25.9.06

Bierfest


USA 2006 (Beerfest) Regie: Jay Chandrasekhar mit Jay Chandrasekhar, Kevin Heffernan, Steve Lemme 111 Min. FSK: ab 16
 
Wie wird man Donald Sutherland erinnern? Auf den Trauer tragenden Gondeln in Venedig? Oder als deutsch-stämmiges Familienoberhaupt, das auf dem Sterbebett noch drei Humpen stemmt, kräftig rülpst und sich dann selbst den Stecker raus zieht? Hoffen wir, dass "Bierfest" nach dem deftigen Vergnügen keine Katerstimmung, aber doch einen Filmriss mit sich bringt.
 
Als ihr Großpapa (Donald Sutherland) sich in den ewigen Bierkeller verabschiedet, sollen die amerikanischen Brüder Todd und Jan Wolfhouse die Asche ihres Großvaters in München verstreuen. Dabei geraten sie in das geheime, untergründig Kuriosen-Kabinett des "Bierfestes", einer Säuferolympiade. Dagegen ist das Oktoberfest eine züchtige Lourdes-Fahrt. Die Hobby-Trinker und -Rülpser werden hier von einem Bier-Baron (Jürgen Prochnow) und seinen Lederhosen-Mutanten so richtig abgewatscht. Zurück zuhause lassen sie sich erst noch das beste Bierbraurezept aller Zeiten klauen, bevor sie mit einer Deppen-Truppe das Training für die nächste Säuferolympiade beginnen...
 
Ziemlich besoffen, dieser Film. Um es nüchtern zu sagen. Die dämlichsten Deutschen-Klischees treffen in diesem Gruselkabinett mit einer noch dümmeren Amerikanisierung zusammen. Bajuwarische Volksbräuche geraten zu Springbreak-Orgien, die üblicherweise amerikanische Studenten in Ferienzeiten anstellen, samt Wet-T-Shirt-Blödsinn. Das recht unfassbare "Bierfest" erreicht manchmal die extreme Hirnrissigkeit eines "Kentucky Fried Movie", dann dümpelt er in den pubertären Humorregionen von "American Pie", wenn etwa einer der Säufer seinen Frosch masturbiert. Doch der Blödsinn ist wenigstens originell, Prochnow macht nicht nur auf Wiesn-Wirt, er nimmt selbstverständlich auch "Das Boot" nach Amerika. Ralf Moeller ("Universal Soldier", "Conan", "Gladiator") steht im als Kraftpaket Hansel Hammacher im Team zur Seite.

Klick


USA 2006 (Click) Regie: Frank Coraci mit Adam Sandler, Kate Beckinsale, Christopher Walken 108 Min. FSK: ab 6
 
Das eigene Leben als DVD. Komplett mit Kommentarspur und Making Off - kurzes Nachdenken, ja genau dieser Moment ist gemeint. Da kann der gestresste Architekt Michael Newman (Komödiant und Produzent Adam Sandler) die Frau beim Streit auf Pause stellen und die Lautstärke des Hundes kräftig nach unten regeln.
 
Es ist die ausgelatschte Geschichte vom überforderten Familienernährer kombiniert mit einer sehr mächtigen Universal-Fernbedienung: Michael bekommt von seinem fiesen Boss (David Hasselhoff) immer mehr Überstunden aufgebrummt und zuhause quengeln Frau und Kinder, für die er das ja alles überhaupt macht. Das Baumhaus bleibt eine Baustelle, der Ausflug fällt ins Wasser. Und zudem steht Michael auf Kriegsfuss mit all den herumliegenden Fernbedienungen. Statt des Garagentors bewegt sich der Ventilator und ein Spielzeug-Flieger hebt ab, wenn der Fernseher angehen soll.
 
Auf der Suche nach einer Universal-Fernbedienung beschert ihm der mysteriöse Techniker Morty (Christopher Walken) die Lösung. Mit nur ein paar Tastenclicks sprechen sich die japanischen Geschäftspartner plötzlich Englisch. Schnelles Zurückspulen bringt den ersten Kuss zurück und beantwortet die romantisch-brenzlige Frage, was für ein Lied damals lief. Auch die blasse Haut lässt sich über Farbkorrektur verändern, dank neuem Zeitmanagement kann Michael auch noch komödiantisch eine grüne Hulk- und lila Barney-Routine einschieben.
 
Doch trotz Mortys überdeutlicher Warnung, die Fernbedienung mit Vorsicht zu benutzen, überspringt Michael bald ganze Kapitel seines Lebens: Das Familienessen, den Streit mit der Frau, die Monate bis er endlich befördert wird. Riesige Zeitsprünge mit "Zurück in die Zukunft"-Effekt lassen das Leben in Minuten verfließen. Als Michael dies bemerkt, ist es zu spät. Das lernfähige Gerät schaltet nun bei Streit, Schmusen und Karrierestau automatisch in schnellen Vorlauf. Michael verpasst sein Leben...
 
Vor lauter Arbeit nicht das Leben vergessen - diese Moral soll man aus dieser sogenannten High Concept-Komödie mit nach Hause nehmen. Wieder einmal. High Concept .... hört sich toll an, meint aber vor allem, dass man den Film in einem Satz zusammenfassen kann. Das Konzept des Films war also auch hier wichtiger als Handlung, Drehbuch, Dialoge oder Logik. (Was soll der schnelle Vorlauf bringen, wenn Michael doch noch "auf Autopilot" arbeitet, lebt, liebt?)  Zum Markt-Konzept gehörte auch der Komödien-Star Adam Sandler. Der hat eine ähnliche Rolle wie Jim Carrey in "Bruce Allmächtig" als Gott für ein paar Tage. David Hasselhoff als schleimiger, unfairer Chef und Partner sowie Sandlers gemeine Späße, etwa mit dem Nachbarsjungen, sind die Lichtblicke in dieser arg vorhersehbaren Komödie mit Mini-Tiefgang.

World Trade Center


USA 2006 (World Trade Center) Regie: Oliver Stone mit Nicolas Cage, Michael Pena, Maggie Gyllenhaal 129 Min. FSK: ab 12
 
"World Trade Center" ist eine Hymne auf "New Yorks Finest", die tapferen Feuerwehrleute und Polizisten der Stadt. Der Ex-Soldat und Geschichte(n)-Filmer Oliver Stone schickt eine Truppe von Hafenpolizisten nach dem Einschlag des ersten Fliegers zum Evakuieren in die Türme des World Trade Center. Unter der Führung ihres Sergeanten John (Nicolas Cage) werden die diensteifrigen Männer, bevor sie überhaupt helfen können, selbst verschüttet. Zwei von ihnen überleben die Einstürze der Hochhäuser, sind aber unter schweren Trümmern eingeklemmt. Zwischen aufmunternden und persönlichen Gesprächen, schleudert der Film Feuerbälle auf sie, lässt Schutt und Asche regnen. Das Kino bebt vor lauter Bässen, als weiterer Anschlag auf die Gefühle wird brutal auf die teilweise schwangeren Frauen der Helden geschnitten.
 
Oliver Stone filmt hauptsächlich mit der Brechstange! Beim persönlich recht kämpferischen Mann, der die Bilder zu "J.F.K.", "Nixon" und dem "Fourth of July" neu geprägt hat, und zwischendurch Staatsfeind Fidel Castro freundlich porträtierte, war ein Kommentar zu 9/11 unvermeidlich. Doch "World Trade Center", nach "einer wahren Geschichte" gedreht, ist eigentlich eher Bergarbeiterdrama als 9/11-Film. Stone schlachtet das nationale Trauma äußerst geschickt und handwerklich ekelerregend effektiv für Kinokasse aus. Dass man angesichts von fast 3000 Toten erleichtert aus dem Kino kommt, weil Nicolas Cage überlebt hat, ist perverse Leichenfledderei. Wenn dann noch der rettende Marine als Last Minute-Ersatz für die Kavallerie des Western von Gott geschickt wird, kann sich wahrscheinlich nur noch George Bush über diesen Film begeistern. Stone kann viel, nur nicht sich zurückhalten.

The Science of Sleep


Frankreich 2006 (The Science of Sleep) Regie und Buch: Michel Gondry mit Gael García Bernal, Charlotte Gainsbourg, Alain Chabat 105 Min.
 
Der Schlaf der Unvernunft gebiert kuriose Geschichten ... Was wäre das Kino ohne die Träumer? Gar ohne die Träume? Freud sei Dank bahnt sich das Unterbewusste immer wieder einen Weg auf die Leinwand. Bei traumhaften Regisseuren wie Gondry und bei Traum-Männern wie Gael Garcia Bernal ein wahrer Traum! Auch wenn die Traum-Frau schwer zu kriegen ist...
 
Sympathisch verwirrt landet der schüchterne Zeichner Stéphane (Gael Garcia Bernal) auf dem Planeten Paris. Aus Mexiko lockte ihn nach dem Tod des Vaters ein von der Mutter arrangierter Job, der sich als stupide Praktikanten-Tretmühle erweist. Doch Stéphane ist behütet durch seine Inka-Mütze und flüchtet sich - nicht nur nachts - in niedliche Träumereien. Er inszeniert in seinem Unterbewussten mit Pappkarton-Kulissen "Stéphane TV", eine Art "Being Stéphane", fantasiert sich aztekische Pyramiden nach Paris oder philosophiert mit "Aristurtle", einer aristotelisch klugen Schildkröte. Gegen einige, durchaus verständliche Widerstände realisiert er - ganz real - statt der Porno-Aufhänger seinen makabren Katastrophen-Kalender.
 
Als die reizende Nachbarin Stéphanie (Charlotte Gainsbourg) leise Interesse zeigt, aber den schönen Schüchternen erst mal mit der Freundin verkuppeln will, verliert sich Stéphane völlig zwischen einem romantischen Paris und seinen Traumwelten. Die Träume von Stéphane und Stéphanie verschränken sich mit der Realität und miteinander. Da weiß ein berauscht Verliebter nicht, ob er den Liebesbrief wirklich halbnackt wieder unter der Tür der Verehrten herausgefischt hat. Zwischendurch erfindet er eine 1-Sekunde-Zeitmaschine! Wieso ist da vorher noch keiner drauf gekommen?
 
Von Michel Gondry darf man überbordende Fantasie erwarten, besonders wenn sein Alter Ego ein seelenverwandter kreativer Geist ist. Doch "Science of Sleep" ist anders, verspielter als Gondrys frühere Regiearbeiten "Human Nature" und "Vergiss mein nicht!". Denn diesmal war Charlie Kaufman ("Adaption") nicht als Drehbuchautor dabei, was für eine leichtere verspielte Stimmung sorgt. Und endloses Vergnügen! Die Freuden-Skala dieser traumhaften Romantischen Komödie reicht von tiefem Seelen-Schmunzeln bis zum herzlich lauten Lachen. Mal skurril wie "I love Huckabees", mal sanft wie ein Truffaut-Film. Dabei baut der Regisseur trendsettender Music-Videos Gondry (für White Stripes oder Massive Attack) ganz und sehr sympathisch auf altmodische Animationen wie dereinst in tschechoslowakischen Trickfilmen - im Gegensatz zum volldigitalen "Vergiss mein nicht". Der Film übernimmt so den Stil seiner Protagonisten. Und vereint sich kongenial mit dem verschmitzten (Gael Garcia Bernal) oder spröden (Charlotte Gainsbourg) Charme seine Darsteller. Nach den Kopf-Filmen mit Kaufman also diesmal ein Augenschmaus, ein Seelenspaß und ein herzlich traumhafter Film, an dem selbst die härtesten Mainstream-Schwimmer Vergnügen finden werden.

23.9.06

She's the Man - Voll mein Typ


USA 2006 ("She's the Man") Regie: Andy Fickman mit Lynda Boyd, Alex Breckenridge, Amanda Bynes, David Cross, Robert Hoffman, Vinnie Jones, James Kirk 105 Min.
 
Von Shakespeares "Was ihr wollt" gibt es eine sehr schöne Filmversion von Trevor Nunn mit einem genialen Ben Kingsley, mit Helena Bonham Carter und noch einigen anderen guten Darstellern. Bis auf den Prolog, der die zeitliche Einordnung später unglaubwürdig macht, funktioniert dabei die Travestie, der Kleiderwechsel der Viola, die sich in einem feindlichen Land als Mann ausgibt.
 
Die auf High School-Niveau verlegte Variante "She's the Man - Voll mein Typ" hingegen hat mit Amanda Bynes eine Hauptdarstellerin, deren Gesicht vielleicht irgendwie zwischen Mädchen und Junge liegen kann, SPIELEN kann sie das nicht gut.
 
Shakespeares Viola (Bynes) ist heutzutage eine fußball-begeisterte amerikanische Schülerin - schlechtes Timing kurz nach WM-Aus -, der die Mannschaft von Stundenplan gestrichen wird. Frauenfußball ist halt vernachlässigenswert! Weil außerdem ihr Freund, der Kapitän der Jungenmannschaft sich sehr dämlich und unsolidarisch verhält, nutzt Viola die Abwesenheit ihres Bruders an einer benachbarten Schule, um sich dort als männlicher Frischling ins Team zu spielen. Im Finalspiel beider Schulen will sie zeigen, dass Frauen genauso gut kicken wie die o-beinigen Herren des Rasens.
 
Es gibt die üblichen Probleme mit männlichem Schritt, dem Verstellen der Stimme und dem Vermeiden gemeinsamen Duschens. Eine fürchterlich unoriginelle, in vieler Hinsicht nur alberne Nichtigkeit also. Fußball ist beispielsweise, so wie gejubelt, eingelaufen, gefault, gerannt wird, eine peinliche Abart des American Football, alles Kopie eines Football-Films. Da hat niemand Ahnung vom "Soccer" gehabt. (Das originalste und originellste in Sachen Fußball ist sicherlich Vinnie Jones als Trainer, der ja in "Mean Machine" einen inhaftierten Super-Stürmer spielte.)
 
Erstaunlich trotzdem, dass selbst bei dieser Verharmlosung, Banalisierung, dieser extremen Plättung der Vorlage das Eckige, das Spannende an der Personenkonstellation Shakespeares nicht platt zu kriegen ist. Im Verlauf der Verwechselungen ergeben sich ja durchaus knifflige Zuneigungen, die erstaunlich beiläufig und fröhlich homo- und hetero durcheinander bringen. Da wundert man sich auch noch 500 Jahre später. Das in vieler Hinsicht klein wirkende Filmchen, das trotzdem $20 Mio. verschlang, läuft in Deutschland im September an.
 

Road to Guantanamo


Großbritannien 2006 (The Road To Guantanamo) Regie: Michael Winterbottom, Mat Whitecross mit Farhad Harun, Arfan Usman, Rizwan Ahmed, Waqar Siddiqui, Shahid Iqbal, Jason Salkey 95 Min.
 
Des ehemalige Berlinale-Sieger Michael Winterbottom ("In this Country", "Welcome to Sarajewo") ließ sich von drei Britten den Leidensweg erzählen, wie sie in Afghanistan in amerikanische Gefangenschaft gerieten und wie sie in der berüchtigten us-amerikanischen Folter-Farm auf Guantanamo in Kuba behandelt wurden. Die Aussagen hat der immer engagierte Meister-Regisseur spannend nachgedreht und bruchlos mit dokumentarischem Material verknüpft. So wundert man sich, wie ein Junggesellenabschied unter die Bombardierung Afghanistans gerät, aber noch mehr, wie dumm-dreist Vorwürfe konstruiert, Fotos und Videos manipuliert werden. Immer mit der albernen Frage: Wo ist Bin Laden? Und "unterstützt" von Isolierzelle, Psychoterror, Schlägen, Hunger. Da wird der Koran mit Füssen getreten und Bush sagt im Fernsehen, die Gefangenen in Guantanamo werden gut behandelt. Selbst als die US-Marines ihr blödsinnige Anklage fallen lassen, bleiben die Briten trotzdem noch 5 Monate in Haft. Insgesamt dauerte der Horrortrip zwei Jahre und zwei Monate. Von 750 "Kriegsgefangenen" sind 500 noch immer dort unter Verschluss. Es gab bislang 10 Anklagen, aber niemals ein Urteil. Unfassbar eigentlich. Auch dies verantwortet eine demokratisch gewählte Regierung, aber "The Road to Guantanamo" ist keine Fiktion.
 
Seit dem Dreh und der Vorführung während der Berlinale 2006 sind auch deutsche Häftlinge freigelassen worden, der politische Druck gegen den Guantanamo-Betreiber USA wächst, aber das Lager besteht immer noch.

20.9.06

Dr. Jones' Test Experiment: Woohoo! A Blog for Dr. Jones' Class!

First 10 posts get some. Thanks Leighanne & Katie.

- gj

Esmas Geheimnis - Grbavica


Österreich, BRD, Kroatien, Bosnien 2006 (Grbavica) Regie: Jasmila Zbanic mit Mirjana Karanovic, Luna Mijovic, Leon Luccev 94 Min. FSK: ab 12
 
Dieser bewegende Spielfilmerstling um die emotionalen und tragischen Nachbeben des Jugoslawien-Krieges erhielt im Februar den Goldenen Bären der 56. Internationalen Filmfestspiele Berlins. Die von der Österreicherin Barbara Albert mitgeschriebene Koproduktion (Österreich, Bosnien/Herzegowina, Kroatien und Deutschland) spielt in Sarajevo. Die 12-jährige Sara lebt allein mit ihrer Mutter Esma. Als das Geld nicht für den Schulausflug reicht, mehren sich Saras Fragen nach dem angeblich im Krieg verstorbenen Vater. Denn Kinder von Kriegshelden brauchen nicht zahlen. Doch in einer dramatischen Entwicklung muss Esma gestehen, dass sie in einem Kriegslager vergewaltigt wurde und gezwungen, zu gebären. Sara ist das Kind eines Chetnik!
 
"Grbavica" von Jasmila Zbanic steht für einen Trend, brennende Themen unserer Zeit in unkonventioneller Weise packend zu erzählen. Die emotionalen Nachbeben der Jugoslawien-Kriege schockieren auch in "Das geheime Leben der Worte" der Spanierin Coixet und - etwas ferner - beim Locarno-Sieger "Das Fräulein", ebenfalls mit Barbara Albert als Ko-Autorin.
 
Die Regisseurin Jasmila Zbanic wurde 1974 in Sarajevo geboren. Dort gründete sie eine Künstlervereinigung und Filmproduktion, mit der sie zehn Kurz- und Dokumentarfilme sowie Kunstvideos realisierte. "Grbavica" ist ihr erster Spielfilm.

19.9.06

Love is the devil


GB/Fr 1998 (Love is the devil - Study for a Portrait of Francis Bacon) Regie und Buch John Maybury, 90 Min.
 
Die filmische Biographie - oder genauer: die Studie zum Porträt - des Malers Francis Bacon (Derek Jacobi) und zu seinen sieben Jahren mit dem einfachen Einbrecher George Dyer (Daniel Craig) ist eindeutig ein Kunstfilm. Die chronologischen Abläufe entschlüsseln sich kaum aus den Träumen, Erinnerungen, Szenen und Zeitsprüngen. Der aggressive Sex zwischen den beiden Männern findet sich in den starken Bildern ebenso wieder wie die snobistische Künstlerszene Londons der Endsechzigern. Als einfältiger Einbrecher stolperte Dyer in die Arme des weltweit gefeierten Künstlers. Mit hässlicher Dominanz erniedrigte und erbettelte Bacon Liebe. Am Ende wird Dyer sich umbringen.
 
Regisseur John Maybury kommt vom Experimentalfilm und traut sich einen vielfältig wilden Stil. Mit stark verzerrenden Linsen und anderen Effekten aufgenommen, schreckt das Grelle dieses Films ab. Die Musik von Ryuichi Sakamoto erzählt zwar minimalistisch von großen Gefühlen, doch bei all den Leidenschaften bleibt man ähnlich wie George letztendlich draußen im Regen stehen. Es bleibt die Ahnung von einem Künstlerleben und einer gescheiterten Beziehung.
 
Anlässlich der großen Bacon Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf wird "Love ist he devil" erneut in die Kinos gebracht.

Crank


USA 2006 (Crank) Regie: Mark Neveldine, Brian Taylor mit Jason Statham, Amy Smart, Jose Pablo Cantillo 88 Min. FSK: k.J.
 
Wenn du stoppst, stirbst du! Das könnte eine philosophische Maxime unserer hektischen Zeit sein. Oder der Clou eines Films. Man könnte eine Bombe unter einen Bus platzieren, der nicht langsamer als 50 fahren darf ... Hatten wir schon? Dann machen wir einen aufstrebenden Action-Star zur rasenden Zeitbombe: Chev Chelios ("Transporter" Jason Statham) bekam einen "Peking Cocktail" injiziert, der ihn umbringt, sobald sein Herz zu langsam schlägt. Auf der Suche nach einem Gegenmittel und seinen Mörder braucht Chev also dauernd Aufputschmittel und Adrenalin-Schübe. Damit ist das Prinzip des Films klar. Die rastlose Dramaturgie auf Speed auch. Die Regie-Neulinge Mark Neveldine und Brian Taylor toppen den rasenden Wutausbruch noch mit aggressivem Stil. Hektische Schnitte, besser Sprünge genannt, originelle Perspektiven, die Ortswechsel werden mit Satellitenaufnahmen a la Google-Maps beschleunigt ... der Rausch des Protagonisten soll sich auf das Publikum übertragen.
 
Die Handlung passt auf einen Bierdeckel ­- war das nicht schon öfter das Erfolgsrezept: Beim bösen Erwachen muss Chev auf seinem eigenen DVD-Player sehen, wie ihm der kleine, sadistische Kahlkopf Ricky eine Spritze in den Hals jagt. Der tödliche Cocktail zwingt ihn, den Puls immer schön hoch zu halten, dann kann er vielleicht noch ein paar Stunden überleben. Genug Zeit um die Szene gründlich umzukrempeln. Und vielleicht die Freundin Eve (Amy Smart) zu finden, wegen der er eigentlich seinen Job als Killer an den Nagel gehängt hat.
 
Excitement. Fear. Danger. Das sind die essentiellen Bestandteile eines Actionfilm: Aufregung. Angst. Gefahr. Das braucht Chev zum Überleben. "Crank" deswegen zur Meta-Metapher für Actionfilm an sich zu machen, wäre zu viel der Ehre. Mitreißend, originell und innovativ ist immerhin.
 
Chev, der Adrenalin-Schub auf zwei Beinen, rast beispielsweise mit einem Untenohne-Krankenhemdchen durch die Stadt. Freihändig und stehend auf einem Polizei-Motorrad! Zwischendurch hält er die Hand ins Waffeleisen. Seine eigene wohlgemerkt, andere schlägt er gerne und ohne Gesichtsregung glatt ab. Mit der überraschend unkonventionellen Freundin treibt er es in aller Öffentlichkeit - eine lebensrettende Maßnahme! Auch sehr lehrreich für die Jugend (die den "Film ab 18" nicht sehen darf) ist die Reihe der Aufputschmittel, mit der sich Chev fit hält: Mal leert er einen Kühlschrank voll mit Red Bull, dann hilft das klassische Koks aus, bevor ein Nasenspray mit künstlichem Adrenalin uncool herhalten muss.
 
Wenn man nach Vorbildern für diese rastlose Figur sucht, könnte man bei kommt man mit John Boormans "Point Blank" und Lee Marvin in die Sechziger zurückgehen. Um dann irgendwann bei Hammy aus "Ab durch die Hecke" zu landen. Auch der quirlige Nager geriet mit Red Bull in den Hyperdrive. Doch eigentlich interessiert dieser Beipackzettel beim Adrenalin-Kick ebenso wenig wie Nebenwirkungen oder Folgen. "Crank" ist vor allem aggressiv kurzweilig.

Ich, du und der andere


USA 2006 (You, Me and Dupree) Regie: Anthony Russo, Joe Russo mit Owen Wilson, Kate Hudson, Matt Dillon, Michael Douglas 110 Min. FSK: o.A.
 
Vor Hausfreunden wird gewarnt. Vor Jugendfreunden mit Peter Pan-Komplex besonders. Oder sollte man Junggebliebene vor langweiligen, verheirateten Paaren warnen? Doch stopp: Diese Gedanken sind schon viel zu komplex für die ganz einfach gestrickte Komödie "Ich, du und der andere".
 
Schon bei der Hochzeit von Carl Peterson und Molly Thompson (Matt Dillon, Kate Hudson) erweist sich Carls Freund Randy Dupree (Owen Wilson) als leicht problematisch. Kurz darauf zieht er bei den beiden ein - "nur für ein paar Nächte". Schon in der ersten verwüstet er Couch und Wohnzimmer. Dann wird der Anrufbeantworter von ihm neu besprochen und Kabelfernsehen bestellt. Als er endlich mal ein Date hat, brennt dabei fast das Haus ab. Dupree ist weniger Freund als großes Kind, Nervensäge, Pechvogel, Freundin- und arbeitslos. Die Stimmung auf der Straße bei den Kids der Gegend steigt steil an, drinnen nähert sie sich dem Gefrierpunkt. Derweil wird Carl zusätzlich belastet durch Schwiegervater und Chef in Personalunion des verschroben hinterhältigen Mr. Thompson (Michael Douglas). Zwischen großen Bauprojekten, schlägt der Boss vor, der Schwiegersohn solle doch seinen Namen aufgeben und sich gleich auch sterilisieren lassen.
 
Dann folgt der einzige Twist des Films: Dupree wandelt sich nach der ersten Krise zum Musterknaben. Der rücksichtlose Spinner kuckt sich plötzlich Frauenfilme an, trainiert auf den Spuren von Lance Armstrong, schreibt Gedichte und kocht mit Molly. Solange bis Carl vor Eifersucht kocht. Will der alte Freund Dupree nach Couch und Wohnung ihm jetzt auch noch die Frau wegschnappen?
 
Man könnte meinen, schon wieder ein Besuch bei den Schwiegereltern, eine Art "Meine Braut, ihre Schwiegereltern, ich und mein Freund" – doch dieser Film mit Owen Wilson-Kumpel Ben Stiller und Robert DeNiro machte Spaß, großen Spaß. "Ich, du und der andere" verschont uns ausnahmsweise und über weite Strecken vom üblichen schlechten Geschmack. Eine überfüllte Kloschüssel konnten sich die Macher nicht verkneifen und ganz verklemmt erwischt man sich immer wieder mal beim Sex - pfui! Dafür ist das, was an Humor und Handlung übrig bleibt, furchtbar harmlos. Die frisch Vermählten verhalten sich nicht wie Erwachsene. Ganz und gar an langweiliges, amerikanischen Teenie-Publikum gerichtet ist die Moral der Geschichte: Erzähl deinem Partner einfach mal von deinen Problemen - dann blieben uns solche mäßigen Filme erspart.
 
Vor allem ist "Ich, du und der andere" schrecklich vorhersehbar, nur Michael Douglas wirkt als sinisterer Schwiegerpapa ein wenig spannend. Owen Wilson ("Die Hochzeits-Crasher") ist ein wirklich gut alberner Komödiant, doch an diesem lahmen Stoff arbeitet er sich vergebens ab. Kate Hudsons Weibchen bleibt durchgehend nett, ohne Kanten oder Tiefen. So beweisen die Brüder Joe und Anthony Russo nach "Safecrackers oder Diebe haben's schwer" erneut, dass man mit einer erfolgreichen Film-Formel und guter Besetzung weit hinter den Erwartungen und Möglichkeiten bleiben kann.

12.9.06

Das Parfum - Die Geschichte eines M ö rders


BRD 2006 (Das Parfum) Regie: Tom Tykwer mit Ben Whishaw, Dustin Hoffman, Alan Rickman 147 Min. FSK: ab 12
 
Es hat immer etwas anrüchiges, wenn Produzent Bernd Eichinger Literatur verfilmt: "Fräulein Smillas Gespür für Schnee", "Das Geisterhaus", "Die unendliche Geschichte" waren eher Verwertungen des Buches als Wertschätzungen. Auf der anderen Seite Tom Tykwer: Einer der besten deutschen Regisseure unserer Zeit, mit "Lola rennt" begeisterte er international und nachhaltig. Kann Tykwer gegen Eichinger, den großen Egomanen des deutschen Films, anstinken?
 
Es beginnt großartig: Nur eine Nase wird aus dem Dunklen herausgeleuchtet. Sie gehört, nein: sie beherrscht den Häftling Jean-Baptiste Grenouille. Dann beginnt Jean-Baptiste - mit der elektrisierenden Stimme Otto Sanders - seine Lebensgeschichte zu erzählen und auf der Leinwand entfaltet sich großes Geruchskino: Auf einem dreckigen, lärmenden Fischmarkt geht die junge Verkäuferin nur kurz zu Boden, um noch ein Kind zu gebären und es dann zum Fischabfall zu schieben. Fliegen und Maden kriechen herum, Dreck und Gestank sind fühlbar! Wir sind im 18. Jahrhundert. Doch dieses Baby geht in der Welt der Gerüche auf, weigert sich zu sterben und richtet mit seinen ersten Schrei gleich die Mutter. Vom wütenden Mob wird sie als Kindmörderin gemordet.
 
Mit diesem Auftakt bewegt sich Tom Tykwer direkt im filmischen Olymp, diese Szene könnte wie der Pferdekopf voller Aale aus Schlöndorffs "Die Blechtrommel" einen festen Platz im Gedächtnis des Kinos einnehmen. Doch dann nimmt das Schicksal seinen Lauf. Bei Jean-Baptiste über Waisenhaus, Gerberei und den italienischen Parfumeur Baldini (Dustin Hoffman). So wie es Patrick Süskind in seinem gleichnamigen Erfolgsroman vor mehr als 20 Jahren schrieb. Gegen eine Verfilmung wehrte er sich lange, dann bekam der Freund Bernd Eichinger doch die Rechte. Und der Erfolgsproduzent holte sich einen enorm begabten Regisseur hinzu. Das Ergebnis ist ein K.O.-Sieg für Eichinger.
 
Auf Jean-Baptistes Weg zum perfekten Geruch erleidet der Junge Schläge und Demütigungen, gehalten nur von der Gewissheit einer besonderen Zukunft. In Paris führt ihn der Geruch einer jungen Frau zur Obsession, deren Aroma zu konservieren. Wie ganz nebenbei alle Weggefährten von Jean-Baptiste nach seinem Weggang tragisch verunglücken, werden auch die Jungfrauen ein nicht besonders bedauertes Opfer der Duftherstellung. Die Ruchlosigkeit des schnell lernenden Parfumeurs geht einher mit einer Geruchlosigkeit, die ihn fast unsichtbar macht. Nur durch künstliche Düfte kann er sich bei den Mitmenschen einschmeicheln. Doch bis er seinen eigenen Duft gefunden hat, müssen in Grasse, dem provenzalischen Mekka des Parfums, reihenweise Jungfrauen nach den Regeln der klassischen "Enfleurage" gemordet, eingefettet und enthaart werden...
 
Hier, beim seriellen, seelenlosen Morden wird der Roman am schrecklichsten ver-filmt. Im Schweinsgalopp geht es durch die Geschichte, keine Zeit für Filmkunst, richtige Atmosphäre. Und dann im Finale, endlich Zeit, die Schauwerte grob raushängen zu lassen: 50 Mio. Euro hat es gekostet, "Das Parfum", das die Massen berauschen soll. 750 Statisten wälzten sich nackt auf dem vermeintlichen Marktplatz von Grasse. Weniger ist mehr - das hat Tykwer bislang in allen seinen Filmen gezeigt. Aber nicht mit Eichinger!
 
So bleiben einige grandiose Szenen in Erinnerung, Schauspiel mal exzellent (Alan Rickman als sorgender Vater), mal albern (Dustin Hoffman) und als bemerkenswertes Debüt der Theatermann Ben Whishaw in der Hauptrolle.

5.9.06

Friends with Money


USA 2006 (Friends with Money) Regie: Nicole Holofcener mit Jennifer Aniston, Frances McDormand, Joan Cusack, Catherine Keener 88 Min. FSK: o.A.
 
Luxusprobleme - ach, sie können so furchtbar sein ... Wenn man beispielsweise nicht weiß, wem seinen Millionen spenden. Oder vor lauter unbefriedigtem Liebesfrust dauernd das Haus umbaut. Das Leben in Los Angeles ist ganz schön hart, auch wenn man nicht illegal eingewanderter Mexikaner ist. Vier weißhäutige Freundinnen können zwar nicht unbedingt mit ihren Überfluss-Problemen tief berühren, doch das Ensemble aus Jennifer Aniston, Frances McDormand, Joan Cusack und Catherine Keener überzeugt.
 
Die erfolgreiche Modedesignerin Jane (Frances McDormand) läuft mit Leidensmiene herum, wäscht ihre Haare nicht mehr, raunzt jeden an und macht alles nieder - was frustriert sie? Die Tatsache, dass jeder, aber auch jeder ihren Mann, den erfolgreichen Chef der Lushes-Seifen, für schwul hält. Die erfolgreiche Catherine Keener (Christine) und ihr erfolgreicher Mann teilen gegenseitig nur Gemeinheiten aus. Liegt es daran, dass sie seit einem Jahr keinen Sex mehr hatten? Oder dass sie zusammen an einem Drehbuch schreiben? Nur Frannys (Joan Cusack) Ehe scheint erfolgreich zu laufen, bis auf die Millionen, siehe oben. Anders ist allein Olivia. Ausgerechnet Jennifer Aniston spielt die ehemalige Lehrerin, die nun putzt und die Klos anderer Leute sauber macht. Zwischendurch raucht sie Gras und benutzt Vibratoren ihrer Auftraggeberinnnen. Unvorstellbar für die Freundinnen, die ihre Klos nicht selber sauber machen. Dazu bettelt sie um Kosmetik-Pröbchen und ist trotzdem die normalste von den Vieren. Schade nur, dass sie so unsicher ist und sich von jedem auf der Nase rumtanzen lässt. Bei einem Blind Date mit Frannys Fitness-Trainer, setzt der sich direkt neben eine andere Frau. Dafür begleitet er sie beim Putzfrauenjob und schenkt ihr ein angeblich sexy Dienstmädchenkostüm. Und beim Treffen mit Frannys mexikanischem Hausmädchen, wird völlig klar, wie wenig glaubhaft Aniston in dieser Rolle ist. Doch sie hat immerhin die Rolle mit der größten Tiefe und Potential für Überraschungen. Ansonsten spielen sich die  Erkenntnisse auf dem Niveau ab, das Männer Schweine sind. Oder schwul.
 
Wenn das Finale bei einem Wohltätigkeitsessen für 1000-Dollar das Gedeck dahinplätschert und sich alles in Wohlgefallen auflöst, hat man den Film schon fast wieder vergessen. Auch das Paar, bei dem die Streitereien viel besser waren als ihre Drehbücher. Nur das die putzende Lehrerin tatsächlich einen reichen Traumprinz findet, ist der Gipfel der Unverschämtheit. Man sollte diesen Film Leuten mit zuviel Geld und überflüssigen Problemen überlassen - vielleicht den Eintrittspreis einkommensabhängig gestalten?

Cars


USA 2006 (Cars) Regie: John Lasseter als Sprecher: Paul Newman / Friedrich Schönfelder, Bonnie Hunt / Bettina Zimmermann, Owen Wilson / Daniel Brühl (Lightning McQueen), Richard Petty / Niki Lauda (The King), Tony Shalhoub / Rick Kavanian (Luigi) 116 Min. FSK: o.A.
 
Pixar hat die digitale Animation revolutioniert, sie erst richtig hof-, sprich: kino-fähig gemacht. Das kalifornische Studio begeisterte mit jedem ihrer nun sieben CGI-Kinofilme und trieb die Technik immer wieder auf neue Höchststände. "Toy Story", "Das große Krabbeln", "Findet Nemo", "Die Unglaublichen" haben nebenbei auch die kriselnde Disney-Zeichenabteilung über Wasser gehalten und sind die zweite Erfolgsstory von Apples-Firmenchef Steve Jobs. Jetzt also der siebte Kinospaß und unter der Regie des Pixar-Bosses John Lasseter wird so richtig Gas gegeben. Im Kino kann man sich das wenigstens noch leisten und es gibt auch keine Tote durch Raserei...
 
"Cars" beginnt gleich ungeheuer rasant, so hat man Autorennen selten im Film und schon gar nicht im Fernsehen gesehen: Auf einer Art Indianapolis-Kurs fliegen die Reifen und die Fetzen. Dabei sind nicht nur die Autos animiert - dass heißt sie haben eine Seele, Augen und sind ziemlich redselig. Auf Menschen wurde auch bei den jubelnden Massen, bei den Kommentatoren und beim Reifenwechsel verzichtet. "Cars" zeigt und hält, was es verspricht: Autos! Autos in jeder Form und Gemütslage.
 
 
Der Held von "Cars" heißt Lightning McQueen und ist ein freches, rotes Sportauto, das es mit den alten Hasen aufnimmt. Und es scheint zu klappen, Lightning alle Gemeinheiten der Gegner, verzichtet auf einen Boxenstopp und hat mit fast einer Runde Vorsprung den sicheren Sieg vor Augen. Doch dann machen die Reifen schlapp, es gibt ein Unentschieden von drei Rennwagen. Nun geht es zum Entscheidungsrennen nach Kalifornien.
 
Eigentlich hätte Lightning ja alle unsere Sympathien auf seiner Seite. Doch wie er sein Team unbeherrscht anschnauzt, wie er meint, er sei der King, ist nicht nett. Deshalb schickt ihn der Film auch zur Läuterung auf einen Umweg. Beim Transport rollt er vom Laster und landet in dem Wüstenkaff Radiator Springs, wo er eine Verkehrsstrafe abarbeiten muss. Hier in diesem Stückchen Amerika, in dem Zeit stehen geblieben ist, werden ihm die wahren Werte von Freundschaft und Familie beigebracht - immer noch produziert Disney die Filme von Pixar!
 
Trotzdem sind die Figuren äußert sympathisch und der Film überzeugt mit einer unglaublichen Detailverliebtheit. Wenn aus Einsen und Nullen Formen und dann später Figuren mit Seele werden, bleibt Pixar unschlagbar. Egal ob es der ungestüme McQueen (benannt nach dem rasenden Schauspieler Steve McQueen), ein knackiger Porsche oder nur ein brummiger Laster ist. Etwas einfacher machen es die Stimmen, wobei die US-Stars von deutschen Schauspielern und Komikern ersetzt werden und einige Profis des heißen Gummis wie Christian Danner, Franziska van Almsick, Michael Schumacher und Mika Häkkinen für den letzten Gag-Schliff sorgen.

Mit der Brechstange "World Trade Center" platt gemacht


Venedig. Ist es "gutes Timing" oder makabre Koinzidenz? Zwischen dem 1.Jahrestag der Katrina-Überschwemmung von New Orleans und dem 5. Jahrestag von New Yorks 9/11 liegt das 63. Filmfestival von Venedig. Und mit vollem Bewusstsein über den Reiz eines solchen "Clash of Civilisations" legte man die heiß ersehnten Neulinge vom schwarzen Bürgerrechtler Spike Lee und dem weißen Ex-Soldaten und Geschichte(n)-Filmer Oliver Stone auf den gleichen Tag. Das Ergebnis vorweg: Denen das Wasser schon immer (sozial) bis zum Hals stand, gibt man weit mehr Sympathien als dem Hafenpolizist Nicolas Cage unter Schutt und Asche.
 
Beide Amerikaner sind exzellente Filmemacher. Wobei man oft denkt, Spike Lee filmt mit dem Herzen, oft auch mit Wut im Bauch. Oliver Stone hingegen filmt hauptsächlich mit der Brechstange! Beim persönlich recht kämpferischen Mann, der die Bilder zu "J.F.K.", "Nixon" und dem "Fourth of July" neu geprägt hat, und zwischendurch Staatsfeind Fidel Castro freundlich porträtierte, war ein Kommentar zu 9/11 unvermeidlich.
 
"World Trade Center" ist eine Hymne auf New Yorks Finest, die tapferen Feuerwehrleute und Polizisten der Stadt. Also nicht die, die Drogenhandel, Prostitution und Wettgeschäft kontrollieren. Die sah man im enttäuschend braven Eröffnungsfilm von Brian De Palma, der in "The Black Dahlia" nur einmal seine Inszenierlust zeigte und ansonsten die Kunststückchen im Dienst einer nicht ganz typischen, aber auch nicht sensationell anderen Detektiv-Geschichte stellte.
 
Oliver Stone schickt eine Truppe von Hafenpolizisten nach dem Einschlag des ersten Fliegers zum Evakuieren in die Türme des World Trade Center. Unter der Führung ihres Sergeanten John (Nicolas Cage) werden die diensteifrigen Männer, bevor sie überhaupt helfen können, selbst verschüttet. Zwei von ihnen überleben die Einstürze der Hochhäuser, sind aber unter schweren Trümmern eingeklemmt. Zwischen aufmunternden und persönlichen Gesprächen, schleudert der Film Feuerbälle auf sie, lässt Schutt und Asche regnen. Das Kino bebt vor lauter Bässen, als weiterer Anschlag auf die Gefühle wird brutal auf die teilweise schwangeren Frauen der Helden geschnitten.
 
(Spike Lee hatte den Kommentar zu seinem New York schon längst in einer guten Kurzfilmsammlung abgegeben.)
 
"World Trade Center" ist eigentlich eher Bergarbeiterdrama als 9/11-Film. Stone schlachtet das nationale Trauma äußerst geschickt und handwerklich ekelerregend effektiv für Kinokasse aus. Effekt- statt Reflektier-Kino. Dass man angesichts von fast 3000 Toten erleichtert aus dem Kino kommt, weil Nicolas Cage überlebt hat, ist perverse Leichenfledderei. Dazu legt Stone geschichts-klitternd dumme Propaganda-Phrasen, die den aktuellen Weltkrieg herbeiführten, in den Mund des einfachen Mannes vor dem Fernseher: "Wir sind im Krieg." Wenn dann noch der rettende Marine als Last Minute-Ersatz für die Kavallerie des Western von Gott geschickt wird, kann sich Stone des Buhkonzerts nach der Pressevorführung sicher sein. Stone kann viel, nur nicht sich zurückhalten.
 
Lieber Herr Stone, 9/11 passiert nicht, weil alle Menschen so lieb wie in Ihrem Film sind. Und es hört auch nicht auf, wenn wir nur solche dummen Hurra-Streifen zu sehen bekommen. Da wäre als Gegengift der dritte USA-Film des Tage zu empfehlen: "The U.S. vs. John Lennon", oder: wie das FBI John Lennon ermordete. Noch so eine Verschwörungstheorie, dachte man anfangs erschreckt. Doch David Leaf und John Scheinfeld zeigen in ihrer Dokumentation, was man vielleicht noch nicht von Lennon und Yoko Ono wusste, setzen all die Ohrwürmer des Ex-Beatle in einen politischen Kontext und stellen die Frage, weshalb wir heute keine Aktionen wie "Bed Peace" oder Lieder wie "Give Peace a Chance" haben. Dass zwischen Vietnam und Irak kaum ein Unterschied ist, sagt Gore Vidal ganz deutlich. Und er muss es wissen, war er doch schon immer dabei. Bei "Ben Hur" als Drehbuchautor, während der Kuba-Krise als Freund und Berater der Kennedys, als Senator, als Buch- und Drehbuch-Autor sowie immer, wenn es kluger Gedanken bedarf. Irgendwann wird man unsere Zeit als Gore Vidal-Epoche bezeichnen...
 
Wie übel es beim Sorgenkind der Staatengemeinschaft, den USA, zuhause aussieht, legt Spike Lee in über vier Stunden, spannend, ergreifend, klug und schlüssig dar: Die Interviews, die Dokumentarbilder, Fotos und vor allem die Hintergrundmusiken in "When the Levees broke" (Als die Dämme brachen) geben den vermeintlich bekannten Ereignissen von New Orleans menschliche Tiefe. Sie machen die Tragik der sozialen Katastrophe deutlich, die erst begann, als der Hurrikane vorüber war. Die meist armen Menschen wurden einfach vergessen. Die Armee war schneller mit Hilfslieferungen bei den Tsunami-Opfern in Indonesien als mit Trinkwasser bei den eigenen Bürgern in Louisiana! Dass diese schon abgeschrieben wurden, als man die Dämme nicht anständig und hoch genug baute, ist ein anderer Skandal einer selbstgerechten, arroganten und abgehobenen Regierung. Auch so kann man Menschen umbringen, der latenten Gewalt von Vernachlässigung.
 
Es ist schon bedenkenswert, wie viel Aufmerksamkeit all diese Katastrophen der USA erhalten, während in China jedes Jahr vergleichbare Überschwemmungen stattfinden. Und noch mehr Säcke Reis umfallen. Aber das ist eine Frage der eigenen Perspektive, kann man doch gerade bei der Biennale von Marco Müller viel aus anderen Ländern und von anderen Kontinenten sehen.

Sehnsucht


BRD 2006 (Sehnsucht) Regie: Valeska Grisebach ca. 90 Min.
 
Die Geschichte eines Freiwilligen Feuerwehrmannes aus Brandenburg - nicht interessant? Von wegen: Verzehrende Leidenschaften auf dem Dorfe packen dank erstaunlicher Darstellung durch frisches Schauspieltalent. Und wenn man genau hinsieht, ist viel mehr Magie - und Film-Kunst - zu entdecken, als der triste Hintergrund vermuten lässt.
 
Ein Unfall am Ortseingang erweist sich als Selbstmordversuch. Markus, der Freiwillige Feuerwehrmann, ist als erster bei der Unfallstelle, kann aber nicht mehr helfen. Das Ereignis macht ihn nachdenklich und still - noch stiller als er so schon war. Bei einem stinklangweiligen Ausflug zu Feuerwehrkollegen in einem Nachbarort tanzt Markus versunken zu Robbie Williams' Feel: I dont wanna die. Ich will nicht sterben. Am nächsten morgen wacht er bei der netten Kellnerin Rose auf, obwohl zuhause seine Frau Ella sehr sehnsüchtig mit ihrer intensiven, jungen Liebe wartet. Ein Ausrutscher, denkt man, wenn der Schlosser Markus seinen Alltag wieder aufnimmt. Doch nach ein paar Tagen zieht es ihn wieder zur Rose. Mit dem Kleinlaster geht es zur neuen Leidenschaft. Seine sehr verliebte Frau kämpft um die Beziehung, will miteinander reden, auch beim Sex. Sie ist die große Romantikerin, die ein leidenschaftliches Ringen beginnt. Als Markus gerade die Untreue beenden will, kommt es zu einem weiteren Unfall und man steckt mitten in einem Film noir-Stoff, obwohl diese "Sehnsucht" äußerlich gar nicht so daher kam.
 
Das alle passiert in Briesen-Zühlen, einem Ort mit 200 Einwohnern und 6-7 Feuerwehr-Einsätzen im Jahr. Zwischen den Menschen mühen sich ganz zähe Dialoge ab, aber das scheint treffend, wirkt authentisch. Das Publikum amüsiert sich anfangs über diese Typen vom Dorf, aber ihre Sehnsüchte, ihre Dramen packen letztendlich doch. Und das bei Laiendarstellern, die so gut spielen und passen, dass man sich eine andere Besetzung gar nicht vorstellen kann. Während Markus ohne Konturen und unartikuliert zwischen den beiden Frauen steht, fesseln die mit tollen Gesichtern.
 
Regisseurin Valeska Grisebach überraschte schon mit "Mein Stern!", der intensiven, lebensnahen Geschichte eines junge Mädchens, ähnlich unspektakulär realistisch platziert und überzeugend von Debütanten gespielt. Am Ende des Films bleibt Markus allein zurück, allein mit Karnickel und Gewehr in seiner Scheune. Das ist dann plötzlich ein Moment extremer Spannung. Es gibt einen Schuss im Off und ein offenes Ende. Mit wunderbarem Epilog, der einer der besten Szenen der Berlinale 2006 brachte. Ein paar Mädchen erzählen sich die Geschichte auf dem Spielplatz nach. Wie ein romantisches Märchen, wie Romeo und Julia, oder genauer: Gottfried Kellers Romeo und Julia auf dem Dorfe. In den Kinder-Kommentaren findet sich große Lebensphilosophie, die Frage nach der wahren Liebe, nach Schicksal oder Kharma.