26.12.06

Nachts im Museum


USA 2006 (Night at the Museum) Regie: Shawn Levy mit Ben Stiller, Carla Gugino, Robin Williams 108 Min. FSK: ab 6
 
Schöne Idee: Nachts werden all die Exponate, die Wachsfiguren und die ausgestopften Tiere eines Naturkunde-Museums lebendig. Und mitten drin der Komödiant Ben Stiller. Der garantiert, dass der Familienfilm nicht extrem dramatisch gerät. Und da man sich im Museum der Filme mit ganz vielen Spezialeffekten neben "Jumanji" einreihen will, können sogar die Kinder mit ins Kino. Ist doch besser, als wenn sie sich in Museen rumtreiben...
 
Papa Larry (Ben Stiller) hat Probleme mit seinem Sohnemann. Der droht abzudriften, weil der neue Freund der Mutter so ein Börsenheini mit reichlich Elektronik am Ohr und am Gürtel ist. Also braucht Larry auch einen "vernünftigen" Job und bewirbt sich beim Naturkundemuseum. Direkt bekommt er einen Posten als Nachtwächter und direkt die erste Schicht. Als alle Türen verschlossen sind, eröffnet der Dinosaurier die Jagd auf den völlig verblüfften Neueinsteiger. Das riesige Skelett will allerdings nur Stöckchen holen, während die Mongolen rauere Spielchen drauf haben. Dann nehmen eine römische Armee und ein Western-Dorf Larry in die Zange, schießen Kugeln und Pfeile ab - zum Glück sind es nur Miniaturfiguren. Langsam dämmert es dem gehetzten Aufseher, dass er besser das Handbuch gelesen hätte, wo ausführlich drin steht, wer wie besänftigt werden kann. Auch der in Wachs verewigte US-Präsident Teddy Roosevelt (Robin Williams) erweist sich als väterlich strenger Helfer. Die hinterhältigen Gemeinheiten des gemeinen Kapuzineräffchens kann allerdings auch er nicht stoppen.
 
Im Museum ist eine Menge los - zumindest wenn die wenigen Besucher weg sind! Inmitten der reichhaltigen Abenteuerchen, der viel Ein- und Überfälle von allen Seiten, muss sich Larry bewähren, muss er "endlich mal was zu Ende bringen", wie überdeutlich wiederholt. Drei Nächte hat er, um die Anerkennung seines Sohnes zu gewinnen, eine Kollegin zu interessieren und ein paar Ganoven zu stoppen. Ben Stiller gibt mit gebremsten Klamauk den Sympathieträger, sein Kumpel Owen Wilson ist als Mini-Cowboy auch wieder dabei. Doch eine Hauptrolle spielen die Spezialeffekte, die alles was nicht niet- und nagelfest ist, wild animieren. Das erstaunt schon nicht mehr so wie noch bei "Jumanji", Unterhaltung ohne Nachwirkungen ist allerdings gesichert.

25.12.06

Farce of the Pinguins


USA 2007 (Farce of the Penguins) Regie und Buch: Bob Saget, mit Samuel L. Jackson, Christina "Dumpfbacke" Applegate, James Belushi, Whoopi Goldberg, Mo'Nique 77 Min.
 
Hängen euch die Pinguin-Filme auch so zum Hals raus wie vorgekaute Fische? Dann noch dieser als geniales Gegengift. Die Wahrheit über das Leben der Pinguine ist komischer als alle Trickfilme zu dem Thema zusammen. Man stelle sich vor, Oliver Kalkofe und Otto stolpern über einige Rollen Pinguin-Dokumentarfilm. Da sie schon gut betrunken sind, machen sie, was man mit diesen Tierfilmen immer machen möchte. Sie synchronisieren den ganze Kram neu und das nicht zimperlich. Zum Umwerfen komisch!
 
Alljährlich machen sich die Pinguin-Männer auf den Weg zum Futter und marschieren dann hundert Kilometer zurück zu ihren Frauen. Wenn man gerade eine Religion vorm Aussterben retten will, dann lässt man sie esoterischen Quatsch reden wie in "Reise der Pinguine". Wenn man hören will, was Pinguine wirklich denken, darf man nicht "Happy Feet", man muss "Farce of the Penguins" sehen.
 
Carl (Bob Saget) and Jimmy (Lewis Black) wandern zusammen und quasseln ununterbrochen. Carl leidet unter Midlife Crisis während die Lady ihre eigenen Probleme haben. Melissa (Christina Applegate) und Vicky (Mo'Nique) finden, die Männer sind Schweine. Außer Sydney, der ist schwul. Carls letzte hat ihn verlassen, weil sie ein größeres Haus wollte. Die Vorgängerin ging wegen einer anderen Frau und die vorher, weil er nicht koscher gegessen hat.
 
"Ich sehe was, was du nicht siehst und es ist .... schwarz-weiß!"
In den ersten Minuten erzählt Samuel L. Jackson von Schamhaaren, die man sich um die Beine wachsen lassen sollte, weil es dort an der Antarktis sooooo kalt ist. Dann scheißt eine Möwe direkt auf die Kamera und man weiß so ungefähr, ab man im richtigen Film ist. Wenn man vermenschlicht, dann richtig. Mit Rülpsen, flötenden Marschliedern, Beschwerden über die Hintergrundmusik und einer Schneeeule (James Woods) als Psychoanalytiker. Pinguine unterhalten sich nicht nur über den Fisch, den sie gerade rauf oder runter würgen. Sie streiten sich auch mal mit dem Erzähler, dem herrlich angeödeten Samuel L. Jackson - nicht Morgan Freeman wie bei der "Reise". Der Regisseur Bob Saget spricht selbst den Woody Allen-Charakter Carl (und war auch schon bei "Madagaskar" als Stimme dabei). Und - es geht nicht ohne - dann sind da auch die Lieder, mindestens ein völlig überzogenes Liebesduett muss in solchen Filmen drin sein.
 
Kurz tauchen auch zwei französische Pinguine auf, die sich den Film auf einem Flachbildschirm mitten im Eis ankucken und sicher sind, dass ihnen niemand den Oscar nachmachen wird. Aber weitaus mehr Spaß haben, als mit dem völlig überschätzten Geflügel-Salat.

Der weiße Planet


Kanada/Frankreich 2006 (La Planète Blanche) Regie: Thierry Ragobert, Thierry Piantanida 81 Min. FSK: o.A.
 
Liegt es vielleicht an unserer Klimakatastrophe, an den schmelzenden Polkappen, dass Pinguine und Eisbären mit ihren "Happy Feet" die Kinos überschwemmen? Nachdem "Die Reise der Pinguine" als Sensations-Erfolg auch einen Oscar bekam, werden Pingu & Co. wohl bei der nächsten Verleihung alle Darstellerpreise abräumen. Eine Parodie ist mittlerweile auch schon gedreht, "Farce of the Pinguins". Die eher "klassische" Tier-Doku "Der weiße Planet" schwimmt mit auf dieser Welle, ist aber in Bild und Schnitt eher ein kleiner Fisch.
 
Die brave Dokumentation zeigt die Jahreszeiten am Nordpol und wie die Tiere dort damit zurechtkommen. Eindrucksvolle Aufnahmen einer Eisbären-Mutter mit ihren Säuglingen in der Winterhöhle machen klar, dass hier der ewige Wechsel der Tier-Filmer mit ausgefallenen Perspektiven auffallen will. Immer mal wieder versteckt sich die Kamera unter dem Schnee, es geht unter Wasser zu den Narwalen mit ihrem mythisch wirkenden Horn, und zu weißen Belugas, die blicken, als seien sie nicht von dieser Welt. Die ersten Schritte eines Rentieres bis zum eindrucksvollen Zug zehntausender dieser Tiere in der Tundra gehören noch zu den beeindruckenden Momenten des Tierfilmchens.
 
Ansonsten wird in etwas mehr als einer Stunde am Nordpol und um ihn herum Tierleben bunt durcheinander gemixt, wieder begleitet von pseudo-poetischem Gesülze auf der Tonspur, wenn auch nicht ganz so schlimm wie in der "Reise der Pinguine". Reizvoll dabei die Musik von Bruno Coulais mit den Originalstimmen einiger Inuit. Was den Fan von Sielmann, Grzimek und Co. allerdings tief trifft, ist eine seltsame Selbstzensur der Macher: Tierkinder sind immer einfach da und Essen holen sich die Viecher wohl im Supermarkt. Bei dieser blutarmen, prüden Sicht der Dinge wird man demnächst die Kinder noch eigenhändig aufklären müssen. Wer die atemberaubende BBC-Produktion "Deep Blue" kennt, wird diese Doku auch als Resteverwertung ansehen.

Déjà Vu - Wettlauf gegen die Zeit


USA 2006 (Déjà Vu) Regie: Tony Scott mit Denzel Washington, Paula Patton, Val Kilmer 127 Min. FSK: ab 12
 
Denzel Murmeltier
 
Das hab ich doch schon mal gesehen? Das Kino von heute ist mit seinen Remakes und dem Übergewicht von Effekten bei Missachtung von Ideen eine Zeitmaschine ins Gestern. Doch Produzent Bruckheimers Science Fiction funktioniert über lange Zeit auch anders rum: Man vergisst die Zeit und findet sich gut unterhalten plötzlich zwei Stunden in der Zukunft wieder.
 
Ganz wie Tom Cruise in "Minority Report" jongliert diesmal Denzel Washington mit den Bildern einer totalen Überwachung. Als ATF-Agent Carlin versucht er den Bomben-Anschlag auf eine vollbesetzte Fähre aufzuklären. Wissenschaftler des FBI gewähren dem erstaunten Kriminologen Einblick in die Vergangenheit. Mit ein wenig Raumzeit-Krümmung (und einigen Stromausfällen) können sie genau vier Tage und sechs Stunden zurückblenden. Und in diesem vergänglichen Zeitfenster frei umherblicken. Doch wie soll man einen unbekannten Täter finden, wenn einem die Zeit schon wieder durch die Finger rinnt. Carlin verfolgt hautnah jeden Schritt von Claire Kuchever (Paula Patton), die kurz vor dem Unglück vom Täter ermordet wurde. Dabei entdeckt er nicht nur den (amerikanischen und patriotischen) Bombenleger sondern auch Gefühle für Claire. Klar, dass irgendwann die Grenze überschritten wird - Carlin lässt sich in die Vergangenheit teleportieren.
 
Auch Regisseur Tony Scott stößt mit seiner Ästhetik bei diesem Sci Fi-, Action- und Liebesfilm eine neue Tür auf: Die Bilder der Schiffskatastrophe sind derart hyperrealistisch, dass 3D schon greifbar scheint. Im trauernden Regen, der sich über das Wrack und die Opfer legt, wirkt jeder Tropfen inszeniert. Die Gischt in Zeitlupe gleicht einer Komposition. Nach beeindruckender Werbe-Ästhetik zum Einstieg übernimmt Denzel Washington als effektiver und sympathischer Ermittler Carlin die Aufmerksamkeit. Neben verblüffendem Science Fiction sorgen Action-Einlagen für anhaltende Spannung. Sehr originell eine rasante Verfolgungsjagd, bei der Carlin dem Täter zwar an der Stoßstange klebt, sie aber zeitlich doch über vier Tage voneinander entfernt sind. Während er mit einem Auge den Verkehr (nicht richtig) im Auge behält, blickt das andere über ein Helm-Set in die Vergangenheit!
 
Ein paar mal erreicht der Film eine reizvolle Verknotung von Gehirnwindungen, wenn man versucht den Krümmungen des Raums und der Logik zu folgen. Ganz wie bei "12 Monkeys" schickt der Held Nachrichten per Anrufbeantworter an sein zukünftiges (vergangenes?) Ich. Doch danach wurde Terry Gilliams noch besser, während Tony Scott hier die Action-Maschinerie einschaltet. Jetzt erkennt man "Deja Vu" als schon oft gesehenes Bruckheimer-Produkt wieder. Doch das Wiedersehen mit einem zu allen Zeiten genialen Denzel Washington bringt einen gut über das letzte Drittel des Films.

21.12.06

The Wind That Shakes The Barley


Großbritannien, Frankreich, Irland 2006 (The Wind That Shakes The Barley) Regie: Ken Loach mit Cillian Murphy, Liam Cunningham 124 Min.
 
Der siebzigjährige Ken Loach analysiert in dem diesjährigen Cannes-Sieger "The Wind That Shakes The Barley" den irischen Befreiungskampf auf erschütternde wie packende Weise und zeigt, dass es bei all diesen blutigen Auseinandersetzungen keine "Guten" geben kann. Mit "The Wind That Shakes The Barley" schaut der Brite Ken Loach nach nebenan, analysiert und dramatisiert drastisch den Kampf der Iren gegen brutale britische Kolonialisten. Aber auch den Niedergang der Utopie einer sozialistischen irischen Republik lässt der alte Kämpfer an der filmischen Rotfront nicht aus.
 
Im Irland des Jahres 1920 beginnt es harmlos mit einem Hockey-Spiel der Männer auf dem Feld. Weil dabei mehr als eine Handvoll Männer versammelt sind, eine verbotene Veranstaltung unter dem britischen Regime. Und so endet das Spiel mit dem brutalen Todknüppeln des jungen Ire, der sich die Schikane und die Erniedrigungen der englischen Soldaten nicht mehr gefallen ließ, der sich weigerte, seinen irischen Namen englisch auszusprechen. Nach nur zehn Minuten will man nie wieder einen britischen Pfund in London oder sonst wo im British Empire ausgeben. Nach einer halben Stunde ist man bereit, alle Queen Mum- und Princess Diana-Tassen dieser Welt zu zerschmettern, so wirkungsvoll lässt Loach sein Publikum, die Unterdruckung, die Folter und die Exekutionen erleben!
 
Doch "The Wind That Shakes The Barley" (der Titel entstammt einem Gedicht von Robert Dywer Jones) ist kein verlogenes Hollywood-Märchen von Unterdrückung und Befreiungskampf. Mit dem jungen, engelsgesichtigen Mediziner Damien (Cillian Murphy) fühlt man auch, was es heißt, Menschen für die eine oder andere politische Direktive umzubringen, wie sehr die Seele daran verkrüppelt, wenn das große Ziel den Mitmenschen zu eliminierbaren Spielfiguren macht. Nicht nur die frühe IRA und die Briten bringen sich und die Menschen dazwischen um. Später - als die Briten Irland (nicht Nord-Irland!) schon verlassen haben - geht das Morden zwischen den Fraktionen der Befreiungskämpfer weiter, klassisch angelegt im Kampf zwischen Damien und seinem älteren Bruder Teddy (Pádraic Delaney).    
 
So wie man Ken Loach aus vielen anderen Filmen wie "Land and Freedom", "My Name is Joe" oder "Carla's Song" kennt, nehmen auch diesmal das Engagement für die Unterdrückten, der liebvolle und auch genaue Blick mit. (Erneut förderte die Filmstiftung NRW einen Ken Loach-Film.) Historische Genauigkeit zeichnet "The Wind That Shakes The Barley", diesen zeitweise konstruiert wirkenden Loach aus, etwa darin, nicht die jungen britischen Soldaten als Bösewichte zu zeichnen, sondern die herrschende Schicht der Ausbeuter verantwortlich zu machen. So wäre es fast putzig, wenn es nicht so grausam wäre, zu sehen, wie Amateure des Guerilla-Kampfes es mit einer Armee aufnehmen, die seit Jahrhunderten in Ausbeutung und Unterdrückung von Völkern weltweit spezialisiert ist.
 
Ein großer, packender historischer Film mit Herz und Leidenschaft, der als Cannes-Sieger ein großes Publikum erreichen sollte.

Die Rotkäppchen-Verschwörung


USA 2005 (Hoodwinked) Regie: Cory Edwards, Todd Edwards, Tony Leech 80 Min.
 
Hänsel und Gretel als Kriminalroman gab es schon mal juristisch dröge auf Papier. Doch diese Rotkäppchen-Recherche ist aus einem anderen Stoff. Aus bunten Bits und Bytes nämlich. Allerdings ist in diesem alten Märchen nichts wie es war und wie scheint...
 
Zuerst die Fakten: Rotkäppchen kommt mit dem Körbchen voller Leckereien ins Haus der Großmama, wo sie der Wolf in Verkleidung erwartet. Als der Schwindel auffliegt, kommt es zum Kampf, in den nicht nur die gefesselte Oma, sondern auch ein Axt schwingender Waldmann eingreift. Dann trifft die Polizei ein.
 
Die Polizisten-Schweine machen sich erst mal über den Picknick-Korb her, bevor Detektiv Nick Flippers, ein verschlagener Disco-Frosch, Licht in die düstere Geschichte bringt. Nacheinander verhört er alle Beteiligten. Dabei erweist sich Rotkäppchen als selbstsichere, junge Frau. Der Wolf entpuppt sich als haariger Vertreter des investigativen Journalismus, um ihn herum immer das fotografierende Eichhörnchen mit Reporter-Hut und auf Koffein-Trip. Der Wolf war im Schafspelz auf der Suche nach Informationen, denn in einer Diebesserie entwendete ein Unbekannter die Rezepte aus allen Läden des Waldes. Der Holzfäller, der so wild herumfuchtelnd mitten in die Geschichte platzte, kann hingegen von der Liste der unüblichen Verdächtigen gestrichen werden. Er ist nur ein untalentierter Schauspieler, der sein Geld mit einem mobilen Schnitzel-Imbiss verdient, Schnitzel am Stil wohlgemerkt. Für eine Werberolle, wollte er den wilden Waldmann in sich finden.
 
Allerdings muss man hier alle fragen: Großmutter, wieso sieht deine Frisur aus wie Plastik? Rotkäppchen, warum hast du so grobe Gesichtszüge? Förster, weshalb gehst du wie ein Automat? Ästhetisch reibt sich das Auge an kantige Bewegungen und arg simpel animierte Figuren. Hier wurde bewusst nicht die eleganteste Form der digitalen Animation für die Holzschnitt-Figuren gewählt. Aber die sind erst mal ziemlich komisch und vor allem völlig überraschend angelegt. Hier überlebt kein Rollenklischee, selbst die kranke Großmutter war am Handy (!) nur kurzatmig, weil sie gerade mitten Ski-Rennen steckte. Heimlich räumt die alte Dame regelmäßig die Pokale bei Extreme-Sport-Wettbewerben ab, mit heißer Band und Stinktier am Schlagzeug. Vor allem die Stimmen bringen den Charakter zum Leben, im Original werden die Figuren von Schauspielern wie Anne Hathaway, Glenn Close, James Belushi (Förster) oder Chazz Palminteri gesprochen. Die deutsche Syncro ersetzt durch Sarah Kuttner, Hans Werner Olm, Axel Prahl, Max Raabe und Smudo.
 
Im Kreuz-Verhör überschneiden sich die Varianten und Perspektiven der Geschichte - Akira Kurosawas Klassiker "Rashomon" wurde hier einmal zügig durch den Malkasten gejagt. Das ergibt ziemlich viele schräge Ideen und einige Action-Einlagen in einem technisch simplen Film. Mit diesem Rotkäppchen können die Kinoleute schon mal die Korken knallen lassen.
 

19.12.06

Flutsch und weg


USA 2006 (Flushed Away) Regie: David Bowers, Sam Fell 84 Min. FSK: o.A.
 
Was wäre, wenn sich eine der knudddelig-skurrilen Knetfiguren aus der Werkstatt von Wallace & Gromit in die digitalisierten Trickwelten von Pixar & Co. verirren würde? Wird es die liebvoll geformten Charaktere im Rausch der Geschwindigkeit und der Effekte zerreißen? Mitnichten! Die Zusammenarbeit von DreamWorks Animation ("Shrek") und den Londoner Aardman-Studios vereint das Beste aus beiden Welten. "Flutsch und weg" und hinein in den sympathischen Trick-Spaß.
 
Die reiche, verwöhnte aber einsame Streichelratte Roddy lebt im Londoner Nobelviertel Kensington und im Goldenen Käfig. Allein zu Hause macht sich der sehr menschlich wirkende Nager einen schönen Tag mit Barbie-Figuren, einer James Bond-Filmpremiere (im Anzug und auf DVD) und sportlichen Turnieren. Bis die Kanalratte Sid mit Lederjacke und Slang bei ihm einfällt. Das schmuddelige Chaos schlüpft mit durch den Ausguss und als Robby den ruppigen Mitbewohner über die Klospülung entsorgen will ("Toller Whirlpool, versuch's mal!"), flutscht er selbst über die Sickergrube, die er einem anderen graben wollte, in Abgründe der Kanalisation.
 
Roddy entdeckt ein unterirdisches Mini-London - inklusive kleinem Big Ben - aus Haushaltsgegenständen nachgebaut. Alles überwältigend kunterbunt und quirlig, so stolpert das verwöhnte Schoßtierchen durch das richtige Leben, ins Boot von Rita und mit ihr direkt hinein in eine stinkige Gaunerei. Da will ein dicker, durch Prinz Charles traumatisierter Frosch Rache an den Ratten nehmen, will sie mit der berüchtigten Halbzeitpausen-Flut hinwegspülen. Und der tollpatschige Roddy - im immer mehr ramponierten Smoking - ist plötzlich tatsächlich in der Bond-Rolle, in der er sich immer reingeträumt hat...
 
Nicht nur Film wird reichlich und komisch zitiert, "Flutsch und weg" gewinnt einen Teil seiner zahllosen Scherze aus der Klein-Groß-Perspektivverschiebung. Da ist die auch im kleineren Maßstab ähnlich funktionierende, widererkennbare große Welt. Aber da sind auch die umgenutzten Gegenstände der Menschen, wunderbar komisch durch die Mini-Perspektive, wenn Roddy und Rita zum Beispiel mit einer British Air-Plastiktüte im Stile von Montgolfiere abheben.
 
Vordergründig dreht sich alles um einen Rubin, doch Rita mit den rubinroten Haaren und ihrer großen, liebenswert chaotischen Familie ist der eigentliche Schatz, den es für Roddy zu entdecken gilt. So rauft er sich zusammen mit der ingeniösen Lara Croft im Miniformat.
 
Der tolle Zeichentrick wimmelt nur so von genialen Einfällen und witzigen Details, wie Werbebotschaften für den Sänger "40 Pence". Unter den gegnerischen, französischen Ninja-Fröschen ist ein Pantomime im Stile Marcel Marceaus mit aberwitziger Videobotschaft. Oder der Muskelmann, der im Labor eines Shampoo-Herstellers arbeitete, was ihn von Schuppen befreite. Und von den Haaren.
 
Aardman brachte dem herrlichen Spaß nett vermenschlichte Figuren bei. Den Humor von "Wallace & Gromit" und auch einige bekannte Gesichtszüge erkennt man wieder. Dazu gibt es Verfolgungsjagd durch die Kanalisation wie in Costners "Waterworld". Die Jet-Skis werden dabei durch Handmixer ersetzt und passend von Schlagsahne im Wasser gebremst. Allerdings hört auch da, wo sich amerikanische Animationshits irgendwann von der Handlung mitreißen lassen, der Strom umwerfender Ideen nie auf: Roddy findet Nemo in der Kanalisation, aber auch ziemlich viele Blutegel. Diese erweisen sich als geniale und umwerfend komische Sidekicks, begleiten die Handlung kommentierend und musikalisch.
 

Apocalypto


USA 2006 (Apocalypto) Regie: Mel Gibson mit Rudy Youngblood, Dalia Hernandez, Jonathan Brewer 140 Min. FSK: ab 12
 
Eigentlich gehören Filme wie dieser in die schmutzige Splatter-Ecke. Aber Mel Gibson hat's gemacht, da will man doch wissen, welche Fettnäpfchen der antisemitische Superstar im südamerikanischen Dschungel um Jahr 1500 herum findet. Gibson lässt sie alle mit Blut vollaufen und erfüllt die schlimmsten Erwartungen.
 
Den ersten Adrenalin-Stoß gibt es bei einer Tapir-Jagd. Das erlegte Tier wird waid- und Mel-gerecht ausgenommen, die Eingeweide in die Kamera gehalten. Das werden wir noch öfter sehen, dann allerdings mit Menschenherzen! Das freundliche Urwaldvolk lebt und scherzt viel, bis ein technisch überlegenes Volk (mit haufenweise Riesen-Piercings im Gesicht) über sie herfällt, mordet, vergewaltigt. Der junge Held Jaguarpfote kann gerade noch Frau und Kind in einem tiefen Erdloch verstecken, bevor er selbst gefangen genommen wird. In einem brutalen Marsch führt man die Überlebenden ab. Die Frauen als Sklavinnen, die Männer als Opfer in religiösen Riten.
 
Im Kern ist "Apocalypto" ein simples Abenteuerfilmchen, wie man es von Hollywood erwartet: Gut und Böse sind deutlich erkennbar. Menschen und Fratzen, aber dabei unsäglich brutaler und blutrünstiger als der Mainstream. In der Film-Welt von Gibson wimmelt es von Sadisten, vor allem ein besonders grimmiger Fähnlein-Führer quält diesmal die Jaguarpfote und experimentiert mit den Gefangenen. Der verängstigte Zug erlebt zwischen Maya-Pyramiden das Grauen einer hoch stehenden Zivilisation: Hässliche Massenszenen, religiöser Fanatismus, Tausende, die ihrem höchsten Priester zujubeln.
 
Die kulturellen Errungenschaften der Maya gründen auf den blutigen Boden einer Sklaven-Gesellschaft. Die Pyramiden entstanden, damit abgeschlagene Köpfe lustig von oben runter purzeln können. Leichen gibt es in schrecklichen Mengen. Kein Wunder, dass da Altertumsforscher und Vertreter indigener Völker wütend aufschreien.
 
Das Anfangs-Zitat warnt vor dem Zerfall der Kulturen. Damit das Gemetzel überhaupt einen Sinn haben soll, redet man vom Ende der Maya-Kultur. Dabei ist das einzige Zeichen von Verfall hier die exzessive Gewalt, von der Mel Gibson besessen ist. Eine toll gefilmte, exzellent ausgestattete Psychopathen-Schmiererei vor spannenden Landschaften und eindrucksvollen Kulissen.
 
Der "Kinosadist", wie der "The Hollywood Reporter" Gibson bezeichnet, setzt die Blutspur seiner unerträglichen "Passion Christi" fort. "Apocalypto" ist auch überwältigend - im negativen Sinne. Der trinkfreudige Antisemit verbreitet ein düsteres, bluttriefendes Weltbild. Im Gegensatz zum Jesus-Film allerdings mit Happy End! Doch dann kommen die Spanier, man freut sich, dass der Film zu Ende ist, auch wenn jetzt das eigentliche Schlachten, Morden, Vergewaltigen erst beginnen muss. Aber das dann im Namen des Kreuzes, des Folterinstruments, das Gibson eben so sehr fasziniert wie die Gewalt.

Babel


USA 2006. Regie: Alejandro González Iñárritu. Buch: Guillermo Arriaga Jordan. Mit: Brad Pitt, Cate Blanchett, Said Tarchani, Gael García Bernal 142 Min.
 
Wer schon Jahresbestenlisten geschrieben hat, muss unbedingt noch einmal ins Kino. "Babel", der Nachfolger vom sensationell rauen "Amores Perros" und dem nach Erlösung suchenden "21 Grams", verbindet in drei packenden und anrührenden Geschichten das Leiden um die Welt. Internationale Stars wie Brad Pitt, Cate Blanchett oder Gael García Bernal ("Die Reise des jungen Che") überraschen mit ungewohnten Rollen.
 
Zwei Kinder, marokkanische Ziegenhirten, probieren das neue Gewehr des Vaters mit folgenreicher Zielgenauigkeit aus. Die amerikanische Touristin Susan (Cate Blanchett) sitzt reglos im Bus bevor der Schmerz sie trifft. Susan ist schwer verletzt, ihr Mann Richard (Bratt Pitt) versucht in einem abgelegenen Dorf, die Blutung zu stillen. Krankenwagen und Helikopter werden durch eine sofort aufflammende diplomatische Krise gestoppt. Das Paar steckt in der selbst gegrabenen Grube westlicher Politik, die ideologisch jeden Verkehrsunfall als Terrorakt verkaufen muss.
 
Der "terroristische Anschlag" zeigt Auswirkungen in den USA und auch in Japan, er trifft mühsam aufrecht erhaltenen Fassaden von Menschen in Trauer. Eine mexikanische Kinderfrau soll die zwei süßen Gringo-Kids noch einen Tag länger betreuen - so macht es der weiße Boss am Telefon mit unmissverständlicher Freundlichkeit klar. Damit sie aber nicht die Hochzeit ihres Sohnes verpasst, nimmt sie ihre Schützlinge mit nach Mexiko - mit dramatischen Folgen. Derweil provoziert eine taubstumme junge Japanerin ihre Umgebung sexuell, stellt sich den polizeilichen Untersuchungen gegen ihren verwitweten Vater gegenüber. Und findet den jungen Polizisten sehr reizvoll...
 
Globalisierung einmal anders: Von hinten durch die Brust geht es mächtig ins Auge. Ein Schuss in Marokko findet seinen Weg durch drei komplex verwebte Handlungsstränge über die Globalisierung des Schmerzes: 3 Episoden, 3 Kontinente, 6 Welten. Raffiniert zeitversetzt gezeigt, tragisch miteinander verbunden und ebenso prominent wie brillant besetzt.
 
Alejandro González Iñárritu inszeniert nach dem sensationell rauen "Amores Perros" und dem nach Erlösung suchenden "21 Grams" in "Babel", diesen Abschluss seiner Trilogie, wieder packend, die Musik von Gustavo Santaolalla ("Die Reise des jungen Che") reißt mit wie im Moment kaum eine andere. Der Reiz des globalen Zusammenhangs liegt gerade in den fernen Beziehungen. Nur ist es diesmal nicht der Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Sturm am anderen Ende der Welt auslöst, sondern die kleine Bewegung des Fingers am Abzug des Gewehres.
 
In Cannes gab verdientermaßen den Regiepreis für Alejandro González Iñárritu und seinem ebenso mit dem Privaten wie mit dem Politischen ergreifenden Meisterwerk. Grandiose Momente, intensive Einblicke in diese Winkel der Welt. Das blutige Huhn-Ritual bevor Susan ohne Betäubung operiert wird. Der still laute Rausch in einer japanischen Disco. Der Himmel über der mexikanischen Wüste. Babel ist überall und wurde selten so faszinierend buchstabiert.

Wild X-Mas


USA 2005 (Just Friends) Regie: Roger Kumble mit Ryan Reynolds, Amy Smart, Anna Faris 94 Min. FSK: ab 6
 
Süßer die Worte nie klingen, als wenn eine freche Weihnachtskomödie angekündigt wird. Billy Bob Thornton als "Bad Santa" auf Diebes- und Sauftour - so bekam Weihnachten einen neuen Sinn. Doch dieser Niko-Klau setzte sich nicht durch und deshalb wäre als Übersetzung für "Wild X-Mas" (im amerikanischen Original "Just Friends") korrekt: "Milde Weihnacht".
 
Der fette Chris und die flotte Jamie sind dicke Freunde. Obwohl er Punchingball und sie Liebling der Highschool ist. Aber Chris will mehr, er liebt Jamie und bekommt eine Abfuhr. Jahre später legt Chris als Schönling im Showgeschäft reihenweise Frauen flach. Gerade soll er das blondes Doofchen Samantha für einen Plattendeal rumkriegen, als ihr Flieger bei ihm zuhause in New Jersey notlandet. Die Begegnung mit Jamie gerät katastrophal. Weder als Aufreißer mit Porsche auf verschneiten Straßen noch als Softie kann Chris seine alte Liebe erobern. So geht er zwischen Neuem und fettem Image, zwischen Aufreißer und unsicherem Jüngelchen langsam und mäßig komisch unter.
 
Schon die anfänglich Rückblende mit arg auffälligem, um's Gesicht geschminktem Kunstfett macht Angst bei dieser romantischen Komödie zur Weihnachtszeit. Obwohl die Protagonisten die Zwanzig überschritten haben, aussehen wie Erwachsene, sind sie dem Personal der Teenie-Komödie längst noch nicht entwachsen. Hier ist zu Weihnachten noch alles nett, selbst der Zynismus. Wenn die aufwendigste Weihnachtsdeko des Staates grandios vernichtet wird, wenn der dämliche Star mit Schaum vor Mund zugrunde geht, sind das seltene Highlights in einem schnell vergessenen Serienprodukt.

Der Pakt - The Covenant


USA 2005 (The Covenant) Regie: Renny Harlin mit Steven Strait, Sebastian Stan, Laura Ramsey 97 Min. FSK: ab 12
 
Wenn man sieht - sehen muss - wie viele Jugendliche Woche für Woche beim Teenie-Horror umgebracht werden, wundert man sich nicht mehr, weshalb unsere Gesellschaft so vergreist. Aber es gibt Hoffnung auf Besserung - wenn auch nicht ästhetisch gesehen...
 
Renny Harlin unterhielt uns mit "Stirb langsam 2", "Tödliche Weihnachten" oder "Cliffhanger" rasant routiniert und action-reich. Als Meister des Action-Genres gibt der Hollywood-Finne diesem Teenie-Film Dimensionen, die weit über dem Durchschnitt sind.
 
Vier Jungs machen eine Elite-Uni in Neu-England nicht nur mit ihrem guten Aussehen unsicher. Manchmal blitzen ihre Augen auf und Zauberei kommt ins Spiel. Sie entstammen alten Hexen-Familien der Gegend. Doch leider altern sie hässlich schnell, wenn sie ihre Macht benutzen. Auch aus anderen Gründen halten sie sich bedeckt - bis auf einen. Schüler werden ermordet und zwei Freundinnen der knackigen Jung-Zauberer sind mit einem Spinnen-Fluch belegt...
 
Harlin schenkt uns direkt eine richtig erwachsene Verfolgungsjagd (wenn man es irgendwie als erwachsen bezeichnen kann, mit Autos durch die Gegend zu rasen). Durch die Luft wirbelnde Schönlinge, Wolken splitternden Glases, ein Ford Mustang zerlegt sich im heftigen Crash und fügt sich wie von Geisterhand hinter dem dicken Laster wieder zusammen. Selten wurden die unerlässlichen Schreckmomente so eindrucksvoll eingesetzt. Und selten sahen die zu schönen Model-Schüler mit den Luxuskörpern so gut aus. Dazu fängt die Kamera auch die Herbstlandschaft von Neu-England sehr reizvoll ein. Ein passender Ort, denn dort verbrannte man in Realität und Literatur besonders gerne Hexen.
 
Albern wird die Übertragung der alten Geschichten nur wenn im runen-übersäten Versammlungskeller das Handy klingelt. Und Dialoge, Erklärungen oder Auflösungen kann man getrost zum Popcorn-Holen nutzen.

18.12.06

Lichter der Vorstadt


Finnland, BRD, Frankreich 2006 (Laitakaupungin Valot) Regie: Aki Kaurismäki mit Tommi Korpela, Maria Järvenhelmi, Ilkka Koivula, Aarre Karén, Maria Heiskanen, 78 Min.
 
Seit mehr als zwanzig Jahren dreht der Finne Aki Kaurismäki seine lakonischen Filme. 16 abendfüllende sind es mittlerweile: "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik", "I hired a contract killer", "Leningrad Cowboys" ... Auf den ersten Blick immer die gleiche Tristesse der Arbeiterklasse, über deren trockener, aber meist stark alkoholisierter Hinnahme des Schicksals man sich herrlich amüsieren kann. Aufrechte Verlierer, stille Kämpfer, die nie verzagen, auch wenn der Selbstmord wieder ein Versuch bleibt.
 
Der schweigsame Koistinen (Janne Hyytiäinen) ist einer von ihnen: Der Wachmann erlebt Einsamkeit nicht nur bei seinen nächtlichen Kontrollgängen und in der kargen Mini-Wohnung. Selbst die Kollegen Wachmänner schneiden ihn. Plötzlich taucht eine Frau in seinem Leben auf. Und was für eine! Die attraktive Mirja (Maria Järvenhelmi) ist eine Erscheinung aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben, aus einem anderen Film.
 
Eigentlich könnte auch irgendwo in Neonlettern "Femme fatale" oder "Blonde Versuchung" aufleuchten. Mirja ist in jeder Faser Falle und Versuchung. Mehr als Hoffnung hat Koistinen allerdings nicht von der kurzen Liaison. Bald füllt sie ihn ab, entwendet ihm die Dienst-Schlüssel. Die Gang des Gangsterbosses Lindström (Ilkka Koivula) raubt ihn Seelenruhe den Juwelier aus und versteckt ein paar Klunker, eine Spur des Verbrechens bei Koistinen. Der könnte fliehen, er könnte Mirja anzeigen. Aber so was macht man bei Kaurismäki nicht. Dort sitzt man die Strafe aus, wie man vorher das Leben auf der anderen Seite des Gitters ausgesessen hat.
 
Kaurismäki ist ein Meister der Ökonomie. Meist nimmt er seine Schauspieler schon während der Probe auf. "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" war 69 Minuten kurz, für das deutsche Fernsehen schummelte er ein paar Minuten hinzu. Im Reigen der Meisterregisseure ist der Autor, Regisseur und Produzent ein relativ Junger und gleichzeitig ein Relikt. Der Verächter von Fernsehen und amerikanischer Unkultur dreht nur auf 35mm-Film, niemals auf Video. Seine Filme stecken voller Zitate alter Meister und kaum ein Mensch hat noch das filmhistorische Wissen, diese Ebene zu verstehen. Aber trotz der tristen Sujets seiner jetzt abgeschlossenen Verlierer-Trilogie aus "Wolken ziehen vorüber" (Arbeitslosigkeit), "Der Mann ohne Vergangenheit" (Obdachlosigkeit) und "Lichter der Vorstadt" (Einsamkeit) ziehen die Filme des Finnen nicht runter. Es ist nicht das furchtbare Lamento nur gut gemeinter sozialer Anklagen. Es sind Meisterwerke mit aufrechten Helden der Arbeiterklasse. Mit einer faszinierenden Farbdramaturgie, deren Grundfarben aus dem originellen Retro-Deko herausleuchten. Und mit einer einzigartigen Mischung aus finnischem Tango und dem Blues, der sicher auch seine Wurzeln dort im dunklen Norden hat.

13.12.06

Liebe braucht keine Ferien


USA 2006 (Holiday) Regie: Nancy Meyers mit Jude Law, Kate Winslet, Jack Black, Cameron Diaz 135 Min. FSK: o.A.
 
"Was Frauen wollen" - Nancy Meyers weiß es. Und macht aus dieser Erkenntnis so gute Herzens-Komödien, dass auch die Männer gerne mit ins Kino gehen können. Eine liebliche Liebeskomödie mit exzellenter Besetzung - genau so gut, wie sie sein darf, damit möglichst viele ins Kino rennen.
 
Eine doppelte Geschichte von Liebes-Leid und -Glück, erzählt von der unglücklich verliebten Engländerin Iris (Kate Winslet), die immer noch ihrem Ex hinterher jammert. Derweil in Hollywood die überarbeitete Amanda (Cameron Diaz) wieder einmal einen Freund rauswirft. Sie ist Workaholic und so erfolgreich in ihrem Filmjob, dass sie sogar ihr verpfuschtes Leben als Trailer sieht. Dazwischen startet sie verzweifelte Versuche, endlich mal zu weinen. Während Iris in einem fort heult, James Taylor hört und schon deshalb zwangsläufig am Gas schnüffelt.
 
Da kommt die große Flucht ganz recht. Oder ist es gar fast buddhistisch, das Leben, das man gerade so hasst, einfach auszutauschen. Komplett. Haus, Auto, Freunde ... Mit einem flotten Internet-Chat ist schnell der Wohnungstausch arrangiert, schon am nächsten Tag geht es über den Teich ins neue Leben für zwei Wochen.
 
Vom sonnigen Kalifornien ins verschneite England und umgekehrt. Iris flippt angesichts ausufernden Luxus aus, Amanda zwängt sich albern in das gemütliche Landhäuschen und hat erwartungsgemäß Probleme mit dem Linksverkehr im - deutlich sichtbaren - Studiodorf. Es folgen noch ein paar abgestandene Scherze dieser Art und während viele Überraschungen auf die beiden Frauen warten, bekommt das Kinopublikum genau, was es erwartet. Die Romantische-Komödien-Expertin Nancy Meyers spielt ganz exzellent auf der Gefühlsklaviatur, das große Sentiment dabei immer leicht und luftig gerührt mit einer Prise Humor.
 
"Liebe braucht keine Ferien" kommt als nahezu perfekter Vertreter seines Genres daher: Auf einem Nebenstrang wird die Hymne auf das altes Hollywood gesungen und Nancy Meyer kommt dem streckenweise richtig nahe. Elegant und flott montiert, sprudelnde Dialoge, gute Besetzung: Cameron Diaz bleibt ziemlich nervig, aber Mitleid hat man doch mit ihr. Nur die unerträglich aufdringliche Musik von Hans Zimmer stört. Winslet lässt die Herzen schmelzen. Sie ist der menschlichste Charakter, da bräuchte es gar nicht unbedingt die Episode mit dem alten, hilfsbedürftigen Nachbarn Arthur (Eli Wallach), um den sie sich kümmert. Der alte Hollywood-Autor fasst es treffend zusammen: You are a Leading Lady, but you are behaving like a best friend. (Du verdienst eine Hauptrolle, aber du versteckst dich in einer Nebenrolle.) Nancy Meyers jedenfalls kann mit solchen Filmen schon mal auf eine Hauptrolle am Hollywood-Himmel schielen.

5.12.06

Flutsch und weg


USA 2006 (Flushed Away) Regie: David Bowers, Sam Fell 84 Min. FSK: o.A.
 
Was wäre, wenn sich eine der knudddelig-skurrilen Knetfiguren aus der Werkstatt von Wallace & Gromit in die digitalisierten Trickwelten von Pixar & Co. verirren würde? Wird es die liebvoll geformten Charaktere im Rausch der Geschwindigkeit und der Effekte zerreißen? Mitnichten! Die Zusammenarbeit von DreamWorks Animation ("Shrek") und den Londoner Aardman-Studios vereint das Beste aus beiden Welten. "Flutsch und weg" und hinein in den sympathischen Trick-Spaß.
 
Die reiche, verwöhnte aber einsame Streichelratte Roddy lebt im Londoner Nobelviertel Kensington und im Goldenen Käfig. Allein zu Hause macht sich der sehr menschlich wirkende Nager einen schönen Tag mit Barbie-Figuren, einer James Bond-Filmpremiere (im Anzug und auf DVD) und sportlichen Turnieren. Bis die Kanalratte Sid mit Lederjacke und Slang bei ihm einfällt. Das schmuddelige Chaos schlüpft mit durch den Ausguss und als Robby den ruppigen Mitbewohner über die Klospülung entsorgen will ("Toller Whirlpool, versuch's mal!"), flutscht er selbst über die Sickergrube, die er einem anderen graben wollte, in Abgründe der Kanalisation.
 
Roddy entdeckt ein unterirdisches Mini-London - inklusive kleinem Big Ben - aus Haushaltsgegenständen nachgebaut. Alles überwältigend kunterbunt und quirlig, so stolpert das verwöhnte Schoßtierchen durch das richtige Leben, ins Boot von Rita und mit ihr direkt hinein in eine stinkige Gaunerei. Da will ein dicker, durch Prinz Charles traumatisierter Frosch Rache an den Ratten nehmen, will sie mit der berüchtigten Halbzeitpausen-Flut hinwegspülen. Und der tollpatschige Roddy - im immer mehr ramponierten Smoking - ist plötzlich tatsächlich in der Bond-Rolle, in der er sich immer reingeträumt hat...
 
Nicht nur Film wird reichlich und komisch zitiert, "Flutsch und weg" gewinnt einen Teil seiner zahllosen Scherze aus der Klein-Groß-Perspektivverschiebung. Da ist die auch im kleineren Maßstab ähnlich funktionierende, widererkennbare große Welt. Aber da sind auch die umgenutzten Gegenstände der Menschen, wunderbar komisch durch die Mini-Perspektive, wenn Roddy und Rita zum Beispiel mit einer British Air-Plastiktüte im Stile von Montgolfiere abheben.
 
Vordergründig dreht sich alles um einen Rubin, doch Rita mit den rubinroten Haaren und ihrer großen, liebenswert chaotischen Familie ist der eigentliche Schatz, den es für Roddy zu entdecken gilt. So rauft er sich zusammen mit der ingeniösen Lara Croft im Miniformat.
 
Der tolle Zeichentrick wimmelt nur so von genialen Einfällen und witzigen Details, wie Werbebotschaften für den Sänger "40 Pence". Unter den gegnerischen, französischen Ninja-Fröschen ist ein Pantomime im Stile Marcel Marceaus mit aberwitziger Videobotschaft. Oder der Muskelmann, der im Labor eines Shampoo-Herstellers arbeitete, was ihn von Schuppen befreite. Und von den Haaren.
 
Aardman brachte dem herrlichen Spaß nett vermenschlichte Figuren bei. Den Humor von "Wallace & Gromit" und auch einige bekannte Gesichtszüge erkennt man wieder. Dazu gibt es Verfolgungsjagd durch die Kanalisation wie in Costners "Waterworld". Die Jet-Skis werden dabei durch Handmixer ersetzt und passend von Schlagsahne im Wasser gebremst. Allerdings hört auch da, wo sich amerikanische Animationshits irgendwann von der Handlung mitreißen lassen, der Strom umwerfender Ideen nie auf: Roddy findet Nemo in der Kanalisation, aber auch ziemlich viele Blutegel. Diese erweisen sich als geniale und umwerfend komische Sidekicks, begleiten die Handlung kommentierend und musikalisch.
 

Departed. Unter Feinden


USA 2006 (The Departed) Regie: Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Jack Nicholson 151 Min.
 
Scorseses Neuer strotzt nur so vor Schauwerten. Der erste Nicholson-Film nach drei Jahren. Der dritte Scorsese mit DiCaprio. Und sowieso: Scorsese! Das Regie-Genie schafft es, wieder voll in sein Lieblingsmilieu einzutauchen, in den mafiösen Untergrund von Little Italy. Dabei kommt nie das Gefühl auf, man hätte das schon mal gesehen. Was an der hochkomplexen Vorlage aus Hongkong liegen mag...
 
Maulwürfe sind hochspannend! Nicht die sich fast blind unter der Erde buddeln, sondern die sich mit fremder Identität getarnt in eine gegnerische Organisation wühlen. Wenn nun gleich zwei dieser "Unterwühler" auf verfeindeten Seiten gegenüber stehen, wird es richtig schön komplex.
 
Colin Sullivan (Matt Damon) wurde schon als kleiner Junge von Bostons Mafiaboss Costello (Jack Nicholson) unterstützt und protegiert. (Man achte auf die Einkaufstüte, sie kehrt am Ende zurück!) Nach Aufstieg und Erfolg strebend, absolviert er die Polizeischule und hat auch als Offizier den Ruf eines Überfliegers. So kommt er in eine Spezialeinheit, die ausgerechnet Costello jagen soll.
 
Billy Costigan (Leonardo DiCaprio) stammt aus dem gleichen Viertel wie Colin, will aber von seiner kriminellen Umgebung nichts mehr wissen. Deshalb geht er auf die Polizeischule, erntet jedoch nach dem Abschluss nur Misstrauen. Die einzige Perspektive: Als Undercover-Agent zurück ins Milieu, um Costello zu bespitzeln.
 
Martin Scorseses Remake des inzwischen dreiteiligen Hongkong-Hits "Infernal Affairs" bleibt durchgehend extrem spannend und nutzt alle Finessen dieses raffinierten Plots. Colin setzt sein eigenes Team auf sich an. Beide Spitzel gehen zur gleichen Analytikerin. Dank Terror-Gesetze wird alles überwacht, doch mit heimlichen Handy-Duelle ist die Warnung immer schneller als der Zugriff. Man darf niemandem trauen, aber vielleicht gibt es ja auch noch andere Undercover-Kollegen?
 
Scorsese trumpft direkt mit einem starken Start von Nicholson auf: Dessen Gesicht bleibt lange im Dunkeln, bevor er uns einige der unnachahmlichen Grimassen schenkt. Sein Costello ist auch ein Schlüssel zur zeitweise sehr unübersichtlichen Geschichte: Es geht immer auch um Väter und Söhne. Wenn die Episoden um Costellos Gelüste und seine augenscheinliche Unfruchtbarkeit erst nebensächlich erscheinen, deuten sie doch auf die eigentliche Triebfeder, wenn Ziehsohn Colin im finalen Lamento fragt: "All das nur, weil du keine Kinder kriegen kannst?"
 
Die beiden Maulwürfe haben einiges gemeinsam. Und eigentlich macht es auch keinen Unterschied, wer auf welcher Seite steht. "Gute" oder "Böse" gibt es längst nicht mehr. Sie sind sich zum Verwechseln ähnlich und doch so gegensätzlich: DiCaprios einsamer Billy, mit dem bitter dunklen Blick, muss seine Familienbande aktivieren, die er loswerden wollte. Er sucht Gerechtigkeit und ein Heim. Doch die Beziehung zum väterlichen Vorgesetzten (Martin Sheen!) muss geheim bleiben. Colin will immer nur den Erfolg. Sein Blick in der Luxuswohnung geht hin zur allgegenwärtigen goldenen Kuppel des Capitols, zur Macht. Dass von dort auch Recht und Gerechtigkeit ausgehen könnte, lässt ein pessimistischer Blick der Kamera zum Ende hin spüren. Wenn dann die totale Verstrickung nur den Ausweg lässt, gleich alle zu erschießen, sollte sich die dramaturgische Enttäuschung mit der deutlichen und deprimierend moralischen Stellungnahme Scorseses trösten.

The saddest music in the world


Kanada 2003 (The saddest music in the world) Regie: Guy Maddin mit Maria de Medeiros, Isabella Rossellini, Mark McKinney, Ross McMillan, David Fox 99 Min.
 
Oh Kanada! Cronenberg, Egoyan, Maddin .... Die (Welt-) Meister der skurrilen Filme finden hier seit Jahrzehnten Nährboden und (Film-) Förderung. Nur hier kann Guy Maddin überwintern in einer Zeit der Drehbuchautomaten und der endlosen Fortsetzung von Remakes von Fortsetzungen...
 
Guy Maddin macht Filme, die wirken als hätte man sie gerade auf einem verstaubten Speicher aus einem Jahrzehnte langen Schlaf in alten Filmdosen erweckt. Schwarzweiße Stummfilme, mit wunderbaren Farbakzenten wie das Blut in dem verfilmten Tanztheater "Dracula: Pages From a Virgin's Diary" (2002). Mit sparsamen, aber umso effektvolleren Toneinsätzen wie in "Carefull" (1992), der rekonstruierten Alpensaga des wegen Lawinengefahr sehr, sehr stillen und emotionslosen Dorfes Tolzbad. Doch Maddin lebt und dreht seine surrealen Geschichten in der Epoche von "Star Wars" und "American Pie". Seinen sorgfältig konstruierten Retrostil erzeugt er mit Super8-Film und Video, die er für die große Leinwand aufbläst.
 
Nun der eindeutig eingängigste Guy Maddin. Ein Film mit Isabella Rossellini. Aber was für eine Rolle! Sie ist Lady Port-Huntly, die unterschenkel-amputierte Besitzerin einer Bierbrauerei im kanadischen Winniepeg mitten in der Depression des Jahres 1933. Lady Port-Huntly ruft einen Wettbewerb um die traurigste Musik der Welt aus - The saddest music in the world. Der Hauptpreis von 25.000 Dollar ruft Musiker aus aller Welt in die grau vereiste Stadt, die zum vierten Mal in Folge zur Hauptstadt der Trauer gewählt wurde, und führt auch eine äußerst melodramatische Familie zusammen, damit sich die Wahrsagung eines Eisblocks erfüllt.
 
Da tritt der Vater Fyodor (David Fox) mit "Red Maple Leaves" für Kanada an, sein Sohn Chester (Mark McKinney), ein seelenloser Broadway-Producer für die USA. Und der andere Sohn Roderick, ein übersensibler Hypochonder, geht unter einem schwarzen Schleier für Serbien an den Start. Weil sein Land ja den Weltkrieg verursachte! Aber auch eine tragische Liebesgeschichte macht ihn zum Favoriten für die "Saddest music of the world"...
 
Die Welten Maddins sind faszinierend: Da gibt es in Winniepeg (Geburts- und Heimatort des Regisseurs) bei minus 40 Grad eine Straßenbahn unter Eis. Der Anblick von Isabella Rossellini mit schäumenden Biergläsern als Ersatz für ihre Unterschenkel ist schauerlich unvergesslich. Die Vorstellung der Konkurrenten aus Siam oder Mexiko erfolgt mit einem naiven Exotismus der Zeiten vor Political Correctness. Die Faszination einer reizvoll ungewöhnlichen Ästhetik und haarsträubender Ideen voll hochdramatischen Kitsches, die jede Soap verblassen lassen, machen das unnachahmliche Maddin-Feeling aus. Da will man gar nicht glauben, dass vom Autor des Originalstoffes Kazuo Ishiguro auch die Vorlage zum so ganz anderen "Was vom Tage übrig blieb" stammt.
 
Erstmals drehte Maddin mit einer bekannten Schauspielerin, aber auch "The saddest music" bleibt ein einzigartiger, eigenwilliger Guy Maddin-Film. Da wundert es nicht, dass es etwas länger dauerte, bis er in deutsche Kinos kommt. Doch für ein offenes Publikum, welche das Immergleiche des Mainstreams satt ist, ist es ein guter Zeitpunkt Guy Maddin zu entdecken!