte man
Bodenhaftung bewahren. Was nicht alle machen: Das sehr schöne
Plakatmotiv zum 60. zeigt berühmte Schauspieler und Regisseure freudig
schwebend. Zusammen mit der Agentur Magnum entwickelte man die Idee, die
Kultserie "Jump" des Fotografen Philippe Halsman aufleben zu lassen.
Schon 2006 sprangen 100 Künstler in Cannes vor der Kamera herum und sind
jetzt in reizvoll grafisch gruppierten Ensembles - etwa mit Almodovar,
Binoche, Cruz und Bruce Willis - auf vielen Postern zu sehen.

Frauen dürfen selbstverständlich auch abheben, obwohl sie
traditionsgemäß bei den Filmemachern im Wettbewerb seltene Blüten sind:
Nur drei Damen stehen 21 Herren gegenüber. Dafür darf dann das deutsche
Schauspiel-Nichts Diane Krüger die Eröffnungszeremonie leiten.
Spannender ist da schon der neue Wong Kar-Wai, der erste in Englisch
gedrehte Film des eigensinnigen Perfektionisten aus Hongkong: Die
Sängerin Norah Jones spielt darin Elizabeth, die nach einer harten
Trennung quer durch die USA reist, um die wahre Tiefe von Einsamkeit und
Leere zu erfahren. Ihren Weg als wandernde Kellnerin kreuzen andere
sehnende Figuren, gespielt von schönen Menschen wie Jude Law und Rachel
Weisz.

Nach den Eröffnungsfeierlichkeiten sollte man sich wappnen, denn schon
Donnerstag nimmt David Fincher, der Regisseur von "Seven", "Fight Club"
und "Panic Room" die Aufmerksamkeit mit einer bösen Geschichte in
Beschlag: "Zodiac" erzählt von einem echten Serienkiller, der mit
verschlüsselten Botschaften narrte und bis heute nicht gefasst ist.

Man fragt sich wirklich besorgt, wie eine so heterogene Jury, die mit
dem sozialkritischen Briten Stephen Frears, dem türkischen
Schriftsteller Orhan Pamuk, der Hongkong-Schauspielerin Maggie Cheung,
der französischen Darstellerlegende Michel Piccoli und der jungen
kanadischen Schauspielerin Sarah Polley besetzt ist, da zu einem Urteil
finden soll.

Letztes Jahr war Fatih Akin übrigens in der internationalen Jury, jetzt
läuft sein neuer Film "Auf der anderen Seite" im Wettbewerb. Er wurde
mitfinanziert aus Mitteln der Filmstiftung NRW, die sich im letzten Jahr
mit der Förderung von Ken Loachs "The Wind that shakes the Barley" ein
Blättchen von der Goldenen Palme verdiente. Insgesamt sind drei
"NRW-Filme" an der Croisette zu sehen: Fatih Akins deutsch-türkische
Koproduktion im Wettbewerb, Roy Anderssons ("Songs from the Second
Floor") "You The Living" in der Reihe "Un Certain Regard" und Jan Bonnys
Debütfilm "Gegenüber" bei den jugendlicheren "Quinzaine des
Réalisateurs". wurde „Gegenüber" Ende letzten Jahres komplett in Essen
gedreht. Deutscher Produzent der burlesken Komödie über die
Unwägbarkeiten des menschlichen Daseins ist die Thermidor
Filmproduktion/Köln.

14.5.07

Das perfekte Verbrechen


USA 2007 (Fracture) Regie: Gregory Hoblit mit Sir Anthony Hopkins, Ryan Gosling, David Strathairn 112 Min. FSK: ab 12
 
Vor zwölf Jahren herrschte "Zwielicht" in einem raffiniert überraschenden, brillant gefilmten und gespielten Gerichtsthriller: Star Anwalt Martin Vail (Richard Gere) siegte mit seinem Lächeln und fiel auf einen jungen Verdächtigen rein, der aus dem Haus eines brutal geschlachteten Bischofs türmte. Das Motto des Films lautete: "Wenn du Gerechtigkeit willst, geh in einen Puff. Willst du gefickt werden, dann geh ins Gericht."
 
Jetzt: "Das perfekte Verbrechen". Wieder brillante Bilder, ein raffiniertes Spiel mit Spiegelungen, eitle Selbstüberschätzung verkörpernd. Unter spannungstreibenden Flugaufnahmen gleitet diesmal nicht Richard Gere in seinem Markenzeichen-Mercedes durch die Landschaft, Anthony Hopkins rast als schwerreicher Ingenieur Ted Crawford im BMW kaltblütig vom Lotterbett seiner Frau nach Hause, um sie dort später zu erschießen. Doch diesmal sind die Rollen vertauscht, der alte Star Hopkins darf mit dem Jungen spielen - Crawford führt den eitlen Star- und Staatsanwalt Willy Beachum (Ryan Gosling) vor.
 
Beachum hat als dümmlich smarter Schnellaufsteiger die Staatsanwaltschaft schon längst hinter sich gelassen, um bei einer noblen Kanzlei viel Geld zu machen. Der Mordversuch Crawfords soll sein letzter Fall werden, der Ankläger ist gerade mehr mit Smoking-Einkauf und Bürodekoration für seinen nächsten Job beschäftigt. Es gab ein schnelles Geständnis, ein klarer Fall, der Mörder will sich sogar gegen alle Empfehlungen selbst verteidigen. Doch dann merkt man, dass gar keine Tatwaffe da ist.
 
Die Gerichtssitzung beginnt als Komödie eines unaufmerksamen Angeklagten und Verteidigers in Personalunion. Crawford spielt den Narren und führt als vernichtenden Schlag einen neuen juristischen Terminus ein: "fucking the victim". Ein Polizist und Hauptzeuge war nicht zufällig auch der Geliebte des Opfers!
 
Diese Rolle ist ein gefundenes Fressen für Hopkins. Seinen Figuren traut man alles zu, und dieser Angeklagte enttäuscht nicht: Crawford lässt Beachum so was von lässig auflaufen, da sind gleich ein paar Szenen Anwärter auf die Sammelrolle zur Filmgeschichte. Das ist Hannibal Lecter, der unblutig seine Gegner schon im Anfangsverhör vernascht. In einer dieser sagenhaften Momente, erzählt Crawford, wie er den schwachen Fleck, den Riss ("Fracture") in der Schale von jedem erkennt. Und Willy sei ein "Winner", ein Sieger. Doch auch der geniale Entwurf eines perfekten Verbrechens hat einen kleinen Riss. Das Duell der beiden bleibt bis zum Ende höchst spannend.
 
Die Texte (im Original) konkurrieren in ihrer Brillanz mit den Bildern, die sich zunehmend verdunkeln. Dazu bis in die hinteren Ränge hervorragendes Schauspiel - Hoblit, der seit "Zwielicht" viel Fernsehen und zwischendurch den übersinnlichen Thriller "Fallen" mit Denzel Washington realisierte, schließt nahtlos an seinem Meisterwerk an, ohne dass es jemals langweilig wird.

2 Tage Paris


Frankreich/Deutschland 2007 (2 Days in Paris) Regie: Julie Delpy mit Julie Delpy, Adam Goldberg, Daniel Brühl 100 Min. FSK: ab 12
 
"Before Sunrise" war mit Julie Delpy so schön romantisch ... für alle, die lieber warten als lieben. In "Before Sunset" belohnte Richard Linklater das Warten und versüßte es mit guten Gesprächen. Aber "2 Tage Paris" (diesmal von und mit Julie Delpy) ist das wahre tolle Leben - nachher. Und umwerfend komisch. Wie eine Tochter Woody Allens streift Delpy mit ihrem amerikanischen Freund durch Paris und liefert einen sensationell guten eigenen Film ab.
 
Nach dem missglückten Venedig-Trip steigen die New Yorker Jack (Adam Goldberg) und Marion (Delpy) für zwei Tagen in Paris bei den Eltern der Französin ab. Der kulturelle Graben zwischen Frankreich und den USA belastet zunehmend die Beziehung und testet ihre Grenzen aus. Das Niedermachen der Amerikaner wird zur umwerfenden Comedy-Show. Fast eine Stunde Feuerwerk an geistreichen oder gemeinen Pointen, sagenhaften One-Liners (im Original) überfordert auch den größten Comedy-Fan. Dazu ein schwindelerregender Stil mit hektischen Kameraschwenks. Diesmal geht es rund bei der Paris-Rundfahrt mit Julie Delpy. Die gemächlichen Fahrten von Linklater will man hier nicht sehen, diese Frau hat eine ganz andere Power.
 
Ein Knaller sind die offenen Gespräche mit tollen Hippie-Eltern, die herrlich über den neuen Freund und seine sexuelle Ausrichtung ablachen. Der versteht überhaupt nichts, weil er nicht Französisch spricht und die Eltern kein Englisch. Man amüsiert sich über internationale Kondom-Größen bevor Marions Mutter, die mal was mit Jim Morrison hatte, mitten im Sex die frisch gebügelte Wäsche hochbringt. Auf gute Weise von Moralischem erleichterte Menschen erfreuen ebenso wie die dauergeilen Ex-Liebhaber amüsieren. Die fette Familien-Katze ist dabei komischer als eine ganze Staffel von irgendwelchen TV-Heinis. Daniel Brühl hat eine ganz tolle Kurz-Szene als Öko-Attentäter von der Fast Food-RAF.
 
Genau in dem Moment, als die Lachmuskel schmerzhaft werden, kommt es zur Trennung des Paares und zum poetisch pessimistisch Resümee des Liebeslebens ... vor der Versöhnung. Auch das Stille, Tiefgründige meistert die knapp über 30-jährige Blonde, die von den einfältigeren Magazinen immer zu den schönsten Frauen gewählt wird. So ist sie nicht nur komisch wie eine Tochter von Woody Allen, sie erzählt wichtige Dinge auch besser, weil nicht immer albern. Julie Delpy schrieb fast alle Dialoge, zeigt nebenbei Mut zum eigenen Gesicht und Stil. Hinter der dicken Brille dürfen da auch Ränder unter den wachen Augen liegen.
 
Die wunderschöne Musik stammt von Marc Collin, der uns bereits mit den zwei CDs von "Nouvelle Vague" erfreut hat. Wie vorher in den lahmen Linklaters steuerte die Delpy, die schon eine CD mit eigenen Songs veröffentlichte, wieder ein Liedchen bei. Sie war wohl mit Buch, Schnitt, Hauptrolle und Regie nicht ausgelastet. Sensationell - dieser Film und diese Frau! Kino ist reicher seit alledem.

7.5.07

Black Book


NL, BRD, Großbritannien 2006 (Zwart Boek) Regie: Paul Verhoeven mit Carice van Houten, Sebastian Koch, Thom Hoffman, Halina Reijn 145 Min.
 
Paul Verhoevens "Black Book" - im Original: "Zwart boek" - ist nicht nur der erste niederländische Film des erfolgreichen Hollywood-Regisseurs seit Jahrzehnten, es ist für 20 Millionen Euro auch eine der teuersten Produktionen des kleinen, aber mit Oscars für "Antonia" und "Karakter" sehr renommierten Filmlandes. Vor allem dort sorgte "Zwart boek" für Diskussionen, wird doch der einst fast heilige Widerstand sehr differenziert und teilweise auch negativ gezeigt: Als das Versteck der jungen, frohgemuten Jüdin Rachel (sehr wandlungsfähig: Carice van Houten aus "Die geheimnisvolle Minusch") zufällig ausgebombt wird, beginnt für das Mädchen aus reicher Familie eine Odyssee. Beim Fluchtversuch ins freie Belgien kommt ihre ganze Familie um, SS-Truppen rauben die Wertsachen der abgeschlachteten Juden. Ein paar Leidens-Stationen weiter macht Rachel mit blond gefärbten Haaren beim Widerstand mit und opfert sich, den Hauptsturmführer Ludwig Müntze (Sebastian Koch) zu verführen. Im Haager Hauptquartier der Nazis begegnet sie auch den Mördern ihrer Eltern, doch Verrat aus den eigenen Reihen durchquert alle Sabotage-Pläne.
 
Im "Zwart Boek" stehen die niederländischen Widerstandskämpfer oft schlechter dar als die "Moffen", die deutschen Besatzer. Müntze erweist sich als naiver Soldat mit gutem Herzen, während der Verräter für seinen Reichtum reihenweise Juden morden ließ. Antisemitismus ist bei Niederländern weit verbreitet, die Frage ob ein jüdisches Leben so viel wert sei wie ein holländisches wird nur rhetorisch gestellt. Dies wird nach einigen Enthüllungen der letzten Jahre das Bild des Widerstands erneut in die Diskussion bringen.
 
Paul Verhoeven drehte 1960 seinen ersten Film und bald danach mit "Floris" die populärste niederländische TV-Serie aller Zeiten. Auch "Das Mädchen Ketje Tippel", "Soldiers" oder "Spetters" waren sehr erfolgreich. "Türkische Früchte", nach dem provokativen Roman von Jan Wolkers gilt gar als Bester Niederländischer Film des letzten Jahrhunderts! Schon "Der vierte Mann", nach der Vorlage des gefeierten wie angefeindeten Literaten Gerard Reve, war ein internationaler Kassenschlager, in Hollywood ging es mit "Robocop", "Total Recall", "Basic Instinct", "Starship Troopers" und "Hollow Man" weiter. Nun kehrte Verhoeven in seine Heimat zurück, vielleicht auch eine Idee für untergehende Hollywood-Titanen wie Wolfgang Petersen.
 
Die zwar enttäuschend konventionell inszenierte, aber trotzdem erschütternde Widerstandsgeschichte von Paul Verhoeven ("Basic Instinct") startet als niederländisch-deutsche Ko-Produktion und gefördert von der Filmstiftung NRW nach dem Auftritt im Wettbewerb von Venedig nun endlich auch in deutschen Kinos.

Die Eisprinzen


USA 2007 (Blades of Glory) Regie: Josh Gordon, Will Speck mit Will Ferrell, Jon Heder, Will Arnett, Amy Poehler 93 Min.
 
Schwer verortbar zwischen Satire und skurrilem Klamauk schlittert der Humor durch diesen Film. In den us-amerikanischen Komödien rund um Leute wie Jack Black, Ben Stiller und Will Ferrell gedeiht ein Witz, der auch im Wortsinn unfassbar ist. "Die Eisprinzen" legen zwischen Kopfschütteln und Lachen in einer neuen Blödel-Farce eine Revue dieses seltsamen Genres hin.
 
Schon die ersten Töne schrecken ab: "Time to say goodbye" schnulzt es auf der Tonspur, während in einer Winterlandschaft voller Lieblichkeit ein blond gelocktes Waisen-Knäblein von ein paar herzensguten Nonnen an einen Millionär verkauft wird. Der Schwung dieses Kitsches springt mühelos ein paar Jahre weiter, wo Jimmy (Jon Heder) im unsagbar grotesken Pfauenkostüm und mit noch schlimmeren Bewegungen dabei ist, eine Goldmedaille im Eiskunstlauf zu ... Hier fehlen schon die Worte, denn Eiskunstlauf ist als "Sport" zwar ähnlich abstrus wie Synchronspringen oder Curling, doch diese Nummer übertrifft alles: Geschmacklosigkeit in Edelkitsch-Form? Pailletten- und Rüschen-Gleiten auf eine Spitze getrieben, die einem Kettensägen-Massaker an Perversität nicht nachsteht!
 
Der Auftritt des Konkurrenten Chazz könnte Gegengift für das tuntige Theater sein, doch die übergewichtige Sex-Bombe bringt nur eine weitere Abstrusität des Films aufs Eis, denn Will Ferrell hat für diese Rolle sicherlich kein Gramm abgenommen und amüsiert schon als personifizierte Unmöglichkeit, all diese Sprünge zu überleben. Eine fettige Obszönität auf dem Eis.
 
Der weitere Handlungsverlauf beruht auf nur einer Idee, die man erschreckend konventionell auswalzt: Jimmy und Chazz müssen sich die Goldmedaille teilen, prügeln sich bei der Verleihung und werden auf Lebenszeit gesperrt. Kurz vor den nächsten Olympischen Spielen sind beide ganz unten, aber die Idee, beim Paarlauf zu starten, bringt sie zurück aufs Eis. Allerdings müssen sie sich zusammenraufen, da niemand anders mit den beiden Ekeln laufen will. Diese seltsame Paarung aus stinkigem Macho und übersüßem Jüngling führt zu herrlich eindeutigen Posen auf dem Eis, knappen Ekel-Einlagen, ein paar Verwicklungen in der Handlung und selbstverständlich zum großen Finale. Außer auf dem Eis zeigt der Film keine richtigen Figuren, nur reichlich sonderliche Parodien.
 
Mit dem Komiker Ben Stiller ("Nachts im Museum") als Produzenten hebt der Humor in Sphären ab, die wie bei Jack Black als "Nacho Libre" unbeschreiblich sind - und auch irgendwie unfassbar. Ist das jetzt genial überdreht persifliert? Oder ein aufs Eis gerotztes Filmchen, erdacht an einem versoffenen Abend von Comedy-Kumpels beim Ehemaligen-Treffen der legendären Show "Saturday Night Live"? Schwer zu sagen, man muss wenigstens eine dieser unbeschreiblich überblödelten Farcen sehen.

Unsichtbar


USA 2006 (The Invisible) Regie: David S. Goyer mit Justin Chatwin, Margarita Levieva, Marcia Gay Harden 102 Min. FSK: ab 12
 
Der Reiz des Unmöglichen begeistert in Begegnungen anderer Welten, etwa in "Ghost". Dazu etwas amerikanische High-School-Härte samt Melancholen-Rock und fertig ist das Drama eines jungen Mannes, der verzweifelt Kontakt sucht - weil er eigentlich halbtot und verscharrt im Wald liegt...
 
Wohlhabend, kultiviert, gebildet - Nicklas (Justin Chatwin) hat nur zuhause Probleme. Doch wegen einer Verwechslung wird er von der Gang der Schul-Patin Annie (Margarita Levieva) zusammengeschlagen und als vermeintlich tot im Wald vergraben. Ohne eine Schramme wandelt er allerdings durch die Gegend und versucht, mit den Lebenden Kontakt zu bekommen. Seltsamerweise funktioniert das aber nur bei seiner Fast-Mörderin Annie und die schwierige, verletzende Frau ist panisch auf der Flucht vor allen. Sie hört seine Stimme, es entwickelt sich eine seltsame Beziehung mit Kuschelnächten und neugierigen Momenten der Annäherung. Wohlgemerkt steht nicht nur das unterschiedliche Geschlecht zwischen einer Verständigung, Nicklas wandelt als Geist zwischen Leben und Tod.
 
Während die Charakterisierungen der Figuren nicht übermäßig mit Tiefe fesseln, sehen die Bilder dieses Remake des schwedischen Films "Den Osynlige" gut aus und beschert die Handlung reizvolle Begegnungen mit viel Gefühl im Totenreich. Am Ende wird es fast ein Thriller, ein Wettlauf um Leben und Tod. Denn als Annie schließlich den Körper ausgraben will, ist der verschwunden. Wobei die Moral der braven Bürger siegt, nur die Schlechten kommen in den Garten. Annie lässt ihr Haar herunter, wandelt sich von Zerstörerin zum rettenden Engel, holt ihn mit einer Umarmung zurück ins Leben. Die Zähmung der wilden Frau zum Opferlamm hatten wir eigentlich schon tief im Wald der Vergangenheit vergraben.

1.5.07

Spider-Man 3


USA 2007 (Spider-Man 3) Regie: Sam Raimi mit Tobey Maguire, Thomas Haden Church, Kirsten Dunst
 
Kinder starren in den Straßen New Yorks staunend auf eine Videowand mit Clips von Spidermans neuen Heldentaten. Stolz weist der Held im Peter Parker-Inkognito neben ihnen darauf hin, dass der Film gleich wiederholt wird. Zwecklos: Die Kids drehen ab. Der dritte "Spiderman" will eher Fortsetzung als Wiederholung sein, geriet aber zu mehreren Filmen, die sich nicht recht zusammenfügen.
 
Im oscarreifen Vorspann zeigen sich schon diese Facetten in einem Netz aus Spiegel-Brechungen. Doch erst setzt man uns bürgerlicher Normalität aus, während draußen die Gefahren Gestalt annehmen. Peter Parker (Tobey Maguire) hat als sehr beliebter Superheld, als glücklich verliebter und in dieser Harmlosigkeit schwer erträglicher Jüngling den Verlobungsring schon in der Tasche. Mary Jane Watson (Kirsten Dunst) steht auf einer Broadway-Bühne vor ihrem ersten großen Auftritt. Dann die typischen Beziehungsprobleme: Er ist im Beruf erfolgreicher, sonnt sich im Ruhm, während sie aus ihrer Rolle geschmissen wird. So ein ausgebreitet fernsehmäßiges Beziehungsdrama interessiert nicht, meinen Sie? Richtig! Aber "Spider-Man 3" lässt sich dreist viel Zeit, bis er zur Sache kommt.
 
Rund eine Stunde baut Regisseur Sam Raimi seine Figuren auf: Ein liebender Vater gerät in Verzweiflung zum gigantischen und kriminellen Sandsturm. Ein eindrucksvolles Fest für digitale Effekthaischer. Dazu zeigt weit hergeholter, schwarzer Alien-Schleim Parker die dunkle Seite der Macht auf. Der rot-blaue Ganzkörper-Latex kommt in den Koffer, ein schwarzer Spider-Man nimmt sich ganz dreist eine Menge heraus, Tobey Maguire wirkt als Superman mit Hitler-Pony und Soulgehampel allerdings wie eine Witzfigur. Kann dieser immer noch jungenhaft wirkende Star nur mit Maske cool sein?
 
Splitter mehrerer Filme bremsen die Dynamik von "Spider-Man 3" aus. So kommt der fortgeführte Konflikt mit dem ehemaligen Kumpel und Schurken-Erbe Harry Osborn (James Franco) nicht genügend zur Geltung. Wenn die Jungs dann um eine Frau raufen, ist die Comic-Adaption ganz Kinderfilm. Selbstverständlich wird in rasender Action durch Häuserschluchten geschlingert. Dem organischen Vernetzen der fliegenden Spinne steht der technischen Firlefanz von Harry gegenüber. Eindrucksvoll auch wie der frisch mutierte Sandmann nach seiner Form sucht, das hat was von der Tragik eines Golem, da blitzt eine andere Dimension auf.
 
Ansonsten kann man lachend mit Parker, dem der Sand aus den Latex-Anzug rinnt, rätseln: Wo kommen diese Typen bloß immer her? Vom Comic-Autor Stan Lee (der selbst ganz kurz mit silbernem Schnurrbart neben Maguire zu sehen ist). Doch eindrucksvoll oder tragisch ist dieser dritte Film nicht mehr. Bemerkenswert nur am Ende, dass Vergebung statt Rache den Kampf gewinnt. Da wünscht man sich, der ganze Film sei so erwachsen.